Von Eis und Schnee von abgemeldet (Adventskalender 2018 Türchen 8) ================================================================================ Kapitel 1: Winterwanderung -------------------------- Schon am frühen Morgen liegt der Geruch von frische gefallenen Schnee und Tannengrün in der Luft. In der Nacht hat es sehr lange geschneit und verwandelte das Tal in eine Schneelandschaft, die im Sonnenlicht wie weiße Weihnachtskugeln glänzt. Die Tannen ragen in die Höhe, um den Himmel zu erreichen und verdecken zum größten Teil den idyllischen Ort. Seit einer halben Stunde marschieren Lilly, Tristan und Jamie durch den Wald. Direkt voraus nimmt die 19-jährige Studentin die Führung, da sie hier in dem Bergtal aufwuchs und aus bestimmten Grund hat sie die meiste Motivation. Ihre Augen funkeln wie zwei Smaragde und auf ihr herzförmiges Gesicht bildet sich ein Lächeln ab. Kurz blickt sie nach hinten. Seit gestern haben liegen die Zwei im Streit, reden nicht miteinander und zeigen sich gegenseitig die kalte Schulter. Innerlich schüttelt Lilly den Kopf. So kann es nicht weiter gehen. Daher schlägt sie diese Wanderung vor, in der Hoffnung die Freunde vertragen sich wieder. „Kommt schon ihr Streithähne!“, ruft sie nach ihnen. „Wir sind fast da.“ Dann richtet sie ihre Aufmerksamkeit nach vorne, doch hört sie ein leises Grummeln hinter sich. Manchmal sind die Männer einfach nur stur. Der Schnee knirscht unter den schweren Schritten von Tristan, der eine Weile die Vögel am wolkigen Himmel beobachtet. In den Moment wirkt er etwas entspannter, statt andauernd wütend auf Jamie zu sein. Seufzend fährt er sich durch die kurzen, schwarze Haare. Das wird bestimmt ein harter Tag werden, vor allem wenn man zwischen zwei Stühlen steht, eine richtige Entscheidung zu treffen. Dabei macht es Jamie ihn nicht gerade leicht. „Ich bin dir direkt auf den Fersen. Du solltest dich lieber mal bei dem Holzkopf hier beschweren“, meint der 20-jährige Kunststudent und reibt sich die Hände, weil er die Handschuhe vergaß und die Kälte berührt wie eisiges Stahl seine Haut. Dagegen pocht eine dicke Wutader auf Jamies Stirn. Der ein Jahr jüngere Arztstudent glaubt, sich verhört zu haben. Kaum gibt es eine Gelegenheit, ihn schlecht zu machen, nutzt auch Tristan gleich diese Chance. Kochend vor Wut knirscht er mit den Zähnen und seine dunkelbraunen Augen funkeln ihn missgelaunt an. Er schnauft, um die Wut zu unterdrücken und kalte Wölkchen versperren ihm kurzzeitig die Sicht. Dafür muss er einige Sekunden die dumme Visage von Tristan nicht sehen. „Was fällt dir ein, du Dummkopf? Ich bin genau neben dir, also liege nicht hinten“, knurrt er beleidigt zurück und liefert sich mit dem Kunststudent ein Blickduell. An der Spitze des Trios rollt Lilly mit den Augen. Hoffentlich klappt ihr Plan, dass ihre Freunde im Laufe des Tages sich vertragen, sonst verscheuchen sie die Hälfte der Waldbewohner. Inzwischen fällt es ihr besser, durch die Schneemasse zu gehen. Je höher sie den Berg hinauf laufen, desto locker scheint die Schneeschicht zu sein. Zum Glück sind sie nicht zu hoch aufgrund der Gefahr einer Lawine. Bevor sie Männer noch lauter als nötig herumschreien, mischt sie sich gezielt ein. „Seid doch mal still! Ich will immerhin noch Fotos von Tieren schießen. Verstanden!“, ermahnt sie die Studenten und legt den Zeigefinger auf ihre schmalen Lippen. Als sie ihre ernsten Gesichtszüge erkennen, sagen sie synchron: „Verstanden.“ Zufrieden nickt sie. Lange kann sie bestimmt die Männer nicht im Zaum halten, darum überlegt sie, wie sie am besten den Streit schlichtet. Hals über Kopf zieht Lilly den schwarzen Schal enger um ihren Hals, als ein eisiger Windzug an ihr vorbei säuselt. „Brrrrr.“ Selbst unter der gefütterten Jacke spürt sie die frostigen Züge der Bergluft und beschleunigt ihre Schritte. Bei Tristan verläuft es auch nicht besonders warm. Die Hände fühlen sich wie Eisklumpen an, auch wenn er sie in den Jackentaschen steckt. „Warum ausgerechnet so früh?“ Der Gedanke spuckt wie ein Geist durch seinen Kopf herum. Plötzlich nimmt er aus den Augenwinkeln einige Bewegungen im Wald wahr. Neugier blitzt in seinen blaugrauen Augen auf. Zwischen dem dunklen Holz und den Schneehügeln entdeckt er wahrlich ein paar Elche. „Verdammt“, flucht er. Schnell erhält er Jamies Beachtung, der ihn mit zwei hochgezogenen Augenbrauen ansieht. „Wie war das?“ Es gleicht einem Raunen, ebenfalls einem gedämpften Zischen. Nach Lillys Ansage traut er sich, einen Ton von sich zu geben. Er wundert sich auch, weshalb Tristan gerade so herumflucht. Ein verwirrtes „Hmh“ stammt von den Kunststudenten, nach dem er die Elche aus sicherer Distanz betrachtete und sich zu seinem Freund umdreht. Sämtlich ruhige Gesichtszüge entgleiten ihm, sofern er Jamies genervten Blick erfasst. Darf er nicht mal in Ruhe Tiere beobachten? Er beißt sich auf die Unterlippe, trotzdem kann er sich einen bissigen Kommentar nicht sparen. „Das hat dich nicht zu interessieren“, antwortet er schnippisch und haucht heißen Atem gegen die zusammengefalteten Hände. Davon wenig begeistert, rechtfertigt sich der Medizinstudent: „Ach ja! Und wieso hast du dann geflucht?“ Jamie bleibt hartnäckig. Genervt runzelt Tristan die Stirn. Sein bester Freund drängelt sich überall durch, selbst Sachen die ihn nichts angehen. Anschein kühlen die niedrigen Temperaturen sein Temperament ab, da er sonst ein heftiges Wortgefecht mit Jamie beginnt. „In unserer Nähe habe ich eine kleine Herde Elche gefunden.“ Irgendwie ist er gespannt, wie Jamie auf diese Nachricht reagiert. Die Augen seines Freundes werden ein Stück größer. „Echt jetzt! Elche? WO?“ Diesmal hallt seine Stimme durch das halbe Tal. Vor ihnen hält Lilly an. Rasch beenden die Männer ihre Unterhaltung und nehmen ein mulmiges Gefühl im Magen wahr. Sie schnellt herum, stemmt die Hände gegen die Hüfte und mustert streng ihre Freunde. Nicht mal eine halbe Minute dauert es, bis sie sich erneut in die Haare kriegen. Von Natur besitzt sie viel Geduld, kann viel Verständnis aufbringen, doch Tristan und Jamie schaffen des Öfteren sie auf die Palme zu bringen. „Worüber zankt ihr euch dieses Mal?“, fordert sie eine Erklärung. Tristan sammelt seinen Mund zusammen und fängt an, es ihr zu erklären: „Jamie musste mich ja unbedingt mal wieder nerven und als ich dann ihm sagte warum, schrie er halt wie am Spieß.“ Der Mund von Jamie klappt auf. „Hey! So laut war ich nicht … vielleicht … ich war halt überrascht. Okay?! Er verschränkt die Arme. Während Tristan etwas nuschelt, starrt Jamie ihn aufgebracht an. Unter ihnen herrscht noch große Anspannungen, die auch Lilly langsam auf die Nerven geht. Soeben glaubt die Studentin, die nicht mal ein herrlicher Spaziergang sie auf andere Gedanken bringt. Schwer seufzt sie. „Na schön. Wir kehren um, Jungs.“ Eine gewisse Enttäuschung schleicht sich im Unterton ein. Auf einmal landet eine Schneeflocke auf ihre Nase. Sie blinzelt überrascht und wendet ihren Blick nach oben. Hellgraue Wolken bedecken den Himmel, sodass die Winterkristalle von dort aus auf die Erde hinabfallen. Im Windhauch tanzen sie im Zickzack und vermengen sich mit dem halbwegs harten Schnee. Staunen spiegelt sich in den grünen Augen wider. „Zu Schade auch“, lächelt sie schief. Sanft hält Tristan auf seinen nackten Händen Schneekristalle fest, die kurzzeitig ihre wahre Form behalten, bevor sie schmelzen. So zart, aber auch vergänglich. Obgleich das kalte Wasser der Flocken zu spüren, erlangt er ein wohliges Gefühl. „Meine Hände sind vollkommen taub geworden.“ Helles Rot vermischt sich mit der Hautfarbe. So blickt Jamie zu ihm rüber, der bei dem Anblick die Kälte bis in die Knochen spürt. Zuerst zögert er. Die Augen huschen zu seinen Handschuhen. Lillys Enttäuschung wegen ihres Streites und Tristans Leiden wegen seiner Schusseligkeit lassen ihn weicher werden, indem er über seinen eigenen Schatten springt und die Handschuhe auszieht, damit sein Freund nicht mehr friert. Ohne ihn ein Blick zu würdigen, überreicht er ihm die Handschuhe. „Hier! Die kannst du ruhig haben.“ Der Kunststudent schaut verblüfft auf, als Jamie ihn die Handschuhe anbietet. „Ähm … danke.“ Insofern nimmt er das Geschenk an. Lilly strahlt über das ganze Gesicht. Nicht einmal sie, hat mit der Aktion gerechnet, desto glücklicher ist sie, mal ein Gespräch ohne Streit mit ihnen zu führen. Ihr entgeht auch nicht, wie sich Jamie ein halbherziges Lächeln erlaubt und Tristan mit offenen Herzen die Handschuhe ansieht, dabei ist Dankbarkeit zu erkennen. „Dass ich das heute noch erleben darf. Welch ein Wunder“, kichert sie. Von der Auskunft Lillys geraten sie Männer in einer Situation, wo sie sich gegenseitig angucken und leicht erröten. Ihnen scheint es offensichtlich peinlich zu sein. Die dichten Wolken schütteln immer mehr Eiskristalle ab. Größer und dicker folgen weitere. „Was ist das? Kommt das noch von den geschmolzenen Schneeflocken“, stellt Tristan das eher klebrige Gefühl an den Händen fest. Jamie vergrößert seine Augen und kratzt sich an der Wange. „Es kann sein … das ich ein bisschen dort drin geschwitzt habe.“ Diese Beichte klingt viel mehr nach einem Räuspern, als einer standhaften Erklärung. Ein tiefes Raunen springt über seine Lippen. Tristan hat schon so etwas geahnt, daher wirkt er nicht so fassungslos, dieses ekelhafte Geschenk wortwörtlich an den Händen zu halten. Allein mit der Haut empfindet er den schmierigen Schweiß als ein persönlicher Racheakt Jamies. Bei den Gedanken entweicht der Ärger von einer Sekunde in die Nächste. Vielleicht hat er es auch verdient, sodass er sich zusammenreißt und das Beste aus der Situation macht. „Ach egal. Hauptsache es ist schön warm“, entscheidet er sich, gelassen zu bleiben. „Ich habe es auch verdient.“ Lilly wird beim letzten Satz hellhörig und ergreift die Möglichkeit, endlich zu erfahren, wieso die beiden seit gestern Abend solche Quälgeister sind. Die Reue in Tristans Blick und die nachdenkliche Mimik von Jamie verraten ihr, das es sich um etwas Persönliches handeln muss. Entweder sind Männer einfach gestrickt oder handeln mehr kompliziert als gewollt. „Worum ging es gestern bei eurer Auseinandersetzung?“ Diesmal lässt sie sich nicht so einfach fortschicken. Sie will es wissen. Jetzt von Lillys Kampfgeist beeindruckt, der sich in ihrer Haltung erkennbar macht, gibt Jamie schließlich nach. Der braunhaarige Medizinstudent schluckt den Kloß hinunter und wagt sich seine besten Freunde anzusehen. „Wir haben dein Weihnachtsgeschenk … ausersehen verbrannt.“ Reflexartig wendet er sich zu Tristan und lockert seine Muskeln. Ohne das geringste Zeichen einer Vorwarnung spuckt sie die Worte „Das ist alles?“ heraus. Gleich danach klatscht sie ihre Hand gegen die Stirn. Das komplette Paket aus Streitigkeiten und Beschimpfungen wegen dem kleinen Missgeschick. Unter anderem findet sie es schon süß, wie sehr sie sich deswegen anfauchen. Auf der anderen Seite erweist sich das als kindisch. „Das sagst du so einfach. Wir beide haben dafür so gespart, weil du in den Sommerferien für uns die Reise nach Italien finanziert hast. Leider ist diese Freude in den Flammen des Kamins verbrannt.“ Die Mundwinkel des Studenten fallen nach unten. Wie aus heiterem Himmel bekommt Tristan ein Schneeball ins Gesicht. Außer einem „Uff“ und die pure Überraschung im Blick kriegt er nicht imstande zu zeigen. Schon wieder ist ihm kalt. Keine Sekunde später lacht Jamie aus vollem Halse. Über so eine Bestrafung, die Tristan ohne Absicht das Geschenk in den Kamin warf, hat nicht nachgedacht. Denn er scheint nicht fröhlich darüber zu sein, mehr Schnee auf sich zu haben. „Das nenne ich mal einen Volltreffer“, hängt er noch dran und hält sich seinen Bauch vor lauten Lachen. Der andere schmollt leicht. Zuallererst bewirft Lilly ihn mit einem Schneeball, dann hat Jamie nicht anderes zu tun, als darüber amüsiert zu lachen. Das zahlt er ihnen an Weihnachten heim. „Jetzt guck nicht so Tristan. Das mit dem Weihnachtsgeschenk ist halb so wild. Dabei habe ich mich schon die ganze Zeit Sorgen um euch gemacht. Jagd mir also niemals wieder so einen Schrecken ein“, belehrt sie die Männer und klopft den Schnee aus den Handschuhen ab. „Solange wir gemeinsam Weihnachten feiern, ist dies für mich das größte Geschenk.“ Durchaus zutreffend fällt Tristan ein Stein vom Herzen, so erleichtert, wie er aufatmet und sich danach viel besser fühlt. So verfügt er auch nicht über ein schlechtes Gewissen, als er Schnee in seinen Händen hält, Jamie zu sich zieht und ihn mit dem Schneeball einseift. Gekonnt ignoriert er die Proteste von Jamie. Er will selbst mal seinen Spaß haben, nach dem die anderen schon damit anfingen. „Das bedeutet Kriege“, fordert Jamie nach einer Schneeballschlacht. „Und ich werde gewinnen.“ „Muss du immer so große Töne spucken“, lacht sein bester Freund. „Kein Wunder, das es nie langweilig wird.“ „Ihr seid ja so naiv, meine lieben kleinen Schneeküken“, sagt Lilly scharf. „Ich bin hier die Königin der Schneebälle.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)