Weiß in Weiß von Pureya ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Es fiel Schnee. Nichts besonderes war daran, aber wie immer saß ich dennoch am Fenster und sah ihm dabei zu. Meine Mutter hatte erzählt, dass ich schon als Kind kein größeres Vergnügen kannte, als dem Schnee zuzusehen. Wann immer sie diese Geschichte bei Familienfeiern oder Ausflügen zum besten gibt, lächle ich unbestimmt in mich hinein. Denn ein Detail, dass meine Mutter immer vergisst zu erwähnen ist, dass meine Faszination für Schnee erst begann als ich schon 5 Jahre alt war. Und warum das so ist, weiß nur ich allein. Mein Name ist Mizore Itō und ich bin in Oguni aufgewachsen. So warm unsere Sommer sind, umso kälter sind unsere Winter hier. Meinen ersten Schlitten hatte ich mit einem halben Jahr, die ersten Skier sobald ich laufen konnte. Doch spannend oder faszinierend fand ich Schnee nie. Es war kaltes Wasser. Man rutschte darauf aus und mehr als einmal war mein Vater deshalb zu spät zum Abendessen gekommen. Leider jedoch war jeder andere in unserer Stadt wie besessen vom Schnee und allem was damit zu tun hatte. Ich habe das Gefühlt wir taten in meiner Kindergartenzeit nichts anderes als im Schnee zu wandern und Schneemänner zu bauen. Zu meinem 4. Geburtstag schenkte mein Onkel Yusei mir ein Buch. Er war Geschäftsmann, meine Eltern nannten es immer so und viel auf reisen und so war das Buch aus Deutschland. Ich kannte die Schriftzeichen nicht, aber da es ein Bilderbuch war, musste mir mein Onkel nur den Titel übersetzen. Yuki no joō: Die Schneekönigin. Ein Fahrrad wäre mir lieber gewesen. Das Buch hatte wunderschöne Bilder, aber nach dem ich es mir 5 Monate lang jeden Abend vor dem einschlafen angeschaut hatte, verlor ich langsam das Interesse daran. Und ich vergaß es sogar ganz, als wir im Jahr darauf zum Camping in die Berge fuhren. Es sollte ein halbes Jahr vergehen, bevor es mir wieder ins Gedächtnis kam. Erneut war Winter und ich so angeödet und genervt wie eh und je. Vor allem da die Jungs aus meinem Kindergarten über den Sommer gelernt hatten wie Schneeballschlachten gingen. Und leider trafen sie nicht gerade gut. Zum Glück wurden die Jungs meistens als erstes von ihren Eltern nach dem Kindergarten abgeholt und so saß ich mit ein paar Mädchen aus meiner Gruppe auf der Treppe vor dem Kindergarten und erfand neue Abzählreime. Das war und ist in unserer Stadt nichts ungewöhnliches. Kindesentführung ist etwas was woanders passiert. Es war schon dunkel und leichter Schneefall hatte eingesetzt, als ich nur noch mit meiner besten Freundin Hide da saß. Da fuhr ihre Mutter vor und winkte uns freundlich lächelnd zu. Schnell schnappte meine Freundin ihre Sachen und stieg ein. "Sollen wir dich gleich mitnehmen Mizo-chan?", fragte Hide´s Mutter. Ich schüttelte den Kopf. "Danke, aber meine Mutti kommt gleich." Sie nickte und beide fuhren davon. Ich schaute mich nach dem Auto meiner Mutter um. Nichts zu sehen. Gelangweilt fing ich an von der untersten Stufe der Treppe in eine Schneematschpfütze zu springen. 10 Minuten später wurde mir das zu langweilig und ich blickte erneut die Straße rauf und runter. Der Schneefall hatte zugenommen. Wo blieb denn nur meine Mutter? Hatte sie mich vergessen? Energisch schüttelte ich den Kopf. Mutti vergaß nie etwas. Selbst Papa fragte sie immer wo er seine Sachen hingelegt hatte. Hatte ich vielleicht etwas vergessen? Ich überlegte angestrengt. Sollte ich heute vielleicht allein nach Hause laufen? Das war schon vorgekommen. Allerdings nur im Sommer. Je länger ich darüber nachdachte desto sicherer wurde ich, dass ich es einfach vergessen hatte. Bestimmt saßen jetzt schon beide daheim und warteten auf mich. Schnell nahm ich meinen Rucksack und lief los. Es war anstrengend durch den frisch gefallenen Schnee zu laufen und schon bald fing ich an zu schwitzen. Ich stellte mir vor wie meine Eltern ungeduldig daheim saßen. Heute sollte es Aal geben. Das hatte meine Mutti gestern angekündigt. Ich liebte Aal. Ich versuchte schneller zu laufen. Nach einer halben Stunde blieb ich stehen. Das Seitenstechen war inzwischen unerträglich. Ich atmete große Dampfwolken in die kalte Luft. Erschöpft schaute ich mich um. Sehr weit war ich nicht gekommen. Etwas langsamer lief ich weiter. Hoffentlich würde Papa nicht den ganzen Aal allein weg essen. Rechts von mir reihten sich hell erleuchtet Häuser auf. Warum konnten wir nicht hier wohnen? Und links von mir lag einer der Ausläufer des Nagaokashi Waldes. Unsere Stadt war komplett von dem Wald umgeben und er ragte an manchen Stellen sehr weit hinein. Wir hatten schon oft Ausflüge in den Wald unternommen. Und unser Haus lag genau auf der anderen Seite dieses Stücks. Ich stöhnte. Es würde noch ewig dauern es zu umrunden. Ich wurde immer langsamer und blieb schließlich stehen. Oder ich könnte doch einfach die Abkürzung nehmen? Erneut blickte ich zum Wald und hatte auch schon die Straße überquert. Schnell bemerkte ich, dass es noch schwerer war sich durch den tiefen und teilweise vereisten Schnee im Wald zu kämpfen. Doch umkehren wollte ich jetzt auch nicht mehr. Ich wollte einfach nur noch heim. In meiner Vorstellung musste ich nur den kleinen Hügel hinauf und würde dann schon fast vor meiner Haustür stehen. Der kleine Hügel war jedoch deutlich steiler als ich erwartet hatte. Beim laufen wurde ich immer wütender. Dieses dumme weiße Zeug überall! Nass und glatt und ich versuchte bei jedem Schritt so viel wie möglich davon platt zu machen. Nach einer Ewigkeit erreichte ich den Gipfel. Doch anstatt eine hell erleuchtete Straße und Häuser sah ich nur noch mehr Wald. Unsicher drehte ich mich um. Deutlich war meine Spur im Schnee zu sehen, doch die Straße war auch hier nicht mehr zu sehen. Das einzige Licht ging jetzt noch vom Schnee aus. Die kahlen Bäume standen wie schwarze Monumente dazwischen. Ein eisiger Schauer strich mir über den Rücken. Ich musste weiter. Die Straße würde schon bald kommen. Ganz bestimmt. Ich stapfte voran. Nicht mal 2 Minuten später liefen mir die ersten Tränen über die Wange. Das schwache Leuchten des Schnees wurde immer weniger und ich konnte nirgendwo eine Straßenlaterne entdecken. Und der Schnee fiel immer stärker. Ich konnte einfach nicht mehr laufen und blieb stehen. Mein Schluchzen war inzwischen so laut, dass das Echo von den Bäumen zurück prallte. Ich versuchte mir mit meinen Handschuhen die Tränen weg zu wischen, doch sie waren inzwischen komplett durchnässt. Leise rief ich nach meiner Mutti. Das Knacken eines Astes antwortete mir. Ich rief noch einmal, allerdings war es nun kaum mehr als ein Flüstern. Diesmal antwortete der Wind. Leise schluchzend schaute ich mich um. Meine Spuren waren nur noch gerade so zu sehen. Und ausser Baumstämmen und noch mehr Schnee sah ich keinerlei Anhalspunkt wohin ich gehen musste. Zögerlich ging ich weiter. Aus den Augenwinkeln sah ich eine Bewegung, die irgendwie anders war als das stetige fallen der riesigen Flocken. Ich wandte meinen Kopf um. Außer noch mehr schwarzen Schatten war nichts zu sehen. Ich ging weiter. Wieder ein der Schatten. Diesmal war ich mir absolut sicher etwas gesehen zu haben. "Hallo?", rief ich leise. Wieder das Knacken eines Astes. Nervös schaute ich mich um. "Halloho?" Angestrengt versuchte ich etwas zu erkennen. Vor mir schien der Schnee irgendwie dichter zu sein. Als würde er dort konzentrierter fallen. Ich wusste nicht genau ob ich mich fürchten sollte und blieb wo ich war. Das weiße Gebilde schien näher zu kommen und es schien außerdem ein Mensch zu sein. "Entschuldigen Sie bitte. Ich hab mich verlaufen." Die Gestalt war nun schon sehr nah, sie musste mich gehört haben, aber gab keine Antwort. Jetzt sah ich, dass es eine Frau war. Ihr langes, schwarzes Haar verdeckte ihr Gesicht. Doch sie trug einen weißen Kimono. Er strahlte noch heller als der Schnee um sie herum. Der Glanz schien aus ihr selbst zu kommen. Ich öffnete schon den Mund um wieder etwas zu sagen, da bemerkte ich, dass sie keine Spuren im Schnee hinterließ. Sie glitt einfach über ihn hinweg. Meine Augen wurden rund. Die gruselige Frau kam immer näher. Ich versuchte rückwärts zu laufen, stolperte jedoch und landete im Schnee. Etwa 2 Meter von mir entfernt hielt die Frau an und hob den Blick. Das Haar fiel ihr aus dem Gesicht. Sie war wunderschön. Ihr Gesicht war so weiß wie ihr Kimono und ihre Augen strahlten wie schwarze Perlen. Ich seufzte tonlos. Bei ihrem Anblick konnte ich bloß noch an eines denken. "Sind Sie die Schneekönigin?" Das Gesicht der Frau blieb unbewegt, doch plötzlich verzog sich ihr dünner Mund zu einem sanften Lächeln. "DIE SCHNEEKÖNIGIN... DU DARFST MICH GERN SO NENNEN. DAS KLINGT SCHÖN." Ihre Stimme klang als würde der Wald selbst sprechen. Sie kam von überall her. "Können Sie mir helfen?" Die Frau sagte nichts. Ich konnte mich nicht mehr erinnern, ob die Schneekönigin in meinem Buch nett oder böse gewesen war. Ich stand umständlich auf. "Bitte... ich möchte nach Hause." Die Frau schien nachgedacht zu haben denn nun nickte sie langsam. "ICH BRINGE DICH HEIM. FOLGE MIR." Langsam drehte sie sich um und schwebte fort. "Oh, danke danke! Sie sind eine nette Schneekönigin!" Ich lief aufgeregt hinter ihr her. Angestrengt versuchte ich mit ihr mitzuhalten. Doch sie glitt immer schneller vorran. "Moment, könnten Sie etwas langsamer sein?", rief ich und als sie nicht reagierte gleich nochmal, nur lauter. Aber unbeirrt schwebte sie fort, bis sie im Schneesturm verschwand wie sie aufgetaucht war. Verzweifelt rief ich nach ihr. "Schneekönigin!" Immer wieder, bis mein Hals brannte. Irgendwann brach ich einfach zusammen. Das Lachen der Schneekönigin erfüllte meine Ohren. "-an! Mizo-chan! Wach auf mein Kleines!" Die Stimme kannte ich. Mühsam öffnete ich ein Auge. Mein Vater beugte sich über mich. Er sah besorgt aus. "Papa?" Jetzt wirkte er erleichtert und er umarmte mich. Auch meine Mutter tauchte jetzt in meinem Blickfeld auf und nahm mein Gesicht in ihre warmen Hände. "Es tut mir so leid, mein Spatz! Ich war gerade auf dem Weg, da kam ein Auto und... Ach egal! Es tut mir so leid!" Ich wurde umarmt und geherzt. Irgendwann saßen wir alle zusammen auf unserem gemütlichen Sofa. Ich war in Decken verpackt und hatte dampfenden Tee in den Händen. "Jetzt erzähl mal mein Spatz, bist du her gelaufen?" Ich nickte leicht. "Ich habs versucht. Aber der Weg hat sich so gezogen und ich wollte nicht, dass Papa den Aal ganz allein isst. Da bin ich durch den Wald gelaufen." Erst hatten meine Eltern gelächelt, doch nun wirkten sie erschreckt. "Durch den Wald? Mizore du kannst doch nicht im Dunkeln bei dem Schnee durch den Wald! Du hättest dich verlaufen können!" "Hab ich auch", sagte ich leise. "Und dann kam die Schneekönigin und wollte mir helfen aus dem Wald raus zu finden, aber ich hab sie verloren und dann konnt ich nicht mehr weiter laufen..." Meine Eltern sahen mich groß an. Dann schauten sie einander an. "Aber scheinbar hast du es auch raus geschafft. Wir haben dich schlafend vor der Haustür gefunden und es war keiner bei dir." Ich nahm einen Schluck Tee und lächelte leicht. "Die Schneekönigin hat mich her gebracht." Mein Vater machte den Mund auf, doch meine Mutter legte eine Hand auf seinen Arm. "Ja, mein Spatz. Die Schneekönigin hat dich gerettet." Seit diesem Abend liebe ich den Schnee. Und immer wenn er so fällt wie heute, dann muss ich ihm einfach zusehen. Ich hoffe darauf, dass die Schneekönigin noch einmal einfach aus ihm heraus tritt und ich ihr danken kann. Dafür, dass sie einem kleinen, hungrigen Mädchen das Leben gerettet hat. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)