Wölfe, Würfel, Weihnachtsbäume von Alaiya (Adventskalender) ================================================================================ Teil 1: Unerwiderte Gefühle --------------------------- Schneematsch türmte sich zu beiden Seiten der Straße auf, als Matthew endlich die Grenze des Trossachs erreichte. Die Temperaturen waren knapp über dem Gefrierpunkt, was allerdings kaum bis nach Sonnenuntergang halten würde. Umso besser. Ein Grund die Nacht in der Jagdhütte zu verbringen. Vielleicht hatte er ja Glück und es gab einen Schneesturm, so dass er den Wochenendbesuch bei seinen Eltern sich gänzlich ersparen konnte. Nun vorsichtiger fuhr er auf die kleine Waldstraße, die ihn weiter in Richtung Loch Ard und Hütte führte. Das Wetter sorgte dafür, dass er für die Strecke, die normal eine Viertelstunde in Anspruch nahm, beinahe eine halbe brauchte, doch fuhr er schließlich auf den Platz vor der Garage, überrascht gleich zwei Wagen dort zu finden. Thias und Seans. Ob das bedeutete …? Er stieg aus seinem Wagen aus, schloss ab und schritt zur Eingangstür hinüber. Drinnen brannte Licht und grauer Rauch stieg aus dem Schornstein hinauf. Jemand musste den Kamin angemacht haben. Warum er eigentlich hier war, konnte er auch nicht genau sagen. Seinem Vater sagte er, dass er hier besser lernen konnte, dass er außerdem schneller da war, wenn etwas im Wald geschah. Die Wahrheit war etwas anders. Es war ruhiger hier, ja, und die Menschen, die hier waren, ließen ihn meistens in Ruhe. Es war außerdem der eine sichere Rückzugsort. Der eine Ort, an dem sein Vater sich nicht beschwerte, an den er einfach gehen konnte. Er zückte den Schlüssel, öffnete die Tür und wurde beinahe von mehreren Gerüchen erschlagen. Die feine Nase eines Werwolfs hatte Vor- und Nachteile. Sie erlaubte ihm, bereits jetzt einen unerwarteten Geruch wahrzunehmen, sorgte jedoch dafür, dass der übelkeitserregende Geruch des Lötzinns ihn noch härter traf. Also hatte Sean eins seiner Bastelprojekte hergebracht. Seltsam. Normal bevorzugte es Sean, allein zu sein, allein daheim zu basteln und … Nun, und zu tun, was auch immer es war, das Sean sonst mit seiner Freizeit machte. Ein anderer Geruch war jedoch auch da. Ein Geruch, der ihn in den letzten fünf Wochen vertraut geworden war. Sein Herz machte einen kleinen Hüpfer. Also war Jason wieder hier. Wie die meiste Zeit. War er seit vorgestern hier gewesen oder hatte Thia ihn gefahren? „Hey!“, rief er in den holzvertäfelten Flur hinein. Er hob die Stimme nicht sonderlich. Es gehörte sich halt einfach. „Hey“, erwiderte Jasons Stimme, begleitet von Thias Brummen, aus dem Kamin- oder eher Wohnzimmer. Nun, sofern man heutzutage etwas als Wohnzimmer bezeichnen konnte, wo es keinen Fernseher gab. Doch wenigstens hatten sie neuerdings WLAN, etwas, dass er bis vor zwei Wochen nicht für möglich gehalten hätte. Er schloss die Tür, schlüpfte aus seinen Schuhen und zog seinen viel zu teuren Wintermantel aus, hängte ihn an die Garderobe, die abseits von Thias Mantel leer war. Sein Herz hämmerte, als er in das Wohnzimmer lugte und überrascht feststellte, dass er Recht gehabt hatte. Der Geruch von zuvor war der Geruch einer Tanne gewesen. Eines Tannenbaums. Jason stand davor und versuchte eine Lichterkette daran zu befestigen, schwankte jedoch bei dem Versuch sie weiter oben festzumachen. Derweil saß Thia auf einem der abgenutzten alten Ohrensessel. Sie hatte den kleinen Tisch, der normalerweise vor dem Bücherregal stand und dort nun von dem Weihnachtsbaum ersetzt wurde, hierher gezogen und ihren Notizblock darauf abgelegt, während gleich drei verschiedene Bücher daneben und ein viertes in ihrer Hand lag. Matts Blick wanderte von Jason zu Thia und zurück zu Jason. „Ein Weihnachtsbaum?“ Jason drehte sich um und grinste. „War vorhin mit Thia essen holen. Unten im Dorf haben sie welche von den weniger schönen für zwölf Pfund verkauft.“ „Und er meinte, dass es sich gut machen würde“, murmelte Thia. Ihr Unterton sagte deutlich, was ihr Gedanke war: „Offenbar will er hier auch über Weihnachten wohnen bleiben.“ „Ach, ich dachte, es würde einfach nur ein wenig weihnachtliche Stimmung …“ Jason verlor den Faden, fixierte die Rückseite des Stuhls. Ja, da war er wieder, dieser Blick, den Matthew öfter auf Jasons Gesicht gesehen hatte. Nun räusperte er sich. „Ich meine, wir sind doch alle immer wieder hier und …“ Matt lächelte. „Sieht gut aus, Jay“, meinte er. „Und riecht gut.“ Beinahe automatisch schnüffelte Jason. „Findest du?“ „Ja. Jedenfalls für mich.“ Er wandte sich um. Noch stand die Wohnzimmertür offen und gab die Sicht auf Sean frei, der im Esszimmer saß, eine Tischdecke auf dem alten Holztisch ausgebreitet hatte und Lötkolben, -zinn, Feinwerkzeug und ein paar alte Modellbahnen vor sich ausgebreitet hatte. „Anders als andere Sachen“, murmelte er. Sean schnaubte. Natürlich hatte er ihn gehört. „Was soll ich denn tun? Die über mir haben Wasserschaden. Ich kann erst morgen wieder in die Wohnung.“ Matt seufzte. „Schon okay.“ Dann ging er zur Wohnzimmertür zurück und schloss sie. Immerhin brannte der Kamin, was ihm wohl genug Grund gab. Unschlüssig blieb er stehen. „Soll ich dir helfen, Jay?“ Schon wieder hatte Jason angefangen, zu versuchen die Lichterkette festzumachen. Natürlich bat er Thia nicht, die vielleicht nicht wirklich größer, sehr wohl aber geschickter als er war. Er wollte sie beeindrucken. Wie immer. Jetzt aber drehte er sich um. „Ähm. Ja. Sicher.“ Er hielt die Kette empor und wartete, dass Matt zu ihm kam und mit der Hilfe seines Geschicks die Schlaufe der Kette über einen der oberen Äste bekam. Nun war auch klar, warum der Baum billiger gewesen war. Die hintere Seite, die Jason dem Bücherregal zugewandt hatte, war ziemlich zerfleddert. „Danke“, murmelte Jason nun. Er machte die unteren Schlaufen fest. „Gern.“ Matt schenkte ihm ein kurzes Lächeln, ehe er die untere Ecke des Regals fixierte. Es fühlte sich falsch an, Jason die ganze Zeit anzusehen. Falsch. Es war ihm unangenehm. „Hast du noch anderen Schmuck?“ Jason machte einen verlegenen Laut. „Nicht wirklich, nein.“ „Nicht schlimm“, meinte Matt. „Ich finde die Idee schön. Danke, Jay.“ Er mochte es diesen Namen zu nutzen. Darauf antwortete Jason nicht, sondern hing den Rest der Kette auf. „Ich bin immer noch der Meinung, dass wir draußen einen Baum hätten behängen können“, murmelte Thia. Das Lächeln auf Jasons Gesicht flackerte für einen Moment. „Na ja, wir können keine Lichterkette draußen aufhängen und …“ Schon wieder brach er ab. Dafür, dass er gerne und viel redete, versagten ihm bei Thia oft die Worte. Wie konnte Thia nur so blind sein? Ignorierte sie es absichtlich? Matt war selbst nie gut darin gewesen, Leute zu lesen, doch war es offensichtlich, dass Jason ein Auge geworfen hatte. Fraglos würde Thia diese Gefühle nie erwidern, doch solange sie Jason keinen Korb gab, würde er es wohl weiter versuchen. Und da Jason unsicher und Thia blind war, würde das wohl eine Weile brauchen. War Matt ein schlechter Mensch, ein schlechter Freund, weil er es nicht beschleunigte, indem er Thia nicht darauf aufmerksam machte? Aber wenn Thia etwas sagte … würde Jason dann wieder nach Edinburgh gehen? Er hatte aber auch noch Croinneach hier, oder? „Ich finde es nett von Jason“, meinte er vorsichtig. „Und es riecht gut.“ Dankbar strahlte Jason ihn an. Er schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln, ehe er wieder das alte Parkett begutachtete. Anders Thema. Anderes Thema. „Bleibst du über Nacht, Thia?“, fragte er. Meistens fuhr sie nachts nach Edinburgh zurück. „Ne. Melanie hat ihren Freund da“, murmelte Thia, ohne vom Buch aufzusehen. Jetzt kramte sie mit einer Hand in ihrer Federtasche, die ebenfalls auf dem kleinen Tisch stand und fischte ein paar Post-Its heraus, um eine Stelle im Text zu markieren. Sie versuchte wirklich ihr Studium zu beenden. Nicht, dass es so leicht werden würde. Bei ihrem Glück würde bis zu den nächsten Prüfungen wieder einmal ein Dämon, ein Fae, ein paar Vampire oder sonst irgendetwas auftauchen. Etwas, dass zumindest laut den Ältesten, also vor allem laut Matts Vater, Beseitigung bedurfte. Seine eigene Hoffnung in näherer Zukunft auch nur den Bachelor abzuschließen war schon lange verflogen. Er holte tief Luft. „Du sagtest, ihr habt vorhin zu Essen gekauft?“ Er zögerte. „Wollen wir kochen?“ Auch Jason zögerte. Er schaute zu ihm, er schaute zu Thia und dann zum Feuer. „Äh. Ja. Warum nicht.“ Ein weiteres Räuspern folgte. „Soll ich dir noch einen Tee bringen, Thia?“ Sie murrte eine kaum verständliche Verneinung, entlockte Jason ein Seufzen. Matt schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln und öffnete die Tür, bemüht Sean keine Aufmerksamkeit zu schenken. Sean hatte immer miese Laune und es gab nun einmal wenig, was man daran tun konnte. Er wollte nicht reden, wurde aggressiv, wenn man es nur versuchte und war die meiste Zeit nun einmal ein Arschloch. Früher war es besser gewesen, doch mittlerweile … Lange hatte Matt versucht, ihm Verständnis entgegen zu bringen, soweit es in seiner Möglichkeit lag, aber es ging nicht mehr. Er wollte sich nicht auch noch hier von jemanden die ganze Zeit dumm anmachen lassen. „Was hast du mitgebracht?“, fragte er Jason stattdessen, als sie in die Küche gingen. „Ich dachte, wir könnten Kartoffelgratin machen“, erwiderte er. „Wir haben eh noch Kartoffeln im Vorratsschrank, die sonst noch anfangen zu sprießen.“ Matt nickte. „Klingt gut.“ Jason öffnete die Tür zur Vorratskammer und kramte darin. „Nimmst du?“, fragte er und reichte ihm die Kartoffeln an. Dann holte er etwas anderes heraus. „Die hier sind okay, oder?“, fragte er und zeigte ihm die Packung. Vegetarischer Hackfleischersatz. Das war einer der Gründe, warum Matt ihn mochte. Er war die erste Person, die nicht selbst vegetarisch lebte, die bereit war, für ihn vegetarisch zu kochen. Seine Wangen brannten, doch er nickte. „Ja. Das ist okay.“ Er holte tief Luft. „Danke, Jay.“ Jason zuckte mit den Schultern. „Ist kein Problem.“ Matt brachte die Kartoffeln zur Spüle und leerte gleich das ganze Netz hinein, um sie zu waschen. Sie hatten sie von Carla bekommen, seine Großtante, die selbst welche im Garten anbaute. Was gut war, da sie so kostenlos waren, allerdings auch bedeutete, dass sie noch nicht so sauber gewaschen waren, wie die Kartoffeln im Supermarkt. Jason sagte gar nichts. Ohne groß darüber zu sprechen, packte er den Sojaersatz aus und las sich die Anleitung auf der Rückseite noch einmal durch, während Matt begann die ersten der Kartoffeln zu schälen. „Ich denke, das kann warten, bis wir mit den Kartoffeln fertig sind“, beschloss Jason schließlich, nahm ein weiteres Messer und machte sich ans Schneiden. Während die Kartoffeln kochten, brieten sie das Sojahack an, ehe sie sich um die Soße kümmerte. Jason machte eine ziemlich gute Bechamel-Soße. Generell konnte er erstaunlich gut kochen. „Wie läuft Uni im Moment?“, fragte er nach einer Weile. Matt zuckte mit den Schultern. „Es geht. Ginge besser würde ich halt mehr da sein, ne?“ Jason nickte bedächtig. „Und die Arbeit?“ „Ach, ich habe ein paar Artikel für Edinburgh News geschrieben.“ Er verdrehte die Augen. „Immer dieser Kleinkram.“ „Besser als nichts“, erwiderte Matt. „Und es bezahlt die Rechnungen.“ Jason nickte erneut. „Ja.“ „Was ist eigentlich mit deiner Mitbewohnerin?“ „Kyra?“ Jason verzog den Mund, seufzte dann sehr lang. „Ja … Ich nehme an … Sie lernt halt Magie oder so, ne?“ Das war nicht, was Matt gefragt hatte und Jason wusste das ziemlich sicher. Dennoch schwieg er. Immerhin wollte er nicht so klingen, als ob er sich über Jasons Anwesenheit hier beschwerte. Schweigen senkte sich über sie, während draußen erneut einzelne Flocken vom Himmel fielen. Es war ein wirklich verschneiter Winter. Endlich schnitten sie die gekochten Kartoffeln noch einmal, um sie in die Auflaufform zu geben. „Wollen wir nachher vielleicht noch ein wenig … Kampagne spielen?“, fragte Matt, als das Gratin endlich im Ofen war. Jason sah ihn an. Ein zurückhaltendes Lächeln zeigte sich auf seinem Gesicht. „Ja. Sicher. Gern.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)