Wölfe, Würfel, Weihnachtsbäume von Alaiya (Adventskalender) ================================================================================ Teil 4: Elfenkrieger -------------------- Sechs breite Straßen trafen im Stadtkern auf den Brunnen. Eine davon sollte sie direkt zur Bibliothek führen. Dankbarerweise konnte Rufus halbwegs nachvollziehen, aus welcher Richtung sie gekommen waren. Es war Südosten gewesen, wenn er nicht irrte. Also müsste die zweite Straße rechts von der, in der noch immer Landiels Fackel auf dem Boden lag, diejenige sein, die ihn ans Ziel brachte. Dann würde er der Sache endlich auf den Grund gehen können. Noch wusste er nicht, was er finden würde, doch etwas sagte ihm, dass es hier noch mehr gab, als er bisher erkannt hatte. Da war irgendetwas an dem alten Professor gewesen, dass ihn noch immer falsch vorkam. Warum? Vielleicht war es auch die Masse schlechte Erfahrungen mit alten Magiern gewesen. Immerhin waren zu viele von ihnen korrumpiert. Bevor man wusste, was geschah, fand man sich auf einmal als das lebendige Opfer in einem Ritual. Landiel hob die Fackel auf und klopfte ihm auf die Schulter. „Das war ein guter Plan“, meinte er. „Bist du auch wirklich okay?“ „Ja, natürlich.“ Rufus grinste. Wenn er so weiter machte, würde seine Schule ihn irgendwann auch noch anerkennen. Für einen Moment blieb Landiels Hand auf seiner Schulter liegen, doch dann löste sich sein Begleiter von ihm. „Also, wohin geht es?“ Noch einmal sah Rufus prüfend auf den Stadtplan, zeigte dann aber auf die Straße, für die er sich vorher schon entschieden hatte. „Wenn ich richtig liege, sollte die Bibliothek in dieser Richtung sein.“ Landiel nickte. Er schaute ebenfalls auf den Stadtplan, schien aber keine Einwände zu haben. „Was glaubst du. Ob hier noch weitere Golems sind?“ Das war eine gute Frage. Leider hatte er keinen weiteren Flugtrank mehr und würde sich wohl etwas anderes einfallen lassen müssen. „Hoffen wir nicht …“ Dabei wusste er, dass die Hoffnung vielleicht vergebens wäre. Wahrscheinlich war der Golem ein Wächter gewesen. Und selten war es so, dass eine magische Stadt nur einen Wächter hatte. „Was machen wir, wenn es noch einen gibt?“, fragte Landiel. Nun, es gab nur eine vernünftige Antwort, auch wenn Rufus sie hasste. „Vielleicht sollten wir besser die Fackel löschen. Dann ziehen wir weniger Aufmerksamkeit auf uns.“ Für einen Augenblick musterte Landiel ihn, seufzte dann aber. Dann löschte er die Fackel mit einem Schnipsen seiner Finger. Dunkelheit senkte sich um sie. Ja, weiterhin erfüllten die magischen Steine ihre Umwelt mit dem ausgebleichten Glühen, doch reichte das Licht gerade einmal um grobe Formen auszumachen. Grobe, geisterhafte Formen, die im blassen Glimmen wie Geister aussahen. Anspannung machte sich in Rufus breit, als er Landiel beim Handgelenk griff und ihn mit sich zog. Sie konnten es sich nicht erlauben, einander in der Dunkelheit zu verlieren. Wenn sie allein auf einen anderen Wächter trafen, wären sie ihm ausgeliefert. Landiel aber riss sich los, nur um einen Moment später seine Finger zwischen die Rufus' zu schieben. „So ist es angenehmer“, hauchte er. Matts Wangen glühten, auch wenn er wusste, dass es albern war. Es machte in der Geschichte Sinn. Es war einfacher einander bei den Händen zu halten, als dass jemand das Handgelenk des anderen umgriff, doch allein die Vorstellung Jasons Hand zu halten … Kurz wagte er einen Blick zu Jason hinüber, dessen Gesicht jedoch Ahnungslosigkeit bewies. Er schien sich dabei nicht viel zu denken oder wenn er es tat, so ließ er es sich nicht anmerken. „Was ist?“, fragte er nun, ob Matts Schweigen. Rasch schüttelte Matt den Kopf. „Nichts. Ähm … Ich überlege noch.“ Musste Jason das Brennen seiner Wangen nicht bemerken? Ja. Genau. Das Spiel. Er war der GM, nicht ein Spieler. Dennoch hielt Landiels gerade Rufus' Hand. Was hätte er nur dafür getan, dasselbe tun zu können. Dabei war es eigentlich unangenehm. Immerhin wurden Finger schnell schwitzig. Es schränkte ein, machte einen langsamer. Es war unpraktisch, hieß nichts … Dennoch … „Okay.“ Noch einmal holte er tief Luft. „Rufus und Landiel laufen die breite Straße hinab. Es ist so dunkel, dass ihr kaum weiter als vier, fünf Fuß sehen könnt …“ Die Dunkelheit war erdrückend. Vielleicht war sie sogar noch schlimmer dadurch, dass die kleinen Kristalle sie mit diesem geisterhaften Schimmer erfüllten, denn dieser Schimmer ließ auch Schatten erscheinen, schatten, aus einem verschlingenden Schwarz. Hinter jeder Häuserecke schien das nächste Monster zu lauern. Die Dunkelheit sorgte dafür, dass sich Rufus' andere Sinne schärften, dass er meinte mehr zu hören. Ein fernes Donnern. Ein Krachen. Ein Klacken. War es hinter ihnen gewesen? Oder doch weit weg? Bildete er sich das alles nur ein? Landiels Hand war das einzige, dessen er sich sicher war. Sie lag noch immer warm in der seinen, würde ihn aber dennoch dabei behindern, sein Schwert zu ziehen. Egal. Sie durften einander nicht verlieren. Dann wären sie auf ewig hier unten verloren. Es schien, als würde die Straße unter ihnen ansteigen, als würden sie bergauf laufen. Konnte das sein? War es nur eine weitere Illusion der Dunkelheit? Wo waren sie? Ach, was hätte er dafür gegeben, sich besser orientieren zu können. Doch die Gebäude waren zu schwer zu erkennen, um daran etwas ausmachen zu können. Zwar hatte er seine Schritte gezählt – sie waren bei 374 – doch war er nicht sicher, was es hieß. Gott, wenn das so weiter ging, würde er verrückt werden. Er würde hier in der Dunkelheit verrückt werden. Gerne hätte er gesprochen, doch fürchtete er, dass ihre Stimmen Aufmerksamkeit auf sie ziehen konnten. Vierhundert Schritte. Noch immer waren sie nicht hier. Er hatte ein Buch der Bibliothek gesehen, doch vielleicht war es nicht korrekt. Was, wenn sie die Bibliothek nicht fanden? Er war ein Kämpfer. Ein Abenteurer. Diese Dunkelheit sollte ihm keine Angst machen und dennoch wäre er am liebsten gerannt. Fünfhundert Schritte. Wie lange noch? Wie lange? Er schärfte seinen Blick, starrte in die Dunkelheit hinein. Sechshundert. Da. Bildete er es sich ein, oder war dort ein heller Schimmer in der Finsternis? Heller, als die Kristalle. Ja, da war etwas. Da waren auch Formen. Längliche, aufrechte Formen. Gestalten? Golems? Nein. Etwas anderes. Er hielt inne, drückte Landiels Hand. Der Elf wandte sich ihm zu. „Was ist?“, flüsterte er. „Da.“ Landiel schaute in die angezeigte Richtung, blinzelte und nickte. „Säulen. Das muss es sein.“ Wirklich? Endlich. „Kannst du Gegner erkennen? Wächter?“ Schweigen, während der Elf in die Dunkelheit starrte. „Nein, ich glaube, es ist sicher.“ „Gut.“ Rufus erlaubte sich, aufzuatmen. Dann löste er seine Hand aus der des Elfen und zog sein Schwert. Besser Vorsicht, als Nachsicht. Kurz sah er zum Elfen, dessen Gesicht wie eine blasse Maske wirkte, ehe er sich in Richtung des Gebäudes bewegte, das hoffentlich die Bibliothek war. Langsam, nur sehr langsam, bewegten sie sich durch die Dunkelheit. Sie konnten nicht riskieren in den Hinterhalt eines Golems zu laufen, selbst wenn diese kaum intelligent genug dafür waren. Matt kam nicht umher zu lächeln. „Du glaubst wirklich, dass ich noch etwas fieses für dich vorbereitet habe, hmm?“ Jason räusperte sich, blieb jedoch leise, da Alex endlich zu schlafen schien. „Ich kenne dich. Da wird irgendetwas sein. Ich weiß nur noch nicht was.“ Nervös rollte er den Würfel zwischen seinen Handflächen, als überlegte er, schon einmal auf eine Vorbereitung zu werfen oder nur zur Vorsicht einen weiteren Wahrnehmungswurf zu machen. „Bitte lass es kein weiterer Golem sein“, murmelte er dabei leise. Matt schaute auf seinen Laptop. Er hatte ein wenig Text für die eventuellen Gegner, auf die Jason vielleicht treffen konnte, vorgeschrieben. Ohne war er zu schlecht darin, Dialoge für die Gegner zusammen zu bekommen. So sollte es hoffentlich gehen. Mittlerweile war es kurz nach neun. Eventuell waren sie bis zehn oder elf mit dem Abenteuer durch, je nachdem, wie Jason sich anstellte. Er seufzte. Oder aber sie warteten bis zum nächsten Mal. Immerhin würde er in der Vorweihnachtszeit viel Zeit hier verbringen und Jason sah nicht aus, als würde er beabsichten, hier in nächster Zeit „auszuziehen„. „Matt?“, fragte Jason, ob der verlängerten Stille. „Lass mich kurz meine Gedanken ordnen, ja, Jay?“, erwiderte er leise. Ein paar Mal atmete er tief durch, ehe er sich wieder dem Spiel widmete. Sie erreichten die Säulen. Das Gebäude war weit komplexer gebaut, als irgendetwas, das Rufus hier unten oder auch an der Oberfläche gesehen hatte. Die erste Etage ragte um gute drei Meter über die untere an den Seiten hervor, wurde von einigen Säulen gestützt. Säulen, die fraglos irgendwann einmal weiß gewesen waren, nun aber von etwas dunklem bedeckt waren. Nachdenklich näherte er sich einer Säule, berührte sie vorsichtig und strich über die Oberfläche. „Russ“, murmelte er. Tatsächlich lag auch der Geruch oder viel eher die Ahnung eines Geruchs nach Feuer und Asche in der Luft. Ja, die Wände der Bibliothek waren geschwärzt. Sie musste irgendwann einmal gebrannt haben. „Glaubst du, das ist passiert, bevor sie die Stadt übermauert haben?“, fragte Landiel nachdenklich. Rufus schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht … Das Feuer hätte doch Luft gebraucht, oder?“ Aber wenn die Bibliothek vorher abgebrand war, wieso waren sie dann hier unten? „Wahrscheinlich“, murmelte Landiel, der wahrscheinlich dasselbe dachte. Da hinten war einmal eine Tür gewesen. Eine große, breite Doppeltür aus Holz, von der nur ein verkohltes Skelett geblieben war. Irgendetwas war dahinter, doch das matte Licht reichte nicht, um genaueres zu erkennen. Noch einmal sah Rufus sich um. Er fühlte sich beobachtet, doch wahrscheinlich waren es nur seine angespannten Nerven. „Glaubst du, dass das Buch noch dadrin ist?“, fragte Landiel, der ebenfalls die Stimme gesenkt hatte. „Vielleicht“, antwortete Rufus. „Wir müssen zumindest nachsehen.“ Immerhin war es ein Grimoir und Grimoirs waren nicht selten durch ihre eigene Magie geschützt. Eventuell hatte es das Feuer überlebt. Sie erreichten die Überreste der Tür, gegen die von innen Balken lagen. Eine eingestürzte Etage? Nein. Das Gebäude schien aus Stein zu sein. Also … Hatte jemand die Tür von innen blockiert? Er streckte die Hand aus und erschauerte. Der Geist eines Schutzzaubers lag noch immer über der Tür. Er konnte ihn spüren. Ein leichtes Kribbeln in den Fingern, ganz wie von Donnermagie. Ja, fraglos ein Schutzzauber. „Irgendetwas stimmt hier nicht.“ „Ja“, hauchte Landiel. „Was machen wir jetzt?“ „Wir versuchen reinzukommen“, antwortete Rufus. „Hilf mir.“ Dankbarerweise hatten Feuer und Zeit die Balken und den Zauber erodieren lassen. Sie schafften es einen der Balken aus dem Weg zu räumen, sich durch den Zauber zu drücken, ehe sie sich durch das Loch zwischen den verbleibenden Balken zwängten. Innen war der Geruch des schon lange erloschenen Feuers stärker. Sicher. Immerhin war dieser Ort wohl kaum ordentlich durchlüftet worden. Also mussten sie weiter. Mehr wussten sie nicht. Sie wussten nicht, wie groß die Bibliothek war, noch wo das Grimoir war. Das einzige, was sie hatten, war eine Beschreibung darüber, wie das Grimoir aussah. Angeblich war es in ein Leder, wie das eines grünen Drachen gebunden, mit einem magischen Zirkel auf der Außenseite, gedruckt aus Gold. Ja, Zauberer zu alter Zeit hatten immer eine Angewohnheit daraus gemacht, ihre Grimoirs lächerlich aufzumachen, damit ja jeder wusste, dass es ein besonderer, wichtiger und wertvoller Gegenstand war. Rufus' eigenes Grimoir war ein einfaches, in dunkles Leder gebundenes Notizbuch, das in die Fläche seiner Hände passte. Natürlich war er auch keiner dieser großen, studierten Magier. Ein Magus nichts desto trotz. Er kletterte den Balken hinab und trat in den offenen Raum. Hier war die Dunkelheit beinahe komplett. „Fackel?“, flüsterte Landiel neben ihm. „Zu auffällig“, erwiderte Rufus. „Hast du nicht noch das Feenlicht.“ „Sicher, dass du es hierfür nutzen willst?“ Ja, es wäre nicht mehr für viele Anwendungen gut. „Ja, besser.“ Ein Rascheln verriet ihm, dass Landiel in seiner Tasche kramte. Dann flammte ein violettes, sanftes Licht zu seiner Seite auf. Das Licht, das von der kleinen Flasche in Landiels Händen ausging, flutete wie Wasser durch den langen Raum. Beinahe schon konnte Rufus die Ränder sehen, während das Licht auch in die Ecken träufelte. Es war magisches Licht, das ihnen den Weg zeigen würde. Die Halle, in der sie standen, war einmal von vollhölzernen Bücherregalen ausgefüllt gewesen. Von diesen waren oftmals nur noch verkohlte Reste übrig geblieben. Andere lagen rücklings auf dem Boden. Dazwischen die Überreste von Büchern. Leere Ledereinbände, die traurigen Reste von Seiten, die teilweise anderes bedeckten. Skelette. Tote Körper, bis in die Unkenntlichkeit verbrannt. Ein Zittern kam über Rufus Körper. „Was ist hier geschehen?“, fragte er mit heiserer Stimme. „Landiel?“ Der Elf schüttelte mit dem Kopf, wich instinktiv zurück, während sein Blick über die toten Körper streifte, die zusammengehauert zwischen Säulen saßen. Da hinten, da hatten sich welche der Leute zwischen leere Regale gekauert, hatten offenbar versucht, sich durch das Holz vor dem Feuer zu schützen, doch es war ihr Scheiterhaufen geworden. Endlich fing er sich, ging zu der nächsten Leiche und hockte sich vor sie. Beinahe, als sähe er genau, was er erwartete, fand seine Hand eine von Ruß bedeckte Kette um den Hals, griff danach, zog sie zu sich. Mit dem Daumen strich er darüber, ehe er das Amulett Rufus zeigte. „Das waren Elfen“, flüsterte er mit heiserer Stimme. „Oh“, machte Jason und lehnte sich zurück. Alex zuckte mit den Ohren, öffnete jedoch ihre Augen nicht. Hoffentlich schlief sie weiter. Kurz hob Matt den Blick und beobachtete Jason, auf dessen Gesicht sich langsam die Erkenntnis zeigte. Er verstand, worauf das hier hinaus lief. „Ich habe doch gewusst, dass der Professor böse ist!“, meinte er, bemühte sich jedoch wieder die Stimme zu senken. „Was lässt dich das jetzt sagen?“ Matt bemühte sich, unschuldig zu wirken. Nicht dass er glaubte, Jason damit reinlegen zu können. Jetzt war er drauf gekommen, worauf dieser Plotstrang hinauslief. „Dann … Was? Dann haben die Menschen die Elfen angegriffen, um an die Magie zu kommen?“, fragte Jason. „Und die Elfen haben sich geschützt und deswegen ist die Stadt unterirdisch?“ „Finde es heraus“, erwiderte Matt sanft. Jason grinste. „Oh, ich werde es genießen, diesem alten Professor mein Schwert in den Kopf zu rammen.“ Jetzt schüttelte Matt den Kopf und seufzte übertrieben. „Jetzt klingst du beinahe wie Sean. Gewalt ist nicht immer die effektivste Lösung.“ „Sagst du“, erwiderte Jason grinsend. „Also ich finde hier löst es die Probleme ganz wunderbar.“ Matt verdrehte die Augen. „Vielleicht muss ich demnächst einen Quest designen, um dich eines besseren zu belehren.“ Nicht, dass er es wirklich tun würde, solange er nicht sicher war, ob Jason daran gefallen finden würde. „Das würdest du doch nicht tun.“ „Sei dir da mal nicht so sicher.“ Matt lächelte, ehe er Luft holte. „Also, können wir weitermachen …“ „Drehe wir noch nicht um?“ „Noch nicht. Immerhin hat Rufus nur eine Vermutung, oder?“ „Genug Vermutung um …“ „Um einen auf Sean zu machen?“ Jason zuckte mit den Schultern, grinste. „So in etwa.“ Ein Schimmeln glitt durch die Luft. Ein Schimmern, das nicht auf das Feenlicht zurückging. Ein Instinkt warnte Rufus. Sie waren nicht allein. Ja, jemand oder etwas anderes war ebenfalls hier. Er richtete sich auf, sah sich um, konnte jedoch nicht verhindern, dass einen Moment später eine zum Teil durchsichtige Klinge an seinen Hals gehalten wurde. Vor ihm stand ein Geist. Der Geist eines Elfen. Sein Körper war durchscheinend, schimmernd, blass, doch unverkennbar ein Elf, genau so wie die Klinge in seinen Händen elfischen Ursprungs war. Ob sie ihn noch verletzen konnte? Im Moment gab es keinen Grund, diese Erkenntnis zu provozieren. „Wer seid ihr?“, fragte der Elfengeist in der alten Sprache. Rufus räusperte sich und sah zu Landiel, der noch immer das alte Schmuckstück in der Hand hielt. Natürlich. Er würde sprechen müssen. Wie es so oft war. „Reisende“, meinte er rasch. Der Elfenkrieger war nicht allein. Andere geisterhafte Gestalten waren um sie herum erschienen. Sechs, nein, sieben Stück. Natürlich waren es sieben. Abwehrend hob Rufus seine Hände, die Handflächen nach außen gekehrt. Er ließ sein Schwert fallen, darauf hoffend es nicht zu bereuen. Jedenfalls dahingehend war er sich sicher: Verzaubert konnte das Schwert den Geistern schaden, vollkommen unabhängig davon, wie es andersherum aussah. „Reisende, die an diesen verfluchten Ort kommen?“, erwiderte ein anderer Geist. Rufus schwieg. Innerlich rechnete er sich seine Chancen aus. Sollte er die Wahrheit sagen, die halbe Wahrheit, lügen? Es war kaum glaubhaft, dass sie zufällig über diesen Ort gestolpert waren. Das fiel also heraus. „Mein Name ist Rufus“, sagte er vorsichtig. „Rufus Schattenklinge. Ich bin ein Magus von Orden der Feuersucher. Das hier ist mein Freund, Landiel, von den Waldelfen. Wir sind Abenteurer und Schatzsucher.“ Die Klinge rückte gefährlich näher an seine Kehle. „Und welchen Schatz sucht ihr hier?“ Landiel rückte näher zu ihm, presste seinen Rücken gegen den Rufus. „Wir wurden beauftragt, ein Grimoir von hier zu holen“, sagte Rufus. „Aber …“ Sein Blick suchte den Raum nach weiteren Hinweisen ab. „Wir sind nicht die ersten, die das Grimoire wollten, oder? Also, ich meine, wir wollen es gar nicht. Es war nur unser Auftrag.“ „In der Tat, Menschenmann“, erwiderte der Elf. „Und ihr werdet nicht die ersten sein, die hier sterben.“ Jason gab ein übertriebenes Fiepsen von sich und hob seinen Würfel. „Ich würde doch gerne den Elfen davon überzeugen, dass wir absolut keine bösen Absichten haben.“ „Keinerlei böse Absichten, sagt der Dieb, eh?“, meinte Matt und lächelte. Mit einer Geste forderte er Jason auf, zu würfeln. „Wir sind doch keine Diebe“, erwiderte Jason und ließ den Würfel vorsichtig über das Parkett rollen. „Wir doch nicht.“ Noch einmal räusperte sich Rufus. Er musste einen guten Eindruck machen, sonst würden sie schon wieder kämpfen. „Wir suchen keinen Konflikt mit euch, sehr geehrter Elf“, meinte er. „Wir können selbst sehen, dass wir herein gelegt wurden. Wir dachten, eine verlassene Stadt anzutreffen, die vor langer Zeit verlassen wurde, aber jetzt können wir sehen …“ Der Geist unterbrach ihn mit einem bitteren Lachen. „Verlassen, eh? Glaubt ihr das wirklich. Wir wurden …“ „Ermordet“, sagte Rufus schnell. „Ja, das können wir sehen. Sie wollten das Grimoire, nicht? Deswegen sind sie hierher gekommen.“ „Sie wollten unsere Geheimnisse. Menschen.“ Der Elf spuckte das Wort aus wie einen Fluch, als hätte es einen üblen Geschmack in seinem Mund hinterlassen. „Sie sind hergekommen, wollten alles für sich. Sie haben nicht verhandelt. Sie sind direkt mit ihren Kriegsmaschinen gekommen, ihren Zauberern, ihrer dreckigen Magie.“ In jedem anderen Zusammenhang, wäre Rufus beleidigt gewesen, doch jetzt schluckte er die Erwiderung, die in seinem Rachen brannte, hinab. Er würde nichts sagen, würde es für sich behalten. Diese Elfen waren getötet worden, nicht? Sie hatten Grund Menschen zu verurteilen. Und Magier. So weh es auch tat. „Das kann ich sehen“, erwiderte er. „Ich kann es sehen. Euch wurde Unrecht getan und … Wir haben das nicht gewusst, als wir den Auftrag angenommen haben und …“ „Und was?“ Jetzt berührte die Geisterklinge beinahe Rufus' Nacken. Eisige Luft umhüllte sie, ließ ihn zittern – mehr vor Anspannung, als dass er gesamt fror. „Wir werden einfach gehen“, erwiderte Rufus. „Unserer Auftragsgeber hat uns reingelegt und … Wir … Wir werden ein ernstes Wort mit ihm reden.“ Schon plante er den Professor hinterrücks zu ermorden. Irgendetwas sagte ihm, dass er hiermit zu tun hatte. In mehr als einer Hinsicht. „Und ihr denkt, dass wir euch so einfach gehen lassen?“ Natürlich nicht. „Ja“, antwortete Rufus nichts desto trotz. „Wir …“ Wahrscheinlich würde er es bereuen. „Wir sind bereit einen Blutsschwur zu machen, nicht hierher zurückzukehren.“ Der Elf hielt inne. Seine Augen verengten sich, während er Rufus eindringlich musterte. Dann tat er etwas Unerwartetes: Er ließ sein Schwert senken, ließ dafür seine rechte Hand vorschnellen und berührte Rufus Brust. Ein eisiger Schauer jagte durch seinen Körper. Für einen Moment glaubte er das Bewusstsein zu verlieren, doch er fing sich. Er japste nach Luft. Es war, als wäre er in einen gefrorenen See gesprungen. Seine Lunge zog sich zusammen. „Nehmen wir an“, meinte der Elf, als er nach einigen Sekunden die Hand zurückzog, „dass ich dir glaube.“ Er verstummte. „Ja?“ Für einen Moment herrschte Schweigen, dann traf der Blick des Geistes den Rufus. „Wie ist der Name eures Auftraggebers?“ „Professor Getro.“ Rufus hatte geantwortet, bevor er auch nur darüber nachgedacht hatte. Besser als noch mehr Wut auf sich zu ziehen. Er war fähig den Blick des Elfen zu lesen. „War er wirklich einer von denen, die diesen Ort angegriffen haben.“ Die Augen des Elfen verengten sich ein weiteres Mal. „Vor vierhundert Jahren …“ Die Tür öffnete sich und Thia steckte den Kopf ins Wohnzimmer. „Ihr seid noch immer am …“ Sie schürzte die Lippen. „… spielen?“ „Ja“, erwiderte Jason. „Wieso?“ „Nichts“, antwortete Thia. Ihr Blick wanderte zu Alex und ihren Welpen hinüber. „Ich werde ins Bett gehen.“ Stille. Sie tauschten Blicke. „Okay“, meinte Jason dann. „Kann ich noch etwas für dich tun?“ Matt konnte sich nicht helfen. Er verdrehte die Augen. Natürlich fragte Jay das. Natürlich. Thia musterte ihn, schüttelte dann aber den Kopf. „Nein. Alles okay. Es sei denn ihr wollt nachher noch warm duschen. Weil das werde ich jetzt tun und ich habe nicht vor, an warmen Wasser nicht sparen.“ Jason lächelte verträumt. „Mach das ruhig. Sag Bescheid, wenn ich dir irgendwobei helfen kann.“ „Beim Duschen?“ Matt schaffte es nicht, sich diesen Kommentar zu verkneifen. Sofort errötete Jason deutlich, ein Effekt der vom glühenden Licht des langsam hinabgebrannten Holzes im Kamin verstärkt wurde. „Natürlich nicht. Ich meine … Sonst. Irgendwie.“ Thia schüttelte den Kopf und wandte sich ab. „Nein, danke, Jason.“ Damit schloss sie die Tür hinter sich und schlurfte ins Bad hinüber. Stille senkte sich über sie, bis Matt sich schließlich räusperte. Eigentlich hätte er das ganze heute noch zu Ende gebracht, doch gleichzeitig hatte er das Gefühl, nicht mehr wirklich im Spiel zu sein. „Wollen wir … Wollen wir vielleicht morgen das ganze zu Ende bringen?“ Überrascht sah sich Jason zu ihm um. „Was?“ „Den Quest.“ Jason war eindeutig auch abgelenkt – etwas, das vom Geräusch, des im nächsten Moment angeschalteten Wassers im Nachbarraum nicht verbessert wurde. Schließlich nickte er. „Ähm. Ja. Ähm. Es ist recht spät, eh?“ „Ja“, antwortete Matthew und klappte seinen Laptop zu. Wieder war da dieser Drang. Der Drang Jason zu sagen, dass Thia nie an ihm Interesse haben würde. Doch das würde bedeuten, Thia zu outen, etwas das er einfach nicht tun konnte. Immerhin wollte er auch nicht selbst vor irgendjemanden geoutet werden. Er wünschte sich nur, dass Jason es endlich bemerkte … Selbst wenn es seine eigenen Chancen bei ihm wahrscheinlich nicht verbessern würde. Offenbar zeigte sich irgendetwas an seinem Gesichtsausdruck, denn Jason musterte ihn. „Was ist, Matt?“ Er schüttelte den Kopf. „Nichts. Ich überlege nur, ob du die große Falle kommen siehst.“ Jason gluckste leise. „Ah ja, noch eine Falle, eh?“ „Aber natürlich“, antwortete Matt und verkniff sich ein weiteres Seufzen. Wenn er selbst doch nur mutiger wäre. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)