Werwölfe unterm Tannenbaum von Platypusaurus (Fanfiction-Adventskalender 2018 - Türchen 15) ================================================================================ Werwölfe unterm Tannenbaum -------------------------- Es war eine Schnapsidee gewesen, an den Grimmauldplace Nummer 12 zurückzukehren, besonders unter diesen Umständen. Harry umklammerte seinen Zauberstab fester, als er durch die finsteren Gänge des gar fürnehmen Hauses strich. Es war Heiligabend, das erste Weihnachten seit der Schlacht um Hogwarts. Die letzten Monate waren gefüllt gewesen mit dem Wiederaufbau nach dem Krieg. Mit Retten. Atmen. Harry hustete in der muffigen Luft. Mit der freien Hand strich er ein paar Spinnweben beiseite, die sich in einem schwachen Luftzug im Gang vor ihm aufbäumten, gespenstisch und silbrig im Licht seines Zauberstabs. Ginny und Ron waren bei ihrer Familie, natürlich, und irgendwo sehnte sich Harry nach nichts mehr, als die Feiertage mit ihnen zu verbringen. Es war das erste Fest ohne Fred. Harry konnte nur ahnen, dass sich Mrs Weasley wie besessen in die Festtagsvorbereitungen stürzte, um sich von ihrem Kummer abzulenken. Es wäre ein Gutes gewesen, der Familie beizustehen, die so viel für ihn getan hatte. Der Familie, der er sich so verbunden fühlte.   Hermine hatte ihre Eltern aus der Gedächtnislosigkeit und wieder zurück nach Großbritannien geholt, seitdem das Schlimmste nach Voldemorts Fall überstanden war. Soweit er wusste, waren die Grangers bereits auf dem Weg zu den Weasleys und Harry konnte nicht verhindern, dass er sich bei dieser Zusammenkunft fehl am Platz vorkam. Außerdem gab es einen Grund, der ihn am Heiligen Abend an diesen trostlosen Ort getrieben hatte.   Harry mied sämtliche Schlafzimmer auf seinem Weg zur Küche. In den Salon warf er nur einen kurzen Blick. Halb rechnete er damit, dass ihn Kreacher aus irgendeiner dunklen Ecke heraus anstarrte, aber von dem Hauself war weit und breit keine Spur. In der Küche war es kalt. Er rieb sich die Hände und und entfachte mit einem müden Schlenker seines Zauberstabs ein Feuer im Herd. Das orangerote, unruhige Licht warf längliche Schatten an steinernen Wände und offenbarte zentimeterdicken Staub. Wie es den Anschein hatte, war er selbst, auf der Flucht mit Ron und Hermine, der letzte Besucher des Grimmauldplace gewesen.   Ein wenig ratlos stand Harry im Raum mit der tiefen Decke und starrte in die Flammen. Ja, er war mit einem Plan hierher gekommen. Schnapsidee, kam ihm erneut in den Sinn.   Da er sich an diesem Weihnachten nahezu überall verkehrt vorkam, war er kurz die Orte durchgegangen, die in Frage kamen, um sich während der Feierlichkeiten dort zu verkriechen.   Hogwarts, der erste Ort, an dem er sich je zu Hause gefühlt hatte, war ihm natürlich zuerst in den Sinn gekommen. Und natürlich stand das Schloss außer Frage. Es befand sich immer noch im Wiederaufbau und an Ruhe wäre bei einer Rückkehr an die Zauberschule nicht zu denken. Seitdem das Schlossgelände ein Ort des Blutvergießens gewesen war, konnte er sich ohnehin kaum überwinden, sich dort blicken zu lassen. Da konnte er Hagrid noch so sehr vermissen.   Das kleine Zimmer im Tropfenden Kessel, das er vor einer Weile gemietet hatte, fühlte sich nicht wirklich wie ‚Zuhause‘ an und erinnerte ihn außerdem viel zu sehr an das Jahr, das er damit vergeudet hatte, Sirius zu hassen. Er zog sich eigentlich nur dorthin zurück, wenn es im Fuchsbau zu turbulent wurde. Oder zu still.   Kurz hatte er auch in Erwägung gezogen, Ginny zu bitten, mit ihm das Grab seiner Eltern zu besuchen. Aber ihre Familie brauchte sie. Und die Erinnerungen an das letzte Weihnachten in Godric‘s Hollow waren bei weitem noch zu frisch.   Harry schnaubte, als ihn etwas Staub in der Nase kitzelte. In der letzten Zeit war er ganz respektabel mit Reinigungszaubern geworden, was nicht zuletzt Mrs Weasleys anhaltendem Einfluss auf ihn geschuldet war. Und der Tatsache, dass es momentan in der magischen Welt wirklich viel aufzuräumen gab, im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Mit ein paar schnellen Wischern seines Zauberstabes durch die Luft hatte sich das schlimmste Chaos gelegt. Er suchte sich eine halbwegs saubere Tasse.   Geistesgegenwärtig begann er damit, Tee zu kochen; Beutel dafür fand er immer noch im Schrank über der Spüle. Earl Grey. Den hatte Sirius gemocht.   Harry blinzelte. Durch den Staub überall waren seine Augen mit einem Mal so trocken. Er rückte näher ans Feuer, während er darauf wartete, dass der Wasserkessel pfiff und versuchte, sich nicht zu genau weiter in der Küche umzusehen.   Auf dem schlichten, länglichen Tisch lagen noch Unterlagen aus der Zeit, als das Haus dem Orden als Hauptquartier gedient hatte.   Sirius‘ letztes Weihnachten.   Der Kessel verkündete mit einem schrillen Pfeifton, dass das Wasser heiß genug war, doch Harry reagierte nicht sofort. Er konnte nicht genau sagen, wieso es ihm auf einmal so schwer zu schaffen machte, dass sein Pate nicht mehr lebte. Immerhin war es nun drei Jahre her und eine Menge frischere Verluste sollten ihm deutlich präsenter sein. Beispielsweise Lupins und Tonks‘, deren verwaistes Kind Harry nun selbst zum Paten machte.   Eine Woge aus schlechtem Gewissen überrollte ihn und er blinzelte stärker, als er endlich den Kessel vom Herd nahm und sich einen Tee aufbrühte. Familie Tonks wäre eine Adresse gewesen, an der er sich an diesem Heiligabend gut und gern hätte blicken lassen können. Er, Harry, hatte immerhin die Möglichkeit, für seinen Patensohn da zu sein. Seinem eigenen Paten war diese Chance verwehrt geblieben. Und so endete Sirius Blacks Patenkind an Weihnachten allein in dessen Haus und tat sich selber leid.   Der Ärger über sich selbst ließ die verräterische Nässe in seinen Augenwinkeln allmählich verebben. Harry setzte sich mit seinem Tee an den Tisch, vergrub den Kopf in der Armbeuge und versuchte, an nichts zu denken. Wenigstens für eine Weile. Bis er den Tee leergetrunken hatte.   Er erwachte, als er geschüttelt wurde. So heftig, dass ihm die Zähne aufeinander schlugen und Harry sich auf die Zunge biss.   „Da bist du ja!“, polterte eine tiefe Stimme irgendwo über ihm.   Hagrid. Natürlich.   Warme Zuneigung keimte plötzlich in seiner Brust auf, verdrängte ein wenig die schmerzende Leere, als er in das haarige Gesicht mit den käferschwarzen Augen aufsah.   „Ham uns Sorgen um dich gemacht! Kannst du uns nicht antun! Einfach verschwinden. Molly ist außer sich ...“   Harry öffnete den Mund, um etwas zu erwidern und brachte kein Wort heraus.     Der Fuchsbau war überfüllt. Zuletzt hatte Harry das Haus an Bills und Fleurs Hochzeit so voll erlebt. Für dieses Weihnachten kamen, neben den acht Weasleys, Fleur, Hermine, Harry und Hagrid, auch noch Hermines Eltern und Luna zusammen.   Harry befürchtete einen Moment lang, dass man viel Aufhebens von seinem Verschwinden – und noch mehr von seiner Rückkehr – machen würde. Erstaunlicherweise drückten ihn nur Mrs Weasley und Hermine kurz und innig an sich. Der Rest der versammelten Mannschaft akzeptierte ihn einfach in ihrer Mitte, als sei er nie fort gewesen.   Das ganze Haus schien zu glühen, so viele Lichter waren in jeder Ecke verteilt; die Räume waren bloß durch den Schein unzähliger Kerzen taghell erleuchtet.   Es dauerte nicht lange und Harry konnte nicht anders, als sich wohlzufühlen. Trotz der vielen Menschen auf engem Raum war es sehr ruhig. Das Radio spielte leise magische Weihnachtslieder im Hintergrund. Harry saß bei Ginny, Luna, Ron und Hermine und lauschte den Mädchen mit halbem Ohr bei ihrer gemurmelten Unterhaltung. Ginny saß auf einem großen Kissen zu seinen Füßen vor dem Sofa und lehnte den Kopf an sein Bein. Er nahm kaum wahr, dass eine seiner Hände ihren Weg automatisch in ihr langes Haar fand. Unauffällig atmete er tief ein, und fühlte, wie er sich mehr und mehr entspannte. Die Szene war friedlich. Die Ruhe in der Gesellschaft tat überraschend gut.   Es war kurz vor dem Weihnachtsessen, als es plötzlich an der Tür klopfte. Hagrid, der dem Eingang am nächsten saß, wedelte mit seiner großen Pranke, so dass er Mr Granger beinahe den Punsch aus der Hand geschlagen hätte.   „Lass nur, Molly, ich mach‘ das schon – bleib sitzen!“   Als er die Haustür öffnete, begrüßte sie ein kalter Luftzug und zwei Gestalten kamen aus der Dunkelheit zu ihnen hereingeschneit.   Weiße Flocken auf ihren Schultern und Mützen tauten schnell in der molligen Wärme des Fuchsbaus.   „Andromeda! Da seid ihr ja endlich!“   Harry brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass das Kleinkind auf Andromedas Armen Teddy Lupin war.   Sein Patensohn.   Andromeda zog dem Kind die Wollmütze vom Kopf und strich ihm ein paar verirrte Schneeflocken aus dem leuchtend blauen Pony. Der Begrüßungsandrang war groß; nahezu jeder stand auf, um die Neuankömmlinge zu umarmen oder um ihnen wenigstens die Hand zu schütteln.   Er beobachtete das Treiben stumm vom Sofa aus, stellte erstaunt die große Ähnlichkeit zu Tonks im Gesicht des Kleinen fest, dessen unergründliches Lächeln ihn aber überraschenderweise eher an Remus erinnerte, als Hermine Teddys Wange kitzelte.   Ginny stieß ihm plötzlich vom Boden aus gegen das Schienbein.   „Na komm schon“, murmelte sie und lächelte aufmunternd zu ihm hoch.   Harry gab sich einen Ruck. Er kam sich unbeholfen vor, als er sich aufrappelte und noch unbeholfener, als er schließlich vor Tonks‘ Mutter und Baby Lupin stand.   „Frohe Weihnachten“, sagte er, ein wenig verlegen.   „Fröhliche Weihnachten, Harry“, sagte Andromeda Tonks und plötzlich hatte er Teddy auf dem Arm.   Das Kind sah ihn mit großen Augen an, hatte aber ganz offensichtlich keine Angst vor seinem nahezu unbekannten Patenonkel. Stattdessen streckte es kühn die Hand und – griff nach seiner Brille.   Das verhaltene, mehrstimmige Gelächter ließ Harry gewahr werden, dass er die Aufmerksamkeit aller auf sich gezogen hatte. Er spürte, wie ihm Röte in den Nacken kroch; genau das hatte er doch vermeiden wollen. Natürlich waren das hier seine Freunde, seine Familie, die großartigsten Menschen, die er kannte. Aber es änderte nichts: Der Mittelpunkt zu sein, fühlte sich, heute mehr denn je, alles andere als gut an.   „Komm mit, Harry“, murmelte Ginny plötzlich an seinem Ohr und zupfte auffordernd von hinten an seinem Pulli. Dankbar und halb blind ließ er sich von ihr zurück zum Sofa ziehen. Obwohl Teddy immer noch auf seinem Arm war und prüfend das Glas von Harrys Brille in seiner kleinen Kinderfaust ableckte, schien der Rückzug auszureichen, um die allgemeine Aufmerksamkeit wieder zu zerstreuen. Harry fand keine Worte dafür, um seiner Dankbarkeit Ausdruck zu verleihen, doch Ginny schien ihn auch so zu verstehen.   Molly bot den Neuankömmlingen heiße Getränke an und rief sie schon bald darauf zum Essen.   An der magisch vergrößerten Tafel landete Harry zufällig neben Bill, der neben Andromeda und gegenüber von seiner Frau Platz genommen hatte. Das junge Ehepaar schien einen stummen Austausch über den Tisch hinweg zu halten, den Harry nicht zu deuten wusste. Er sah weg, als er sich bei ihren Blicken wie der Eindringling in eine private Unterhaltung zu fühlen begann.   Ginny saß auf Harrys anderer Seite und dafür war er ihr erneut dankbar. Ihre Nähe erdete ihn. Sie hatte seine Brille wortlos mit einem Wink ihres Zauberstabes gereinigt, als Andromeda ihm Teddy zum Essen wieder abgenommen hatte.   „Wie macht sich der Kleine?“, fragte Bill, irgendwann während des Essens.   „Hervorragend, würde ich sagen“, antwortete die Großmutter des besagten Kleinen, der für sein Alter recht ordentlich in seinem aus dem Keller gekramten Kinderstühlchen bei Tisch saß und Kartoffelbrei in sich hinein schaufelte. Wenn ihm ein Bissen besonders gut zu schmecken schien, färbten sich seine blauen Haarspitzen bonbonrosa. „Er lernt schnell und lässt sich mit dem Größerwerden viel zu wenig Zeit.“   „Das klingt doch ganz … ganz gut?“, erwiderte Bill mit einem behutsamen Lachen.   „Und wie sieht es aus bei … hm, Vollmond?“, setzte er vorsichtig nach.   Andromeda warf ihm einen langen Blick zu.   „Du meinst, ob man merkt, dass sein Vater ein Werwolf war?“, fragte sie frei heraus und Bill nickte verlegen.   „Bisher kann ich nicht sagen, dass mir etwas aufgefallen ist. Fragst du aus einem bestimmten Grund?“   Harry sah an Bill vorbei zu ihr herüber und bemerkte, dass sie die Narben in seinem Gesicht musterte.   „Naja, man macht sich schon seine Gedanken“, gab er zurück und spielte an seinem Ohrring mit dem Giftzahn herum.   Andromeda runzelte die Stirn, bis ihr plötzlich etwas zu dämmern schien. Sie sah von Bill zu Fleur und wieder zurück.   Bill nickte und räusperte sich laut.   „Hört mal zu, bitte! Fleur und ich haben euch etwas zu sagen!“   Das angeregte Gemurmel bei Tisch erstarb und alle Augen richteten sich auf den ältesten Sohn der Weasleys. Doch es war Fleur, die plötzlich, über das ganze Gesicht strahlend, herausplatzte:   „Wir erwarten ein Baby! Isch bin schwanger!“   Die Neuigkeit schlug ein wie eine Bombe. Molly sprang von ihrem Platz auf, um erst Fleur und dann Bill zu umarmen. Arthur saß verdattert auf seinem Platz am Kopf der kleinen Tafel und blinzelte verdächtig oft. George schlug seinem Bruder heftig auf die Schulter und machte damit beinahe Hagrid Konkurrenz. Ron schüttelte nur den Kopf und nuschelte etwas davon, dass er zu jung sei, um Onkel zu werden, wofür er sich einen liebevollen Klaps von Hermine einfing.   Nachdem jeder in der Runde seine Glückwünsche bekundet hatte und allmählich wieder Ruhe einkehrte, wandte sich Andromeda noch einmal Bill zu.   „Du brauchst dir keine Sorgen zu machen“, sagte sie leise. „Selbst, wenn es einen Einfluss auf das Kind haben sollte, kann er nicht sonderlich groß sein. Du bist kein Werwolf.“   Harry hörte das Lächeln in ihrer Stimme, ohne hinzusehen.   „Außerdem darf das Kind in einer wundervollen Familie aufwachsen. Es wird ihm gut gehen.“   Im Stillen stimmte Harry ihr zu. Es gab in seinen Augen keine bessere Familie als die Weasleys und inzwischen gehörten auch eine Menge Menschen dazu, die nicht diesen Namen trugen. Er sah unauffällig den Tisch entlang, bis sein Blick an Teddy Lupin hängen blieb.   Seine Chance, nachzuholen, was Sirius und Remus verwehrt geblieben war, begann genau jetzt. 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