Feliz Navidead von Ixtli ================================================================================ Kapitel 1: 'Twas the Fight Before Christmas ------------------------------------------- Neunzehn Jahre, eine Woche und 39 Minuten später: "Wir haben ein Problem." Die verzweifelten Blicke des Kuchenbäckers suchten hektisch den Boden unter dem Barhocker ab, auf dem er mit angezogenen Beinen saß. "Ein klitzekleines Problem..." "Du untertreibst mal wieder maßlos, Kuchenjunge", war die brummelige Antwort von Emerson Cod, dem genialsten weil spitzfindigsten Privatdetektiv in ganz Papen County, der trotz der kürzlich aufgekommenen Unruhe im Pie Hole unbeeindruckt auf seinem Platz sitzen blieb und weiter seinen Drei-Pflaumen-Kuchen genoss. "Genau genommen hast du ein zwölf Mäuse und ein Hamster-Problem, wenn ich mich nicht verzählt habe, aber wer kann das schon sagen bei dem ganzen Gewusel in deiner Backstube?!" "Ein Hamster?" Neds Stimme schwankte und wurde schließlich zu einem heiseren Flüstern. "Warum denn bloß ein Hamster?", presste er mühsam hervor und schlang die Arme um seine angezogenen Beine. "Ach, der Hamster ist also dein größtes Problem?" Emerson grinste schief über seine Gabel mit dem aufgespießten Stück Kuchen hinweg den Kuchenbäcker an, der wie ein Vogel mit Höhenangst auf dem hellen Sitzpolster des Barhockers kauerte. Ein ohrenbetäubendes Scheppern aus der Backstube ließ den ohnehin schon überreizten Ned heftig zusammenzucken. "Deine Mäuse mögen wohl keinen Kuchen", witzelte Emerson und schob das letzte Stück Drei-Pflaumen in seinen grinsenden Mund. "Ich hasse Mäuse!" Es schepperte erneut. Dann ein Fluchen. Dann ein Klirren. Und dann Stille, die nichts Gutes verhieß. "Hey, Winzling", rief Emerson fröhlich über die Theke hinweg in Richtung Backstube. Nach einer gefühlten Ewigkeit tauchte endlich Olives Kopf hinter der Durchreiche zwischen Theke und Backstube auf. Wirre Haarsträhnen hingen ihr ins gerötete Gesicht und in ihrer erhobenen Hand hielt sie eine verbeulte Schöpfkelle. "Welche der Porzellanschüsseln war noch gleich die Wichtige, die auf keinen Fall kaputt gehen darf?", erkundigte sich Olive vorsichtig bei ihrem blassgewordenen Arbeitgeber. "Alle?" Ned schnappte wie ein Fisch auf dem Trockenen nach Luft. Ehe Olive die Entschuldigung murmeln konnte, die ihr auf der Zunge lag, hatte Emerson das Wort ergriffen. "Der Fall ist doch glasklar." Gewichtig legte der Privatdetektiv die Gabel auf den leeren Teller und tupfte sich die Mundwinkel mit der Serviette ab. "Du wirst das Pie Hole wohl 'ne Weile schließen müssen." "Auf gar keinen Fall!", fuhr Ned auf und vergaß einen Moment, warum er mit angezogenen Beinen auf dem Barhocker gesessen hatte. Er sprang von seinem Sitzplatz herab und huschte hinter die Theke. "Nicht an Weihnachten! Hier läuft alles weiter wie immer! Siehst du? Alles wieder gut. Die Mäuse waren nur Einbildung. Eine Mäuse Morgana. Optische Mäuse-Täuschung." "Verdammte Maus!" Die verbeulte Schöpfkelle knallte neben Neds Fuß auf den Boden und bekam noch eine Beule mehr. "Also doch schließen?" Emerson lächelte mildtätig den Kuchenbäcker an, der wenige Sekunden, nachdem Olive dessen Fuß beinahe zu Brei geschlagen hatte, um die Maus daneben zu erwischen, wieder mit angezogenen Beinen neben dem Privatdetektiv auf dem Barhocker saß. Ned nickte verängstigt. "Schließen..."     "Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee war", unkte Ned schüchtern und sah mit in den Nacken gelegtem Kopf zu der riesigen Leuchtreklame empor, die über ihnen prangte. Kringels Pop-Up Christmas Carnival, blinkte es in allerlei weihnachtlich anmutenden Farben, dass einem vom bloßen Hinsehen schon schwindelig wurde. "Du wolltest doch unbedingt an Weihnachten arbeiten, oder nicht?" Emerson hielt den Zettel in der Hand, den Olive praktischerweise - aber keineswegs zufällig, wie sie am Ende des Tages noch feststellen würden - im Briefkasten des Pie Holes entdeckt hatte, kurz nachdem die Mäuse und der Hamster die Regentschaft darin übernommen hatten. "Also ich mag die Idee." Chucks Augen strahlten glücklich. "Ist mal was anderes als Weihnachten in einem chinesischen Restaurant zu verbringen, weil sonst alles geschlossen hat." "Das Pie Hole wäre mir trotzdem lieber", murrte Ned und ließ die Blicke über die Menschenmenge gleiten, die auf die beiden mit Girlanden verzierten Eingänge des Weihnachtsdorfes zuströmte. "Hier ist sicher ein Santa – oder mehrere..." "Na und?" Emerson sah Ned verständnislos an. "Was hast du gegen Santa? Santa ist ein guter Mann. Santa hört zu. Santa erfüllt Wünsche. Santa-" "Ich habe mal Santa getötet." Emerson seufzte und schüttelte ungläubig den Kopf. "Warum wundert mich so etwas nicht, wenn es aus deinem Mund kommt..." "Vielleicht finden wir ja noch eine andere Beschäftigung", verlegte sich Ned aufs Verhandeln. "Humbug!", unterbrach Emerson das Gejammer seines Nebenmannes und schob den widerstrebenden Kuchenbäcker außer Dienst zu dem ungeschmückten Eingang hin, über dem ein Schild mit der Aufschrift Zutritt nur für Personal hing. "Immerhin gibt es hier keine Mäuse und vermutlich auch keinen Hamster." Emersons ausgestreckter Zeigefinger betätigte die Klingel neben dem Personaleingang. Der Refrain von Jingle Bells erscholl. "Ihr werdet doch wohl nicht ohne uns anfangen", erklang es empört hinter den Dreien. Mühsam zwängte sich Olive zwischen den Menschen vorbei, die nur widerwillig Platz machten, wenn die kleine Frau ihn sich mit ihren spitzen Ellenbogen hart erkämpfte. Dicht an Olives Seite tapste ein etwa kniehohes, für seine Winzigkeit zu längliches und um die Hüften seltsam unförmig anmutendes Rentier einher, das gleichzeitig bellte und grunzte. Glücklich, ihre Freunde noch rechtzeitig eingeholt zu haben, hakte sich Olive gleich bei Ned unter und sah gespannt in die Runde. Der Hintern des Rentiers grunzte. "Tut mir leid, dass wir zu spät sind", sah sich Olive zu einer Erklärung genötigt. "Ich musste Pigby erst besänftigen", sie senkte die Stimme, "ich glaube, er war beleidigt, weil er das Hinterteil bekam." Olive zeigte auf das längliche Rentier, dessen Körper gerade einen 90° Winkel bildete und sich im Kreis zu drehen begann. Chuck und Ned sahen gespannt zu Olive, die wieder zu flüstern begann. "Ich habe ihm dann erklärt, dass Digby eben größer ist und es doch dumm aussehen würde, wenn der Hintern des Rentiers den Kopf überragt. Oder nicht?" Chuck nickte zustimmend. "Es ist ein wirklich niedlicher Hintern." "Danke!" Olive sah zu Ned auf. "Und was meinst du? Findest du ihn auch hübsch? Hast du mal einen hübscheren Hintern gesehen?" "Also ich- ich bin nicht so der Fachmann für-", stotterte Ned kleinlaut und machte einen Schritt von Olive weg, darauf bedacht, dem Rentierkopf nicht zu nahe zu kommen. "Aber ich würde sagen-" "Himmelnocheins", blökte Emerson ungeduldig dazwischen, ehe noch jemand ein weiteres Kompliment an irgendwelche Rückseiten abgeben konnte. "Sind jetzt alle Elfen und alle Rentierhintern bereit?", setzte er betont vergnügt hinzu und drückte noch einmal fest auf die Klingel, die sich ob dieser rüden Behandlung beleidigt verhakte und von da an Jingle Bells in Dauerschleife von sich gab.     "Also die kaputte Klingel wird euch wohl vom Lohn abgezogen, aber das dürfte ja klar sein, nicht wahr?!" Missmutig folgten die Vier dem Mann, der sie am Personaleingang in Empfang genommen und sich als Rudolph, der Chefaufseher aller Kringel-Mitarbeiter vorgestellt hatte. Emerson lächelte milde. "Ist mir egal, als Santa werde ich ja wohl genug verdienen, um zweihundert Klingeln zu bezahlen." Rudolph blieb abrupt stehen und fing schallend an zu lachen. "Santa?", rief er zwischen zwei Lachsalven aus. "Das kannst du dir gleich mal abschminken, mein Freund. Den roten Mantel muss man sich erst verdienen und dafür seid ihr sicher nicht lange genug hier!" Emerson spürte, wie plötzlich all die ganz und gar nicht weihnachtlichen Gefühle in ihm aufstiegen. Am liebsten hätte er diesen Typen an seinem lächerlichen Uniformkragen gepackt und ihm gezeigt, wo der Tannenbaum die Zapfen hat. "Also noch mal von vorne." Mr. Wichtig baute sich vor der Vierergruppe auf und zeigte nacheinander auf alle. "Du", er zeigte auf Olive, "gehst zu den Wunschzetteln. Und du-", die Reihe war an Chuck, "hast die Ehre, zur ZMF zu kommen." "ZMF?", hakte Chuck interessiert nach. "Zentrale für Magisch-weihnachtlichen Früchtekuchen?" "Knapp daneben." Rudolph lächelte matt. "Zuckermandelfee. Sie hat das Kinderparadies unter sich." "Oh, Kinder, toll!" Chuck strahlte über das ganze Gesicht. "So viele glückliche Kinderaugen, Füße, die nicht stillstehen können und Münder, die vor Freude nur am Plappern sind", schwärmte sie entzückt. Rudolph stieß die Luft durch die Nase aus. "Es wird so lange toll sein, bis die ersten anfangen sich zu übergeben, nach ihren Mamis heulen oder sonst irgendein Chaos anrichten. Außerdem-", er versuchte, das gehässige Grinsen zu unterdrücken, was ihm nur leidlich glückte. "Außerdem seid ihr der Bereich, der nach Feierabend am längsten hierbleiben muss, um aufzuräumen. Also ja, viel Spaß im tollen Kinderparadies!" Emerson, dem mittlerweile die Lust am Job vergangen war, ohne dass er wusste, welcher Bereich überhaupt sein Job sein würde, versuchte, sich so klein wie möglich hinter Ned zu machen. Doch Rudolph zeigte nun ausgerechnet auf ihn. "Unser Herr Möchtegern-Santa geht zur Verpackung." "Was?", fuhr Emerson empört auf. "So ein Unfug! Ich habe im Leben noch kein Geschenk vergeben, geschweige denn verpackt." "Keine Sorge", tat Rudolph verständnisvoll. "Du kommst ans Ende der Verpackung. Du wirst das Geschenkband ringeln." Emerson verdrehte die Augen. "Bleibst noch du", murmelte Rudolph und sah sich dabei Ned von oben bis unten an. "Du gehst zur Weihnachtsbäckerei." Ned atmete erleichtert auf. Was besseres hätte ihm gar nicht passieren können. Alle schienen mehr oder weniger zufrieden über ihre Einteilungen zu sein. Nur Digby gab ein leises Winseln von sich, das von einem ebenso leisen Grunzen erwidert wurde. Kopf und Hintern waren sich einig. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)