Feliz Navidead von Ixtli ================================================================================ Kapitel 3: Bring me flesh and bring me wine ------------------------------------------- Emerson Cod, der – wie er sich gerne selbst bezeichnete – großartigste Privatdetektiv in ganz Papen County hielt eine riesige Schere in der Hand und zog damit das bunte Geschenkband in die Länge, bis es sich nach dem Loslassen in kleine Spiralen kräuselte, die er möglichst ansehnlich auf dem eingepackten Geschenk drapierte. In Gedanken ging er dabei Carols Vortrag durch, wie man Geschenkband richtig ringelte. Es sollte keinesfalls wie schlaffe Nudeln an den Päckchen kleben, sondern in Kaskaden herabhängen oder bauschig auf dem Geschenk sitzen. Diese verdammte enge Hose zwickte! "Keine schlaffe Nudeln", äffte Emerson Carols Anweisungen nach und zog das nächste Band in die Länge. "Arbeitet hier ein Emerson Cod?", rief auf einmal jemand am Anfang der Verpackungsstraße. Emersons Kopf schnellte in die Höhe. "Hier!", meldete er sich und drängte sich an seinen schuftenden Elfenkollegen zum Überbringer seiner Botschaft hin. "Was soll ich mit dem Wisch? Das kann ja keiner mehr lesen!" Emerson wedelte mit dem völlig durchnässten Zettel vor dem Gesicht des Postelfen herum, der verständnislos die Hände hob. "Ist das etwa angenagt?" Emerson hielt das tropfnasse Papier gegen das Licht. Zwischen den unleserlich verwischten Buchstaben waren tatsächlich Bissspuren zu sehen. "Und ob das angenagt ist!" "Ich bin nur der Bote", wehrte sich der Elf gegen die ungerechtfertigten Beschuldigungen des Privatdetektivs. "Eigentlich bin ich ja noch nicht einmal ein Bote, sondern sammele nur die Wunschzettel ein, also beschweren Sie sich gefälligst bei jemand anderem!" Er rauschte von dannen, wie nur ein äußerst verärgerter Elf von dannen rauschen konnte. "Na vielen Dank auch", murrte Emerson dem Elfen nach, der am liebsten die Tür dramatisch hinter sich zugeschlagen hätte, wenn dieser Bereich über eine Tür verfügt hätte, die man zuknallen könnte. So aber war das einzige Geräusch das wütende Rascheln des Türvorhangs aus geringeltem Geschenkband, als er nach draußen stürmte.     "Ach du gute Güte. Ach du gute Güte..." Ratlos sah Ned dem Nussknacker zu, der nach vorne gebeugt durch die Backstube wuselte und einer Spur aus angebissenen Lebkuchen folgte, die sich durch die ganze Weihnachtsbäckerei hindurch zog. "Ach du gute Güte", flüsterte der Nussknacker noch mal, ehe seine Stimme versagte. Als er sich an Ned wandte, hatte sein Gesicht etwas so herzzerreißend verzweifeltes an sich, dass der Kuchenbäcker auf der Stelle Mitleid bekam. "Es tut mir wirklich, wirklich leid", presste Ned reuig hervor. "Ich fürchte, das ist alles meine Schuld, ich konnte nicht anders – das Rezept war so langweilig und da habe ich..." "Ach du gute Güte", wimmerte der Nussknacker erstickt. Er hielt sich die Hände an seine blass gewordenen Wangen und war kurz davor, in Tränen auszubrechen. "Ach du gute Güte!", rief er auf einmal schockiert als seine Blicke auf einen der Tische fielen, von wo es köstlich nach Neds neuem Rezept roch. Der erschrockene Tonfall alarmierte Ned, der dem Nussknacker zu den Tischen folgte, auf denen normalerweise das Gebäck verziert wurde. Als er den Schlamassel inmitten allerlei Zuckerkram sah, schob er den armen Kerl sofort weiter. "Könnten Sie sich bitte um ihn kümmern, ich fürchte, er steht unter Schock?" Der Elf, den Ned angehalten hatte, griff nach dem Arm des Nussknackers und führte ihn aus der Backstube heraus. "Und jetzt verlassen bitte alle die Backstube! Hier ist ein Tatort." Ned wartete, bis alle verwirrt vor sich hin murmelnden Bäckerelfen verschwunden waren und schloss dann die Tür hinter ihnen. Einen Moment lang schloss er auch seine Augen und hätte sie am liebsten nie wieder geöffnet, genau wie die Tür in seinem Rücken. Nach dem toten Santa war das hier das schlimmste, was er sich im Zusammenhang mit Weihnachten vorstellen konnte. Ned atmete einmal tief durch, bis sein Verstand wieder vernünftig arbeitete. Er musste Emerson finden. Oder Chuck. Aber keinesfalls Olive!     Er fand Emerson auf der Rückseite eines riesigen Geschenks, in dessen Innerem sich logischerweise die Geschenkeverpackung befand. Der Privatdetektiv trug gerade einen großen Haufen heillos verworrenen Geschenkbandes zu einer der Mülltonnen, die an der Rückwand der Verpackung aufgereiht waren und versuchte erfolglos, das gekräuselte Chaos hineinzustopfen, als plötzlich ein "Pssst!" zwischen einer kleinen Gruppe Kunsttannen erklang. Emerson hob den Kopf und sah sich misstrauisch um, konnte aber nichts entdecken. "Pssst!", kam es noch einmal ungeduldig aus Richtung der Tannen. "Oh, hörst du, was ich höre?", rief Emerson lauernd, während er den Fußspuren im Kunstschnee folgte. "Pssst!" "Na? Hörst du, was ich höre?", murmelte Emerson, der sich die Größe der Fußspuren ansah, die zwischen den Tannen verschwanden. "Den Himmel durchtönt es, Kuchenjunge!", rief er und sprang mit einem Satz hinter die Tanne, wo die Fußspuren endeten. Ned bedeutete Emerson, leiser zu sein, der mit verschränkten Armen vor ihm stand und ihn triumphierend angrinste. "Was willst du denn hier?" "Mir Papen Countys am seltsamsten gekleideten Privatdetektiv anschauen", entgegnete Ned trocken. Er ließ seine Blicke von oben nach unten an Emerson hinab gleiten und nickte dann, als er an den gebogenen Schuhspitzen angekommen war. "Gut, das war's." Emerson legte den Kopf schief. "Mit dir stimmt doch was nicht", stellte er fest. "Mit dir stimmt ganz und gar nichts, aber wie zur Hölle hast du es geschafft, aus deinem Bereich rauszukommen?" "Es war ein Notfall." Ned schob die Hände in die Hosentaschen. "Ich bräuchte deine Hilfe." "Weißt du, was hier gerade los ist?", polterte Emerson und zeigte zur Verpackungswerkstatt. "Das reinste Chaos ist hier eben ausgebrochen. Irgendjemand hat das ganze Schleifenband und das Geschenkband aus den Halterungen gerissen und ist damit durch die Werkstatt gerannt. Überall spannen sich jetzt Stolperfallen aus glänzenden Bändern und Schleifen und Elfen kullern übereinander." "Heißt das, du kommst mit?" "Natürlich komme ich mit", prustete Emerson. Alleine schon diese Frage war eine Frechheit vom Kuchenbäcker.     "Bei allen guten Weihnachts-Geistern, was soll das sein?" Mit offenem Mund stand Emerson Cod neben Ned in der Backstube vor dem Tisch, auf dem ein lebensgroßer, noch warm duftender Pfefferkuchenmann lag und sie mit seinem erstarrten Zuckergussgrinsen anlächelte. "Lass mich raten", Emerson beugte sich etwas zum Pfefferkuchenmann hinab und schwieg kurz konzentriert. "Das ist dein Rezept, richtig?" Ned nickte erfreut. "Nelken, Kardamom, Piment und noch etwas, auf das ich gerade nicht komme", Emerson sog noch einmal tief den Duft des Lebkuchens ein. "Was ist es?" "Kann ich dir leider nicht verraten." "Schön, dann behalte doch dein Rezept, Ebeneezer Scrooge." Emerson zupfte eines der Zuckerguss-Augen ab und schob es sich unter Neds angewiderten Blicken in den Mund. "Meinst du, er kann noch reden?" "Finden wir es raus", antwortete Ned und dann half er Emerson, vorsichtig das Pfefferkuchengesicht freizulegen. "Oh nein, nicht er", hauchte Ned, als er den Toten erkannte, der da eingebacken in Lebkuchen vor ihnen lag. Der Elf war tatsächlich abgetreten. Wortwörtlich. "Du kennst ihn also", stellte Emerson überflüssigerweise fest. "Er hat mir verraten, wo ich die Gewürze finde, um das Rezept ein bisschen zu modifizieren. Und-" Der Kuchenbäcker stocherte verlegen in einem Brocken Lebkuchen herum. "Und?", hakte Emerson mit hochgezogenen Augenbrauen nach. "Und er hat mich gewarnt, dass das Ärger gebe..." "Womit er ja recht hatte." Gespannt sah Emerson zu Ned, der mit herabhängenden Mundwinkeln auf den toten Elfen hinabsah. "Würdest du ihn bitte anfassen?", half Emerson seinem zögernden Nebenmann auf die Sprünge. Etwas widerwillig streckte Ned seinen Zeigefinger aus und tippte den Toten blitzschnell an. "Hey, er ist noch warm", rief Ned überrascht und wischte sich den Finger ab. "Irgendwie gruselig..." Der Kuchenbäcker lachte hilflos. "HABE ICH ES DIR NICHT GESAGT?" Ned zuckte zusammen, als er von dem wiederbelebten Toten angeschnauzt wurde, kaum dass der goldene Schimmer dessen Gesicht erreicht hatte. "Wie sehe ich denn aus? Was für ein riesen Haufen Rentierscheiße ist das hier?" Emerson versuchte, den schreienden Elfen zu unterbrechen, doch der würdigte Papen Countys großartigsten Privatdetektiv keines Blickes. "Ich war's nicht", schluchzte der Elf nun und versuchte, sich aus dem Pfefferkuchen zu winden, in dem er wie in einem riesigen gebackenen Schlafsack steckte. "Ich habe die ganzen Lebkuchen nicht angebissen, kannst du das bitte dem Nussknacker sagen? Ich war's nicht." "Ich werde es ihm ausrichten." Ned bemühte sich, den aufgebrachten Enttoteten zu beruhigen. "Könntet ihr beide euren Kaffeeklatsch etwas beschleunigen?", mahnte Emerson die unhaltbar verstreichende Zeit an. "Hast du gesehen, wer dir das angetan hat?" Der Elf schüttelten den Kopf, wobei Zuckerguss und Lebkuchenkrümel hinabrieselten. "Ich bin auf irgendeinem nassen Zettel ausgerutscht und dann weiß ich nur noch, dass ich wieder wach wurde, als diese dicke Lebkuchendecke über mich ausgebreitet wurde. Und danach wurde es warm. Und dann heiß! Und dann heißer! UND DANN UNERTRÄG-" Der Elf sackte in sich zusammen. Ned und Emerson warfen sich ratlose Blicke zu. "Es wäre ja irgendwie zu einfach, wenn nur ein einziger mal darauf achtet, von wem er umgebracht wird." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)