The good part von lunalinn (EraserMight) ================================================================================ Kapitel 6: Definition --------------------- Eigentlich hätte Aizawa es wissen müssen. Ruhestand hin oder her, der Mann hatte nicht nur jahrelang den Frieden symbolisiert, sondern auch Amerika. Texas Smash. United States Smash…und von seiner Wohnung fing er besser gar nicht erst an. Für jemanden wie ihn, der absichtlich am Existenzminimum lebte, war wohl jede normale Einrichtung mit überflüssigem Schnickschnack zugemüllt, aber bei Yagi Toshinori übertrieb er ausnahmsweise mal nicht. Der USA-Pyjama hatte sich in seine ohnehin schon beschädigte Netzhaut gebrannt…gut, jedem das seine. Dennoch, als Yagi gemeint hatte, dass er ihn mit seinem Wagen abholen würde, hatte er nicht unbedingt mit einem roten Oldtimer gerechnet. Aizawa interessierte sich für Autos ungefähr so sehr, wie für den neusten Klatsch der Medien – also absolut gar nicht. Er besaß nicht einmal einen Führerschein, hatte nie die Notwendigkeit dafür gesehen, und selbst wenn er einen gehabt hätte, hätte er sich wohl irgendeine Schrottkiste besorgt, die den Zweck erfüllte. So lebte er. Minimum. Yagis Auto war nicht nur typisch amerikanisch, sondern ebenso auffällig. Gerade in Japan fiel man mit solch einem Fahrzeug auf, das war sogar ihm klar, auch wenn er, anhand des abblätternden Lacks und den zerkratzten Scheiben vermutete, dass er den Wagen schon länger besitzen musste. Oder kaufte man derartige Fahrzeuge in einem solchen Zustand? Yagi lächelte ihm aus dem offenen Fenster entgegen, eine Hand zum Gruß gehoben, während sich Aizawa keinen Schritt bewegte, sondern erst den Wagen und dann ihn anstarrte. Sein Ernst. Definitiv. Ein Seufzen unterdrückend ging er um den Wagen herum und öffnete den Kofferraum, in dem sich zwei Reisetaschen befanden – von denen die eine dunkelblau und die andere rot-weiß gestreift war. Aizawas Braue zuckte, ehe er seine eigene schwarze Reisetasche hineinpackte und den zusammengerollten, gelben Schlafsack dazwischen quetschte. Nachdem er den Kofferraum geschlossen hatte, setzte er sich zu Yagi auf den mit dunkelbraunem Leder überzogenen Beifahrersitz. „Guten Morgen, Aizawa-kun!“, begrüßte ihn der andere freundlich über den knirschenden Radio-Sound hinweg. „Morgen…“, brummte er mit weniger Enthusiasmus zurück. Wobei dies nicht unbedingt an Yagis Auto oder seiner Vorliebe für alles Amerikanische lag, sondern vielmehr an dem Grund für ihre gemeinsame, mindestens zweistündige Fahrt. Warum hatte er sich nicht irgendeinen Vorwand ausgedacht, um dem zu entgehen? Er war eindeutig die falsche Person für das, was ihnen beiden bevorstand, und noch immer fragte er sich, was sich Nezu dabei gedacht hatte. Bisher hatte er ihn nie dafür ausgewählt, die Schule zu repräsentieren, was wahrscheinlich daran lag, dass jedem bekannt war, wie sehr er die Medien verabscheute. Nun, er hatte sich bei der letzten Pressekonferenz zusammengerissen, sich nicht provozieren lassen und einen guten Eindruck hinterlassen…Mist. Da hatte er seinen Grund. Er hatte sich zu vorbildlich verhalten. Ein leises Glucksen ließ ihn innehalten, den Blick irritiert zu Yagi schwenken. „…was?“, fragte er missgelaunt, woraufhin sich der Blonde räusperte. „Uhm…entschuldige, es ist nur…es ist ungewohnt…“ Was genau war ungewohnt? Seine Kleidung? Da es sich um eine offizielle Dienstreise handelte, hatte er auf seinen Jumpsuit verzichten müssen, weswegen er nun in weißem Hemd und schwarzer Anzughose, sowie gleichfarbiger Krawatte neben Yagi saß. Seine Mähne hatte er zumindest halb in einem Dutt gebändigt und um die Rasur war er ebenfalls nicht drum herum gekommen. Vermutlich ging es um Letzteres, denn so glatt rasiert hatte Yagi ihn bislang bloß im Fernsehen gesehen. „…komm auf den Punkt“, forderte er ihn trocken auf. „Ich meine…du siehst völlig anders aus…jünger…und wenn du so finster guckst, erinnerst du mich an…na ja, an…Bakugou-shonen…irgendwie…“ Aizawa starrte ihn an. Er spürte erneut seine Braue zucken, was normalerweise das Ende seiner Geduld ankündigte…doch wenn er deswegen explodierte, wäre der Vergleich mit Bakugou noch treffender. Noch…treffender…arg! Er schnaubte leise, verschränkte die Arme vor der Brust und blickte stur geradeaus. „Fahr einfach los.“ Yagi lächelte noch immer, als er den Zündschlüssel herumdrehte und den Motor startete, woraufhin das ganze Auto zu vibrieren schien. Leise war das Höllengefährt also auch nicht…und vermutlich würde er jede Bodenwelle spüren… „Geht es Vlad Kings Bulldogge eigentlich besser?“ Aizawa blinzelte, als er die Frage vernahm, wobei er den Kopf von der Fensterscheibe löste und seinen Blick zu Yagi wandern ließ. Richtig. Kans kranke Bulldogge war der Grund dafür, dass der Klassenlehrer der 1-B verhindert war und sie Yagi hatten einspringen lassen. Vielleicht hätte er selbst einfach eine angefahrene Katze als Ausrede vorschieben sollen, andererseits hätte Nezu ihm das sicherlich nicht abgekauft. Davon abgesehen…wann hatten Yagi und er schon mal Gelegenheit, so viel Zeit miteinander zu verbringen, ohne dass es verdächtig wirkte oder dass sie an irgendein Limit gebunden waren? Zwar mussten sie während der Tagung anwesend sein und ihre Beiträge zur Entwicklung und Ausbildung angehender Helden leisten, doch die freien Stunden konnten sie nutzen, wie sie wollten. Der Gedanke rückte ihren unfreiwilligen Ausflug in ein gänzlich anderes Licht, das Aizawa durchaus gefallen könnte…aber zurück zur Frage. „Vermutlich hat der Hund bloß was Falsches gefressen“, brummte er und zuckte mit den Schultern. Jedenfalls würde das erklären, warum das Tier seinen kompletten Mageninhalt in Kans Wohnung verteilt hatte – was dieser ihnen in allen Einzelheiten mitgeteilt hatte. Wieso fraßen Hunde auch alles, was ihnen vor die Schnauze kam? Katzen würden diesen Fehler nicht begehen, dafür waren sie viel zu wählerisch. „Ja…vermutlich…“, murmelte Yagi neben ihm, während er auf die Straße sah. Aizawa blickte ebenfalls wieder nach vorn, wobei er ihn jedoch aus den Augenwinkeln musterte. Der Ältere hatte sich ebenfalls formelle Kleidung angezogen, weißes Hemd, dunkelblauer Anzug und dazu eine gleichfarbige, mit kleinen Karos gemusterte Krawatte. Die blonden Haare standen wie immer vom Kopf ab, als hätte er in eine Steckdose gefasst; Aizawa musste unweigerlich daran denken, wie weich sie sich im Nacken anfühlten, wenn er die Finger hineingrub. Das würde er später tun, wenn sie allein waren – schon um diese miese Begrüßung wiedergutzumachen. „Wo kommt der Wagen her?“, lenkte er das Gespräch auf ein anderes Thema. Yagi hielt kurz inne, sah ihn überrascht an; anscheinend hatte er nicht mit seinem Interesse gerechnet. Zugegeben, die Karre war Aizawa egal, aber möglicherweise verband der Ältere etwas damit. Dinge, die Yagi betrafen, interessierten ihn sehr wohl. Er wusste es zu schätzen, was dieser ihm in Bezug auf All For One und Shigaraki anvertraut hatte. „Oh...also, das ist meiner“, kam die zögerliche Antwort, ehe ein verlegenes Lachen folgte. „Habe ich mir damals in California zugelegt…ich weiß, er ist…na ja…nicht gerade dezent…aber ich wollte immer so einen haben. Einen Gran Torino…auch wenn es ein bisschen ironisch wegen Sensei war…“ Aizawa schnaubte bloß; dezent konnte man das Teil wirklich nicht nennen, aber was war an All Might überhaupt dezent gewesen? Ebenso wie die Sache mit Gran Torino…nun, passte mittlerweile, schließlich war auch Yagis Lehrmeister inzwischen ein Oldtimer. „Dave und ich haben mit dem Auto die beste Zeit unseres Lebens gehabt…“, sinnierte der Blonde neben ihm weiter. „…Dave?“, hakte Aizawa nach und Yagi errötete. „Oh, uhm…es ist nicht, was du vielleicht denkst, also ich meine, nicht, dass wir…ich meine, das Auto hat uns überall hingebracht, nichts weiter! Dave war mein Sidekick…und mein bester Freund, kann man sagen. Er ist Wissenschaftler und…vielleicht hast du ja schon von ihm gehört? Er heißt David Shield…uhm, jedenfalls…der Wagen ist für mich eine nostalgische Erinnerung an meine besten Zeiten…“ Aizawa fragte sich, was Yagi dachte, was er dachte…dass er in diesen Dave verschossen gewesen war oder dass sie mit dem Gran Torino Frauen aufgerissen hatten? Nicht, dass er dem anderen etwas unterstellen wollte und selbst wenn es so gewesen war – das war Vergangenheit und ging ihn nichts an. Kein Grund, einen halben Herzinfarkt heraufzubeschwören. „Du musst dich nicht rechtfertigen“, brummte er, was Yagi schief lächeln ließ. „Ist wohl eine Angewohnheit von mir…entschuldige.“ So wie die, sich für alles zu entschuldigen, doch er wies ihn nicht daraufhin. Aizawa war sich bewusst, dass er selbst mehr als genügend eigene Macken hatte – das war ein Grund, wegen dem er Beziehungen in der Regel nichts abgewinnen konnte. Man richtete sich zu sehr nach dem Partner, musste Kompromisse eingehen…etwas, das mit seinem Lebensstil nicht vereinbar war. Wenn er ehrlich war, hatte er damit gerechnet, dass sich Yagi bereits nach den ersten Tagen zurückziehen würde. Nur weil sie sich privat trafen, wurde aus ihm nicht plötzlich ein anderer Mensch und sie beide waren so grundverschieden, wie nur irgendwie möglich. Aizawa hätte es verstanden. Hätte er wirklich. Ohne eine Szene oder dergleichen zu machen. Sie standen ganz am Anfang, noch konnten sie einfache Freunde oder Kollegen bleiben. Allerdings schien Yagi zufrieden mit dem zu sein, was sie teilten. Jedenfalls reagierte er immer sehr verständnisvoll…oder schätzte er die Situation falsch ein? Vielleicht war Yagi einfach zu nett, um ihm mitzuteilen, dass ihn etwas störte? Anstrengend. Allein darüber nachzudenken, war anstrengend. „Habe ich etwas Falsches gesagt?“ Aizawa warf einen irritierten Blick zu dem Blonden neben sich, der nur kurz zu ihm sah, dann wieder die Straße im Auge behielt. „Nein. Schon gut“, murmelte er zurück. „Okay.“ Stille breitete sich zwischen ihnen aus, die lediglich von einem dieser amerikanischen Songs unterbrochen wurde, denen Aizawa nie etwas hatte abgewinnen können. Damals zur Schulzeit war Englisch Pflicht gewesen, doch anders als Yamada hatte er sich nie dafür begeistern können. Er sprach gebrochen, verstand die Hälfte, wenn er sich anstrengte – das musste reichen. Aizawa seufzte leise, rieb sich den Nacken, während er aus dem Fenster die vorbeiziehenden Bäume beobachtete. „Mic sagt immer, ich sei unterirdisch mies, was Smalltalk angeht…schätze, da hat er ausnahmsweise Recht.“ Yagi drehte den Kopf in seine Richtung, blinzelte, ehe sich ein Schmunzeln auf seine dünnen Lippen legte. „Ach was…manchmal ist Schweigen gar nicht so verkehrt, denke ich. Hm…bevor man sich um Kopf und Kragen redet…“ „Du meinst, so wie du?“ Yagi räusperte sich leicht, blickte mit geröteten Wangen wieder nach vorn. „Zugegeben…wobei das in…deiner Nähe öfter geschieht als sonst…“, nuschelte er und wich seinem Blick aus. Aizawa hob eine Braue, während er die Worte einen Moment lang auf sich wirken ließ. Er spürte, wie seine Mundwinkel zuckten, sich ein amüsiertes Grinsen anbahnte – bei dem die meisten es eher mit der Angst zu tun bekamen. Nun, Yagi musste keine Angst haben. „So?“, fragte er gedehnt und konnte beobachten, wie der andere noch einige Nuancen dunkler wurde. „Mh…“ Aizawa fragte sich, was passieren würde, wenn er ihm ohne Vorwarnung die Hand auf den Oberschenkel legen würde – vermutlich würden sie ein paar Sekunden später in den Leitplanken hängen. Schlechte Idee, zumindest gerade jetzt, weswegen er jegliche Berührung unterließ. Sein Blick fokussierte sich auf die großen Hände, die das Lenkrad nun fester umklammerten. Beinahe wie bei einem Rettungsring. Vielleicht hatte Yagi ja Recht und manchmal war es besser, nichts zu sagen. Also lehnte er sich wieder gegen die Scheibe, sah unter halb geöffneten Lidern hinaus auf die Straße. „Uhm…es ist übrigens kein Problem für mich, wenn du etwas schläfst.“ Aizawa hob eine Braue, musterte den anderen kurz. „Sicher?“ „Ja“, erwiderte der Ältere mit einem freundlichen Lächeln. „Ich weiß ja, wie wenig Schlaf du sonst bekommst. Es ist wirklich in Ordnung.“ Wollte Yagi bloß nett sein oder meinte er es ernst? Schwer zu sagen, doch er würde im Auto keine Diskussion darüber starten...das musste nicht sein. Stattdessen nickte er und schloss die Augen, denn tatsächlich war er für jedes bisschen Schlaf dankbar. Es dauerte nicht lange, bis er trotz Bodenwellen und amerikanischem Gedudel eindöste. „Aizawa-kun?“ Er brummte unwillig, als jemand seine Schulter drückte, ihn leicht daran rüttelte. Seine Lider hoben sich flatternd, wobei sich seine Augen erst an die Helligkeit gewöhnen mussten, ehe er realisierte, dass sie auf einem recht zugestellten Parkplatz standen. Die Aussicht auf Menschenmengen diesen Ausmaßes ließ seine Laune direkt wieder in den Keller sinken – und dabei hatte er wirklich gut geschlafen. Nun, da er keine Wahl hatte, richtete er sich benommen auf und rieb sich die trockenen Augen. „Wie viel Zeit haben wir noch?“, murmelte er, während er seine Augentropfen aus der Hosentasche kramte. „Fast zwei Stunden, bis die erste Tagung beginnt. Wir können also in Ruhe einchecken, bevor es losgeht.“ Aizawa verabreichte sich einen Tropfen in jedes Auge, zwinkerte mehrmals. „Verstehe.“ Er ließ den Nacken knacken, ließ die Augentropfen wieder in seiner Tasche verschwinden und stieg dann aus dem Auto. Ein Gähnen unterdrückend, streckte er sich einmal, bevor er zu Yagi trat, der soeben den Kofferraum öffnete, damit sie ihr Gepäck rausholen konnten. Zeitdruck hatten sie wirklich nicht, schließlich fand die Tagung in einem der Seminarräume des Hotels statt. Nezu hatte schon vor Monaten zwei Zimmer gebucht und Aizawa wollte gar nicht wissen, wie teuer diese gewesen sein mussten. Als er den Blick schweifen ließ, entdeckte er einige Reporter vor den Toren des hoteleigenen Parkplatzes, welche von den Sicherheitskräften in Schach gehalten wurden. Niemand hatte publik gemacht, dass All Might an der Tagung teilnehmen würde, also galt das Interesse wohl allen bekannten Pro-Heroes. Aizawa war einmal mehr froh, diesem Medienrummel entgehen zu können, denn für die meisten war er ein Unbekannter. Er hing sich die Tasche über die Schulter und klemmte sich den Schlafsack unter den Arm, ehe er auffordernd zu Yagi sah, der gerade den Kofferraum schloss. Weit mussten sie nicht laufen, bevor sie die Lobby des Hotels erreichten, in der sich bereits einige Teilnehmer aufhielten – und zu seinem Missfallen richtete sich deren Aufmerksamkeit direkt auf den Blondschopf neben ihm. Aizawa hatte vergessen, dass sich sogar Pro-Heroes wie idiotische Fans aufführen konnten… „Das ist doch All Might!“ „All Might?“ „Ja, er unterrichtet doch an der U.A.!“ „Es ist uns eine Ehre!“ „Uhm…danke. Ich bin froh, zu dieser wichtigen Tagung beitragen zu dürfen“, kam es verlegen von Yagi, woraufhin Aizawa bloß schnaubte. Ohne auf seinen Kollegen zu warten, bahnte er sich einen Weg zur Rezeption, um für sie beide einzuchecken. Er wollte nicht zu spät kommen, weil Yagi Stunden brauchte, um sich von seinen Fans loseisen zu können. Nervig. Die junge Dame an der Rezeption begrüßte ihn mit einem Lächeln, doch ihr Blick huschte immer wieder an ihm vorbei. Vermutlich wäre sie am liebsten zu Yagi gerannt, um ihn um ein Autogramm zu bitten. „Oh, ja, zwei Zimmer…richtig. Aizawa Shouta und…ah ja, All M- ich meine, Yagi Toshinori. Von der U.A., hier steht es. Ihren Ausweis bitte.“ „Moment. Ich sage meinem Kollegen B-“ „Oh, aber das ist doch nicht nötig! All Might muss sich doch nicht ausweisen!“ Aizawas Braue zuckte bei ihrem empörten Tonfall merklich, allerdings atmete er bloß tief aus, schob ihr seinen Ausweis rüber. Ruhig bleiben. „Sie wissen schon, dass es Menschen gibt, die mit ihren Fähigkeiten ihre Gestalt ändern können?“, erwiderte er kühl, woraufhin sie ihn perplex ansah und dann rot wurde. „Aber…ich meine…uhm…“ „Wenn Ihnen Ihr Job und Ihr Leben etwas wert sind, sollten Sie auf solche Ausnahmen verzichten.“ „J-Ja…ich…“ „Entschuldige, Aizawa-kun! Ich wollte nicht unhöflich sein, aber nun…oh, hier, bitte, mein Ausweis, junges Fräulein!“ Aizawa sah ihr an, wie erleichtert sie über Yagis Auftauchen war, doch es kümmerte ihn nicht. Ihr Verhalten war fahrlässig gewesen. Punkt. In Zukunft würde sie sich so etwas bestimmt zweimal überlegen, so beschämt, wie sie immer noch wirkte. „W-Willkommen, All – ich meine Yagi-san, Aizawa-san. Hier sind die Karten für Ihre Zimmer…oh und ein Plan, damit Sie sich besser zurechtfinden. Sie dürfen die Annehmlichkeiten unseres Hotels gern nutzen, dies ist im Preis bereits enthalten. Ich wünsche Ihnen beiden einen angenehmen Aufenthalt!“ Mit diesen Worten verneigte sie sich einmal, wobei ihre Wangen weiterhin rot glühten. Vermutlich fragte sie Yagi nur deshalb nicht nach einem Autogramm, weil Aizawa sie zuvor zurechtgewiesen hatte. Ihm war das nur recht… Sie hatten es gerade geschafft, sich von Rezeption und Yagis Fangemeinschaft zu lösen, als hinter ihnen eine viel zu bekannte Stimme seinen Namen brüllte. „ERASEEER!!“ Aizawa erstarrte in der Bewegung, spürte einen kalten Schauer seinen Rücken hinablaufen und am liebsten hätte er die Beine in die Hand genommen, um zu verschwinden. Von allen Lehrkräften, die die Ketsubutsu zu bieten hatte, mussten sie ausgerechnet sie schicken? Neben ihm hielt Yagi inne, die Verwirrung stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Eraser!! Huhu! Hier bin ich! Hahaha, lauf nicht weg vor mir!“ Genau das wollte er tun, doch er wusste, dass es gerade kein Entkommen gab. Also drehte er sich mit finsterem Blick um, funkelte die grünhaarige Frau an, die mit einem breiten Lächeln und winkend auf ihn zukam. Fukukado Emi, auch bekannt als Ms Joke, hielt nichts von Zurückhaltung. Ihr auffälliges Kostüm hatte sie gegen einen dunkelgrünen Bleistiftrock und eine schwarze Bluse getauscht, an der jedoch ein Smiley-Button befestigt war. Ihre Absätze hallten auf dem polierten Boden wieder, während sie auf Yagi und ihn zukam. „Oh mein Gott! Du hast All Might mitgebracht!“, plapperte sie direkt los, kaum dass sie sie beide erreicht hatte. „Wenn wir heute heiraten würden, könnte er dein Trauzeuge sein!“ Aizawas Braue zuckte gefährlich weit nach oben, während sich Yagi rasch die große Hand auf den Mund presste, um sein Blut nicht durch die Gegend zu spucken. Er hörte ihn röcheln und keuchen, warf ihm ebenso wie Ms Joke einen besorgten Blick zu. „Eh…alles okay? Ich dachte nicht, dass du vor Freude beinahe ersticken würdest, All Might.“ „Mir…geht’s…gut“, kam es von dem Blonden, auch wenn es nicht so wirkte. „Keine Sorge…“ „Das ist wohl eher Schock als Freude…“, murrte Aizawa und funkelte sie finster an. „Aww, nun sei doch nicht so, Eraser! Ich weiß, dass du mich liebst!“ „Niemals“, versetzte er trocken, woraufhin sie zu lachen begann. „Du bist mir vielleicht ein Scherzkeks! Leugnen ist zwecklos! Du hast dich ja sogar für mich rasiert, Darling~“ Warum strafte man ihn mit so einer anstrengenden Person? Zumal Yagi immer noch wirkte, als würde er gleich an seinem Blut ersticken. Er glaubte nicht wirklich, dass da etwas zwischen ihnen beiden lief, oder? Abgesehen davon, dass er in dieser Hinsicht nichts für Frauen übrig hatte, war er nicht mal sicher, ob Ms Joke ihre lächerlichen Sprüche ernst meinte oder ihn bloß zum Lachen bringen wollte. Beides war jedenfalls ein erfolgloses Unterfangen, auch wenn sie bis jetzt nicht aufgegeben hatte. „Wie du siehst, geht es All Might nicht sonderlich gut“, schnitt er ihr rasch das Wort ab, bevor sie weiterplappern konnte. „Wenn du uns also entschuldigst…“ „Natürlich, natürlich! Ich hoffe, es geht dir gleich besser, All Might! Es ist schön, dass du auch an der Konferenz teilnimmst! Das wird sicher ein Spaß!“ Sie reckte die Faust, grinste ihn motiviert dabei an, während Yagi sich zu einem schiefen Lächeln zwang. „Ja…sicher…“ Ms Joke schmunzelte, wandte sich dann Aizawa zu und zwinkerte ihm zu. „Bis nachher, Honey~“, flötete sie und er spürte, wie die Wut in ihm rumorte. Normalerweise konnte er ihre dummen Sprüche gut ignorieren oder sie mit einer sarkastischen Erwiderung abtun – diesmal fiel ihm das schwer, was zweifellos an Yagis Reaktion lag. Dieser sah immer noch sehr blass aus, wischte sich das Blut vom Kinn, bevor es den Anzug ruinieren konnte. Großartig… „Geht’s wieder?“ Yagi antwortete nicht sofort auf die Frage, sondern nahm noch einen Schluck aus der Wasserflasche, ehe er einmal tief durchatmete. Der hagere Mann saß auf der Couch der geräumigen Suite, die Nezu für jeden von ihnen gebucht hatte. Eine verdammte Suite, in deren Schlafzimmer ein riesiges Futonbett stand, in dem drei Menschen Platz gehabt hätten. Vom angrenzenden Wohnraum, in dem sie sich gerade befanden, und dem Balkon fing er besser nicht an; diese Zimmer mussten ungeheuer teuer sein. Verschwendung, wenn man ihn fragte, doch da die Tagungen in diesem Hotel stattfanden, gab es keine andere Option. „Ja…ich…wollte dir keine…Unannehmlichkeiten bereiten“, hörte er Yagi nuscheln. „Es…hat mich bloß…ich…du bist nicht wirklich mit ihr…uhm…liiert?“ Aizawa starrte ihn an. Sekunden vergingen. Sein rechtes Auge begann zu zucken, während er sich ernsthaft fragte, ob Yagi sie noch alle beieinander hatte. „Du erinnerst dich an unser Gespräch im Vergnügungspark?“, hakte er mit gefährlicher Ruhe nach. „Als ich dir sagte, dass ich immer nur Männer hatte?“ „Oh…ja… So, wie Yagi ihn anblickte, brauchte er einen Moment, um sich dies ins Gedächtnis zu rufen. Allerdings hatte Aizawa nicht das Gefühl, dass dies ausreichte, um seine Annahme zu zerstreuen - nicht gänzlich jedenfalls. "Schon, aber...ich dachte..." "Du denkst, dass ich mit jemandem zusammen sein will, der noch lauter und aufdringlicher ist, als du in deiner aufgepumpten Form?" "Uhm...eher nicht..." Aizawa entging nicht, wie nervös der andere wirkte, so wie er an dem Etikett der Wasserflasche knibbelte. Eigentlich hatte er sich ihre freie Zeit in dieser übertriebenen Luxus-Suite anders vorgestellt, doch so stehen lassen konnte er das nicht. "Oder dass ich zwischen zwei Jobs die Zeit habe, mich mit ihr und dir zu treffen?" "Nein, ich-" "Nun, dann klär mich mal auf", forderte Aizawa trocken und verschränkte die Arme vor der Brust. "Was lässt dich glauben, da könnte etwas Wahres dran sein?" Yagi sah nicht aus, als wäre er besonders erpicht darauf, ihm eine Antwort darauf zu geben. Das Etikett hatte sich mittlerweile halb von der Flasche gelöst, allerdings schien er es nicht mal zu bemerken, blickte an Aizawa vorbei. "...wir haben das...zwischen uns bisher nicht definiert", kam es langsam von dem Blonden. "Und...wenig Zeit hin oder her...ich habe dir diesbezüglich nichts vorzuschreiben." Die Erkenntnis traf Aizawa unvorbereitet, denn…es stimmte. Sie hatten nichts ausgemacht, trotzdem Yagi im Park diese verquere Rede gehalten hatte, die Aizawa natürlich bewusst machte, dass es für den Älteren mehr war. So unverbindlich, wie er es bislang gesehen hatte, war es also nicht. Nicht für Yagi...und für ihn selbst? War ja nicht so, als würde er in jedermanns Wohnung einbrechen... Nur...woher sollte der Hüne wissen, woran er war, wenn sie nicht darüber sprachen? "Willst du es definieren?" Yagi stutzte merklich bei der Frage, wobei sich seine Wangen wieder rot färbten. Beinahe wäre ihm die Wasserflasche aus den Händen geglitten, doch er packte sie noch rechtzeitig, atmete tief durch. "Ich...will nicht, dass du etwas änderst, weil ich es von dir verlange, Aizawa-kun. Das...erscheint mir nicht richtig...", gab Yagi leise zurück. Keine direkte Antwort auf seine Frage, aber er verstand, was er ihm damit sagen wollte. Es war immer schwierig, Yagi aus der Reserve zu locken – der Mann hemmte sich selbst viel zu oft. Wie im Vergnügungspark, als er ihn hatte küssen wollen, sich zunächst aber nicht getraut hatte. Aizawa seufzte einmal tief, rieb sich den Nacken und schloss für einen Moment die Augen, ehe er ihn wieder anblickte. Ihm entging Yagis Anspannung nicht…wie dieser ihn ansah, als erwarte er, dass er ihn gleich stehen ließ. Vermutlich lag das nicht mal an Aizawa als Person… Menschen missverstanden einander häufig und dies führte wieder zu dem Schluss, dass es einfacher war, ohne feste Bindung klarzukommen. Es war eine rationale Entscheidung und Aizawa lebte nach diesem Prinzip. „Hör zu, ich-“, begann er, als es plötzlich an der Tür klopfte, was sie beide innehalten ließ. „Zimmerservice!“ Aizawa tauschte einen fragenden Blick mit Yagi, der allerdings nur hilflos mit den Schultern zuckte. Wann sollte er auch die Zeit gehabt haben, irgendetwas zu bestellen? Aizawa machte ein paar Schritte zur Tür und öffnete diese, woraufhin ihm zwei strahlende Bedienstete entgegenblickten, die jedoch stutzten, kaum dass sie in sein grimmiges Gesicht blickten. „Oh, uhm…haben wir das falsche Zimmer?“, kam es von der jungen, blonden Frau. „Nein, das ist das richtige…ist All Might nicht da?“ Der Mann neben ihr, der den Servierwagen schob, runzelte die Stirn, versuchte an ihm vorbei zu schauen. Aizawa spürte, wie sich seine Geduld allmählich dem Ende neigte, denn er realisierte gerade, was das hier zu bedeuten hatte. Als Yagi neben ihm in der Tür auftauchte, quietschte die Frau auf und ihr Strahlen kehrte zurück. „Da sind Sie ja! Wir haben Ihnen eine kleine Aufmerksamkeit des Hotels mitgebracht!“ „Oh…uhm…das ist ja nett…“, stammelte Yagi deutlich verlegen und machte einen Schritt zur Seite. Aizawa tat es ihm gleich, auch wenn er sich zusammenreißen musste, um nicht wutschnaubend aus dem Zimmer zu stampfen. Hatte man denn nicht mal hier seine Privatsphäre? Anscheinend nicht, wenn man All Might war – Ruhestand hin oder her. „Ich stelle den Wagen hier ab…ich hoffe, Sie genießen es!“, kam es von dem motivierten Angestellten, ehe dieser etwas aus seiner Jackentasche kramte. „Oh und…dürfte ich Sie um ein Autogramm bitten?“ Aizawas Auge begann zu zucken, während All Might die Fotokarte signierte, dabei konstant freundlich lächelnd. Die Frau hatte sogar die Nerven, los zu plappern, wie sehr sie ihn bewunderte und wie sehr sie anerkannte, was er alles getan hatte. Ja, es stimmte, alles, was sie sagten…aber langsam war auch mal gut, oder? Yagi wirkte trotz seines Lächelns nervös, blickte zwischendurch flüchtig zu ihm…sie waren in einem für sie beide wichtigen Gespräch unterbrochen worden. Als die Tür endlich geschlossen wurde und die beiden verschwunden waren, atmete Yagi tief durch. „Ich…entschuldige, Aizawa-kun…“ Angesprochener äußerte sich nicht dazu, wusste, dass Yagi nichts dafür konnte, dass man ihn hier überfallen hatte. Sein Blick verweilte ein paar Sekunden auf den Törtchen und der Kaffeekanne, die auf dem niedrigen Tisch abgestellt worden waren. Yagi würde nichts davon anrühren können, so empfindlich wie sein Körper auf Nahrung reagierte. „Was…wolltest du sagen?“ Aizawas Blick wanderte von den Törtchen zur Uhr und ihm wurde bewusst, dass sie nur noch etwas über eine halbe Stunde Zeit hatten, bis die Tagung begann. Das Karma schien sie beide zu verfolgen. „Wir sollten nachher darüber reden“, erwiderte er und bemerkte das Flackern in Yagis blauen Augen. „Die Tagung beginnt bald und wir sollten unsere Beiträge noch einmal durchgehen, bevor wir losmüssen.“ Der Ältere öffnete den Mund und Aizawa ahnte, dass er am liebsten widersprochen hätte. Allerdings wusste Yagi genauso gut wie er, dass die Arbeit vor ging und dass sie ihre privaten Angelegenheiten hintenanstellen mussten. So, wie sie es immer taten. „Ja…ja, ich schätze, du hast Recht…das sollten wir tun“, hörte er ihn sagen. „Nimm dir gern Kaffee und Kuchen…ich…du weißt ja…“ Aizawa musterte ihn ein paar Sekunden und es missfiel ihm, dies so stehen zu lassen. Er setzte sich zu Yagi auf die Couch, nachdem er seine Unterlagen hervorgeholt hatte. Kurz zögerte er, ehe er sich hinlegte, dabei seine Knie gegen Yagis gesunde Seite lehne. Dieser sah überrascht auf, doch Aizawa ignorierte es, begann, seinen Beitrag durchzublättern. Warme Finger berührten sein linkes Knie durch den Stoff der Hose, drückten dieses einmal, ehe sie sich wieder lösten und er das Rascheln von Papier vernahm. Nach sieben Stunden inklusive Pausen hatten sie den ersten Tag hinter sich gebracht, wobei Aizawa zugeben musste, dass die Beiträge mehrheitlich interessant gewesen waren. Zumindest war er wach geblieben und hatte nur bei vereinzelten, langatmigen Vorträgen den Faden verloren. Sein Blick glitt zu seinem Kollegen, der neben ihm ging und nachdenklich wirkte. Aizawa konnte nicht behaupten, dass zwischen Yagi und ihm eine unangenehme Stimmung geherrscht hatte. Sie waren beide zu professionell, um sich irgendetwas anmerken zu lassen – nun, bis jetzt zumindest. Yagis Anspannung war spürbar und er selbst wollte ebenfalls nachholen, was sie aufgeschoben hatten. „Wir sollten in mein Zimmer gehen“, brummte er dem anderen zu, welcher aufblickte. „Die Wahrscheinlichkeit, noch mal unterbrochen zu werden, ist bei mir geringer.“ Der Ältere nickte langsam, ehe er ein schiefes Lächeln aufsetzte. „Ja…da hast du wohl Recht…“ Er wirkte niedergeschlagen und Aizawa fragte sich, ob sein Hinweis, bevor sie das Thema ruhen gelassen hatten, vielleicht ein bisschen zu subtil gewesen war. Der Reaktion nach konnte er davon ausgehen. „Du ziehst ein Gesicht, als hätte ich dir den Laufpass gegeben…“, murmelte er und hörte Yagi nach Luft schnappen. „Ich…ich meine…also…“ „Habe ich nicht…oder zumindest wollte ich nicht, dass es so wirkt“, fügte er an und wünschte sich, er hätte das schon zuvor getan. Ihm entging nämlich nicht, wie Yagi aufatmete…und damit waren sie wieder bei den Missverständnissen angelangt. Eigentlich war Aizawa ziemlich erschöpft und hätte ein heißes Bad mit Yagi einem Gespräch vorgezogen...und wenn er so darüber nachdachte…warum nicht beides kombinieren? Plötzlich kam ihm ein Gedanke, den er in jedem anderen Fall abgelehnt hätte, doch nach diesem Tag…warum eigentlich nicht? „Sag mal…“, begann er vage. „Was hältst du von Onsen?“ „Uhm…“ Nun, das war schon mal kein Nein. So weit, so gut… Aizawa hätte nicht gedacht, dass es zur Abwechslung mal einen Vorteil bieten könnte, mit All Might zusammen hier zu sein. Als er sich jedoch in das heiße Wasser sinken ließ, ein wohliges Seufzen auf den Lippen, musste er zugeben, dass dieses private Onsen doch etwas für sich hatte. Niemand würde sie beide hier stören, dafür sorgten die eifrigen Bediensteten schon. Unter halb geschlossenen Lidern ließ er den Blick über das Steinbecken gleiten, ehe er zu den mit Bambus verkleideten Trennwänden sah, die sie halbwegs vom Außenbereich abschirmten und die kalte Luft fernhielten. Dort gab es ein zweites Becken, umrahmt von Steinen und Bäumen, welche das Onsen idyllisch wirken ließen – und das ebenfalls nur für sie reserviert war. Aizawa seufzte abermals, lehnte sich mit dem Rücken an den steinernen Rand, der angenehm warm war, während der Dampf aus dem Wasser aufstieg. Er hatte seine Haare zu einem Dutt zusammengefasst, damit sie nicht nass wurden, das kleine Handtuch lag neben ihm auf den Steinen. Wo blieb eigentlich Yagi? Dieser hatte sich schon beim Entkleiden im Vorraum Zeit gelassen und gemeint, er sollte sich ruhig schon waschen. So lange brauchte doch niemand dafür… Aizawa blickte auf, als die Tür beiseitegeschoben wurde und Yagi, nur mit seinem Handtuch bekleidet, eintrat. Es war keine Absicht, dass er zuerst die auffällige Narbe, die sich einem rot-violetten Krater gleich über seine linke Seite zog, ins Auge fasste. Wie ein groteskes Spinnennetz streckte sie sich von der Brust entlang der Rippen zum Bauch aus. Aizawa wollte sich nicht vorstellen, wie Yagis Körper ausgesehen haben musste, als es passiert war, wenn die Wunde selbst jetzt noch so entzündet wirkte. All for One musste ihm alles herausgerissen haben, was er zu packen bekommen hatte. Dass Yagi nicht dabei gestorben war, war ein Wunder. Davon abgesehen war sein gezeichneter Körper gar nicht so hager, wie man es unter der schlabbrigen Kleidung erwartete. Yagi mochte nicht mehr wie ein Bodybuilder aussehen, doch definierte Muskeln waren immer noch vorhanden, ließen ihn drahtig wirken und weniger schlaksig. Aizawa wettete darauf, dass der Ältere weiter trainiert und das Maximale aus seinem Körper herausgeholt hatte, um der Welt so lange wie möglich dienen zu können. Verrückt, verantwortungslos…und dennoch beeindruckend, das musste er zugeben. „Ich habe ein wenig…abgebaut…seit damals…“ Aizawa blinzelte, merkte erst jetzt, dass er den anderen unverhohlen angestarrt hatte, was er wirklich nicht gewollt hatte. Er konnte sich denken, dass es Yagi ohnehin schon einiges abverlangte, sich ihm unbekleidet zu zeigen. Vermutlich hatte er deswegen länger gebraucht. Zu viele hemmende Gedanken. Aizawa ließ den Blick höher wandern, bis er Yagis blaue Augen erreichte, doch der Ältere wich ihm aus. Wie er dort stand, die Schultern eingefallen und die Finger ins Handtuch gekrallt, sagte genügend aus. Aizawa schnaubte. „Abgebaut, huh?“, wiederholte er trocken. „Ehrlich…nach allem, was dein Körper anscheinend mitgemacht hat, ist es ein verdammtes Wunder, dass du noch lebst.“ Seine Worte erreichten nicht unbedingt das, was er sich erhofft hatte, so wie Yagi sich auf die Lippe biss, die Hände verkrampften sich sichtlich. Aizawa atmete durch, sank etwas mehr ins Wasser, ehe er fortfuhr. „Und außerdem…mag ich schlanke Männer ohnehin lieber.“ Er warf dem anderen einen Seitenblick zu, nahm das erzwungene Lächeln wahr, während dieser sich dem Steinbecken näherte. „Ich denke, wir wissen beide, dass schlank…eine Untertreibung ist“, hörte er ihn mit gewisser Bitterkeit sagen. Aizawa beobachtete, wie er das Handtuch entfernte und sich ins Wasser sinken ließ – ein bisschen zu schnell, als dass er viel sehen konnte. Schade. Er schwieg ein paar Sekunden, wartete, bis Yagi neben ihm saß. „Ich denke, wir wissen beide, dass ich nichts sage, was ich nicht auch so meine.“ Er drehte den Kopf zu dem Blonden, welcher seinen Blick eher zögerlich erwiderte. „Und gerade jetzt fallen mir ziemlich viele Dinge ein, die ich lieber mit dir…und mit diesem Körper tun würde…als zu reden. Aber ich schätze, dass das für keinen von uns gut wäre.“ Yagi sank tiefer ins heiße Wasser, das Gesicht stark gerötet und etwas Unverständliches blubbernd. Nun, er würde das mal als Zustimmung nehmen – und darauf setzen, dass Yagi verstand, dass er seinen Körper begehrte. Mit jedem Makel, mit dem das Leben ihn gezeichnet hatte. Aizawa rieb sich über die Wange, als die Narbe unter seinem Auge zu jucken begann. „Um auf das Thema zurückzukommen“, begann er schließlich und fixierte einen Punkt an der mit Bambus verkleideten Wand. „Ich bin kein Mensch, der sich in einer Beziehung nach anderen richtet oder viel Rücksicht nimmt. Ich habe es ein-zweimal versucht und es hat nicht funktioniert, weil mir meine eigenen Interessen wichtiger waren. Ich halte es daher lieber unkonventionell, bevor ich zu hohe Erwartungen enttäusche.“ Yagi hörte ihm still zu, während er redete und vielleicht war das gut so. Wann hatte er das letzte Mal über dieses Thema geredet? Es war lange nicht nötig gewesen, sich jemandem zu erklären, weil er es gar nicht in Erwägung gezogen hatte, mit jemandem eine Bindung dieser Art einzugehen. Eine schnelle Nummer und danach sah man sich höchstens zufällig wieder. „Das vorhin…wird sich in den nächsten Jahren wahrscheinlich nicht ändern. Ich arbeite viel und ich gebe dieser Arbeit Vorrang. Ob es um die Schüler oder die nächtlichen Patrouillen geht. Du kannst dafür jetzt noch Verständnis aufbringen, weil du gerade erst zurückgetreten bist…aber in ein paar Monaten…siehst du das vielleicht anders.“ Er pausierte kurz, sah zu Yagi, welcher sich aber nicht äußerte, sondern darüber nachzudenken schien. Das sollte er tun. Gründlich. „Wenn du Monogamie willst, ist das für mich vereinbar. Dir sollte nur klar sein, dass ich dadurch kein anderer Mensch werde…oder dass es bedeutet, dass wir uns öfter privat sehen. Es wird so bleiben, wie es gerade ist...und du solltest dir überlegen, ob es das ist, was du willst.“ Yagi neigte eine wenig den Kopf, als würde er seine Antwort abwägen, wobei er ihn ruhig ansah. Jedenfalls um einiges ruhiger als die letzten Stunden… „Ich verstehe deine Bedenken, Aizawa-kun“, erwiderte er schließlich. „Nun, meine Erwartungen sind…recht gering und Rücktritt oder nicht…ich würde nie verlangen, dass du mich vor deine Arbeit stellst. Was die Zukunft angeht…wir leben beide nicht ungefährlich…und…“ Der Blonde haderte kurz mit sich, schien nach den passenden Worten zu suchen, fuhr dann aber fort. „Und…nichts, was du sagst, ändert irgendetwas an meinen Gefühlen für dich.“ Aizawa blickte ihn perplex an, nicht wissend, was er darauf erwidern sollte. Was diese Ebene anging, war er erstaunlich…wortkarg. Allerdings sprach Yagi weiter, bevor die Stille unangenehm werden konnte. „Was mich eher beunruhigt…und was du heute ebenfalls deutlicher gemerkt haben solltest, ist, was meine Präsenz für dich bedeutet. Ich weiß, wie sehr du die Presse verachtest…aber wenn du mit mir zusammen bist, wirst du irgendwann in ihr Visier geraten. Nichts hält ewig…und sicher wird es irgendwann ruhiger um mich werden, jedoch nicht in naher Zukunft. Du bist ein Underground-Hero, Aizawa-kun, und deine Fähigkeit beruht oft auf dem Überraschungsmoment…ich möchte dich nicht in Gefahr bringen.“ Den Worten haftete ein so bitterer Beigeschmack an, dass er wieder eine Weile nichts dazu sagen konnte. Was Yagi sagte, stimmte. Selbst wenn sie beide ihre Beziehung unter dem Radar hielten, würde irgendwann etwas durchsickern – und er selbst hielt nichts von dauerhaften Versteckspielchen. Sie mussten es nicht provozieren, aber wenn es passierte, passierte es halt. Aizawa stieß einen tiefen Atemzug aus, rieb sich dabei den Nacken, ehe er den Kopf schüttelte. „Wir beide haben schockierend viele Gründe, das mit uns zu beenden, nicht wahr?“, brummte er und Yagi verzog das Gesicht. „Da hast du Recht…“ Abermals Schweigen. Dann wandte er sich wieder dem anderen zu, der sofort seinen Blick erwiderte. „Weißt du…wir unterrichten einen Haufen Problemkinder, die nicht gerade für Regeln und Zurückhaltung stehen, und spätestens seit der Sache mit Bakugou bin ich sowieso nicht mehr so anonym, wie ich es gern hätte. Von daher…nehme ich das Risiko in Kauf.“ Das warme Lächeln, das sich auf Yagis Lippen legte, ließ ihn unweigerlich schaudern. Mit so einem Blick war er lange nicht mehr angesehen worden – oder überhaupt schon mal? Zu lange her, als dass er sich daran erinnern konnte. So unbeholfen Yagi oftmals wirkte, ließ er doch keinen Zweifel daran, was er fühlte, während er selbst mit solchen Emotionen sparsam war. „Und ich denke, dass ich gut damit leben kann, dass dir deine Arbeit am Herzen liegt...immerhin bin ich ja auch Lehrer und...also, ich werde schon n-“ Aizawa ließ ihn diesmal nicht ausreden, sondern packte ihn an seinen blonden Haarsträhnen und zog ihn mit einem Ruck zu sich heran. Das Keuchen des anderen ging in dem rauen Kuss unter, die blauen Augen starrten ihn an...ein intensives, leuchtendes Hellblau in den dunklen Schatten...dann erwiderte Yagi den Kuss. Jegliche Anspannung fiel von dem Älteren ab, während er sich ihm entgegen lehnte, die Arme um seine Hüften schlang; anscheinend fand auch Yagi, dass sie genug geredet hatten. Aizawa überwand den wenigen Abstand, indem er ihn nach hinten gegen das Becken drückte und sich auf seinen Schoß schob. Es war das erste Mal, dass ihre Nähe dermaßen intim war, völlig nackt und ohne Störungen. Yagi schnappte nach Luft, die Wangen regelrecht glühend und mit einem deutlichen Anflug von Scham. Zögerlich flackerte sein Blick von seinem Gesicht, zur Brust...tiefer...ehe er hart schluckte und zur Seite schauen wollte – Aizawa ließ ihn nicht. Stattdessen legte er die Hände an seine heißen Wangen, suchte seinen Blick. „Sieh mich an.“ Yagi tat es, wenn auch sehr verunsichert. Aizawas Daumen streichelten über die ausgemergelten Wangen, während er ihn ruhig ansah. „Wir müssen nichts tun, was du nicht willst...aber ich will, dass du weißt, dass du dich für nichts zu schämen brauchst. Hemmungen sind unnötig...fass mich an, wo du es willst. Sag mir, was du magst und was nicht...es ist okay.“ Scheinbar nahm das wirklich etwas Spannung aus Yagis Körper, denn er stieß hörbar die Luft aus, ließ die hageren Schultern sinken. Dann festigte er den Griff um seine Hüften, zog ihn enger an sich heran, so dass sich ihre Unterleiber berührten, Haut an Haut. Yagi beugte sich vor, lehnte die Stirn an seine und lächelte schief. „...dass du mir so etwas sagen musst...“, murmelte er. „Dabei bin ich der Ältere...“ „Das hat nichts mit dem Alter zu tun...mach dir keinen Kopf.“ „Ich…versuche es…“ „Gut.“ Mehr wollte er auch nicht, würde es langsam angehen lassen – trotzdem er merkte, wie sich das Blut in seinen Lenden sammelte. Dennoch wollte er den anderen nicht überfordern, konnte sich gedulden. Wichtig war, dass sich keiner gedrängt fühlte…dass sie ein Tempo anschlugen, das für sie beide in Ordnung war. Dass der nächste Kuss von Yagi ausging, bedeutete wohl, dass sie auf dem richtigen Weg waren. Aizawa war der Ansicht, dass man durch Sex viel über Menschen erfahren konnte. Still lauschte er dem noch unregelmäßigen Atem des Älteren, auf dessen Schoß er immer noch saß und der ihn weiterhin ganz fest hielt, als befürchte er, Aizawa könnte verschwinden. Hatte er nicht vor. Es war angenehm, so gehalten zu werden, während der Orgasmus langsam abebbte und sie durch das heiße Wasser gewärmt wurden. Sein Kopf ruhte auf Yagis Schulter, das Gesicht gegen den schlanken Hals gedrückt und die Augen geschlossen. Innerlich war er völlig entspannt, die Arme locker um Yagis dünne Hüften gelegt, die große Narbe möglichst aussparend. Der Ältere war dort empfindlich, was Aizawa nicht sonderlich überraschte, und auch, wenn Yagi ihn nicht abgehalten hatte, so war ihm das unweigerliche Zurückschrecken nicht entgangen. Zum Teil sicherlich eine Kopfsache, der Gedanke, die Narbe könnte zu unansehnlich sein. Aizawa hatte nicht gefragt, sondern einen Mittelweg zu finden versucht, sie nur gelegentlich sanft berührt. An seinen Lippen haftete immer noch der eisenhaltige Geschmack von Blut, woran er sich bereits gewöhnt hatte. Zumindest hatte sich Yagi diesmal nicht an seinem Bart kratzen können…doch dies würde eine Ausnahme bleiben. Er vernahm den trommelnden Herzschlag des anderen, während sie so eng aneinandergeschmiegt im Wasser saßen, wobei Aizawas Knie neben Yagis Oberschenkeln ruhten. Im Gegensatz zu seinem war Yagis Körper auf den ersten Blick nahezu haarlos, nur ganz fein zeichneten sich die hellen Haare auf der gebräunten Haut ab...abgesehen vom Intimbereich. Den musste er sich rasiert haben…gründlicher als Aizawa, der bloß ab und zu trimmte. Selbst jetzt, wo der Ältere nicht mehr hart war, konnte man nicht sagen, dass All Might irgendwas kompensieren musste; der Kerl war anscheinend nirgendwo Durchschnitt… Sein Selbstvertrauen kurbelte dies allerdings nicht an, doch damit war zu rechnen gewesen. Aizawa kam nicht zum ersten Mal der Gedanke, wie sehr sich der Mann von seiner aufgepumpten Version unterschied. Jede Berührung drückte Unsicherheit aus, wirkte so vorsichtig, als befürchtete er, der Underground-Hero könnte daran zerbrechen. Erst mit der Erregung war er fordernder geworden, doch niemals grob – auch wenn Aizawa damit hätte umgehen können. Er selbst war in dem Fall weniger zimperlich, würde Yagis knallrotes Gesicht, als er ungeniert die Faust um sein Glied geschlossen hatte, nicht so schnell vergessen. Dabei war es geblieben, Küsse, Fummeln…Reibungen, so wie damals in der Pubertät. Zu seiner eigenen Verwunderung hatte es ihn mehr angeheizt, als er es erwartet hätte. Vielleicht weil es persönlicher war…kein anonymer, schneller Fick im nächstbesten Stundenhotel, bevor man sich hoffentlich nicht wiedersah. Jede von Yagis Berührungen drückte aus, wie viel er ihm bedeutete. Träge ließ er die Finger über dessen gesunde Seite gleiten, spürte das wohlige Schaudern, ehe dieser ihm einen Kuss in die vom Dampf feuchten Haare drückte. Aizawa kam sich tatsächlich wie einer der Teenager vor, die sie unterrichteten…und es war ein verdammt gutes Gefühl. "Um letzte Zweifel zu beseitigen…“, murmelte er gegen Yagis Hals. „Willst du Fukukado morgen mitteilen, dass ich jetzt vergeben bin?“ Den darauffolgenden Hustenanfall hatte Aizawa nicht kommen sehen und er hob die Lider, richtete sich auf, um den anderen ansehen zu können. Dieser presste sich die Knöchel auf den Mund, räusperte sich. „Uhm…nicht, dass mich das…nicht freut, aber…wollten wir das nicht…na ja…geheim halten?“ Aizawa schnaubte leise, zuckte mit den Schultern. „In dem Fall würde ich eine Ausnahme machen“, brummte er. „Dann hätte ich immerhin Ruhe vor weiteren Heiratsanträgen…“ Yagi musste im ersten Moment schmunzeln, dann aber hielt er inne, neigte den Kopf. „…und du könntest ihr möglicherweise das Herz brechen – sollte es ihr ernst sein.“ „Ist es nicht.“ „Dennoch solltest du…behutsam damit umgehen“, riet Yagi ihm und Aizawa konnte ihn ein paar Sekunden lang nur anblinzeln. Sein Ernst? Die Frau war der Grund dafür, dass er am Mittag fast erstickt war, und er machte sich Gedanken um ihre Gefühle? Nicht, dass da grundsätzlich etwas verkehrt dran war, aber…bei Ms Joke glaubte er nicht, dass dazu die Notwendigkeit bestand. „Anstatt dir um sie Sorgen zu machen, mach dir lieber welche um meine Nerven…“, murrte er, woraufhin Yagi ihn amüsiert ansah. Eine große, warme Hand legte sich an seine Wange, dann drückte ihm der Blonde einen Kuss auf den Mundwinkel. „Dann muss ich mich wohl gut um dich kümmern, hm?“ Aizawa stutzte, sah ihn perplex an, während die Hand noch immer an seiner Wange lag, mit dem Daumen darüber streichelte. Das waren ja ganz neue Töne…hatte Yagi durch ihr Treiben etwa mehr Selbstbewusstsein erlangt? Wäre nicht das Schlimmste…im Gegenteil…und es ließ Aizawa grinsen. Vielleicht eine Spur zu breit und unheimlich, aber na ja…es hielt Yagi nicht davon ab, ihn abermals zu küssen. Inniger diesmal…und länger. Ja, daran könnte er sich definitiv gewöhnen. Aizawa musste abschließend zugeben, dass er sich geirrt hatte; diese Tagung war entgegen all seinen Befürchtungen bisher doch sehr aufschlussreich... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)