Hinter den Masken von Naoki_Ichigo ================================================================================ Kapitel 3: ----------- Syrus war neidisch auf Jaden. Egal wie unangenehm ihm das auch war und egal, wie sehr er es auch vor sich selbst zu leugnen versuchte, es änderte nichts an der Tatsache, dass er neidisch war. Er war neidisch auf Jadens sonniges Gemüt, denn egal wie schlecht es auch um Jaden stand, jener gab nie auf. Jaden schlief im Unterricht, versemmelte so ziemlich jede schriftliche Prüfung, fürchtete sich nicht vor den Lehrern und auch nicht vor den Schattenreitern. Jaden nahm die Dinge so wie sie kamen. Ein Duell gegen einen anderen Schüler? Kein Problem! Ein Duell gegen einen Lehrer? Kein Problem! Ein Duell gegen Profiduellanten, die bereits gegen den jetzigen König der Spiele angetreten waren? Kein Problem. Ein Duell gegen einen Schattenreiter, dessen Ausgang das Überleben der Menschheit besiegelte? Kein Problem! Soll er doch kommen, Jaden Yuki war bereit! So ein bisschen konnte Syrus Jadens Einstellung zu letzterem auch verstehen. Momentan gab es nichts, dass sie hätten tun können. Um an die versiegelten Karten zu kommen, brauchten die Schattenreiter die Schlüssel, welche sie nur erlangen konnten, wenn sie einen der Schlüsselwächter zum Duell herausforderten und dieses Duell gewannen. Doch was wenn der Schattenreiter verlor? Würde er dann wieder kommen oder konnte er dann keine Schlüssel mehr jagen? Was passierte mit einem Schattenreiter, der sein Duell verlor? Was passierte mit einem Duellanten, der ein Match gegen einen Schattenreiter verlor? War es wirklich nur der Schlüssel, den sich diese ominösen Gestallten holten? Leider hatte er in seiner Kindheit zu viele Horrorfilme gesehen, die nicht für sein alter geeignet waren, weshalb sich in seinem Kopf haarsträubendsten Theorien bildeten. Nicht alle davon sprach er auch aus, da er selbst wusste, wie absurd sie waren. An seiner Angst änderte das aber nichts. Seine Angst sorgt dafür, dass er nachts des Öfteren aufwachte. Einmal weil er etwas gehört hatte, oder meinte, dass er etwas gehört hatte. Einmal weil er einen Alptraum hatte. Und ein weiteres Mal, weil er ganz dringen auf die Toilette musste. In der Sliferunterkunft hatten die Zimmer außer den Betten – ein Hochbett für drei Personen – und Schreibtischen nur eine kleine Küchenzeile. Das Bad und die Toiletten waren in einem extra Zimmer. Deshalb musste Syrus nicht nur aus seinem Bett, sondern auch aus seinem Zimmer, was ihm noch mehr Angst einjagt. In solchen Momenten wünschte sich Syrus, er wäre zumindest in der Raunterkunft. Dort hatte jeder ein eigenes Zimmer und ein eigenes Bad - die Schüler in der Obeliskunterkunft hatten es sogar noch besser. Mit einem genervten Seufzer quälte Syrus sich aus seinem Bett – auch wenn er nicht raus wollte, insbesondere da es stürmte – und machte sich auf den Weg nach draußen. Es war eiskalt. Kälter als es sein sollte – Sturm hin oder her! In jedem guten Horrorstreifen gab es einen markerschütternden Schrei, der durch die Nacht hallte und den jeweiligen Protagonisten aus dem Schlaf riss. Doch Syrus, egal wie gern er schreien würde, bekam keinen Piep heraus. Kaum hatte er zwei Schritte in Richtung Tür gemacht, erblickte er eine dunkle Gestalt. Die Gestalt bewegte sich nicht und starrte Syrus an, zumindest nahm Syrus das an. Aufgrund der Maske, die die andere Person trug, war es schwer zu sagen, wohin sie genau sah. So genau interessierte es Syrus auch nicht. Egal wohin der andere sah, die Tatsache, dass jener nicht hier sein sollte blieb bestehen. Und auch die Tatsache, dass Syrus nicht wusste, was er tun sollte, änderte sich nicht. So kam es, dass die beiden sich einige Minuten schweigend gegenüberstanden und sich keinen Millimeter bewegten. Die Kälte fraß sich derweilen in Syrus Knochen und niestete sich dort neben seiner Angst ein. Es war zwar nicht viel Zeit, die verstrich, doch für Syrus fühlte es sich an, als wären es Stunden – eine halbe Ewigkeit. Sein Atem war flach und seine Haare standen ihm sprichwörtlich zu Berge. Leider konnte er daran nichts ändern. Er sollte Jaden aufwecken oder Professor Banner. Doch anstatt dass er seine Stimme wieder fand, fand die unbekannte Gestalt vor ihm ihre Sinne wieder und hob langsam ihren rechten Arm an. Syrus wusste nicht, was der andere vorhatte, aber es konnte nichts Gutes sein. Vielleicht wollte der andere ihn entführen und dann als Geisel verwenden, um Jaden und die anderen dazu zwingen ihre Duelle zu schmeißen? Das durfte nicht passieren! Chazz war sicherlich herzlos genug, um ihn in die ewigen Jagdgründe zu schicken, Bastion vielleicht auch noch, aber die anderen eher nicht. Er wollte seinen Freunden und Lehrern nicht zur Last fallen! Doch sterben wollte er auch nicht! Ein seltsames Gefühl von Wärme und Geborgenheit schoss durch Syrus frierenden Körper, mit jedem Millimeter, der die Hand des Fremden näher kam. Im gleichen Maße stieg seine Angst. Er musste sich bewegen! Er musste die anderen warnen! Er musste irgendwas tun! Der Fremde hatte sicherlich nichts Gutes im Sinne! Und mit einem Mal kehrte seine Stimme zurück. Ein markerschütternder Schrei entkam Syrus Kehle und ließ den Fremden erschrocken den Arm zurückziehen. Jaden und Chumley hingegen wurden aus ihrem Schlaf gerissen. Es dauerte einen Augenblick bis die beiden begriffen, was passiert war, aber kaum war ihr Verstand in der Gegenwart angekommen, sprangen sie aus ihren Betten. Der Schattenreiter hatte die Flucht ergriff, aber eine Forstspur hinterlassen. Ohne nach zu denken folgte Jaden der Spur. Chumley blieb zurück und kümmerte sich um Syrus, der zitternd auf dem Boden saß und vor sich hin starrte. Leider war seine Hilfe umsonst. Syrus nahm ihn gar nicht erst wahr. Langsam fing Syrus an die Kälte in seinen Knochen zu spüren, die sich mit seiner Panik vermischt hatte und ihn zittern ließ. Es war ein Wunder, dass er sich überhaupt noch einigermaßen aufrecht halten konnte, wenn man es denn so nennen wollte. Erst als Chazz, der von den Geistern seiner Karten geweckt worden war, an ihrem Zimmer vorbei lief, erwachte Syrus aus seiner Starre. „Was sitzt ihr beiden hier so blöd rum? Hier schleicht irgendwo ein Schattenreiter rum!“ Mit diesen Worten war Chazz dann auch schon wieder verschwunden. Nur langsam kamen die beiden Angesprochenen auf die Füße und in ihre Schuhe, um ihren beiden Freunden zu folgen. Jaden war schon zu weit vorgelaufen, sodass sie ihn nicht mehr sehen konnten, aber Chazz war noch in der Nähe – auch wenn es etwas schwer war ihn mit seiner schwarzen Kleidung im Dunkeln zu erkennen. Es sollte aber nicht allzu viele Leute geben, die genau heute um diese Zeit in Richtung Wald liefen. Somit liefen auch Chumley und Syrus in Richtung Wald. Sie alle übersahen dabei den Schatten, der sich hinter der Sliferunterkunft versteckte und ihnen hinterher sah. Er wusste nicht, warum er hergekommen war. Irgendwas hatte ihn an diesem heruntergekommenen Ort gezogen, aber er konnte nicht sagen, was es war. An den Schlüsseln hatte er wenig Interesse. Dafür wusste er aber, wohin sich die vier Jungen begaben. In der Nähe fand ein Spiel der Schatten statt. In Mitten des Waldes befand sich ein See, auf dem es sich Camula gemütlich gemacht hatte. Seine Interaktionen mit Camula beschränkten sich auf Begrüßungen. Er konnte sie nicht leiden und noch weniger konnte er es leiden, wenn sie ihm zu nahe kam und versuchte, ihn für ihre lächerliche Vampirarmee oder was auch immer ein zu spannen. Ihre ach so rührende Geschichte interessierte ihn nicht die Bohne. Hatten sie nicht alle eine schwere Vergangenheit? Waren sie nicht alle hier, um für eine bessere Zukunft zu kämpfen? Um ehrlich zu sein, wusste er das nicht. An seine Vergangenheit konnte er sich nicht erinnern und seine Zukunft? Konnte man ohne Vergangenheit überhaupt eine Zukunft haben? Eine Zukunft ohne Ziel war trostlos. Er hatte kein Ziel – zumindest kein längerfristiges. Sein kurzfristiges Ziel war die Verfolgung der Sliferschüler. Mit großen, kräftigen Schritten folgte er Chumley und Syrus, die das Schlusslicht der Truppe bildeten, in den Wald. Eigentlich brauchte er sie nicht verfolgen, da er bereits wusste, wo sich das Spiel der Schatten zutrug. Vielleicht war es die Faszination, die ihn antrieb? Bis jetzt hatte er kaum Kontakt mit anderen Menschen gehabt und die Leute, mit denen er sich mehr oder weniger gezwungenermaßen abgeben musste, waren allesamt erwachsen und benahmen sich vollkommen anders, als die Horde Kinder, die die Schlüssel bewachen sollten. Wieso ließ man überhaupt Kinder so etwas Wertvolles und Wichtiges, wie die Schlüssel, bewachen? Ein Spiel der Schatten war kein Spaß. Man konnte dabei ernsthaft verletzt werden und seine Seele verlieren, was gleichbedeutend mit dem Tod war. Ein Körper ohne Seele würde mit der Zeit seine Funktionen einstellen und wenn das Herz nicht mehr schlug, war es vorbei. Konnte man sowas einem Haufen Kindern, die scheinbar nicht verstanden, was eigentlich alles auf dem Spiel stand, aufbürden? Wie herzlos musste man sein, um sowas zu tun? Oder war man verzweifelt? Ihm konnte das alles egal sein, nichtsdestotrotz machte es sich dennoch seine Gedanken. Die Motivation und die Beweggründe des Feindes zu verstehen, war ein entscheidender Vorteil in einem so bedeutsamen Kampf. Der Abstand zu Chumley und Syrus war bewusst gewählt. Aus dieser Entfernung konnte er die beiden sehen, aber schnell genug in Deckung gehen, sollten sie sich unerwarteter Weise zu ihm umdrehen. Mehr als einen Schatten würden sie im schlimmsten Fall nicht von ihm sehen. Zwar konnten beide nichts gegen ihn ausrichten, dennoch bevorzugte er es unerkannt, unentdeckt zu bleiben. Man könnte meinen, er hatte Angst vor einer direkten Konfrontation. Am See angekommen, hatten sich Jaden, Chazz, Chumley und Syrus zu den bereits anwesenden Bastion, Alexis und Professor Banner gesellt. Das Duell zwischen Professor Dr. Crowler und der Schattenreiterin Camula war bereits im Gange und würde sich auch bald dem Ende näher. Er selbst hielt sich wie immer im Hintergrund. Der Ausgang des Duells war für ihn nicht relevant und das Ende war offensichtlich. Crowler hatte nur noch seinen Antiken Antriebsgolem, während Camula gleich drei ihrer Zombies auf dem Feld hatte. Sobald sie zum Angriff überging, war es vorbei, sofern Crowler nicht noch irgendeinen Effekt hatte, den er aktivieren konnte. Dem schien, wenn man nach den Reaktionen der Zuschauer ging, aber nicht so zu sein. Auch wenn er nicht sagen konnte warum, so kam ihm dieser Crowler bekannt vor und seine bevorstehende Niederlage ließ ihn etwas fühlen, für das er keine Worte hatte. War es Schock? Er hatte sich lang genug auf dieser Insel aufgehalten, um zu wissen, was die unterschiedlichen Farben der Uniformen bedeuteten, zudem kannte er die Namen und einige Hintergrundinformationen der Schlüsselwächter. Professor Dr. Crowler war ein Lehrer an dieser Schule und hatte die Aufsicht in der Obeslikunterkunft. Um einen derartigen Status zu erlangen, musste man ein hervorragender Duellant sein. Es war ein wenig Schade, dass er das Duell nicht von Anfang an hatte verfolgen können, um sich von diesem angeblich hervorragenden Duellanten ein Bild zu machen. Sein Wunsch nach einer richtigen Herausforderung hatte ihn bisher angetrieben und auch jetzt trieb sie ihn voran, ließ ihn seine Zeit mit den Schattenreitern verschwenden und auf dieser Insel herum wandern. „Er wird verlieren.“ Er kannte die Stimme, die zu ihm sprach. Sie gehörte zu einem alten Freund, zumindest nahm er an dass man den anderen so bezeichnen konnte. Wie lange sie sich schon kannten, wusste er nicht. Ob sie Freunde waren, wusste er nicht. Aber er wusste, dass sie in vielen Dingen die gleichen Ansichten vertraten. Und sie teilten sich einen Kleidungsgeschmack. Beide waren in schwarz gekleidet. Eine Maske verdeckte das Gesicht des anderen, der sich neben ihn gesellt hatte und wohl das Geschehen schon etwas länger verfolgte. Er fragte nicht, warum der andere hier war, er nickte einfach nur zustimmend zu dessen Aussage. Crowler würde verlieren und damit würde seine Seele Camula gehören. Was mit seinem Körper passieren würde, würde sich am Ende zeigen. Bis jetzt hatte keiner von beiden je gesehen, wie Camula jemand anderen die Seele nahm. Beide richteten ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Duell, dass gerade sein Ende fand. Die anwesenden Schüler waren dementsprechend aufgebracht. Zu sehen, wie einer ihrer Lehrer, auch wenn sie diesen nicht sonderlich mochten, besiegt und seiner Seele, seines Lebens, beraubt wurde, konnte man nicht einfach so einstecken. Mit diesem Duell wurde ihnen wohl auch zum ersten Mal bewusst, was hier auf dem Spiel stand. Sie wollten ihrem Lehrer zur Hilfe eilen, doch dieser löste sich einfach vor ihren Augen in Luft auf. Camula feierte ihren Sieg mit einem schrillen Lachen und ihrem Rückzug. Morgen Abend würde sie wohl zurückkommen und sich ihr nächstes Opfer holen. Dann würde sie noch skrupelloser sein als heute. Beide wussten, dass sie eine Karte hatte, mit der sie die Seelen der Unbeteiligten, der Unschuldigen, für ihre Zwecke missbrauchen konnte. Konnten diese Kinder die Seelen ihrer Freunde opfern, um schlimmeres zu verhindern? Ohne es zu bemerken, wanderte seine Hand zu dem Anhänger um seinen Hals. Es war nur eine Hälfte eines Ganzen – die andere Hälfe hatte sein Freund neben ihm. Alexis konnte nicht glauben, was sie gerade mit ihren eigenen Augen gesehen hatte. Menschen konnten sich doch nicht einfach so in Luft auflösen, oder? Das war doch nicht möglich! Das durfte nicht möglich sein! Auch wenn Professor Dr. Crowler nun wirklich weit davon entfernt war ihr Lieblingslehrer zu sein, so war er dennoch ein respektabler Duellant. Er hatte sein bestes in diesem Duell gegeben, aber schlussendlich war es nicht gut genug gewesen. Am Ende hatte sein Gegner ihn mit Füßen getreten. Letztendlich war er einfach so verschwunden – spurlos verschwunden. Wenn sie nicht aufpassten, dann könnte ihnen allen das gleiche Schicksal wiederfahren. Was wenn ihrem Bruder etwas Derartiges zugestoßen war? Wie sollte sie ihn dann wieder zurückbekommen? Chazz hatte die Puppe, in die Camula Dr. Crowlers Seele gesperrt hatte, aufhoben und in seine Manteltasche gesteckt. Während Alexis ihren Gedanken nachging, schrie Jaden seine Absicht, Camula zu besiegen, in die Nacht. Für heute war es aber genug. Camula war auf dem See verschwunden und sie alle brauchten ein wenig Erholung und Zeit sich eine Strategie zu überlegen. Unvorbereitet sollten sie nicht noch einmal in ein Spiel der Schatten gehen – wie das endete hatten sie gerade gesehen. Nur widerwillig trat die kleine Gruppe ihren Rückweg an. Alexis war am Ende der Gruppe. Ihre Schritte zögerlich, ihre Gedanken bei ihrem verschwunden Bruder. Zudem ließ sie das Gefühl, das sie beobachtet wurden nicht los. Ein paar Mal drehte sie sich in Richtung Wald, konnte aber nichts erkennen. Wenn da wirklich jemand stand, dann hatte er sich ein wahrlich gutes Versteck ausgesucht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)