Fern der Heimat von _Delacroix_ ================================================================================ Prolog: Nastja -------------- Drüsje!“, brüllten die Stimmen hinter ihnen, schrien es durch den jaulenden Sturm. Aber Nastja fühlte sich, als stünden die Männer direkt neben ihr. Der Wind lenkte ihre Flüche zielsicher an ihrem Ohr vorbei, machte es schwer, die Befehle zu überhören, die sie einander zuriefen. Anweisungen, die nur einen Sinn hatten: Sie und Yarik in die Enge zu treiben. Wie von selbst beschleunigte Nastja ihren Schritt, rutschte den schneebedeckten Hang hinab und schaffte es dabei nur mit purem Glück irgendwie auf den Beinen zu bleiben.   Wie hatte das alles nur so schrecklich schiefgehen können? In einem Moment hatte sie noch mit Mila gescherzt und nun rannte sie Fern der Heimat um ihr Leben. Tränen stiegen ihr in die Augen, als sie an ihre Freundin dachte. Begraben unter den Resten ihres Schlittens.   Eine Hand schloss sich um Nastjas Ellenbogen, zerrte sie harsch nach rechts und sie stolperte mit, dankbar, dass ihr wenigstens Yarik geblieben war. Der Wind heulte und trieb ihr dicke Schneeflocken ins Gesicht. Weiße Punkte in einem Meer aus Eis. Sie wusste, sie würden die Drüskelle im Schnee nicht kommen sehen und vermutlich wusste es Yarik auch. Sein Atem ging schwer, doch er ließ nicht los, zerrte sie unbarmherzig die nächste Anhöhe hinauf. Immer weiter durch den steigenden Schnee.   Nastja schnappte nach Luft. Ihre Lungen brannten, trotzdem zwang sie sich, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Der Wind zerrte an ihrem Umhang, einem hässlichen Stück aus grauer Wolle, das ihr nur deshalb lieb geworden war, weil es dabei half, gegen die allgegenwärtige Kälte anzukämpfen. Neben ihr stieß Yarik ein erschöpftes Grunzen aus. Wenn sie das hier überlebten, schuldete sie ihm ein Dankeschön.   Ein Dankeschön für seinen Klammergriff. Eines, weil er sie immer weiter vorwärtstrieb. Und eines, weil er sie hier nicht alleine zurückließ.   Einen Augenblick lang wünschte sich Nastja, sie wäre nützlicher. Wäre sie eine Stürmerin, wie Mila es gewesen war, sie hätte den Wind anrufen und seine Wut gegen ihre Verfolger richten können. Doch das war sie nicht und in einem Kampf taugten ihre Fähigkeiten nur wenig.   Yarik stieß ein tiefes Knurren aus und Nastja hob den Blick, um zu ihm zu sehen. Sein Mantel war durchnässt und Schnee hing in seinem Haar. Er bildete auf seinem Kopf eine seltsame Mischung aus Weiß, blond und schwarz, die sie daran erinnerte, dass sie dringend seine Tarnung erneuern musste. Es knurrte erneut und Yarik kam ruckartig zum Stehen. Langsam hob er die Hand, als wollte er sie warnen, doch es war bereits zu spät.   Nastja konnte den Schatten sehen, der vor ihnen im Schnee erschien. Er war groß, beinahe riesig, mit schwefelgelben Augen und ˗ Der Wolf setzte sich in Bewegung, noch bevor Nastja richtig begriffen hatte, dass das Knurren von ihm gekommen sein musste. Yariks Gewicht traf sie von der Seite. Sie schrie, als sie in den Schnee stürzten, nur Sekundenbruchteile, bevor der Wolf über sie hinweg sprang. Das Tier landete im Schnee und wirbelte herum, während Yarik nach seinem Feuerstein griff. Seine Miene war unbewegt, aber Nastja wusste, hier einen Funken zu erzeugen, benötigte ein kleines Wunder.   Viel zu schnell stürzte sich der Wolf wieder auf sie, entschlossen sie dieses Mal nicht zu verfehlen. Nastja war keine Kämpferin, doch sie hatte gelernt, Chancen zu sehen, und Yarik hatte keine. Noch immer kämpfte er um einen Funken. Verzweifelt warf sie sich gegen seinen Körper und sie rollten ein Stück weit durch den Schnee. Yarik stöhnte, jetzt noch nasser als zuvor, während Nastja sich mühsam auf die Beine kämpfte. Sie taugte nicht für das Schlachtfeld, aber sie brauchte zumindest keinen Feuerstein. Sie musste sich nur erinnern. Erinnern an ihre Grundausbildung im kleinen Palast von Ravka, an die langen Stunden, bevor sie sich auf das Heilerhandwerk spezialisiert hatte. Sie war eine Korporalki. Sie konnte das tun. Nastja hörte tief in sich hinein, griff nach ihrer Macht und versuchte dann den harten Rhythmus zu finden, den es benötigte, um mit ihr eine Wunde zu schlagen. Er war anders als die sanften Wellen der Heilung. Grob und ungewohnt. Doch wenn sie es schaffte das Herz des Wolfes zu verlangsamen, hatten sie vielleicht eine Chance. Hinter ihr stöhnte Yarik. „Was tust du da?“, hörte sie ihn fragen, doch Nastja war zu sehr damit beschäftigt, sich auf ihren Angriff zu konzentrieren. Sie sah den Wolf, der auf sie zuschoss, suchte in all dem Weiß nach seinem Herz ...   Und sie schrie, als sie merkte, dass sie es nicht fand. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)