Fern der Heimat von _Delacroix_ ================================================================================ Kapitel 2: Yarik ---------------- Er träumte von warmem Honig und summenden Bienen und er betete zu Sankta Lizabeta, dass er nicht so bald erwachen möge. Doch als er schließlich die Augen öffnete, fand er sich im Halbdunkel einer Hütte wieder. Er lag eingerollt in einem dicken, weichen Fell und fühlte sich trocken und warm. Unweit von ihm knisterte ein kleines Feuer und seine Schatten tanzten beruhigend an den kahlen Wänden. Yarik lauschte dem feurigen Knacken und versuchte sich zu erinnern. An Mila und den kippenden Schlitten, an die arme Nastja, die irgendwo im Sturm gefallen war und an sein ganz eigenes Martyrium im endlosen Schnee. Vielleicht war er ja gestorben und das hier war die Ewigkeit. Eine herrlich warme, kuschelige Ewigkeit, nur für ihn und die knisternden Flammen. Vorsichtig rollte er sich auf die Seite, begierig darauf, das vertraute Glühen in sich aufzunehmen.   „Du bist aufgewacht.“   Yarik zuckte zusammen. Wenn das hier sein Leben nach dem Tode war, musste er es sich scheinbar teilen. Für einen Augenblick wagte er kaum, zu atmen, fürchtete, dass die Drüskelle ihn vielleicht doch noch gefunden hatten, doch als ein junger Mann neben seinem Lager auf die Knie sank, atmete er erleichtert auf. Nie hätte ein Drüskelle sich so nah an ihn herangewagt. Nicht ohne ihm vorher die Hände festzubinden. Neugierig musterte er sein Gegenüber. Er war jung und hatte sanfte Züge, die durch sein langes, blondes Haar noch zusätzlich verstärkt wurden. Kurz wirkte er unsicher, dann streckte er vorsichtig die Hand nach Yarik aus. Federleicht strichen seine Fingerspitzen über seine Wange. „Ich war nicht sicher, ob du überlebst“, flüsterte er, „Dein Herz hat nur noch sehr langsam geschlagen.“   Sie starrten einander an. Zwei Fremde, die nicht wussten, wie sie miteinander umgehen sollten, dann wanderten die Finger wie von selbst hinauf in Yariks Haar. „Ich habe noch nie zwei Farben auf einmal gesehen“, murmelte sein Gastgeber, „Haben die Grisha das getan?“ Yarik schluckte. „Was weißt du von den Grisha?“, fragte er und seine Stimme klang ungewohnt rau in seinen Ohren. Sein Gegenüber zog die Hand aus seinem Haar. „Sie haben im Dorf von ihnen erzählt“, erklärte er, „Und ich habe die Drüskelle losreiten sehen.“ „Und trotzdem lässt du einen Fremden in dein Haus?“ „Du sahst nicht gefährlich aus.“ Yarik lachte heiser. „Meine Haare haben die Farbe eines Stinktiers, aber ich sehe nicht gefährlich aus?“, wiederholte er ungläubig, während sein Gegenüber schuldbewusst in sich zusammen sank. „Na ja“, druckste er, „nicht sonderlich.“ „Dir ist klar, ich könnte ein Räuber sein?“, stichelte Yarik weiter, „Ein Mörder oder ...“ „Eine Grisha?“ Jetzt war es sein Gegenüber, der schüchtern lächelte. „Ich wollte schon immer mal eine echte Grisha sehen.“ „Warum?“, fragte Yarik, „Ich dachte, die Menschen hier hassen Grisha.“ „Die meisten Menschen hier haben noch nie eine gesehen. Sie hassen einfach nur die Gestalten aus den Märchen und sie haben Angst vor ihnen.“ „Aber du scheinst keine Angst zu haben“, bohrte Yarik weiter. Der andere strich sich die Haare aus dem Gesicht. „Das täuscht“, gestand er leise und für einen Augenblick schienen seine großen, honigfarbenen Augen einfach durch ihn hindurchzusehen. „Ich habe Angst. Große sogar. Aber ich glaube auch, dass niemand von Grund auf böse ist. Wölfe töten, um zu überleben. Eisbären ebenso. Selbst die Fische im Meer leben nach diesem Prinzip. Warum sollte gerade eine Grisha anders sein?“ „Du weißt, dass dort draußen Männer sind, die diese Frage blasphemisch nennen würden?“ Er nickte. „Sie würden dich einen Verräter schimpfen.“ Er nickte noch einmal. „Sie würden dich in ihr Gefängnis werfen.“ Er nickte erneut. „Und das alles nur, weil du wissen möchtest, ob ich wirklich böse bin?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)