Wetterzauber von Alaiya (4. Türchen des FF-Adventskalenders 2019) ================================================================================ Winter in Moscow, Idaho ----------------------- Yuto war niemand, den Noah erwartet hätte, in einem kleinen magischen Buchladen in Moscow, Idaho, zu finden. Er wirkte zu ungewöhnlich, zu hübsch, zu edel. Und ja, auch zu andersweltlich. Sein Aussehen war asiatisch, vielleicht koreanisch oder japanisch, doch sein Haar war so weiß, wie der Schnee, der die umgebende Landschaft bedeckte. Noah kam nicht herum ihn anzustarren. Zu lang. Er suchte nach Worten, fand sie aber nicht. „Was kann ich für Sie tun?“ Sein Englisch war akzentfrei. Wahrscheinlich hatte er schon immer hier gelebt. Sein Lächeln war professionell, kühl, distanziert. Nun, sie waren ja auch in einem professionellen Rahmen unterwegs. Yuto wartete eine Weile, bis er nachhakte: „Sir?“ Noah musste zwei Mal durchatmen. Warum hatte es ihm die Sprache so verschlagen? „Entschuldigen Sie“, stammelte er. Er wusste wirklich nicht, was ihn so sehr an diesen jungen Mann überraschte. Vielleicht war es einfach nur die so unglaublich bleiche Haut, die so filigranen Gesichtszüge und eben dieses unirdisch glitzernde Haar. Es war so fein. „Ich … Ich bin hier, weil ich … weil ich Zauber studiere. Alte-Welt-Zauber. Ich … Ähm, ich habe gehört, sie haben eine Kopie der Grundlegenden Alchemie von Francouis de la Cruix im Besitz des Ladens.“ „Das ist korrekt", erwiderte Yuto. Da war ein gewisses Glimmen in diesen Augen, deren Blau so ungewöhnlich war, dass es selbst Noah direkt aufgefallen war, obwohl er doch eigentlich direkten Blickkontakt lieber vermied. „Das Buch steht allerdings nicht zum Verkauf.“ Noah räusperte sich. „Ja. Dessen bin ich mir bewusst. Ich habe …“ Ausdruck war nie seine Stärke gewesen. Hätte er nur auf Valery gehört und sich einen Zettel geschrieben. „Ich wollte eigentlich fragen, ob ich es für meine Arbeit zu Rate ziehen kann. Vor Ort, meine ich.“ „Haben Sie vor hier zu bleiben?“, fragte Yuto. „Ja. Also. Ich habe mich im Motel eingebucht.“ Wie es für Motels üblich war, so lag Noahs vorläufiges „Zuhause“ am Rand der kleinen Stadt. Und wie es für ein Motel auch nicht überraschend war, war es leicht sich in einem eisigen Winter wie diesem ein wärmeres Heim vorzustellen. Die Heizung funktionierte, doch war das Gebäude so mies isoliert, dass die Wärme nicht lange blieb. Und so beließ Noah es dabei, sich mit einem kleinen Zauber warm zu halten, während er hier war. Er war in Arizona aufgewachsen – ein Staat, der nicht für seine kalten Winter bekannt war. Was tat man nicht alles für seine Leidenschaft? Sein alter, klappriger Ford samt Schrödingers Heizsystem machte alles nicht besser. Umso glücklicher war er um jede Minute, die er woanders verbringen konnte. Sei es mit seinem Laptop im örtlichen Starbucks, wo das Internet zuverlässiger war, als im Motel, oder in dem kleinen, in einem Keller versteckten Buchladen, dessen Inhaber er noch immer nicht gesehen hatte. Der junge Verkäufer mit dem weißen Haar war oft die einzige Person dort. Kein Wunder. Wie viele Magier kamen denn auch nach Moscow, Idaho? Denn viele konnten hier nicht leben, bei ganzen 25000 Einwohnern. Die meisten Bewohner hatten wahrscheinlich ohnehin mit der Universität zu tun – einer betont nicht magischen Universität. Insofern … Nun, die Existenz eines magischen Buchladens wirkte ein wenig fehl am Platz. Doch sie hatten, was er wollte, also beschwerte er sich nicht und genoss stattdessen die Ruhe der kleinen Stadt. Ja, Noah versuchte sogar die eisige Kälte zu genießen. Immerhin hätte der ein oder andere für einen Urlaub in Eis und Schnee bezahlt. Vor allem zu dieser Zeit. Das nächste Ski-Ressort war nicht weit entfernt. Dennoch fröstelte er jeden Tag. Im Motel. Im Auto. Und auf den Strecken dazwischen. Trotz Handschuhen, Schal, Mütze und Mantel. Vielleicht wäre es mit einem Kamin leichter auszuhalten gewesen. Grundlegende Alchemie war nicht unbedingt der spannendste Titel für ein Buch, dass den Stand der magischen und alchemischen Wissenschaft des frühen 19. Jahrhunderts gesammelt hatte. Doch wie man es vielleicht von einem wissenschaftlichen Buch erwarten sollte, beschrieb es den Inhalt bestens. Die Kopie im kleinen Buchladen entsprach dabei dem Klischee eines europäischen Zauberbuches. Es war in rötliches Leder gebunden, war aus festem, aber vergilbten Papier und die Abschrift noch per Hand erstellt, mit allerlei Bildern, um den Aufbau von alchemischem Abläufen oder die magischen Kreise besser zu erklären. Es roch ebenso wie ein altes Buch. Ein angenehmer, beruhigender Geruch. Noah saß in einem Hinterraum, der vollkommen wie ein modernes Büro eingerichtet war, mit seinem Laptop, einem Block und einem Kugelschreiber. Die europäische Wettermagie war – im internationalen Vergleich – oft sehr komplex aufgebaut. Ein Klopfen an der Tür riss Noah aus seinen Gedanken. „Ja?“ Die Tür wurde einen Spalt breit geöffnet und Yuto steckte den Kopf hindurch. „Ich habe etwas Kaffee gekocht. Könnte ich Ihnen eine Tasse anbieten, Mr Wilson?“ Noah blickte auf die Uhrzeit in der Menüleiste des Desktops. Es war bereits nach drei. Offenbar hatte er seit vier Stunden nichts mehr gegessen oder getrunken. Diese Feststellung ließ seine Kehle prompt vor Durst brennen. „Gerne“, meinte er. Nun kam Yuto ganz durch die Tür, brachte eine Kanne Kaffee und eine Tasse mit sich mit. Schon stellte er die Tasse ab, füllte sie und schob sie zu Noah hinüber, nicht ohne einen neugierigen Blick auf dessen Block zu werfen. „Regenzauber?“, fragte er. Noah folgte dem Blick. „Ja. Ich studiere Wetterzauber, um genau zu sein.“ Kurz flackerte eine seltsame Regung über den Blick des Buchhändlers. „Ich verstehe.“ „Im Speziellen vergleiche ich historische Wetterzauber und ihre kulturelle Entwicklung miteinander.“ Das Lächeln auf Yutos Lippen schien distanziert. „Ich verstehe“, wiederholte er. „Interessant.“ Es war der fünfte Morgen, an dem Noah in den kleinen Buchladen kam. Er hatte zwei der roten, vorweihnachtlich verzierten Pappbecher Starbucks‘ dabei. Und wie an den vergangenen Morgenen wurde er von Yutos lächelndem Gesicht begrüßt. Heute wirkte er noch blasser, da er nur ein einfaches Hemd trug. Noah bibberte allein bei diesem Anblick. „Guten Morgen“, meinte er dennoch. „Ich habe dir einen Kaffee mitgebracht. Als Danke. Für gestern.“ „Es gibt nichts zu danken, Mr Wilson“, erwiderte Yuto. „Sie können mich auch Noah nennen“, rutschte es Noah heraus, ehe er sich eines Besseren besinnen konnte. „Und … nun, dann sehen Sie es einfach als freundliche Geste.“ Er hielt ihm einen der Becher hin. „Was für ein Kaffee ist es?“ Yuto schnüffelte am Becher. „Einfacher Milchkaffee. Ich war nicht sicher, ob Sie irgendwelche Allergien hatten oder …“ Noah unterbrach sich, bevor er ins Brabbeln verfallen konnte. Das tat er häufig, wenn er nervös war. Wieso war er eigentlich nervös? „Dann vielen Dank“, erwiderte Yuto, „Mr … Noah.“ Noah hielt inne, zögerte, und brachte dann ein schiefes Lächeln zustande. „Es braucht keinen Dank. Gern geschehen.“ Dann folgte ein beklemmendes und viel zu peinliches Schweigen. Schließlich zwang sich Noah zu einer weiteren Frage: „Sagen Sie, der Inhaber des Ladens, Dr. Woźniak, wo …“ Yuto ließ ihn gar nicht aussprechen: „Dr. Woźniak ist zur Zeit im Urlaub. Bei seiner Familie. In Europa. Er kommt erst im Januar zurück. Bis dahin habe ich die Führung übernommen. Er ist ohnehin viel unterwegs – Dr. Woźniak, meine ich.“ „Ich verstehe.“ Eine klügere Antwort fiel Noah nicht ein. Ja, das machte Sinn. Dr. Woźniak kam wohl aus Europa. Wie viele Amerikaner. „Was hat Sie eigentlich hierher verschlagen?“ Yuto nippte an seinem Kaffee, während sein Blick aus dem Fenster wanderte. „Das Wetter.“ Damit wandte er sich ab. Es war Noahs neunter Tag in Moscow, Idaho, und sein achter Abend im kleinen Büro des Buchladens, als Yuto wieder an der Tür klopfte. Noah brummte nur, was Yuto als Aufforderung verstand hereinzukommen. Er lag nicht falsch. „Kommst du voran?“ „Ich habe das Wichtigste aus dem Buch“, erwiderte Noah und schaute von seinem Laptop auf. Im Moment war er damit beschäftigt seine Ergebnisse in die bestehende Ausarbeitung einzuarbeiten. „Du sagtest, es ist für eine Dissertation?“ Wieder einmal schaute Yuto ihm über die Schultern. „Ja. Hoffentlich“, murmelte Noah und seufzte. Ein Teil von ihm zweifelte noch immer, dass es reichen würde. „Aber warum ausgerechnet Wetterzauber?“, fragte Yuto und setzte sich auf den Rand des Schreibtisches. Wieder trug er ein Oberteil, dass Noah zu kalt vorkam. Immerhin schneite es heute sogar draußen. Noah zuckte mit den Schultern. „Es ist eine der mächtigsten Formen von Magie. Und ich finde es interessant, wie verschiedene Kulturen vorgegangen sind. Ich meine, selbst mit komplexen Ritualen kann einfach so viel schiefgehen.“ „Es sei denn, man beschwört einfach einen Gott oder Geist“, gab Yuto zu bedenken. Was ja auch tatsächlich so viele Kulturen gemacht haben. „Wenn man denn an Geister glaubt“, erwiderte Noah. „Das ist so interessant mit den Europäern. Die haben ja nur an ihren einen Gott geglaubt damals und den durften sie ja nicht beschwören. Also mussten sie sich was anderes ausdenken.“ „Sie haben es sich also unnötig kompliziert gemacht.“ Noah kam nicht umher zu grinsen. „Noch viel komplizierter, als du denkst.“ „Verstehe einer die Europäer“, erwiderte Yuto und stand auf. Er seufzte. „Sag mal. Ich hatte vor nachher noch eine Kleinigkeit essen zu gehen. Magst du vielleicht mitkommen?“ Ein Kribbeln machte sich auf Noahs Wangen breit. „Ja. Eigentlich … wieso eigentlich nicht?“ Immerhin hatte er noch einige Tage Zeit. „Frierst du nicht?“, fragte Noah, während sie gemeinsam durch den frisch gefallenen Schnee schlenderten. Während er selbst in seinen dicken Mantel eingepackt war, dazu Schal, Mütze und Handschuhe trug und irgendwie dennoch fror, trug Yuta nicht mehr als sein einfaches Shirt und darüber eine Jeansjacke. Yuta drehte sich zu ihm um, lief rückwärts und grinste. „Nein. Ich friere nicht.“ „Fühle dich beneidet“, murmelte Noah und schlang seine Arme um sich. Dicke Flocken fielen dicht vom Nachthimmel herab, landeten auf seinem Mantel, wo sie nach einer Weile langsam schmolzen. „Dafür bin ich weniger ein Freund der heißen Tage“, meinte Yuta nun. Noch immer ging er rückwärts. Schnee hatte sich in seinem weißen Haar verfangen und brauchte erstaunlich lange, um zu schmelzen. „Wie war das? ‚The cold never bothered me anyway‘.“ Er lachte. Noah konnte sich das Lachen nicht verkneifen. „Hast du gerade aus einem Disney-Film zitiert?“ Ein Grinsen. „Klang beinahe so, oder?“ „Oh man.“ Noch immer gluckste Noah leise. Noch immer hingen da die Flocken in Yutas weißem Haar. Vorsichtig musterte Noah seinen Begleiter. Da war auf einmal eine Frage in seinem Hinterkopf. Eine Frage, die sich mit aller Gewalt nun aufdrängen wollte. Doch konnte er sie aussprechen ohne komisch zu wirken? Er war bisher davon ausgegangen, dass Yuta sich die Haare gefärbt hatte oder vielleicht dank einem Zauber weißhaarig war. Doch langsam zweifelte er daran. „Was ist?“, fragte Yuta, der diesen Zweifel scheinbar bemerkte. „Ich …“ Noah unterbrach sich, um seine Gedanken zu sortieren. „Du bist kein einfacher Magier, oder?“ Klang die Frage abwertend? Doch Yuta lächelte noch immer. „Das ist korrekt.“ Dennoch sagte er nicht mehr. Wollte er nicht darüber sprechen? Noah zögerte wieder. Wieso war er so mies damit? „Was bist du dann?“ Yuta schürzte die Lippen. „Hast du schon einmal von Yuki-Onna gehört?“ Trotz miesem WLAN und frierenden Fingern hatte Noah seinen Laptop herausgeholt und mit dem Internet verbunden. Leider kam er ins Netz der Universität nicht herein, weshalb er sich auf die Quellen der nicht-magischen Menschen verlassen musste. Yuki-Onna. Yuki-Onna waren Schneefrauen in der japanischen Mythologie. Und wenn sie in der Mythologie existierten gab es irgendeine Version von ihnen garantiert auch in der Mythologie. So war es halt nun einmal. Yuki-Onna hieß wortwörtlich übersetzt nicht mehr als Schneefrau. In den meisten Legenden waren sie einfach Geister, die das Winterwetter kontrollierten, die Schnee und Eis mit sich brachten. Also wirklich ein wenig wie Elsa in Frozen. Vielleicht war es ja auch daran angelehnt, meinte er doch, dass die Schneekönigin von Andersen diese Kräfte nicht gehabt hatte. In manchen Geschichten trat aber auch eine Yuki-Onna auf, die Männer verführte und die Kinder stahl. Wozu sie sie stahl war offenbar nicht ganz klar. Doch passte es natürlich in viele Legenden von elementaren Geistern in weiblicher Gestalt, denen so etwas häufiger nachgesagt wurde. Aber was sagte es dann über Yuto? Immerhin war Yuto zumindest eine Sache nicht und das war eine Frau. Und zumindest dahingehend waren sich Wikipedia und die anderen Seiten, die er konsultierte einig: Es gab nur Yuki-Onna und nicht … nun, was auch immer „Mann“ auf japanisch hieß. Jedenfalls fand er kein Pendant männlichen Geschlechts. Doch erklärte das ganze zumindest sein Aussehen. Das weiße Haar, die blauen Augen. Beides Dinge, die mit Yuki-Onna in Verbindung gebracht wurden. Jedenfalls in heutiger Zeit. Ob das wohl etwas mit späterer Geschichte zu tun hatte? Yuki-Onna. Gab es vielleicht doch männliche Yuki-Onna? Oder wie funktionierte das? Es sei denn natürlich … Ein Gedanke kam Noah. Ein dummer Gedanke. Nein, das konnte er nicht fragen. Das wäre deutlich unsensibel. Er sollte aufhören, darübern achzudenken. Also klappte er den Laptop zu. Auch am nächsten Tag brachte Noah Yuto einen Kaffee mit. Wieder nur einen Milchkaffee mit zusätzlich aufgeschäumter Milch. Yuto mochte nichts Süßes, hatte er gesagt, also beließ Noah es bei dem einfachen Kaffee. Er beschwerte sich nicht. So war es ja auch billiger. „Guten Morgen“, grüßte Yuto ihn, als er den kleinen Kellerladen betrat. „Guten Morgen.“ Unbewusst wich Noah seinem Blick aus, starrte stattdessen zu Boden. Warum war er nur so komisch? „Ich habe dir wieder Kaffee mitgebracht.“ „Danke dir.“ Dieses Mal nahm Yuto ihm den Kaffee direkt ab und lehnte sich gegen den kleinen Verkaufstresen des Ladens, der für einen Zauberladen immer noch erstaunlich modern wirkte. Kurz trank er einen Schluck, ehe er sich über die Lippen leckte und Noah musterte. „Sag mal, wie lange bleibst du noch hier?“ Noah zuckte mit den Schultern. „Wahrscheinlich nur noch ein paar Tage“, meinte er. „Das Motelzimmer habe ich bis nächste Woche gebucht. Immerhin kommen dann auch die Feiertage und dann wird hier nicht offen sein.“ Davon abgesehen, dass seine Mutter ihm die Abwesenheit über die Weihnachtsfeier wohl kaum verzeihen würde. „Also ich feier nicht, weißt du?“, meinte Yuto. „Nicht?“ „Nein. Haben wir in meiner Familie nie.“ Er lächelte matt, nippte wieder an seinem Kaffee. „Aber ich verstehe natürlich, wenn du zu deiner Familie willst.“ „Ich fürchte, ich habe keine Wahl.“ Noah zuckte mit den Schultern. Wieso sagte er das? Es klang als wollte er bleiben. Wollte er das? „Kann ich verstehen. Wie kommst du heim?“ „Roadtrip“, erwiderte Noah. Er freute sich so gar nicht darauf. Drei Tage Autofahrt. Mindestens. Yuto schenkte ihm einen mitleidigen Blick. „Oh je. Das ist ein ganz schönes Stück, oder?“ „Ja.“ Noah seufzte, leckte sich dann aber über die Lippen. „Magst du heute Abend wieder etwas machen?“ Irgendwie hatte Noah sich etwas anderes vorgestellt, als das, was sich als Yutos Haus entpuppte. Vielleicht war es, dass das Haus tatsächlich auf diese Holzfällerart gebaut war, die ihn mehr an Alaska erinnerte. Vielleicht einfach, dass es damit einfach anders wirkte, als Yuto. Doch wenigstens hatte es eins: Einen Kamin. „Oh, das ist verflucht cool“, meinte Noah und musterte die leere Feuerstelle. „Hast du etwas dagegen den anzumachen oder ist dir das irgendwie zu warm?“ „Nein. Das geht schon. Ich schmelze nicht. Zum Glück.“ Yuto lachte leise. „Ich hole etwas Holz.“ „Danke.“ Noah kam nicht umher zu grinsen. Er hatte nie einen Kamin gehabt. Brauchte man in Arizona ja auch nicht. Während etwas später das Essen in der Küche vor sich hin köchelte, saß er vor einem flackernden Kamin. Neben ihm Yutas weißer, felliger Mitbewohner. Ein älterer, leicht übergewichtiger Kater. „Es ist angenehm ein wenig mehr Gesellschaft zu haben“, meinte Yuta und strich durch das Fell des Tieres. „Bist du meistens allein?“ „Ja. Ich tue mich mit normalen Menschen meistens schwer. Sie bemerken etwas, weißt du?“ „Denken die nicht, du seist einfach ein Albino?“ „Nur bis sie meine Haut berühren oder mir zu lange nahe sind.“ Noah sah ihn an. Es war das erste Mal, das ihm bewusst wurde, dass er Yuto nie berührt hatte. Jetzt wollte er die Hand ausstrecken und Yutos Hand berühren. Sie lagen da einfach im Fell der Katze. Es könnte beinahe zufällig wirken. Als würde er einfach nur selbst die Katze streicheln wollen. Noah schluckte und streckte die Hand aus. Sanft strich er durch das seidige Fell, bis seine Finger die Yutos fanden. Sie waren eiskalt. Yuto wandte sich ihm zu und lächelte matt. „Ich weiß“, meinte er. Dann legte er seine Hand vorsichtig auf Noahs. Eigentlich war Noah mit allem, wozu er das Buch brauchte, fertig und doch war er noch nicht gefahren. Da war die Tatsache, dass er eigentlich noch etwas Zeit mit Yuto verbringen wollte. Immerhin waren es noch zweieinhalb Wochen bis Weihnachten. Wenn er eine Woche vor Weihnachten fuhr, bliebe mehr als genug Zeit, um nach Arizona zu kommen. Sofern unterwegs nichts Unvorhergesehenes passierte. Warum tat er sich so schwer fortzufahren? Warum sehnte er sich so nach Yutos Nähe? Nun, die Sache war, dass er lang schon wusste, warum. Doch es war das erste Mal, dass er sich überhaupt so schnell in jemanden verliebt hatte. Normalerweise dauerte es bei ihm. Vielleicht lag es auch einfach daran, dass er soweit weg von seiner vertrauten Welt war und von anderen Leuten, die er kannte. Hier war Yuto seine einzige wirkliche Bezugsperson. Sollte er es ansprechen? Das war die Frage, die er sich doch jedes Mal wieder stellte. Er tat sich schwer darin Leute zu lesen, weshalb er nie sicher war, ob er sich etwaige Dinge einbildete oder nicht. Er hatte den Eindruck, dass auch Yuto so etwas wie Gefühle für ihn hatte, doch vielleicht war es auch einfaches Wunschdenken. Irgendwann würde er fahren müssen. Und sicher, das Internet gab einem Möglichkeiten in Kontakt zu bleiben, aber es würde ja nicht ewig gut gehen können. Fernbeziehungen funktionierten nicht auf Dauer. Ja, eventuell machte er sich zu viele Gedanken darüber, hielt er sich damit doch schon viel zu lange wach. Gäbe es doch einen Zauber, der es ihm einfacher machte, über diese Dinge zu sprechen. Doch Zauber der Art waren unvorhersehbar und nicht unbedingt moralisch. Und so würde es komplett auf ihn ankommen. Das konnte ja nur schiefgehen. Nein, besser er schwieg und fuhr und kehrte zurück in sein altes Leben. Wieso war das so schwer? „Ich werde morgen Abend wohl fahren“, erklärte Noah Yuto,während sie gemeinsam in der Buchhandlung saßen. „Sonst wird es zu stressig.“ „Verstehe ich vollkommen“, meinte Yuto mit einem Lächeln. Er lächelte irgendwie immer, selbst wenn es oft auf diese freundliche, distanzierte Art und Weise war. „Hast du auch wirklich alles, was du für deine Arbeit brauchst?“ „Ja.“ Noah hatte seine Hände um die Kaffeetasse gelegt, da er sonst nicht wusste, wohin mit seinen Fingern. „Danke noch einmal für die Hilfe.“ Yuto deutete nur ein Schulterzucken an. „Gerne. Solltest du je mal etwas über Schneezauber wissen sollen, kann ich dir nachhelfen.“ „Yuki-Onna?“, fragte Noah. Zur Antwort nickte Yuto und fixierte selbst seinen Kaffee. Also hatte Noah Recht? Er fragte wieder nicht. Es war etwas, über das man jemanden wohl besser selbst reden lassen sollte. Mittlerweile hatte er auf entsprechenden Boards geschaut. Also behielt er seine Frage für sich. Stattdessen meinte er: „Nun, wenn ich noch etwas über Geister und Wettermagie schreibe, mache ich das vielleicht.“ Er lächelte. „Wobei. Bist du dann ein Geist?“ „Kommt auf die Definition des Wortes an, würde ich sagen“, erwiderte Yuto. „Ich glaube du würdest mich wenn eher als Fae bezeichnen.“ Das machte irgendwie Sinn. Noah meinte sich zu erinnern, dass diverse der „Geister“ aus dem japanischen Raum aus der Anderswelt kamen und damit als Fae klassifiziert wurden. Auch wenn es natürlich letzten Endes die menschliche Art war, sie irgendwelchen Gruppen zuzuordnen. „Stimmt es eigentlich, dass Yuki-Onna Kinder stehlen?“, fragte er nun. „Also nicht du, sondern … allgemein.“ „Es soll vorgekommen sein“, erwiderte Yuto. „Aber ich weiß es nicht. Ich kenne niemanden mit dem Blut einer Yuki-Onna. Wer weiß? Stehlen Sirenen Kinder? Oder Rusalka?“ „Manchmal“, murmelte Noah. „Vielleicht ist es bei Yuki-Onna nicht anders.“ Yuto zuckte mit den Schultern. Jetzt standen sie bei Noahs Wagen, der mit den wichtigsten Sachen und zumindest Rationen für den Tag gepackt war. Es blieb nur zu hoffen, dass er nicht im Schnee stecken blieb. Eigentlich sollte er einsteigen und fahren, doch es fiel ihm schwer. Er sah zum Boden, der noch immer von festgetretenen Schnee bedeckt war. „Vielleicht sieht man sich ja wieder“, meinte er. „Ja, vielleicht. Du kannst mir zumindest schreiben.“ „Sehr gern.“ Noah atmete tief durch. Er hatte sich vorgenommen nichts zu sagen und doch wollten die Worte jetzt seine Kehle emporkriechen. Er schluckte und schaffte es dennoch nicht, sie zu vertreiben. „Yuto?“ „Ja?“ „Wie ist das mit dir und …“ Er unterbrach sich. „Ich meine, wie ist es mit Yuki-Onna und der Liebe.“ Bildete er sich das ein oder unterdrückte Yuto ein Lachen? „Nun, wir haben kein Herz aus Eis. Jedenfalls nicht in dem Sinne, glaube ich. Wie gesagt, ich weiß nicht alles.“ „Ah“, machte Noah und kam sich furchtbar unbeholfen vor. Er starrte den Boden an und kämpfte mit sich selbst. „Noah?“, fragte nun Yuto und brachte ihn damit dazu aufzusehen. „Ja?“ Vorsichtig griff Yuto nach Noahs Hand. Seine kalten Finger glitten über Noahs dunkle Haut. „Ich weiß, was du sagen willst und nicht sagst.“ Noah zwang sich ihn anzusehen. „Tust du das?“ Da war wieder dieses Lächeln. „Darf ich dich küssen? Nur einmal?“ Für einen Moment brachte Noah keine Antwort zustande. Seine Lippen zitterten. „J-ja“, stotterte er dann. Kurz berührten Yutos eisige Lippen die seinen. Sie waren genauso kalt wie seine Hände. Dann schaute Yuto ihn an, strich über seine Wange. „Ich will dich gerne wiedersehen“, meinte er. „Kommst du irgendwann zurück?“ Noah zögerte. Seine Gedanken standen still. „J-ja“, brachte er schließlich hervor. Da kehrte Yutos Lächeln zurück. „Ich freu mich drauf.“ Hosted by Animexx e.V. 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