Wandel der Zeit von Alaiya ================================================================================ Wandel der Zeit --------------- Tag vier als ein staatlich geprüfter Anwalt und es war noch immer ungewohnt, so unterwegs zu sein. Es war normal in Japan – nicht? – für einen erwachsenen Mann in einem Anzug in der Bahn zu sitzen. Viele andere Männer, auch junge Männer, wie Ken, trugen Anzüge, doch für ihn fühlte es sich seltsam an. Seltsam Erwachsen. War er denn damit erwachsen? Er hatte einen Job. Er hatte seine Prüfung bestanden. Er hatte eine Zukunft. Er war 23 Jahre alt. Eigentlich mehr als erwachsen und doch kam ihm der Gedanke so fremd vor. Draußen rauschten nur Lichter an ihnen vorbei. So spät im Dezember waren die Nächte lang, begannen schon früh. Obwohl es eigentlich erst später Nachmittag war, war es dunkel. Er hatte den Arm auf den Rand des Fensters des Schnellzuges zum Nagita-Flughafen gesetzt und schaute hinaus. Er war vielleicht erwachsen, doch ein eigenes Auto hatte er noch immer nicht. In Tokyo machte es keinen Sinn. Einmal ganz davon abgesehen, dass die digitale Welt für so viele Strecken eine Abkürzung war. Ein Portal, ein kurzer Flug und schon konnte er beinahe überall auf der Welt sein, wo es einen Computer gab. Doch die Flughäfen und andere Orte hatten sich dagegen gesichert. Weshalb er nun mit Wormmon auf dem Schoß unterwegs war. Dabei hatte es noch ein eigenes Ticket gebraucht, da der Schnellzug einzeln abgerechnet war, keinem der Unternehmen in Tokyo zugehörig. Ken seufzte unterdrückt. Es war auch ein seltsamer Gedanke seinem besten Freund so gegenüberzutreten. Ihre Leben hatten sich so unterschiedlich entwickelt. Er hatte sein Ziel gerade erreicht, Daisuke sein eigenes vielleicht gerade verfehlt. So gerne wäre er nach Frankreich gegangen, als es passiert war, um ihn zu besuchen. Doch Daisuke, der ewige Idiot, hatte am Telefon nur gelacht, gesagt, Ken sollte sich auf sein Examen konzentrieren. Warum hatte er eigentlich gehört? Vielleicht hätte er trotzdem fahren sollen. Einfach durch die digitale Welt … „Ken-chan?“, flüsterte Wormmon und streckte sich, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Beinahe wäre ihm ein weiteres Seufzen herausgerutscht. Er schaute seinen Partner an. „Daisuke wird sich freuen, dass du kommst“, meinte das kleine Digimon. „Mach dir keine Sorgen.“ „Darum mache ich mir auch keine Sorgen“, murmelte Ken. „Warum seufzt du dann so schwer?“ Ken zuckte mit den Schultern und schaute wieder aus dem Fenster, vor dem gerade einzelne Straßen der nördlichen Teile Tokyos vorbeirauschten. „Es ist halt alles so anders. Jetzt.“ „Ihr werdet erwachsen“, erwiderte Wormmon. „Ja.“ Wieder seufzte Ken. Ob eigentlich Jun und Daisukes Familie am Flughafen sein würden? Wahrscheinlich. Vielleicht hätte er mit ihnen fahren können. Er verstand ohnehin nicht, warum Daisuke darauf bestanden hatte, dass er nicht mit den anderen Auserwählten sprach. Sicher hätte es Hikari oder Takeru interessiert, selbst wenn weder Iori, noch Miyako über Weihnachten in der Stadt waren. Es war warm, an diesem Tag. Morgen wäre Weihnachten. Wahrscheinlich wäre Daisuke gerne auch früher zuhause gewesen. Aber wahrscheinlich hatte er eine ärztliche Erlaubnis zum Fliegen gebraucht. Wahrscheinlich hatte er warten müssen. „Weißt du noch, als es Weihnachten geschneit hat?“, murmelte er. „Du meinst als die anderen damals bei uns gefeiert haben“, erwiderte Wormmon. Ken nickte, ohne den Blick auf seinen Partner zu wenden. „Das war ein schönes Weihnachten“, meinte Wormmon. „Es war das erste richtige Weihnachten, dass wir nach Osamus Tod irgendwie gefeiert haben.“ In dem Sinne, dass sie überhaupt etwas gemacht hatten. „Ich weiß.“ Wormmon schaute ebenfalls aus dem Fenster. „Vielleicht schneit es ja mal wieder.“ „Ja, vielleicht.“ Nach einer Strecke, die vor dem Fenster vornehmlich von Dunkelheit beherrscht wurde, so dass Ken vor allem sein Spiegelbild sah, erschienen wieder Gebäude vor dem Fenster. Da war ein Diner, Hotels – sie mussten nahe beim Flughafen sein. Tatsächlich wurde nur knapp eine Minute später über die Lautsprecher verkündet, dass sie fast am Narita-Flughafen waren. Kens Magen zog sich etwas zusammen. Dabei hatte er Daisuke nur zwei Monate nicht gesehen. Das war eigentlich nicht ungewöhnlich, wenn man bedachte, dass sie erwachsen waren und Daisuke nun einmal als Fußballspieler auch im Ausland trainierte. Nun, trainiert hatte … Hoffentlich zog ihn die Verletzung nicht zu sehr herunter. Dabei konnte es sich Ken kaum vorstellen. Als könnte irgendetwas Daisukes Laune verderben. Er seufzte, stand auf, während Wormmon auf seine Schulter kletterte und schaute sich nach der nächsten Tür des Zuges um. Zwischen Reisenden, die über Weihnachten verreisten, und Touristen, die zu den Feiertagen wieder in ihre Heimat zurückwollten, kam er sich mit seiner einfachen Aktentasche seltsam vor. So ganz ohne Koffer. Aber wie hatte er auch sonst zum Flughafen kommen sollen? Immerhin hatte er soweit kein Auto. Endlich blieb der Zug stehen und die Türen öffneten sich. Ken brauchte kurz, um sich zu orientieren, ehe er den Aufgang zum Inneren des Flughafens fand. Hier war alles für Weihnachten geschmückt. Selbst wenn das Fest hier nur eine geringe Bedeutung hatte, so ließen es sich weder der Flughafen, noch die örtlichen Geschäfte nehmen entsprechend zu schmücken. Aus diversen Lautsprechern klangen entweder Glöckchen oder Weihnachtslieder. Er hatte noch mindestens eine halbe Stunde bis der Flug ankam. Seufzend schaute er sich um, ob er Daisukes Eltern oder wenigstens Jun und Leormon sah. Doch soweit keine Spur von ihnen und Jun war meistens schwer zu übersehen und noch schwerer zu überhören. „Was hältst du davon, wenn wir uns einen Kaffee holen?“, meinte er. „Das klingt gut, Ken-chan“, erwiderte Wormmon, selbst wenn es eigentlich gar keinen Kaffee trank. So dass er sich auf den Weg zum Starbucks machte. Da wusste er zumindest was er bekam. Die Sache war, dass er nicht einmal genau wusste, warum er so nervös war, Daisuke wiederzusehen. Aber die Tatsache war, dass sich seine Gefühle für seinen besten Freund verändert hatten – auf eine Art, die er nicht genau beschreiben konnte und dafür sorgte, dass er ein wenig Miyakos Anwesenheit vermisste. Zwar wäre auch das eine eher laute Angelegenheit gewesen, doch wusste sie erstaunlich gute Ratschläge zu geben. Es fühlte sich nicht richtig an, mit Hikari darüber zu sprechen und Takeru oder Iori? Nein, irgendwie noch weniger. Doch da war dieses Kribbeln in seinem Bauch, wenn er an Daisuke dachte, und ein gewisses Sehnen nach seiner Anwesenheit, seinem Lachen, seiner Art zu reden und zu scherzen. Vielleicht war es auch, dass sie einander so wenig gesehen hatten, seit Daisuke mit dem Profi-Sport angefangen hatte. Ken seufzte, während er in der Schlange vor der Starbuckstheke stand. Wenigstens wäre Daisuke über den Jahreswechsel hier. Und es waren noch zwanzig Minuten, bis der Flug ankam. Er würde nichts sagen. Das konnte er nicht tun. Es wäre auch nicht richtig. Nicht zur jetzigen Zeit. Nicht während sie nicht wussten, was in den nächsten Jahren passieren würde. Ein wenig beneidete er Miyako. Irgendwie waren diese Dinge ihr immer so leicht gefallen. Als er endlich seinen Kaffee und für Wormmon ein aufgewärmtes Scone hatte, waren es noch zwölf Minuten und er musste sich doch beeilen, zum Ankunftsbereich zu kommen. Hier fand er sie auch. Jun, zusammen mit ihren Eltern und Momoe, sowie den Digimon, die mit einem Schild hier standen und einige misstrauische Blicke der Sicherheitskräfte ernteten. Er gesellte sich zu ihnen. „Guten Abend“, meinte er und klang dabei zu höflich. Sie drehte sich zu ihm um. „Ken-kun!“ Ein Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. „Du bist auch hier!“ „Ja. Daisuke hat mir gesagt, dass er ankommt.“ Er seufzte. „Weißt du mehr wegen der Verletzung?“ Jun zuckte mit den Schultern. „Nicht wirklich. Irgendetwas-irgendwie-Riss.“ „Kreuzbandriss“, korrigierte Momoe. „Ja, irgendwie so. Und wohl auch was gebrochen.“ Jun winkte ab. „Ach, aber Dai-kun ist schon hart im Nehmen. Der überlebt das.“ „Das stand wahrscheinlich auch nicht zur Diskussion“, murmelte Falcomon – Momoes Partner. Jun warf dem Vogeldigimon einen Seitenblick zu und schüttelte den Kopf. „Er wird sich sicher freuen, dass du da bist“, meinte sie dann. Darauf nickte Ken nur. Er verbrachte die nächsten paar Minuten freundliche Worte sowohl mit Jun und Momoe, als auch mit Daisukes Eltern auszutauschen, während Wormmon seinen Anzug vollkrümmelte. Dann kamen die ersten Leute durch den Zugang gedrängelt, samt ihrem Gepäck. Hier und da waren auch einige Digimon mit ihren Partnern dabei, die ebenso misstrauisch von der Security Begutachtet wurden, wie Wormmon, Leormon und Falcomon. Tatsächlich waren jedoch V-mons hellblaue Schuppen das erste, was Ken im Gedränge entdeckte. Es drückte hier und da ein paar Beine zur Seite, um Weg zu schaffen. „Hey. Entschuldigung“, murrte es dabei. Dahinter folgte ein vertrauter Schopf braunroten Haares, die ausnahmsweise nicht zurückgehalten wurden. Doch statt hinkend bewegte sich Daisuke im Sitzen vorwärts. Er saß in einem Rollstuhl und schien auf der Suche nach ihnen zu sein. Nun entdeckte ihn auch Jun. „Daisuke!“, rief sie aus und drängte sich ihm entgegen. „Jun!“, kam es von V-mon zurück. Schon fiel sie ihm um den Hals, soweit es ging, erwürgte ihn allem Anschein nach dabei fast. „Du Idiot!“, schimpfte sie dabei. „Was machst du da nur.“ Daisuke lachte nur. Natürlich lachte er. „Nur ein kleiner Unfall. Ich soll das Bein erst mal nicht belasten.“ Jetzt drängten sich auch seine Eltern in seine Richtung, während Ken etwas unschlüssig neben Momoe stehen blieb. Er tauschte einen Blick mit ihr, doch sie zuckte nur mit den Schultern. Ken seufzte, als Wormmon vorsichtig gegen seine Schulter drückte. „Geh schon“, meinte es. Dafür hatte man wohl auch einen Digimonpartner. Mit einem tiefen Atemzug setzte er sich in Bewegung und kam seinem besten Freund entgegen. „Willkommen zurück“, meinte er und klang bei weitem nicht so locker, wie er es geplant hatte. „Du bist gekommen!“ Daisuke grinste ihn an. „Klar.“ Ken hielt in. „Und du scheinst vorzuhaben, für eine Weile zu bleiben.“ „Mal sehen“, erwiderte Daisuke. „Aber für ein paar Wochen werdet ihr mich nicht mehr los.“ „Wird anstrengend“, meinte Ken und erntete damit ein nur zu vertrautes Lachen. „Der Anzug sieht schnieke an dir aus.“ Nun breitete sich auch auf Kens Gesicht wieder ein Lächeln aus. „Danke.“ Damit klopfte er vorsichtig die Krümmel ab. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)