Iola smiled von Arcturus ================================================================================ Stonecomb Court, Northumberland   “Septimus!” Der Elf erschien mit einem leisen Plopp. Er verneigte sich so tief, dass seine Ohren den Teppich berührten. Mit ihm verneigte sich eine goldene Kugel.  “Mylord Black.” Phineas warf dem Elf mitsamt seinem glitzernden Anhängsel einen skeptischen Blick zu. Nein. Nein, entschied er, er würde nicht fragen. “Licht, Septimus.”  Er wandte sich ab, noch während er sprach. Ohne dem Elfen oder den Bücherregalen, die sich im Licht der aufleuchtenden Kerzen manifestierten, Beachtung zu schenken, schritt Phineas durch den Raum. Vor einem wuchtigen Schreibtisch aus Mahagoni blieb er stehen. Während unter der Magie des Elfen der Kerzenhalter zu flackerndem Leben erwachte, betrachtete Phineas das Sammelsurium aus Arbeitsmaterial und Erbstücken. Bereits sein Vater hatte an diesem Tisch gearbeitet. Sein Blick glitt über Pergamentbögen, die steinerne Vase, in die jemand frische Tannenzweige gestellt hatte, und die drei Bände des Magischen Kodex des Wizengamots. Secundus musste aufgeräumt haben. Beiläufig griff Phineas nach der Vase und rückte sie auf die andere Seite des Schreibtisches. Erst dann fasste er nach den Briefen, die man ihm sorgsam neben dem Becher mit den Federkielen aufgestapelt hatte.  “Septimus”, sagte er, während er durch die Umschläge und Karten blätterte. Weihnachtsgrüße des Ministers. Eine Visitenkarte von der ehrenwerten Lady Lestrange, zudem Karten von Mrs. Olive Parkinson und Mr. Lucius C. Malfoy. Elladoras Nachricht aus Amsterdam. Ein Umschlag, auf den jemand in schwungvollen Lettern seinen Namen geschrieben hatte.  Iola. “Sei so gut und”, sein Blick fiel auf den Baumschmuck, den der Elf noch immer treu ergeben mit sich trug, “hänge diese Kugel zurück in den Salon. Es ist mir gleich, welchen Zweig du wählst, und wenn du ihn an die Röcke meiner Mutter hängst, soll es mir auch recht sein. Geh danach in die Kinderstube und achte darauf, dass meine Söhne schlafen und sich nicht daran erinnern, dass man nicht nur Tannenzapfen nacheinander hexen kann.” Septimus sah ihn mit großen Augen an. Die Vorstellung, die gnädige Witwe Lady Katharina Black in einen Weihnachtsbaum zu verwandeln, spiegelte sich in seinen Pupillen. Der Elf wirkte nicht halb so erpicht darauf, wie Phineas sich gerade fühlte. Er verneigte sich dennoch. “Sehr wohl, Mylord!”, sagte er und verschwand.  Phineas warf die Visitenkarten in das dafür bereitstehende Schälchen und die Briefe aufs Pergament. Nur Iolas Schreiben behielt er in den Händen. Einen Moment lang musterte er die geschwungenen Lettern. Seine Schwester sollte längst zum Dinner zurück sein. An den ehrenwerten Lord Black Er strich über das Wachs, das den Brief verschloss. Kein Wappen war darin eingeprägt, nicht das der Blacks, nicht einmal das des Ministeriums. “Iola … Was machst du nur?” Mit fahrigen Fingern griff Phineas nach seinem Brieföffner und brach das Siegel. Im Inneren fand er einen sorgsam gefalteten Bogen Pergament.   Mylord Black, mein lieber Bruder,   ich bin mir bewusst, wie befremdlich es Euch erscheinen muss, dass Ihr an diesem Abend nur diesen Brief in Euren Händen haltet, nicht jedoch Eure Schwester. Mir selbst ist es auch noch immer ein befremdlicher Gedanke. Fürwahr habe ich mich die letzten Tage gefragt, ob es so sein muss. Ob es einen anderen Weg geben kann, eine andere Geschichte. Vielleicht gäbe es sie tatsächlich; wäre dies ein anderer Ort, eine andere Zeit. Doch so, wie es ist, so wie wir sind, stolz und entschlossen in allem, was wir tun, sehe ich keine Möglichkeit. Der Ehrgeiz unserer Familie mag unser Schicksal und unsere Größe sein, doch er eint uns nur unter dem gemeinsamen Ziel und nur, bis er uns trennt. Ich weiß, dass es Euch schmerzen muss; weiß, dass es Euch vorkommen muss, wie ein Verrat. Ein Verrat zudem ausgerechnet von Eurer lieben, kleinen Schwester, die Ihr noch vor kurzer Zeit jedes Jahr nach Hogwarts verabschiedet habt. Eurer Schwester, die Ihr im darauffolgenden Sommer jedes Jahr aufs Neue willkommen geheißen habt, mit all ihren wilden Erzählungen über heimliche Ausflüge nach Hogsmeade, Molchaugen und Poesie.  Bitte seid Euch bewusst, dass ich Euch für immer dankbar sein werde, für alles. Es schmerzt mich, dass ich Euch diese Dankbarkeit so schmählich zurückzuzahlen weiß. Ich wünschte, es gäbe einen anderen Weg; doch ich sehe keinen. Zu unvereinbar sind meine Wünsche und die Euren. Ich weiß, dass Ihr mir Eure Zustimmung in dieser Sache niemals geben werden. Und so ist das Unsagbare, das Undenkbare, wenn Ihr diese Zeilen lest, bereits getan. Am heutigen Morgen habe ich Robert Hitchens meine Hand gegeben. Ich möchte Euch nicht um Vergebung bitten. Auch erwarte ich Eure Zustimmung nicht.  Wenn sich unsere Wege heute trennen, so werde ich es ertragen. Ich möchte nur, dass Ihr wisst, dass ich euch als meinen lieben Bruder im Herzen behalten werde.   Eure Euch liebende Schwester,   Iola.   Das Pergament knisterte unter seinem Daumen. Phineas starrte auf die Seite, bis die Buchstaben vor seinem Auge verschwammen. Er suchte nach dem Sinn; in den Worten seiner Schwester, in dem Gespräch mit Greengrass nur wenige Stunden zuvor, in sich selbst und darüber hinaus. Er fand keinen. Ein leises Klopfen schreckte ihn auf. Am anderen Ende der Bibliothek konnte er eine Silhouette ausmachen, die weder seiner Ursula noch seiner Schwester gehörte. Dafür war sie zu gedrungen, zu plump, ihre Schritte zu schwer. Eduardus. Phineas hatte nicht gehört, wie der andere Mann die Tür geöffnet hatte, und auch nicht, wie er sie schloss. Mit jedem Schritt, den sein Großonkel näher trat, zeichnete das Licht der Kerzen seine Formen genauer, fielen mehr Details an den für sie vorgesehenen Platz: Der Glanz seines Seidenumhangs, die blackschen Locken, die selbst in seinen Bart krochen, der Grund für seine Anwesenheit. “Raus.” “Entschuldigung?” In Eduardus’ Mundwinkeln spielte ein Lächeln, das Phineas bereits aus unzähligen Weinkellerdiskussionen kannte. Es war nicht echt. “Raus.” “Ich komme, um mit Euch zu sprechen.” Weder mit Rücksicht auf den Brief noch auf die Etikette, schlug Phineas auf den Tisch. Das Pergament zerknitterte unter seinen Fingern, doch er registrierte es kaum. “Verschwindet aus meinem Haus!” Eduardus schrak nicht zusammen. Er zuckte nicht einmal zurück. Stattdessen blieb er mitsamt seinem gottverdammten Lächeln vor dem Schreibtisch stehen. Immerhin besaß er den Anstand, oder zumindest die weise Voraussicht, sich nicht zu setzen. Es war sein Blick zu dem Brief unter Phineas Fingern, der ihn verriet.  “Mein lieber Neffe”, sagte er. Aus der Nähe betrachtet wirkte er erschreckend nüchtern. “Ich weiß nicht, was Euch so erregt, doch ich bin mir sicher, es lässt sich alles zu unser aller Zufriedenheit klären.” Phineas starrte über den Tisch hinweg. Eduardus starrte zurück. Das Bedürfnis, seinen Großonkel in einen Languren zu verwandeln, verminderte sich nicht, doch es kühlte ab. Statt in seinen Fingerspitzen zu brodeln, sickerte es in den Teil seines Verstandes, der bereits die nächsten Schritte plante. Ein Langur auf seinem Schreibtisch war eine furchtbare Idee. Klüger war es, zu warten, bis er ihn auf den Flur gehext hatte. “Bei allem Respekt, Eduardus, Ihr wart schon immer besser darin, Euch selbst zum Narren zu halten.” “Ich halte mich nicht zum Narren, mein lieber Junge.” “Gewiss”, sagte Phineas. “Nicht Euch, sondern mich.” Das Lächeln in Eduardus’ Mundwinkeln bröckelte. “Zum ersten Mal, seit ich der Herr dieses Hauses bin, wünschte ich, Ihr wäret wegen des Dinners hier.” Eduardus griff nach dem Besucherstuhl. Locker stützte er sich auf die hintere Lehne. Mit der lässigen Unverfrorenheit eines Blacks warf er einen Blick auf seine Taschenuhr. “Ich bin wegen des Dinners hier. Elladora hat darauf bestanden. Und ich muss gestehen, der Braten duftet bereits jetzt phantastisch. Ich wüsste nicht, wie ich ihre Bitte hätte ausschlagen können.” “Belastet meine Schwester nicht mit Euren Taten. Es wird kaum der Braten sein, der Euch in meine Bibliothek treibt, befindet sich die Küche doch im Erdgeschoss. Nein, mein lieber Großonkel. Vielleicht zum ersten Mal in unser beider Leben ist das Dinner nur das Dessert. Und Ihr werdet gehen, bevor die Elfen es servieren.” Sein Gegenüber zog die Augenbrauen hoch. Sein Mundwinkel zuckte, doch bevor er sprach, trat er um den Stuhl herum. Mit einem Ächzen ließ er sich darauf fallen. “Ich fürchte, ich kann Euch nicht folgen, mein lieber Phineas.” Phineas stützte sich auf die Tischplatte. “Ihr”, er deutete auf seinen Großonkel, “seid hier, um die Wogen zu glätten. Doch dieses Mal erntet Ihr den Sturm, den Ihr sät. Sagt, wart ihr es, der meiner Schwester diese Flausen in den Kopf gesetzt hat oder unterstützt Ihr sie nur?” Ihm Gegenüber zuckte Eduardus mit den Schultern. Phineas knirschte mit den Zähnen. “Wie könnte ich zwei Liebende nicht unterstützen?” “Es ist keine Liebe!” Statt sofort zu antworten, griff Eduardus nach einem der Federkiele. Versonnen drehte er die Feder in seinen Fingern. Im Licht des Kerzenständers schimmerte sie golden. Als er einsehen musste, dass Phineas darauf wartete, dass er ihm widersprach, sagte er schließlich: “Es war Liebe, als ich Eure Schwester zuletzt dazu befragte. Was sollte eine Heirat auch sonst sein, wenn nicht das innige Versprechen zweier füreinander bestimmter Seelen, sich immer zu ehren und zu lieben, bis dass der Tod sie scheidet?” Phineas unterdrückte ein Schnauben. “Aus Eurem Mund klingt es beinahe romantisch.” “Ist es das denn nicht?” “Nein.” Phineas nahm den Blick von der Feder zwischen ihnen und sah Eduardus in die Augen. “Wäre es Liebe, nur Liebe, ich wäre kaum in einer angemessenen Position, mir darüber ein Urteil zu erlauben. Wäre es Liebe allein, ich würde diesen Mann mit offenen Armen, wenn auch nicht mit offenem Herzen meinen Bruder nennen. Doch es ist keine Liebe. Es ist Politik.” “Politik!” Eduardus sah ihn an, als sei ihm das Konzept völlig fremd. “Mein lieber Neffe, wie kommt Ihr darauf? Doch nicht nur, weil Ihre Wahl auf Mister Hitchens gefallen ist?” “Weil Sie meinen politischen Selbstmord als Mitgift in diese Ehe bringt!” “Euren politischen Selbstmord! Mein lieber Neffe, Eure Worte sind ungeheuerlich!” “Dennoch sind sie wahr. Sagt mir, wenn es nur Liebe ist, welche Wahl habe ich? Wie könnte ich Mister Hitchens in meiner Familie akzeptieren, ohne nicht auch die damit einhergehende Verantwortung zu akzeptieren? Ich wäre ein furchtbarer Mann, würde ich ihn nicht mit all meinem Geschick und Können in seinen Bestrebungen unterstützen. Doch was, mein lieber Onkel, würde mich dies Kosten, wenn nicht meine Interessen im Gamot und die Versprechen meiner politischen Verbündeten? Nein. Nein, ich kann ihn nicht akzeptieren, nicht ohne meinen Ruf zu verlieren. Ich kann ihn nicht akzeptieren, ihn nicht und sie nicht. Doch was gewinne ich dadurch? Nur die Feindschaft meiner lieben kleinen Schwester, Elladoras Groll und den seiner politischen Freunde. Nein, Eduardus. Dies ist boshafte Entscheidung; sie schadet mir in jedem Falle. Ihr hättet Iola niemals Eure Zustimmung geben dürfen.” Ihm Gegenüber nickte Eduardus gewichtig. “Ich versichere Euch, diese Entscheidung wurde ohne mein Wort getroffen, mein lieber Neffe. Ich möchte Euch nur darum bitten, hört diese beiden jungen Menschen an.” “Sagt mir nur eins. Ist dies die letzte Torheit meiner Schwester oder hat sie auch vor, für Warwickshire zu kandidieren? Sie könnte es sehr wohl, wenn sie nach Birmingham zieht. Angesicht ihrer aktuellen Stellung im Ministeriums und seiner Unterstützer in der Grafschaft … Ihre einzige Konkurrenz wäre Mister Alaric Parkinson und machen wir uns nichts vor. Mister Parkinson glänzte schon während seiner Schulzeit vor allem dann, wenn es keine nennenswerte Konkurrenz gab.” Eduardus erwiderte seinen Blick. Er öffnete den Mund, zuckte dann jedoch nur mit den Achseln. “Ich bin nicht der richtige Mann, um Euch diese Frage zu beantworten.” Phineas verstand. “Raus.” “Mein Neffe. Mylord Black.” Eduardus leckte sich über die Lippen. “Phineas.” “Wenn Euren Knochen nur ein wenig Anstand innewohnt, geht. Verschwindet. Ich ertrage Euch nicht.”  Eduardus sah ihn lange an. Er leckte sich über die Lippen. Die Worte, die ihm auf der Zunge lagen, waren selbst für Phineas beinahe greifbar, doch er schwieg. Bedächtig steckte er die Felder zurück in ihren Becher. Schließlich stand er auf. Mit schweren Schritten verließ er die Bibliothek. Phineas sah ihm nicht nach. Sein Blick glitt über den Schreibtisch, über die Vase mit ihren Tannenzweigen und das halbe Dutzend bunter Federkiele. An einem dünnen Blatt blieb er hängen. Es war kein Pergament. Die Beschaffenheit erinnerte ihn an die neumodischen Kartons, die sie ihm im Gamot von Zeit zu Zeit aufnötigten. Vielleicht hatte es deshalb seine unsanfte Behandlung von zuvor unbeschadet überstanden, vielleicht war es auch vorher aus dem Umschlag gefallen. In raumgreifenden Schwüngen hatte Iolas Hand Mr und Mrs Robert Hitchens darauf geschrieben.  Missmutig griff er nach dem Blatt und drehte es um. Statt auf eine weiße Rückseite starrte er auf ein Bild. Es war weder eine Malerei noch eine Zeichnung, doch Phineas hätte nicht sagen können, womit es stattdessen angefertigt worden war. Es zeigte Iola in einem raumgreifenden, weißen Kleid, zusammen mit einem Mann, von dem er gehofft hatte, er würde ihn nur im Gamot sehen. Die Kopfschmerzen, die sich bereits mit den Schneenifflern hinter seinen Schläfen eingenistet hatten, pochten unbeeindruckt. Er starrte das Bild nieder, bis es sich in seine Netzhaut brannte und ihm die Augen tränten. “Hasst Ihr sie nun?”, drang Ursulas Stimme von der Tür zu ihm. Phineas rieb sich mit der freien Hand über die Augen. “Vielleicht.” Er zuckte mit den Schultern. “Ich hasse Sirius.” “Sirius? Aber ist schon vor Jahren …” “Eben deshalb. Es hätte sein Problem sein sollen.” Doch es war nicht mehr sein Problem. Es war Phineas Problem und er wusste keine Lösung. Und Iola?  Sein Blick glitt zurück zu dem Hochzeitsbild. Iola lächelte.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)