Iola smiled von Arcturus ================================================================================ Prolog: -------- Tropfender Kessel, London   Das Gemisch aus Nebel, Ruß und Magie war so dicht, dass nicht einmal Mauerwerk und Fensterscheiben es aufhielten. Mit jedem Mal, dass sich die Tür öffnete, wehten neue Schwaden in den Pub. Durch jeden noch so kleinen Riss waberten Schlieren, milchig grün und giftig. Den Kopf auf die Hand gestützt, beobachtete Phineas, wie jeder Windhauch mehr von dem nur halb transparenten Gemisch durch einen Spalt über der Fensterbank trieb. Träge hob er die freie Hand und ließ seine Finger durch den Nebel gleiten. Die Schlieren wirbelten in der Bewegung, ehe sie in der Luft des Pubs verblassten. Nur ein dünner Film klarer Wassertröpfchen blieb auf seinem Drachenlederhandschuh zurück. Er war nie ein großer Freund der Alchemie gewesen. Dieses Gemisch übte dennoch eine gewisse Faszination auf ihn aus. Auch, weil der Pub ansonsten kaum etwas bot, das ihn hätte faszinieren können. Das Essen war fad, das Bier mutmaßlich so giftig, wie die Erbsensuppe vor der Tür, und sein Gesprächspartner … “Black?”   Phineas seufzte schwer. “Keine Sorge, Greengrass, ich höre Euch zu”, sagte er. “Also erspart uns beiden die Frage.” Auf der anderen Seite des Tisches schloss Heath Greengrass den Mund.  Phineas beobachtete seine Schultern dabei, wie sie unter dem dicken, schwarzen Wollumhang nach unten sackten. Die dünne Falte zwischen seinen Augenbrauen und selbst sein aschblondes Haar wirkten unwirsch.  Einen Augenblick lang erklang zwischen ihnen nicht mehr als Greengrass’ verhexte Feder, die träge jedes seiner Worte aufs Pergament kratzte. Irgendwo hinter ihm hustete jemand heftig genug, um die Frage nach einem Heiler zu rechtfertigen. Ob wegen des Nebels oder wegen des Puddings, vermochte Phineas nicht zu sagen, es hätte ihn jedoch auch nicht weniger kümmern können. Er ließ die Hand sinken. “Greengrass”, sagte er, “wir tun das hier um der alten Freundschaft Willen; nicht, weil Ihr ein besonders begnadeter Journalist wäret.” Die Feder übertrug auch diese Worte ins Transkript. Phineas konnte die Buchstaben dabei beobachten, wie sie sich in geschwungenen, königsblauen Linien über das Pergament ausbreiteten - zumindest, bis Greengrass nach der Feder griff. Fester als nötig schlossen sich seine Finger um den Federkiel. Ein ebenfalls geschwungener, königsblauer Fleck breitete sich unter seiner Faust aus. “Voller Komplimente heute, mein Freund?” “Selbstverständlich.” Greengrass schüttelte den Kopf. Demonstrativ warf er einen Blick gen Decke. “Es ist Weihnachten. Seid Ihr nicht froh, die Gesichter aus dem Ministerium für ein paar Tage nicht sehen zu müssen?” “Welche Tage meint Ihr? Die, an denen sich die Malfoys zur Fuchsjagd einladen, oder die, an denen es der Herr Minister zum Dinner tut?” Greengrass öffnete den Mund, dann schnaubte er. “Vielleicht solltet Ihr nach Malfoy hexen und nicht nach dem Fuchs.” In Phineas’ Mundwinkel zuckte ein Lächeln. “Dürstet es Euch so sehr nach einer Schlagzeile?” Sein Gegenüber zuckte mit den Schultern. “Wir könnten es wie folgt formulieren: Vater sitzt auf seinem Hort, wie ein norwegischer Stachelbuckel. Er erfreut sich auch der Gesundheit eines solchen.” “Mein lieber Greengrass”, sagte Phineas, “die korrekte Antwort wäre gewesen: Ich habe Malfoy noch nie gemocht.” Greengrass nickte. “In dem Punkt waren wir uns immer schon einig”, antwortete er. “Doch ernsthaft: Was bietet die Hollow Gazette bislang schon im Vergleich zum Propheten? Die Erfahrung eines Buchmachers, der nicht viel mehr gelernt hat, als Kobolde über den Tisch zu ziehen? Eine kleinere Auflage als der Sunday Prophet? Die gleichen Nachrichten, von denen McLaggen glaubt, ich würde es nicht merken, wenn er sie abschreibt? Würde das deine Galleonen überzeugen?” Für einen Moment ließen sie die Antwort beide ungesagt zwischen ihnen schweben. Schließlich schüttelte Greengrass den Kopf.  “Nein, wenn ich darauf hoffen möchte, dass meine Familie mich unterstützt, täte ich besser daran, die Gazette in Hexenwoche umzubenennen und statt Nachrichten den Klatsch aus den Teesalons zu drucken.” “Euer Vater würde es hassen.” “Meine Mutter würde es lieben. Und die werte Lady Black sicher auch.” Phineas warf seinem Drachenlederhandschuh einen gewichtigen Blick zu.  “Nur, wenn Ihr die Hexenwoche um jene Schnittmuster erweitert, die ihr noch unbekannt sind.” “Wie schwer kann es schon sein?” Bevor er etwas hätte sagen können, hob Greengrass die Hand. Phineas behielt den Kommentar zu Greengrass’ letzten Geschäftsideen für sich. “Schon gut. Ich kenne mich und ich verstehe die Zweifel.” “Das erfreut mich zu hören”, sagte Phineas. “Dennoch kann ich mir die Fragen kaum selbst stellen. Und so sehr uns beide ein Fluch in Malfoys Rücken auch befriedigen würde, ich fürchte, er steht außer Frage, seit wir Hogwarts verlassen haben. Also, mein lieber Greengrass, gebt Euch ein wenig Mühe.” Greengrass warf ihm einen geknickten Blick zu - kein Fluch in Malfoys Rücken bedeutete auch keinen Besuch in Stonecombe Court und keinen Tee - öffnete dann jedoch die Faust. Seine Feder blieb in der Luft und schüttelte sich einmal. Königsblaue Sprenkel gesellten sich zu dem ebenso königsblauen Durcheinander. “Fein, fein. Beginnen wir”, sagte Greengrass. “Black … ich möchte, dass Ihr Euch bewusst seid: Ich muss diese Frage stellen.” Phineas nahm sich die Zeit, die Augenbrauen hochzuziehen und Greengrass vorwurfsvoll anzusehen. Betont langsam griff nach seinem Feuerwhisky. Blaue Flammen tanzten im Glas. “Hitchens?” Phineas warf einen Blick Richtung Decke. “Das ist keine Frage.” “Ist es nicht”, gestand Greengrass, “Dennoch werden die Leser Eure Meinung hören wollen. Immerhin ist er der neue Untersekretär des Herrn Ministers.” Etwas, das Wein gewesen sein mochte, musste vor nicht allzu langer Zeit an ihrem Tisch explodiert sein. Den Tisch hatte man gereinigt, doch an den Holzbohlen über ihren Köpfen klebte noch immer eine Schicht dunkler Flecken.  “Sicher wollen sie zunächst wissen, ob ich dem neuen Untersekretär des Herrn Ministers bei einer Fuchsjagd in den Rücken hexen werde. So es sie überhaupt interessiert, folgt meine Meinung erst im Anschluss darauf”, sagte er zu einem besonders breiten Fleck, bevor er den Blick wieder senkte. “Die Antwort lautet: Nein.” Die Gründe waren simpel.  Erstens: Phineas hielt nichts von dergleichen kleingeistigen Maßnahmen.  Zweitens: Er würde ihn nicht einladen. “Mister Hitchens wird sicher sehr erfreut sein, dies zu hören. Sein neuer Posten erfordert schließlich eine enge Zusammenarbeit mit dem Wizengamot.” Auch das war keine Frage. Vielleicht sollte sich jemand die Zeit nehmen und Greengrass das mit dem Interview noch einmal eingehend erklären. Vielleicht sollte er auch … Phineas griff nach seinem Feuerwhisky und genehmigte sich einen Schluck. Nein, besser nicht. “Hätte man mich um meine Meinung gebeten, ich hätte davon abgeraten, den Posten anzunehmen”, sagte er stattdessen. “Weil er der Sohn von Muggeln ist?” “Weil es politisch töricht ist.” Phineas nippte an seinem Feuerwhisky, sich sehr wohl bewusst, dass der Federkiel möglicherweise selbst das transkribierte. “Sein neuer Posten als Untersekretär mag für ihn persönlich mehr Einfluss bedeuten, doch verliert Mister Hitchens dadurch seinen Sitz im Gamot. Warwickshire wird neu wählen.” “Ist der einzige, brauchbare Kandidat nicht Sir Alaric Parkinson?” “Eben der”, stimmte Phineas zu. “Ohne einen geeigneten Nachfolger, den zu wählen die Magierschaft bereit ist, fällt der Sitz an Mister Hitchens politische Gegner. Angesichts seiner ohnehin schon dünnen Unterstützung im Gamot wird es für ihn schwer, seine Gesetzesentwürfe durchzubringen. Dies gilt selbst dann, wenn Minister Spawin sie unterstützt.” “Darf Mister Hitchens auf Eure Unterstützung hoffen?” Phineas musterte das Glas in seiner Hand, schwenkte es, sodass die kalten Flammen des Whiskys darin tanzten. “Sagen wir es so: Hitchens mag ein gewinnbringendes Lächeln haben und Spitzhüte aus feinster Seide tragen. Am Ende des Tages ist er doch kaum mehr als ein Muggel. Mich zu fragen, ob ich mit ihm arbeiten würde, ist, wie mich zu fragen, ob ich in Hogwarts unterrichten würde.” Greengrass hob seinen Blick von dem Glas zwischen ihnen. Selbst seine vermaledeite Feder hielt inne.  “Es wird nicht passieren. Stonecomb Court, Northumberland   Nach dem toxischen Gemisch des Tropfenden Kessels hätte die klare, kalte Luft Northumberlands eine Wohltat sein sollen.  Sie war es nicht. Frost biss in seinen Lungen. Phineas folgte dem Kratzen in seinem Rachen und hustete, kaum, dass die Apparation ihn aus ihrem Klammergriff entließ. Das Husten machte es nicht besser. Er atmete mehr kalte Luft. Eisiger Wind strich über seine Haut. Erst, als er nach seinem Schal griff und ihn sich tief ins Gesicht zog, wurde es langsam besser.  Während das Stechen zumindest unterhalb seiner Wangen nachließ und das Husten zu einem Krächzen verkam, spürte er, wie Feuchtigkeit durch die dicke Wolle seiner Hose drang und in seine Drachenlederschuhe sickerte. Ein Blick nach unten bestätigte ihm, dass er inmitten einer Schneewehe appariert war.  Auf den zweiten Blick wirkte der Hügel, in dem er beinahe bis zu den Knien versank, merkwürdig gleichmäßig. Ein dünnes Muster zog sich über die Oberfläche, fast so, als seien es fein herausgearbeitete Schup- Phineas stockte. In seinem Augenwinkel konnte er eine Hexe ausmachen, den Zauberstab erhoben und komplett aus Schnee. Skeptisch drehte er sich um. Keine Schneewehe, korrigierte er. Ein Norwegischer Stachelbuckel. Er seufzte schwer. Behutsam zog er erst ein Bein aus dem Schnee, dann das andere. Deutlich weniger behutsam versetzte er dem Drachenschweif einen Tritt. Schnee knirschte unter seinem Schuh. Mühsam in Form gehexte, glitzernde Schneeschuppen stoben in alle Richtungen davon. Die erhoffte Befriedigung blieb aus. Wenn er den Blick auf den Hof richtete, konnte er weitere Skulpturen ausmachen. Schneekobolde. Schneeselkies. Schneeniffler. Dazwischen drei ziemlich schief aufgetürmte Schneemänner. Phineas musste nicht fragen, wer seinen Innenhof in einen winterlichen Skulpturengarten verwandelt hatte. Weder Ursula noch seine Mutter hätten Interesse und Elan genug dafür gehabt und seine Söhne waren für solche Faxen noch zu jung. Nein. Das war die Handschrift von Eduardus’ Brut.  Seine Laune sank, wenn möglich, noch ein wenig tiefer.  Missmutig und immer noch mit einem Kratzen im Rachen, schritt er an dem Norwegischen Stachelbuckel und einem Troll vorbei. Nach dem Schneehauselfen, den er passierte, trat er nur nicht, weil er Victorias Gezeter nahezu hören konnte, wenn er sich den Tritt nur vorstellte. Ihre armen Kinder. So viel Mühe.  Die schweren Eichentüren glitten vor ihm auf und ein Schwall warmer Luft schwappte über ihn hinweg. Dieses Mal war es der Wärmezauber der Eingangshalle, der in seinem Rachen kratzte. Er hustete wieder. Hinter ihm fielen die Türen wie von selbst ins Schloss. Nur ein leises Plopp! kündete davon, dass Sextus sich mitsamt einem goldenen Glasstern zurück an seine eigentliche Arbeit machte.  Die Eingangshalle empfing Phineas mit einer angemessenen Stille. Dicke Girlanden aus Stechpalmenzweigen woben sich vor den Wänden zu Sternschnuppen, Glocken und Eseln. Im Kronleuchter hingen Mistelzweige und das Licht dutzender schwebender Kerzen zeichnete warme Muster auf den Boden. Ein verheißungsvoller Geruch nach gebratener Gans und frischem Gebäck hing in der Luft.  Langsam kehrte die Wärme zurück in seine Finger. Phineas hob die Hand und besah sich jeden einzelnen von ihnen. “Garima.” Die Stechpalmgirlanden verharrten in der Luft. Ursulas Kammerzofe, die er nur in seinem Augenwinkel sehen konnte, ließ die Arme sinken, doch die Zauberreifen an ihren Handgelenken taten nicht einen Laut. Sie trug den traditionellen Sari ihrer Heimat, dessen rote Seide im Kerzenlicht leuchtete. Sein Blick blieb an ihrer Taille hängen. Natürlich wusste Phineas, was ihre Kleidung bedeutete - als hätte er nach dem Norwegischen Stachelbuckel noch einen weiteren Hinweis benötigt. Er knirschte mit den Zähnen. Es waren Gäste im Haus gewesen. Dem Bratengeruch nach zu schließen, waren sie immer noch hier. Garima drehte sich ihm zu und knickste. Über die Verwünschungen, die ihm schon halb auf der Zunge lagen, lächelte sie hinweg. “Mylord Black! Es ist gut, Euch wohlbehalten wiederzusehen”, sprach sie, “doch sagt, ist diese Zornesfalte festgefroren?” “Ist mein Großonkel zugegen?” “Der Herr Eduardus Black, zusammen mit seiner Ehefrau und den drei Kindern, Mylord.” Phineas schnalzte mit der Zunge.  “Dann wird sie es bald sein.”  Ihre Mundwinkel zuckten, doch er konnte den mahnenden Worten, die Garima auf der Zunge lagen, dabei zusehen, wie sie sich formten. Sie ignorierte sein Seufzen. Umsichtig trat sie auf ihn zu. Sie hob die Hand, zwei Finger ausgestreckt. Der Zauberreif an ihrem Handgelenk erstrahlte in einem flüchtigen Blau. Noch im gleichen Moment öffnete sich die oberste Schnalle seines Umhangs. “Ich denke, Ihr seid zu streng, Mylord”, sagte sie schließlich, während sie sich mit routinierten Gesten den übrigen Verschlüssen widmete. “So laut und ungehorsam diese Kinder auch sein mögen, Ihnen wohnt ein gewisser Charme inne. Sie vermögen es sogar, Mylady zu erheitern. Sie ist mit ihnen sogar in den Hof gegangen.” Phineas schloss die Augen. “Sag mir, dass es ihre Kelpies sind.” “Der Stachelbuckel, Mylord.” Stachelbuckel...? Oh bei Salazar Slytherin … Er sah nicht, wie sich die letzte Schnalle löste, doch er spürte, wie sein Umhang sich öffnete und hörte, wie Garima an ihm vorbei trat. Flüchtig legten sich ihre Hände auf seine Schultern, gerade lang genug, um die Verspannungen durch den Stoff zu spüren. Er sah auf und warf der unfertigen Stechpalmenkrippe an der Wand gegenüber einen ungnädigen Blick zu.  “Garima”, sagte er, während sie ihm dabei half, den rechten Ärmel auszuziehen. “So sehr ich deine Kunstfertigkeit auch bewundere: Wo ist Thomas?” Dieser Frage folgte ein bedächtiges Schweigen, unterbrochen nur durch das Rascheln des Wollstoffs, während Phineas auch aus dem zweiten Ärmel schlüpfte. “Die gnädige Witwe, Lady Katharina Black”, antwortete Garima schließlich, da hatte sie längst begonnen, den Mantel zusammenzulegen, “hat beschlossen, den Baum umzudekorieren.” Der Baum. Natürlich. “Und das involviert Thomas aus welchem Grund?” “Jemand muss die Hauselfen anweisen.” “Natürlich”, sagte er. Das Kratzen in seinem Rachen schien als dumpfes Pochen in seinen Kopf zu wandern. Der Baum. Der verdammte Baum.  “Warum dekoriert meine Mutter den Baum um?”, fragte er. “Ich weiß nicht einmal, warum es erforderlich war, einen aufzustellen.” “Weil der Herr Minister einen hat, Mylord. Ganz im Sinne von Ihrer Majestät, Prinz Albert. Möge er in Frieden ruhen.” Noch während sie sprach, trat Garima zurück in sein Blickfeld, sein Umhang als ordentliches Bündel in ihren Armen. Unbekümmert fügte sie hinzu: “Außerdem könnt Ihr ihn verbrennen, sobald das Jahr vorüber ist.” Den leichten Unterton in ihrer Stimme überhörte er nicht, doch er verzichtete, darauf einzugehen. Sollte sie sich eben vorstellen, wie er wie die Wichtel um den brennenden Baum hüpfte und dabei gackerte. Oder an welches fragwürdige Bild auch immer sie gerade dachte. “Das werde ich”, sagte er stattdessen, “und ich werde es genießen.” Sie kicherte leise. “Dabei sind gerade Miss Ophelia Blacks Eiszauber wahrlich vorzüglich, Mylord.” “Habe ich etwa mehr verpasst, als Schneeniffler in meinem Innenhof?” “Ihr meint den Nundu im Garten, Mylord?”, fragte sie unschuldig. “Vielleicht.” Bevor er die dringenden Fragen stellen konnte, die sich daraus ergaben, fügte sie hinzu:  “Der junge Mister Phineas Black hat heute seine Magie gezeigt.” “Oh!”, antwortete er erfreut. “Das freut mich zu hören. Selbst für einen Black ist das ungewöhnlich früh.” “Das ist es, Mylord.” Neugierig musterte er seine Dienerin. Dicke, schwarze Locken umrahmten ihr Gesicht. Weder sie noch ihr liebliches Lächeln täuschten über den Schalk in ihrem Blick hinweg. “Garima.” “Ich fürchte, er hat versucht, seinen Bruder mit einem von Mister Reubens Schneemännern zu erschlagen.” Sie musste gesehen haben, wie ihm die Fassung entglitt, denn noch bevor er sich hätte empören können, hob sie beschwichtigend eine Hand. Die Zauberreifen, die sich um ihr Handgelenk wanden, klirrten ein einziges Mal. Das Bedürfnis, ins obere Stockwerk zu hasten, ließ nach. Statt sich abzuwenden, knirschte Phineas mit den Zähnen. “Garima?” “Es besteht kein Grund zur Sorge, Mylord”, erwiderte sie gelassen. “Es ist nichts geschehen, was ein einfacher Episkey und ein heißer Tee nicht hätten richten können. Zu seiner Ehrenrettung sei gesagt, dass der junge Mister Sirius es darauf angelegt hat, den Zorn seines Bruders zu beschwören.” Wenn seine Dienerin dachte, ihn damit besänftigen zu können … nein. Nein. Vielleicht hätte sie das in dem Jahr getan, als Ursula sie als ihre Kammerzofe mit nach Stonecomb Court gebracht hatte. Heute sicher nicht mehr. Phineas zwang sich dazu, tief durchatmen. “Hat er ihn mit Schnee beworfen?” “Mit Tannenzapfen, fürchte ich. Dabei hat er gerufen, es seien haarige Herzen.” “Erinnere mich daran, Eduardus zu verbieten, ihm noch einmal Märchen vorzulesen. Und seinen Töchtern auch.” Garimas Mundwinkel zuckten. “Jawohl, Mylord”, antwortete sie, doch es war die Pflicht, die aus ihr sprach, nicht die Ehrlichkeit. “Meine Söhne sind zurück in ihrer Kinderstube? Ist Lizzie bei ihnen?” “Nein. Mylady hat sie nach Hause geschickt, damit sie mit ihren Eltern feiern kann. Mylady ist selbst bei den Knaben.” “Wenn Ursula bei den Kindern ist, wer beschäftigt die Gäste?” “Eure Schwester, Mylord.” “Iola?” Einen Moment lang stellte er sich die Szene vor, Eduardus’ Brut am Piano Forte, seine Mutter vor dem Baum, Thomas anweisend, sein Großonkel selbst im Feuerschein des Kamins, Iola neben ihm und fixe Ideen über Wahlrecht, Minister Spawin und die neueste Technik der Muggel zwischen ihnen. Beinahe war es ihm, als klänge The Holly and the Ivy durch die geschlossene Türe bis in die Eingangshalle. Als hörte er das Geschwätz über Züge, sich bewegende Fotografien, Glühbirnen. “Nein, Mylord. Miss Iola Black ist noch nicht zurück”, unterbrach Garima seine Gedanken und zum ersten Mal seit Wochen war er froh, dass er Iolas Anstellung als Schreibkraft im Zaubereiministerium gebilligt hatte.  “Miss Elladora Black ist heute Mittag mit dem Portschlüssel aus Amsterdam angereist, Mylord.” Die Erleichterung verließ ihn mit einem erstickten Seufzer. Oh Grundgütiger. Elladora. Phineas wünschte, er hätte im Tropfenden Kessel mehr als nur den Feuerwhisky zur Höflichkeit getrunken. “Wo ist Mycroft? Weist er auch diese unglückseligen Elfen an, glitzernde Tannenzapfen von einem Zweig zum anderen zu hängen?” “Mister Morris serviert den billigen Wein, Mylord.” Phineas atmete auf. Wenigstens auf einen seiner Diener war Verlass. Er vertraute inständig darauf, dass der alte Butler diesen bulgarischen Sauvignon Blanc ausgewählt hatte. Oder, besser noch, diesen schrecklichen Fehlkauf aus dem deutschen Reich. Mainz? Meißen? Egal. Es blieb zu hoffen, dass es genügte, um Eduardus die Geschmackssinne gleich mitsamt seinem ungebührlichen Durst zu vertrocknen. “Gut. Richte ihm aus, dass ich gedenke, dieses Dinner hinter mich zu bringen, noch bevor dieses vermaledeite Weinregal leer ist. Wir tafeln auf, sobald der Braten aus dem Ofen ist.” “Jawohl, Mylord.” “Und sag Thomas, er möge aufhören, mit den Elfen zu spielen. Der Braten trägt sich nicht von allein.” Garima nickte. “Soll ich Mylady Black benachrichtigen, Mylord?” Phineas schüttelte den Kopf. “Das wird nicht nötig sein.” Auffordernd streckte er die Hand aus. Garima gehorchte und überreichte ihm seinen Umhang. “Doch wenn dir ein Zauber einfällt, mit dem man einen Mann in einen Schneeniffler verwandeln kann…”   Stonecomb Court, Northumberland   Drei Transfigurationsformeln (jedoch keine für Schneeniffler) später trennten sich ihre Wege. Die wichtigsten Instruktionen hatte er erteilt und wenn Phineas ehrlich mit sich selbst war, brachte ihn die Verwandlung eines Menschen in einen Languren nicht weiter. Nicht einmal, wenn besagter Mensch gerade dabei war, seinen sorgsam eingerichteten Weinkeller zu leeren. Zu flinkes Ergebnis, zu viele Zeugen, zu wertvoll das Porzellan im Speisezimmer. Während er die geschlossenen Doppeltüren des Speisesaals passierte, fasste er den Entschluss, sich den Zauber dennoch zu merken. Für Eduardus. Für Malfoy. Für später. Durch das schwere Eichenholz drangen Stimmen, Gesang, eine Violine. Eduardus’ dumpfer Bass schnitt durch die lieblichen Klänge von Un flambeau, Jeannette, Isabelle. “In Birmingham”, hörte Phineas ihn sagen, und “Forderungen der Union”, doch er hielt nicht inne, um seiner Argumentation zu folgen. Er kannte die Debatte, aus dem Gamot und aus dem Salon der Fawleys, und Eduardus erweiterte sie schon seit Monaten nur noch um Wörter, nicht jedoch um Relevanz. Mit bedächtigen Schritten betrat er die Treppe in die oberen Stockwerke. Die Worte wurden undeutlicher, die Violine dünner, bis beides schließlich gänzlich verstummte. Stille umfing ihn, als er die Galerie im ersten Stock betrat. Selbst die Portraits, die den Gang zu beiden Seiten säumten, schwiegen. Nur vage war er sich den Blicken seines Vaters und dessen Vaters bewusst, als er an ihnen vorüber trat. Er suchte kein Gespräch. Erst auf Höhe der Kinderstube blieb Phineas stehen. Ohne dem der Tür gegenüberliegenden Portrait einen Blick zu schenken, fasste er nach der Klinke. Der Raum empfing ihn mit Dunkelheit. Der Kerzenständer auf einer der Kommoden spendete gerade ausreichend Licht, um die nötigsten Silhouetten zu umfassen. Die Konturen eines niedrigen Tischchen, sorgfältig mit einem Weihnachtsgesteck dekoriert, zeichneten sich unter dem Lichtschein ab, ebenso die Schränke und die drei Betten. Ursulas schmale Gestalt, wie sie neben dem Bett ihres Jüngsten saß, schluckten die Schatten. Bedächtig schloss Phineas die Tür. Garima sagte, Ihr wäret draußen gewesen. Die Worte waren einfach. Der Norwegische Stachelbuckel ist beeindruckend. Sie lagen ihm auf der Zunge. Wie geht es dir? Seine Lippen bewegten sich nicht. “Ist es schon so spät?”, fragte Ursula. Sie rührte sich nicht. Phineas räusperte sich. “Ich bin mir sicher, Ihr seid Eures Großonkels jetzt schon überdrüssig.” “Nein.” Das Wort schmeckte schal auf seinen Lippen. Langsam trat er in den Raum. Während er das Tischchen umrundete, blickte er zu seinen beiden Söhnen. Beide schliefen tief, Sirius über sein gesamtes Bett ausgestreckt wie eine Katze, Phineas wie eine unscheinbare Kugel unter seiner Decke. Hinter Ursula blieb er stehen. Aus der Nähe betrachtet tanzte das Licht des Kerzenständers auf ihren dunklen Locken.  “Wobei”, fügte er hinzu. “wem mache ich etwas vor? Ja. Ihr wisst, ich bin ihm immer überdrüssig.” “Es tut mir leid.” Phineas legte die Hände auf ihre Schultern. Sachte strich er mit seinen Daumen über ihre Halsbeuge. Sie lehnte sich in die Berührung. “Nicht doch.” “Ich hätte verhindern sollen, dass er sich zum Dinner einlädt.” “Niemand kann verhindern, dass er sich zum Dinner einlädt, meine liebe Lady Black.” Er hauchte ihr einen Kuss auf den Scheitel.  “Es wäre dennoch meine Pflicht gewesen, es zu versuchen. Stattdessen sitze ich hier und…” “Wir sollten hier bleiben.” Ursula lehnte Ihren Kopf nach hinten, bis sie seine Brust berührte. Sie blickte zu ihm auf. Sie zog die Augenbrauen hoch, wie sie es mit achtzehn getan hatte. “Eure Mutter würde furios sein.” “Mit dem Zorn meiner Mutter habe ich mich abgefunden, als ich um Eure Hand anhielt, meine Liebe.” “Euer Großonkel wird Euren Weinkeller leertrinken.” Phineas schloss die Augen. Er seufzte. “Damit hat sich bereits mein Vater abgefunden.” Ursula lachte leise. “Ich frage mich immer, wie jemand sich damit abfinden könnte, selbst ohne Euren Groll.” “Nicht nur Ihr”, sagte er. “Ich habe Mycroft aufgetragen, den Braten aufzutragen.” “Ein Grund mehr, aus dem ich unten sein sollte. Wir unten sein sollten.” Unter seinen Fingerspitzen spannten sich ihre Schultern an, doch Ursula erhob sich nicht.  “Ich weiß.” Ursulas Kopf lag warm an seiner Brust. Bedächtig strich er eine wirre Strähne aus ihrem Nacken, ließ die Hände schließlich von ihren Schultern und über ihre Brust gleiten, um sie an sich zu ziehen.  “Ich fürchte, ich bin in den Stachelbuckel appariert”, gestand er leise. “Oh nein.” “Ich fürchte, ich habe auch nach ihm getreten.” Phineas öffnete die Augen, um Blickkontakt zu suchen. Zu seiner Überraschung erwiderte Ursula ihn, mit geschürzten Lippen. Er erinnerte sich an diesen Blick. Während ihrer Schulzeit war dieser Blick ein gewohntes Ritual zwischen ihnen gewesen. Er hatte ihn begleitet, als Phineas den Niffler aus dem Tierwesenunterricht in den Gemeinschaftsraum geschmuggelt hatte und auch, nachdem er Godfrey Montague in das Kabinett im dritten Stock geklebt hatte. Selbst, als er ihr eröffnete, dass sein Vater Miss Rebecca Lestrange für eine angemessene Partie hielt.  Er hatte diesen Blick vermisst. “Phineas.” Er atmete durch. “Wenn sie Euch aufzumuntern wissen, bin ich bereit, Eduardus’ Quälgeister zu tolerieren.” Ursula schüttelte den Kopf.  Sie lachte leise. “Ich bin mir sicher, Ihr werdet diese Entscheidung noch bereuen. Dennoch ...” Sie blickte auf. “Danke.” Phineas beugte sich zu ihr hinab, um sie küssen können. Die Berührung federleicht. “Immer.”  In seinem Augenwinkel sah er, wie Ursula die Hände hob. Einen Augenblick später spürte er, wie ihre Finger über seine Wangen strichen. Er folgte ihrer Aufforderung, ihrer Bewegung. Ihre Lippen berührt sich erneut, länger dieses Mal, weniger flüchtig, weniger unsicher. Ursula erwiderte die Geste. Sie verharrten einen langen Moment. Es war schließlich Ursula, die sich als erstes rührte. Er folgte auch dieser Bewegung, hob seinen Kopf dieses Mal, schloss den Blickkontakt. “Bereit, Euch den Drachen zu stellen?”, fragte er leise. Ein dünnes Lächeln spielte in ihren Mundwinkeln. “Nein. Ihr?” “Nein.” Sie hob die Hand ein letztes Mal, stupste gegen seine Nasenspitze.  “Wunderbar. Dann lasst uns gehen.” Ursula ließ die Hand sinken und Phineas trat zurück. Er verbeugte sich leicht und reichte ihr den Arm. Immer noch lächelnd ließ sie sich von ihm aus dem Raum führen. Als Phineas die Tür öffnete, fiel sein Blick auf das Portrait gegenüber der Tür. Dieses Mal gelang es ihm nicht, den Blick abzuwenden. Der Bewohner des Bildes war anwesend. Der Junge saß auf seinem hohen Lehnstuhl, den Kopf auf eine Hand gestützt, Vaters Zauberstab in den Händen. Sein Haar war heller, als das von Phineas’, und seine Augen dunkler, sein Blick selbstsicher. Arrogant. Gelangweilt. Sirius. Er spürte, wie Ursula seinen Oberarm berührte. Sie musterte den Jungen auch. “Heute Nachmittag ist ein Brief von Iola gekommen”, hörte er sie sagen, ohne dass er es vermocht hätte, seinen Blick von dem Portrait abzuwenden. “Ein Brief?”, fragte er. “Sie sollte längst von ihrer Arbeit zurück sein.” “Es ist zweifellos seltsam. Ich habe ihn Euch in die Bibliothek bringen lassen. Was auch immer sie Euch schreibt, ich denke, Ihr solltet es lesen, bevor wir versuchen, Euren Weinkeller zu retten.” “Ja”, antwortete Phineas, den Blick immer noch auf dem Portrait. Mühsam schüttelte er den Kopf, doch der schale Geschmack, der sich beim Anblick seines Bruders auf seiner Zunge ausgebreitet hatte, blieb. Er wandte sich ab. “Ja, Ihr habt sicher recht.”   Stonecomb Court, Northumberland   “Septimus!” Der Elf erschien mit einem leisen Plopp. Er verneigte sich so tief, dass seine Ohren den Teppich berührten. Mit ihm verneigte sich eine goldene Kugel.  “Mylord Black.” Phineas warf dem Elf mitsamt seinem glitzernden Anhängsel einen skeptischen Blick zu. Nein. Nein, entschied er, er würde nicht fragen. “Licht, Septimus.”  Er wandte sich ab, noch während er sprach. Ohne dem Elfen oder den Bücherregalen, die sich im Licht der aufleuchtenden Kerzen manifestierten, Beachtung zu schenken, schritt Phineas durch den Raum. Vor einem wuchtigen Schreibtisch aus Mahagoni blieb er stehen. Während unter der Magie des Elfen der Kerzenhalter zu flackerndem Leben erwachte, betrachtete Phineas das Sammelsurium aus Arbeitsmaterial und Erbstücken. Bereits sein Vater hatte an diesem Tisch gearbeitet. Sein Blick glitt über Pergamentbögen, die steinerne Vase, in die jemand frische Tannenzweige gestellt hatte, und die drei Bände des Magischen Kodex des Wizengamots. Secundus musste aufgeräumt haben. Beiläufig griff Phineas nach der Vase und rückte sie auf die andere Seite des Schreibtisches. Erst dann fasste er nach den Briefen, die man ihm sorgsam neben dem Becher mit den Federkielen aufgestapelt hatte.  “Septimus”, sagte er, während er durch die Umschläge und Karten blätterte. Weihnachtsgrüße des Ministers. Eine Visitenkarte von der ehrenwerten Lady Lestrange, zudem Karten von Mrs. Olive Parkinson und Mr. Lucius C. Malfoy. Elladoras Nachricht aus Amsterdam. Ein Umschlag, auf den jemand in schwungvollen Lettern seinen Namen geschrieben hatte.  Iola. “Sei so gut und”, sein Blick fiel auf den Baumschmuck, den der Elf noch immer treu ergeben mit sich trug, “hänge diese Kugel zurück in den Salon. Es ist mir gleich, welchen Zweig du wählst, und wenn du ihn an die Röcke meiner Mutter hängst, soll es mir auch recht sein. Geh danach in die Kinderstube und achte darauf, dass meine Söhne schlafen und sich nicht daran erinnern, dass man nicht nur Tannenzapfen nacheinander hexen kann.” Septimus sah ihn mit großen Augen an. Die Vorstellung, die gnädige Witwe Lady Katharina Black in einen Weihnachtsbaum zu verwandeln, spiegelte sich in seinen Pupillen. Der Elf wirkte nicht halb so erpicht darauf, wie Phineas sich gerade fühlte. Er verneigte sich dennoch. “Sehr wohl, Mylord!”, sagte er und verschwand.  Phineas warf die Visitenkarten in das dafür bereitstehende Schälchen und die Briefe aufs Pergament. Nur Iolas Schreiben behielt er in den Händen. Einen Moment lang musterte er die geschwungenen Lettern. Seine Schwester sollte längst zum Dinner zurück sein. An den ehrenwerten Lord Black Er strich über das Wachs, das den Brief verschloss. Kein Wappen war darin eingeprägt, nicht das der Blacks, nicht einmal das des Ministeriums. “Iola … Was machst du nur?” Mit fahrigen Fingern griff Phineas nach seinem Brieföffner und brach das Siegel. Im Inneren fand er einen sorgsam gefalteten Bogen Pergament.   Mylord Black, mein lieber Bruder,   ich bin mir bewusst, wie befremdlich es Euch erscheinen muss, dass Ihr an diesem Abend nur diesen Brief in Euren Händen haltet, nicht jedoch Eure Schwester. Mir selbst ist es auch noch immer ein befremdlicher Gedanke. Fürwahr habe ich mich die letzten Tage gefragt, ob es so sein muss. Ob es einen anderen Weg geben kann, eine andere Geschichte. Vielleicht gäbe es sie tatsächlich; wäre dies ein anderer Ort, eine andere Zeit. Doch so, wie es ist, so wie wir sind, stolz und entschlossen in allem, was wir tun, sehe ich keine Möglichkeit. Der Ehrgeiz unserer Familie mag unser Schicksal und unsere Größe sein, doch er eint uns nur unter dem gemeinsamen Ziel und nur, bis er uns trennt. Ich weiß, dass es Euch schmerzen muss; weiß, dass es Euch vorkommen muss, wie ein Verrat. Ein Verrat zudem ausgerechnet von Eurer lieben, kleinen Schwester, die Ihr noch vor kurzer Zeit jedes Jahr nach Hogwarts verabschiedet habt. Eurer Schwester, die Ihr im darauffolgenden Sommer jedes Jahr aufs Neue willkommen geheißen habt, mit all ihren wilden Erzählungen über heimliche Ausflüge nach Hogsmeade, Molchaugen und Poesie.  Bitte seid Euch bewusst, dass ich Euch für immer dankbar sein werde, für alles. Es schmerzt mich, dass ich Euch diese Dankbarkeit so schmählich zurückzuzahlen weiß. Ich wünschte, es gäbe einen anderen Weg; doch ich sehe keinen. Zu unvereinbar sind meine Wünsche und die Euren. Ich weiß, dass Ihr mir Eure Zustimmung in dieser Sache niemals geben werden. Und so ist das Unsagbare, das Undenkbare, wenn Ihr diese Zeilen lest, bereits getan. Am heutigen Morgen habe ich Robert Hitchens meine Hand gegeben. Ich möchte Euch nicht um Vergebung bitten. Auch erwarte ich Eure Zustimmung nicht.  Wenn sich unsere Wege heute trennen, so werde ich es ertragen. Ich möchte nur, dass Ihr wisst, dass ich euch als meinen lieben Bruder im Herzen behalten werde.   Eure Euch liebende Schwester,   Iola.   Das Pergament knisterte unter seinem Daumen. Phineas starrte auf die Seite, bis die Buchstaben vor seinem Auge verschwammen. Er suchte nach dem Sinn; in den Worten seiner Schwester, in dem Gespräch mit Greengrass nur wenige Stunden zuvor, in sich selbst und darüber hinaus. Er fand keinen. Ein leises Klopfen schreckte ihn auf. Am anderen Ende der Bibliothek konnte er eine Silhouette ausmachen, die weder seiner Ursula noch seiner Schwester gehörte. Dafür war sie zu gedrungen, zu plump, ihre Schritte zu schwer. Eduardus. Phineas hatte nicht gehört, wie der andere Mann die Tür geöffnet hatte, und auch nicht, wie er sie schloss. Mit jedem Schritt, den sein Großonkel näher trat, zeichnete das Licht der Kerzen seine Formen genauer, fielen mehr Details an den für sie vorgesehenen Platz: Der Glanz seines Seidenumhangs, die blackschen Locken, die selbst in seinen Bart krochen, der Grund für seine Anwesenheit. “Raus.” “Entschuldigung?” In Eduardus’ Mundwinkeln spielte ein Lächeln, das Phineas bereits aus unzähligen Weinkellerdiskussionen kannte. Es war nicht echt. “Raus.” “Ich komme, um mit Euch zu sprechen.” Weder mit Rücksicht auf den Brief noch auf die Etikette, schlug Phineas auf den Tisch. Das Pergament zerknitterte unter seinen Fingern, doch er registrierte es kaum. “Verschwindet aus meinem Haus!” Eduardus schrak nicht zusammen. Er zuckte nicht einmal zurück. Stattdessen blieb er mitsamt seinem gottverdammten Lächeln vor dem Schreibtisch stehen. Immerhin besaß er den Anstand, oder zumindest die weise Voraussicht, sich nicht zu setzen. Es war sein Blick zu dem Brief unter Phineas Fingern, der ihn verriet.  “Mein lieber Neffe”, sagte er. Aus der Nähe betrachtet wirkte er erschreckend nüchtern. “Ich weiß nicht, was Euch so erregt, doch ich bin mir sicher, es lässt sich alles zu unser aller Zufriedenheit klären.” Phineas starrte über den Tisch hinweg. Eduardus starrte zurück. Das Bedürfnis, seinen Großonkel in einen Languren zu verwandeln, verminderte sich nicht, doch es kühlte ab. Statt in seinen Fingerspitzen zu brodeln, sickerte es in den Teil seines Verstandes, der bereits die nächsten Schritte plante. Ein Langur auf seinem Schreibtisch war eine furchtbare Idee. Klüger war es, zu warten, bis er ihn auf den Flur gehext hatte. “Bei allem Respekt, Eduardus, Ihr wart schon immer besser darin, Euch selbst zum Narren zu halten.” “Ich halte mich nicht zum Narren, mein lieber Junge.” “Gewiss”, sagte Phineas. “Nicht Euch, sondern mich.” Das Lächeln in Eduardus’ Mundwinkeln bröckelte. “Zum ersten Mal, seit ich der Herr dieses Hauses bin, wünschte ich, Ihr wäret wegen des Dinners hier.” Eduardus griff nach dem Besucherstuhl. Locker stützte er sich auf die hintere Lehne. Mit der lässigen Unverfrorenheit eines Blacks warf er einen Blick auf seine Taschenuhr. “Ich bin wegen des Dinners hier. Elladora hat darauf bestanden. Und ich muss gestehen, der Braten duftet bereits jetzt phantastisch. Ich wüsste nicht, wie ich ihre Bitte hätte ausschlagen können.” “Belastet meine Schwester nicht mit Euren Taten. Es wird kaum der Braten sein, der Euch in meine Bibliothek treibt, befindet sich die Küche doch im Erdgeschoss. Nein, mein lieber Großonkel. Vielleicht zum ersten Mal in unser beider Leben ist das Dinner nur das Dessert. Und Ihr werdet gehen, bevor die Elfen es servieren.” Sein Gegenüber zog die Augenbrauen hoch. Sein Mundwinkel zuckte, doch bevor er sprach, trat er um den Stuhl herum. Mit einem Ächzen ließ er sich darauf fallen. “Ich fürchte, ich kann Euch nicht folgen, mein lieber Phineas.” Phineas stützte sich auf die Tischplatte. “Ihr”, er deutete auf seinen Großonkel, “seid hier, um die Wogen zu glätten. Doch dieses Mal erntet Ihr den Sturm, den Ihr sät. Sagt, wart ihr es, der meiner Schwester diese Flausen in den Kopf gesetzt hat oder unterstützt Ihr sie nur?” Ihm Gegenüber zuckte Eduardus mit den Schultern. Phineas knirschte mit den Zähnen. “Wie könnte ich zwei Liebende nicht unterstützen?” “Es ist keine Liebe!” Statt sofort zu antworten, griff Eduardus nach einem der Federkiele. Versonnen drehte er die Feder in seinen Fingern. Im Licht des Kerzenständers schimmerte sie golden. Als er einsehen musste, dass Phineas darauf wartete, dass er ihm widersprach, sagte er schließlich: “Es war Liebe, als ich Eure Schwester zuletzt dazu befragte. Was sollte eine Heirat auch sonst sein, wenn nicht das innige Versprechen zweier füreinander bestimmter Seelen, sich immer zu ehren und zu lieben, bis dass der Tod sie scheidet?” Phineas unterdrückte ein Schnauben. “Aus Eurem Mund klingt es beinahe romantisch.” “Ist es das denn nicht?” “Nein.” Phineas nahm den Blick von der Feder zwischen ihnen und sah Eduardus in die Augen. “Wäre es Liebe, nur Liebe, ich wäre kaum in einer angemessenen Position, mir darüber ein Urteil zu erlauben. Wäre es Liebe allein, ich würde diesen Mann mit offenen Armen, wenn auch nicht mit offenem Herzen meinen Bruder nennen. Doch es ist keine Liebe. Es ist Politik.” “Politik!” Eduardus sah ihn an, als sei ihm das Konzept völlig fremd. “Mein lieber Neffe, wie kommt Ihr darauf? Doch nicht nur, weil Ihre Wahl auf Mister Hitchens gefallen ist?” “Weil Sie meinen politischen Selbstmord als Mitgift in diese Ehe bringt!” “Euren politischen Selbstmord! Mein lieber Neffe, Eure Worte sind ungeheuerlich!” “Dennoch sind sie wahr. Sagt mir, wenn es nur Liebe ist, welche Wahl habe ich? Wie könnte ich Mister Hitchens in meiner Familie akzeptieren, ohne nicht auch die damit einhergehende Verantwortung zu akzeptieren? Ich wäre ein furchtbarer Mann, würde ich ihn nicht mit all meinem Geschick und Können in seinen Bestrebungen unterstützen. Doch was, mein lieber Onkel, würde mich dies Kosten, wenn nicht meine Interessen im Gamot und die Versprechen meiner politischen Verbündeten? Nein. Nein, ich kann ihn nicht akzeptieren, nicht ohne meinen Ruf zu verlieren. Ich kann ihn nicht akzeptieren, ihn nicht und sie nicht. Doch was gewinne ich dadurch? Nur die Feindschaft meiner lieben kleinen Schwester, Elladoras Groll und den seiner politischen Freunde. Nein, Eduardus. Dies ist boshafte Entscheidung; sie schadet mir in jedem Falle. Ihr hättet Iola niemals Eure Zustimmung geben dürfen.” Ihm Gegenüber nickte Eduardus gewichtig. “Ich versichere Euch, diese Entscheidung wurde ohne mein Wort getroffen, mein lieber Neffe. Ich möchte Euch nur darum bitten, hört diese beiden jungen Menschen an.” “Sagt mir nur eins. Ist dies die letzte Torheit meiner Schwester oder hat sie auch vor, für Warwickshire zu kandidieren? Sie könnte es sehr wohl, wenn sie nach Birmingham zieht. Angesicht ihrer aktuellen Stellung im Ministeriums und seiner Unterstützer in der Grafschaft … Ihre einzige Konkurrenz wäre Mister Alaric Parkinson und machen wir uns nichts vor. Mister Parkinson glänzte schon während seiner Schulzeit vor allem dann, wenn es keine nennenswerte Konkurrenz gab.” Eduardus erwiderte seinen Blick. Er öffnete den Mund, zuckte dann jedoch nur mit den Achseln. “Ich bin nicht der richtige Mann, um Euch diese Frage zu beantworten.” Phineas verstand. “Raus.” “Mein Neffe. Mylord Black.” Eduardus leckte sich über die Lippen. “Phineas.” “Wenn Euren Knochen nur ein wenig Anstand innewohnt, geht. Verschwindet. Ich ertrage Euch nicht.”  Eduardus sah ihn lange an. Er leckte sich über die Lippen. Die Worte, die ihm auf der Zunge lagen, waren selbst für Phineas beinahe greifbar, doch er schwieg. Bedächtig steckte er die Felder zurück in ihren Becher. Schließlich stand er auf. Mit schweren Schritten verließ er die Bibliothek. Phineas sah ihm nicht nach. Sein Blick glitt über den Schreibtisch, über die Vase mit ihren Tannenzweigen und das halbe Dutzend bunter Federkiele. An einem dünnen Blatt blieb er hängen. Es war kein Pergament. Die Beschaffenheit erinnerte ihn an die neumodischen Kartons, die sie ihm im Gamot von Zeit zu Zeit aufnötigten. Vielleicht hatte es deshalb seine unsanfte Behandlung von zuvor unbeschadet überstanden, vielleicht war es auch vorher aus dem Umschlag gefallen. In raumgreifenden Schwüngen hatte Iolas Hand Mr und Mrs Robert Hitchens darauf geschrieben.  Missmutig griff er nach dem Blatt und drehte es um. Statt auf eine weiße Rückseite starrte er auf ein Bild. Es war weder eine Malerei noch eine Zeichnung, doch Phineas hätte nicht sagen können, womit es stattdessen angefertigt worden war. Es zeigte Iola in einem raumgreifenden, weißen Kleid, zusammen mit einem Mann, von dem er gehofft hatte, er würde ihn nur im Gamot sehen. Die Kopfschmerzen, die sich bereits mit den Schneenifflern hinter seinen Schläfen eingenistet hatten, pochten unbeeindruckt. Er starrte das Bild nieder, bis es sich in seine Netzhaut brannte und ihm die Augen tränten. “Hasst Ihr sie nun?”, drang Ursulas Stimme von der Tür zu ihm. Phineas rieb sich mit der freien Hand über die Augen. “Vielleicht.” Er zuckte mit den Schultern. “Ich hasse Sirius.” “Sirius? Aber ist schon vor Jahren …” “Eben deshalb. Es hätte sein Problem sein sollen.” Doch es war nicht mehr sein Problem. Es war Phineas Problem und er wusste keine Lösung. Und Iola?  Sein Blick glitt zurück zu dem Hochzeitsbild. Iola lächelte.   Epilog: -------- Westfield Road, Edgbaston (Birmingham)   Weihnachten kam mit Schnee und einer Flut von Post. Selbst in ihr bestes Morgenkleid - ein wundervolles Stück aus blauer Wolle, das Septimus ihr am Morgen zuvor nach Edgbaston gebracht hatte - und unter einem guten Wärmezauber fühlte Iola sich kalt. Sie saß im Frühstückszimmer und griff abwechselnd nach ihrem Frühstück und nach den Briefen und Karten, die ihre Kammerzofe Lydia ihr gebracht hatte. Weder das eine noch das andere nahm sie wirklich wahr. Der Toast war längst kalt und schmeckte schal, die Schreiben überflog sie nur. Mrs Jones entrichtete ihre Grüße und so taten es auch Mrs Haywood und die beiden Misses Prewett. Mrs Fenwick lud zum Tee. Letztere kannte sie nicht einmal vom Namen her. Mrs Lestrange hingegen schwieg und dasselbe galt für ihre Schwägerin Miss Rowena. Auch von Miss Hesperia Yaxley hatte sie bislang keine Antwort erhalten. Würde sie vielleicht nie erhalten. Missmutig biss Iola in ihren Toast. Mit der freien Hand griff sie nach der nächsten Karte. Seidenspitze umfasste die Ränder und das Wappen der Malfoys leuchtete ihr entgegen. Doch das glänzende Kärtchen zierte nicht, wie erwartet, der Namenszug der Lady des Hauses oder der ihres Mannes, sondern der ihres ältesten Sohnes. Mr Lucius Cassian Malfoy, verkündete das Kärtchen in strengen, silbergrauen Lettern.  Natürlich, Cassian.  Der Mann, von dem ihre Mutter erwartet hatte, dass sie ihn heiraten würde. Der Mann auch, der genauso viel Interesse an einer gemeinsamen Ehe gehabt hatte, wie sie selbst. Iola schnaubte, während sie die Glückwünsche auf der Rückseite der Karte las. Immerhin ein Reinblut hatte sie mit ihrer Hochzeit offenbar begeistert. “Schreiben von Hiob?” “Jeder außer Hiob”, sagte sie und riss sich von Cassians Kärtchen los. Mit bedächtigen Schritten betrat Robert das Zimmer. Sie beobachtete ihn dabei, wie er die Landschaftsmalereien, die sie ausgesucht hatte, betrachtete. Im Vorbeigehen strich er mit den Fingern seiner linken Hand über die Rückenlehnen all der leeren Stühle, die den Esstisch umsäumten. Der Raum war selbst für ihn noch neu, auch wenn er die Miete für ihr Haus schon vor Monaten vereinbart hatte. Sicher sah selbst er ihn heute das erste Mal vollständig eingeräumt.  “Es erscheint mir mein ganz persönliches Sodom und Gomorra. Es sind so viele! Sicher kenne ich nicht einmal die Hälfte  dieser Hexen und Magiern ...” Neben ihr blieb er stehen. Das Licht ihres Kerzenhalters warf einen warmen Schein auf seine bronzefarbene Haut. Bedächtig griff er nach einem der Kärtchen. “Und dann sind da noch die Einladungen zum Tee, hm?” Iola lachte erstickt. “Es sind sieben! Allein für die nächsten Tage!” Bob legte Mrs Fenwicks Kärtchen zurück. Langsam strichen seine Finger über die anderen Schreiben, über den Tisch, schließlich über Iolas Hand. Sie entließ Malfoys Visitenkarte aus ihrem Griff, um ihre Hand zu öffnen. Schweigend beobachtete sie seine Finger dabei, wie sie die Linien auf ihrer Handfläche nachzeichneten. Spürte es auch; die Berührungen federleicht und doch so deutlich, dass jede von ihnen einen leichten Schauer über ihre Hand gleiten ließ. “Gebt ihnen diese Tage, meine liebe Mrs Hitchens. Sie finden bald neue Themen. Unsere Flitterwochen werden ihnen sicher den nötigen Abstand geben.” Iola spürte seine Wärme in ihrem Rücken. Ein seltsames Gefühl, hatte sie diese vertraute Gemeinschaft doch bislang nur mit ihren Geschwistern geteilt, doch es gefiel ihr. “Vielleicht hätten wir doch sofort nach Rom aufbrechen sollen.” Bob legte seine Hand auf die ihre. “Fürchtet Ihr, dass uns mehr Dinge finden, als nur ein paar Visitenkarten mit besonders vielen Rüschen?” Iola verschränkte ihre Finger mit den seinen. Sie nickte.  “Er hat nicht geschrieben. Weder er noch Mutter. Ich weiß nur, dass er Eduardus aus dem Haus geworfen hat.” “Nach allem, was ich über Eure Familie gehört habe, wirft er Eduardus jeden zweiten Monat aus dem Haus.” “Aus dem Weinkeller.” “Sei es, wie es sei”, sagte er und trat neben sie, um sie ansehen zu können. “Meine liebe Iola. Ich bin mit fünf Brüdern aufgewachsen, die in mir selten mehr gesehen haben als einen Teejungen.” “Ihr kratzt?” Er schenkte ihr ein breites Lächeln. “Ich beiße auch.” Iola lachte. “Mein Bruder kennt die schrecklichsten Klebeflüche von ganz England.” “Ich dachte, diese hättet ihr perfektioniert.” “Er ist ein guter Lehrer.” “Nun, dann sollte er wissen, dass mich kein Reinigungszauber mehr zu lösen vermag.” Bob drückte ihre Hand. “Er ist nicht nur Euer Lehrer, er ist auch Euer Bruder und als solcher wird er sich mit unserer Entscheidung abfinden. Und wenn nicht ...” “Kleben wir Ihn an seinen Lehnstuhl im Gamot?” “Ich dachte an Hogwarts.” Iola schüttelte den Kopf. Sie lächelte.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)