Draculas Kinder von Elnaro ================================================================================ Kapitel 1: Inzest ----------------- Die Abscheu in den Augen meiner hoch geschätzten und einzigen Tochter spiegelte die Erinnerung an die verurteilenden Blicke dieser menschlichen Narren nach meiner Wiedererstehung. Vierhundert Jahre waren seither verstrichen. Dankbar nahm ich seiner Zeit die Jungfrauen entgegen, die mir diese menschlichen Fanatiker als Opfer darboten, doch ich tat etwas weitaus Grausameres mit ihnen, als sie es erwarteten. Das Gemetzel gestaltete sich zu einem wahren Fest und doch lag es nicht an ihnen, den Schock ihres Lebens zu verkraften. Die Erkenntnis, der letzte Lebende der Septem Lamiae zu sein, schmerzte unermesslich mir in meinem seit eben erst wieder schlagendem Herzen. Ich spürte, dass kein anderer der sieben großen Urvampire noch in dieser Welt existierte und doch hatte unsere Sippe überdauert. Degenerierte Brüder und Schwestern, ihren schwachen Gerüchen zufolge Nachfahren von Constantin und Natalia, wandelten über diese verdorbene Erde, die in ihrer kulturellen Entwicklung einen Schritt in die verkehrte Richtung getan hatte. Von den anderen Urvampiren Richard, Phelia, Valentin und Yanhje fehlte jedwede Spur. Mir schien, als seien sie vollständig ausgelöscht worden. Ich, Dracula, war der Einzige, der sich an der Kirche für dieses Unrecht rächen konnte und so geschah es auch. Der Krieg war gewonnen und ich von meiner Aufgabe entbunden. Wir befanden uns in unserer Palastresidenz im walachischen Argisch, die Menschen schrieben das Jahr 1877. Wie seit ewigen Zeiten herrschten sie über den Tag, während wir die Nacht regierten, nach dem Krieg wieder im Verborgenen. Geführt an der Hand ihres Bruders, meinem Erstgeborenen David-Richard, betrat meine liebliche Tochter Magret-Natalia meinen von Kerzen beleuchteten güldenen Thronsaal, in welchem ich bereits auf die beiden wartete. Die neue Mutter unseres Volkes wie ein kleines Mädchen zu behandeln, brachte nur einmal mehr zum Ausdruck, dass mein Erster unerklärlicherweise zu einem visionslosen Mann verkommen war. Nicht einmal zum Kinderdienst war er zu gebrauchen. Er sollte sich mit seinen 350 Jahren endlich selbst Weib und Kinder anschaffen, denn hoffnungsvollerweise war mit seinen Abkömmlingen mehr anzufangen als mit ihm. Mein Ältester war zugleich zu sehr und zu wenig wie ich selbst. Auf dem Schlachtfeld bewies er größten Nutzen, damals, als ich noch Kriege auf dem Felde ausstritt, doch diese Tage waren längst gezählt. Nun galt es, die Kunst der Eloquenz, des feinen Benehmens und der Diplomatie zu beherrschen, Disziplinen, in denen er mit Pauken und Trompeten durchfiel, ganz anders als mein zweiter Sohn Victor-Constantin. Schon in frühen Jahren entwickelte er ein Gespür für das, was er den Vampiradel nannte. Es brachte mich stets zum Schmunzeln, wenn sich diese vermeintlich noblen Schwätzer als reinblütig bezeichneten, denn ihr Vampirblut war kaum dicker als das des gemeinen Pöbels. Was machte es schon für einen Unterschied, ob ein oder zwei Tropfen reiner Substanz in einer Pfütze landeten? Selbstverständlich war David, ebenso wie ich, vom Kriege abgestumpft und schritt achtlos an meiner letzten Mahlzeit vorbei, die ich provokant vor dem Thron liegengelassen hatte. Sie war nackt, lebte und zuckte noch. Einem jeden von uns drängte sich der rasende Takt förmlich auf, in dem dieses verzweifelte Herz seine letzten Schläge tat. Eine schwer zu ertragende Situation für die zartbesaitete Magret. Vor vier Jahrhunderten, als mich dieses Nutzvieh von Menschen so entgeistert angestarrt hatte, waren mir deren hassenden Blicke gleich gewesen, doch wenn Magret-Natalia es tat, gefror selbst mir das Blut in den uralten Adern. Meine wunderschöne Tochter, immer wenn ich sie verärgerte, strafte sie mich damit. Meine beiden Söhne waren selbst in jungen Jahren niemals so empfindlich gewesen wie sie. Ein Mädchen großzuziehen, schien umständlicher zu sein als einen Buben. Vielleicht fehlte ihr ein anderes Weib in ihrer vertrauten Umgebung, an das sie sich halten konnte, doch damit war ihr, als erste Frau reinen Blutes seit Jahrhunderten, nicht zu dienen. Dabei durfte sie sich glücklich schätzen, ihre Brüder um sich haben zu können. Mit nur etwas mehr als hundert Jahren Abstand, war mein jüngster Sohn Victor-Constantin schließlich fast im selben Alter wie sie. Sie versteckte sich weiterhin hinter dem breiten Kreuz ihres ältesten Bruders, hielt die Augen geschlossen und presste ihre Hände an ihre Ohren, während er sie an dem sterbenden Fleischhaufen vorbei lotste. „Wieso tut Ihr so etwas, Vater?“, lauteten ihre erdreisteten Worte. Mein Sohn hatte sich niemals derart gelöst in meiner Gegenwart verhalten, auch als Kind nicht, aber er wuchs auch in anderen Zeiten auf als sie. Nun verbeugte er sich tief vor mir und begann laut zu sprechen. „Mein Graf, ich möchte mich abmelden. Victor wird die Aufsicht während meiner Abwesenheit übernehmen.“ „Ich bin nicht sicher, ob du der Richtige bist, um den neuen Kontinent für uns einzunehmen. Abgewanderte verließen uns nicht grundlos. Schon als Knabe befand Victor, dass wir den rechten Zeitpunkt dafür verpasst hätten und das liegt nun bald einhundert Jahre zurück. Er sagt auch, es erfordere ein hohes Maß an Initiative in einer so gefestigten freiheitsliebenden Gedankenwelt wieder den Wunsch nach einem König zu erwecken.“ „Soll ich Victor schicken?“, fragte er, ohne sich gegen meinen Tadel zur Wehr zu setzen, dieser hörige Tor. Manchmal schien es mir unerträglich, wie gern er meine Marionette spielte, doch das machte ihn automatisch zur idealen Wahl für diesen Auftrag. Er würde zu jeder Zeit ausschließlich mich vertreten und niemals sich selbst, sogar wenn er eine große Schar an Anhängern gewinnen würde, was ich allerdings stark bezweifelte. Im Grunde gab es nichts zu verlieren. „Nein, beweise dich als mein Erstgeborener und besetze die neue Welt!“ „Verstanden, Eure Majestät!“, erwiderte er zu unterwürfig für seinen Stand, was ich mit einem abschätzigen Blick abstrafte, den er aber nicht begriff. Wahrscheinlich glaubte dieser Kleingeist, sich noch tiefer verbeugen zu müssen. Nach dieser dumpfen Unterredung war mir danach, mich etwas Angenehmeren als seinem Unvermögen zuzuwenden und so richtete ich meine Aufmerksamkeit auf meine verschreckte Tochter, die ich aufforderte, zu mir zu kommen. Sie hielt noch immer die Augen geschlossen, hatte lediglich eines ihrer Ohren freigegeben und stolperte in diesem Zustand in meine Richtung. Ich stand auf, scheuchte David mit einer Handbewegung fort und empfing das Mädchen mit ausgebreiteten Armen. Ich machte einen Schritt auf sie zu, denn sie drohte, mich im Taumel zu verfehlen. Kaum kam sie bei mir an, packte ich ihre Schultern, drehte sie wieder um und schob sie zu den Resten der weiblichen Gestalt, die mehr tot als lebendig am Boden lag. „Ich weiß, es gefällt dir nicht, dass sie noch lebt, also tu uns beiden den Gefallen und richte sie!“ Das Wesen unter uns begann lauter zu wimmern, als es bemerkte, wie sich unsere Aufmerksamkeit auf es richtete. Mit letzter Kraft flehte es auf widerliche Art und Weise meine Tochter an. Es wusste nicht, dass selbst sie mit ihrem weichen warmen Herzen, nicht mit derlei Kreaturen sprach. „Wie könnt Ihr so etwas nur aushalten, Vater?“ Magret wehrte sich, doch ich ließ nicht zu, dass sie sich abwandte. Ich erwartete von ihr, dass sie es zu Ende führte, oder aufhörte, sich zu beschweren und das wusste sie. Sie hielt ihre zitternde Hand nach oben, in die ich ihr einen Dolch legte, diesem guten Kind. Das Geschöpf schrie auf, doch meine Tochter übertönte es mit ihrem Schrei: „Sei still! Sei endlich still!“ und stach dabei ein paarmal zu, sodass es ihr blaues Seidenkleid besudelte. „Braves Mädchen. Du weißt doch…“ Schwer atmend sprach sie den Satz gemeinsam mit mir zu Ende. „…wer Blut trinken möchte, muss bereit sein, Beute zu erlegen.“ Ich tätschelte ihren Kopf, der mir schon jetzt bis zur Schulter reichte, dabei war sie noch im Wachstum. „Komm, zieh dieses Kleid aus und lass es hier liegen. Ich bade dich und dann kleiden wir dich neu ein.“ Gleich an Ort und Stelle befreite sie sich angeekelt von ihrem besudelten Kleid, mitsamt dem eigentlich unbefleckten weißen Unterkleid und kam nackt mit mir. Einzig ihre langen, goldenen Locken verdeckten Teile ihres edlen Körpers. Ich hatte Magret beigebracht, sich vor mir ungeniert zu bewegen und bereitete sie damit schon auf ihre Zukunft mit mir vor. In meinen Augen war sie mit ihren 14 Jahren zwar beileibe alt genug, sie ihrem Zwecke zuzuführen, mir als Weib zu dienen. Ihre Entwicklung entsprach jedoch kaum der erwarteten, denn selbst wenn sie äußerlich schon einen ansprechenden Eindruck machte, verhielt sie sich denn und wenn noch viel zu unbedarft, als dass ich sie in mein Bett einladen wollte. Notgedrungen gestand ich ihr noch zwei Jahre der Reifung zu. Sie entwickelte derweil eine enge Beziehung zu meinem Zweitgeborenen Victor, den ich als ihren Vormund bestimmt hatte und dessen Methoden, an frisches Blut zu kommen, ihr stärker zusagen als meine. Ganz seinem Charakter entsprechend, nutzte er seinen Zartsinn, um sich mit Magret zu verständigen. Ebenso wie ich oder David, nahm auch er sie auf seine nächtlichen Streifzüge durch die Stadt mit, doch bei ihm veranstaltete sie kein Geschrei im Vorfeld. Ich brauchte keinen Informanten, um mir gewiss zu sein, dass die beiden in Wahrheit gar nicht auf die Jagd gingen. Victor hielt sich lebendige menschliche Frauen, von denen er abwechselnd trank und ließ dies auch Magret tun. Dieses Konzept musste er sich von den Menschen abgeschaut haben, die sich ebenfalls Getier, wie Ziegen oder Hühner hielten, um sich von ihnen zu ernähren. Ich duldete es, denn meine Tochter hatte bereits erlernt zu töten, ohne dass noch Mitleid in ihren Augen funkelte. Meine Magret war eine einmalige junge Vampirfrau und ein unbezahlbarer Schatz, den ich bis ins Unermessliche begehrte. Sie war das reinste Weib, dem ich nach meiner Neuerstehung begegnet war und das brachte meinen Trieb in Wallung. Keine hatte je so etwas in mir ausgelöst, mit Ausnahme der wundervollen Phelia, der edelsten unter den Septem Lamiae. In diesen Zeiten jedoch war Magret unvergleichbar mit anderen Weibern wie etwa der frivolen Vampirprinzessin, welche mir dereinst David aufdrängte. Einzig Victors Mutter Sirenie vermochte ich, trotz all der Jahrhunderte der Degeneration, als ebenbürtige Herrscherin neben mir zu akzeptieren. Hätte sie nicht die Dreistigkeit besessen, aus dieser Welt zu entschwinden, wäre mir die Zeugung eines Kindes mit einem unreinen Menschenweib erspart geblieben. Sie trug die Last der Schuld daran, mich tief in den Schlund der Hölle blicken zu lassen. Ein Halbblut erschuf sich schließlich nicht von allein und doch wusste ich, wie lohnenswert es wäre. Zu meinem Leidwesen verlor meine Tochter mit der Zeit ihre Ungehemmtheit in meiner Gegenwart, woran mein Sohn sicherlich nicht ganz unbeteiligt war. Meine Planung sah durch regelmäßigen Körperkontakt einen natürlichen Lauf der Dinge vor, der wie von selbst zum Beischlaf führen sollte. Noch länger wollte ich jedoch nicht auf sie warten, denn ich hielt es kaum mehr aus, den Lockungen ihres Schoßes zu widerstehen. Ein Zauber war von Nöten, einer, der stark genug wäre, ihren Willen zu brechen. Es dämmerte schon fast, als meine beiden Kinder in jener Frühlingsnacht wieder in den Palast zurückkehren. Ich harrte ihrer im güldenen Thronsaal. „Vater, ich bringe sie Euch satt und wohlbehalten zurück“, begrüßte mich Victor mit einem geschmeidigen Lächeln auf den Lippen. Sein Betragen gestaltete sich weniger formell als das von David und dennoch blieb er stets respektvoll, was mich milde stimmte. Im Gegensatz zu seinem älteren Bruder hatte er das Spiel verstanden. Er sah zu Magret und zwinkerte ihr zu, worauf sie ihre Lippen kräuselte, um ihr Lächeln vor mir zu verbergen. Sie glaubte wohl noch immer, es sei ein Geheimnis, wo sich meine beiden Jüngsten herumtrieben. Ich empfing mein Kind, führte es jedoch zu meinen, statt ihren Gemächern, was ich oft tat, um Magret von alten Zeiten zu erzählen. Diesmal hatte ich jedoch weit mehr im Sinn, als mich nur mit ihr zu unterhalten. Ich ließ die schweren Vorhänge schließen und diese begehrenswerte Frau am runden Mahagonitisch mir gegenüber Platz nehmen. Schweigend sah ich ihr erwartungsvoll eine kleine Weile in ihr zartes, vor Jugend strahlendes Gesicht, ohne dass sie sich davon beeindrucken ließ. Es irritierte sie nicht mehr, wo ich dies doch häufiger zu tun pflegte, dabei wusste sie nicht, dass es der Vorbereitung auf eben diese Nacht diente. Vor ihrem Geist verborgen, lag mein Ziel darin, in diesen einzudringen und nach meinem Willen umzugestalten. „Du hast eine schöne Nacht gehabt?“ Auf meine Frage hin räusperte sie sich. Da war jene kurze Unsicherheit, die ich benötige, um sie zu brechen. Nun sahen ihre schönen braunen Augen durch mich hindurch und ich flüsterte ihr, was sie zu tun hatte in der nächsten Stunde. Ihr innerer Widerstand kämpfe ebenso stark gegen mich wie erwartet und forderte viel Konzentration, doch es zahlte sich aus. Die Schönheit stand auf und entledigte sich ihrer aufwendigen Kleider, ganz so wie früher. Wie schon oft geübt, ließ ich sie in ihrem Zustand eine Tätigkeit ausführen. Früher befahl ich ihr ein paar Seiten aus einem Buch zu verlesen, doch an diesem Tage forderte ich sie auf, sich bereit für mich, in mein Bett zu legen. Enorm viel Anstrengung hatte es mich gekostet dieses bildschöne Geschöpf mit einer schmutzigen, schwachen Menschenfrau zu zeugen, ohne diese dabei zu töten. Nun konnte ich endlich die saftigen Früchte meiner harten Arbeit ernten und mir verlange es danach, sie vollends auszukosten. Das verführerische Fleisch meiner Tochter war kreidebleich und reflektierte das schwach bronzene Licht des Sonnenaufgangs, das an den Rändern der schweren Vorhänge in mein Schlafgemach drang. Ich kam über sie wie ein düsterer Schatten, der auf ihre nicht mehr so reine Seele fiel. Es war bedauerlich, nur so wenige Regungen von ihr für meine Berührungen zu erhalten, doch schmälerte dies meine Lust nicht im Geringsten. Auf dieses erste Mal würden noch viele weitere Male folgen und je häufiger wir es täten, desto befreiter würde sie mich empfangen. Ich freute mich auf die Jahrhunderte mit ihr und machte den unumkehrbaren Schritt. Die Deflorierung brach meinen Zauberbann unvermittelt und auch ebenso unerwartet. Magret erwachte jäh unter mir, zu spät aus meiner Sicht, doch nicht aus ihrer. Wie wildgeworden zerkratze sie mir, nach einem kurzen spitzen Schrei, keuchend die Brust. Sie beherrschte es gut, ihre Nägel wie Krallen einzusetzen und machte mich damit sehr stolz. Noch nie hatte sich mir eine Frau widersetzt und so überkam mich ein Lächeln, das sie noch verrückter werden ließ. Mir schwebte jedoch keineswegs vor, von meiner Tochter abzulassen. Das Ritual war schließlich vollendet und sie nun ganz die Meine. „Runter von mir!“ brüllte sie, als ihr eben dies bewusstwurde und schrie weiterhin: „Vicco! Vicco hilf mir!“ „Hör auf, dich zur Wehr zu setzen, Magret, denn es wird nichts ändern. Du bist nun mein Weib und wirst zur Mutter einer neuen Generation.“ Zu meiner großen Verwunderung stieß Victor hinter mir die Türe auf. Augenblicklich ging er vor meinem Bett auf die Knie, was er bisher nur ein einziges Mal getan hatte und flehte: „Vater, ich ersuche Euch, meine Schwester nicht ebenso zu vertreiben, wie dereinst meine Mutter!“ Mit einiger Verzögerung erhob ich mich von meiner wild um sich schlagenden Braut. Ich setzte mich aufrecht neben sie, wobei ich sie mit einem Arm auf das Bett pressen musste, denn sie versuchte aufzuspringen. Nun nahm sie mit der Malträtierung meines Armes vorlieb. Ich lächelte sanft, damit sie verstand, dass wir das Schwierigste bereits hinter uns gebracht hatten und sah dann zu meinem Sohn, der noch immer in Demut vor mir kniete, ohne aufzublicken. „So? Du glaubst also, ich sei für den Verlust von Sirenie verantwortlich? Welch Dreistigkeit erlaubst du dir, mir Vorschriften machen zu wollen, wie ich mit meinen Frauen umzugehen habe? Sprich, was hattest du in diesem Flügel überhaupt zu suchen?“ „Bitte verzeiht mir, Vater. Ich habe Eure Absichten erahnt und mich niemals weit von Magret entfernt, wenn sie Euch Gesellschaft leistete. Das stand mir nicht zu.“ Er musste meine Sinne studiert haben, um zu wissen, ab welcher Entfernung ich ihn nicht mehr wahrzunehmen vermochte. Seine ungewöhnlich unterwürfige Haltung sowie der Gestank von Angst an ihm, bewiesen mir nun jedoch, dass er sich seines Lebens nicht mehr sicher war. Da sorgte er sich grundlos, denn als mein Sohn genoss er eine gewisse Immunität für Verfehlungen. Obendrein schätzte ich seinen Rat als Adjutanten wie keinen zweiten. Er behielt den Blick weiterhin fest zu Boden gerichtet, als er in seiner vereinnahmenden Weise weitersprach. „Sie will es nicht, Vater. Ich ersuche Euch in größter Demut! Seht sie Euch an! Das ist es doch nicht, was Ihr wollt.“ Ich kam seinem Wunsch nach und blickte auf die kleine Furie in meinem Bett, die nicht einsehen wollte, dass ich sehr viel mächtiger war als sie. „Bald wird auch sie mich wollen, nun wo ich sie mir zum Weibe gemacht habe.“ „Ja, später vielleicht, aber nicht mehr heute. Bitte, Vater, übertragt mir die Aufgabe, sie zur Vernunft zu bringen.“ Damit schloss er seine Anklage, auf die ich als Reaktion meinen Arm etwas lockerte. Nun konnte sich Magret befreien und rannte ungestüm zu ihrem Bruder, den sie zittrig umarmte. Er empfing sie jedoch nicht, sondern verblieb in seiner hockenden Position. „Ich danke Euch, Vater. Das werdet Ihr nicht bereuen,“ sage er erleichtert und legte erst im Anschluss einen Arm um seine Schwester. Dann verschwand er mit ihr aus meinem Gemach, ohne es zu wagen, seinen Blick zu heben. Er wusste überaus genau, welches Verhalten ihn mit minimaler Provokation an sein Ziel brachte. Auch für seine Leistung empfand ich Stolz. Kapitel 2: Schandtat -------------------- Mir blieb nichts anderes übrig, als Magret-Natalia Zeit zuzugestehen, sich in ihre Rolle als mein Weib einzufinden. Meine Gier nach ihr war nicht gestillt, gemindert allerdings schon und das lag in der Art begründet, wie sie mich seit jenem Tage immerfort stumm tadelte. Mit aller Leidenschaft, mit der ich ihren jungen Körper liebte, hasste ich diesen angewiderten Blick. Zu meinem großen Bedauern hatte sie sich nach jenem Morgen zudem ihrer langen Haarpracht entledigt. Kaum mehr bis zur Schulter reichten ihre hellen Locken noch. Aus verstrichenen Monaten wurden Jahre, in denen sie sich nicht besann. Niemand konnte mir unterstellen, ich sei nicht geduldig genug. Auch die Politik deprimierte mich, während zu geringe Einnahmen den Erhalt des Palastes bedrohten und Davids Bemühungen um den neuen Kontinent zu viele Mittel verschlangen. Unzufrieden bestellte ich Victor zu mir in den prunkvollen Thronsaal, um ihn für diese beiden Fehlentwicklungen zu verwarnen, trug er doch die finanzielle Verantwortung und hatte um das Recht gebuhlt, sich um Magret-Natalia kümmern zu dürfen. Auf meinem edlen goldenen Thron saß ich erhaben vor ihm und versuchte ihn für den Engpass bei den Finanzen zu tadeln, doch so recht gelang es mir nicht. In viel größerem Maße musste ich den Erstgeborenen dafür zur Verantwortung ziehen. Die Schuld an den sinkenden Goldreserven war vordergründig ihm zuzuschreiben. Zumindest für den Misserfolg mit Magret wünschte ich Victors Stellungnahme, doch bei näherer Betrachtung, bedeutete dies zugleich ein Zugeständnis an meinen schneidigen Sohn. „Ich blieb geduldig, habe dir Zeit gegeben sie milde zu stimmen, doch du hast versagt. Meine eigene Tochter, mein Weib hasst mich aus tiefstem Herzen. Ich gebe sie an dich frei, wenn du sie willst.“ „Verzeiht Vater. Ihre Wunde ist zu tief und ich bin nicht fähig, sie zu heilen. Zu meinem Bedauern muss ich zudem berichten, dass sie an mir nicht mehr Interesse hegt als an Euch. Ich habe mein Bestes gegeben, doch sie ist stark. Selbst ich kann sie nicht beeinflussen.“ Selbstverständlich stand er mit durchgedrücktem Rücken aufrecht vor mir, so wie ich es von ihm kannte, sogar erwartete. Des Weiteren war er ehrlich, was ich mehr als nur schätzte und das sogar in diesem Falle, in dem mir seine Widerworte gar nicht schmeckten. „Dich hasst sie gewiss nicht und auch David-Richard nicht. Gib sie ihm, wenn du sie nicht begehrst. Wichtig ist nur, dass ihr Blut in der Familie erhalten bleibt.“ „Ich werde tun, was sich machen lässt“, erwiderte er. Erneut ließ ich ihm freie Hand, denn zuvor hatte er mich nie enttäuscht. Allerdings verstrichen weitere Monate, in welchen mich Magret mied, als sei ich die Sonne selbst. Die schiere Größe des Palastes gab ihr Raum, mir auszuweichen, doch dann, nach fast einem Jahr, trat sie mir in einer tief verschneiten Winternacht erhobenen Hauptes unter die Augen. Ihr Blick brannte mit einer noch mächtigeren Intensität als sonst. Eine derart ungebändigte Aura voller Stolz hätte ich kilometerweit spüren können, so wie ich es von einer Dracul erwartete. Aufmerksam musterte ich sie, um auf einen Hinweis für den Grund ihrer Entwicklung zu stoßen und ich fand ihn. Meine Tochter war nicht mehr allein mit sich, sondern trug eine weitere Präsenz unter ihrem Herzen. Endlich, nach all der Zeit, war sie schwanger und da David-Richard noch auf seiner loyalen Mission in der neuen Welt unterwegs war, glaubte ich mich sicher im Wissen, Victor sei der Vater. Es konnte keinen anderen geben, denn wenn es einen seltenen Augenblick einer Begegnung im Palast mir ihr gab, dann stets in seiner Begleitung oder allein. „Wir müssen reden, Vater“, begann sie gezielt, während sie gefestigter als früher auf mich zu schritt. Ich belohnte sie, indem ich mich von meinem Thron erhob und ihr mit einem offenen Ohr entgegenkam. Sie verharrte, bis ich alle fünf Stufen zu ihr herabgestiegen war. Merkwürdigerweise schien sie seit jenem Morgen in meinem Gemach vor sechs Jahren kein Stück mehr gewachsen zu sein. Sanft berührte ich ihre niedrige Schulter, um sie in einen behaglichen Beratungsraum zu leiten, doch darauf reagierte sie mit Ablehnung. Sie schlug mir furchtlos auf die Finger und schrie mir ungehemmt ins Gesicht: „Fasst-mich-nicht-an!“ Ich kräuselte die Lippen, nahm ihre Renitenz jedoch verhältnismäßig gelassen entgegen. Ich wusste schließlich schon, welch gute Nachricht sie mir zu überbringen suchte und das stimmte mich milde. Direkt, ohne mich in wohnlichere Gefilde zu begleiten, legte sie ihr Geständnis mitten im Saal ab. „Ich erwarte ein Kind.“ „Warum hast du deinen Bruder nicht mitgebracht, um mir diese erfreuliche Nachricht zu überbringen?“ Nun lachte sie einmal spitz auf und zwar so hämisch, dass es mich vollends aus der Ruhe brachte. Ich kniff die Augen zusammen und lief um sie herum. Dabei ließ ich meine deutlich machtvollere Aura aufflammen, doch auch das schüchterte sie nicht mehr ein. Sie wusste wohl, mit welchem Stolz ich den ersten Nachwuchs der dritten Generation erwartete und sie selbst im schlimmsten Falle nichts Ernsteres befürchten musste, als das, was ich schon mit ihr getan hatte. Abrupt beendete sie das Gespräch mit der Äußerung: „Ich wollte nur, dass Ihr es wisst. Adiós!“ und ließ mich perplex zurück. Obgleich es nicht meines war, wuchs meine Vorfreude auf dieses Kind, ein weiteres Mädchen und ein willensstarkes noch dazu. Selten spürte ich derartige Eigenschaften bereits vor der Geburt. Dies deutete auf eine besonders mächtige Präsenz hin, die nur reinen Blutes sein konnte. Außer mir und David konnte nur Victor in der Lage sein, einen so prachtvollen Nachkommen zu zeugen. Es gab somit keinen Zweifel an seiner Vaterschaft, auch wenn Magret auf diese Frage irritierend reagiert hatte. Sie machte sich wohl einen Spaß daraus, mich zum Narren zu halten. Womöglich, weil ich die Verbindung meiner Kinder miteinander nie durch einen festlichen Anlass untersetzt und ihr gezeigt hatte, wie sehr ich sie schätzte. Ich erfuhr den Grund nicht, bevor die zweite Prinzessin die Düsternis unserer Welt erblickte. Einen Tag der Erholung gab ich ihr, doch dann besuchte ich meine Tochter voller Stolz. Nach all den Jahren wurde mir endlich mein erster Enkel geschenkt. Victor begleitete mich in den Ostflügel des Palastes, den Magret bewohnte. Mein Sohn schien gelöst und doch war da eine Unruhe in ihm, die ich nicht zu deuten wusste. Ich betrat Magrets Schlafgemach und plötzlich kehrte Ruhe ein, wo gerade noch heiter gesprochen wurde. Wie erwartet, lag sie in ihrem Bett mit der schlafenden und noch ein wenig zerknitterten Jüngsten der Dracul Familie im Arm. „Nehmt 'Phelia' oder 'Yanhje' in ihren Namen auf, wenn ihr sie benennt“, befahl ich meinen Kindern, doch Magret hauchte, wohl um den Säugling nicht zu wecken: „Sie hat bereits einen Namen. Er lautet Elisabeth.“ „Elisabeth-Phelia also, oder Elisabeth-Yanhje?“, vervollständigte ich, doch sie wiederholte mit einem sanften Kopfschütteln: „Elisabeth.“ Sie rebellierte gegen mich, indem sie dem Kind die von mir eingeführte Tradition der Doppelnamen verweigerte. Auch wenn ich damit den anderen der sechs Septem Lamiae gedenken wollte, würde ich damit leben können, wenn es meine Tochter glücklich machte. Da der neueste Familienzuwachs schlief, ich mich aber von seiner überragenden Präsenz überzeugen musste, weckte ich ihn. Natürlich verstand ich sehr wohl, dass eine Mutter dies nicht guthieß, doch als Frauen hatten diese beiden zu lernen, wer über wen zu bestimmen hatte. Zur Bestrafung meiner, trieb es Magret jenen erdolchenden Blick in ihr sonst so anmutig schönes Gesicht, den ich so an ihr verabscheute. Die kleine Elisabeth begann nicht zu schreien, wie ich es erwartete. Sie riss ihre strahlend blauen Augen weit auf und schaute umher. Ich stutzte, berührte ihr Häubchen, das ich ihr aus der hohen Stirn schob, was Magret wieder nicht gefiel und dann sah ich sie, eine rotbraune Locke. Meine Laune verfinsterte sich augenblicklich, denn dieses Mädchen in den Armen meiner Tochter war ohne jeden Zweifel ein Kuckuckskind. Drei Kinder hatte ich gezeugt und sie alle vereinten direkt nach ihrer Geburt spezielle äußere Merkmale, bernsteinfarbene Augen sowie weißblondes Haar. „Hure!“, tadelte ich meine eigene Tochter. Ich ließ von der Verräterin ab, begab mich zu Victor, der an der Tür stehengeblieben war und den ich schroff am Arm in den Raum zerrte, um eine Erklärung von ihm zu fordern. „Wessen Kind ist das?“ Er blieb gefasst, antwortete aber ausweichend. „Ihr seid ein faszinierender Mann, Vater. Magret ist seit Jahren mit einem anderen Mann als mir zusammen und verkehrt direkt vor Euren Augen mit ihm. Verzeiht mir die Erheiterung an dieser unangebrachten Stelle, denn ich verurteilte Magrets Verhalten ebenso wie Ihr und habe versucht, es zu unterbinden. Dennoch muss ich Euch darauf hinweisen, dass ihr blind für all jenes seid, was Ihr nicht sehen wollt.“ Ich schlug ihm in den Bauch für diese unverfroren unkonkrete Aussage. Davon, sein Gesicht zu verletzen, sah ich ab, war es doch das schönste aller Draculs und er unser bedeutendster Stellvertreter nach außen. Er sank zu Boden und schien kooperativ gestimmt, doch Magret erlöste ihn von der Schuld einer Antwort. Sie setzte sich aufrecht und legte das sich wie ein Wurm windende Kind auf ihrem Schoß ab. Wie konnte ein so unreines Geschöpf nur über eine derart beeindruckende Präsenz verfügen? „Ihr macht seit Jahren den gleichen Fehler, Vater. Nicht Ihr, Daric oder Vicco habt mich aufgezogen, sondern meine Amme und spätere Zofe Miriam. Als kleines Mädchen habe ich mit dem Sohn des Kammerdieners gespielt und mein Kind ist von keinem Adligen, sondern einem unserer Diener. Du hast kein Auge für all die vielen Angestellten um uns herum. Vicco und Daric sind fast genau so blind wie du. Ihr alle vergesst, um was es auf der Welt wirklich gehen sollte und das ist eure größte Schwäche. Ich trauere um eure unsterblichen Seelen.“ Was sie mir sagte, war ohne Belang, denn alles, was ich benötigte, war der Name des Mannes, der meine Tochter befleckt hatte. Es lag mir fern, sie aus der Familie zu verstoßen, schon gar nicht, wo sie mir eine so mächtige Enkelin geschenkt hatte. Einen wertvollen Schatz dieser Güte musste ich erhalten und ergründen, woher ihre furiose Kraft stammte. Ihres leiblichen Vaters hingegen, würde ich mich entledigen müssen. „Wer? Nennt mir seinen Namen oder ich lösche jeden blauäugigen Mann im Palast aus.“ „Ich bin der Vater!“ rief eine unbekannte starke Stimme unmittelbar, bevor Magret zu keifen beginnen konnte. Ein dunkelhaariger, recht stattlicher Mann mit blauen Augen trat durch die Tür herein, vor der er offenbar Wache gehalten hatte. Seines Standes entsprechend sah er zu Boden, doch so aufrecht wie er stand, bewies er Schneid. Erinnern konnte ich mich nicht an ihn. „Nein, Marcos! Flieh von hier!“, holte Magret ihren Panikschrei nach, dem der leichtsinnige Vampir lächelnd mit einem Kopfschütteln begegnete. Ich bemerkte, wie sie hinter mir auf dem Bett vor Anspannung ihren Atem anhielt, wohl weil sie ahnte, dass ich sie gleich von den Schmerzen in ihrer Brust erlösen würde. Dabei war ich gut zu ihr und machte es ihr leicht, denn sie brauchte sich nicht zwischen Familie und ihm zu entscheiden. Als Familienoberhaupt entband ich sie von dieser schweren Entscheidung. Unter normalen Umständen widerstrebte es mir, direkt mit einem derart Niederen wie ihm zu sprechen, doch in diesem besonderen Fall überwand ich mich, meiner Tochter zuliebe. „Liebst du meine Tochter, Wachmann?“ „Über alles, Eure Majestät!“ „Und liebst du deine Tochter?“ Er gab dieselbe Antwort, also half ich nach. „Wenn du dich nun entschieden müsstest, ob du deines oder das Leben deiner Tochter erhalten möchtest, welches würdest du wählen?“ „Elisabeths“, antwortete er prompt und kaum hatte er es ausgesprochen, hielt ich schon sein, noch ein letztes Mal für seine kleine Tochter pochendes Herz in der Hand. Im selben Moment schrie Magret seinen unwürdigen Namen und das Kind begann wütend zu Plärren. Der Leichnam des Mannes sackte in sich zusammen und ich warf Magret das mutige Herz ihres Spielgefährten vor das Fußende ihres Bettes. „Bitte, es ist deins“, prahlte ich süffisant, schluckte aber direkt danach einen Kloß herunter, der sich in meine Kehle eingeschlichen hatte. Meine Tochter zwang mich mit ihrer Schwäche dazu, stark genug für uns beide sein zu müssen und dies war das Ergebnis. Magret verließ das Bett mit dem Kind im Arm und nahm das blutverschmierte Organ an sich. Würdelos schob sie sich dem Toten auf Knien entgegen, als ich ihr den Rücken zuwandte und die herzzerreißende Szenerie verließ. Wie konnte sie mich nur derart verletzen? Meine eigene Tochter hatte mich mit ihrem unwürdigen Verhalten zutiefst gedemütigt. Viele Gedanken verschwendete ich jedoch nicht an sie. Sollte sich doch Victor um ihr Seelenheil kümmern, wie all die Jahre zuvor. Wenn er klug war, würde er sich erneut um ihre Hand bemühen, wo sie doch nun wieder frei war. Kapitel 3: Lucards Feines Frischblut ------------------------------------ Wie geahnt, entwickelte sich mein Verhältnis zu Magret in keine Richtung. Ich erhielt den eiskalten Blick der Tausend Messerstiche als wie zuvor und schloss daraus, dass ich richtig gehandelt haben musste. Diese Frau war ohnehin für mich verloren. Meine Enkelin Elisabeth hingegen, war noch unbelastet. Zu meiner allergrößten Freude und zum Leidwesen ihrer treulosen Mutter, entwickelte sich das Kind prächtiger, als ich es mir in meinen kühnsten Träumereien ausmalte. Ich revidierte meine Einstellung zur Zimperlichkeit von Mädchen, denn Elisabeth verhielt sich tollkühner als meine beiden Söhne zusammen. Schon im Kindesalter begann sie aus eigenem Antrieb auf die Jagd zu gehen und kannte keine Skrupel bei der Auswahl ihrer Opfer. Kleinkinder und schwangere Frauen tötete sie zu Beginn besonders gern, doch sie machte große Fortschritte. Bereits mit dreizehn lockte sie einen zwei Meter Hünen, einen Grenzmann zu Siebenbürgen, in eine dunkle Seitengasse und fiel wie eine wildgewordene Katze über ihn her. Sie kam nicht ohne Blessuren davon, doch war sie stark und stolz wie keine andere Frau. Nur ich war in der Lage, ihr Einhalt zu gebieten, denn ihr Respekt gebührte einzig und allein der Macht des Urvampirs. Ihre ungezügelten Vampirtriebe waren ästhetisch ansprechend und machten den Reiz dieses jungen Geschöpfes aus. Etwas Schöneres hatte ich in meinem langen Leben nicht zu Gesicht bekommen. Sie am Leben zu lassen, stellte sich als goldrichtig heraus, denn dieser Dracul Spross war schlicht perfekt. Dieses besondere Mädchen drängte ich zu nichts, auch nicht, als es Geschlechtsreife erreichte. Zu groß war meine Bewunderung für Elisabeth, die auch ohne mein Zutun eine Fixierung auf mich entwickelte. Mit 14 holte sie mich und Victor in einen der mit schickem Tand bestückten Beratungsräume zusammen, ließ die Tür geöffnet und bat uns, still auszuharren. Daraufhin holte sie ihre Mutter in den angrenzenden Thronsaal und begann unter der Kuppel beim Thron ein Gespräch mit ihr, welches akustisch auf eine Weise widerhallte, die uns jedes gesprochene Wort zulieferte. „Mutter, in mir ist etwas Neues erwacht, über das ich unbedingt mit dir sprechen muss. Es ist so. Wenn ich junge Männer beiße, überkommt mich die Lust, noch andere Dinge mit ihnen anzustellen, dabei sind das nur ekelhaft, schmutzige, kleine Menschen. Ich halte das nicht mehr aus. Ich will einen Gatten wählen, damit ich diese fehlgerichteten Gefühle abschütteln kann.“ Wenn diese junge Frau sprach, kam der unbedarfte Gesprächspartner nie darauf, maßlos von ihr manipuliert zu werden und Magret war dumm genug, stets nur das Beste in ihrer Tochter zu sehen. Mir hingegen war an dieser Stelle bereits bewusst, aus welchen Gründen ich und mein Sohn dieses Gespräch mitverfolgen sollten. „Oh El, es ist noch zu früh für dich, solchen Empfindungen nachzueilen. Sie führen dich nur in die Irre. Lass dir noch etwas Zeit damit!“ „Wieso? Wie alt warst du bei deinem ersten Mal?“, fragte die kleine hinterlistige Schlange, die zu viel Zeit mit mir verbrachte und schon so einiges über mich und ihre Mutter in Erfahrung bringen konnte. Sie war zwölf, als wir bei einem Streifzug darauf zu sprechen kamen. Wie von mir erwartet, hatte sie es gefasst aufgenommen und sogar an ihrer Mutter gezweifelt, wahrscheinlich weil sie nicht verstand, wie man mich, den Urvampir, ablehnen konnte. Allerdings war sie schon damals klug genug, ihrer Mutter für diesen Fehler zu danken, der zu ihrer eigenen Geburt geführt hatte. Magret schwieg zunächst, wovon sich ihre Tochter nicht beirren ließ und sie so lange nötigte, bis sie eine Antwort erhielt. „Ich war zwei Jahre älter als du und selbst das war noch zu früh.“ „Ich bin mir sicher, dass ich sehr viel reifer bin, als du es warst“, gab Elisabeth zurück. „Meine Rose, ich möchte dir damit bestimmt nicht wehtun, aber glaub mir, du bist nicht reifer als ich es war, sondern das genaue Gegenteil ist der Fall. Lass dich nicht von vampirischen Trieben und Instinkten leiten, sondern suche nach Wärme und nach Liebe. Diese Gefühle sind bedeutend wertvoller. Sie lassen sich zum Beispiel in engen Freundschaften finden.“ „Freundschaften… du hast recht, Mutter. Mein Trieb nimmt schon ab, wenn ich das nur höre. Also gut, sprechen wir über etwas anderes. Es stimmt doch, dass eine Vampirfrau jenem Mann gehört, der als erstes den Beischlaf mit ihr verübt. Ist das nicht ist eine unverfrorene Frechheit? Männer sind keinen Deut besser als ich es bin. Sobald ich das Zepter halte, kippe ist dieses Gesetz. Ich stecke deine Brüder und diese anderen Luschen sowieso locker in die Tasche! Sowas lasse ich mir von denen nicht bieten.“ Nun fragte ich mich, wen genau sie vorzuführen beabsichtigte, denn Victor atmete neben mir einmal schwer durch. Seine Reaktion erheiterte mich, denn er wusste um die Wahrheit ihrer Worte. Auch Magret schwieg, während Elisabeth weiter sprudelte. „Gib es doch zu, Mutter. Auch du hast dieses Gesetz gebrochen. Mein Vater war nicht dein erster Mann. Ich will mich nicht von Männern in Ketten legen lassen und durch dich weiß ich, dass es auch anders geht. Kämpf mit mir gegen diese Ungleichbehandlung! Jede Vampirfrau bei Verstand wird uns dabei unterstützen.“ Nun äußerte sich ihre Mutter, und zwar reichlich streng. „Vielleicht hast du im Kern deiner Aussage recht, aber vergiss eines nicht: Dein Vater hat sein Leben wegen meines Gesetzesbruchs verloren. Sprich nicht über Dinge, von denen du noch nichts verstehst, nur um deine Triebe zu legitimieren!“ Wieder kehrte Stille in den Saal ein, möglicherweise aufgrund Elisabeths Einsicht, wahrscheinlicher, weil sie ihre Stimme dämpfte. Es war mir nicht möglich, das in Erfahrung zu bringen, doch ihre nachfolgende Aussage zerschnitt die schwere Anspannung wie ein frisch geschärftes Schwert. „Du bist nach den alten Gesetzen immer noch Draculas Frau, hab ich recht?“ „El, wie hast du das alles... in Erfahrung bringen können?“, brachte ihre Mutter recht leise heraus. Bedauerlicherweise vermochte ich nicht zu sehen, was die beiden taten, denn Magrets Gesichtsausdruck wäre für mich von größtem Interesse gewesen. Schon in ihren jungen Jahren hatte sich Elisabeth zu jenem Mitglied meiner Familie entwickelt, das ich am meisten liebte, um nicht zu sagen, sie war nach Phelia die erste und einzige, die ich jemals liebte und dann antwortete sie auch noch mit folgendem wunderbaren Geständnis mir gegenüber: „Egal wie. Ich will nur wissen, ob ich es werden kann, oder ob du diesen Platz besetzt hältst. Ich sehe aber, dass wir uns einig sind, was die Gesetze betrifft.“ „Ich verbiete dir, deinen Großvater als Mann in Betracht zu ziehen! Er riss deinem Vater das noch schlagende Herz aus der Brust, da hatte ich dich gerade erst entbunden. Dein Vater Marcos war vor die Wahl gestellt, sein Leben zu opfern oder deines. Er rettete dich, ohne zu zögern. El, du warst Zeugin der Tat und hast danach wochenlang nichts als geschrien, bis du eines Tages für immer damit aufhörtest.“ Verflucht sei die Wahrheit! Das wusste sie noch nicht, sondern nur, dass ich seinen Tod befohlen hatte, wie es die Gesetze verlangten. Ich erzählte Elisabeth, ich habe sie aus reiner Barmherzigkeit vor dem Tode bewahrt, sie großherzig angenommen und mich somit als ihren Retter inszeniert. Ich hörte schnelle Schritte und danach wie eine Tür ins Schloss geworfen wurde. Dies nahm ich zum Anlass, unsere Deckung zu verlassen. Magret saß zusammengekauert auf den Stufen, die zum Thron hinaufführten, was mich wenig kümmerte. Mir ging es um meine Enkelin. Ich schickte Victor, um die verwirrte junge Vampirin zu beruhigen. Nach diesem Erlebnis zeigte sich mir Elisabeth weniger offen. Eine wahre Schande. Sie entglitt mir, doch immerhin näherte sie sich nun Victor an, der nur ein Jahr später zu ihrem Mann wurde. Zuvor allerdings hatte Elisabeth für eine Reform der Gesetzeslage gesorgt, welche Frauen wie Männern das Recht zu mehreren Lebenspartnern und auch zur Trennung einräumte. Das war ein geringes Übel, um diese Verbindung zu ermöglichen. Für mich mochte sie verloren sein und doch schenkte sie mir Kraft und Hoffnung. Ich hatte begriffen, dass nicht zwangsläufig ein so widerspenstiges Weib wie Magret entstehen musste, wenn ich mich fortpflanzte. So versuchte ich erneut die perfekte Frau für mich zu erschaffen. Ich gab mich nicht wieder mit der erstbesten Schönheit zufrieden, deren Name mir gefiel. Ich suchte eine Frau mit Bildung und Geschick, was sich nicht leicht gestaltete, doch in einem menschlichen Adelshaus wurde ich fündig. Auch wenn sie nur einen Bruchteil zum Kind beitragen würde, so war mir diesmal auch diese Zutat wichtig. Ich lud mich selbst am Abend in eine Feierlichkeit mit etwa fünfzig Gästen ein und überzeugte mich von ihrer Intelligenz. Es zehrte an den Nerven, mich unter Menschen bewegen zu müssen, denn sie alle erstarrten beim Anblick meiner roten Augen, verloren die Sprache oder gar das Bewusstsein. Entsprechend musste ich jeden von ihnen beim ersten Kontakt stabilisieren, damit ich die Veranstaltung nicht ungewollt zerstörte. Ich separierte die Frau meines Interesses und ließ sie von sich erzählen, eine seltene Ehre. Sie hieß Valentina, war eine der wenigen Frauen, die eine Universität besucht hatte und sie interessierte sich für Alchemie, oder Chemie, wie man es in diesen Tagen nannte. Ich ließ sie mich in ihr Arbeitszimmer führen, wo sie mir von ihrer faszinierenden Forschung über die Gerinnungsaktivität des Blutes berichtete. Sie erzählte von Stabilisatoren wie Citrat und erschwerten Arbeitsbedingungen außerhalb der Wintermonate, da sie auf niedrige Temperaturen angewiesen war. Geduldig hörte ich mir alles an, was sie zu sagen hatte, bevor ich ihr die Kleider vom Leib riss, sie nach vorn auf ihren Arbeitstisch drückte und schwängerte. Ihre Forschungsergebnisse nahm ich an mich und überreichte sie Elisabeth, die das Potenzial dieser Arbeit als noch höher einschätzte, als ich es tat. Sie begann sich für vieles über Politik hinaus zu interessieren: Wirtschaft, Medizin und auch für Chemie. Ich gab ihr alles, was sie benötigte: Lehrmeister, Arbeitsmaterial und Versuchspersonen, Menschen sowie Vampire, die sie rücksichts- und hemmungslos verschliss. Nur einen Wunsch schlug ich ihr ab. Keinesfalls ließ ich den direkten Kontakt zwischen ihr und der Verfasserin der Forschungsarbeiten zu, selbst wenn ein Treffen einige Verständnisprobleme bei meiner Enkelin gelöst hätte. Elisabeth hielt die Essays für zu bedeutend und somit unter Verschluss. Allein sah sie sich nur leider nicht in der Lage, Valentinas Versuche nachzustellen. Ich wartete drei Jahreszeiten, bis ich die Mutter meines vierten Kindes erneut aufsuchte. Ihre Jugend war fast aufgezehrt, ihr Zustand schlecht und sie dem Tode nahe. Ich fand sie bettlägerig vor, ebenso wie Natalie, Magret-Natalias Mutter vor 36 Jahren. Auch dieses Kind besaß eine eigene und besondere Aura, die der meinen nur leider zu stark ähnelte, denn sie war zweifelsfrei männlich. Ich haderte, ob ich mich eines dritten Sohnes annehmen wollte, doch dann Schnitt ich es ihr doch noch aus dem Bauch. Ich säuberte es, biss mir in den Finger, den ich dem Neugeborenen in den Mund hielt und an dem es sofort saugte. Anders als Magret, verkraftete dieser kleine Bursche die Umwandlung gut und blieb dabei ruhig, als gäbe es nichts Natürlicheres für ihn. Robert-Valentin, wie ich ihn nannte, schien ein weiteres Ausnahmekind zu sein, doch die Enttäuschung über sein Geschlecht wollte nicht verfliegen. Indes erzielte Elisabeth erste Erfolge in der Blutforschung, seit sie sich eine neumodische Kältemaschine besorgt hatte und dafür den Palast teilweise elektrifizierten ließ. Ihre Vorsicht, was die Ergebnisse betraf, war mehr als nur gerechtfertigt, denn was sie mir vorstellte, war nicht weniger als die Entdeckung des Jahrhunderts für die Vampirgesellschaft. Meine gescheite Enkelin hatte einen Kniff gefunden, Blut haltbar zu machen und dennoch genießbar zu halten. Sie entwickelte daraus sogar ein Geschäftsmodell. Gemeinsam mit Victor bauten wir vielerorts Standorte, an denen wir menschliches Blut gegen kleines Geld entnahmen, um dieses infolge ertragreich an Vampire weiterzuveräußern. Es machte das Leben bequem, denn die Jagd zum Luxus und diese Entwicklung passte zum Zeitgeist der Jahrhundertwende. Elisabeth überzeugte uns von der Idee, unseren Namen ins Spiel zu bringen, ohne ihn direkt zu verwenden. Auf die Etiketten der Flaschen ließ sie den Namen des Produktes aufdrucken: „Lucards feines Frischblut“. Während sich die Finanzen dank Elisabeth stabilisierten, versuchte ich meinen dritten Sohn aufzuziehen. In derlei Aufgaben tat ich mich jedoch schon immer schwer, ganz besonders bei ihm. Wie schon bei Magret, betreute ich meine anderen Kinder mit dieser Aufgabe. Früh stellte Robert seine herausragende Intelligenz unter Beweis. Er half seiner Nichte Elisabeth bereits als Knabe bei ihren Versuchen und stellte chemische Gleichungen auf, an denen sie scheiterte. Ihr Einfluss aufeinander wirkte vielversprechend und ich grämte mich nicht mehr, den Jungen erschaffen zu haben. Mein Verlangen nach einem reinen Erben rückte in den Hintergrund, denn auch ohne ihn gewann die Familie Dracul ihre Bedeutung zurück. Diesen Erfolg schulterte Elisabeth in besonderem Maße. In kürzester Zeit stieg der Konsum unserer Blutkonserven rasant an und schon bald nannte man uns volkstümlich die „Lucards“. Ich beorderte meinen Ältesten David-Richard vom neuen Kontinent zurück, der trotz seines immensen Bedarfs an Geldmitteln, kaum Fortschritte erzielt und nur einige hundert Anhänger zu verzeichnen hatte. Die Verwaltung des neuen Blutimperiums bündelte vertrauenswürdige personelle Ressourcen, weshalb ich seine Arbeitskraft dringlicher in Europa benötigte. Auch er zog nun wieder in den Palast in Argisch und stellte mir die Frau vor, die er als seine Partnerin erwählt hatte. Corella war gewöhnlich, wohl aber akzeptabler Herkunft, besaß besseres wirtschaftliches Geschick als er, dafür aber keinerlei Charisma. Sie war von Nutzen und nur das zählte. Ich bemerkte ihren Argwohn gegenüber meiner unvergleichlichen Enkelin. Auch Elisabeth war dies bewusst, denn in Corellas Anwesenheit versprühte sie noch mehr ihres Esprits als sonst, ein Effekt, der seine Vorzüge hatte. Kapitel 4: Ränkespiele ---------------------- Robert-Valentin stand an der Schwelle zum Manne, war also etwa im selben Alter wie Elisabeth, als sie sich mit Victor verband, da holte er mich mit seiner scheuen Art zu einem ihrer Umwandlungsexperimente hinzu. „Graf Dracula, wärt Ihr so gütig, mir zu folgen. Wir möchten die Konvertierung vorführen.“ Die beiden gaben der Umwandlung von Mensch zu Vampir diese merkwürdig wissenschaftliche Bezeichnung, an die ich mich auf meine alten Tage wahrlich nicht mehr gewöhnen würde. Wohlwollend stand ich auf und folgte ihm, wofür er sich steif bedankte. So brillant er sein mochte, erschien er mir wie ein Fremdkörper in der Familie Dracul. "Robert, du bist mein Sohn und als solcher ist es dir erlaubt, mich Vater nennen.“ „Soll ich das als Ehre oder als Anweisung begreifen?“, fragte er emotionslos, ohne mich dabei anzusehen und lief vollkommen unbehelligt weiter vor mir her. "Ich benötige keinen weiteren demütigen Sohn." "Demut, Graf, ist es gewiss nicht." Selbstverständlich war mir das bewusst. Er schien zu spüren, dass ich ihm niemals Liebe entgegenbringen konnte, zu keiner Zeit und ich hätte mir selbst einen Gefallen getan, wäre mir das ebenso gleich gewesen wie ihm. "Robert-Valentin, ich gebe dir die einmalige Gelegenheit, deine Gedanken frei auszusprechen, ohne Schelte zu erwarten." Nun stoppte er und drehte seinen Kopf zu mir. Er hob die Augenbrauen abschätzig an, sah sodann wieder nach vorn und setzte seinen Gang fort. "So nicht, Junge!", rief ich in spontaner Wut, sprang unbeherrscht neben ihn und presste ihn mit meinen Krallen am Hals gegen die Wand. "Die Schelte erwartet mich wohl eher, wenn ich meine Gedanken nicht ausspreche, GRAF", betonte er keuchend. "Du BIST mein Sohn! Du BIST ein Dracul und du WIRST der Familie Ehre machen!" "Sicher werde ich das, aber nicht für Euch, sondern für Magna und Vicco. Was ich nicht tun werde, ist jenen Mann einen 'Vater' zu nennen, der mich meine eigene Mutter töten ließ!" Da war meine Antwort. Robert war also nachtragend. Ich befreite das Kind aus meinem Griff und folgte ihm bis in Elisabeths Forschungszimmer. Darin fand ich auf Metalltischen zwei festgeschnürte und aufgeschnittene Menschen, die auf wundersame Weise noch lebten. „Großvater, wie schön!“, rief mir Elisabeth erquicklich in ihrem blutverschmierten Kittel entgegen und auch Robert zog einen solchen über. Zuerst nahm sie ein Skalpell, ritze sich in den Unterarm und bat mich, näher zu treten. Dann träufelte sie ihr Blut in den Mund des aufgeschnittenen Versuchssubjekts. Es begann zu zucken, aber nicht zu schreien. „Ich habe seine Stimmbänder durchtrennt, weil das Gebrülle nervt“, erklärte sie gefasst, als hätte sie bemerkt, dass mich dies verwunderte. Sie zeigte auf das Herz in seinem offenen Brustkorb. „Schaut, wie es aussetzt. Manchmal dauert es ein paar Sekunden… so, schon vorbei. Nun schlägt sein Herz wieder, beliefert die Organe aber mit einer völlig anderen Blutmenge. Habt Ihr gesehen, wie sich die Venen und Arterien verändert haben? Ich mache ihn zunächst wieder zu.“ Sie klappte die großen Fleischfetzen zusammen und wartete einen Moment lang ab. Der halb verwandelte Mensch zuckte erneut, doch das ignorierte sie und wendete sich einem zweiten Geschöpf zu, welches Robert gerade geöffnet hatte. Nun träufelte er sein Blut in den Mund des Mannes, dessen Herz nicht stehenblieb. Stattdessen beschleunigte es sich. Er verschloss ihn und wartete. Ein wenig irritiert, was die beiden mir hier versuchten zu beweisen, sah ich zum ersten Mann hinüber, der nach wie vor mit einer klaffenden Wunde am Torso zuckte. Danach blickte ich zurück zum Zweiten und war überrascht, wie schnell sich dessen Wunde am Brustkorb schloss. Elisabeth beschrieb mir diesen Unterschied folgendermaßen: „Rova ist der perfekte Multiplikator. All seine Konvertierungen gelingen, doch seine Probanden werden willenlos. Meine hingegen sterben meist. Wisst Ihr, was das bedeutet, Großvater? Rova könnte ohne Weiteres eine ganze Armee von-“ Das knackende Geräusch eines zu Staub zerfallenden Vampirs unterbrach ihre Rede, denn Robert hatte dem gelungenen Verwandelten eine Silberklinge ins Herz gerammt. „Er will es nicht tun. Er will keine Armee von Seelenlosen anführen“, erläuterte sie sein Verhalten mit einem Vorwurfston. Interessant war eine solche Fähigkeit allemal. An einer willenlosen Armee, die ihm folgte, war mir allerdings wenig gelegen, wo ich mir Roberts Loyalität niemals wirklich sicher sein konnte. Mein eigenes Blut für einen solchen Firlefanz einzusetzen, kam obendrein nicht in Frage. „Setzt eure Forschung an einem neuen Punkt an. Diese Erkenntnis nützt mir nichts“, wies ich an und ließ die beiden zurück. Ich hörte noch, wie Elisabeth ihren viel jüngeren Onkel anbrüllte: „Das ist deine Schuld Rova! Wärst du nicht so lethargisch, wäre alles besser gelaufen!“ Zugegeben interessiert, blieb ich stehen und lauschte den beiden. „Es tut mir leid, El. Mit dem Grafen...“ „Hör auf, dich immerfort zu entschuldigen! Wie mich das nervt!“, keifte sie ihn an, doch wie bei mir zuvor, wollte er es nicht verstehen. „Es gibt Grenzen, El. Grenzen, die ich nicht überschreiten will, nicht einmal für dich. Was soll ich anderes tun, als dich dafür um Verzeihung zu bitten?" Das darauffolgende Geräusch ließ darauf schließen, dass sie ihn geohrfeigt hatte. "Du bist der reinste Sohn des Urvampirs, aber du hörst dich an wie ein winselnder Welpe." Als die Ältere von beiden setzte sie einen Teil ihrer Energie in seine Erziehung, was ich nur gutheißen konnte. Sie wusste, was zu tun war. Wenngleich sie im Geblüt die Unreinste der Draculs war, so musste ich sie zugleich als die Gelungenste hervorheben. Als ich glaubte, es passiere nichts weiter von Belang, machte ich mich auf den Rückweg, doch gerade in diesem Moment setzte meine Enkelin eine neue Aussage an, die mich zurückhielt. "Was hältst du davon, wenn wir einen anderen Ansatz verfolgen und uns der Konvertierung von Halbblütern widmen? Du bist doch schon 15. Könntest du nicht ein paar davon in die Welt setzen?“ Elisabeth wusste wohl noch nichts von seiner Muttersehnsucht. Er würde sich nicht dazu instrumentalisieren lassen, die Mütter seiner Nachkommen in gleicher Weise zu töten. Zudem ging es mir deutlich zu weit, Kinder meines Blutes zu ihren Opfern zählen zu lassen. Im Falle von Roberts Nachgiebigkeit, war ich bereit, meine Deckung aufzugeben, um ihr Einhalt zu gebieten. Trotz seiner Hörigkeit war der Junge jedoch stark genug. „El, du bist die einzige Frau, die ich will. Und… würdest du wirklich meine Kinder als Probanden missbrauchen? Das kann nicht dein Ernst sein!“ „Schwächling! Schon wieder dieses Gewimmere. Nicht auszuhalten!“, spottete sie, wenngleich sie sicherlich wusste, dass er im Recht war. Nun verließ ich die Szenerie wirklich. Wie ich es mir dachte, waren diese zwei ein perfektes Gespann. Sie hatte die Visionen, er den Intellekt und Realitätssinn. Unter Umständen belauschte ich meine Kinder viel zu selten, denn ich erfuhr, dass nicht nur ich und Victor, sondern auch Robert ihrem ganz besonderen Zauber erlegen war. Einzig David-Richard schien keinerlei Sinn für ihre Reize entwickelt zu haben, was nur seiner Vorliebe für reizlose Frauen geschuldet sein konnte. Familiäre Angelegenheiten, Elisabeths Forschung, die Leitung der Firma sowie der Ausbau unserer Vormachtstellung schoben sich in den kommenden unruhigen Zeiten fast schon in den Hintergrund, denn die Menschen glaubten, uns neuerlich ihre Torheit beweisen zu müssen. Argisch, die Stadt in der Victors Mutter Sirenie unseren Palast erbauen ließ, befand sich in der rumänischen Walachei. Schloss Bran, meine vormalige Heimat, in die ich dann und wann noch zurückkehrte, jedoch im ungarischen Siebenbürgen. Ich konnte nicht ignorieren, wie der Beginn eines lächerlichen Menschenkrieges 1914 nun Unruhe in diese Grenzregion brachte. Da der überwiegende Teil des sogenannten Vampiradels deutschstämmig war, sicherten wir, auf Victors Geheiß hin, dem rumänischen Menschenkönig Carol I. unsere Unterstützung zu, solange sich dieser auf die Seite der Mittelmächte stellte. Greis war er und schwach, sodass er sich nicht einmal mehr gegen seinen eigenen Hofrat durchzusetzen vermochte und in Folge sein Wort mit uns brach. Ich selbst, der große Vampirkönig, war es, der diesen jämmerlichen Menschenkönig zur Rechenschaft zog und sein Leiden beendete. Ironisch, wie er war, hatte er in seinem Testament verfügt, sich in der Kathedrale in unserer direkten Nachbarschaft beisetzen zu lassen. Die Kirche zu entweihen, war Elisabeth eine Herzensangelegenheit. Wutentbrannt rief sie uns im Anschluss in einem der Beratungsräume zusammen. „Mir reicht es! Ich mische mich in diesen absurden Krieg ein. Diese Bastarde am rumänischen Königshof werden sich noch wundern, mit wem sie sich da angelegt haben. Allen voran dieser neue 'König' Ferdinand I.“, bestimmte sie, doch Victor begann schon auf sie einzureden. „Lass es, Elisabeth. Es ist klüger, auszuwandern, als uns erneut so tief in die Geschicke der Menschen einzumischen. Vampire agieren im Dunklen, im Verborgenen. Menschen sind die Könige des Tages, wir die der Nacht.“ „Könige der Nacht!?! Hörst du mir auch manchmal zu, Vicco? Du weißt genau, dass ich daran arbeite, unsere Leiden zu heilen. Wir alle werden schon bald hinaus ins Licht treten können und dann werden wir uns holen, was uns zusteht." „Komm zur Vernunft, Liebes! Wieso solltest du die Menschen regieren wollen? Lass sie in ihrem kurzen Leben tun, was sie tun wollen. Was kümmert es uns?“, antwortete er ihr ruhig. David, Robert und Magret waren stille Mithörer und sogar ich hielt mich zurück, denn Victor vertrat meine Meinung in Perfektion und das brachte Elisabeth aus der Fassung. „Ihr seid ein Haufen Schlappschwänze, die sich von ihrer NAHRUNG vertreiben lassen. Wir können in Rumänien beginnen und von hier aus die ganze Welt erobern. Rova, DU bist doch auf meiner Seite!“ Nun kam der jüngste zu Wort und was er sagte, war von außerordentlicher Weitsicht geprägt. „El, zum jetzigen Zeitpunkt sollten wir zunächst die aufbegehrenden Vampire unterwerfen, welche sich ohne Rücksprache auf die Seite der Alliierten schlagen. Diesem Trend entgegenzuwirken, ist unsere dringlichste Aufgabe als führende Familie! Unsere Vormachtstellung muss zuallererst sichergestellt werden.“ Anders hätte ich meine Antwort auch nicht formuliert. Das gefiel nicht nur mir, sondern auch ihr. „Du bist ein Genie, Rova. Großvater, wir denken uns etwas aus, um die Verräter in unseren eigenen Reihen auszudünnen. Was hältst du davon? Gegen die Menschen gehen wir hinterher vor.“ „Ein Krieg unter Vampiren? Bist du irre?“, ging ihre Mutter dazwischen, doch ich verbot ihr das Wort. „Halt den Mund, zimperliches Frauenzimmer! Die Kriegswirren zu nutzen, um die Vampirgesellschaft zu säubern? Schlag mir etwas vor, liebste Elisabeth!“ „Das werde ich, schon bald“, schloss sie die Beratung. David erhielt von mir die Anweisungen, unseren Umzug nach Deutschland zu planen, bevor ich ihn und alle, bis auf Robert, aus dem Besprechungsraum schickte. Er saß unbeweglich auf seinem Platz und wartete darauf, dass ich ihn ansprach. "Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, du bist gerade für die Menschen in die Bresche gesprungen. Diese Schwäche kann nur von deiner Mutter herrühren. Von mir hast du sie beileibe nicht." Sein Gesicht zuckte, bevor er eine Hand vor seine Augen führte, um es zu verbergen, doch das Schweigen behielt er bei. "Willst du keine Stellung nehmen?", ging ich ihn an, worauf er seine Sicht wieder freigab und mir antwortete. "Wollt Ihr mich wieder bedrohen, weil Ihr mich nicht ergründen könnt, Graf? Ich stehe loyal zur Familie, egal was geschieht. Reicht Euch das nicht?" Nach Magret hätte ich mein Experiment stoppen sollen, Kinder mit Menschen zu zeugen. Sie beide hatten Augen und Ohren in Gefilden, in die sie nicht gehörten, meine Tochter bei niederen Bediensteten, Robert bei den Menschen. "Es muss wohl reichen. Selbst wenn ich dich zu einer Erklärung zwinge, würde ich sie nicht verstehen", schloss ich, stand auf und ging. Unterredungen mit ihm führten zu nichts. Er war ein Freigeist und sollte es auch bleiben, solange uns das nicht schadete. Schon bei der folgenden Beratung, sollte er dies unter Beweis stellen, denn er kam auf die Idee, unsere Blutkonserven nicht mehr frei zu verkaufen, sondern sie stattdessen aus Kriegsgründen zu Rationieren. „Nahezu der gesamte Vampiradel kauft unser Blutprodukt. Was, wenn sie es nicht nur könnten, sondern ab sofort müssten? Keine Jagden mehr auf Menschen, keine Menschensklaven mehr, nur noch unser Konservenblut. Kontrollieren wir die Nahrungsquellen, erlangen wir Macht über die Vampire.“ "Das ist schrecklich schade und bahnbrechend zugleich“, rief Elisabeth in schwankender Stimmung. Magret war nach ihrer Entgleisung selbstverständlich nicht mehr Teil des Familienrates, nur David, der sich wie immer bedeckt hielt und Victor, der mit dem Vorschlag nicht einverstanden war. "Niemand wird sich so etwas bieten lassen." Elisabeth übernahm überraschend die Verteidigung von Roberts Idee. "Nicht von jetzt auf gleich und auch nicht alle Verbote auf einmal, aber schrittweise, und mit einer einleuchtenden Begründung dahinter, schon." "Ich sehe die Rebellion jetzt schon vor mir, da sind die Gesetze nicht einmal zu Papier gebracht", brüllte Victor. Mein zweiter Sohn wurde selten ungehalten, doch hier galt es, für den angeblichen Vampiradel zu sprechen. Jener Gruppe, der er sich verschrieben hatte. Mit seinem Jähzorn steckte er seine Frau an, die sich verärgert von ihrem goldenen Stuhl erhob. "Du Lustmolch hast womöglich die größten Schwierigkeiten mit solchen Gesetzen. Ich werde es Euch erklären, Großvater", nun wendete sie sich nur mir zu und echauffierte sich. "Vicco hat versucht, von mir zu trinken. VON MIR! Bin ich etwa seine Beute? Vampire voneinander trinken zu lassen, ist abartig! Ekelerregend! Kannibalismus! Wenn wir die Gesetze reformieren, dann nehmen wir dieses … unfassbar widerliche Verhalten als Straftat mit auf!" Auch Victor erhob sich und fixierte seine Gattin, ohne ein Wort dabei zu verlieren. Sein tadelnder Blick bewirkte jedoch den gegenteiligen Effekt bei ihr, denn sie breitete noch weitere Details vor dem Familienrat aus. "Du willst doch am liebsten eine Menschenfrau mit zu mir ins Bett nehmen. Was glaubst du wohl, warum ich von dir keine Kinder will, du Ekelpaket?" Mir war nicht bewusst, dass sich die beiden uneins waren. Er verließ den Familienrat daraufhin und kehrte auch später nicht wieder hinein zurück. Den eloquenten Victor zu verlieren, war ein schwerer Verlust und doch lösten Robert und Elisabeth alle Probleme mit Bravour. Zunächst schrieben die neuen Gesetzmäßigkeiten die Nutzung unserer Produkte vor und verboten das Wildern. Wie von Elisabeth vorgeschlagen, sollte dann der gesamte Genuss von Blut vom lebenden Subjekt schrittweise untersagt werden. Victor gab meine Enkelin als Frau frei. Möglicherweise war auch sie es, die sich trennte, denn sie nahm sich ohne Reue meinen dritten Sohn Robert, der seither mit einem Lächeln durch die Welt ging, als habe er sich niemals etwas anderes im Leben gewünscht. Eine kinderlose Partnerschaft war ohnehin nutzlos, also begrüßte ich die neue Verbindung. Auch wenn ich mit Robert nicht viel anzufangen wusste, war er doch ein würdiger Dracul und, trotz seiner jungen Jahre, schon überaus nützlich für die Familie. Zweifelsohne war er intelligenter als Elisabeth und ähnlich redegewandt wie Victor. Würde ich ihn im Kampf schulen, käme seine Kraft wahrscheinlich an jene von David heran. Er schrieb erst das sechzehnte Jahr und doch dachte ich bereits darüber nach, ihn mit der Führung unserer Geschäfte zu betrauen. Der Umzug stand unmittelbar bevor, den Victor nun ausschlug. Elisabeths Abkehr von ihm war ein zu schwerer Schicksalsschlag, den er nicht gut verkraftete. Dass er in einer solchen Situation Schwäche offenbarte, sah ich ihm nach, auch wenn mir das Fehlen meines wichtigsten Adjutanten den politischen Entscheidungsprozess erschwerte. Unweigerlich verließ ich mich stärker auf das, was meine unerfahrene Enkelin und mein jüngster Sohn mir rieten. Deren frisches Gedankengut hatte mir aber bereits einen Geldsegen beschert und so konnte ich es ebenso als Chance begreifen. Schließlich war ich es immer noch selbst, der das letzte Wort behielt. David-Richard hatte zwei Villen in Deutschland für uns errichten lassen. Eine davon sollten ich und er mit seiner Frau Corella beziehen, die andere Victor mit Elisabeth, Robert und Magret. Da sich Victor vorerst zurückgezogen hatte, teilten sich Elisabeth und Robert die Villa nur noch mit ihrer Mutter Magret. Ursprünglich nur als Übergangslösung gedacht, war der zeitgemäße Jugendstil aus meiner Sicht einem weiteren überfrachteten Renaissance-Bau zu bevorzugen. Davids Bemühungen um einen neuen Palast konnte er entsprechend einstellen. Dass wir uns in das Zentrum der Vampiradelskreise hinein bewegten, stärkte unsere Stellung noch weiter. Erheitert stellte ich zudem fest, dass unsere Familie außerhalb der Walachei und Siebenbürgen „Lucard“ genannt wurde, kannte uns das Gefolge doch primär durch unser Produkt "Lucards feines Frischblut". Ich nahm diesen Namen mit Stolz entgegen, denn er wurde in Ergebenheit ausgesprochen. „Dracul“ mochte altehrwürdig gewesen sein. Der neue Name strahlte jedoch vom ersten Kontakt an den Erfolg eines Unternehmers aus, wobei ich den Status des Urvampirs selbstverständlich beibehielt. Fortan änderte auch ich meinen Namen in gleicher Manier zu Alucard. In ihrer Verrücktheit drängte uns Elisabeth kurz nach unserer Ankunft, ein Lichtbild von uns allen anfertigen zu lassen. Diese menschliche Erfindung war für lichtscheue Vampire allenthalben bedingt geeignet. Schon der Name des Vorgangs beschrieb die Krux, denn er zwang uns, bei Tage unsere Betten zu verlassen und vor die Türe zu treten. Trotz des trüben Morgens wagten wir uns nicht unter der Überdachung des Türgiebels hervor, denn selbst dieses schwach diffuse Sonnenlicht verursachte ein unangenehmes Jucken auf der Haut und erste Rötungen. Der Fotograf, ein unbedarfter Mensch, positionierte uns und stellte sich danach hinter einen schwarzen Holzkasten mit Vorhang. Ein heller Funke ging von einer grellen Leuchte aus, der eine kurze Verbrühung auf unserer Haut hervorrief und uns alle blendete. „Das reicht! Kein weiteres Mal, Elisabeth“, rief ich erzürnt, während ich mir die schmerzenden Augen rieb und bereits in der Tür verschwand. Sie gab keinerlei Widerworte, denn schien selbst überrascht, welchen Schmerz das Licht des Apparates auslöste. Eine Woche darauf präsentierte sie mir das entwickelte Lichtbild. Kaum jemand sah den Betrachter des Bildes an, sie selbst und David ausgenommen. Der Rest betrachtete mehr oder minder die Verursacherin unserer Skepsis. Ich gab ihr diese grauenvolle Fotografie zurück in die Hand und bemerkte: „Sogar auf diesem Abbild trägst du jenen abscheulichen Silberschmuck um den Hals. Was versprichst du dir davon?“ „Ich dachte, es sei selbsterklärend, Großvater. Ich werde diese Fotografie auf die Etiketten unseres Produkts 'Lucards feines Frischblut' drucken lassen. Kein Vampir hat es je gewagt, sich mittels Lichtbildtechnik abbilden zu lassen, doch für uns ist das selbstverständlich. Die Botschaft: Silberschmuck, Licht, das alles macht uns nichts, denn wir sind Lucards. Wir stehen über diesen weltlichen Dingen“, antwortete sie voller Stolz. Solch brillante Ideen kamen sonst nur Victor, doch seit seiner Abwesenheit kümmerte sie sich um unsere Außenwirkung. Sie musste sich während ihrer Verbindung einiges von ihm abgeschaut haben. Kapitel 5: Selbstexperiment --------------------------- Das schrittweise Verbot des direkten Blutkonsums zog vereinzelt Aufstände, aber auch gezielte Attentate auf uns nach sich. Lachhafte Kindereien des Volkes, nicht mehr als eine Farce, denn es bedurfte schon dem reinen Blut eines Urvampirs, um einem Lucard bedrohlich werden zu können. Unter dem Deckmantel des Blutvertriebs formte sich unter Davids Leitung notwendigerweise eine Spezialtruppe, welche zugleich für die Einhaltung der Gesetze sorgte. Zu Beginn wurde jeder Vampir von dieser Gruppierung zwangsbeliefert. Robert stattete sie mit dem verklausulierten Namen "Society of Loyal Vampirs" aus, welche mir kaum über die Lippen kam. Ich fragte mich, welche Faszination die englische Sprache auf ihn ausübte, da Elisabeth aber zustimmte, ließ ich ihn gewähren. Mit der Macht unserer loyalen Streitkräfte im Rücken ernannten wir Verweigerer und Aufständige zu Verrätern, welche mein Erstgeborner zur monatlichen Vampirversammlung öffentlich hinrichtete. Gerade in den Anfangszeiten belief sich dessen Anzahl nicht selten auf bis zu Einhundert, ein geringer Preis für die Ergebenheit Zehntausender. Somit untersetzten wir die Dominanz der Sach- und Geldmittel zunächst mit Rationierung, erweiterten sie darauffolgend jedoch, äußerst erfolgreich, durch Angst. Zweihundert Jahre zuvor gestaltete sich die Herrschaft weniger umständlich. Als ich noch auf Schlachtfeldern gegen die Menschen, allen voran gegen die Hetze der Kirche, kämpfte, vereinte uns dieser gemeinsame Feind, etwas, das nun fehlte. Kampfesmüde war das Vorgehen meiner Kinder nicht nur zeitgemäß, sondern auch ebenso unterhaltsam. Terror begriff ich als stärkste Waffe der Moderne. Nach weniger als einem Jahr flaute der Widerstand gegen unsere Gesetze bereits ab. Ein Menschenkrieg hatte den Umzug der Draculs forciert und damit die Wiedergeburt der Familie als Lucards auf einem neuen Niveau ermöglicht. Elisabeth gewann wieder etwas Zeit hinzu, welche sie zu ihrer Leidenschaft, der Erforschung, zurückführte. Mit dem Versprechen einer neuen Erkenntnis lotste sie mich eines Nachts in ihr Laboratorium im Kellergeschoss ihrer Villa. Der Raum mutete nach einer Mischung aus alchemistischem Labor mit allerhand skurril geformten Glasbehältnissen und traditioneller Folterkammer an. Langsam begann auch ich das Wunder der Elektrizität zu schätzen. Taghell erleuchteten die Deckenlampen das Geschoss unter Tage, heller als unsere Räumlichkeiten darüber und das obendrein ohne meine Augen zu blenden, wie es das Blitzgerät des Fotografen tat. Dem Kerker im Palast in Argisch unterzog Elisabeth stets einer regen Nutzung, deshalb verfügte das hiesige Untergeschoss, auf ihren Wunsch hin, ebenfalls über zehn Kerkerzellen. Selbst diese gerieten unter Elisabeths Forscherdrang jedoch an ihre Kapazitätsgrenzen, denn sie begann schon mehr als eine Person pro Zelle unterzubringen. Links sperrte sie Menschen ein, rechts Vampire, welche gegen die neuen Gesetze rebellierten. Leider herrschte in diesem Trakt, aufgrund schlechter Planung, ein Mangel ausreichender Luftzufuhr, sodass der beißende Gestank ihrer sieben Menschen schon nach nur einem Atemzug die Sinne trübte. Elisabeth zerrte ein zitterndes Weib, mit einer braunen Decke um den Körper, aus der letzten linken Zelle und führte es in ihr Labor. Für einen Augenblick stutzte ich. Diese Gefangene musste verwandelt worden sein, denn trotz der räumlichen Zuordnung zu den Menschen, sonderte sie den weichen Geruch eines Vampires ab. Meine Enkelin riss ihr die schmuddelige Decke aus den zittrigen Händen und so offenbarte sich mir ihr gerundeter Bauch. „Ich habe Proband G1 letzte Woche selbst konvertiert. Rova verweigerte sich wieder einmal, doch zu meinem Glück, hat sie es trotzdem überlebt. Besonders bemerkenswert an dieser Frau ist das Kind in ihrem Bauch, welches nach wie vor menschlich ist. Ich kann kaum erwarten, zu erfahren, ob und in welchem Zustand es zur Welt kommen wird!“ Elisabeth ließ die Frau achtlos stehen und präsentierte mir einige ihrer Mitschriften, welche sie mit Schreibmaschine getippt hatte. Sie führten ihre Probanden mit Kurzzeichen auf, hinter welchen sie die durchgeführten Experimente vermerkte. Da die Anzahl an Namen die der Insassen überstieg, schloss ich auf einen nicht erheblichen Verschleiß. Einige starben, laut Vermerk, an Silber, manche an Licht, wieder andere an Nahrungsmangel oder missglückten Umwandlungen. „Derzeit befinden sich noch drei weitere menschliche Probanden in Gravidität durch einen Vampir. In einer von ihnen meine ich, eine nichtmenschliche Aura aufzuspüren. Ist das nicht unglaublich? Halbblüter unreiner Vampire sind so wahnsinnig selten. Was würde ich nur dafür geben, endlich ein echtes Halbblut zu sehen?! Leider habt Ihr mir Rova vor seiner Konvertierung vorenthalten.“ Selbstverständlich hatte ich das. Eines meiner Kinder in dieser unreinen Form vorzuführen, war selbst für sie indiskutabel. Ob diese Form der Forschung an Halbblütern jemals zu etwas führen würde, bezweifelte ich. Vermutlich diente sie der Befriedigung ihrer sadistischen Vorlieben, welche wohl einem unterdrückten Jagdtrieb geschuldet war. Oder aber entsprangen sie einem meiner indirekten Aufträge nach Roberts Geburt, dessen Status ich nun abfragte. "Du kennst meine Vermutung bezüglich normaler Nachkommen im Vergleich zu umgewandelten Halbblütern. Sagt deine Forschung etwas darüber aus, ob mir Robert und Magret stärker gleichkommen als Victor und David?“ Sie entledigte sich ihres weißen Kittels und setzte sich auf einen der Metalltische. Dass sich die schwangere Vampirfrau in eine Ecke hockte, interessierte keinen von uns. Elisabeth beugte sich zu mir und begann mich aus ihren blauen Augen anzufunkeln, als sie mir ihre Antwort gab. „Auf chemischem Wege konnte ich nichts nachweisen. Trotzdem kann ich sagen, dass Rova anders ist als Vicco. Ein pikantes Detail, Großvater. Kommt doch etwas näher an mich heran, dann will ich es Euch verraten." Zweifelsohne heckte sie etwas aus und doch kam ich ihrer Bitte nach. Erst als meine Beine schon die ihren berührten, gab sie mir das Zeichen zu stoppen. So nah war ich ihr zuletzt vor zwanzig Jahren, bevor sie von der Todesursache ihres Vaters erfuhr. Lächelnd hauchte sie zu mir nach oben: "Ich habe es am Beischlaf bemerkt, oder besser, danach. Rovas Erguss glüht und prickelt in mir noch nach Stunden. Vicco hatte diese Wirkung nie und ich muss sagen, dass ich es sehr genieße. Es besteht kein Zweifel an Rovas Besonderheit, nur leider bin ich außer Standes, dies zu messen. Ich finde keine geeigneten Werkzeuge oder Messverfahren dafür und kann es auch durch Erfahrung nicht einordnen, denn dazu benötige ich einen Vergleich… zu...“ Dies war eine der wenigen Situation in meinem Leben, die meine Mundwinkel zu einem Lächeln überzeugten. Ich vervollständigte: „... zu einem Mann von wahrer Macht?“, worauf sie als Erwiderung die Augenbrauen hob sowie ihre Schenkel spreizte. Den Mord an ihrem Vater schien Elisabeth tatsächlich überwunden zu haben, oder aber triumphierte ihre Neugierde über ihre Abscheu vor meiner Tat. Es war mir gleich, denn endlich, nach all den Jahren, ließ sie mich in sich. Dies machte jedes weitere Wort überflüssig. Ihre sich zu Klauen formenden Nägel, welche sich vor Lust in meinen Rücken krallten, wurden zu einer der unvergesslichsten Freuden meines langen Daseins. Ich spürte, wie das Leben in meine alten Glieder zurückkehrte, doch nachdem ich mich in sie ergoss, wurde es still, wenngleich ihr Herz ebenso raste wie meines. Während ich in ihr verweilte, starrte Elisabeth regungslos zur grau verputzten Decke, direkt in eine der hellen Glühlampen. Da sie wohl die Reue überkam, löste ich mich, doch ich wusste, sie würde sich schon bald nicht mehr an ihrem Entschluss stören. „Soll ich die Zeugin töten?“, versuchte ich sie zu beruhigen. Ihre um mich geschlungen Arme ließ sie nun sinken und schüttelte dabei apathisch den Kopf, bis sie ihre Augen endlich schloss. "Es hätte keines Umwegs über meine Söhne bedurft, Elisabeth. Mein Herz schlug seit deiner Geburt für dich. Deine blauen Augen, dein rotbraunes Haar, nichts davon betrachte ich mehr als Makel." Es schien zwecklos. In einem vergleichbaren Zustand hatte ich sie nie zuvor erlebt. „Lasst mich allein, Alucard,“ befahl sie. Ich blieb ihr wohlgesonnen und erfüllte ihr diesen Wunsch. Mich beschäftigte, was in ihr vorging. Was mochte sie wohl gespürt haben? War meine Macht derart überwältigend? Ihre Wortwahl ließ mich stutzen. Einschüchterung hätte sie mich Majestät nennen lassen, doch sie nannte mich beim Namen. Ich schloss nicht aus, dass dies ein Ausdruck ihrer Zuwendung gewesen sein konnte, nun, wo sie mich zu ihrem Manne erwählt hatte. Wie lange hatte ich gelebt, nur um von meiner Enkelin vor dieses unlösbare Rätsel gestellt zu werden? Eine solche Unsicherheit zu spüren, versetzte mich zurück in ein antikes Zeitalter in welchem ich selbst in ihrem Alter war. Dieses Kind wirkte auf mich wie ein Jungbrunnen. Ihrem Wunsch entsprechend hielt ich mich eine ganze Nacht lang zurück, doch dann, etwa eine Stunde nach Mondhöchststand, erreichte mich eine ungewöhnlich starke negative Welle, ausgehend von ihrer Villa. Ich trat in den holzvertäfelten Flur, den ich verwüstet vorfand, ebenso wie das komplette Erdgeschoss. Blutlachen sowie zerfetzte Körperteile unserer Diener bedeckten die Böden. So etwas konnte vorkommen, doch bedeutend verdächtiger fand ich die weit offenstehende Tür zum Laboratorium im Keller. Schleunigst begab ich mich die Stufen hinab, wo sich mir eine aufgewühlt jauchzende Magret in den Weg stellte. „Er war es nicht!“ Achtlos stieß ich sie beiseite und betrat das nicht weniger demolierte Labor. Überall verstreut lagen Leichenteile von Versuchssubjekten, die einen Tod durch die Krallen eines Lucards gefunden haben mussten. In der hinteren rechten Ecke des Raumes fand ich Robert mit dem Rücken zu mir hockend, vor etwas, das ich zunächst nicht wahrhaben wollte, ein Staubhäufchen. „WO IST ELISABETH?“, brüllte ich ungehalten. Nur den Bruchteil einer Sekunde später bedrohten Roberts Krallen meine Kehle, ähnlich, wie ich es zwei Jahre zuvor bei ihm tat. Mein Sohn überraschte mich mit diesem Angriff und hätte er nicht gestoppt, wäre meine Verletzung erheblich ausgefallen. Ein paar Tropfen meines kostbaren Blutes liefen an jener Stelle herunter, an der sich seine messerscharfen Nägel in mein Fleisch bohrten. Diese bemerkenswerte Leistung hatte vor ihm niemals jemand vollbracht. „Ich weiß, dass Ihr gestern bis in die frühen Stunden mit ihr hier unten wart, Graf Alucard. Was habt Ihr ihr angetan?“ Seine Aura flammte mir drohend entgegen, doch sie blieb zügellos, mal schwächer und bemerkenswerterweise mal stärker als die meinige. Seit dem Tod der Urvampire, war dies erste Mal, dass ich an einem anderen rote Augen sah. Mit einem gezielten Handgriff in seinen Nacken löste ich ihn und schleuderte ihn von mir. Wenngleich er prompt wieder aufrecht vor mir stand, stieß ich ihn achtlos beiseite, um mich den staubigen Überresten zuzuwenden, deren Echtheit zu bestätigen blieb. Die Wahrheit traf mich in voller Härte, als ich ihr weißes Spitzenkleid zweifelsfrei identifizierte. Leicht im Staub versunken, fand ich ihre Silberkette, die meine Haut bei Berührung verbrühte. Ihr unfälschbarer Duft, einmalig unter Hunderttausenden, hing in sanften Zügen sogar noch ihren staubigen Überresten an. Elisabeth war einmal. Nur eine Erklärung führte zu diesem Ergebnis. Robert musste uns gesehen und sich auf diese Weise an ihr gerächt haben. „Robert, du eifersüchtiges, missratenes Balg hast sie mir genommen!“, brüllte ich voller Verbitterung und Jähzorn. Auf diese Anschuldigung hin, beschleunigte sich seine Atmung, wodurch seine Wut erneut in voller Macht aus ihm herausbrach. Er gebahr eine so dunkle Aura, wie selbst ich seit Jahrhunderten nicht mehr. Heiser schrie er mir zur Antwort: „Ihr glaubt, ich sei fähig, die Liebe meines Lebens zu töten? Wisst Ihr überhaupt, wer ich bin?“ Mein Sohn natürlich, der über sein läppisches, siebzehnjähriges Leben lamentierte, kaum ein Wimpernschlag für mich. Magret schob sich vorsichtig mit ausgebreiteten Armen zwischen uns. Sie zitterte und doch wirkte sie beherrschter als ich oder mein Sohn. „Haltet ein, Vater! Ich kann seine Unschuld bezeugen. Als er die Kellertür öffnete, kam ihm eines eurer Forschnungsopfer entgegen. Rova zerrte es gerade die Stufen hinunter, als ich dazu stieß und da lag sie, meine geliebte Tochter. Sämtliche Zellentüren waren geöffnet, aber die Leute kamen nicht aus dem Labor heraus. Rova tötete jeden…, bis auf mich.“ Ein Komplott zwischen ihr und Robert gegen Elisabeth war auszuschließen, denn Magret log nicht. Und doch erschloss sich mir der Sinn hinter all dem Ganzen nicht. Wutentbrannt stieß ich sie weg, packte mir Robert und schlug ihm kraftvoll ins Gesicht. Blutend sank er neben Elisabeths Überresten zusammen, während ich ihn eines anderen Verbrechens beschuldigte. "Wenn du sie nicht ermordet hast, wer war es dann? Du Schwachkopf hast mir mit deinem rasenden Zorn die Rache gestohlen!" Robert spuckte nicht nur Blut, sondern auch eine Dreistigkeit aus. "Rächt Euch stellvertretend an mir, wenn Ihr die Geschäfte allein führen wollt, Graf!" Gewitztes Bürschchen, selbst in dieser Trauer. Wieder ging Magret dazwischen, doch diesmal mit ihrem hassenden Blick, der mich nur noch wütender werden ließ. "Vater, Ihr werdet meinem Bruder keinen Kratzer mehr zufügen, sonst stehen Euch zwei Eurer Kinder als Feinde gegenüber." "So leicht fällt es dir also, dies auszusprechen, Magret? Doch ich muss dich enttäuschen. Du wirst mir allein gegenüberstehen, denn Robert weiß um seine Zugehörigkeit." "Dann von mir aus auch allein!", keifte sie. Der Junge betrachtete mich nicht als Feind, sondern heulte nur Rotz und Wasser. Nichtsdestoweniger blieb ein neuerlicher Ausbruch seiner übermächtigen, dunklen Aura nur eine Zeitfrage. Deshalb, aber auch, um mich kein weiteres Mal diesem verabscheuungswürdigen Blick meiner Tochter aussetzen, wendete ich mich von meinen Kindern ab. Keines von ihnen fühlte wie ich, keines verstand die Tiefe der Verzweiflung meines Herzens. "Verschwinde, Magret! Du bist im Hause Lucard nicht mehr willkommen." Der Verstoß seiner Schwester vermochte Roberts Hass deutlich zu steigern. Ich spürte, wie er sich hinter meinem Rücken erhob. Um keine Krallen, oder gar eine Silberklinge im Rückrad zu riskieren, blickte ich mich um, hinein in seine roten Augen, die mich allerdings verfehlten. Achtlos schritt er in Windeseile an mir vorbei und verschwand danach aus der Villa. Ihrer schwer erträglichen Art gemäß kreischte ihm Magret hinterher, doch es half nichts. Ein junger Vampir wie er reagierte sich am besten ab, indem er tötete. Mir hingegen blieb nichts mehr, denn das Morden brachte mir nach zehntausenden Toten auf den Schlachtfeldern Europas keine Genugtuung mehr. Nur eine Nacht trennte mich von allen Frauen der Familie Lucard, die jemals existierten. Geblieben waren mir nur noch meine drei Söhne, von denen keiner einen Gedanken an den Fortbestand der Dynastie verschwendete. Noch immer hatte ich keinen Erben gefunden und sah mich selbst in keinster Weise mehr dazu in der Lage, nach diesem Ziel zu streben. Elisabeth hatte meiner uralten Seele 34 Jahre der Liebe geschenkt, die mit ihr für immer erlosch. Die Erinnerung an Elisabeths leeren Blick zerfraß mich über Monate hinweg. Was hatte sie für mich empfunden? Welches Ergebnis lieferte ihr Abgleich zwischen mir und Robert? Ließ sich dieser Vergleich mit ihrem Tod verknüpfen? Die Unwissenheit zerriss Stück für Stück, was von meiner Seele übriggeblieben war. Im Wahn sah ich alternierende letzte Szenen von meiner geliebten Enkelin, in denen sie sich erklärte, doch mit jedem neuen Mal wisperte sie mir etwas anderes zu. Eine funkelnd stahlende Aura wie Elisabeths konnte keinesfalls den tödlichen Klauen der Verzweiflung anheimgefallen sein, oder irrte ich? Schon Sirenie stahl sich mir, frei von vorherigen Anzeichen, auf diesem selbstgewählten Pfade davon. Nein, unvorstellbar. Wahrscheinlicher nutzte die G1 Probandin einen unachtsamen Moment. Aus freien Stücken hätte mich meine Liebe doch niemals auf dieser hassenden Erde zurückgelassen. Im Wunsch, mehr zu sein als mein Sohn Victor, der selbst nach Elisabeths Tod nicht den Anstand besaß, zu uns zurückzukehren, zwang ich mich noch einige Jahre in Deutschland zu verweilen. Die Trauer zerfraß indes, neben meinen Lebenszielen, meinen Leib und meine Seele, bis ich schon bald keine Entscheidungen mehr zu fällen vermochte. Robert blieb keine Wahl, als immer häufiger in Vertretung für mich zu gehen, wenn er die Macht der Lucards sichern wollte, und das tat er. Überflüssig geworden und abgelöst von der zweiten Generation, kehrte ich während der Anbahnung einer neuen Weltkrise in meine Wahlheimat Schloss Bran zurück, nicht in den weitläufigen Palast nach Argisch. Mein Schlafgemach erinnerte mich an den Verlust meiner Tochter, der Thronsaal an den meiner Enkelin. Die alten, starken Mauern des siebenbürgener Schlosses boten mir einen besseren Kerker für die überschäumende Einsamkeit meines ertrinkenden Herzens. Ich setzte mich auf einen Stuhl in der Mitte meines alten Arbeitszimmers auf Schloss Bran und wartete auf das Ende der Ewigkeit. Wenn ich den Blutkonsum einstellte, so hoffte ich, würde mich ein neuerlicher Zweitausend Jahre andauernder Schlaf überkommen, auf dass mich eine Epoche empfinge, die besser zu mir war als diese. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)