Cookies&Cream von lady_j (MiguelxKai) ================================================================================ Kapitel 1: Cookies&Cream ------------------------ Miguels neues Leben begann in einem Kaffeehaus an der Espressomaschine. Nachdem er einige Monate lang an der Kasse geschuftet und ein lächerliches Stundengehalt bekommen hatte, durfte er einen Baristakurs besuchen und nun endlich spannendere Dinge tun als Hipstergebäck verkaufen. Das Gehalt wurde zwar nur geringfügig besser, doch seine neuen Aufgaben machten ihm wesentlich mehr Spaß, obwohl er nun auch mehr Stress hatte. In den Stoßzeiten lag eine ganze Reihe von Bestellzetteln neben ihm, die er so schnell wie möglich abarbeiten musste, ohne am Ende die dazugehörigen Kunden zu verwechseln. (Am Anfang war es ihm mal passiert, dass er einen Latte Macchiato mit einem Café au Lait verwechselt und falsch herausgegeben hatte, aber es hatte sich zum Glück keiner der beiden Geschäftsmänner beschwert.) Meistens schob er nur die Becher über den Tresen und rief dabei laut die Getränke aus, ohne sich darum zu scheren, ob der Kunde bereits direkt gegenüber stand oder an der Servicestation lehnte. Als Barista durfte er tatsächlich auch unhöflich sein, für den frisch gebrühten Kaffee verziehen die Leute ihm das. Nur Matilda, die ihn einmal hatte überraschen wollen und die er prompt übersehen hatte, war danach etwas sauer gewesen – doch um ehrlich zu sein, Matilda konnte eigentlich gar nicht richtig sauer werden, schon gar nicht auf ihn. Ja, Miguel war froh darüber, wie es jetzt lief. Sein Alltag war geordnet, der Druck, den er während seiner Zeit als Sportler verspürt hatte, war über die letzten Jahre gewichen und der Job war genau das Richtige neben dem Studium. Die Stadt war groß, aber er lebte in einer der ruhigeren Ecken und konnte trotzdem sowohl Uni als auch Arbeitsplatz bequem erreichen. Und seine Freunde waren auch nicht weit. Matilda ging auf dieselbe Uni und Claude und Aaron konnte man mit einem kurzen Flug erreichen. Die EU war schon was Feines. Und so lebte Miguel sein kleines, beschauliches Leben, studierte fleißig und servierte gestressten Geschäftsmännern ihren Kaffee – er beneidete diese übrigens nicht. Sie waren immer viel zu gehetzt und würden bestimmt Mitte vierzig einfach kollabieren und in Frührente gehen. Er verstand nicht wirklich, wie ihre Leben aussahen, kannte ja nur den kurzen Moment, in dem sie in den Laden kamen, ungeduldig mit den Fingern auf ihren Oberschenkeln trommelten, wenn sie anstehen mussten und die Bestellung wie einstudiert aufgaben. Ihm den Becher förmlich aus der Hand rissen und so schnell wieder weg waren, wie sie kamen. Wenn er sich etwas geschworen hatte, dann, nicht irgendwann zu diesen lebenden Wracks zu gehören, deren einzige Freude der Blick auf den Kontostand war. Es war später Vormittag, die morgendliche Rush-Hour hatte er bereits hinter sich gebracht. Er hatte Ferien, Sommersemester, die Tage wurden ordentlich heiß, aber der Laden war gut gekühlt. Miguel nutzte die Atempause zwischen Morgen- und Mittagsbetrieb, um die Maschine zu reinigen und Becher aufzufüllen, während zwei seiner Kolleginnen schwatzend um ihn herumwuselten. Dann ging die Tür auf und ein Schwall von Männerstimmen nebst einem warmen Luftzug drang herein. Miguel machte sich bereit für eine Großbestellung. Die Herren trugen luftige Sommeranzüge; die meisten hatten ihr Jackett ausgezogen und zeigten dünne Hemden ohne Krawatten. Es musste ein legeres Treffen unter Kollegen sein, meinte Miguel. In den umliegenden Straßen gab es einige Bürogebäude und gerade im Sommer nahm man gerne einen Kaffee an der frischen Luft zu sich – freilich nicht ohne dabei über Geschäftliches zu Reden. Manchmal wurden ganze Meetings an die Tische vor dem Laden verlegt. Miguel musterte die Gruppe genauer. Die Herren waren jung, weißzahnig und gut frisiert, nur einer stach hinaus: er hatte einen beträchtlichen Haarschopf mit einem einzigen Gummi zu bändigen versucht, was ihm nur halbwegs geglückt war. Gerade bestellte er einen Americano und Miguel wollte schon den Blick abwenden, als er, von einer Erinnerung gepackt, noch einmal hinsah. Konnte das…? Nun, das Alter würde passen, überlegte er, während er schon diverse Espressi herstellte und Milchschaum aufschlug. Und soviel er von seinen Familienverhältnissen wusste, war es auch nicht unmöglich, dass er in diesem Aufzug und in dieser Gesellschaft hier auftauchte…Allein die Stadt war ungewöhnlich, aber Global Business verlangte Dienstreisen, also… Er goss einen Espresso mit Wasser auf und stellte die Tasse als letzte auf den Tresen. „Americano!“, sagte er laut und erlaubte sich, sein Gegenüber noch einmal zu mustern, während dieser die Hand nach der Tasse ausstreckte. Eigentlich bestand schon kein Zweifel mehr. „Entschuldigung?“, sagte Miguel, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. „Kai? Kai Hiwatari? Bist du das?“ Der Mann sah ihn perplex an. „Uhm, ja, woher…?“ „Miguel, von den Barthez Soldiers. Erinnerst du dich?“ Kais Gesicht hellte sich auf und er griff endlich nach der Tasse. „Ja, ja natürlich! – Ich hätte dich beinahe nicht erkannt…“ Sie sahen sich an, Kais Blick verharrte auf Miguel, als wolle er sich noch einmal vergewissern, wen er vor sich hatte. Miguel dachte kurz an seine wilde Mähne zu Teenagerzeiten zurück und konnte sich ein kurzes Grinsen nicht verkneifen, woraufhin Kais Augenbrauen nach oben zuckten. Sein Gesicht war sehr hell mit scharfen Kanten – ungewöhnlich, als fehlte etwas, und doch mit den Erinnerungen vereinbar. Sie waren wohl beide unschlüssig, was zu tun war. „Du wirst gerade wohl keine Zeit für Smalltalk haben“, meinte Miguel schließlich, „Aber ich fänd’s super, mal über die alten Zeiten plaudern zu können, was meinst du?“ Kai hob die Schultern. „Ja, warum nicht. Ich habe schon lange keinen von der BBA mehr gesehen. Wann hast du Schluss?“ „Gegen fünf.“ „Das passt, wir können uns hier treffen.“ „Okay.“ Und Kai wandte sich ab und ging zu seinen Kollegen, die es sich draußen in der Sonne gemütlich gemacht hatten. Miguel war etwas überrascht. Zunächst, weil Kai sein Angebot nicht abgeschlagen hatte. Doch auch darüber, dass er soeben wie ein Geschäftsessen in den Terminkalender aufgenommen worden war. Er beobachtete die Gruppe verhalten. Kai hielt sich aus der heftigen Diskussion raus, Miguel sah, wie er ein großes Smartphone aus der Tasche zog und sich in irgendwelche Angaben auf dem Display vertiefte. Es sah verdammt professionell aus. Er fühlte einen kleinen Stich, als ihm einfiel, dass sie beide gleichalt waren. Während er sich als Barista über Wasser hielt, scheffelte Kai wahrscheinlich heftig Kohle. Und sah dabei nicht einmal gestresst aus. Aber wahrscheinlich würde er trotzdem mit fünfzig voll auf Aufputschdrogen sein, während er, Miguel, ganz lässig jeden Morgen zu irgendeinem coolen Job radelte. Das zumindest war der Schlachtplan. Er seufzte. Zum ersten Mal hatte er das Gefühl, das schlechtere Los gezogen zu haben. „Wie kommt es, dass du schon voll im Job bist?“, fragte er und schob die Sonnenbrille auf seiner Nase hoch. Sie schlenderten nebeneinander die Straße entlang, Kai hielt einen Kaffeebecher in der Hand, sodass der Hemdsärmel ein Stück zurückrutschte und den Blick auf eine silberne Armbanduhr freigab, und das Jackett in der Armbeuge. Miguel hatte die Hände in die Taschen seiner Shorts vergraben. „Ich bin nicht voll im Job“, antwortete Kai, „Ich bin Trainee. Die Firma ist Partner von Hiwatari Enterprises, bin über Beziehungen an die Stelle gekommen.“ „Dafür siehst du aber ziemlich wichtig aus.“ Kai warf ihm einen amüsierten Blick zu. „Ja, das muss leider so sein. Genauso, wie die Geschäftsessen und das ständige Telefonieren. Aber der Job hat auch seine guten Seiten. Ich darf ziemlich viel mit meinem Boss verreisen.“ „Das ist allerdings cool“, sagte Miguel und hob den Kopf, als sie an einer Kreuzung halt machen mussten. Er sah ihr Spiegelbild in einem Schaufenster auf der anderen Straßenseite. Sie sahen ziemlich zusammengewürfelt aus: Er im Studenten-Look, Kai in seiner Business-Uniform. Sie schlugen den Weg zum nächsten Park ein und verbrachten ein, zwei Stunden plaudernd im Schatten. Kai sagte wenig, aber mehr, als Miguel erwartet hätte. Es war belanglos, der ganze Nachmittag, doch für Miguel war er auch schön. Zumindest hatte er nicht erwartet, sich so wohl in der Gesellschaft des anderen fühlen zu können. Kurz bevor sie sich verabschiedeten fragte er daher: „Wann fliegst du wieder zurück?“ Und zu seiner Überraschung hob Kai die Schultern. „Ich weiß nicht. Es wird hier eine Weile dauern. Und ich habe überlegt, ob ich dann noch für einen kurzen Urlaub bleibe. Es gefällt mir hier.“ „Ja, also, dann kannst du ja mal wieder vorbeikommen.“ „Euer Laden liegt direkt auf dem Weg, also…ja. Werde ich wohl.“ Miguel lachte und wurde aus irgendeinem Grund verlegen. „Ja, also dann…“ „Also dann“, wiederholte Kai. Und so trennten sich ihre Wege. Während Miguel noch beobachtete, wie er die Straße hinunterging, zog Kai schon wieder sein Handy hervor und begann ein scheinbar nicht länger aufzuschiebendes Gespräch. Vielleicht sollte Miguel dankbar sein, dass ihm zwei ganze Stunden im sicher überfüllten Kalender des Herrn Hiwatari gegönnt worden waren. „Wirklich krasser Zufall“, sagte Matilda, „Kai Hiwatari von den Neo Borg? Hätte ich als letztes erwartet.“ Sie saßen in seiner Wohnung vor dem Fernseher und sahen sich einen Blockbuster an, wie eigentlich jede Woche. Zwischen ihnen stand eine große Schüssel Popcorn und wenn sie beide darin herumwühlten, berührten sich ihre Hände ständig. Manchmal hatte Miguel das Gefühl, als ob Matilda sich an diesen Berührungen auflud wie eine Batterie und dann knisternd vor Spannung nach Hause ging. Er wandte sich vom Bildschirm ab und grinste sie an. „Da fällt mir ein…warst du nicht damals in den anderen Russen verschossen? Den rothaarigen?“ „Ugh, Miguel!“, rief sie aus, „Das war vielleicht für drei Tage…dann hat er Aaron fertig gemacht. Der ist gar nicht mein Typ. Du weißt doch, dass ich nicht auf so blasse Kerle stehe.“ Miguel lachte nur. Er neckte sie gerne, denn Matilda redete besonders viel, wenn sie sich rechtfertigen wollte. Dabei konnte er ihre Schwärmerei sehr gut nachvollziehen: Team Russki-Cheekboneski hatte es verstanden, sein Image bei den Fans voll auszuspielen. Miguel selbst hatte sich eigentlich auch nicht beklagen können: Wann immer sie eine neue Arena betreten hatten, war er von Mädchen umringt worden. Er hatte sich geehrt gefühlt, aber auch ein wenig eingeschüchtert. Und insgeheim hatte er Team Neo Borg bewundert, das nie aus der Ruhe zu kommen schien, wenn eine Horde Fans es einkesselte. Er erinnerte sich an das Match gegen Neo Borg. Der Tag, an dem sie sich von Barthez trennten. Ein großartiger Tag in seinem Leben. Miguel war gegen Kai angetreten. Er versuchte, sich zu entsinnen, was er gefühlt hatte: Aufregung und leichte Überrumpelung, weil ihm das Match spontan übergeben worden war. Ein wenig Furcht vor Kai Hiwatari, den sie in den Medien als beinahe unbesiegbar, jedoch vor allem unberechenbar darstellten. Und Ehre. Dieses Gefühl überschattete dann alles andere: Die Ehre, dieses Match austragen zu dürfen. Der Applaus, den er für seinen Kampf erhalten hatte, hatte ihm gezeigt, dass er sein Team würdig vertreten hatte. Und dann…dann hatte Kai Hiwatari etwas zu ihm gesagt, dessen Bedeutung erst in den folgenden Tagen gänzlich in ihm aufgegangen war. „Das war eine gute Attacke.“ Zuerst war er überrumpelt gewesen, denn Kai Hiwatari lobte nie. Er sagte generell wenig. Die Worte waren dann noch einige Zeit lang in seinem Kopf gekreist, und erst langsam verstand Miguel, was alles in diesem schlichten Satz stand. Kai und er besaßen Bit Beasts, die sich des Feuers bedienten. Er hatte dieses Lob von jemandem bekommen, der genau über die Charakteristika einer Feuerattacke bescheid wusste. Er wusste, wie viel Arbeit und Konzentration im „Dark Gargoyle“ gesteckt hatte. Gleichzeitig hatte Kai, indem er Suzaku gerufen hatte, ihm gezeigt, zu was er es bringen konnte, wenn er hart genug trainierte. Blaues Feuer. Soweit Miguel wusste, galt Kai bis heute als der einzige, dessen Attacken eine solche Hitze erzeugen konnten, dass sein Bit Beast in blauem Feuer erschien. Miguel erinnerte sich an die tiefe Bewunderung, die er für den anderen Blader empfunden hatte, Bewunderung und Respekt – und gleichzeitig war ihm mit einem simplen Satz der gleiche Respekt entgegengebracht worden. Dieses Gefühl der Zugehörigkeit zur Beyblade-Weltklasse, das Kais Wort in ihm ausgelöst hatten, war, nach all der Zeit mit Barthez, Balsam für seine Seele gewesen. „Miguel?“, fragte Matilda neben ihm, „Alles okay?“ „Ja“, beeilte er sich zu sagen, „Ich war nur in Gedanken.“ „Ich habe dich gefragt, ob ihr euch noch mal trefft.“ „Hm, ja…“ Miguel starrte auf seine Hand hinunter, die Popcorn hielt. „Er sagt, der Shop liegt gleich auf seinem Weg zur Arbeit. Also wird er wohl öfter reinschneien.“ So kam es auch. Es fing an damit, dass Kai sich gegen halb neun einen Coffee-To-Go holte und gleich wieder verschwand. Er beachtete nicht einmal ihre Frühstücksaktion – Kaffee und Bagel für zweifünfzig, werktags zwischen sieben und zehn. Für mehr als einen Gruß reichte die Zeit so auch nicht, da Miguel beim allmorgendlichen Kundenandrang selbst viel zu tun hatte. Dann jedoch verschob sich die Zeit, in der Kai auftauchte, immer weiter nach vorne. Nach einer Woche kam er schon um acht und las die Zeitung, während er seinen Kaffee an einem der Tische trank. Und noch ein paar Tage später war er einer der ersten Kunden, die schon kurz nach der Öffnung den Laden betraten. Über den Tresen hinweg hielten sie Smalltalk, bevor es wieder voll und stressig wurde. „Hast du dich eigentlich schon entschieden?“, fragte Miguel eines Tages, während er einen Mocca zusammenrührte und einem Kunden hinschob. Sein Blick blieb an Kais Schlüsselbein hängen, ein Anblick, der ihn zunächst verwirrte. Dann fiel ihm auf, dass an dieser Stelle normalerweise entweder zwei Knöpfe oder der obere Teil einer Krawatte zu sehen waren. Heute stand sein Hemd ein Stück offen. Kai schien mit den Gedanken woanders gewesen zu sein, denn er sah ihn verwundert an. „Was meinst du?“ „Ob du hier Urlaub machen wirst.“ „Ach ja. Ja, schon. Ich habe die Erlaubnis, unser Firmenappartement noch weiter zu nutzen, also bietet sich das ja an.“ „Ein Firmenappartement?“ Miguel spitzte die Lippen, „Nobel.“ „Da siehst du, wo das Geld liegt“, entgegnete Kai mit einem schiefen Grinsen. „Also“, fügte er hinzu, „Was gibt es denn hier so, das man sich unbedingt angesehen haben muss, bevor man stirbt?“ Miguel fing an zu grübeln. „Hm, kommt drauf an, was dich interessiert…Es gibt ein, zwei gute Museen und eine Galerie, aber ich weiß nicht, wer da gerade ausstellt. Ansonsten kannst du zum Strand fahren, es sind nur ein paar Kilometer. Da bieten sie so Tauch- oder Surfkurse an.“ „Klingt gut. Ich muss noch Papierkram erledigen, aber dann wäre so ein Trip zum Strand bestimmt nicht schlecht…“ „Ich dachte, du hast Urlaub?“, fragte Miguel. „Offiziell“, meinte Kai, „Aber eigentlich gibt es immer was zu tun. Der nächste richtige Urlaub kommt wahrscheinlich erst mit dem ersten Burn-out.“ Zu einer Entgegnung seitens Miguels kam es nicht mehr, denn in den letzten Minuten hatte sich der Laden merklich gefüllt. Kai nahm seine Tasse und zog sich an einen kleinen Tisch am Fenster zurück, um in Ruhe auszutrinken. Miguel hatte augenblicklich alle Hände voll zu tun. Während er arbeitete, dachte er jedoch noch eine ganze Weile über Kais letzte Worte nach. Zeit kannst du dir nur noch leisten, wenn du sie verschrieben bekommst. Das war irgendwie traurig. Wie sollte man denn etwas aus seinem Leben machen, wenn man wie ein Sklave an seinen Schreibtisch gefesselt war? Wenn man nie den Kopf frei bekam? Das war doch etwas, was gerade ein Blader wissen musste: Der Kopf musste frei sein. Man muss die Freizeit genießen und nutzen, um ein optimales Ergebnis zu erzielen, denn ein Match verlangte volle Konzentration. Das Hirn braucht Auszeiten, damit es voll leistungsfähig ist. So ging es eine ganze Weile in Miguels Kopf herum, bis er, sehr plötzlich, einen Entschluss fasste. Kai Hiwatari würde sich in seiner Stadt erholen, komme was wolle! Er, Miguel, würde dafür sorgen, dass ein Geschäftsmann weniger mit fünfundzwanzig seinen ersten Zusammenbruch erlitt! Strahlend blickte er auf, um Kai seinen Plan zuzurufen, doch der Tisch am Fenster war leer. Am nächsten Morgen kam Kai nicht. Es war halb zehn und Miguel war enttäuscht. Hatte er ein besseres Café gefunden? Sie hatten nicht ihre Nummern ausgetauscht. Er wusste nicht einmal den Namen der Firma, bei der Kai arbeitete. Wenn Kai keine Lust darauf hatte, mit ihm Zeit zu verbringen, würden sie sich wahrscheinlich nie wieder über den Weg laufen. Da ging er hin, sein schöner Plan. „Wo bleibt denn der Typ heute?“, fragte seine Kollegin. Miguel hatte ihr gesagt, wie „der Typ“ hieß, aber sie war nicht gut darin, sich Namen zu merken. „Keine Ahnung“, brummte er. „Schade. War schon ein ganz netter Anblick. Bisschen blass. Aber süß.“ „Süß?“, fragte Miguel. Das war nun wirklich das letzte Wort, mit dem er Kai beschreiben würde. Doch seine Kollegin hörte ihn schon gar nicht mehr: „Oh. Wenn man vom Teufel spricht: Guten Morgen!“, sagte sie fröhlich und Miguel sah zum Eingang. Er hätte Kai beinahe nicht erkannt. Der Anzug war verschwunden, stattdessen stand er in abgenutzten, schwarzen Jeans und einem schwarzen Shirt vor ihnen und nahm die Sonnenbrille ab. Nur die Haare waren zerzaust wie immer, passten jetzt jedoch besser ins Gesamtbild. „Hi“, sagte Miguel und war sich nicht einmal sicher, ob Kai ihn gehört hatte. „Hi. Ich dachte, ich komme mit meinem Papierkram zu euch“, sagte Kai, „Kann ich einen Kaffee und ein Stück von diesem Cheesecake haben?“ „Der Tisch da hinten hat eine Steckdose“, murmelte Miguel und deutete vage in die Richtung, „Kaffee kommt gleich…“ Kai grinste ihn an, bevor er sich abwendete und zu seinem Tisch ging, und Miguel bemerkte, dass er ihm nachsah, anstatt den Kaffee zu machen. Der Anblick des anderen in lässigeren Klamotten machte ihn irgendwie nervös. Er beobachtete, wie seine Kollegin mit dem Cheesecake zu Kai ging und offensichtlich zu flirten begann. Doch er ließ sie höflich abblitzen, während er seinen Laptop aus der Tasche zog und aufklappte. „Cutiepie“, raunte sie Miguel zu, als sie wieder hinter den Tresen kam. Er schüttelte nur den Kopf. Zwei Minuten später ging er selbst, die Kaffeetasse balancierend, zu Kai. Dieser starrte schon konzentriert auf den Bildschirm seines Laptops, während er seinen Kuchen aß. Jedoch vergaß er, die Gabel aus dem Mund zu nehmen, als er daraufhin beide Hände auf die Tasten legte und in einem wahnwitzigen Tempo zu tippen begann. In diesem Moment geriet Miguel aus irgendeinem Grund ins Stolpern und die Tasse klapperte heftig auf dem Untersetzer. Das Geräusch riss Kai aus seiner Konzentration. Er blickte auf und streckte schnell die Hände aus, um Miguel die schwankende Tasse abzunehmen. Erst als er zu sprechen ansetzte, bemerkte er die Kuchengabel und nahm sie endlich aus dem Mund. „Danke!“ „Entschuldigung!“, sagte Miguel, „Ich hätte das Zeug beinahe über dich gekippt. Bin wohl über meine eigenen Füße gestolpert…“ Er lachte verlegen, und Kai grinste ihn schon wieder so schief an. „Ähm, was…was machst du da eigentlich?“, fragte Miguel und deutete auf den Laptop. Er wollte mit Kai reden, so war das. Hatte keine Lust auf Arbeit. Es war sowieso gerade niemand da. „Ich muss einen Finanzierungsplan erstellen“, antwortete Kai, „Für ein Projekt. Du weißt schon, Revenue berechnen und die Ausgaben gegenchecken, Marketingkosten einschätzen…“ Er brach ab, als er Miguels fragenden Gesichtsausdruck bemerkte. „Willst du, dass ich es dir zeige?“ Damit hätte Miguel nicht gerechnet – dass Kai Hiwatari sich dazu herabließ, ihm etwas zu erklären. In Sachen Beybladen hatte er sich nie getraut, ihn nach einer Trainingseinheit zu fragen, auch wenn er ein Lob von ihm bekommen hatte. Es schien ihm zu unwahrscheinlich, dass Kai zugestimmt hätte. Doch jetzt nickte er, froh über das Angebot, denn es beinhaltete eine Gelegenheit für ein Gespräch, und setzte sich auf den Platz neben Kai, der seinen Laptop so drehte, dass Miguel auf den Bildschirm blicken konnte. Bis zum großen Mittagsandrang blieb Miguel dort, musste nur ab und an einen Kunden bedienen. Kai lotste ihn durch Stapel von Excel-Tabellen und erklärte gelassen, wie das mit der Finance funktionierte. Miguel konnte nicht behaupten, wirklich viel davon zu verstehen, aber er mochte die Art, wie Kai sprach. Man merkte, dass er diesen langweiligen Kram wirklich gerne erledigte, dass es ihm irgendwie Spaß machen musste, Geld in die Hand zu bekommen und daraus etwas Handfestes entstehen zu lassen. „…also nehme ich das günstigere Angebot vom Print, denn ich möchte mehr in Online-Kampagnen investieren. Und beauftrage meinen Designer mit beiden Projekten, denn ich möchte ja, dass es einheitlich aussieht. Da wir einen Designer im Haus haben, kostet mich das auch weniger, als wenn ich dafür eine extra Firma beauftrage.“ Miguel schwirrte der Kopf. „Wie kannst du dir merken, was du alles beachten musst?“, fragte er. „Man lernt es im Studium. Aber viel kommt auch einfach durch Erfahrung“, antwortete Kai, während er die vielen Fenster schloss, „Übrigens wäre ich dankbar, wenn du diese Sachen für dich behältst, denn eigentlich darf ich die Zahlen der Firma nicht einfach jedem zeigen.“ „Ich hab mir eh keine Beträge gemerkt“, entgegnete Miguel. Er wusste nur, dass sie mindestens vierstellig gewesen waren. Diese Firma gab für ein paar Flyer mehr aus, als er im Monat verdiente. „Miguel!“, erklang in diesem Augenblick die Stimme seiner Kollegin. Er blickte auf und sah, wie langsam immer mehr Kunden kamen. Schnell stand er auf. „Es geht weiter!“ Und winkte Kai zum Abschied. Als er schon ein paar Schritte entfernt war, fiel ihm jedoch etwas ein und er drehte sich noch mal um. „Hey Kai“, sagte er, „Wollen wir heute Abend was trinken gehen?“ Kai, der schon seinen Laptop in der Tasche verstaute, sah zu ihm auf. „Ja, warum nicht…“ Grinsend wandte Miguel sich ab und stellte sich hinter den Tresen, wo er tatkräftig begann, seine Zettel abzuarbeiten. Nach drei Minuten schob sich jedoch eine Hand in sein Blickfeld, die eine Notiz hielt. Er blickte hoch und in Kais Gesicht. „Meine Nummer“, sagte der und wedelte mit der Notiz, bis Miguel sie ihm abnahm. „Ruf mich an, wegen heute Abend.“ Miguel hielt den Zettel mit Kais Nummer in einer, sein Handy in der anderen Hand. Er war in seiner Wohnung, frisch geduscht und trug Kleider, die er für ausgehtauglich hielt. Auf alle Eventualitäten vorbereitet. Langsam bewegte sich sein Daumen über das Zahlenfeld und wählte. Nach der letzten Taste erklangen, ein wenig zu schnell für seinen Geschmack, die ersten Freizeichentöne. »Hiwatari. Mit wem spreche ich?« „Uhm, hi!“, sagte er, „Hier ist Miguel. Ich rufe an wegen unserer…Verabredung.“ »Ach, du bist es!« Als er abnahm, hatte Kai ein wenig gestresst geklungen, doch jetzt war seine Stimme ganz ruhig und tief. »Weißt du schon, wo wir hingehen?« Natürlich wusste Miguel das. Er hatte eine halbe Stunde gebraucht, um eine passende Bar zu finden. „Japp, wir können ins Checkmate gehen, wenn du möchtest, das ist im Zentrum…“ , sagte er. »Klar, warum nicht?«, entgegnete Kai, »Ist da irgendwo eine U-Bahnstation in der Nähe? Wo wir uns treffen können?« Auch darauf war Miguel vorbereitet. Er nannte Kai einen Bahnhof, der leicht zu erreichen war und wo man sich kaum verfehlen konnte, denn es gab als markanten Treffpunkt ein Denkmal gleich vor dem Eingang. »Sehr gut«, meinte Kai nach seiner Wegbeschreibung, »Wann soll ich da sein?« „Was hälst du von neun?“, fragte Miguel, und jetzt war es komischerweise Kai, der herumdrukste. »Äh…oh, das ist ja schon in einer halben Stunde…können wir halb zehn machen?« „Klar, kein Problem…“, meinte Miguel. Eine Stunde später stand er an den Sockel des Denkmals gelehnt, den Blick auf den Eingang des U-Bahnhofs gerichtet. Die Nacht war warm, sodass er keine Jacke brauchte. Um ihn herum standen Grüppchen und andere wartende Menschen. Das Denkmal war ein beliebter Ort, um sich zu verabreden. Die meisten guten Bars befanden sich nur einen kleinen Fußweg von hier entfernt in der Altstadt. Dort konnte man sich auch in engen, spärlich beleuchteten Gässchen, Überbleibseln des Mittelalters, vor neugierigen Blicken verbergen. Miguel hatte bei nächtlichen Spaziergängen schon mindestens fünf Pärchen beim Knutschen aufgeschreckt. Kai kam zu spät. Miguel verglich seine Uhr mit der des Kirchturms, der Links von ihm aufragte. Wirklich. Er hätte erwartet, dass Kai Hiwatari ein pünktlicher Mensch war. Dann vibrierte sein Handy. Es war Kai. »Hey, ich bin gerade angekommen. Ich hab keine Ahnung, auf welcher Seite ich raus muss. Ich geh einfach mal die Treppe hier hoch, aber es kann sein, dass ich am falschen Ausgang bin…« In diesem Moment sah Miguel ihn. Er trug wieder Jeans, jedoch sahen diese nicht so zerschlissen aus, wie die vom Vormittag. Das Shirt war wieder dunkel, und in der Armbeuge hielt er dieses Mal eine Lederjacke. Ihre Blicke trafen sich. Miguel war auf sein Grinsen vorbereitet und fand nun endlich den geeigneten Moment, um es zu erwidern. Als er näher kam, bemerkte er, dass Kais Haare noch ganz feucht an den Spitzen waren. Dann schlug ihm eine kleine Wolke von Deo- und Shampoogeruch entgegen, der ihn kurz überrumpelte. Die Bar war voll, doch sie fanden einen Platz in einer Ecke am Fenster, wo sie zwar dicht zusammenrücken mussten, jedoch immerhin sitzen konnten. Miguel hielt sein Bierglas eisern umklammert, da er fürchtete, es könnte im nächsten Moment von jemandem, der vorbeiging, umgerissen werden. Kai hatte seines nicht einmal auf den Tisch gestellt, sondern hielt es gleich auf dem Schoß fest. Um zu reden mussten sie sich ins Ohr schreien, also wurden ihre Gläser zur Hälfte leer, ohne dass ein größeres Wort zwischen ihnen gefallen war. Miguel ärgerte sich; er hatte nicht bedacht, dass das Checkmate kein guter Ort zum Reden war. Der kleine Laden platzte allabendlich aus allen Nähten. Die Leute hier waren zwar in Ordnung, doch standen die Grüppchen meist Rücken an Rücken und mit vorgerückter Zeit stieg der Lärmpegel ins Unerträgliche, weil niemand mehr den anderen verstand. Ob die Barkeeperinnen wohl Oropax trugen? Etwas Warmes an seiner Wange riss Miguel aus seinen Gedanken. Er wollte den Kopf drehen, realisierte jedoch im selben Moment, dass es Kai war, der ihm so nahe gekommen war. Seine Bewegung verkam zu einem erschrockenen Zucken. Er spürte, wie sein Ohr für einen Augenblick gegen Kais Lippen gedrückt wurde. „Kommst du mit raus eine rauchen?“, fragte Kai, bevor Miguel noch diesem Gefühl nachspüren konnte. Er drehte den Kopf nun doch, und ihre Wangen berührten sich etwas länger, dann lehnte Kai sich wieder zurück. Miguel nickte schnell und erhob sich umständlich. Den Tisch würden sie wohl verlieren, sobald sie ihn verließen, aber unter den gegebenen Umständen war es ihm tausendmal lieber, draußen zu stehen, als hier drin eingepfercht zu sein. Außerdem war sein Gesicht ganz heiß; ein wenig frische Luft würde gut tun. Erleichtert trat er in die kühle Nacht hinaus. Gegenüber standen einige Fahrradständer, zu denen Miguel Kai führte, damit sie sich dagegen lehnen konnten. Als er sich zu seinem Begleiter umdrehte, gab der ihm sein Bierglas, damit er sich eine Zigarette anzünden konnte. „Ziemlich voll da drin“, meinte Kai dann. „Ich hatte vergessen, dass heute Freitag ist“, murmelte Miguel, „In den Semesterferien vergesse ich immer das Datum.“ „Was für ein Leben.“ „Hey, du weißt, dass ich nicht faul bin.“ „Ich weiß. Du machst den besten Kaffee der ganzen Stadt.“ Kai machte eine Pause, um einen Schwall Rauch auszuatmen, „Bestimmt.“ „Das tue ich wirklich!“, entgegnete Miguel gespielt entrüstet, „Nichts geht über Miguel Lavaliers Kaffee!“ „Ach ja“, meinte Kai, „Du hast ja diesen poetischen Nachnamen…Lavalier.“ Miguel kam es vor, als würde Kai seinen Namen essen, ihn auf der Zunge rollen, um jeden Klang zu schmecken. Er wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. „Uhm, danke…denke ich“, sagte er schließlich und Kai grinste schon wieder. Dieses Grinsen würde ihn noch wahnsinnig machen. Er wusste einfach nicht, was es bedeuten sollte. Es schien so unwirklich in Kais Gesicht, dass es ein ganz anderes Bild von ihm schuf. Eines, das Miguel nie im Leben mit seiner Person, so, wie er sie kannte, assoziiert hätte. Kai drückte seine Zigarette am Fahrradständer aus. „Was meinst du, Lavalier“, sagte er dann, „Sollen wir zum Strand fahren?“ Miguel blickte ihn erstaunt an. „Jetzt?“ „Ja. Du hast doch ein Auto, oder?“ „Äh, ja, aber…wir haben getrunken“, stammelte Miguel. Kai streckte die Hand aus und nahm ihm die Biergläser ab. Ehe er etwas einwenden konnte, hatte Kai beide in einem Zug geleert. „Soweit ich das sehe, hattest du nur ein halbes“, meinte er dann, „Ich würde sagen, du kannst fahren.“ Und Miguel war schlichtweg so verdattert, dass er nichts einzuwenden hatte. Eine halbe Stunde später lenkte Miguel seinen Wagen durch die Nacht. Sie hatten die Stadt hinter sich gelassen und fuhren eine Schnellstraße entlang. Kai hatte das Fenster heruntergekurbelt, der kühle Wind pfiff herein, war aber nicht unangenehm. Sie fuhren schweigend. Miguel fragte sich schon seit geraumer Zeit nicht mehr, warum er das hier machte. Irgendwie gefiel es ihm sogar, mitten in der Nacht herumzufahren. Er konnte sich nicht erinnern, jemals so spontan gewesen zu sein. „Hierher fahren wir immer zum Schwimmen“, sagte er, als er den Wagen von der Schnellstraße lenkte. In ein paar Minuten würden sie einen Parkplatz direkt am Strand erreichen. Im Sommer wimmelte es hier von Touristen, die Sonnenbäder oder Surfkurse nahmen. Manchmal fanden aber auch mehr oder minder geheime Strandpartys hier statt. Sobald Miguel den Motor abstellte, konnte er das Rauschen des Meeres hören. Der Mond beleuchtete Wasser und Sand und die Stadt erhellte den Himmel am Horizont in seinen Augenwinkeln. Die Stille zwischen ihm und Kai ließ die Welt entrücken. Sie stiegen aus und liefen schweigend nebeneinander zum Wasser, ließen ihre Füße umspülen und atmeten tief. Der Strand beschrieb eine leichte Kurve, sodass die Dünen ihnen linkerhand zwar die Sicht versperrten, dafür aber umso mehr Blickfeld von Wasser eingenommen wurde. In der Ferne verschwamm die Küstenlinie mit der Nacht. Nur eine kleine Reihe Lichter zeigte an, wo sich das Land befand. Verschwommene Lichtschlieren im Wasser bildeten die Doppelreihe. Kai und Miguel sprachen nicht, während sie nebeneinander hergingen. Das Meer war ruhig, ein einschläferndes Gurgeln und Plätschern kleiner Wellen drang an Miguels Ohren. Unter seinen Füßen spürte er abwechselnd scharfe Muscheln, Sand und das kalte Wasser, das ihm den Boden wegzog. Kai lief in Schlangenlinien, er schien sich seiner Schritte unsicher. Manchmal war Miguel kurz davor, nach seinem Arm zu greifen, weil er meinte, dass Kai im nächsten Augenblick ausrutschen würde. Als sie den Scheitelpunkt der Kurve erreichten, tauchten weitere Lichter auf, Feuer am Strand. Gelächter und dumpfer Bassschlag wehten zu ihnen herüber. Die Geräusche wurden immer lauter, je näher sie kamen, und bald erkannten sie, dass dort Menschen am Strand tanzten, ein bunt zusammengewürfelter Haufen, der sich grotesk verrenkte. „Ein Rave“, stellte Kai fest, ohne erstaunt zu klingen. Miguel nickte und sah ihn zum ersten Mal wieder an. „Sollen wir umkehren?“ „Nein, wir könnten doch…“, sagte Kai, „Lass uns doch rübergehen.“ Miguel hatte nicht unbedingt etwas dagegen, obwohl die Geräusche ihn nach der friedlichen Stille verwirrten. Jetzt ging Kai ein Stück voraus, watete durch den weichen Sand, der noch warm von der Sonne schien, aber vielleicht bildete Miguel sich das nur ein, weil seine Füße kalt vom Wasser waren. Bald waren sie so nahe, dass die Musik sie einzusaugen begann wie in einen Orbit, eine über dem Strand schwebende Blase. Die anderen beachteten sie nicht, die meisten tanzten, nur ein paar saßen im Sand. Jemand hatte die Boxen so aufgestellt, dass es im Kreis der Tanzenden niemanden gab, für den die Musik zu leise sein konnte. Der Bass schwappte in sanften Wellen über sie hinweg. Miguel wandte sich zur Seite und sein Blick traf auf Kais. Sie tauschten ein Grinsen, bevor sie sich unter die Menge mischten. Erst jetzt wurde Miguel klar, dass Kai betrunken sein musste. Immerhin hatte er das Bier vorhin beinahe auf Ex getrunken. Anders konnte er sich auch nicht erklären, warum er sich auf so verrückte Sachen einließ. Die Musik zwang ihn, sich zu bewegen. Miguel mochte es zu tanzen, doch normalerweise verschlug es ihn dafür in irgendwelche Diskotheken. Hier, an der kühlen Luft, war es anders, irgendwie freier. Wenn sein Körper einen anderen berührte, gab es keinen Stoß, sondern sie glitten beinahe sanft aneinander vorbei. Ohne es wirklich zu merken tanzte Miguel mal mit der einen, mal mit dem anderen Fremden, immer nur für einige Sekunden. Er konnte sich kaum erinnern, wann es sich um Frauen und wann um Männer handelte. Irgendwer drückte ihm Bier in die Hand, die Flasche war noch ganz kalt und rutschig vom Kondenswasser. Durstig trank Miguel, tanzend, kühlte sich die Stirn am Glas. Wo war Kai? Er musste ganz in der Nähe sein, bestimmt. Oder war das hier ein Traum? Wann hatte er angefangen zu träumen? Als seine Flasche leer war, stellte er sie neben eine der Boxen in den Sand, doch kaum war er zurückgestolpert, bekam er auch schon die nächste. Irgendjemand musste die Augen nach Leuten ohne Getränk offen halten. Kurz durchzuckten ihn Schuldgefühle, schließlich trank er hier auf Kosten anderer und war nicht einmal eingeladen, doch bisher hatte ihn niemand als Fremden erkannt. Die zweite und auch die dritte Flasche waren schnell geleert. Eine warme Hand berührte ihn am Rücken, wanderte zu seiner Schulter und seinen Arm hinab. Von den tastenden Fingern bekam er eine Gänsehaut, doch er drehte sich nicht um. Die Hand umschloss seine, und er fühlte, wie sie etwas hinterließ, einen kleinen Gegenstand auf seiner Handfläche. Dann war sie verschwunden. Miguel bewegte sich weiter, drehte sich langsam um die eigene Achse und sah nach, was er festhielt. Inzwischen fand er es nicht mehr seltsam, von dieser fremden Präsenz mit Dingen versorgt zu werden. Es schien sich alles darum zu drehen, zu tanzen und nicht aufhören zu müssen. Wahrscheinlich würde es die ganze Nacht so gehen, und Miguel hatte nichts dagegen. Er führte seine Hand zum Mund und schluckte. Kurz danach fand ihn das nächste Bier zum Nachtrinken. Die Musik wurde noch intensiver. Er spürte jedes noch so kleine Vibrieren. Vor seinen Augen verschwammen die Farben zu einem überwältigenden Kaleidoskop und er drehte sich, immer und immer wieder. Die anderen hatten ihn in ihrer Mitte aufgenommen und er wusste, er würde glücklich sein, zumindest diese Nacht. Und dann war da Kai, leuchtend dunkel. Er blickte ihn mit seinen schönen Augen an und berührte ihn, hielt ihn fest. Seine Hände hinterließen strahlende Abdrücke auf Miguels Haut und er wusste, er würde sie noch tagelang spüren können, wie blaue Flecken, nur viel besser. Kai sagte etwas, sein Mund bewegte sich unendlich langsam und seine tiefe Stimme war wie der Bass in Miguels Brust und er wurde geblendet von den Tönen, die über ihm zusammenschlugen. Er hatte so ein schönes, steinernes Gesicht, Miguel streckte die Arme aus und umfasste es, zog ihn zu sich und- Er schlug die Augen auf. Seine Wohnung. Er – nackt, im Bett, die Sonne prallte auf die halb geschlossene Jalousie, es war warm. Er strampelte die Decke von sich weg und versuchte, sich an etwas zu erinnern. Gleichzeitig fiel ihm ein unbekannter Geruch auf, der in der Luft hing. Irgendwas stimmte nicht an seinem Schlafzimmer. Er setzte sich auf und vergrub instinktiv den Kopf in den Händen, obwohl es ihm, bis auf seine Müdigkeit, gut ging. So viel hatte er nicht getrunken. Er erinnerte sich an die Bar und an den Strand. Und dann hatte er geträumt. Seltsam geträumt. Irgendwie vermischten sich seine Erinnerungen an den gestrigen Abend mit seinen Traumbildern. Vielleicht sollte er doch mehr auf seine Gesundheit achten, womöglich waren das hier die ersten Anzeichen von Überarbeitung. Widerwillig ließ er die Arme sinken und zwang sich, seinen Kopf wieder ohne ihre Unterstützung oben zu halten. Wonach zum Teufel roch es hier? Langsam ließ er den Blick schweifen, dachte dabei noch über die ineinanderlaufenden Bilder in seinem Kopf nach. Wahrscheinlich vertrug er einfach nichts mehr, schließlich hatte er schon ewig nicht mehr so viel getrunken. Miguel stutzte. Da lag etwas auf seinem Nachttisch, was dort ganz sicher nicht hingehörte. Er beugte sich vor, fiel in die Kissen und stemmte sich träge wieder hoch, um das Ding genauer betrachten zu können. Es war eine Armbanduhr, der Größe nach zu urteilen eine für Männer. Sie zeigte auf fünf nach elf. Miguel besaß so etwas nicht, er konnte es sich schlichtweg nicht leisten. Allerdings war er sich ziemlich sicher, diese Uhr schon einmal irgendwo gesehen zu haben. Sie war aus Silber, mit einem schwarzen Ziffernblatt, in das noch einige andere kleine Messinstrumente eingelassen waren. Als Miguel sie vorsichtig aufnahm, wog sie recht schwer in seiner Hand. Wo kam sie her? Und wem… Kai. Der Gedanke schlug in Miguels Kopf ein wie ein Blitz. Das war Kais Uhr. Und der seltsame Geruch, den er immer bemerkte, wenn er sich bewegte, war der von Haargel. Kais Haargel, er hatte es am Abend zuvor schon gerochen, als sie sich getroffen hatten. Und nun kam dieser Duft aus dem Kissen, das Miguel unter seiner Brust zusammengeknüllt hatte. Wie gestochen fuhr er hoch. Lauschte, doch alles war still. Langsam schob er erst das eine, dann das andere Bein aus dem Bett und stand auf. Auf dem Boden lag Kleidung, und zwar nur seine, wie er kurz darauf feststellte. Er zog sich seine Hose an, blieb dabei kurz am Bund hängen und wäre beinahe hingefallen. Hatte Kai die Nacht in seinem Bett verbracht? Beinahe auf Zehenspitzen durchstreifte er seine Wohnung. Doch es war niemand da. Die Luft im Badezimmer war allerdings feucht und es roch nach Duschgel. Auf dem Wannenrand lag ein Handtuch, das am vorigen Abend noch nicht dagewesen war. Er ging weiter in die Küche, fand dort eine Tasse, die zum Abtropfen neben dem Waschbecken stand. Sie war schon beinahe trocken, merkte er, als er sie in die Hand nahm. Langsam drehte er sich auf dem Absatz um und ließ den Blick zum Kühlschrank wandern, an dem (und darüber wunderte er sich schon fast nicht mehr) ein Zettel hing. ‚Du solltest mal einkaufen gehen‘, stand darauf. „Ich weiß nicht, was daran so schlimm ist“, sagte Matilda, die Hand in der Popcornschüssel. „Ihr wart betrunken. Er hätte es wahrscheinlich sowieso nicht mehr nach Hause geschafft. Ich frage mich nur, wie ihr bis zu dir gekommen seid.“ Sie kannte nur die halbe Geschichte. Miguel hatte ihr weder erzählen wollen, wie viel er am Strand konsumiert hatte, noch, dass er am nächsten Morgen komplett entkleidet erwacht war. Er nahm zwar an, dass er nicht mit Kai geschlafen hatte, aber zwischen „nebeneinander im Bett liegen“ und „Sex“ lag trotzdem eine ganze Bandbreite weiterer Möglichkeiten. Ob Kai sich auf entsprechende Aktivitäten einlassen würde, bezweifelte er, doch gleichzeitig wusste er von sich selbst, dass er nicht nein gesagt hätte. Es waren gerade einmal zwei Tage vergangen und er hatte nichts von Kai gehört. Da er nicht arbeiten musste, war er ihm natürlich auch nicht dort begegnet. Stattdessen hatte er viel zu viel Zeit gehabt, sich den halb im Rausch versunkenen Abend immer und immer wieder durch den Kopf gehen zu lassen. Schließlich hatte Matilda ihn angerufen und zu einem Filmabend überredet. „Vermutlich hat uns irgendwer in ein Taxi gesetzt“, murmelte er (auch das stimmte nicht. Er hatte sein Auto vor dem Haus wiedergefunden) und Matilda hob die Schultern. Sie bot ihm die Schüssel an, doch er verzichtete mit einer Geste. „Ruf ihn doch einfach an. Frag ihn halt“, sagte sie daraufhin und klang leicht gereizt. Ein Fremder hätte es Matilda nicht angemerkt, wenn sie wütend war, doch Miguel kannte sie lange genug. Er blickte sie von der Seite an und bemerkte, dass sie heute anders aussah. War sie geschminkt? Ihre Wangen waren rosa und auf ihren Lidern lag ein heller Schimmer von Lidschatten. Dieser Anblick rief gleich noch mehr Fragen in ihm hervor, die er allesamt noch nicht formulieren konnte. Also kehrte er zu ihrem ursprünglichen Thema zurück. „Uh, in anrufen?“, fragte er leise, „Ich glaube nicht, dass das so eine gute Idee wäre…“ „Warum nicht?“ „Weil, äh…Ich weiß auch nicht. Er ist doch so beschäftigt. Vielleicht ist er schon gar nicht mehr in der Stadt.“ „Du wirst es nie herausfinden, wenn du nicht anrufst“, sagte sie, und es klang, als zöge sie einen Schlussstrich unter dieses Thema. Am Anfang der nächsten Woche ging Miguel missmutig zur Arbeit. Er hatte Kai nicht angerufen, stattdessen den Zettel vom Kühlschrank genommen und ihn so lange in den Händen gehalten, bis er wellig wurde. Er hatte überlegt, ob er die Schichten tauschen sollte, doch dann war ihm aufgegangen, dass er Kai sehen wollte, dagegen war nicht anzukommen. Also stand er um sieben Uhr in der Früh hinter dem Tresen und band sich die Schürze um. Wenn Kai noch in der Stadt war, dann hatte er schätzungsweise zweieinhalb Stunden Zeit, um sich auf eine Begegnung mit ihm vorzubereiten. Kai kam um Acht. Miguel verbrannte sich vor lauter Schreck die Finger an der Kaffeemaschine und erntete einen mitleidigen Blick von der Kundin, deren Espresso er gerade machte. Kai kam direkt zu ihm, öffnete den Mund zum Sprechen und Miguel wusste nicht recht, worauf er hoffen oder was er fürchten sollte – „Ich habe meine Uhr bei dir vergessen“, sagte Kai. Die Frau neben ihm nahm ihre Tasse und ging. Darauf schien er nur gewartet zu haben, denn sofort beugte er sich über den Tresen. „Warum hast du mich nicht angerufen?“ „Warum hast du nicht angerufen?“, entgegnete Miguel, „Ich dachte, du wärst schon gar nicht mehr in der Stadt.“ „Und ich dachte, wegen dem was passiert ist…“ Kai brach ab. „Was?“, fragte Miguel, „Was…ist den passiert?“ Kai starrte ihn an. „Scheiße. Du kannst dich nicht erinnern. Also haben sie dir doch Drogen gegeben. Verdammt, sorry, ich hätte ein wenig aufpassen können, du warst ziemlich betrunken nach den ersten Bieren. Ich hab mich schon gewundert, warum du so plötzlich…“ Miguel hob die Hände. „Halt, bitte. Ich verstehe kein Wort.“ Außerdem reihten sich neben Kai schon wieder neue Kunden. „Kannst du vorbeikommen? Heute Abend? Dann gebe ich dir auch deine Uhr wieder.“ Er füllte einen Becher mit Filterkaffee und stellte ihn vor Kai auf den Tresen. „Geht aufs Haus.“ Er merkte wie seine Finger zitterten. Kai verließ den Laden, stürzte im Gehen den Kaffee herunter als wäre er durstig und über Miguel brach nun endgültig die Informationsflut herein, der er soeben ausgesetzt worden war. Er hatte Drogen genommen? Daran konnte er sich beim besten Willen nicht mehr erinnern. Es erklärte jedoch einiges. Und was bitte hatte er getan, das Kai zu derartigen Reaktionen verleitete? Etwas, das ganz offensichtlich nicht mit bloß zwei Sätzen und einem Lachen abgetan werden konnte. Kein gutes Zeichen. Er hatte sich Antworten erhofft und hatte nun noch mehr Fragen als vorher. Und noch sechs weitere Stunden Schicht bis zum Feierabend. Am Abend saß er wieder auf seinem Bett, ein Handtuch um die Schultern gelegt, aus seinen Haaren tropfte Wasser. Er starrte die Uhr an, die noch immer auf seinem Nachttisch lag. So sehr er sich auch anstrengte, die Erinnerungen kamen nicht zurück. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als von Kai zu erfahren, was passiert war. Was für eine unangenehme Situation. Er hatte ihm gesagt, er könne um sechs kommen, und Kai war pünktlich. Trotzdem schreckte Miguel hoch, als es klingelte. Auf dem Weg zur Tür fiel das Handtuch auf den Boden, er bemerkte es nicht einmal. „Hi“, sagte er langgezogen, als er öffnete, „Komm rein.“ Es war seltsam, zu beobachten, wie gut Kai sich in seiner Wohnung zurechtfand. Er ging geradewegs in die Küche, Miguel machte eine einladende Bewegung in Richtung des Tisches und Kai setzte sich. „Warte“, murmelte Miguel, dann holte er die Uhr von seinem Nachttisch. Fast schon schüchtern überreichte er sie Kai, der nur nickte und sie sich umband. „Also“, sagte er. „Also“, wiederholte Miguel und ließ sich auf den Stuhl Kai gegenüber sinken. Augenblicklich fühlte er sich wie in einem Verhandlungsgespräch. Trotz der legeren Kleidung wirkte Kai sehr seriös, wie ein Anwalt, der seinem Mandanten eine schlechte Nachricht überbringen musste. „An was erinnerst du dich?“, fragte er unumwunden. Das war etwas, über das Miguel schon seit Tagen nachdachte. Und so fiel es ihm nicht schwer, zu rekapitulieren: „Wir waren in der Bar. Hatten ein Bier. Sind dann nach draußen, weil es so voll war. Dann sind wir zum Strand gefahren. Dort war ein Rave, zu dem wir gegangen sind. Es gab Alkohol. Wir haben getanzt. Tja, und da wird’s dann schwarz.“ Er machte eine Pause. „Das nächste, was ich weiß, ist, wie ich am Morgen aufwache. In meinem Bett und … nackt.“ Kai nickte, aus seinem Gesicht ließ sich keine Gefühlsregung ablesen. „Okay. Soll ich einfach erzählen oder willst du was Bestimmtes wissen?“ „Uhm, also…“ Es lagen viele Fragen auf seiner Zunge, eine ganz besonders, aber genau diese wollte nicht heraus. „Wie sind wir hierhergekommen?“, fragte er stattdessen. „Ich bin gefahren.“ Miguels Augen weiteten sich, doch Kai hob nur die Schultern. „Es ging schon, nur eben langsam. Dein Auto hat nicht mal einen Kratzer.“ „Okay, wie auch immer.“ Er schüttelte kurz den Kopf; sich jetzt sorgen um einen potentiellen Unfall zu machen, der ja gar nicht passiert war, führte zu nichts. „Warum war ich nackt?“ Kais Augenbrauen hoben sich. „Du hast dich ausgezogen.“ „…Was?“ Er spürte, wie ihm die Hitze ins Gesicht stieg. Oh Gott, das war noch viel schlimmer, als er es sich ausgemalt hatte. „Ja, du standst ganz schön neben dir“, fuhr Kai fort, „Ich habe nur ein Glas Wasser geholt, und als ich wieder ins Schlafzimmer kam, warst du schon nackt. Ich hab mir dann nicht mehr die Mühe gemacht, dich zu zwingen, dir wieder was anzuziehen. Schließlich war ich auch so weit wie ich kommen konnte.“ „Das heißt, wir haben nicht…?“ „Oh.“ Bildete er es sich ein, oder wurden Kais Wangen in diesem Moment ein ganz klein wenig rot? „Nein“, sagte er fest, „Wir haben nicht miteinander geschlafen.“ Die Luft entwich Miguel. Im ersten Moment wusste er nicht, was er fühlte. Erleichterung, das war klar. So viele Probleme waren mit diesem einen Satz gelöst. Andererseits, und das war ihm ein wenig unheimlich, wurde ihm klar, dass er auch irgendwie enttäuscht war. „Aber du hast mich geküsst.“ Jetzt war es, als hätte ihm jemand den Boden weggezogen. Die Wärme wich aus seinen Händen und wahrscheinlich direkt in seinen Kopf, der auf einmal schrecklich heiß war. Miguel starrte Kai an. „Was?“, krächzte er. „Jaah.“ Kai hob die Schultern. „Als ich gemerkt habe, wie drauf du warst, wollte ich dich wieder zum Auto zurückbringen, aber du hast dich… auf mich gestürzt.“ „Oh Gott, das tut mir leid!“, sagte Miguel lauter als er vorgehabt hatte. Er schrie es beinahe. Kai allerdings war schon wieder die Ruhe selbst. „Kein Problem“, sagte er. „Es war jetzt nicht schlecht. Nur ein bisschen überraschend.“ Er räusperte sich. „Ich bin jedenfalls froh, dass du das alles so gut überstanden hast. Tut mir leid. Ich habe dich ja erst dorthin geschleppt.“ „Nein“, sagte Miguel, „Es ist nicht deine Schuld, dass ich alles konsumiert habe, was sie mir dort gegeben haben. Das war blöd von mir. Ich weiß auch nicht… Der Abend hatte so gut begonnen und ich habe nicht so sehr hinterfragt, was ich tue…“ „Sollen wir einfach beschließen, dass wir so etwas nicht noch mal machen?“ Miguel hob den Kopf. Das war an sich keine schlechte Idee. Doch wenn er ganz ehrlich war, so wollte er schon noch mehr Zeit mit Kai verbringen. Er wusste also nicht recht, welche Antwort er ihm geben sollte. „Kommst du trotzdem weiter auf einen Kaffee zu uns?“, fragte er schließlich. Und Kai verzog den Mund zu einem Lächeln. „Sicher. Du machst den besten Kaffee in der Gegend, weißt du das?“ „Hah. Das sagst du doch jetzt nur so.“ „Okay, ich gebe zu – ich habe noch nicht so viele Vergleiche angestellt.“ Mit diesen Worten erhob er sich. „Ich muss los, tut mir leid. Aber da wir jetzt wieder miteinander reden… ruf mich doch an, wenn du Lust hast.“ Miguel beeilte sich, auch aufzustehen und ihn zur Tür zu begleiten. Während Kai seine Schuhe anzog, blieb sein Blick an seinen Schultern hängen. Und an dem weichen, dunklen Haar. Dann richtete Kai sich wieder auf und stand auf einmal überraschend nah vor ihm. „Bis morgen?“, fragte er. „Ja…“, hauchte Miguel, dann räusperte er sich schnell. Kai nickte und machte Anstalten, sich umzuwenden. „Okay, dann – “ „Warte!“ Ohne wirklich zu merken, was er tat, packte Miguel ihn am Arm. Er zog ihn zu sich heran, doch Kai kam ihm erschreckend plötzlich entgegen. Für den Bruchteil einer Sekunde sahen sie sich noch in die Augen, dann küsste Kai ihn. Und Miguel erwiderte diesen Kuss, bewegte seine Lippen heftig gegen die des anderen, und beinahe wäre ihm ein Stöhnen entwichen. Seine Finger fuhren durch Kais Haarschopf, erspürten hier und da die harten, von Haarspray fixierten Partien und zerstörten diese. Dann wurde er gegen die Wand gedrückt. Dafür revanchierte er sich, indem er recht bestimmt einen Zungenkuss einleitete, bei dem Kais Körper sich für ein paar Sekunden komplett entkrampfte. Er sank noch ein Stück gegen ihn. Miguel schob die Hände unter sein Jackett, strich über den dünnen, kühlen Stoff seines Hemdes und ertastete die Muskeln unter ihm, dann zog er Kai an der Taille näher zu sich heran. Gott, das hier durfte bitte niemals aufhören… Doch natürlich löste Kai schon viel zu bald den Mund von seinem. „Ich muss los“, flüsterte er gegen Miguels Lippen. „Fuck“, keuchte er und reckte das Kinn, um ihn noch einmal zu küssen. „Deine Haare sind total durcheinander.“ Kai hob die Hand und strich sich ein paarmal über den Kopf. „Das wird schon gehen.“ Dann sah er ihn wieder an. „Ruf mich an.“ „Ja.“ Oh Gott, ja. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)