Meteoritenfänger von Mitternachtsblick ================================================================================ Kapitel 1: Dronino ------------------ Yuriy fand Boris auf dem Schrottplatz, wo er mit einer sehr beachtlichen Geschwindigkeit mit Falborg Dinge zerlegte. Eine Weile schaute Yuriy einfach zu. Es war lange her, seit Boris das letzte Mal so heftig an die Decke gegangen war, dass er die Lederjacke vom Haken gerissen und sich auf den Weg zum Schrottplatz gemacht hatte. Vermutlich konnte Yuriy sich stolz auf diese Leistung fühlen. Boris nahm ein altes Waschbecken und schleuderte es mit einem Wutschrei gegen ein Autoskelett, wo es in tausend Stücke zersprang. Stolz fühlte sich anders an. Er wartete einen Moment, ehe er sich bemerkbar machte, indem er aus den Schatten heraustrat. Augenblicklich fuhr Boris zu ihm herum, wie ein Bluthund, der eine Spur gewittert hatte. Ein Sirren wie ein scharfer Luftzug war Yuriys einzige Warnung; instinktiv warf er sich zur Seite. Nur eine Sekunde später schlug Falborg krachend neben ihm in einen alten Einkaufswagen und klapperte auf den Boden, wo er sich zornig schlingernd weiterdrehte. Yuriy atmete aus. Dann hob er den Kopf und starrte Boris an. „Bist du bescheuert?“ Boris schnaubte nur, während Falborg sich beschleunigte und beschleunigte und dann wieder zu ihm geschossen kam, um in den nächsten Müllberg hineinzufegen. Sein Besitzer indes drehte Yuriy den Rücken zu. Der Rotschopf konnte deutlich die Anspannung in Boris‘ Schultern und Armen sehen, die nicht davon kam, dass er wieder dazu übergegangen war, Dinge zu zerstören. Lange her, dass Boris so wütend gewesen war. Noch länger her, dass er so wütend auf Yuriy gewesen war. „Borja“, sagte Yuriy und trat einen Schritt näher. „Du hast das hier ganz toll kaputt gemacht, aber jetzt ist es wieder an der Zeit, heimzukommen.“ „Halt‘ die Fresse“, sagte Boris so heftig, als ob er nur darauf gewartet hatte, dass Yuriy ihm einen Grund lieferte, noch mehr um sich zu schlagen. Er drehte sich zu Yuriy um, die Augen sturmflackernd und wild, und hielt dabei starr zwei alte, leere Bierflaschen in den Händen. „Wenn hier irgendwer was ganz toll kaputt gemacht hat, dann bist du das.“ Yuriy presste einen Moment lang die Lippen aufeinander. „Ich bin ehrlich mit dir, weil ich dich nicht anlügen will, und du sagst mir, dass ich Dinge kaputtmache?“ „Ja!“, rief Boris und warf eine der Bierflaschen krachend gegen die nächste Wand. Yuriy zuckte, hasste sich dafür, zwang sich, stehen zu bleiben und die Arme vor der Brust zu verschränken. „Kai fucking Hiwatari, Yura. Immer. Ich hab‘s immer schon gewusst. Aber ich wollt‘s nicht glauben - nicht nachdem ich dich endlich für mich habe.“ Er atmete in einem Stoß aus und schleuderte die zweite Flasche. Yuriy spürte einen hauchdünnen Splitter über seine Haut streifen und ermahnte sich, komplett still zu stehen. „Ich dachte, du meinst es ernst, als du meintest, dass du für mich genauso empfindest wie ich für dich, aber das war eine Lüge. Es war immer Kai fucking Hiwatari, von dem Moment an, als du ihn das erste Mal gesehen hast.“ „Oh, was zum Fick, Boris“, zischte Yuriy, der an dieser Stelle nicht mehr an sich halten konnte, „das Melodrama kannst du dir sparen. Es war keine Lüge.“ „Dann hast du nie verstanden, wie ich für dich fühle“, sagte Boris heftig, „denn ich könnte mir nicht mal vorstellen, mich in einen anderen zu verlieben.“ Stille trat ein. Yuriys Mund war sehr trocken. Er wandte den Blick zuerst ab, um von dem Sturm auf Boris‘ Gesicht nicht mitgerissen zu werden. Während er sich durch die Haare fuhr, konnte er Boris tief seufzen hören. Dann wurde Falborgs Sirren schwächer, ehe es abrupt abgeschnitten wurde, als Boris den Beyblade zurück in seine Hand springen ließ. „Wenn‘s wenigstens nur Sex wäre, den du willst“, sagte Boris dann, „aber das ist es ja nicht mal. Oder wenn, dann poliere ich dir jetzt erst recht die Fresse, denn dann kannst du dich ficken gehen mit deinem ‚Oh Borja, ich habe prinzipiell meistens kein Bedürfnis nach Sex‘-“ „Fick du dich“, zischte Yuriy, während ihm die Hitze in die Wangen schoss. „Es dreht sich nicht alles im Leben nur um Sex - in meinem zumindest, denn du kannst mir hier nicht weismachen, dass du nicht schon drüber nachgedacht hättest, wie es wäre, mit Kai zu vögeln.“ „Darum geht es hier aber nicht!“, brüllte Boris und schlug mit der Faust gegen das Autoskelett, nur um sich gleich darauf mit wütendem Fluchen den Handballen zu reiben. Es war schwer zu sagen, auf wen er am wütendsten war: auf sich selbst, auf Yuriy oder auf die allgemeinen Umstände. „Hör auf, mir verdammt nochmal die Worte im Mund herumzudrehen! Du kommst zu mir, sagst super salopp, ‚Oh Borja, ich habe übrigens auch Gefühle für Kai‘ - Kai fucking Hiwatari!“ Er atmete schnaufend ein. „Du kannst nicht erwarten, dass man da nicht die Krätze bekommt und Fragen stellt!“ „Du hast bis jetzt noch keine einzige Frage gestellt“, hielt Yuriy erbittert dagegen, „du hast nur mit irgendwelchen Anschuldigungen und Waschbecken um dich geworfen und das war‘s!“ „Oh, du willst Fragen?“, bellte Boris. Innerhalb von Sekunden war er herangerauscht und hatte Yuriy am Kragen gepackt, ohne auf dessen Hände zu achten, die sich instinktiv gegen seine Brust gestemmt hatten. Man erinnerte sich immer erst daran, dass Luft einen auch umbringen konnte, wenn sie sich in ungeahnte Höhen schraubte. Aber Yuriy war es gewohnt, sich gegen den Sturm zu stemmen. Sie sahen sich einen langen Moment stumm, taxierend in die Augen, dann fragte Boris mit unkontrolliertem Beben in der Stimme: „Liebst du mich noch?“ Es gab niemanden, der sich so sehr vor Yuriy entblößen konnte wie Boris. Es war ein Geschenk, das Yuriy mit Nachsicht zu behandeln versuchte, deshalb schluckte er jedes automatisch defensive, spitze Kommentar herunter. Stattdessen zwang er sich, eine Hand von Boris‘ Brust zu lösen und sie auf seine Wange zu legen. „Borja, das stand nie in Frage.“ „Sag‘ einmal in deinem Leben bitte einfach nur Ja oder Nein.“ „Ja, Borja.“ Yuriy strich über seine Wange, auf und ab, auf und ab, bis Boris geräuschvoll den Atem entweichen ließ. „Was willst du von Kai, was ich dir nicht geben kann?“, fragte er dann und wirkte dabei schon etwas ruhiger, auch wenn das Beben noch immer in seiner Stimme lag. Yuriy zögerte einen Moment. Er wusste selbst nicht, wie er es formulieren sollte und die Worte kamen nicht leicht, aber schließlich sagte er: „Du siehst es so, als würde ich irgendwelche Lücken damit stopfen wollen, die du nicht ausfüllen kannst, aber das ist es nicht.“ Einen Moment lang wirkte Boris, als ob er erneut aufbrausen wollte, dann kontrollierte er sichtlich seinen Atem und fragte schließlich betont ruhig: „Sondern?“ „Sondern ich würde ihn gerne stärker in meinem Leben einbinden, weil ich mehr für ihn empfinde als nur für einen Freund. Und vielleicht hast du Recht, dass ich ein Arschloch war, weil ich es jetzt erst sage. Aber es war nicht immer so. Und ich … ich bin nicht gut mit diesem Scheiß.“ „Das bist du wirklich nicht“, sagte Boris nicht gerade freundlich und atmete erneut tief durch. Sein Griff um Yuriys Shirt lockerte sich ein wenig. „Fick dich.“ „Vielleicht später“, sagte Yuriy, „wenn du jetzt nicht abhaust.“ „Ich lasse dich nicht los“, sagte Boris, ohne die Augen von Yuriy zu nehmen, und während etwas in Yuriys Brust sich dermaßen ausdehnte, dass er kaum atmen konnte, fügte er hinzu: „Auch wenn ich manchmal wünschte, du würdest es mir einfacher machen.“ „Tut mir Leid“, sagte Yuriy ehrlich. Er zögerte eine Sekunde, dann legte er die Hände um Boris‘ und sah ihn an. „Können wir heimgehen und nochmal in Ruhe darüber reden?“ „Was sagt Hiwatari eigentlich dazu?“ „Der weiß noch nichts. Zumindest habe ich noch nicht mit ihm gesprochen.“ Yuriy atmete tief ein. „Ich mache nichts, wenn du nicht an Bord bist. Ich setze das mit uns nicht für irgendeine halbgare Wunschvorstellung aufs Spiel, wenn es vollkommen unmöglich ist.“ „Fick dich“, wiederholte Boris noch einmal mit viel Gefühl. Aber dann schlang er die Arme um Yuriy und drückte ihn an sich, dass der es in seinen Rippen krachen spürte. Yuriy grub die Finger in seinen Rücken, hob ihm den Kopf entgegen und glitt mit den Lippen fragend über seine Wange, bis Boris ihn grollend küsste, wieder und wieder. Da war immer noch Sturm in seinen Augen, als sie sich schließlich ein wenig atemlos genug voneinander lösten, um sich ansehen zu können, aber Yuriy hatte keine Sorge mehr, dass er davon zerrissen werden würde. „Also schön“, sagte Boris dann, „gehen wir heim und reden wir darüber. Ich hoffe echt für dich, dass du dir schon irgendwas überlegt hast.“ Kapitel 2: Chinga ----------------- „Ich bin verliebt in dich“, sagte Yuriy. Sie saßen an Kais Küchentisch, als er das sagte, und Kai trank gerade seine zweite Tasse Kaffee an diesem Morgen. Er war müde, er trug ein nicht mehr besonders taufrisches Shirt, er fragte sich, wieso er nie Nein sagen konnte zu Yuriy, wenn es wirklich darauf ankam. Er ließ die Tasse sinken. „Hast du getrunken?“ Yuriy hob eine Augenbraue, wirkte aber relativ ungerührt von seiner Reaktion. „Nein.“ „Dann bist du einfach nur bekloppt“, sagte Kai. Sein Herz machte verrückte Dinge, die er gerne auf das Koffein schieben wollte, aber das Koffein war er eigentlich gewohnt. Was er nicht gewohnt war: Dass Yuriy Dinge aus- und ansprach, über die sie seit Jahren schwiegen, auch wenn es immer ein bisschen zwischen ihnen gehangen hatte. „Du bist mit Boris zusammen.“ Yuriy nickte und trank seinen Schwarztee, der so stark war, dass er tote Tanten wieder hätte aufwecken können. „Du bist glücklich mit Boris.“ „Das steht außer Frage.“ Kai schürzte die Lippen und sah ihn mit Worten schweigend, aber durch seine Augen sprechend an. Yuriy erwiderte seinen Blick lange und wortlos, dann trank er noch einen Schluck. „Ich wollte es dir sagen“, sagte er schließlich, „weil ich ehrlich mit dir sein will. Nein, ich muss ehrlich mit dir sein, weil ich es satt habe, so zu tun, als wär nichts. Dabei war da immer schon was. Und ich weiß, dass du es auch spürst.“ „Du bist ein Spinner“, sagte Kai kopfschüttelnd und hielt die Kaffeetasse dabei vollkommen darauf vergessend zwischen seinen Händen. „Gott, Yura, warum sagst du mir das?“ „Das habe ich doch gerade gesagt. Was ist dein Problem?“ Kai starrte ihn an. „Was mein Problem ist? Was zum Fick, Yura - du hast von uns beiden hier den festen Freund, statt nur ab und zu mal ein-“ Das Russische verließ ihn einen Moment lang, er haderte mit dem richtigen Ausdruck, dann stieß er hervor: „-ein Fickschnitzel auf der Seite!“ Er schob die Tasse von sich. „Das ist so typisch von dir.“ „Typisch?“, wiederholte Yuriy. Etwas zuckte in seinem Gesicht. Kai konnte nicht sagen, ob es Verwirrung, Ärger oder ein Lächeln war. Es war ihm auch egal, denn je länger er über die Situation nachdachte, in die Yuriy ihn gebracht hatte, desto mehr stieg ihm die Galle hoch. „Du arroganter, selbstverliebter Bastard. Du willst nicht lügen und tust mir deswegen an, dass ich auch nicht mehr lügen kann. Ehrlichkeit schneidet manchmal tief, Yura, die kann einen bis auf die Knochen schneiden. Ich habe nicht um deine verfickte Ehrlichkeit gebeten, ich habe nicht meinen Konsens dazu gegeben. Man merkt, dass du mit Kuznetsov herumhängst, der erkennt barmherzige Lügen auch nicht mal dann, wenn sie ihm in den stählernen Arsch beißen-“ „Kai“, sagte Yuriy, schob die Tasse beiseite und griff nach seiner Hand, um sie einfach nur zu halten. Yuriys Finger bebten, kaum merklich, aber doch. Kai blickte darauf, aus seiner Tirade gerissen, dann in Yuriys Gesicht, in dem seine Augen sehr hell waren. Es gehörte zur Wahrheit auch sehr viel Mut. Kai spürte, wie der Kampf ihn verließ. Er biss sich auf die Lippen, dann atmete er tief durch und schloss die Augen. Einen Moment lang war nichts zu hören außer dem stetigen Ticken seiner Küchenuhr. Er wünschte sich eine dritte Tasse Kaffee, er wünschte sich ein sauberes Shirt, er wünschte sich die Kraft, Yuriy mit einem Arschtritt zur Tür hinauszubefördern, wenn es darauf ankam. „Sag‘ mir, dass ich falsch liege und du nicht so für mich empfindest“, sagte Yuriy leise, „dann ist das Thema abgehakt und wir müssen nicht mehr davon sprechen.“ „Fick dich“, sagte Kai mit viel Gefühl und ohne die Augen zu öffnen, „das kann ich nicht.“ „Wieso nicht?“ „Weil es nicht stimmen würde. Und jetzt können wir auch nicht mehr so tun, als ob.“ „Oh“, sagte Yuriy. Erneut zuckte etwas in seinem Gesicht, diesmal gestattete er sich jedoch, es zu einem Lächeln werden zu lassen. „Na, dann ist doch alles gut.“ „Bist du irgendwo dagegen gerannt?“, fragte Kai ungläubig, „sind dir damals in diesem Koma ein paar Hirnzellen zu viel abgestorben? Was ist gut daran, dass ich genauso dämlich bin wie du? Du hast einen Freund und ich bin vielleicht ein Arschloch, aber kein Beziehungsbrecher!“ Yuriy schüttelte den Kopf. „Ich will meine Beziehung auch nicht brechen. Boris weiß, dass ich Gefühle für dich habe. Ich habe mit ihm darüber gesprochen.“ „Was zum Fick?“, rief Kai aus. „Was ist los mit dir? Du gehst zu deinem Lebensgefährten und sagst ihm, dass du in einen anderen verknallt bist? Kuznetsov ist ein Bastard, aber das ist schon ein ziemlicher Wichs-Move, Yura, meine Fresse. Ich brauche eine Zigarette.“ „Du rauchst doch gar nicht mehr!“ „Du bringst mich dazu, wieder anzufangen!“, fauchte Kai. „Was soll die Scheiße? Was stellst du dir eigentlich vor? Ich werd‘ sicher nicht die andere Frau sein, schon gar nicht neben Kuznetsov! Und wenn du dir vorgestellt hast, den Arsch zu verlassen und hierher zu ziehen, dann hast du dich auch geschnitten, ich bin nicht mal permanent in der Stadt und will es auch nicht so-“ „Kai.“ Yuriy hob Kais Hand, presste die Lippen gegen seine Fingerknöchel und schmiegte seine Wange in Kais Handfläche. Kais Mund war trocken. Die Worte verließen ihn, er atmete tief durch, wünschte Yuriy gleichermaßen zum Teufel wie auf seinen Schoß. „Ich will dich“, sagte Yuriy leise und sah ihn an, Wange immer noch gegen seine Handfläche geschmiegt, „aber ich will auch Boris. Ich weiß, dass ich viel verlange. Aber ich glaube, dass ich es wert bin.“ „Einbildung ist auch eine Bildung“, murmelte Kai und gab einen tiefen Seufzer von sich. Dann streichelte er mit den Fingerspitzen zärtlich Yuriys scharfen Wangenknochen, bis der wohlig die Augenlider senkte. „Du bist ein gieriger Bastard, Yura. Du willst immer alles und du willst es ganz, ohne Rücksicht auf Verluste.“ „Als wärst du so anders, milij“, sagte Yuriy leise mit funkelnden Augen. Kai war einen Moment lang ruhig. „Was sagt Kuznetsov dazu?“ „Hat ein paar Waschbecken zertrümmert und mich angeschrien, dann haben wir darüber gesprochen.“ „Und was ist dabei rausgekommen?“ Yuriy summte ein wenig. „Er ist nicht begeistert.“ „Ach was, wo er doch mein größter Fan ist“, sagte Kai sarkastisch. „Sei still“, erwiderte Yuriy amüsiert, „du wirst dich vielleicht wundern, aber er ist gewillt, sich auf ein Experiment einzulassen.“ „Oh Gott“, sagte Kai augenblicklich alarmiert, „was hast du vor?“ Yuriy schenkte ihm ein wölfisches Grinsen. „Pass auf. Wenn alle an Bord sind, es zumindest mal zu probieren und zu sehen, was wir alle brauchen, wollen und überhaupt nicht wollen, dann wäre es gut, wenn wir dafür ein bisschen rauskommen. Die perfekte Gelegenheit dafür bietet ein Meteor, der unlängst über Sibirien abgestürzt ist.“ Yuriy ließ den Satz einen Moment einwirken, dann fügte er übertrieben dramatisch hinzu: „Wir machen einen Roadtrip.“ „Nur wenn Kuznetsov nicht fährt“, sagte Kai prompt. „Wenn das das einzige Problem ist“, sagte Yuriy großzügig, „das lässt sich einrichten.“ Kapitel 3: Sikhote-Alin ----------------------- Die Prämisse war denkbar einfach: Eine Woche Roadtrip durch die russische Landschaft in einem eigens gemieteten Allround-Jeep, der im Gegensatz zu Boris’ auffrisierter Karre selbst die steinigsten Straßen gut bewältigen konnte. Ein bisschen Meteoriteneinschlagsloch anglotzen, Fotos machen, ein Souvenir mitnehmen, dann wieder zurück. Dazwischen: Aussortieren, wo sie alle miteinander standen und ob das, was Yuriy sich vorstellte, überhaupt ansatzweise machbar war. Simpel. Yuriy fragte sich, was zum Teufel er sich dabei gedacht hatte. Gottverdammte Scheißgefühle. Er hatte sich nicht ausgesucht, Gefühle für gleich zwei Leute zu entwickeln, er wusste nicht einmal, woher die Kapazität dazu kam. Aber hier war er, mit enger Brust und einer Unruhe, die ihn eigenständig sämtliche Sporttaschen in den Jeep wuchten ließ, ohne dabei Hilfe von Boris anzunehmen. Er schlichtete die Taschen wieder und wieder neu, ging zum vierzehnten Mal die Liste durch, dann marschierte er zurück hinein in die Küche und drehte das Wasser auf, um sich die Hände zu waschen. Dann wieder. Er atmete tief durch, versuchte seinen Kopf zu sortieren, aber das Herz trommelte ihm schmerzhaft in der Brust, bis er kaum atmen konnte. Bescheuert, alles davon. Bescheuert, bescheuert, bescheuert. Es war immerhin seine eigene gottverdammte Idee gewesen. Nach fünf Minuten nahm Boris ihn sachte bei den Schultern, hob ihn wortwörtlich hoch und stellte ihn beim Kücheneingang ab, um ihm dann ein Handtuch zuzuwerfen und sich zwischen ihn und das Waschbecken zu stellen. Mit verschränkten Armen sah er zu, wie Yuriy sich ewig lange und umständlich die Hände abtrocknete, dann fragte er: „Was ist los?“ „Habe ich einen Fehler gemacht?“, platzte Yuriy heraus, senkte das Handtuch und sah ihn an. „Oh, jetzt hast du Schiss?“, fragte Boris und hob dabei beide Augenbrauen. „Zuerst große Töne spucken und jetzt ganz klein mit Hut sein?“ „Was ist, wenn ich euch damit beide verliere?“, fragte Yuriy. Boris‘ Augen waren sehr weich. „Halt‘ die Fresse, Yura. Wir machen das jetzt. Du verlierst uns deswegen nicht gleich, selbst wenn dieses Experiment fehlschlägt.“ Yuriy war sich sehr bewusst, dass er vieles an Boris vielleicht nicht verdiente. Er verdiente vielleicht seine uneingeschränkte Loyalität nicht, und auch nicht seine Langmut in vielen Aspekten ihres gemeinsamen Lebens. Boris schimpfte und fluchte und schlug Löcher in Wände oder Waschbecken, aber er war da, zog mit, begleitete ihn jetzt schon seit so vielen Jahren. Einen Moment lang verkrampfte Yuriy schmerzhaft fest die Finger im Handtuch. Dann ließ er es fallen, stieg darüber hinweg und schlang Boris die Arme um den Hals, um sich fest an ihn zu drücken. Boris kam ihm augenblicklich entgegen, zog ihn noch näher an sich, vergrub die Hände in Yuriys Haaren und atmete, die Nase an seinen Hals gepresst, tief ein. „Na, hast du gerade Gefühle?“, fragte er leise. Seine Worte streichelten über Yuriys Haut, so weich waren sie, und er schloss die Augen, um dann sachte die samtige Stelle hinter Boris‘ Ohr zu küssen. „Bisschen vielleicht“, murmelte er und ließ zu, dass Boris‘ Hände über seine Schultern wanderten, hinab zu seinen Hüften, die fest umfasst wurden. Er wusste, dass Boris es manchmal brauchte, ihn richtig anzupacken, zu spüren. Das war manchmal schwierig für ihn. Jetzt gerade nicht. Sie standen eine ganze Weile eng umschlungen da. Boris streichelte über Yuriys Haar, während der mit geschlossenen Augen die Wange an sein Schlüsselbein gelegt hatte und dem Herzschlag lauschte, der kräftig durch Boris‘ Brust bebte. Dann löste Yuriy sich langsam; Boris gab ihn nur ungern frei und so verweilte seine Hand in Yuriys Kreuz, während der Boris‘ Wange tätschelte. Ivan kam in die Küche, blieb stehen und wechselte einen Blick zwischen ihnen hin und her. „Ihr seid echt schwul“, stellte er dann fest, „geht mir aus meinem Joghurt.“ Yuriy verdrehte die Augen und machte Platz, sodass Ivan zwischen ihnen hindurch zum Kühlschrank wuseln konnte. „Schafft ihr es eine Woche ohne uns?“ „Oh nein“, sagte Ivan sarkastisch, streckte sich auf die Zehenspitzen und holte den Joghurtbecher von seinem Platz ganz oben, wo Boris ihn bewusst hingestellt hatte, um ihn zu ärgern, „was werden wir nur ohne euch machen? Ohne die wild herumliegenden, stinkenden Boxsachen überall und die Wutschreie, wenn man nur einen einzigen Kassenzettel wegwirft? Himmel, wie sollen Serjoscha und ich nur eine Woche Ruhe überstehen? Ich bin schon den Tränen nahe!“ „Das kann man alles von der Steuer absetzen, wenn man es richtig dreht, du undankbarer Arsch“, sagte Yuriy ungehalten. „Meine Boxsachen stinken nicht!“, sagte Boris empört. Ivan holte einen Löffel, riss den Joghurtdeckel ab und tätschelte erst seinen, dann Yuriys Rücken, als er an ihnen vorbei ging. „Bringt mir was mit, sonst knallt‘s.“ „Er ist immer so freundlich“, sagte Yuriy an Boris gewandt, der nur mit den Achseln zuckte und ihm eine rote Strähne aus dem Gesicht schnippte. „Vanja hat Essen geholt“, sagte er, „wir gehen den Lappen abholen. Ich finde, er hat den besseren Deal gemacht und soll sich nicht beschweren.“ Der besagte Lappen wartete bereits vor der Apartmentvermittlung, bei der er für eine Weile untergekommen war. Kais eigentliche Wohnung und sein Arbeitsschwerpunkt lagen immer noch in Japan, aber seine Firma hatte in den letzten Monaten begonnen, die wirtschaftlichen Beziehungen zu einigen russischen Firmen zu verstärken. Noch hielt Kai sich bedeckt darüber, aber es hatte dazu geführt, dass er öfter für ein oder zwei Wochen hier war - zu wenig für eine eigene Wohnung, zu viel, um ein Hotel auf die Dauer rentabel zu machen. Also mietete er sich für diese Wochen ein Apartment, das im Schnitt billiger war als ein Hotel und mehr Platz bot und war damit zufrieden. Yuriy war das nur recht. Er kurbelte das Fenster herunter und winkte Kai zu. Der musterte einen Moment lang über den Rand seiner Sonnenbrille hinweg den Jeep, dann Yuriy, ehe er ihm schließlich ein kaum merkliches Lächeln zuwarf und den kleinen Koffer neben sich ergriff, um damit zielstrebig zum Kofferraum zu marschieren. Boris, ebenfalls mit Sonnenbrille bewaffnet und auf dem Beifahrersitz neben Yuriy, verschränkte die Arme vor der Brust. Yuriy wusste ganz genau, dass er durch den Rückspiegel beobachtete, wie Kai seinen Koffer neben ihre Taschen einschichtete, dann den Deckel wieder schloss und kommentarlos die Tür zur Rückbank öffnete, um sich auf den Platz hinter Boris fallen zu lassen. „Kuznetsov“, sagte Kai dann neutral. „Hiwatari“, sagte Boris ebenso neutral. Yuriy musterte Boris, dann Kai, dann sagte er: „Fühlt sich hier sonst noch jemand wie bei einem Standoff im Western?“ „Die Pistolen sind doch noch gar nicht draußen“, sagte Kai trocken. Boris schnaubte. „Mach dir keine Hoffnungen, Hiwatari, für die nächste Zeit bleibt meine Pistole eindeutig in meiner Hose.“ „Okay!“, sagte Yuriy laut genug, um jedes weitere Argument zu unterbinden, für das Kai bereits kampflustig den Mund geöffnet hatte. Jesus, war er der einzige, der fand, dass die Luft zum Schneiden dick war? Scheinbar hatte Boris auf seine versichernden Worte in der Küche selbst schon wieder vergessen. Absolut typisch. „Seid ihr bereit für Sibirien?“ „Ich wurde bereit geboren“, sagte Kai. „Oh“, sagte Boris sarkastisch, „wärst auch überhaupt nicht im Baikalsee mal fast draufgegangen, du Naturbursche. Eis ist nicht so dein Element, was? Gut, dass wir Sommer haben. Ich hab‘ dir trotzdem Schwimmflügel eingepackt, nur so für den Fall.“ „Du schaust auf mich“, erwiderte Kai fast schon säuselnd, „du bist ja richtig mütterlich! Das sind sicher die ganzen Anabolika, die machen einen ja so weibisch, nicht?“ „Dieses Auto ist nur geliehen!“, sagte Yuriy scharf, als Boris daraufhin ernsthafte Anstrengungen unternahm, sich nach hinten zu werfen und Kai den Hals umzudrehen, der ihn von seinem sicheren Platz auf der Rückbank nur süßlich angrinste. „Wenn Blut auf diese Sitze kommt, breche ich eure Genicke, ich schwöre bei allem, was mir heilig ist.“ „Nur ein bisschen ohrfeigen, Yura, das hinterlässt keine Spuren, ich schwör“, sagte Boris und ließ Kai dabei nicht aus den Augen. „Traust dich nie“, sagte der kampflustig, „dich mach ich platt, ohne auch nur die Sonnenbrille runterzunehmen, Kuznetsov.“ „Ich knall‘ dir gleich eine, dass sie von selber herunterfliegt!“, röhrte Boris. Yuriy packte ihn daraufhin im Genick und hielt ihn fest, dann starrte er Kai in Grund und Boden. „Ihr beide kommt jetzt mal schön runter und lasst das Affengehabe. Sonst bringe ich euch beide um und verscharre eure Körper dort, wo sie niemals jemand finden wird, haben wir uns verstanden?“ Er schüttelte Boris, bis der nur eine Zustimmung grollte und sich wieder nach vorne drehte. Dann starrte er so lange Kai an, bis der mit den Augen rollte - Yuriy konnte es nicht sehen, aber er fühlte es in seinen Knochen - und nickte. „Schön“, sagte Yuriy und atmete tief durch. Eine Woche Roadtrip durch Sibirien. Meteoriten anschauen und Gefühle aussortieren. Simpel. Er startete den Motor und träumte jetzt schon von der Flasche Wodka, die er vorsorglich eingepackt hatte. Kapitel 4: Kainsaz ------------------ „Das war nicht cool, Yuriy”, sagte Boris abends. Sie verbrachten die Nacht in einem Motel mit zwei Zimmern, die durch eine Verbindungstür miteinander verbunden waren. Momentan war diese Verbindungstür von beiden Seiten fest verschlossen. Es war nicht sehr wahrscheinlich, dass sich daran so schnell etwas ändern würde. Yuriy hatte schon die ganze Zeit darauf gewartet, dass Boris aussprach, was ihm auf der Seele lag, denn dass es irgendetwas gab, war ziemlich deutlich gewesen. Er blickte von seiner Sporttasche auf, aus der er gerade den Beutel mit Zahnbürste und Co. gezogen hatte, und hob eine Augenbraue. „Bitte elaboriere.” Boris verschränkte die Arme vor der Brust. „Der Nackengriff. Direkt vor Hiwataris Augen. Spinnst du eigentlich? Das hat mich wirken lassen, als wäre ich einfach nur dein unartiger Hund, der gebeutelt gehört.” Yuriy hielt inne. Es dauerte einen Moment, bis er sich an die Szene von heute Vormittag erinnerte, von der Boris sprach, dann verzog er ein wenig das Gesicht. „Das war automatisch. Ich hab’ nicht drüber nachgedacht.” „Das macht’s echt nur geringfügig besser”, befand Boris immer noch mit verschränkten Armen, aber etwas in seinem Gesicht wurde ein wenig weicher. „Das geht ihn nichts an. Er kommt noch auf Ideen, die einfach nicht stimmen, und ich will das nicht.” „Das verstehe ich”, sagte Yuriy, fuhr sich mit einem tiefen Seufzer durch die Haare und legte dann den Beutel beiseite, um sich an den Bettrand zu setzen. Nach einem Moment gab Boris seine starre Haltung auf und ließ sich neben ihm nieder, so nah, dass sich ihre Schultern streiften. Yuriy sah ihn von der Seite an. Neu zu lernen, wie er Boris ansah, war für ihn einer der spannendsten Aspekte einer romantischen Komponente in ihrer Beziehung gewesen. Er hatte gedacht, alles von Boris zu wissen, und sich selten so stark geirrt wie in dieser Hinsicht. Man konnte einen Menschen nie wirklich komplett kennen, es gab immer Flecken, an die ein Außenstehender nicht herankam. Aber das Hinzufügen neuer Beziehungselemente und, ja, auch ihre Versuche, Yuriys Desinteresse an Sex mit Boris’ Bedürfnis nach Körperlichkeit zu vereinen hatte bewirkt, dass sie sich beide mit der Welt des BDSM beschäftigt hatten. Aber das beinhaltete Wege, auf denen sie einander brechen konnten - ganz schnell, ganz simpel, von einer Minute auf die andere. Das konnte passieren, wenn man einander so vertraute, dass man sich auch an Wunden wagte in der leisen Hoffnung, nicht nur eine neue Ebene an Intimität aufzumachen, sondern auch ein wenig im Umgang miteinander zu heilen. Es gab niemanden, niemanden auf der Welt, dem Yuriy so vertraute wie Boris. Und es war ein großes Geschenk, dass er umgekehrt auch sicher sein konnte, dass Boris ihm uneingeschränkt - nicht blind, niemals blind - vertraute. Yuriy hob eine Hand und strich mit den Fingerspitzen sanft über Boris’ Wange, hinunter über seinen Hals. Es war warm, und je wärmer es wurde, desto weniger Bedürfnis nach Berührungen hatte er. Aber das hier war nicht unbedingt für ihn, auch wenn er durchaus etwas davon hatte. Seine Belohnung bestand darin, dass er spürte, wie Boris sich nach und nach entspannte, während Yuriy ihn sanft im Nacken kraulte, dort, wo er ihn vor ein paar Stunden noch gepackt hatte. „Das war unsensibel von mir”, sagte er leise. Boris brummte und drehte sich ein wenig, bis er den Kopf an Yuriys Schulter legen konnte, ohne dass das Kraulen dadurch unterbrochen wurde. Yuriy legte das Kinn auf seinen Kopf und schloss die Augen. Er konnte Boris’ wuchtigen, festen Herzschlag durch seinen Arm und seine Rippen vibrieren fühlen. „Es ist mir egal, wenn du es vor Vanja oder Serjoscha machst”, murmelte Boris nach einer Weile, „ich bin mir nicht mal sicher, ob ich so sehr einen Fick vor Fremden darauf geben würde. Ich schäme mich nicht dafür, dass ich dir alles geben will. Aber das ist Hiwatari.” Er machte einen tiefen Atemzug und schien ein paar Sekunden lang mit sich zu kämpfen. Yuriy wartete geduldig mit geschlossenen Augen, bis Boris schließlich fortfuhr: „Ich habe sowieso das Gefühl, dass ich mein Revier verteidigen muss, das hat’s nicht besser gemacht.” „Du musst dein Revier nicht verteidigen.” „Du kannst mir das tausendmal sagen und mein Kopf versteht’s auch, aber das macht es nicht einfacher, Yura. Ich bin kein Kopfmensch. Und bevor du irgendwas sagst: Ich weiß, dass ich gesagt habe, dass wir dieses Experiment machen und dazu stehe ich auch nach wie vor. Das muss sich nicht widersprechen.” Yuriy seufzte und ließ die Finger nach oben wandern, um damit durch Boris’ kurzes Haar zu gleiten. „Tust du es, weil du Angst hast, mich zu verlieren? Ich habe dir gesagt-” „Nein, nicht unbedingt.” Boris atmete aus. „Ich will dich glücklich sehen. Mein Problem ist wahrscheinlich einfach nur, dass ich nicht erkennen kann, wie ausgerechnet Hiwatari dich glücklich macht. Ich kann mir nicht helfen, als ihn für ein Arschloch zu halten.” „Wir sind alle Arschlöcher, Borja.” Boris’ Lachen vibrierte durch Yuriys Brust. „Ja, aber alle ein bisschen anders. Und du bist halt meines, ich weiß noch nicht, ob ich mit noch einem was anfangen kann. Aber ich versuche es für dich.” Es kam nicht unerwartet, als Boris den Kopf hob und ihn küsste. Yuriy kam ihm entgegen, sie trafen sich auf halbem Weg, er fühlte Boris’ kräftige, große Hände an seinen Schulterblättern. Sie küssten sich eine Weile, bis die unwillkürliche Anspannung aus Yuriys Schultern wich, dann ließ er zu, dass Boris ihm das T-Shirt über den Kopf zog, legte aber warnend eine Hand auf seine, als Boris auch nach seinem Jeansknopf greifen wollte. „Heute nicht.” Boris hielt inne und musterte ihn. „Gar nicht?” „Doch.” Yuriy umfing sein Gesicht mit beiden Händen und drückte einen Kuss auf seine Stirn. „Aber ich mag heute nicht viel angefasst werden.” „Das ist okay.” Boris dachte einen Moment lang nach. „Hältst du mich fest?” Statt einer Antwort rutschte Yuriy so auf das Bett, dass er mit dem Rücken gegen die Wand am Bettende lehnte, dann fasste er nach Boris und zog ihn zwischen seine Beine. Er zog Boris das T-Shirt aus, dann küssten sie sich erneut. Boris kniete vor ihm, schlang die Arme um ihn und gab einen rauen Laut von sich, als Yuriy die Fingernägel einer Hand tief in seine Schultern grub. Er öffnete Boris’ Lippen mit seinen Lippen und Boris’ Hose mit seiner Hand, fing das Keuchen mit seinem Mund auf, als er zupackte und Boris ihm entgegen zitterte. Der Moment hielt nicht lange. Yuriy stellte fest, dass er auch nicht in der richtigen Stimmung war, um an Boris sexuell viel zu machen, weshalb er sanft die Strategie wechselte, die Hand aus seiner Hose zog und sie ebenfalls in Boris’ Rücken grub, um ihn näher an sich zu ziehen. Mittlerweile kannte Boris ihn gut genug, um den subtilen Hinweis zu verstehen. Er schmiegte die Wange gegen Yuriys, drängte sich an ihn und ließ die eigene Hand hinunterwandern. „Ich bin hier”, wisperte Yuriy mit geschlossenen Augen gegen seine Schläfe, streichelte über die babyigelweichen, kurzen Haare in seinem Nacken und küsste eine Spur von seinem Ohr hinab zu seinem Mundwinkel. Boris grollte, ein Geräusch wie ein abrutschender Berghang, zog die Schultern hinauf und drückte sich an Yuriy, als ob er versuchte, in ihn hineinzukriechen, irgendwo hinein zwischen sein Herz und seine Knochen. Als ob er nicht längst schon dort war, dachte Yuriy und atmete tief gegen Boris’ Wange, während er ihn fest umschlungen hielt, als ob er nicht für ihn war wie Blut, das er brauchte, um am Leben zu bleiben. Danach schlief Boris relativ schnell ein - auf Yuriys Bettseite, den Kopf aufs Yuriys Schoß gebettet, während der ihm über den Kopf strich. Das ließ das buttrig-weiche Gefühl in Yuriys Brust ein wenig verblassen, weil er wusste, dass es nahezu unmöglich war, einen schlafenden Boris vom Platz zu bekommen, was er aber irgendwie hinbekommen musste, weil er auf der falschen Bettseite nicht schlafen konnte. Ein Ersterfolg stellte sich ein, indem er Boris’ Kopf von seinem Schoß bekam. Danach brauchte er geschlagene zehn Minuten, um ihn zwanzig Zentimeter zur Seite zu bewegen, was hoffentlich ausreichend sein würde. Während Boris friedlich weiterschnarchte, stellte Yuriy fest, dass er viel zu wach war, um jetzt schlafen zu können. So leise wie möglich nahm er die Zimmerschlüssel, sein Handy und die Brieftasche, um durch die Motelgänge hinunter in den Innenhof zu treten. Er war nicht überrascht, Kai nur spärlich von einer Lampe über dem nahen Eingang auf einer Bank sitzen zu sehen, die Beine im Schneidersitz verschränkt und eine glimmende Zigarette in seinem Mundwinkel. Eine Katze, die bisher neugierig um ihn herumgestrichen war, nahm bei Yuriys Herankommen reißaus. Kai blickte ihr seufzend hinterher, dann sah er Yuriy an und hob eine Augenbraue. „Kannst du nicht schlafen?”, fragte er. „Ich sehe, du warst nicht umsonst auf der Boarding School, bei dem Intellekt”, stellte Yuriy fest und ließ sich neben ihn fallen. Kais Knie streifte sein Bein, aber sie vergrößerten beide nicht den Abstand. „Willst du auch eine?”, bot Kai mit einer Handbewegung auf das Zigarettenpäckchen neben sich an, woraufhin Yuriy den Kopf schüttelte. „Rauchst du immer noch nicht?” „Gegenfrage: Wolltest du nicht aufhören?” Kai seufzte erneut. „Das hast du mich schon mal gefragt. Will ich immer noch. Aber es ist an den meisten Tagen entweder das oder Massenmord, und ich bin noch nicht bereit fürs Gefängnis.” Yuriy gab einen undefinierbaren Laut von sich, legte den Kopf in den Nacken und sah in den Himmel. Hier, fern von der Stadt, breitete sich der Nachthimmel wie ein diamantenbesetztes Tuch bis in die Unendlichkeit über ihnen aus. Wie leicht das menschliche Auge durch den äußeren Schein zu täuschen war, dachte er unwillkürlich: Wie leicht man annehmen konnte, dass Sterne kalt waren, wenn sie doch nichts taten außer zu brennen, zu brennen und zu leuchten bis zum bitteren Schluss. Er sah zu Kai, der über das Glühen der Zigarettenspitze hinweg seinen Blick erwiderte. Im spärlichen Licht waren seine Augen fast schwarz. „Kann ich dich mal was fragen?“, fragte Kai schließlich leise. Als Yuriy nickte, blieb er dennoch eine lange Weile still, zog an seiner Zigarette und atmete dann aus. „Warum willst du mich? Ist es nur der Sex?“ Yuriy konnte nicht anders und schnaubte. „Glaub mir, Sex ist der geringste Anreiz.“ Er sah, dass Kai die Stirn runzelte und fragte sich, ob er diese Diskussion jetzt führen wollte. Schlussendlich rieb er sich über das Gesicht. „Das gibt mir nicht so viel … ist aber vielleicht eine Diskussion für ein andermal.“ Kai schwieg. Dann fragte er: „Wenn es das nicht ist, was ist es dann?“ Yuriy dachte einen Moment lang darüber nach, wie er es am Besten beschreiben sollte. Sie sahen sich im Halbdunkel an. Er wollte Kais Hand nehmen, aber solange ihm das Herz so schmerzhaft fest in der Brust schlug, traute er sich nicht. „Kennst du das“, sagte er schließlich leise, „wenn du eine Person ansiehst - und du willst alles von ihr sehen? Alles von ihr spüren, so weit es geht? Du würdest am liebsten ihre Rippen auseinanderbrechen und dich in den Brustkorb wühlen, und ihr Herz in den Händen halten, nur um es zu beschützen?“ Boris hätte ihm an dieser Stelle den Vogel gezeigt und geraten, wieder zur Therapie zu gehen. Kai aber nickte nur langsam, instinktiv verstehend, was Yuriy meinte. Es war nicht ganz sicher, ob das für ihn sprach oder gegen ihn. „Und das reizt dich daran? Deswegen willst du mich? Um alles von mir zu sehen?“ „Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass es nicht ein Anreiz wäre.“ Kai nahm den Blick nicht von ihm. „Und wenn es Dinge gibt, die ich dir nicht zeigen will?“ „Das ist okay. Selbst wenn du mir nicht alles zeigst, lerne ich dadurch immer noch neue Dinge über mich selbst.“ Kai blickte überrascht drein, dann neigte er ein wenig den Kopf. „Was meinst du?“ „Boris und ich haben miteinander gelernt, behutsam zu sein“, sagte Yuriy. Nun wagte er es doch und legte eine Hand sachte auf Kais. „Hätte ich ehrlich gesagt nie gedacht. Und wenn Boris und ich schon neue Dinge mit jemandem lernen, der uns unser halbes Leben lang begleitet hat, was können wir beide dann noch alles voneinander lernen?“ Kai musterte ihn lange. Dann lächelte er langsam, träge, und verschränkte die Finger sachte mit Yuriys. „Klingt spannend.“ „Ist es auch“, sagte Yuriy und drückte sanft seine Hand. Kai drückte zurück, sicher und ohne zu zögern. Noch eine ganze Weile saßen sie gemeinsam auf der Bank und sahen in den Nachthimmel hinauf. Sie schwiegen, aber für den Moment brauchte es auch keine Worte. Für den Moment, nur für den Moment, war alles gesagt. Kapitel 5: Seymchan ------------------- An dem Tag, an dem Boris Kai die Nase brach, regnete es. Boris hatte eigentlich gedacht, dass er sich im Griff hatte. Sie waren seit zwei Tagen unterwegs und befanden sich auf halbem Weg zwischen Moskau und der Meteoriten-Einschlagstelle. Vielleicht hätten sie schneller vorankommen können, aber es war ja immer noch der Weg das Ziel und so ließen sie sich Zeit. Einen Tag lang hatte Boris das Gefühl, dass er mit Kai umgehen konnte, besonders wo dieser sich scheinbar vorgenommen hatte, sich ein wenig zurückzunehmen. Daher verlief die zweite Übernachtung mitten in der sibirischen Pampa auch wesentlich diskussionsfreier als jene davor. Er wusste nicht genau, was ihn am dritten Tag so reizte. Aber irgendwann legten sie einen Stop in einem Kuhdorf ein, um zu tanken und sich die Beine zu vertreten, und Boris verschwand im Tankstellenstore, um ihnen allen - ja, auch Kai - Sandwiches und Getränke zu besorgen. Als er zurückkam, saß Yuriy entspannt auf dem Rand des geöffneten Kofferraums und Kai lehnte neben ihm. Sie hatten die Köpfe zusammengesteckt, so nahe, dass sich ihre Sonnenbrillenränder berührten, und Kais Fingerspitzen glitten sachte an Yuriys entblößtem Arm auf und ab, während der mit seiner sanften Stimme der Faszination zu ihm sprach. „305 775 Kilometer“, sagte er gerade, „so weit kann man in einer guten Nacht ins Universum sehen. Hast du eine Ahnung, wie unfassbar weit das ist? Die Andromeda-Galaxie, die wir manchmal sehen können, ist 15 mal 10^18 Meilen von uns entfernt!“ „Wieviel ist das in Kilometer?“, fragte Kai amüsiert. Yuriy blinzelte ihn über den Rand seiner Sonnenbrille an. „Gib mir einen Stift und ein Stück Papier und ich zeichne es dir auf.“ „Hier hast du einen Kugelschreiber. Du kannst es auf meinen Arm schreiben.“ „Alle Nullen?“ „Alle“, bestätigte Kai und in seiner Stimme lag ein rauer, sinnlicher Unterton, der Boris‘ Blut zum Kochen brachte - nicht unbedingt im negativen Sinn. Aber auch nicht unbedingt nur im negativen Sinn. Es war zum Aus-der-Haut-Fahren. „Essen“, sagte er laut und deutlich, woraufhin Yuriy und Kai hochblickten und dann beide reflexartig die Sandwiches auffingen, die er ihnen zuwarf. Er ging an ihnen vorbei, nahe genug, dass er Kai mit der Schulter anrempelte, dann entfernte er sich weit genug, um Ivan anrufen zu können. „Na, fehlt irgendwem schon ein Körperteil?“, meldete der sich optimistisch wie immer. Boris schnaubte. „Noch nicht. Aber Kai führt einen gefährlichen Balanceakt mit meinen Nervenseilen auf.“ „Tut er das nicht immer?“ Boris sah förmlich vor sich, wie Ivan auf seinem Bett saß und mit den Augen rollte. „Wie weit seid ihr schon?“ „Übermorgen sollten wir bei der Einschlagstelle sein.“ „Und dann nochmal so lange heim? Das heißt ja, dass ich ‘ne ganze Woche lang Ruhe vor euch habe. Noch dazu, wo Serjoscha sich auch irgendwo in der Gegend herumtreibt und kaum da ist.“ Boris horchte auf. „Was? Was macht der?“ „Ja, wie kann er es nur wagen, ein eigenes Leben zu haben“, sagte Ivan sarkastisch, „dieser Arsch. Nein, keine Ahnung, was er macht, ich frage ihn das nächste Mal, wenn er wieder daheim ist. Hast du aus ‘nem bestimmten Grund angerufen oder wolltest du nur einen Mord verhindern?“ Boris brummte, weil er die Antwort auf diese Frage nicht sagen konnte und kratzte sich am Hinterkopf. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Yuriy Kai einen Krümel von der Wange wischte und atmete tief durch, um die glühende Wut niedrig zu halten, die versuchte, aus ihm heraus zu explodieren. Verdammte Scheiße, er hatte gedacht, dass er es mittlerweile im Griff hatte. Was half die jahrelange, verfickte Therapie eigentlich, wenn es nur einen zu tiefen Blick aus Kai fucking Hiwataris Glutaugen brauchte, um ihn an die Decke gehen zu lassen? „Was hat er eigentlich gemacht?“, wollte Ivan wissen. „Nichts“, grollte Boris mit einem weiteren Blick zu Yuriy und Kai, die einander gerade Servietten reichten. Boris atmete erneut tief durch. „Ist es dämlich, dass es mir lieber wäre, wenn Kai immer noch der gleiche egozentrische Wichser von vor ein paar Jahren wäre?“ Ivan war einen Moment lang still. Dann sagte er sehr nüchtern: „Nö. Kann ich schon verstehen.“ „Ach ja?“ „Sicher“, sagte Ivan und Boris sah sein Schulterzucken förmlich vor sich. „Das wäre einfacher. Viel, viel einfacher. Aber Borja - ist dir klar, dass es auch helfen könnte, wenn du zulassen würdest, dass du ihn manchmal leiden kannst?“ „Danke, Dr. Papov.“ „Das macht 7900 Rubel, Boris Petrowitsch.“ Gegen seinen Willen stieß Boris ein hyänenhaftes Lachen aus. „Du kannst mich mal, du Goblin.“ „Das würde dir so passen!“ Sie tauschten noch ein paar wohlmeinende Beleidigungen aus, dann legte Boris auf. Als er zum Jeep zurückkehrte, hatte ihn die Unruhe noch immer nicht verlassen. Yuriy warf einen Blick in sein Gesicht und weigerte sich, ihn fahren zu lassen, was vermutlich eine gute Idee war, aber gleichzeitig das Brodeln in seiner Brust noch mehr verstärkte. Ein klarer Teil von ihm war sich bewusst, dass er am Eskalieren war, ohne dass es einen Grund dafür gab. Der Rest von ihm sah dem Entgleisen des Zugs nicht nur tatenlos zu, er wartete auch hungrig auf den Aufprall und die Explosion. Er konnte sich während der Fahrt anders als bisher kaum konzentrieren, wenn Yuriy sprach, und Kais Stimme war wie ein rotes Tuch. Seine Laune verschlechterte sich genauso schnell, wie der Himmel über ihnen dunkler und dunkler vor schweren Wolken wurde. Schließlich begann es zu regnen und Yuriy, der aus irgendeinem Grund besonderen Respekt vor Aquaplaning hatte, fluchte vor sich hin. Er erwischte sich dabei, wie er auf die kleinste Regung von Kai lauerte, auf den kleinsten Grund, die Bombe zu zünden. Und Kai gab ihm einen Grund. Allerdings erst, nachdem Yuriy im nächsten Nest vor dessen einziger Gästepension geparkt hatte, die gleichzeitig das Gasthaus des Ortes zu sein schien. „Wartet hier“, sagte Yuriy und marschierte durch den strömenden Regen hinein. Augenblicklich riss Boris die Autotür auf und kletterte aus dem Auto. Alles, alles war besser, als minutenlang schweigend alleine mit Kai in einem Wagen zu sitzen. Die Luft war ihm augenblicklich zu eng geworden. Jetzt schien er zu viel davon zu haben; der Sturm rauschte in seinen Ohren, während der Regen auf ihn einprasselte. Sein Herz brannte in seiner Brust, als ob er einen Marathon lief. Er schloss die Augen und versuchte bis tief in seine Bauchgegend hinab einzuatmen, dann wieder aus, während er langsam von einundzwanzig bis sechsundzwanzig zählte. Hinter sich hörte er das Zuknallen einer Autotür. Der Sturm schien in seine Hände zu fahren wie der Teufel in die Seele. Boris ballte sie zu Fäusten und drückte sie an die eigene Brust, biss sich auf die Innenseiten der Wangen, bis er Blut schmeckte. „Boris”, sagte Kai ruhig hinter ihm, „was zum Fick ist dein Problem?” Ein Teil von ihm ermahnte zur Ruhe. Leider war es nur ein kleiner Teil. Der Rest von ihm wirbelte herum und zischte: „Du bist mein verdammtes Problem.” Kai hob eine Augenbraue. „Ganz ehrlich, so dämlich und schnaubend, wie du dich hier gebärdest, bin ich hier nicht das Problem.” Das Wasser perlte von seinen Haaren und seiner Nase ab, durchtränkte seine Kleidung, ohne dass es ihn zu kümmern schien. Er stand mit verschränkten Armen da und musterte ihn fast gelangweilt, als ob Boris ein nicht ernstzunehmendes Kleinkind war, als ob er nichtig war, seine Emotionen und Gedanken nicht mehr als ein Blatt in Kais Fahrtwind- „Wichser”, zischte Boris und rammte ihm die Faust ins Gesicht. Ein Knacken ertönte, hörbar selbst durch den heftigen Regen. Kai gab einen gequälten Laut von sich, fasste instinktiv in sein Gesicht - dann flammten seine Augen auf, zwei Irrlichter in einem Wasservorhang, und er trat mit schnellen Schritten an ihn heran, um ihn mit beiden flachen Händen hart gegen die Brust zu stoßen. „Ich bin nicht dein gottverdammter Sandsack, Kuznetsov”, sagte er hart, „aber wenn du unbedingt auf die Fresse willst, dann kriegst du auf die Fresse.” Boris hatte einmal versucht, Yuriy zu erklären, wie die Wut sich anfühlte. Er hatte es mit einem roten Nebelschleier beschrieben, der sich über alles und jeden legte, und mit Strom, der ihm durch den ganzen Körper fuhr, auf der drängenden Suche nach Ableitung. Nicht umsonst hatte sein Therapeut sich vor allem darauf konzentriert, die Umlenkung dieser Impulse einzustudieren, eine Umlenkung in Positives, Schöpferisches. Sich auf Kai zu stürzen und ihn in den Matsch zu pressen war weder positiv noch schöpferisch, aber es fühlte sich in diesem Rotnebelmoment genauso gut an. Kai hatte nämlich keine Ahnung von Deeskalation dieser Art. Es war nicht einmal sicher, ob er sie überhaupt anstrebte, weil er Boris ungehemmt mindestens genauso gut gab, wie er einsteckte. Als seine Faust Boris’ Auge traf, explodierte greller, unversöhnlich sauberer Schmerz in seinem Kopf. Sie verhakten sich ineinander, rollten durch den Matsch wie zwei besinnungslos verkeilte Eber - und dann, fließend, von einer Minute auf die andere, spürte Boris peinvoll klar seine Körperlichkeit, eine Körperlichkeit, die Kai auf sehr ähnliche Weise teilte, und geleitet von diesem Spüren lenkte er den namenlosen, schreienden Impuls, der ihn Kai in tausend Stücke zerreißen lassen wollte, in etwas Positives um. Etwas Schöpferisches. Er grub die Finger in Kais Wangen und Nacken und ließ die Lippen auf seine krachen. Zähne rissen Lippen auf. Der Geschmack von Blut flutete Zunge und Mund. Kai, schlammbeschmiert und mit schreienden Augen, riss an seinen Haaren und wölbte sich ihm entgegen. Er war wild, und Boris wollte, oh, hatte er die ganze Zeit gewollt? War es das, was Yuriy in Kai sah, diese Wildheit eines Dimensionen entfernten, stetig brennenden Sterns? Boris schmeckte es in Blut und Atem und einem Zittern, das sie beide erfasst hatte. Dann packte ihn eine feste Hand am Shirt und zog ihn mit einem Ruck nach hinten. Der Nebelschleier zerstob. Boris blieb am Boden zurück, beinahe benommen, und versuchte seinen Atem unter Kontrolle zu bekommen, der dem fehlenden Strom nicht hinterherkam. Yuriy ragte über ihnen beiden auf, die blauen Augen blitzend vor Wut und etwas, das Boris nicht deuten konnte. Er schubste sie beide auseinander, dann wischte er sich die feuchten Haare aus dem Gesicht. Boris sah zu Kai, der sich Blut und Wasser aus dem Gesicht wischte und den Kopf wandte, als ob er Boris’ Blick auf seiner Haut spürte. Er erwiderte ihn ohne Scheu, ohne Ärger. Ja, da waren die Glutaugen wieder, die zusammen mit einem kleinen, fast verspielt-herausfordernden Lächeln in seinem schönen, zerstörten Gesicht brannten. Einen Moment lang sagte niemand etwas. Der Regen trommelte unermüdlich auf sie ein und der Schmerz in Boris’ Auge wurde zu etwas Dumpfem, Unangenehmen. Er wischte sich den Matsch von den Armen und machte es damit nur schlimmer. Dann machte Yuriy einen tiefen Atemzug. „Zehn Minuten lasse ich euch allein”, murmelte er, rieb sich die Nasenwurzel, dann straffte er die Schultern. „Schön. Scheinbar stört’s euch ja weniger, als ich befürchtet habe, dass es nur noch ein Zimmer gab. Rein mit euch. Ihr stellt euch jetzt unter die Dusche, und dann reden wir verdammt nochmal über das, was hier gerade passiert ist.” Kapitel 6: Tscheljabinsk ------------------------ Aus irgendeinem Grund nahm Kai an, dass Yuriy sie am Ohr packen und ins Zimmer schleifen würde, um ihnen dort den Marsch zu blasen. Stattdessen renkte er Kais gebrochene Nase mit einem sehr hässlichen Geräusch und viel Gefluche auf Kais Seite wieder ein. Dann, nachdem der Blutstrom ein wenig versiegt war, trotteten Boris und er ihm schweigend hinterher wie zwei nasse Ratten, komplett durchtränkt von Regenwasser und Matsch. Das Zimmer war nichts Besonderes, aber bequem genug. Es gab ein breites Bett und eine Couch, die ausgezogen und zur Schlafstätte gemacht worden war. Hinter den Fenstern wogten dunkel und bedrohlich die Schatten der sibirischen Tannen im Sturmregen. Keiner von ihnen achtete sonderlich darauf. „Dusche“, sagte Yuriy und deutete auf Boris. „Du zuerst.“ Einen Moment lang machte Boris den Anschein, als ob er protestieren wollte, aber Yuriy schaute ihn so wütend an, dass er das Gesicht verzog und stillschweigend ins Badezimmer trottete, um die Tür hinter sich zuzuknallen. Kai sah zu, wie Yuriy die Sporttasche durchwühlte und Boris frische Kleidung durch die Tür reichte, ehe er Kai zunickte. „Zieh dich aus“, kommandierte er. Kai hob die Augenbrauen. „Kaufst du mir vorher nicht mal Abendessen?“ Er sah mit Erstaunen, dass sich ein Hauch von Farbe in Yuriys bleiche Wangen schlich. Hinter ihnen ging die Dusche an, das Geräusch mischte sich mit dem Regen, der immer noch gegen die Fensterscheiben prasselte. Yuriy machte einen tiefen Atemzug, massierte sich die Nasenwurzeln, dann wandte er sich ab. Plötzlich sah er müde aus, müde genug, dass Kai keine Lust mehr hatte, ihn zu triezen. Also gab er nur einen tiefen Seufzer von sich und schlüpfte neben der Tür aus den Stiefeln, dann knöpfte er sich das verdreckte Hemd auf. Er fühlte Yuriys Blick auf sich. Die Haare in seinem Nacken stellten sich auf. Er atmete tiefer, bezwang das Prickeln, das durch den Kampf und das ausgelöste Adrenalin so schnell zu ihm kam. Als er aufsah, hielten sie beide einen langen Moment still, wie auf der Lauer, während sie sich ansahen. „Die Hose auch?“, fragte Kai leise. Yuriy blinzelte, dann nickte er abrupt. „Wenn du schon dabei bist.“ „Wenn ich schon dabei bin“, wiederholte Kai und grinste amüsiert, aber er tat wie geheißen. Er warf die Hose zum Hemd und ließ sich dann auf das Bett fallen, nur um dann die Lippen zu einem Lächeln zu verziehen, als er sah, wie Yuriy, der selten bis nie trank, eine Wodkaflasche herauszog, den Verschluss öffnete und einen sehr kräftigen Schluck davon machte. „Harten Tag gehabt?“ „Halt‘ die Klappe“, sagte Yuriy und trank noch einen Schluck. „Und?“, fragte er dann beißend, „Wie war es, Boris zu küssen?“ Kais Augenbrauen wanderten in die Höhe. „Eifersüchtig oder was?“ Er lachte kurz und nicht gerade fröhlich. „Das wär‘ jetzt echt noch die steilste Aktion.“ „Nein“, sagte Yuriy eisig, fuhr sich durch die Haare, schnappte dann eine abgegriffene Blechbox aus der Sporttasche und setzte sich damit neben ihn. Die Flasche stellte er am Nachttisch ab. Er saß so nah, dass ihre Knie sich berührten und der raue Stoff von Yuriys Jeans über Kais Haut kratzte. Yuriy öffnete die Box, holte einen Wattebausch und Desinfektionsmittel hervor und tränkte Ersteren in letzterem. Kai hielt still, als Yuriy die Hand hob und sachte seine Unterlippe abtupfte, durch die der Schmerz pulsierte. Er atmete kaum, fantasierte dafür stillschweigend umso intensiver, auf Yuriys Schoß zu rutschen und die schmerzenden Lippen auf seine zu drücken, bis sich Yuriys lange Finger in sein Haar wanden. Yuriy senkte ein wenig die Augenlider, als ob er genau wusste, was Kai dachte. Er verharrte - der Bausch wurde fester gegen Kais Lippe gedrückt als nötig, aber Kai hatte nur Augen für die Art und Weise, wie Yuriys lange, dunkle Wimpern einen Moment über seine Wangen strichen wie Schatten. Die Badezimmertür ging auf. Boris kam heraus und brachte einen Schwall Dampf mit sich. Er hatte die Jogginghose angezogen, die Yuriy ihm gereicht hatte, aber der Rest war bis auf ein nachlässig um seinen Hals gelegtes Handtuch glorios nackt. Einen Moment verharrte er auf der Türschwelle; Kai fühlte es mehr als dass er es sah. Dann setzte er sich in Bewegung und ließ sich hinter Yuriy auf dem Bett nieder, griff nach der Flasche und nahm ebenfalls einen großzügigen Schluck Wodka. Sein Auge war fast zugeschwollen und es schien fast, als ob es mit jeder verstreichenden Sekunde dunkler wurde, aber er wirkte nicht so, als ob es ihn sonderlich störte. Yuriy legte den Bausch beiseite und schloss die Box. Während er mit einem tiefen Einatmen die Fingerspitzen gegen seine geschlossenen Augenlider drückte, wechselten Kai und Boris über seinen gebeugten Kopf hinweg einen Blick. Kai hatte nicht vergessen, wie es sich angefühlt hatte, Boris zu küssen. Die Erinnerung brannte in seiner Nase und auf der gespaltenen Lippe, die Yuriy noch Momente zuvor abgetupft hatte. Nun biss er sich darauf und schmeckte das ferne, kupferne Echo von Blut. Ja, da war ein Weg. Boris und er mochten seine Differenzen haben, aber es war nicht unrettbar, bei weitem nicht - und angesichts des Blicks, den Boris ihm in diesem Moment zuwarf war er sich recht sicher, dass dieser ähnlich dachte. „Also“, sagte Yuriy, als ob er seine Gedanken erraten hatte und blickte auf, „ihr seid euch scheinbar doch nicht ganz so spinnefeind, hm?“ „Hab‘ nie behauptet, dass Hiwatari nicht heiß ist“, sagte Boris. Kai sah zu, wie er die Hände erstaunlich sachte auf Yuriys Schultern legte und dann mit langen, langsamen Bewegungen an seinen Armen auf und ab strich, als ob er ihn aufzuwärmen versuchte. Sein Blick jedoch blieb auf Kai gerichtet, genau wie Yuriys. „Und du kannst das genauso wenig. Ich hab‘ den Fickblick genau gesehen.“ „Den Fickblick“, wiederholte Yuriy langsam. Seine Lippen zuckten. „Der Blick, mit dem du ihn angesehen hast, als wär‘ er das Schnitzel, das du unbedingt klopfen willst“, sagte Boris ungerührt. Kai kratzte sich an der Oberlippe in dem Versuch, nicht über Yuriys resignierten Gesichtsausdruck zu lachen. „Nun, ich denk‘ er hätte einen passenden Hammer in der Hose.“ „Der Mann versteht mich.“ Yuriy rieb sich über das Gesicht. „Gefällt mir diese plötzliche Verbrüderung? Ich hab‘ das Gefühl, ich sollte dankbar sein, aber ich weiß nicht, ob mir das gefällt.“ „Du bist nie zufrieden.“ Kai fühlte erneut das Prickeln auf seiner Haut, als Boris ohne den Blick von ihm abzuwenden eine rote Strähne zurückstrich und dann mit den Lippen über die Außenlinie von Yuriys Ohrmuschel glitt. Yuriy schloss die Augen, atmete sichtlich aus und neigte ein wenig den Kopf, um Boris besseren Zugang zu gewähren, bis dieser deutlich hörbar für alle gegen seine Haut wisperte: „Ich hab‘ gesehen, wie sehr du ihn küssen willst.“ Yuriy öffnete die Augen. Sein Blick brannte bis in Kais Kern und traf ihn in seiner Wucht vollkommen unvermittelt. „Ja“, murmelte Yuriy, und Boris drückte sich ein wenig mehr von hinten an ihn wie ein schützendes Bollwerk. „Tja“, sagte Boris und gab dann einen knochentiefen Seufzer von sich, der Yuriy dazu brachte, sich ein wenig zu versteifen. Noch ehe er sich jedoch umdrehen konnte, um die Frage zu stellen, die deutlich auf seinen Lippen lag, hatte Boris schon an ihm vorbei einen Arm nach Kai ausgestreckt und fasste ihn jetzt am Handgelenk, um ihn näher heranzuziehen. „Komm‘ schon, Hiwatari“, sagte er leise, „Yuriy zu küssen ist verdammt großartig.“ Kai sah ihn an. Das war eine Seite an Boris Kuznetsov, die er immer ein wenig geahnt, aber nie gesehen hatte - eine tiefe Großzügigkeit, die so vielleicht nur Yuriy bisher gekannt hatte. Es brachte ihn dazu, ein bisschen weniger Bastard zu dem Mann sein zu wollen und so leckte er sich über die Lippen und sagte: „Ich werde ihn dir nicht wegnehmen. Ich wollte ihn dir nie wegnehmen.“ „Ich bin hier“, erinnerte Yuriy, aber seine Worte hatten keine Hitze. Boris drückte einen Kuss in Yuriys Halsbeuge, grub dabei ein wenig die Finger in das Fleisch seiner Arme. Dann sah er auf, direkt in Kais Augen, und sagte: „Hör‘ auf, so schwul zu sein und küss‘ ihn endlich.“ „Du verstehst schon, dass du dir gerade mehr oder weniger selbst widersprichst.“ „Ich kann dir auch gern nochmal die Nase brechen, Arschloch.“ Kai merkte, dass er grinste. Dann rückte er näher, bis er tatsächlich fast in Yuriys Schoß saß. Yuriy sah ihn mit unergründlichem Blick an, hob die Arme und zog ihn zu sich, bis Kai seinen Atem auf seinen Lippen spüren konnte. Einen Moment lang verharrten sie so, einander so nahe, dass Yuriys Herzschlag gegen Kais Rippen vibrierte. „Mein Komet“, sagte Yuriy leise mit einer fast brutalen Zärtlichkeit und küsste ihn. Kai konnte hören, wie Boris sehr schwer ausatmete, aber der Rest seines Körpers war auf Yuriy konzentriert, Yuriy, der ihn küsste, und küsste, und küsste, Yuriy, der ihn nicht loslassen zu wollen schien. Kai verkrampfte die Finger in Yuriys Shirt und klammerte sich an ihm fest, rutschte näher, öffnete ihm Lippen und Herz, ohne einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden. Es war so einfach. Oh, es war so einfach. Und Boris hatte Recht, er hatte absolut Recht gehabt. Yuriy zu küssen war verdammt großartig. Er war vollkommen hier, legte jede Faser seines Seins in diesen Kuss mit Kai, als ob es das einzige war, was zählte. Atemlos löste er den Kuss lange genug, dass er die Stirn gegen Yuriys lehnen konnte. Er fühlte Yuriys Finger auf sich, die fein wie Spinnenbeine über seinen Rücken strichen, und schöpfte Atem, ehe er rau sagte: „Du hast gesagt, Sex gibt dir nicht so viel.“ „Meistens“, sagte Yuriy. Das Blau seiner Augen war dunkel und hungrig. „Jetzt gerade bin ich interessiert, wenn auch vielleicht aus anderen Motivationen heraus als du.“ „Andere Motivationen…?“ „Ich will dich kennen“, sagte Yuriy. Seine Stimme war sehr leise und sehr intensiv. „Ich will dich kennen, innen und außen. Ich will alles sehen, alles, was du mir gibst. Es ist nicht so sehr körperlich motiviert, es ist …“ „Ein Seelenständer“, half Boris aus, als Yuriy sichtlich nach den richtigen Worten suchte. Yuriy schnaubte in einer Mischung aus Amüsement und Resignation, korrigierte ihn aber nicht, woraufhin Boris triumphierend grinste und hinzufügte: „Du wirst schon merken, wenn er keine Lust hat, sich anfassen zu lassen.“ „Und jetzt hast du Lust?“, fragte Kai. Als Yuriy nickte, atmete Kai tief durch. Dann sah er zu Boris. „Du kennst ihn besser als ich. Bock, mir ein paar Dinge zu zeigen, die ihm gefallen?“ Als Boris‘ Augen aufblitzten, wusste Kai, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Es war erstaunlich, wie sehr die Prügelei in gewisser Weise geholfen zu haben schien, als ob sie einen Knoten gelöst hatte. Zum ersten Mal seit Beginn ihrer Reise hatte Kai das Gefühl, dass alle Karten auf dem Tisch lagen. Natürlich, es ließ sich nicht alles über Nacht lösen … aber Kai hatte das Gefühl, dass etwas zwischen ihnen Dreien passierte, etwas Wichtiges, etwas Integrales, und dass sie gerade die ersten Schritte dazu setzten. Und er stellte fest, dass ihn die Vorstellung davon mit Vorfreude und einem gewissen Kribbeln erfüllte. Er sah zu Yuriy, dessen Hunger sie alle erst zusammengebracht hatte, und biss sich auf die Lippen. Gott, er war verliebt in ihn, vielleicht sogar mehr als das. Und es war so einfach in diesem Moment. „Komm‘ schon“, sagte Boris leise, griff nach seinen Händen und dirigierte sie unter Yuriys Shirt, und Yuriy war fest und kühl und gut, und Kai konnte nicht genug von ihm bekommen. „Küss‘ mich nochmal“, wisperte er, und Yuriy tat es. Es war nicht das letzte Mal in dieser Nacht. Epilog: -------- Ivan wusste, dass die Ruhe vorbei war, als er Boris‘ polternde Schritte im Stiegenhaus hören konnte. Wenig später wurde die Tür aufgesperrt und krachte gleich einmal gegen die Wand, gefolgt von einer kurzen Zurechtweisung durch Yuriy. Ivan, mit winzigem Uhrmacherwerkzeug über einer Taschenuhr verharrend, die er gerade reparierte, blieb in seinem Zimmer sitzen und lauschte. Gepäck polterte im Flur auf den Boden, dann Schuhe. Und dann war es einen Moment lang verdächtig ruhig, bis irgendjemand auf eine Weise seufzte, die Ivans Wangen warm werden ließ. Es gab manche Dinge, die man von seiner Wahlfamilie nicht wissen wollte. Er wartete einen Moment, bis ihn die Geräusche von draußen vermuten ließen, dass ganz normal ausgepackt und verstaut wurde. Erst dann legte er das Werkzeug beiseite, deckte alles ab, sodass sein Kater Rodja nichts herunterwerfen konnte, und verließ das Zimmer. Als erstes traf er auf Boris, der scheinbar von Yuriy verdonnert worden war, die Schmutzwäsche direkt in die Waschmaschine zu laden. „Ist dir einer von den Meteoriten direkt in die Fresse geknallt oder was ist da passiert?“, wollte er an den Türrahmen des Badezimmers gelehnt wissen und nickte mit dem Kopf auf Boris‘ blaues Auge. Der grinste nur quietschfidel und zuckte mit den Achseln. „War mehr ein Komet.“ Ivan starrte ihn an, aber Boris begann dadurch nicht weniger Sinn zu machen. Stattdessen pfiff er nur vor sich hin, während er Wäsche in die Maschine schaufelte und nach dem Waschpulver griff. Kopfschüttelnd löste Ivan sich von ihm und ging Yuriy suchen. Er fand ihn im Wohnzimmer, wo er emsig Taschen auspackte und den Inhalt sortierte. Yuriy sah gut aus, stellte Ivan fest, beinahe so, als ob er einige Nächte gut geschlafen hatte. Als Ivan sich neben ihn hockte, blickte er auf und schenkte ihm ein flüchtiges Lächeln. „Hat Boris sich schon wieder in ‘ner Kneipe geprügelt?“, wollte Ivan wissen. „Nö, das war Kai“, sagte Yuriy ohne mit der Wimper zu zucken und drückte Ivan ein braunes, verschnürtes Päckchen in die Hand. „Hier, hab‘ ich dir mitgebracht.“ „Kai?“, wiederholte Ivan blinzelnd und wog dabei das Päckchen in der Hand. „Was ist das?“ „Ein Meteoritenstück, das sie am Aufschlagsort gefunden haben. Und ja, sie haben sich geprügelt, aber jetzt ist alles gut.“ „Ihr seid alle verrückt“, stellte Ivan fest und erhob sich. „Danke für den Stein.“ „Meteorit“, korrigierte Yuriy, war aber bereits wieder bis zu den Ellbogen in der Sporttasche versunken. „Gern geschehen.“ Als sein Pullover verrutschte, entdeckte Ivan sehr zu seinem Leidwesen einige dunkle Flecken in seiner Halsbeuge, was er als Zeichen zum Rückzug nahm. Auf dem Weg zurück zu seiner Uhr blieb er stehen, als er an der Küche vorbeikam. Kai Hiwatari saß mit geplatzter Lippe in Yuriys Pullover am Küchentisch, eine Brille mit dicken Gläsern und schwarzem Rahmen auf der violett gequetschten Nase, und tippte emsig auf seinem Macbook. „Hiwatari?“, fragte Ivan und wünschte sich insgeheim Sergei herbei, der einzig Normale hier, der heute sehr zu seinem Leidwesen ein Date hatte. Kai hob die Hand, ohne vom Bildschirm aufzusehen. Yuriy schob sich an Ivan vorbei in die Küche und drückte flüchtig Kais Schulter, ehe er eine Kanne Tee aufzusetzen begann. Kai sah einen Moment versonnen lächelnd auf seinen Rücken, dann wandte er sich wieder dem Macbook zu. Yuriy summte, als er den Tee aus dem Regal nahm. Sie wirkten seltsam glücklich, seltsam gelöst, genau wie auch Boris. „Bleibt er … zum Essen?“, fragte Ivan langsam. „Ja“, sagte Yuriy, wandte den Kopf und sah ihn mit hellen, lachenden Augen an. „Er bleibt.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)