Magician of Sun & Moon von Flordelis ================================================================================ Prolog: Prolog: Warum? ---------------------- [LEFT]Der Getränkeautomat vor ihr summte leise. Hinter der Scheibe warteten die verschiedenen bunten Dosen von beliebten Marken darauf, gekauft zu werden. Ihr Blick galt jedoch nur ihrem Spiegelbild. Mit leeren goldenen Augen starrte sie sich selbst an, bis Tränen daraus strömten. Ihre Sicht verschwamm, doch das machte nichts, sie unterbrach ihre Tätigkeit nicht.[/LEFT] [LEFT]»Warum geschieht mir das?«, murmelte sie. »Warum muss ich so sehr leiden? Warum?«[/LEFT] [LEFT]Sie lehnte ihre Stirn gegen den Automaten. Trotz des hellen Lichts dahinter fühlte es sich kühl an – es brannte regelrecht auf ihrer erhitzten Haut.[/LEFT] [LEFT]Sie verstand diesen Schmerz nicht, wollte ihn nicht, und doch konnte sie nichts dagegen tun. Diese Hilflosigkeit erfüllte sie mit einer brennenden Wut, die gestillt werden wollte, bevor sie ihren Körper verzehrte.[/LEFT] [LEFT]Sie löste sich wieder von dem Automaten – und schlug ihren Kopf dann mit Wucht dagegen. Schmerzen zuckten durch sie hindurch, hinterließ ein kleines Feuer, das ihren Zorn für einen Moment erlahmen ließ. Doch er flammte sofort wieder auf, noch stärker als der Schmerz.[/LEFT] [LEFT]Noch einmal rammte sie den Kopf gegen das Glas, genoss das Abflauen der Wut.[/LEFT] [LEFT]Sie zögerte nicht mehr, schlug immer wieder gegen die Scheibe, bis sich ein Riss darüber ausbreitete, wie ein fein gesponnenes Spinnennetz.[/LEFT] [LEFT]Aber bevor es zersplittern konnte, erklang ein aufgeregter Ruf hinter ihr: »Was soll das?!«[/LEFT] [LEFT]Sie hielt inne und blickte über die Schulter. Ein Polizist musste sich irgendwann hinter sie geschlichen haben. Mit blassem Gesicht und doch fest entschlossen sah er sie an.[/LEFT] [LEFT]»Das ist Sachbeschädigung«, sagte er. »Sie sind festgenommen!«[/LEFT] [LEFT]»Nein ...« Ihre Erwiderung war kraftlos, kümmerte ihn überhaupt nicht.[/LEFT] [LEFT]Er näherte sich ihr. Sie wich zurück.[/LEFT] [LEFT]»Nein!« Diesmal war ihre Stimme lauter, genug, dass er auch einen Schritt nach hinten ging.[/LEFT] [LEFT]Aber das war nicht genug, sie wusste es. Er würde weiterhin versuchen, sie mitzunehmen, sie einzusperren, an einen Ort, der noch trostloser war als dieser.[/LEFT] [LEFT]Sie holte Luft – und stieß einen schrillen Schrei aus, das Glas des Automaten hinter ihr splitterte.[/LEFT] [LEFT]Der Polizist taumelte zurück, presste sich die Hände auf die Ohren.[/LEFT] [LEFT]Sie nutzte die Chance und rannte davon, die Straße hinunter, egal wohin, einfach fort.[/LEFT] [LEFT]Hinter ihr schrie der Mann, dass sie stehenbleiben sollte, doch sie dachte nicht daran. Sie lief einfach weiter und weiter und weiter … die Straßen und die Gebäude um sie herum verzerrten sich, bis sie keiner ihr bekannten Struktur mehr ähnelten und sich in einem dichten weißen Nebel verloren. Hier war sie sicher, unauffindbar. Alles war gut, solange die grotesken Gestalten, die diese Welt bevölkerten, sich nicht an ihr störten.[/LEFT] [LEFT]Nun wieder langsam, dafür aber seltsam zufrieden, bewegte sie sich weiter, ohne zu wissen, wohin ihr Weg sie überhaupt führte. Noch dazu hatte sie den Polizisten vergessen, der in der Wirklichkeit noch immer auf der erfolglosen Suche nach ihr war.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Aus den umstehenden Häusern des Viertels bekam lediglich eine Person mit, dass überhaupt etwas um diese Zeit geschehen war. Ein Mädchen mit rot-braunem Haar stand an einem Fenster, den Vorhang ein wenig zurückgezogen, um nach draußen zu sehen. Das einzige, was ihre müden Augen entdeckten, war jedoch nur ein Polizist, der verloren wirkend durch die Straße lief und dabei nach etwas zu suchen schien.[/LEFT] [LEFT]Sie glaubte nicht, dass er die Quelle des eigenartigen Geräusches gewesen war, das sie geweckt hatte. Allerdings war sie auch zu müde, um darüber nachzudenken, was es sonst gewesen sein könnte. Deswegen ließ sie den Vorhang wieder zurückfallen und kehrte zu ihrem Futon zurück. Auf dem Stuhl daneben war bereits ihre neue Schuluniform für den morgigen Tag ausgebreitet. Das sagte ihr nur noch einmal, dass sie lieber schlafen gehen sollte. Zumindest wenn sie einen möglichst guten Eindruck hinterlassen wollte.[/LEFT] [LEFT]So rollte sie sich wieder auf dem Futon zusammen, verdrängte die Erinnerung an diesen schrillen Schrei und sank schließlich wieder in einen traumlosen Schlaf zurück, in dem es keine Sorgen oder Probleme für sie gab.[/LEFT] Kapitel 1: Willkommen in Inaba ------------------------------ [LEFT]Vor 20 Tagen hatten sie sich von Yu verabschiedet. 20 Tage, die sich schon wie eine Ewigkeit anfühlten. Als wäre es Jahre her, dass sie alle gemeinsam das Rätsel um die Mordserie in Inaba gelöst hatten. Oder als wäre es nie geschehen und die Ereignisse des letzten Jahres waren nur ein merkwürdiger langer Traum gewesen. Vielleicht hätte Yosuke das sogar tatsächlich geglaubt, wenn da nicht ein sehr offensichtlicher Fakt in seinem eigenen Zuhause blieb, den man nicht leugnen konnte.[/LEFT] [LEFT]»Warum darf ich nicht in die Schule gehen?«, klagte Teddie, zusammengekauert an einem kleinen Tisch in Yosukes Zimmer sitzend. »Ich könnte so viel lernen.«[/LEFT] [LEFT]Yosuke stand vor dem Spiegel, der an der Innenseite seines Schranks angebracht war, und war damit beschäftigt, die Jacke seiner Schuluniform vernünftig anzulegen. Es war nur zwei Wochen her, seit er sie zuletzt getragen hatte, aber dennoch kam sie ihm falsch und ungewohnt vor. Dass am Revers inzwischen eine III, statt eine II befestigt war, tat sicher das seinige dazu.[/LEFT] [LEFT]Über Teddies Klage konnte er nur seufzen. »Wenn wir dich in die Schule ließen, würdest du nur jedes Mädchen um ein Date bitten. Du wärst schneller wieder draußen als drinnen.«[/LEFT] [LEFT]Selbst ohne Morooka wäre es an der Schule nicht einfach für einen Mädchenhelden wie Teddie. Es gäbe immer noch genug andere Lehrer, die auf das Einhalten der Sitten bestehen könnten.[/LEFT] [LEFT]Sein Dauergast, den er in der TV-Welt des Midnight Channels aufgegriffen hatte, beugte sich dramatisch über den Tisch. »Aber was soll ich denn machen, wenn ihr alle in der Schule seid?«[/LEFT] [LEFT]Als er endlich zufrieden darüber war, wie die Jacke an ihm aussah, schloss Yosuke die Schranktür. Mit gerunzelter Stirn sah er Teddie an. »Was hast du denn bislang immer gemacht?«[/LEFT] [LEFT]»Ich bin durch Junes gewandert, bin durch den TV gegangen, habe mich dort umgesehen – um sicherzugehen –, dann gab es Essen und dann habe ich gemacht, was ich wollte.« Während er das aufzählte, tippte er seine einzelnen Finger an.[/LEFT] [LEFT]Fast hätte Yosuke ihn darauf hingewiesen, dass auch seine Aktivitäten am Vormittag nur dem entsprachen, was er tun wollte, doch es sah aus als wäre diese Routine für Teddie wichtig. In diesem Fall wollte er es ihm nicht wegnehmen. Stattdessen stieß er einen genervten Laut aus. »Dann mach doch einfach weiter damit. Wer sollte dich aufhalten?«[/LEFT] [LEFT]War Teddie seit den Ereignissen vom 20. März mal wieder in der TV-Welt gewesen? Sollte er ihn das fragen?[/LEFT] [LEFT]Während er darüber nachdachte, fiel sein Blick auf seine Uhr – und diese ließ einen kalten Schauer über seinen Rücken fahren. »Wann ist es so spät geworden?! Toll, jetzt komme ich bestimmt zu spät!«[/LEFT] [LEFT]Und auf das Frühstück musste er auch verzichten. Wenigstens blieb ihm noch das Mittagessen. Aber am ersten Tag zu spät zu kommen war nichts, worauf man sich freuen konnte, schon gar nicht im dritten Jahr der High School.[/LEFT] [LEFT]Er schnappte sich seine – zum Glück schon gepackte – Tasche, warf Teddie noch ein »Stell keinen Unsinn an« entgegen und hastete dann nach draußen. Da es nicht regnete, könnte er den Roller benutzen, dann käme er bestimmt noch rechtzeitig in die Schule. Zumindest blieb ihm diese Hoffnung.[/LEFT] [LEFT]Dass Teddie mir selbst jetzt immer noch so viel Ärger bereiten muss …[/LEFT] [LEFT]Natürlich wollte er ihn gegen nichts eintauschen, schließlich war Teddie einer seiner Freunde, einer von denen, mit denen er das Geheimnis gelöst hatte. Durch die Ereignisse des letzten Jahres waren sie eng zusammengeschweißt worden. Aber manchmal ging ihm dieser Bär doch noch auf die Nerven, und zwar gehörig. Vermutlich würde sich das auch nie ändern.[/LEFT] [LEFT]Während er auf dem Weg zur Schule an den anderen vorbeizog, die allesamt in Paaren unterwegs waren und sich angeregt miteinander unterhielten, musste er unwillkürlich lächeln. Keiner von ihnen wusste, welchem Unglück sie entgangen waren, und genau so sollte es sein. Der Frieden, den sie nun erlebten, war jedes Opfer und jeden Schmerz wert gewesen. Nun gut, vielleicht nicht wirklich jedes Opfer.[/LEFT] [LEFT]Darüber dachte er aber lieber nicht nach. Wenn er sich an Saki Konishi oder seine eigene Begegnung mit seinem Schatten zurückerinnerte, wurde ihm nur wieder übel, und gerade auf einem Roller fahrend – und auf nüchternen Magen – sollte er das vermeiden.[/LEFT] [LEFT]Er kam trotz seines verspäteten Weggangs noch rechtzeitig an der Schule an, um den Roller ordnungsgemäß zu verstauen und dann in aller Ruhe im Eingangsbereich seine Schuhe zu wechseln. Zwischen all den Stimmen stach plötzlich auch eine hervor, die er gut kannte: »Yosuke!«[/LEFT] [LEFT]Chie kam trotz der anderen Schüler zielgerichtet auf ihn zu, dabei wirkte sie so gut gelaunt wie eh und je. »Du bist heute echt spät dran.«[/LEFT] [LEFT]»Warum?«, hakte er nach. »Hast du mich schon vermisst?«[/LEFT] [LEFT]Sie verpasste ihm einen schmerzhaften Schlag gegen die Schulter, obwohl sie sich Mühe zu geben schien, sich zurückzuhalten. Nur deswegen sagte er nichts weiter dazu.[/LEFT] [LEFT]»Idiot«, beschwerte sie sich. »Ich habe nur gedacht …«[/LEFT] [LEFT]Sie verstummte, plötzlich grüblerisch geworden.[/LEFT] [LEFT]»Vor einem Jahr hat man das erste Opfer gefunden«, sprach er ihren Gedanken aus. »Aber das kann ja nicht mehr passieren, wir haben den Mörder gefasst.«[/LEFT] [LEFT]Und auch die Quelle hinter all dem beseitigt, das war noch nicht lange her. Er bezweifelte, dass in einer kleinen Stadt wie Inaba noch mehr solcher Dinge geschehen könnte. Sie hatten ihr Unglückspensum erfüllt, von nun an standen ihnen nur noch normale Zeiten bevor.[/LEFT] [LEFT]»Wo sind die anderen?«, fragte Yosuke, nachdem er keinen von ihnen entdecken konnte.[/LEFT] [LEFT]»Oh, die sind auf dem Weg.« Chie lächelte zufrieden. »Yukiko, du und ich sind übrigens wieder in derselben Klasse. Und wir bekommen eine neue Lehrerin.«[/LEFT] [LEFT]»Ein Glück«, stieß Yosuke aus. »Frau Kashiwagi war kaum zu ertragen.«[/LEFT] [LEFT]Chie hob eine Augenbraue. »Ich hätte gedacht, alle Jungs wären verrückt nach ihr.«[/LEFT] [LEFT]»Bei ihrem übertriebenen Auftreten?« Yosuke schauderte es schon, wenn er nur daran zurückdachte. Selten hatte er einen Lehrer gekannt, der sich unangebrachter aufführte als Frau Kashiwagi. »Nein, danke.« Dann zwinkerte er ihr zu. »Ich ziehe eher konservative Frauen vor.«[/LEFT] [LEFT]»Ohhh~.« Chie schlug ihm wieder gegen die Schulter. »Du wirst ja richtig erwachsen.«[/LEFT] [LEFT]Nach allem, was sie letztes Jahr erlebt hatten, war das auch das Mindeste. Er zog allerdings nur eine Grimasse auf ihre Worte, statt darauf einzugehen.[/LEFT] [LEFT]Sie wurde auch wieder ernst, fast schon traurig. »Hast du dich schon daran gewöhnt, dass er nicht mehr hier ist?«[/LEFT] [LEFT]»Nicht wirklich.« Seufzend verschränkte Yosuke die Arme vor der Brust. »Ich warte immer darauf, dass er jeden Moment einfach aus der Menge auftaucht.«[/LEFT] [LEFT]Dabei blickte er in Richtung des Eingangs. Statt Yu kamen allerdings nur andere Schüler herein, von denen er die meisten kannte, weil sie bereits im Jahr zuvor auf dieser Schule gewesen waren. Die meisten Neulinge mussten wohl bereits da sein, motiviert für ihr erstes Jahr auf der High School, nicht ahnend wie schräg manche der Lehrer werden konnten.[/LEFT] [LEFT]Er wandte sich wieder Chie zu. »Wenn du schon weißt, wer unser Lehrer ist, weißt du sicher auch, welches unser Klassenzimmer ist. Ich würde dann schon hochgehen.«[/LEFT] [LEFT]Chies gerunzelte Stirn verriet ihren Unmut darüber, dass er die anderen nicht begrüßen wollte, aber dafür hätte er auch in der Mittagspause noch Zeit. Sie würden ja nicht einfach verschwinden. Nicht mehr.[/LEFT] [LEFT]Nachdem sie ihm gesagt hatte, in welchem Zimmer sie wären, stieg er die Treppen in den zweiten Stock hinauf. Im ersten wäre er rein aus Gewohnheit fast in den alten Raum gegangen, doch er konnte sich gerade noch davon abhalten, sich vor allen Anwesenden lächerlich zu machen.[/LEFT] [LEFT]Schließlich am richtigen Ort angekommen suchte er sich einen der noch freien Plätze aus (hinten, aber nicht zu weit, um das Misstrauen des Lehrers zu wecken) und legte seinen Oberkörper dann auf den Tisch.[/LEFT] [LEFT]Ein neues Schuljahr, in dem es keinen Mordfall zu lösen gab, und das er ohne seinen Partner bestreiten müsste. Dafür aber mit neuen Freunden, die füreinander eingestanden waren, selbst im Angesicht des Todes.[/LEFT] [LEFT]Es dauerte nicht lange, bis fast alle Plätze besetzt waren. Yukiko und Chie saßen direkt vor ihm und unterhielten sich angeregt über irgendetwas, das am Tag zuvor im Amagi Inn vorgefallen war (offenbar war einer von Yukikos Kochversuchen wieder gescheitert und man hatte die Küche löschen müssen, Yosuke konnte sich das nur zu gut vorstellen), die anderen Schüler unterhielten sich über ähnlich triviale Dinge, die ihn nicht interessierten. Es war eigenartig, wie sehr er sich inzwischen daran gewöhnt hatte, über Außergewöhnliches zu sprechen – und mit den anderen waren ihm selbst die einfachsten Gespräche nie derart unbedeutend vorgekommen. Hatte er sich nun endgültig für das Leben auf dem Land verdorben?[/LEFT] [LEFT]Andererseits, fuhr es ihm durch den Kopf, gibt es in einer Großstadt auch keine wirklich aufregende Themen für die meisten Leute. Also ist es egal, wo man ist.[/LEFT] [LEFT]Die Erkenntnis beruhigte ihn wieder ein wenig, so dass ihm auch auffiel, dass der Platz neben ihm leer geblieben war – was ihn sofort wieder nervös machte. Von wem sollte er nun abschreiben? Und wer würde ihm die Antworten während des Unterrichts verraten, wenn Yu nicht käme?[/LEFT] [LEFT]Meine Noten werden sicher einbrechen.[/LEFT] [LEFT]Bei Gelegenheit müsste er Yukiko und Chie fragen, ob sie auch dieses Jahr dazu bereit wären, gemeinsam zu lernen. Das wäre von Vorteil für sie alle, redete er sich heraus.[/LEFT] [LEFT]Die Tür öffnete sich und unterbrach seine Gedanken. Eine Frau kam herein, die er noch nie zuvor gesehen hatte, aber allein von ihrem Aussehen her wusste er bereits, dass sie sich gut in die Reihen der eigenartigen Lehrer an der Schule einreihen würde: Ihr kinnlanges, dunkelblaues Haar, die dunkelgrünen Augen und die Brille waren noch normal genug – doch sie trug ein braunes Outfit, das er ohne zu zögern als Uniform eingeordnet hätte; ihm blieb lediglich unklar, wofür sie stand.[/LEFT] [LEFT]Die Frau stellte sich an die Tafel und schrieb etwas mit festen, selbstsicheren Strichen darauf. Die inzwischen verstummte Klasse beobachtete sie gespannt, und so wie Yosuke sie einschätzte, rätselten sie bereits, wie die Zeichen zu lesen waren. Schließlich trat sie einen Schritt zurück und wandte sich den Schülern zu. Ihr Blick war auf einen Punkt hinter ihnen allen gerichtet, als wolle sie gar nicht mit ihnen reden.[/LEFT] [LEFT]»Mein Name ist Yaeko Serizawa«, sagte sie. »Ich werde für euer letztes Schuljahr eure Klassenlehrerin sein. Ich weiß nicht, was ihr bislang für Erfahrungen gemacht habt mit anderen Lehrern, und ehrlich gesagt ist es mir auch egal.«[/LEFT] [LEFT]Yosuke stöhnte innerlich. Das fing schon mal gut an. Warum konnte es in Inaba keine normalen Lehrer geben? Oder waren die alle an Privatschulen?[/LEFT] [LEFT]Egal, es ist nur noch ein Jahr, das schaffe ich. Nach Morooka und Kashiwagi wird das ein Klacks.[/LEFT] [LEFT]»Ich erwarte Respekt von euch«, fuhr sie fort, »dann werde ich euch diesen auch zollen. Ich kann euch versichern, dass ihr nicht erleben wollt, wenn ich den Respekt vermissen lasse.«[/LEFT] [LEFT]Vielleicht gelang es ihr dann sogar, keine langwierigen Reden über eine verkommene Jugend zu halten oder jeden anzumachen, der sie eine Sekunde zu lang ansah.[/LEFT] [LEFT]»Bevor ich die Anwesenheit prüfe, stelle ich euch noch eine Transferschülerin vor.« Sie wandte sich der Tür zu. »Du kannst jetzt reinkommen.«[/LEFT] [LEFT]Ein aufgeregtes Raunen ging durch die Klasse, alle sahen gespannt zum Eingang, selbst Yosuke ertappte sich dabei.[/LEFT] [LEFT]Trotz der weiblichen Ankündigung erwartete er für einen Moment, dass Yu hereinkäme, genau wie im Jahr zuvor, als die aufregendste Sache an ihm noch gewesen war, dass er aus einer Großstadt kam und keiner von ihnen gewusst hatte, wie sehr sie bald miteinander verbunden wären.[/LEFT] [LEFT]Doch es war nicht sein Partner, der eintrat, sondern wirklich ein Mädchen. Ihr Blick huschte nervös über die Anwesenden, selbst als sie bereits neben dem Lehrerpult stehenblieb.[/LEFT] [LEFT]»Stell dich bitte vor«, sagte Frau Serizawa.[/LEFT] [LEFT]Das Mädchen nickte und strich sich eine rot-braune Strähne hinter das Ohr. »A-also ich bin Mei Ueda.«[/LEFT] [LEFT]Ihre Stimme zitterte leicht, was Yosuke ein wenig schmunzeln ließ. Bei seiner Arbeit in Junes hatte er derart viel mit zickigen Mitschülern zu tun, dass es ihm wie eine angenehme Abwechslung vorkam, mal jemand ganz anderen dazwischen zu haben.[/LEFT] [LEFT]»Ich bin vor kurzem mit meinem Vater hergezogen«, erzählte sie weiter, ehe sie kurz stockte und tief Luft holte. »Ähm, ich hoffe, wir können gute F-freunde werden.«[/LEFT] [LEFT]Kaum hatte sie das gesagt, verbeugte sie sich vor der Klasse, wobei ihr Haar über ihre Schulter fiel, selbst die zuvor zurückgestrichene Strähne.[/LEFT] [LEFT]Frau Serizawa nickte zufrieden. »Danke, Ueda. Bitte such dir jetzt einen leeren Platz.«[/LEFT] [LEFT]Mehrere Stühle waren noch frei, aber keiner von den entsprechenden Schülern riss sich darum, sie bei sich zu haben, was Mei unsicher werden ließ.[/LEFT] [LEFT]Yosuke erinnerte sich noch gut daran, wie es war, neu zu sein. Vor allem wusste er aber auch noch, wie Chie darum gebeten hatte, dass Yu neben ihr sitzen dürfte – und der hatte sich gut eingelebt.[/LEFT] [LEFT]Deswegen hob er den Arm, und als Meis Aufmerksamkeit ihm galt, deutete er auf den freien Stuhl neben sich. »Setz dich hierhin.«[/LEFT] [LEFT]Ein dankbares Lächeln huschte über ihr blasses Gesicht. Mit gesenktem Kopf huschte sie zu seinem Tisch und nahm direkt Platz. Während sie ihre Tasche verstaute, beugte Yosuke sich ein wenig zu ihr, um ihr zuzuflüstern: »Hey, willkommen in Inaba.«[/LEFT] [LEFT]Sie lächelte noch einmal, auch wenn ihr Blick dabei irgendwie traurig blieb. »Danke.«[/LEFT] [LEFT]Da sie sich sofort wieder auf ihre Sachen konzentrierte und Serizawa zu sprechen begann, lehnte er sich zurück. Er konnte es sich nicht leisten, schon am ersten Tag Ärger zu bekommen, weil er die neue Klassenlehrerin ignorierte. Allerdings konnte er nicht verhindern, dass er aus den Augenwinkeln immer wieder zu Mei hinübersah, die sich alle Mühe gab, ihre Distanz zu ihm zu wahren. Das ging sogar so weit, dass sie nur ein bisschen mehr als die Hälfte ihres Tisches benutzte. Kam er ihr derart unangenehm vor oder war sie einfach so? Sollte er sie das bei Gelegenheit fragen? Nein, am besten überließ er das Chie oder Yukiko, die konnten das sicher besser als er.[/LEFT] [LEFT]Oder ich ignoriere es.[/LEFT] [LEFT]Schließlich gab es auch andere Dinge um die er sich Gedanken machen musste (wie etwa seinen Abschluss), und die waren mit Sicherheit doch wesentlich wichtiger.[/LEFT] [LEFT]Deswegen konzentrierte er sich vollends auf Frau Serizawa, die nun mit der Anwesenheitsprüfung begonnen hatte, um zumindest am ersten Tag seinen guten Willen zu präsentieren.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]»Schließlich möchte ich euch noch sagen, dass ich mir durchaus bewusst bin, in welcher Lage sich die Stadt im letzten Jahr befunden hat.« Frau Serizawa kam zum Ende ihrer Erklärung organisatorischer Kleinigkeiten für dieses Schuljahr, was Yosuke erleichtert aufatmen ließ.[/LEFT] [LEFT]Er war hungrig und müde, und bei dem Gedanken, dass er heute noch arbeiten müsste, wurde das nur noch schlimmer.[/LEFT] [LEFT]»Ich erwarte, dass nichts vom letzten Jahr irgendwelche Einflüsse auf eure Leistungen nehmen wird.« Für einen Moment wirkte es, als fixiere Frau Serizawa jeden einzelnen Schüler auf einmal. »Strengt euch an, und denkt daran, es geht um eure Zukunft.«[/LEFT] [LEFT]Unangenehm berührtes Schweigen erfüllte den Raum, in Verbindung mit dem Rascheln von Kleidung, als die Schüler auf ihren Stühlen herumrutschten. Chie und Yukiko teilten einen besorgten Blick miteinander. Vermutlich befürchteten sie noch Schlimmeres von ihrer neuen Lehrerin.[/LEFT] [LEFT]Doch schließlich klingelte die Glocke zum Schulschluss. Frau Serizawa verabschiedete sich knapp von den Schülern und verließ dann das Klassenzimmer.[/LEFT] [LEFT]Chie und Yukiko drehten sich auf ihren Stühlen, um ihn anzusehen.[/LEFT] [LEFT]»Was denkst du, Yosuke?«, fragte Chie. »Ist sie besser oder schlechter als King Moron oder Frau Kashiwagi?«[/LEFT] [LEFT]Er hob die Schultern ein wenig. »Vielleicht wird sie wenigstens erträglich.«[/LEFT] [LEFT]Die Mädchen sahen zu Mei, die ihre Sachen wieder einpackte, und gerade aufstehen wollte, als mehrere andere Schülerinnen sich zu ihr stellten und sie mit Fragen überhäuften. Bei ihm war es am Anfang ganz genau so gewesen. Später hatte sich dann niemand mehr für ihn interessiert. Vielleicht aber auch deswegen, weil er von allem gelangweilt gewesen war.[/LEFT] [LEFT]»Ist es nicht lustig, dass wir wieder einen Transferschüler am Anfang des Schuljahres bekommen?«, fragte Yukiko. »Glaubt ihr, uns steht wieder so etwas bevor?«[/LEFT] [LEFT]Für einen kurzen Moment lauschten sie, doch von draußen waren keine Sirenen zu hören. Es war nicht wie zuvor. Die Zeichen standen gut für Normalität.[/LEFT] [LEFT]Yukiko sah zu den anderen Schülern hinüber. »Das einzig Große, das ich bislang gehört habe, ist, dass jemand im Einkaufsviertel einen der Getränkeautomaten aufgebrochen hat.«[/LEFT] [LEFT]Das klang sogar für Yosuke harmlos genug, dass er dahinter nichts vermuten musste.[/LEFT] [LEFT]»Dieses Jahr werden wir nur lernen«, sagte Chie gut gelaunt – was überraschend war, wenn man bedachte, wie sehr sie sich sonst dagegen sperrte.[/LEFT] [LEFT]»Für den Anfang sollten wir aber erst einmal nach Hause kommen.« Yosuke stand auf und hängte sich seine Schultasche um.[/LEFT] [LEFT]Yukiko folgte seinem Beispiel. »Oh ja, lasst uns alle zusammen heimgehen. Die anderen haben jetzt auch aus.«[/LEFT] [LEFT]Clubaktivitäten waren noch keine im Gange, also war dies tatsächlich einer der wenigen Tage, an denen ihre Stundenpläne so gut zusammenpassten. Yosuke würde seinen Roller zwar schieben müssen, aber das wäre es wert, alle wiederzusehen. Es war nicht lange her, seit die Gruppe vollzählig gewesen war, aber nach ihren vielen gemeinsamen Nachmittagen in der TV-Welt war ein derart langer Zeitraum wie eine Ewigkeit.[/LEFT] [LEFT]Offenbar hatten die drei anderen einen ähnlichen Gedanken gehegt, denn sie warteten vor dem Eingang des Gebäudes schon auf sie. Rise strahlte regelrecht. »Senpai!«[/LEFT] [LEFT]Es war immer wieder eine Freude für Yosuke, sie zu sehen, besonders wenn sie derart gut gelaunt war. Zu dumm, dass sie vollkommen in Yu vernarrt war. Selbst mit der Abwesenheit seines Partners malte er sich lieber keine Chancen bei ihr aus.[/LEFT] [LEFT]Die beiden anderen, die bei ihr standen, waren da schon wieder ein ganz anderes Kaliber. Naoto, die immer noch eine männliche Uniform trug, neigte ein wenig den Kopf, dabei umspielte der Hauch eines Lächelns ihre Lippen. »Es ist schon eine Weile her.«[/LEFT] [LEFT]Der letzte im Bunde, Kanji, stand neben ihr, zeigte aber deutlich, dass er ein wenig Distanz zu ihr hielt. Bei ihm lag es ziemlich eindeutig daran, dass er an Naoto interessiert war – zu dumm, dass er Biker Gangs und Shadows aufmischen konnte, sich aber nicht traute, über seine Gefühle zu sprechen.[/LEFT] [LEFT]»Wollen wir los?«, fragte Yosuke. »Ich muss heute noch arbeiten.«[/LEFT] [LEFT]Damit setzte sich die Gruppe in Bewegung, kaum, dass er seinen Roller von seinem Ruheplatz befreit hatte. Es kam ihm etwas lahm vor, ihn schieben zu müssen, aber es interessierte ihn nicht, was die anderen dachten, also warum sollte er sich Gedanken machen?[/LEFT] [LEFT]»Eine neue Lehrerin und eine Transferschülerin«, kommentierte Rise, nachdem sie ihre heutigen Erfahrungen ausgetauscht hatten, »das klingt aufregender als bei uns.«[/LEFT] [LEFT]Chie stieß einen spöttischen Laut aus. »Wirklich? In deiner Klasse ist ein Weltklasse-Detektiv, ein Typ, der Biker-Gangs aufmischt und du, ein bekanntes Idol! Wie aufregend soll es denn noch werden?«[/LEFT] [LEFT]»D-das ist jetzt fast ein Jahr her!«, verteidigte Kanji sich.[/LEFT] [LEFT]»Und ich würde mich nicht unbedingt als Weltklasse einordnen«, brachte Naoto hervor, auch wenn der Hauch eines zufriedenen und selbstbewussten Lächelns auf ihren Lippen lag.[/LEFT] [LEFT]»Ohne dich hätten wir den Fall aber bestimmt nie gelöst«, erwiderte Yosuke. »Akzeptier es also lieber, dass wir dich noch lange so nennen werden.«[/LEFT] [LEFT]Sie schmunzelte darüber nur, was ihm Antwort genug war. Dabei entsprach es ohnehin nur der Wahrheit: ohne Naoto wären sie vermutlich nie auf den Gedanken gekommen, dass Adachi der eigentliche Täter gewesen war. Und wer wusste schon, was er dann noch alles angerichtet hätte?[/LEFT] [LEFT]»Wird es nicht langweilig für dich, wenn es keinen Fall zu lösen gibt?«, fragte Yukiko.[/LEFT] [LEFT]Naoto schüttelte sacht den Kopf. »Ich denke, es wird angenehm sein, mal ganz normal zu leben.«[/LEFT] [LEFT]»Oh ja!« Rise lachte. »Lasst uns zur Golden Week alle etwas zusammen unternehmen.«[/LEFT] [LEFT]Kanji stimmte sofort begeistert mit ein: »Ja! Ich hab endlich auch meinen Führerschein, ich muss also nicht mehr mit dem Fahrrad hinterher!«[/LEFT] [LEFT]Dabei fand Yosuke es ganz lustig, mitanzusehen, wie Kanji sich besonders bei bergigen Strecken abmühen musste. Aber sicher war es für alle angenehmer, wenn sie gleich schnell waren – abgesehen von Teddie natürlich, der bei seinen Rollschuhen bleiben müsste.[/LEFT] [LEFT]»Dann treffen wir uns vor der Golden Week in unserem Hauptquartier, um einen Plan zu fassen«, sagte Yukiko. »Ich freue mich schon.«[/LEFT] [LEFT]Die anderen nickten einstimmig. Selbst wenn sie ohne Yu verreisen müssten, wäre es sicher eine schöne Erfahrung, die sie vielleicht noch enger zusammenbrachte – bis sie sich nach der Schule auseinanderleben würden.[/LEFT] [LEFT]Yosuke vertrieb den Gedanken rasch, bevor er noch Wurzeln in seinem Inneren fasste.[/LEFT] [LEFT]Nicht weit entfernt verlief bereits die Hauptstraße, weswegen er sich von den anderen verabschieden müsste. Er wandte zu den Blick zur Seite – und bemerkte aus den Augenwinkeln die rot-braunen Haare ihrer neuen Transferschülerin. Sie lief etwa hundert Meter hinter ihnen und starrte fasziniert die kleine Gruppe an. Kaum fiel ihr jedoch auf, dass er sie nun beobachtete, senkte sie den Kopf, so dass ihr Haar ihr Gesicht verbarg.[/LEFT] [LEFT]Es gab einige Gründe, sie alle zu begutachten, wenn sie so friedlich nebeneinander herliefen, also glaubte er nicht, dass er den anderen davon etwas sagen müsste. Sie war keine Gefahr, sondern vermutlich nur neugierig, besonders da sie allein nach Hause ging.[/LEFT] [LEFT]An der Hauptstraße blieb Yosuke schließlich stehen. »Okay, Leute, ich muss dann mal los. Wir sehen uns morgen.«[/LEFT] [LEFT]Er zwinkerte den anderen noch zu, sie verabschiedeten sich von ihm und liefen dann weiter. Yosuke sah ihnen hinterher, wie sie sich lachend weiter miteinander unterhielten, und spürte dabei einen inneren Frieden, von dem er noch vor einem Jahr nie geglaubt hätte, ihn hier fühlen zu können. Er legte den Kopf in den Nacken und atmete tief durch. Das Landleben hatte ihn endlich gepackt – und so bald schien es ihn wohl nicht wieder loszulassen.[/LEFT] Kapitel 2: Brauchen Sie Hilfe? ------------------------------ [LEFT]Sie kannte Inaba nicht sonderlich gut, doch aufgewachsen in einer großen Stadt war es ihr anhand einiger besonderer Merkmale zumindest möglich, den Weg nach Hause zu finden – auch wenn sie dieses Gebäude im Einkaufsviertel noch nicht so recht als ihr Zuhause akzeptieren konnte. Aber in ihrem Alter blieb ihr keine Wahl.[/LEFT] [LEFT]Sie öffnete die Tür und trat ein. Der Duft von Miso-Suppe lag in der Luft, das verriet ihr, dass jemand hier war, bevor sie hörte, wie ein Messer in der Küche benutzt wurde. Es klang als hacke eine Person auf das Schneidbrett ein, statt es sanfter zu führen.[/LEFT] [LEFT]Nachdem sie ihre Schuhe am Eingang zurückgelassen hatte, ging Mei zur Küche hinüber und lehnte sich ein wenig vor, um durch die Tür hineinzusehen. Ihre Großmutter stand in dem schlauchförmigen Raum und bearbeitete einen Rettich mit einem großen Messer. Wie üblich trug sie einen einfachen schwarzen Yukata, in dem sie meist auch schlief. Ihr graues Haar war zu einem Knoten auf ihrem Scheitel gebunden, so dass sie selbst von hinten einen strengen Eindruck machte.[/LEFT] [LEFT]»Ich bin zu Hause, Nǎinai.«[/LEFT] [LEFT]Schlagartig verstummte das Messer. Ihre Großmutter wandte ihr den Kopf zu, der Ausdruck auf ihrem Gesicht verströmte derart viel Verachtung, dass Mei zurückwich.[/LEFT] [LEFT]»Was hast du gerade gesagt?«, fragte die alte Frau sie mit zischender Stimme.[/LEFT] [LEFT]Im ersten Moment verstand sie nicht so recht, was sie Falsches gesagt haben könnte, doch dann wurde es ihr bewusst. Sie verbeugte sich rasch. »Es tut mir leid, Großmutter.«[/LEFT] [LEFT]Sachi Ueda, der vollständige Name der Mutter ihres Vaters, bedachte sie mit einem stechenden Blick. »Du weißt ganz genau, dass ich diese furchtbare Sprache nicht in meinem Haus haben will. Schlimm genug, dass dein Vater eine dieser Frauen heiraten musste. Ich habe ihm gleich gesagt, dass diese Dirnen nichts taugen.«[/LEFT] [LEFT]Sie schnaubte und wandte sich wieder dem Rettich zu, der gewalttätig auseinandergenommen wurde. Es wunderte Mei kein bisschen, dass sie ihre Großmutter bis Samstag nicht gekannt hatte – und wenn man sie fragte, hätte sie auch weiter darauf verzichten können.[/LEFT] [LEFT]»Es wird nie wieder vorkommen«, versicherte Mei ihr.[/LEFT] [LEFT]Es folgte keinerlei Anerkennung ihrer Worte.[/LEFT] [LEFT]Kleinlaut zog Mei sich von der Küche zurück und suchte stattdessen ihr Zimmer auf. Es war zwar größer als jenes in ihrem alten Haus, aber im Grunde war es nur ein unaufgeräumter Dachboden, auf dem einige ausrangierte Möbel aufgestellt worden waren. Ihr Schreibtisch und ihr Bett gingen zwischen den verstaubten Kisten fast unter, aber zumindest boten ihr diese ein wenig Schutz vor jedem, der versuchen würde, sie beim Schlafen zu beobachten.[/LEFT] [LEFT]Ihr Vater hatte ihr angeboten, ihr sein altes Zimmer zu überlassen, in dem er nun wieder lebte – sofern er zu Hause war, was bei seiner neuen Arbeit vielleicht nur selten wäre –, doch der Gedanke, direkt neben dem Raum ihrer fremden Großmutter zu schlafen, war ihr derart unangenehm gewesen, dass sie abgelehnt hatte. Noch dazu wäre es ihr mit Sicherheit von Sachi als Respektlosigkeit angekreidet worden, wenn sie das Angebot wahrgenommen hätte.[/LEFT] [LEFT]Seufzend legte sie ihre Schultasche auf ihren Schreibtisch, dann ließ sie sich vorsichtig auf den alten Stuhl sinken, der ein knarzendes Geräusch von sich gab. Sie öffnete das kleine Fenster neben sich, um den verweilenden Geruch von Staub und Schimmel loszuwerden. Die frische Luft, die ihr von draußen entgegenschlug, kam ihr vollkommen fremd und unheimlich vor. In ihrem richtigen Zuhause, in der Großstadt, musste sie mehr Smog eingeatmet haben als Sauerstoff. Aber hier gab es so wenig Verkehr, dass man problemlos auf der Straße laufen konnte, ohne sich sorgen zu müssen, dass man jemanden behinderte oder überfahren wurde. Jedenfalls kam es ihr so vor.[/LEFT] [LEFT]Am Schlimmsten war jedoch die Tatsache, dass die Schule derart klein war – und das bedeutete, Gerüchte würden sich schnell verbreiten. Ihr blieb nur zu hoffen, dass niemand auf die Idee kam, ihre Familiengeschichte zu hinterfragen. Zumindest war der erste Tag gut gelaufen.[/LEFT] [LEFT]»Und ich habe sogar Risette gesehen«, murmelte sie, tatsächlich lächelnd.[/LEFT] [LEFT]Sie hatte Gerüchte gehört, dass ihr Lieblings-Idol die Yasogami High School besuchte, aber sie mit eigenen Augen zu sehen, war unglaublich gewesen. Sie jedoch mit so vielen anderen Schülern zu beobachten, war entmutigend. So konnte sie Risette nicht ansprechen. Und nachdem Mei sogar einem ihrer Begleiter aufgefallen war und er ihr sicher schon von der Starrenden erzählt hatte, war das Kennenlernen oder auch nur das Ansprechen undenkbar geworden. Damit konnte sie also das einzige vergessen, was diese Stadt irgendwie interessant gemacht hätte.[/LEFT] [LEFT]Sie seufzte wieder. Das Lächeln war ihr jedenfalls vergangen – und es wurde nicht besser, als ihre Großmutter von unten ihren Namen rief.[/LEFT] [LEFT]Um sie nicht warten zu lassen – und ihr damit noch einen Grund zu geben, wütend auf sie zu sein – stand Mei auf und ging die Treppe hinunter. An der Küche angekommen blieb ihr nicht einmal die Gelegenheit, etwas zu sagen, da Sachi sofort eine Anweisung gab: »Du musst mir Ingwer kaufen.«[/LEFT] [LEFT]»Klar. Gibt es in der Nähe einen Laden dafür?« Sie war erst seit Samstag hier, kannte sich also nicht im Mindesten aus und war noch nicht einmal dazu gekommen, sich umzusehen.[/LEFT] [LEFT]Sachi schnalzte mit der Zunge. »Natürlich nicht. Es widerstrebt mir, aber du musst dafür zu Junes gehen. Den Laden kennst du bestimmt, in der Großstadt gibt es ihn sicher auch.«[/LEFT] [LEFT]Sie erinnerte sich tatsächlich an ein ziemlich hohes Gebäude in der Nähe der Schule. Das musste Junes sein, so sehr wie es hervorstach.[/LEFT] [LEFT]»In Ordnung, ich kümmere mich darum«, versprach Mei. »Ich bin bald wieder da.«[/LEFT] [LEFT]»Das hoffe ich doch«, grummelte Sachi, während ihre Enkelin davonging.[/LEFT] [LEFT]Sie hatte noch nicht einmal die Schuhe wieder angezogen, da stürzte Mei bereits aus dem Haus hinaus, froh, dieser unangenehmen Atmosphäre entronnen zu sein, wenn auch nur vorübergehend.[/LEFT] [LEFT]Wenn das so weiterging, müsste sie sich doch überlegen, ob sie nicht einem Club beitreten wollte, nur um nicht nach Hause gehen zu müssen. Oder sie suchte sich einen Nebenjob, in Junes brauchte man bestimmt immer irgendjemanden.[/LEFT] [LEFT]Da das Gebäude riesig genug war, genügte es, sich an diesem zu orientieren, selbst aus der Entfernung, um dort hinzugelangen. Sicher, manchmal musste sie ihren Weg wieder ein wenig zurückverfolgen, weil sie in einer Sackgasse gelandet war, aber schließlich erreichte sie Junes. Inzwischen stand die Sonne derart tief, dass sie wusste, es würde dunkel sein, wenn sie wieder herauskäme. In diesem Fall müsste sie einfach hoffen, dass sie den Rückweg fand.[/LEFT] [LEFT]Im Inneren von Junes fühlte sie sich sofort wieder wie in der Großstadt. Jede Filiale war nach demselben Muster aufgebaut und ließ stets eine Variation seines eigenen Werbelieds spielen, deswegen wunderte es sie nicht. Der einzige Unterschied fand sich in der Zahl der Kunden, die sich bei den Lebensmitteln befanden: es waren lächerlich wenig, in ihrer alten Heimat war es abends stets so voll gewesen, man war kaum an die Waren gekommen. Wie konnte sich ein Junes in dieser Gegend nur halten?[/LEFT] [LEFT]»Mal sehen«, murmelte sie, statt sich weiter um so etwas zu kümmern. »Ich brauche Ingwer.«[/LEFT] [LEFT]Obwohl sie nun problemlos an das Gemüse herankam, überforderte die Auswahl sie. Ihre Augen huschten immer wieder über all die verschiedenen Sorten, von denen sie manche nicht einmal kannte. Vermutlich übersah sie dabei den Ingwer, anders konnte es nicht sein. Doch je länger sie brauchte, desto größer wurde ihr inneres Unbehagen. Wenn sie erst so spät wiederkam, bekäme sie bestimmt noch mehr Ärger mit ihrer Großmutter.[/LEFT] [LEFT]Also blieb ihr nur eine Möglichkeit. Sie wandte sich von dem Gemüse ab, um sich nach einem Angestellten umzusehen. Zu ihrem Glück entdeckte sie schnell einen solchen, einen jungen braunhaarigen Mann, den sie anhand seiner Schürze als Mitarbeiter identifizieren konnte. Er war gerade dabei beschäftigt, eines der Regale neu einzuräumen, aber da er der einzige war, den sie sehen konnte, musste sie ihn stören. Sie ging auf ihn zu. »Entschuldigung?«[/LEFT] [LEFT]Er hielt sofort inne und wandte sich ihr mit einem Lächeln zu – nur um verwirrt dreinzublicken, nachdem er in ihr Gesicht gesehen hatte. »Ueda-san?«[/LEFT] [LEFT]Sie neigte den Kopf ein wenig, musterte ihn. Er kam ihr auch vage bekannt vor, doch spontan wollte ihr nicht einfallen, woher. Aller Wahrscheinlichkeit nach besuchte er aber dieselbe Schule, vielleicht waren die Gerüchte einfach schon umgegangen.[/LEFT] [LEFT]Glücklicherweise störte er sich nicht daran, dass sie nichts sagte, sondern verstand von allein, was ihr Problem war: »Ah, du erinnerst dich nicht an mich, stimmts?«[/LEFT] [LEFT]Er lachte leise und zwinkerte ihr zu. »Schon okay, ich war auch mal neu, das sind ziemlich viele Eindrücke. Ich bin Yosuke Hanamura, ich sitze neben dir.«[/LEFT] [LEFT]Natürlich, sie erinnerte sich wieder. Im Klassenzimmer war sie derart aufgeregt gewesen, dass sie sich kaum eine der Personen dort gemerkt hatte, nicht einmal ihren Nebensitzer! Kein guter Start für ihr neues Leben hier.[/LEFT] [LEFT]»T-tut mir wirklich leid.« Sie deutete eine Verbeugung an. »Ich bin erst seit Samstag hier, deswegen bin ich noch von allem überfordert, glaube ich.«[/LEFT] [LEFT]Weiterhin lächelnd reichte er ihr die Hand. »Es ist wirklich nicht so schlimm. Solange du mich jetzt nicht mehr vergisst.«[/LEFT] [LEFT]Sie zögerte einen Moment, doch sie wollte ihn auch nicht vor die Stirn stoßen, wenn er schon so freundlich zu ihr war, deswegen schüttelte sie schließlich seine Hand. »Ich werde mir Mühe geben, Hanamura-san.«[/LEFT] [LEFT]Kaum hatte sie ihn wieder losgelassen, verschränkte er seufzend die Arme vor der Brust. »Ich bin ein bisschen enttäuscht, ich hatte fast gehofft, du würdest mich extra aufsuchen, weil du so fasziniert von mir bist.«[/LEFT] [LEFT]»E-entschuldige …«[/LEFT] [LEFT]Er lachte wieder. »Sorry, ich sollte die Witze wohl bleiben lassen. Also, wobei kann ich dir helfen?«[/LEFT] [LEFT]Stimmt, da war noch etwas.[/LEFT] [LEFT]Sie sagte ihm, was sie suchte, und kehrte mit ihm zur Gemüseauslage zurück. Wie ein richtig guter Angestellter benötigte er nur einen kurzen Blick, um schließlich den Ingwer zu finden. »Ist der gut?«[/LEFT] [LEFT]Sie betrachtete die Wurzel kurz, dann nickte sie. »Vielen Dank. Früher hat Māma das immer eingekauft. Oder ich habe die anderen Hausfrauen an der Theke gefragt.«[/LEFT] [LEFT]Ihre Mundwinkel hoben sich bei der Erinnerung. Dann erstarrte sie. Hatte sie gerade Māma gesagt?[/LEFT] [LEFT]Zu ihrem Glück schien ihm daran nichts aufzufallen, vielleicht dachte er auch, sie habe nur eine eigenartige Art und Weise, Dinge auszusprechen. Er lächelte entschuldigend. »Hier ist wirklich nicht so viel los wie in der Großstadt. Jedenfalls nicht an einem Wochentag. Du solltest mal hier sein, wenn wir einen Feiertag oder ein Angebot haben.«[/LEFT] [LEFT]An dieser Stelle wäre es perfekt gewesen, ihn zu fragen, wo sie sich um einen Job bewerben könnte, aber sie ließ es bleiben. Plötzlich schien ihr der Gedanke, von so vielen fremden Menschen umgeben zu sein, doch eher unheimlich.[/LEFT] [LEFT]»Na ja, ich will dich nicht länger aufhalten«, sagte er plötzlich. »Aber falls du noch eine Frage hast, egal was für eine, bin ich da.«[/LEFT] [LEFT]Er zwinkerte ihr wieder zu. Eine Geste, die sie nicht so recht einzuschätzen wusste, doch es gab ihr tatsächlich den Mut, ihn noch etwas zu fragen: »Kann es sein, dass ich heute hinter dir nach Hause gelaufen bin? Warst du der Junge mit dem Roller?«[/LEFT] [LEFT]»Ja, das war ich.« Stolz streckte er die Brust raus.[/LEFT] [LEFT]»War dieses eine Mädchen bei euch vielleicht Risette?«[/LEFT] [LEFT]Kaum hatte sie diese Frage ausgesprochen, schien er ein wenig enttäuscht. »Oh, du meinst Rise?«[/LEFT] [LEFT]Mei nickte aufgeregt. Ihr Gesicht fühlte sich plötzlich erhitzt an. »K-kannst du mir vielleicht ein Autogramm besorgen? Oder nein! Sag ihr einfach nur Hallo von mir.«[/LEFT] [LEFT]Das ließ ihn wieder lächeln. »Wäre es nicht besser, wenn du selbst mit ihr sprechen würdest?«[/LEFT] [LEFT]Sie wich sofort zurück und blickte zu Boden. Sie konnte unmöglich einfach auf Risette zugehen und sie ansprechen. Allerdings wusste sie nicht so recht, wie sie das erklären sollte.[/LEFT] [LEFT]»Verstehe«, sagte er bereits. »Wie wäre es, wenn ich euch vorstelle? Dann hast du den ersten Schritt schon einmal hinter dir. Rise freut sich bestimmt.«[/LEFT] [LEFT]»Ja?« Aufgeregt sah sie ihn wieder an. »Wirklich?«[/LEFT] [LEFT]Er nickte. »Aber dann schuldest du mir was~.«[/LEFT] [LEFT]»Sicher, was du willst«, sagte sie, ehe sie darüber nachdenken konnte; ansonsten wäre ihr vermutlich aufgefallen, dass es eine schlechte Idee war, einem quasi fremden Jugendlichen zu versprechen, dass er haben konnte, was er wollte.[/LEFT] [LEFT]Er lächelte darüber nur zufrieden und deutete in Richtung der Kassen. »Wenn du zahlen willst, solltest du da lang. Wir sehen uns ja morgen in der Schule.«[/LEFT] [LEFT]»Danke, Hanamura-san.« Sie verbeugte sich noch einmal vor ihm und verabschiedete sich, dann setzte sie ihren Weg fort; vermutlich würde ihre Großmutter schon ungeduldig warten, um ihr einen Vortrag über Pünktlichkeit halten zu können, doch dieses Treffen war es wert gewesen, wenn sie nun doch zu einem Gespräch mit Risette käme, selbst wenn es nur kurz wäre.[/LEFT] [LEFT]Als sie Junes endlich wieder verließ, war es wirklich bereits dunkel geworden. Die Straßenlaternen erhellten die Umgebung allerdings so gut, dass sie sich keine Sorgen um die Dunkelheit machen musste. Außerdem bezweifelte sie, dass jemand in so einer kleinen Stadt sie angreifen würde. Selbst das Finden des Rückwegs bereitete ihr weniger Probleme als sie gedacht hätte, da sie sich hauptsächlich an dem orientierte, was sie auf dem Hinweg gesehen hatte.[/LEFT] [LEFT]Außer ihr war kaum jemand unterwegs, wie sie bald bemerkte. Noch ein großer Unterschied zu ihrer alten Heimat, in der auf jeder Straße zu jeder Tageszeit mindestens eine Person hatte angetroffen werden können. Manchmal waren es nur Obdachlose gewesen, die in ihren Stammecken saßen und auf einen neuen Tag warteten, dann wieder betrunkene Kneipengänger auf dem Heimweg, und selten ausgebüxte Jugendliche, die nun nichts mit sich anzufangen wussten. Hier ließ diese Einsamkeit sie glauben, in einer anderen Welt gelandet zu sein.[/LEFT] [LEFT]Erst an der Samegawa Flussaue fiel ihr endlich wieder eine andere Person auf. Direkt am Ufer stand eine Frau, mit dem Rücken zu ihr. Mit hängenden Schultern starrte sie ins Wasser hinein, hin und wieder zuckten ihre Schultern, nicht einstimmig als würde sie weinen, sondern immer nur eine, in keinem erkennbaren Rhythmus.[/LEFT] [LEFT]Etwas an diesem Anblick ließ Mei innehalten. Einerseits war es unheimlich, was ihr sagte, dass es nicht ihr Problem sein musste, wenn sie keine Schwierigkeiten wollte, doch andererseits benötigte diese Frau vielleicht Hilfe. Hatte Meis Vater ihr nicht immer gesagt und auch vorgelebt, dass man Menschen helfen sollte? So viel Zeit sollte sie doch erübrigen können.[/LEFT] [LEFT]Also nahm Mei allen Mut zusammen, den sie irgendwo in ihrem Inneren auftreiben konnte, und stieg die Stufen zum Ufer hinab. Je näher sie der Frau kam, desto deutlicher wurde, dass sie leise vor sich hin murmelte. Doch egal, wie sehr Mei die Ohren spitzte, sie verstand die Worte nicht.[/LEFT] [LEFT]Schließlich stand sie direkt hinter der Fremden. »Entschuldigung …«[/LEFT] [LEFT]Die Frau reagierte nicht, selbst ihr Murmeln brach nicht ab.[/LEFT] [LEFT]»Brauchen Sie Hilfe?«, fragte Mei weiter.[/LEFT] [LEFT]Da immer noch keine Reaktion erfolgte, legte sie eine Hand auf die Schulter der Frau – das Murmeln verstummte, mit einem Ruck fuhr die andere herum.[/LEFT] [LEFT]Mei wich zurück, erst einen Schritt aus Instinkt, dann einen weiteren aus Furcht.[/LEFT] [LEFT]Die Augen der Frau glühten in einem unheimlichen goldenen Glanz, schwarze Flüssigkeit lief daraus und benetzte ihre Wangen. Sie starrte Mei unbewegt an, ihr Gesicht eine undurchdringliche Maske der Neutralität.[/LEFT] [LEFT]Das muss ein Traum sein! Das kann nicht in der Realität passieren![/LEFT] [LEFT]»Warum?«, fragte die Fremde. »Warum passiert mir das?«[/LEFT] [LEFT]Es klang als wäre sie in einer verzweifelten Lage, in der Mei sie nicht einfach lassen konnte – jedenfalls nicht, nachdem sie sich eingemischt hatte. War es erst einmal so weit, so hätte ihr Vater ihr gesagt, war es absolut unmöglich, sich einfach zurückzuziehen. Und insgeheim befürchtete sie, die Frau würde ihr einfach nach Hause folgen, wenn Mei nun weglief.[/LEFT] [LEFT]»Was ist denn passiert? Kann ich irgendwie helfen?«[/LEFT] [LEFT]Die neutrale Miene wechselte zu einer hochgradig verwirrten. »Helfen? Du willst mir helfen?«[/LEFT] [LEFT]»W-wenn ich kann ...«[/LEFT] [LEFT]Die Frau lächelte glücklich und streckte die Hand nach Mei aus. Ihrem Instinkt folgend wich sie zurück. Die Augen der anderen glühten nicht mehr nur, sie leuchteten regelrecht vor Aufregung, eine unangenehme Aura ging von ihr aus, die Mei riet, so schnell wie möglich zu rennen, egal was andere sagten oder was sie befürchtete. Gleichzeitig waren ihre Beine so schwer geworden, dass sie diese nicht mehr anheben konnte. Wie hypnotisiert starrte sie diese Fremde an, die mühelos die Distanz zwischen ihnen wieder ausglich, die Hand immer noch erhoben, um Mei zu greifen.[/LEFT] [LEFT]Was soll ich tun? Was soll ich-[/LEFT] [LEFT]Ihre rasenden Gedanken kamen zu einem abrupten Halt, als auch die andere plötzlich erstarrte. Für einen Moment sah sie direkt durch Mei hindurch, dann neigte sie den Kopf. »Oh, du also auch?«[/LEFT] [LEFT]Mei wollte sie fragen, wovon sie eigentlich sprach, doch sie war nur in der Lage, ein verwirrtes »Huh?« von sich zu geben.[/LEFT] [LEFT]Ihr Gegenüber wandte den Kopf von links nach rechts, ihr schwarzes Haar flatterte dabei wild um ihr Gesicht. Dann legte sie den Kopf in den Nacken und stieß ein schrilles Kreischen aus.[/LEFT] [LEFT]Meis Beine gehorchten ihr endlich wieder, ließen sie zumindest einen weiteren Schritt zurück machen, um sich von dieser vermeintlichen Gefahrenquelle zu entfernen.[/LEFT] [LEFT]Mit einem Ruck fuhr die Frau herum und rannte davon, mitten in den Fluss hinein, der ihr glücklicherweise nur bis zur Hüfte reichte. Am anderen Ufer verließ sie das Wasser wieder, rannte weiter – und verschwand plötzlich in einer Nebelwolke, die sich ebenso schnell wieder auflöste.[/LEFT] [LEFT]Der Fluss gluckerte vor sich hin und war das einzige Geräusch in der Stille. Nichts deutete mehr auf das hin, was hier gerade geschehen war.[/LEFT] [LEFT]Mei stieß etwas Luft durch ihre Lippen. »Ist das gerade wirklich geschehen?«[/LEFT] [LEFT]Sie hatte noch nie zu Tagträumereien geneigt, Halluzinationen waren ihr ebenfalls fremd. Wie kam es also, dass sie so etwas Seltsames gesehen hatte? Oder war diese Stadt vielleicht gefährlich?[/LEFT] [LEFT]Unruhig geworden ließ sie den Blick schweifen. Es gab keine Bedrohungen mehr zu sehen, doch sie glaubte, in den Schatten ein Atmen zu hören, das nur auf eine Gelegenheit wartete, sie anzugreifen.[/LEFT] [LEFT]Rückwärts bahnte sie sich ihren Weg zur Treppe. Dort erst fuhr sie herum, lief die Stufen hinauf und folgte dann eilig der Straße, um schnell nach Hause zu kommen. Sie sah sich nicht mehr um, sondern konzentrierte sich ganz auf den Asphalt. Wenn sie erst einmal zu Hause wäre, könnte ihr nichts mehr geschehen, davon war sie überzeugt. Ihr Vater würde sie beschützen, ganz sicher.[/LEFT] [LEFT]Aber erst muss ich dort ankommen.[/LEFT] [LEFT]Ihre Schultern waren derart angespannt, dass sie bereits den kommenden Muskelkater fühlen konnte. In ihren Beinen kündigte sich ein brennender Schmerz an, ein Protest der viel zu selten genutzten Muskeln, die jegliche Gefahr ignorieren wollten – sofern es eine solche überhaupt gab. Doch Mei wollte nicht innehalten, um erst einmal festzustellen, ob eine Bedrohung für sie bestand. Was immer das am Fluss gewesen war, im Grunde wollte sie es gar nicht herausfinden, sondern nur ihren Frieden wiederfinden.[/LEFT] [LEFT]Als sie endlich das Einkaufsviertel erreichte, entspannte sie sich wieder ein wenig. Doch ihre Schritte wurden nicht langsamer, bis sie endlich am Haus ihrer Großmutter ankam. Erst nach dem Öffnen der Tür und ihrem Eintreten, drehte sie sich noch einmal um.[/LEFT] [LEFT]Nirgends war etwas zu sehen.[/LEFT] [LEFT]Ihr Herz schlug von der Aufregung und der Anstrengung noch wie wild.[/LEFT] [LEFT]Sie schloss die Tür und atmete tief durch. Endlich in Sicherheit.[/LEFT] [LEFT]»Mei!«, rief Sachi aus der Küche. »Bist du zurück?! Wo warst du so lange?!«[/LEFT] [LEFT]Von einer gefährlichen Situation in die nächste. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, dieser seltsamen Frau durch den Fluss zu folgen.[/LEFT] [LEFT]Nein, das ist Schwachsinn! Sie ist meine Großmutter.[/LEFT] [LEFT]Nachdem sie ihre Schuhe wieder ausgezogen hatte, ging sie selbst in die Küche und übergab Sachi den Ingwer. Dabei entschuldigte sie sich für die Verspätung. »Ich habe einen Mitschüler getroffen.«[/LEFT] [LEFT]Von der Begegnung mit der eigenartigen Fremden erzählte sie lieber nichts. Sachi mochte sie bislang nicht wirklich, da musste sie ihr nicht noch mehr Minuspunkte an die Hand geben.[/LEFT] [LEFT]Ihre Großmutter begutachtete das Gemüse argwöhnisch, dann gab sie einen abschätzigen Laut von sich und legte es beiseite. »Wenigstens bist du zurückgekommen. Dein Vater hat angerufen, er muss noch arbeiten und kommt erst spät wieder. Also werden nur wir beide essen.«[/LEFT] [LEFT]Etwas in Meis Inneren zog sich schmerzhaft zusammen. Sie lächelte gequält. »Okay. Gut zu wissen.«[/LEFT] [LEFT]Sachi sagte dazu nichts mehr, sie konzentrierte sich schon wieder vollkommen auf die Suppe.[/LEFT] [LEFT]»Falls es nichts mehr gibt, gehe ich erst einmal in mein Zimmer.«[/LEFT] [LEFT]Wieder keine Antwort, das betrachtete Mei als Zustimmung. So leise wie möglich zog sie sich zurück, nur um sich in ihrem Zimmer dann auf das Bett werfen zu können. Etwas Staub wirbelte dabei auf, er glitzerte im Licht ihrer Lampe.[/LEFT] [LEFT]Wenn ihr Vater heute nicht mehr kam, müsste sie ihm morgen hiervon erzählen. Hoffentlich geschah bis dahin nichts Schlimmes. Andererseits glaubte er es ihr in einem solchen Fall vielleicht eher, statt sie einfach nur zum Arzt zu schicken oder es auf die Umstände ihres Umzugs zu schieben.[/LEFT] [LEFT]»Was immer das auch war«, murmelte sie, »ich hoffe, das geschieht nie wieder.«[/LEFT] [LEFT]Viel eher sollte sie sich endlich auf die positiven Dinge des Abends konzentrieren und alles Negative erst einmal vergessen: Hanamura-san hatte ihr versprochen, sie Risette vorzustellen. Vielleicht erwuchs daraus eine tiefgreifende Freundschaft, die ihr diesen Ort versüßen könnte.[/LEFT] [LEFT]»Es wäre jedenfalls schön«, sagte sie leise zu sich.[/LEFT] [LEFT]Schließlich endete dieser kurze Frieden, als ihre Großmutter sie zum Essen rief.[/LEFT] [LEFT]Mei erhob sich von ihrem Bett, lief im Slalom um die Kisten herum und hielt an der Treppe wieder inne. Hinter ihr erklang ein leises Geräusch, wie ein Flüstern. Sie warf einen Blick über die Schulter, sah jedoch nichts, was auf eine andere Person hinwies.[/LEFT] [LEFT]Über sich selbst lächelnd schüttelte sie mit dem Kopf.[/LEFT] [LEFT]Ich bin bestimmt nur zu nervös. Alles ist in Ordnung.[/LEFT] [LEFT]Damit verließ sie ihr Zimmer, ohne den Schatten zu bemerken, der hinter dem Fenster vorbeihuschte und in die Nacht verschwand.[/LEFT] Kapitel 3: Hier tut dir keiner was ---------------------------------- [LEFT]Am nächsten Morgen war Yosuke rechtzeitig an der Schule, um am Tor auf Rise zu warten. Er hatte sein Versprechen nicht vergessen, wollte Rise aber nicht einfach mit einer Textnachricht fragen. Nein, das musste er persönlich machen – schon allein, weil er besser betteln konnte, sobald sie auch nur daran denken sollte, abzulehnen. Während er darüber nachgedacht hatte, war ihm aber auch eingefallen, dass es vielleicht am besten war, einfach direkt die ganze Gruppe mit Mei bekannt zu machen. Sie sollte nicht die Schwierigkeiten bekommen, die er damals hatte, wenn es darum ging, Kontakte zu knüpfen. Und vielleicht wäre sie ihm dafür auch dankbar.[/LEFT] [LEFT]Zumindest träumen durfte er ja noch. Wie hatte sein Vorsatz, sich auf seinen Abschluss zu konzentrieren, so schnell ins Wanken geraten können?[/LEFT] [LEFT]Als er schon glaubte, dass keiner der anderen zur Schule käme, erkannte er die Gruppe endlich in der Masse. Chie und Yukiko winkten ihm zu, während die anderen drei in ein Gespräch vertieft schienen. Im Näherkommen bekam er mit, dass sie darüber sprachen, wohin sie in der Golden Week am besten fahren sollten, und wer die entsprechenden Vorbereitungen dafür übernahm.[/LEFT] [LEFT]Bevor sie an ihm vorbeigehen konnten, stellte Yosuke sich direkt vor Rise, woraufhin alle stehenblieben und ihn fragend ansahen.[/LEFT] [LEFT]»Guten Morgen, Yosuke-senpai«, sagte das frühere Idol, dessen Gesicht bereits ein wenig ablehnend aussah; sicher erwartete sie irgendeine Bitte nach einem Date, doch zum Glück konnte er sie da enttäuschen.[/LEFT] [LEFT]Er erwiderte ihren Gruß an die gesamte Gruppe, ehe er sich wieder auf sie fokussierte. »Rise, kannst du mir einen großen Gefallen tun?«[/LEFT] [LEFT]»Das … kommt darauf an«, sagte sie zurückhaltend.[/LEFT] [LEFT]Es langsam anzugehen, mit zu vielen Erklärungen, so früh am Morgen, war sicher übel, deswegen brachte er es so schnell wie möglich hinter sich: »Könntest du dich heute Mittag mit unserer neuen Mitschülerin treffen? Sie ist ein Fan von dir und möchte nur mal Hallo sagen.«[/LEFT] [LEFT]Um seine Bitte zu unterstreichen verbeugte er sich vor ihr. »Bitte, du würdest ihr einen großen Gefallen tun, nur für eine Weile.«[/LEFT] [LEFT]Rise schwieg, genau wie die anderen. Als Yosuke vorsichtig nach oben schielte, erkannte er, dass die Gefragte eher verwirrt statt abgeneigt war. Es war Chie, die das Schweigen wieder brach: »Wann hast du das denn erfahren?«[/LEFT] [LEFT]Yosuke stellte sich wieder aufrecht hin. »Sie war gestern Abend noch bei uns einkaufen, da kamen wir auf das Thema.«[/LEFT] [LEFT]»Ich hätte nicht gedacht, hier noch einmal einem Fan zu begegnen«, sagte Rise. »Ich dachte, alle sind schon zu Kanami gewechselt.«[/LEFT] [LEFT]Sie wirkte nachdenklich, als ziehe sie das Treffen in Erwägung.[/LEFT] [LEFT]»Du wärst auch nicht allein mit ihr«, fügte Yosuke rasch hinzu. »Ich hatte mir gedacht, dass die anderen, also wir alle, uns auch mit ihr treffen. Um sie angemessen willkommen zu heißen.«[/LEFT] [LEFT]Naoto stimmte zu seiner Überraschung sofort zu. »Bevor ich eine Persona bekam, habt ihr mich auch in euren Freundeskreis aufgenommen. Vielleicht hilft ihr das tatsächlich.«[/LEFT] [LEFT]Mit ihr auf seiner Seite sah Yosuke die anderen schon wesentlich optimistischer an – und zu seinem großen Glück nickten sie alle, sogar Rise, die nun wieder lächelte.[/LEFT] [LEFT]»Dann auf dem Dach, in der Mittagspause?«, fragte er.[/LEFT] [LEFT]Nachdem sie das ausgemacht hatten, gingen sie gemeinsam weiter. Irgendwie kam es dazu, dass er neben Chie lief, die ihm ihren Arm schmerzhaft in die Rippen stieß. »Du erhoffst dir da hoffentlich nichts davon, Yosuke.«[/LEFT] [LEFT]Er hob die Hände. »Natürlich nicht. Ich will nur nett sein.«[/LEFT] [LEFT]Von seinen Träumereien musste Chie ja nichts wissen. Und die anderen auch nicht. Sonst würden sie ihm alles ruinieren, falls er doch Chancen bekäme – oder dafür sorgen, dass Mei sich unwohl fühlte. Beides wollte er nicht. Sie sollte sich hier wohlfühlen, um nicht mehr derart schüchtern zu sein. Sie sollte Freunde finden und Inaba als Zuhause betrachten, genau wie er inzwischen. Denn es war die Stadt, in der er seine engsten Freunde getroffen hatte, und in der sie alle eine Mordserie beendet hatten. Inaba selbst hatte eine Chance verdient, gemocht zu werden – und er würde es schaffen, dass Mei genau das tat.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Als es zur Mittagspause klingelte, wartete Yosuke bis Yukiko und Chie das Klassenzimmer verlassen hatten. Erst dann wandte er sich an Mei, mit der er bislang noch kein Wort hatte wechseln können (sie war erst kurz vor Frau Serizawa hereingekommen). Wie am Tag zuvor hielt sie den Blick meist gesenkt und wahrte ihre Distanz zu ihm, fast als hätte sie Angst, ihn aus Versehen zu berühren.[/LEFT] [LEFT]»Hey, also ich habe Rise gefragt …«[/LEFT] [LEFT]Endlich sah sie ihn direkt an, ihre Augen glitzerten aufgeregt. »Was hat sie gesagt?«[/LEFT] [LEFT]»Sie hat einem Treffen zugestimmt. Wenn du magst, jetzt sofort, auf dem Dach.«[/LEFT] [LEFT]Sie sog die Luft ein, fast hatte er Angst, sie würde anfangen zu hyperventilieren, doch dann nickte sie bereits heftig. »Ja, natürlich, gern!«[/LEFT] [LEFT]Es war überraschend angenehm, zu beobachten, wie sehr sie sich freute, vor allem über etwas, das er eingefädelt hatte. Er stand auf, um möglichst schnell noch mehr davon zu beobachten.[/LEFT] [LEFT]Sie folgte ihm aus dem Klassenzimmer hinaus und die Treppe hinauf. An der Tür angekommen hielt er noch einmal inne und fragte sich, ob es gut war, sie mit den anderen zu überraschen. So schüchtern wie sie war, könnte sie davon vielleicht überfordert sein.[/LEFT] [LEFT]»Hey«, setzte er an, schüttelte dann aber mit dem Kopf. »Nein, vergiss es. Gehen wir einfach.«[/LEFT] [LEFT]Er griff nach der Klinke – und spürte plötzlich eine Hand auf seiner Schulter. Innehaltend sah er sie wieder an. Sie hatte den Kopf geneigt. »Gibt es irgendetwas, das ich wissen sollte?«[/LEFT] [LEFT]Ihre Stimme klang derart intensiv, dass er nicht mehr anders konnte: »Nun, ich habe noch einige andere Freunde gefragt, ob sie dabei sein wollen.«[/LEFT] [LEFT]Wie er es befürchtet hatte verlor ihr Gesicht ein wenig an Farbe. »Warum?«[/LEFT] [LEFT]»Na ja, du bist neu in der Stadt. Wir dachten, es kann nicht schaden, wenn du ein paar von uns kennenlernst, damit du nicht mehr allein bist.«[/LEFT] [LEFT]Sie schien sich das durch den Kopf gehen zu lassen, dann errötete sie plötzlich. »D-das klingt wie eine nette Idee, danke.«[/LEFT] [LEFT]Damit ließ sie seine Schulter wieder los, er öffnete endlich die Tür. Sie traten ins Sonnenlicht hinaus, das zu dieser Jahreszeit noch nicht drückend heiß, sondern angenehm warm war.[/LEFT] [LEFT]Die anderen warteten bereits auf sie. Kaum entdeckte Mei sie alle, huschte sie hinter Yosuke und lugte über seine Schulter zu den anderen hinüber.[/LEFT] [LEFT]»Komm schon«, sagte er, zur Seite schauend. »Hier tut dir keiner was. Auch Kanji nicht, obwohl er wie ein Rowdy aussieht.«[/LEFT] [LEFT]»Was soll das denn heißen?!«, fragte Kanji sofort wütend.[/LEFT] [LEFT]Doch bevor er sich weiter aufregen konnte, beruhigte Naoto ihn mit ihrer gelassenen, professionellen Art sofort wieder: »Vielleicht sollten wir einfach damit anfangen, dass wir uns ihr vorstellen, oder? Sie dürfte immerhin keinen von uns wirklich kennen.«[/LEFT] [LEFT]Während die anderen sich vorstellten, kam Mei langsam wieder hinter Yosuke hervor. Rise hatte bis zum Ende gewartet, und als Mei endlich wieder richtig zu sehen war, winkte das Ex-Idol ihren üblichen Bühnengruß. »Hi~. Danke, dass du mir immer treu geblieben bist~.«[/LEFT] [LEFT]Ergriffen legte Mei ihre gefalteten Hände auf ihr Herz. »Ich wusste es. Du bist echt Risette.«[/LEFT] [LEFT]Rise lachte ein wenig verlegen. »Du kannst mich einfach Rise nennen. Risette ist nur mein Bühnenname. Und aktuell gehe ich ja einem normalen Leben nach.«[/LEFT] [LEFT]Meis Gesicht hellte sich auf, obwohl sie es immer noch nicht wirklich zu glauben schien. »Darf ich wirklich?«[/LEFT] [LEFT]»Natürlich~. Du bist mein Senpai.«[/LEFT] [LEFT]Yosuke schmunzelte, während Mei so glücklich zu sein schien, dass sie beinahe ohnmächtig wurde; er wurde fast ein wenig neidisch. »Ich sagte doch, es wird besser, mit ihr selbst zu reden.«[/LEFT] [LEFT]Sie nickte ihm nur knapp zu, ehe sie den Blick über alle Anwesenden schweifen ließ. »Hey … ihr seid eine ganz schön bunte Gruppe. Wie habt ihr euch angefreundet?«[/LEFT] [LEFT]Die Frage war eigentlich zu erwarten gewesen – weswegen Yosuke sich innerlich selbst verfluchte, dass er gar nicht daran gedacht hatte. So schockiert wie die anderen aussahen, wussten sie offenbar auch nicht so recht, was sie sagen sollten. Mit Ausnahme von Kanji, der bereits den Mund öffnete, um etwas zu erwidern. Glücklicherweise schnitt Naoto ihm das Wort ab: »Wir waren alle Außenseiter, deswegen war es für uns nur natürlich.«[/LEFT] [LEFT]Mei nickte verstehend und stellte glücklicherweise keine weiteren Fragen.[/LEFT] [LEFT]Die anderen setzten sich auf die Luftschächte, die auf dem Dach verliefen, Yosuke folgte ihrem Beispiel und nahm neben Naoto Platz. Mei blieb noch stehen, anscheinend ohne so recht zu wissen, wo sie hin sollte.[/LEFT] [LEFT]Yukiko rutschte ein Stück in Chies Richtung und klopfte dann auf den frei gewordenen Platz zwischen ihr und Rise. »Setz dich hierhin.«[/LEFT] [LEFT]Mit einem verlegenen Lächeln folgte Mei dieser Aufforderung, während sie sich höflich bedankte.[/LEFT] [LEFT]»Was hältst du bisher von Inaba?«, fragte Chie. »Es ist immerhin ganz anders als in der Stadt.«[/LEFT] [LEFT]»Ist es. Aber mich stört das nicht. Eigentlich finde ich es ganz gut, dass es so still ist.« Sie zögerte einen Moment. »Ich glaube, die Ruhe ist nur nicht gut für meine Vorstellungskraft.«[/LEFT] [LEFT]»Was meinst du damit?«, hakte Naoto nach.[/LEFT] [LEFT]Mei winkte sofort ab. »Ach, nichts weiter. Ich glaube, ich sollte abends nur nicht mehr allein raus.«[/LEFT] [LEFT]Sie lachte ein wenig, scheinbar um ihre Verlegenheit zu überspielen. Yosuke fragte sich, was passiert sein mochte. Als er ihr in Junes begegnet war, hatte er nichts Auffälliges bemerkt. War es dann erst auf dem Rückweg geschehen?[/LEFT] [LEFT]»Erzähl uns mal was von dir«, forderte Chie sie auf. »Also, gestern hast du erzählt, du bist mit deinem Vater hierher gezogen, stimmt doch, oder?«[/LEFT] [LEFT]»Ja, genau. Meine Großmutter wohnt hier, also leben wir jetzt bei ihr.« Sie verzog ihr Gesicht ein wenig, als hätte sie in etwas Saures gebissen.[/LEFT] [LEFT]»Was ist denn mit deiner Mutter?«, fragte Yukiko.[/LEFT] [LEFT]Mei senkte den Blick, ohne zu antworten. Yosuke wollte ihr schon versichern, dass sie nichts dazu sagen musste und dass sie das Thema wechseln könnten, doch da kam sie ihm zuvor: »Meine Eltern haben sich vor kurzem getrennt. Es gab einige Differenzen zwischen ihnen, die immer größer wurden.«[/LEFT] [LEFT]Sie scharrte mit den Füßen auf dem Boden. »Im Grunde ist es eigentlich nicht weiter schlimm, es ist nur noch so frisch.«[/LEFT] [LEFT]Es kam Yosuke vor, als wollte sie noch etwas sagen, aber sie tat es nicht. Stattdessen hob sie den Blick wieder und versuchte zu lächeln. »Na ja, deswegen wohnen wir jetzt jedenfalls hier. Und ich hoffe, dass wir gute Freunde werden können.«[/LEFT] [LEFT]Der letzte Satz klang sehr gezwungen, genau wie bei ihrer Vorstellung am Tag zuvor. Doch Yosuke war überzeugt, dass sie hier gut leben könnte, wenn sie erst einmal ihre Schüchternheit überwunden hatte, und sobald sie das Landleben zu schätzen lernte, so wie er.[/LEFT] [LEFT]Glücklicherweise bemerkten auch Yukiko, Chie und Rise, dass Meis Laune gesunken war, und bemühten sich sofort, sie wieder anzuheben.[/LEFT] [LEFT]»Wenn du willst, können wir dir alle interessanten Orte in Inaba zeigen«, schlug Yukiko vor.[/LEFT] [LEFT]»Falls du einen Rollerführerschein hast, können wir im Sommer auch zusammen an den Strand«, sagte Rise.[/LEFT] [LEFT]»Ich weiß, wo wir ein gutes Steak essen können!«[/LEFT] [LEFT]Augenblicklich wandten sich alle Chie zu. Sie sah die anderen an. »Was denn?«[/LEFT] [LEFT]»Du denkst immer nur ans Essen«, brummte Kanji.[/LEFT] [LEFT]»Vor allem ist es immer Steak«, fügte Yosuke an.[/LEFT] [LEFT]Chie schnaubte. »Na und? Was ist daran denn auszusetzen? Eine Frau braucht ihre Proteine!«[/LEFT] [LEFT]Sie kannten diese Art von Gesprächen bereits, deswegen schwiegen sie alle nur – bis Yukiko plötzlich losprustete. Sich den Bauch haltend, den Kopf zurückgelegt, lachte sie wieder einmal auf diese Weise, die sie einzigartig machte, die Yosuke einerseits für sie glücklich machte, bis es ihm andererseits irgendwann peinlich wurde. Und da war er nicht der einzige.[/LEFT] [LEFT]»So lustig war es dann auch nicht«, sagte Chie.[/LEFT] [LEFT]Doch Yukiko lachte weiter, immer wieder hörte man zwischendurch Wörter, die sie angestrengt hervorbrachte, aber einen ganzen Satz ergaben sie nicht.[/LEFT] [LEFT]Bevor einer von ihnen sich für ihr Verhalten entschuldigen konnte, geschah etwas, das Yosuke durchatmen ließ und Yukiko zum Verstummen brachte: Mei lachte leise. »Ich kann jetzt verstehen, warum ihr Freunde seid. Danke, dass ich ein Teil davon sein darf.«[/LEFT] [LEFT]»Das ist doch selbstverständlich«, sagte Chie. »Wir sind gut darin, Leuten zu helfen.«[/LEFT] [LEFT]Das entsprach auf so viele Arten der Wahrheit, dass es schade war, dass Mei das nicht erfassen konnte. Sie hatten das alles nicht für Ruhm getan, aber manchmal wäre es durchaus nett, ein bisschen Anerkennung dafür zu erhalten.[/LEFT] [LEFT]Mei legte ihre Handflächen aneinander. »Dann kümmert euch bitte gut um mich~.«[/LEFT] [LEFT]Diesmal klang sie befreiter, ehrlicher, als hoffe sie wirklich darauf, erhört zu werden, statt es zu sagen, weil es von ihr erwartet wurde.[/LEFT] [LEFT]Die drei Mädchen direkt neben ihr redeten auf sie ein, stellten ihr Fragen, ob sie vielleicht mit ihnen einkaufen wollte, welche Dinge sie mochte, was sie über die Stadt wissen wollte. Im Gegensatz zum Vortag, als ihre Mitschüler sie mit Fragen überhäuft hatten, wirkte Mei absolut gelassen, sogar glücklich, während sie sich bemühte, alles zu beantworten.[/LEFT] [LEFT]Mittendrin sah sie zu Yosuke und lächelte ihn an. Etwas daran – vielleicht wie ihre Mundwinkel nach oben gezogen waren, wie ihre Augen ein wenig glitzerten, oder wie sie ihn direkt ansah, statt ein wenig an ihm vorbei – erzeugte ein warmes Gefühl in seiner Brust. In diesem Moment wusste er, dass er etwas Gutes getan hatte – und das sogar ohne seine Persona.[/LEFT] Kapitel 4: Das ist wie letztes Jahr ----------------------------------- [LEFT]»... das beendet den Unterricht für heute.« Serizawa schloss das Buch.[/LEFT] [LEFT]Die Schüler taten es ihr mit einem erleichterten Seufzen nach. Meis Blick wanderte zur Uhr, laut der es noch zwei Minuten bis zum offiziellen Ende waren. Das schien auch Serizawa bewusst zu sein, denn sie musterte die Klasse mit gerunzelter Stirn.[/LEFT] [LEFT]»Denkt daran«, mahnte sie, »dass ihr dieses Schuljahr eure Prüfungen schreibt. Etwas mehr Lernbereitschaft würde euch allen guttun.«[/LEFT] [LEFT]Yosuke grummelte. Mei beugte sich ein wenig in seine Richtung. Sie hielt noch immer den Abstand zu ihm, rein aus Gewohnheit von ihrer alten Schule.[/LEFT] [LEFT]»Du magst Unterricht nicht sehr, oder?«, fragte sie flüsternd.[/LEFT] [LEFT]Er sah sie an, fast überrascht. »Nein, nicht wirklich.«[/LEFT] [LEFT]Während Serizawa ihre Materialien zusammenräumte, was die Schüler ihr nachmachten, heulte draußen die Sirene eines Polizeiwagens, der an der Schule vorbeifuhr. Plötzlich kehrte ungeahntes Leben in die anderen; ein Teil von ihnen sprang auf, um ans Fenster zu eilen, während die anderen zu flüstern begannen und ihre Handys hervorholten, womöglich um nach Nachrichten zu suchen. Serizawa mahnte niemanden zur Ruhe, stattdessen blickte sie nur Richtung Fenster, als wüsste sie nicht, ob sie ebenfalls neugierig sein oder das ignorieren sollte.[/LEFT] [LEFT]Lediglich bei Yosuke, Chie und Yukiko blieben diese Reaktionen aus. Ihre Gesichter verdüsterten sich, die Augenbrauen zusammengezogen. Mei sah ratlos zwischen ihnen hin und her.[/LEFT] [LEFT]»Das ist wie letztes Jahr«, sagte ein Schüler in der Reihe neben ihr zu seinem Freund. »Ein Transferschüler, ein Polizeieinsatz …«[/LEFT] [LEFT]»Glaubst du, das ist der Anfang einer neuen Mordserie?«, fragte der Freund.[/LEFT] [LEFT]Der andere zuckte nur mit den Schultern, ebenfalls in sein Handy vertieft.[/LEFT] [LEFT]»Wir haben es beendet«, murmelte Yosuke, kaum hörbar. »Es kann nicht wieder anfangen.«[/LEFT] [LEFT]Chie schüttelte energisch mit dem Kopf. »Das ist bestimmt nur ein Zufall. Wahrscheinlich hat irgendwer einen Unfall gebaut, nichts Ernstes.«[/LEFT] [LEFT]Yukiko nickte schweigend, aber die Sorge stand ihr weiter ins Gesicht geschrieben.[/LEFT] [LEFT]Mei überlegte, darauf hinzuweisen, dass es immer wieder Trittbrettfahrer gab, die sich an berühmten Fällen orientierten und diese nachahmten, aber sie verzichtete darauf. Bislang sah keiner von ihnen sie als merkwürdig an, da musste sie dem nicht noch nachhelfen.[/LEFT] [LEFT]»Ach ja.« Yosuke sah sie an. »Weißt du denn von der Mordserie, die es hier letztes Jahr gab?«[/LEFT] [LEFT]»Nur Oberflächliches. Aber waren es nach den ersten beiden Opfern nicht eher Entführungsfälle?«[/LEFT] [LEFT]Yukiko senkte den Blick zu Boden. »Ja, das ist richtig.«[/LEFT] [LEFT]Die Glocke beendete das Gespräch zwischen ihnen und unterbrach das aller anderen. Serizawa nahm ihre Sachen in ihre Arme. »In Ordnung, geht jetzt nach Hause. Falls ihr der Polizei begegnen solltet, steht ihnen nicht im Weg und beantwortet ihre Fragen, sofern sie welche für euch haben.«[/LEFT] [LEFT]Nach diesen Worten verließ sie das Klassenzimmer. Von den Gängen klang das neugierige und verwirrte Gerede anderer Schüler. In der Großstadt wäre um einen Polizeieinsatz nicht ein solcher Tumult veranstaltet worden, wie Mei innerlich anmerkte.[/LEFT] [LEFT]Chie stand von ihrem Stuhl auf und stemmte die Hände in die Hüften. »Vergessen wir das erst mal! Mei, willst du mit uns heimlaufen?«[/LEFT] [LEFT]Dieser plötzliche Themen- und Stimmungswechsel irritierte Mei. Sie blinzelte. »Ähm, natürlich, wenn ich darf.«[/LEFT] [LEFT]»Aber klar«, sagte Chie gut gelaunt. »Wir sagten doch, wir kümmern uns gut um dich.«[/LEFT] [LEFT]Yosuke war noch damit beschäftigt, seine Sachen einzupacken, reagierte aber dennoch auf Meis Seitenblick: »Manchmal kümmern sie sich vielleicht ein bisschen zu gut.«[/LEFT] [LEFT]Eine steile Falte bildete sich auf Chies Stirn. »Was soll das denn bedeuten?!«[/LEFT] [LEFT]»Na, dass sie nicht essen soll, was ihr kocht.«[/LEFT] [LEFT]Auf diese Erwiderung hin wirkte Chie zerknirscht, genau wie Yukiko, die leise »Da hat er nicht unrecht« murmelte.[/LEFT] [LEFT]Dieser ganze Austausch wärmte Meis Brust, was sie zum Lachen brachte. »Ihr seid wirklich gute Freunde, dafür müsst ihr schon einiges durchgemacht haben.«[/LEFT] [LEFT]Jedenfalls hatte Mei noch nie andere in ihrem Alter beobachten können, die sich so nahe standen. Die drei wirkten bei ihren Worten erschrocken, als hätte Mei sie gerade bei etwas Verbotenem ertappt. Damit diese Stimmung nicht blieb, stand sie rasch auf. »Ich bin fertig, von mir aus können wir gehen.«[/LEFT] [LEFT]Yukiko und Chie akzeptierten diesen Umschwung dankbar, nur Yosukes Stirn war noch gerunzelt, selbst als er ebenfalls aufstand. Sie tauschten allerdings keine Worte mehr aus, während sie das Klassenzimmer verließen, sich dem Strom an Schülern anschlossen, die nach Hause wollten. Selbst nun empfand Mei das eher als niedlich, wenn sie daran dachte, dass an ihrer alten Schule fast doppelt so viele Personen allein eine Klassenstufe besucht hatten.[/LEFT] [LEFT]Am Schultor wurden sie schon von Rise, Kanji und Naoto erwartet. Meis Herz schlug sofort wieder schneller, sie musste lächeln, allein beim Gedanke daran, dass sie nun mit Risette befreundet war. In der Großstadt wäre ihr das bestimmt nie möglich gewesen.[/LEFT] [LEFT]Direkt nach der Begrüßung und den ersten gemeinsamen Schritten, stellte Chie eine Frage, die ihr offenbar auf der Seele brannte: »Naoto, weißt du, warum die Polizei in der Nähe ist?«[/LEFT] [LEFT]Ehe sie antworten konnte, musste Mei ihre Neugier stillen: »Warum sollte Naoto das wissen?«[/LEFT] [LEFT]Die anderen sahen sie irritiert an, vermutlich weil jeder von ihnen genau wusste, worum es ging, sie aber natürlich nicht. Sie verspürte den Impuls, sich zu entschuldigen, aber Naoto kam ihr zuvor, um beide Fragen zu beantworten: »Ich ermittele manchmal mit der Polizei, auch letztes Jahr, so haben wir uns letztendlich kennen gelernt. Aber ich weiß auch nicht, was heute los ist.«[/LEFT] [LEFT]Es war seltsam, sich vorzustellen, dass jemand in ihrem Alter schon für die Polizei arbeitete. So etwas kannte sie bislang nur von-[/LEFT] [LEFT]»Ah!«, entfuhr es Mei. »Du bist Naoto Shirogane?!«[/LEFT] [LEFT]Sie hatten sich ihr – ungewöhnlich genug – alle nur mit Vornamen vorgestellt, deswegen war sie nicht einmal auf die Idee gekommen, dass es sich bei Naoto um die Nachwuchs-Detektivin handeln könnte, von der ihr erzählt worden war. Obwohl, genau genommen hatte man ihr erzählt, dass Naoto ein Junge sei. Sie wollte aber auch nicht nachhaken, aus Furcht, vielleicht ein sensibles Thema anzusprechen.[/LEFT] [LEFT]»Wundert mich nicht, dass du von ihr gehört hast«, sagte Chie. »Naoto und Rise sind beide ziemlich bekannt.«[/LEFT] [LEFT]»Rise wohl ein wenig mehr als ich«, erwiderte Naoto schmunzelnd. »Kein Wunder, Idols sind wesentlich mehr in der Öffentlichkeit als Detektive.«[/LEFT] [LEFT]Dem stimmten die anderen mit einem Nicken zu.[/LEFT] [LEFT]Kaum hatten sie dieses Thema damit beendet, entdeckten sie bereits einen Polizeiwagen, der nicht weit entfernt von ihnen in einer Seitenstraße stand. Sie hielten bei diesem inne und musterten die wenigen Polizisten, die Leute befragten oder Personalien aufnahmen. Zwischen diesen stand aber auch ein düster dreinblickender Mann mit Hemd und Krawatte, der sein Jackett über die Schulter gelegt hatte. Er rauchte, während er selbst den Blick schweifen ließ. Als er sie entdeckte, kräuselten sich seine Lippen zu einem Lächeln – das seine gerunzelte Stirn aber nicht beeinflusste –, er kam zu ihnen herüber. Mei wollte zurückweichen, da sie glaubte, er würde sie zurechtweisen, doch stattdessen grüßte er sie alle freundlich. »Die Schule ist wohl aus, was?«[/LEFT] [LEFT]»Hallo, Dojima-san«, grüßte Chie ihn vor allen anderen. »Was ist hier denn passiert? Hoffentlich nicht wieder ein Mord.«[/LEFT] [LEFT]»Bislang noch nicht«, sagte Dojima, sein Gesicht wirkte plötzlich ein wenig müde. »Eine Frau aus dieser Nachbarschaft ist verschwunden.«[/LEFT] [LEFT]Schlagartig wurden alle anderen vollkommen ernst. Mei fragte sich, ob sie wieder an die Fälle aus dem letzten Jahr dachten oder ob sie jemanden hier kannten und nun besorgt waren.[/LEFT] [LEFT]Plötzlich fiel Dojimas Blick auf Mei. Seine Augen weiteten sich erschrocken. »Oh, ist das eine Mitschülerin von euch?«[/LEFT] [LEFT]»Richtig«, sagte Naoto. »Sie ist seit gestern an unserer Schule.«[/LEFT] [LEFT]Mei fühlte sich sofort dazu berufen, sich richtig vorzustellen, indem sie sich vor ihm verbeugte. »Ich bin Mei Ueda. Es freut mich sehr, Sie kennenzulernen.«[/LEFT] [LEFT]Er hob eine Augenbraue. »Ueda?«[/LEFT] [LEFT]Eine Stimme aus dem Hintergrund, die Dojimas Namen rief, verhinderte, dass einer von ihnen nachhaken konnte, was er daran so eigenartig fand. Er wandte sich von ihnen ab und sah dem Mann im Trenchcoat entgegen, als er auf ihn zukam. Der Braunhaarige wirkte mit seinen geschwungenen dicken Augenbrauen und der tiefen Falte auf der Stirn sowie dem dichten Bartschatten noch ein wenig übelgelaunter als Dojima. Doch in Meis Brust breitete sich sofort Wärme aus. »Bàba!«[/LEFT] [LEFT]Im selben Moment hätte sie sich am liebsten vor die Stirn geschlagen, dass ihr dieses Wort so einfach über die Lippen gekommen war. Doch glücklicherweise schien keiner der anderen darauf zu achten, sie waren eher aus anderen Gründen verwirrt – und das besserte sich auch nicht, als auf dem Gesicht des Mannes doch noch ein Lächeln (so grimmig es auch wirkte) erschien: »Mei, bist du gerade auf dem Heimweg? Ich habe gar nicht daran gedacht, dass die Schule so nah ist.«[/LEFT] [LEFT]Die Schüler sahen Mei fragend an. Der neu dazugekommene Mann räusperte sich jedoch bereits und wandte sich wieder an Dojima: »Ich würde Ihnen gern meine Tochter Mei vorstellen.«[/LEFT] [LEFT]»Ah, also stimmt es tatsächlich.« Dojima lächelte. »Sie hat sich gerade schon selbst vorgestellt.«[/LEFT] [LEFT]Toshiaki Ueda musterte Meis Gruppe. »Kennen Sie diese Schüler, Dojima-san?«[/LEFT] [LEFT]»Ja, das sind Freunde meines Neffen. Und anscheinend sind sie sehr aufgeschlossen.«[/LEFT] [LEFT]Der letzte Satz klang ein wenig unheilvoll, wie Mei fand. Deswegen war sie froh, dass Naoto sich mit ihrer üblichen ruhigen Art in das Gespräch einklinkte: »Yosuke hat sie uns vorgestellt.«[/LEFT] [LEFT]Der Genannte hob eine Hand und winkte knapp.[/LEFT] [LEFT]»Wir wollten sie angemessen in Inaba willkommen heißen«, führte Naoto aus.[/LEFT] [LEFT]»Das ist wirklich nett von euch«, sagte Toshiaki. »Bitte kümmert euch gut um meine Tochter.«[/LEFT] [LEFT]»Aber klar«, sagte Chie. »Nur keine Sorge, wir übernehmen das.«[/LEFT] [LEFT]Sie lächelte Mei zuversichtlich entgegen, weswegen diese nicht anders konnte als es zu erwidern.[/LEFT] [LEFT]Dojima wandte sich nun selbst wieder Toshiaki zu. »Was gibt es eigentlich, Ueda?«[/LEFT] [LEFT]Der strenge Ton verriet, dass er wieder in den beruflichen Modus zurückgefallen war, noch dazu ahnte Mei, dass er bereit war, sofort loszuschreien, falls ihm nicht gefiel, was ihr Vater ihm zu sagen hatte.[/LEFT] [LEFT]Toshiaki hob den kleinen Notizblock, den er bei der Arbeit stets mit sich trug. »Die Befragung der Nachbarin hat nicht viel ergeben. Sie sah lediglich, wie Tamura am Samstag Morgen zur gewohnten Zeit das Haus verließ. Offenbar gab es nichts Außergewöhnliches an ihr, sie war wie immer, und vermutlich auf dem Weg zur Arbeit.«[/LEFT] [LEFT]»Also ist sie schon mal nicht zu Hause entführt worden.« Dojima senkte nachdenklich den Blick.[/LEFT] [LEFT]Die Atmosphäre wurde ein wenig unangenehm, denn das Gespräch war nicht für ihre Ohren gedacht, wie Mei auch wusste. Naoto schien das jedoch anders zu sehen, denn sie klinkte sich erneut ein: »Gibt es ein Bild der Vermissten?«[/LEFT] [LEFT]»Wir lassen gerade Plakate drucken«, sagte Dojima mit gerunzelter Stirn. »Ueda, haben Sie ein Foto gemacht?«[/LEFT] [LEFT]»Ja, natürlich.« Toshiaki zog sein Handy aus der Tasche, dann zeigte er ihnen das Foto.[/LEFT] [LEFT]Neugierig beugten sie sich alle etwas vor, um es genauer zu betrachten. Es war eine schwarzhaarige Frau ohne hervorstechende Merkmale – aber in Mei zog sich alles zusammen. Ihr fehlten vielleicht die goldenen Augen, doch es war eindeutig die Frau, die sie letzte Nacht an der Samegawa Flussaue gesehen hatte. Das Gesicht war ihr ins Gedächtnis eingebrannt, ließ wieder Panik in ihr aufsteigen.[/LEFT] [LEFT]»Wann wurde sie zuletzt gesehen?«, fragte Naoto.[/LEFT] [LEFT]Die Worte wirkten für Mei so leise und fern, da ihr Puls in ihren Ohren rauschte.[/LEFT] [LEFT]»Bislang sieht es aus, als sei sie am Samstag zuletzt gesehen worden«, antwortete Dojima. »Wir müssen noch genauer mit ihren Kollegen reden, aber laut dem Anrufer hat sie abends wie gewohnt ihre Arbeitsstelle verlassen, um nach Hause zu gehen.«[/LEFT] [LEFT]»Wo sie offenbar nie ankam«, ergänzte Toshiaki. »Jedenfalls sagen das ihre Nachbarn.«[/LEFT] [LEFT]Mei schüttelte mit dem Kopf. »Nein, das kann nicht sein.«[/LEFT] [LEFT]Toshiaki und Dojima sahen sie fragend an. Sie schrumpfte unter diesen Blicken zusammen und wollte zurückweichen, aber ihr Vater hätte sie spätestens abends noch einmal gefragt, also blieb ihr nichts anderes als direkt zu antworten: »Ich habe sie gestern Nacht gesehen, an der Flussaue.«[/LEFT] [LEFT]»Was?!«[/LEFT] [LEFT]Sie war sich nicht sicher, wer der Anwesenden das ausgestoßen hatte, denn es schien, als wäre es von allen gleichzeitig gekommen. Ein wenig eingeschüchtert nickte sie. »Sie stand am Ufer, als wäre sie über etwas unglücklich. Als ich sie ansprach, ist sie plötzlich weggelaufen, in den Fluss hinein, dann habe ich sie nicht mehr gesehen.«[/LEFT] [LEFT]Ihr Vater öffnete sofort den Notizblock und setzte den Stift an. »Ist dir etwas Außergewöhnliches an ihr aufgefallen?«[/LEFT] [LEFT]»Na ja, ihre Augen waren golden ...« Dojima hob eine Augenbraue, weswegen sie etwas hinterherschob: »Wahrscheinlich wegen den Straßenlampen, ich meine, das ist doch sonst verrückt.«[/LEFT] [LEFT]Dass sie sich in Nebel aufgelöst hatte, ließ sie dabei auch lieber weg. Vielleicht spielte ihr da ohnehin nur ihre Fantasie einen Streich, ganz so sicher konnte sie sich da nicht sein. Doch was sie zu sehen geglaubt hatte, war auf jeden Fall einfach unmöglich.[/LEFT] [LEFT]Toshiaki notierte etwas, während Dojima bereits einen Plan fasste: »Dann werden wir uns aufteilen. Ueda, Sie suchen nach Zeugen an der Flussaue, ich rede mit den Kollegen.«[/LEFT] [LEFT]Offenbar glaubte man ihr das. Es erleichterte sie ein wenig – aber vermutlich würde ihr Vater sie heute Abend noch ein wenig mehr danach befragen. Würde sie ihm dann noch alles andere erzählen?[/LEFT] [LEFT]»Wenn das alles ist, solltet ihr erst einmal weitergehen«, sagte Dojima in einem befehlsgewohnten Ton. »Wir kümmern uns wieder um unseren Job.«[/LEFT] [LEFT]Die anderen verabschiedeten sich sofort von ihm und Toshiaki, und setzten ihren Weg fort. Mei schloss sich ihnen eine Sekunde später an, immer noch mit sich ringend, ob sie nicht vielleicht doch mehr von dem Treffen erzählen sollte. Allerdings blieb sie letztendlich dabei, dass es zu nichts führen würde, wenn sie es täte.[/LEFT] [LEFT]Die anderen schwiegen ernst, wie ihr plötzlich auffiel. Dem maß sie aber nicht viel Bedeutung bei, schließlich dürfte es jeden Schüler ein wenig verstören, wenn so etwas in seiner Nähe geschah. Lediglich die Blicke, die sich gegenseitig zuwarfen, schienen noch mehr Informationen und Warnungen zu beinhalten, die ihr nichts sagten.[/LEFT] [LEFT]Das Schweigen wurde schnell unangenehm, doch Mei wusste nicht, was sie dagegen tun sollte. Glücklicherweise ging es den anderen wohl ebenso, wenn auch nur zum Teil.[/LEFT] [LEFT]»Dein Vater ist also bei der Polizei, Mei«, stellte Chie fest.[/LEFT] [LEFT]»Ja. Ich dachte nicht, dass das interessant sein könnte.« Schließlich hatte sie nicht einmal ahnen können, dass sie den Vorgesetzten ihres Vaters kannten.[/LEFT] [LEFT]»Wir haben dir auch noch nicht von Yu erzählt«, sagte Yukiko. »Er ist Dojima-sans Neffe und war letztes Jahr in unserer Klasse.«[/LEFT] [LEFT]Warum war er jetzt nicht mehr da? Es schien nichts Trauriges dahinterzustecken, denn jeder lächelte bei dem Gedanken an ihn sofort. Zu fragen traute sie sich dennoch nicht.[/LEFT] [LEFT]Yosuke seufzte plötzlich und blieb stehen. »Ich finde es großartig, dass ihr euch so gut versteht, denn ich muss jetzt Abschied von euch nehmen. Ich wohne da drüben.«[/LEFT] [LEFT]Er deutete in Richtung Junes, er lebte also wohl in der Nähe.[/LEFT] [LEFT]»Ich muss auch woanders lang«, schloss Naoto sich an. »Wir sehen uns morgen wieder.«[/LEFT] [LEFT]Damit verabschiedeten die beiden sich und gingen unterschiedliche Straßen hinunter.[/LEFT] [LEFT]Statt weiterzulaufen blieben die anderen immer noch stehen und sahen Mei an. Sofort ergriff die Furcht wieder ihr Inneres. Würde man ihr nun sagen, dass man eigentlich doch keine Zeit mit ihr verbringen wollte? Dass man Yosuke nur einen Gefallen getan hatte? Nein, sie sahen seltsam besorgt aus, außer Kanji, der die Stirn gerunzelt hatte.[/LEFT] [LEFT]Rise stellte schließlich eine Frage: »Stimmt das mit den goldenen Augen?«[/LEFT] [LEFT]Mei winkte ab. »Ich sagte doch bereits, das war vermutlich nur eine Reflektion der Straßenlampen. Niemand hat schließlich goldene Augen … oder?«[/LEFT] [LEFT]So wie die anderen aussahen, käme man auf den Gedanken, dass es doch so war.[/LEFT] [LEFT]Chie rang sich zu einem Lächeln durch. »Nein, natürlich nicht. Das wäre doch seltsam.«[/LEFT] [LEFT]Sie warfen sich wieder einen dieser vielsagenden Blicke zu, mit denen Mei nichts anzufangen wusste. Bevor die Situation unangenehm werden konnte, räusperte Kanji sich bereits: »Yo, ähm … sollten wir nicht mal wieder über etwas Besseres reden?«[/LEFT] [LEFT]»Kanji hat recht.« Rise griff nach Meis Arm und setzte sich gemeinsam mit ihr wieder in Bewegung. »Reden wir lieber über Hobbys, und wann du bei uns Tofu kaufen kommst. Und welches meiner Lieder du am meisten magst~.«[/LEFT] [LEFT]Die anderen schlossen sich ihnen sofort an, scheinbar erleichtert, was Mei noch mehr irritierte. Doch vorerst ignorierte sie dieses Verhalten noch einmal und erfreute sich an ihren neu gefundenen Freunden, während sie weiter gemeinsam nach Hause liefen.[/LEFT] Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)