Der Duft des Todes von Watershine ================================================================================ Prolog: -------- Es war der elfte Monat vergangenen Jahres. Zu dieser Jahreszeit war es in Münster ungewöhnlich kalt. Sanfter Regen fiel auf die schwarz gekleideten Menschen herab. Es war, als hätte sich die gesamte Stadt versammelt um Gudrun Müller die letzte Ehre zu erweisen. Frank, der Sohn der verstorbenen Frau, stand mit seiner Familie ganz vorne am Grab, als der Sarg niedergelassen wurde. Seine Frau Larissa hielt die gemeinsame Tochter im Arm. Das kleine Mädchen mit ihrem braunen Teddy blieb von der Traurigkeit, die allen Erwachsenen ins Gesicht geschrieben stand, unberührt. Über den schwarzen Regenschirmen hinweg wehte ein leichter Wind. Die Zeremonie fand ihr Ende und die Trauernden verließen den Friedhof. TAG 1 - Einige Zeit später -------------------------- Nach der Verlesung des Testaments zog die junge Familie in das Haus von Franks verstorbener Mutter ein. Mit schweren Koffern traten sie in das Wohnzimmer und schauten sich um als wären sie lange nicht mehr da gewesen. Larissa hatte hier lediglich mal ihre Tochter über das Wochenende abgesetzt. Selbst ist sie nie lange geblieben. Ihre Schwiegermutter und sie verstanden sich nicht so gut. Eine altmodische Couch stand inmitten des Wohnzimmers und war auf den eher modern aussehenden Fernsehschrank gerichtet. Am Fenster standen auf einem Sims über der Heizung mehrere pinkfarbene Orchideen. “Wunderschön”, bemerkte Larissa. “Wusstest du, dass sie diese Orchideen gezüchtet hat?”, fragte Frank seine Frau. “Nein. Das wusste ich nicht", antwortete Larissa. Frank stellte die schweren Koffer ab. “Naja, wie dem auch sei. Packst du bitte mit an”, forderte er sie auf. “Nina, Schatz, geh doch schon mal nach oben und zeig deinem Teddy sein neues zu Hause", bat die Mutter das kleine Mädchen. Mit einer Hand am Treppengeländer und in der anderen den Teddy mit den Knopfaugen, machte sich das Kind langsam auf den Weg nach oben zu den Schlafzimmern. Während die Eltern die Koffer vom Dach des Autos holten, erkundigte Nina das erste Stockwerk. Alles sah noch so aus wie früher. Der dunkle Teppich, das wenige Licht im Flur, der Geruch alter Möbel. Es hatte sich nichts geändert. Vorsichtig öffnete Nina die Tür zum Badezimmer. Nachdem sie einen schüchternen Blick hinein geworfen hatte, ließ sie die Tür einen Spalt weit offen und ging den Flur entlang zum nächsten Zimmer. Plötzlich vernahm sie ein Geräusch aus dem Badezimmer und blieb irritiert stehen. Mit kräftigen Griff umklammerte sie ihren Teddy. Langsam ging sie zu dem Raum zurück und blickte durch den Türspalt. Sie konnte nur das Waschbecken erkennen und öffnete die Holztür etwas weiter, um auch die Badewanne sehen zu können. Ihr Blick wanderte von dem Duschvorhang über den Duschkopf zu den Flaschen auf der Wanne. Eine der Flaschen fehlte. Zwischen den blauen und grünen Flaschen war vorher noch eine pinkfarbene gewesen. Nun öffnete das Mädchen die Tür ganz und ging langsam zur Badewanne. Mit zögerlichen Schritten kam sie der Wanne immer näher. Noch ein kleines bisschen näher. Noch näher. Plötzlich fuhr Nina zusammen. Aus dem Wohnzimmer ertönte ein lautes Poltern. Noch ehe sie in die Wanne schauen konnte, rannte sie aus dem Zimmer. Die nächste Tür befand sich neben dem Badezimmer. Dieses Zimmer löste bei ihr ein freudiges Gefühl aus. Es war das Schlafzimmer ihrer Oma, bei der sie ab und zu auf dem Bett springen durfte. Mit viel Kraftaufwand kletterte sie rauf und begann zu hüpfen. Schwere Vorhänge hielten das Sonnenlicht davon ab den Raum voll auszuleuchten. Der Kleiderschrank knarrte. Nina hörte auf zu hüpfen. Das Mädchen ließ den Blick nicht von dem Schrank in der dunklen Ecke ab. Sie war sich sicher, dass sich da etwas bewegt hatte. Während sie das Bett herunter kletterte und ihren Teddy mit sich zog, knarrte es wieder. Die Schranktür öffnete sich. Dann quietschte es. Es war so zäh, so laut und unheimlich. Das Mädchen rannte mit weit aufgerissenen Augen aus dem Schlafzimmer in den Flur und so schnell es ihr möglich war auf die Treppe. Auf der letzten Stufe blieb sie stehen um nach ihrer Mutter zu rufen. Diese kam von draußen rein gerannt und fragte aufgeregt, ob etwas passiert sei. “Da oben spukt es", antwortete das Kind verängstigt. Die Mutter tätschelte das Mädchen auf den Kopf. “Ich komme mit dir hoch", sagte sie und nahm die Kleine an der Hand. Zuerst gingen sie ins Badezimmer. “Diese grünen Fliesen sind nicht mein Geschmack. Eine separate Dusche wäre auch besser. Nun ja. Es wird schon gehen. Gut, dass dein Vater gestern schon mal hier war und die Heizung hochgedreht hat", meinte Larissa und beugte sich über die Wanne um eine pinke Flasche aufzuheben. “Das muss wohl runter gefallen sein", erklärte sie ihrer Tochter. Danach gingen sie nebenan ins Schlafzimmer. Nina blieb im Türrahmen stehen. “Möchtest du nicht rein?”, fragte ihre Mutter. Nina schüttelte den Kopf. “Ist das nicht das Bett von dem du mir erzählt hast?”, wollte Larissa wissen. Sie ließ die Hand des Mädchens los und ging zum Fenster um die schweren Vorhänge weiter auf zu ziehen. Nun war der Raum hell ausgeleuchtet. “Kann man so lassen", sagte sie und verließ das Schlafzimmer. Nina folgte ihr. “Und das hier wird dann wohl dein Zimmer sein", sprach die Mutter und öffnete die Tür zu dem ehemaligen Gästezimmer. Nina schaute es sich an, bevor sie eintrat. Es war das Zimmer mit der rosafarbenen Blumentapete an der Wand. Ein kleines, weißes Bett stand gegenüber von einem Fenster. Es war wie für Nina gemacht. Ein paar Puppen saßen auf einer Kommode neben der Tür und starrten das Mädchen an. “Gefällt dir dein neues Zimmer?”, wollte die Mutter wissen und lächelte sanft. Das Mädchen nickte und kroch auf das Bett. “Ich muss jetzt deinem Vater helfen. Kommst du klar, mein Schatz?”, fragte die Frau ihr Kind. Wieder nickte Nina nur. Am Abend hatte sich die Familie eingerichtet und sich zum Abendessen versammelt. Natürlich war der Teddy mit den Knopfaugen auch dabei. Draußen hatte der Wind stark zugenommen und ein Sturm war für die Nacht angekündigt. Nina fuhr zusammen, als ein schrilles Pfeifen erklang. “Keine Angst, mein Schatz. Das ist nur der Wind", erklärte Frank seiner Tochter. Plötzlich flackerte das Licht. Nina erstarrte. Frank fuhr fort: “Das Haus ist eben alt. Liegt vermutlich an dem Sturm. Das legt sich wieder" Larissa schaute skeptisch und schenkte sich Wasser ins Glas. Nina hatte kaum etwas gegessen und schlief am Tisch fast ein. Nachdem Frank seine Tochter in ihr neues Bett gebracht hatte, fiel sein Blick auf die Orchideen, die scheinbar in jedem Raum am Fenster standen. “Sind die Blumen nicht schön?”, fragte er seine Tochter um sie von dem Sturm abzulenken. “Sind sie", antwortete sie. Der Wind zog durch das undichte Fenster und heulte auf. Frank gab seiner Tochter einen Kuss auf die Stirn und machte das Licht aus. Eine kleine Tischlampe ließ er für sie an. Nach dem er die Tür hinter sich verschlossen hatte, kroch das Mädchen mit ihrem Teddy unter die Decke. Es wurde spät und der Sturm wütete weiterhin. Ein Zweig flog gegen das Fenster und weckte Nina auf. Vorsichtig kroch sie unter der Decke hervor. Das kleine Licht war aus. Ab und zu schaffte es das Mondlicht zwischen den Wolken hindurch und erhellte den Raum. Es war warm im Zimmer und ein lieblicher Geruch lag in der Luft. Nina schaute zu den Puppen. Ihre Gesichter waren unheimlich. Plötzlich ertönten Schritte, die von den Stufen im Flur kamen. Sie kamen immer näher. Die Zimmertür öffnete sich lautlos und eine Schattengestalt trat ein. Wie ein Stein erstarrte das Mädchen. Nicht einmal zu Atmen traute sie sich. Das dunkle Wesen wurde größer. Es kam näher in Ninas Richtung. Noch ein Stückchen näher. Noch näher. Dann machte es kehrt und bewegte sich zu den Puppen. Dort war es nun. Die dunkle Gestalt, welche sie am Mittag schon einmal im Schlafzimmer ihrer Eltern gesehen hatte. Ein großes Auge beobachtete sie. Stillschweigen. Mehrere Minuten vergingen in denen sich das Mädchen und das Wesen anstarrten. Dann polterte es laut. Der Sturm hatte einen riesigen Ast auf das Dach geworfen. Die Eltern wurden wach und erkundigten sich um das Wohlergehen des Kindes. Das Licht ging an und das Wesen war augenblicklich verschwunden. “Alles in Ordnung?”, fragte die Mutter und setzte sich unruhig zu ihrer Tochter ans Bett. “Das hat sich nicht gut angehört. Sollte ich mir morgen mal anschauen", meinte der Vater, der an der Türschwelle stehen geblieben war. “Mama, kannst du bei mir schlafen? Da war ein Monster", flüsterte Nina. “Aber Schatz, es gibt keine Monster", erklärte Frank. “Aber ich habe es gesehen. Es war dunkel und hatte nur ein Auge", widersprach sie. “Du hast eine blühende Fantasie", meinte ihre Mutter und nahm die Kleine in den Arm. “Ich werde heute Nacht bei dir schlafen", versprach Larissa. TAG 2 - Komische Dinge ---------------------- Am nächsten Morgen waren die Schäden, die der Sturm hinterlassen hatte deutlich sichtbar. Dachziegel fehlten und lagen verteilt im Hof und im Garten. “Das ist kein guter Start für ein neues Zuhause", meinte Frank, als er sich das Haus von außen betrachtete. Nach dem er mit einer Firma telefoniert hatte, die das Dach reparieren sollte, nahm er ein Gespräch von seiner Arbeitsstelle entgegen. “Ja, ich verstehe", sagte er und legte auf. Larissa war gerade dabei in der Küche Wasser aufzusetzen und Nina spielte mit ihrem Teddy am Esstisch. “Ich habe Neuigkeiten", begann der Mann zu erzählen. Seine Frau summte fröhlich vor sich hin. “Was gibt es?”, wollte sie wissen, als sie gerade das Geschirr in den Schrank räumte. “Mein Kollege ist krank geworden und kann dieses Wochenende nicht an dem schon bezahlten Seminar teilnehmen. Ich wurde gefragt ob ich an seiner Stelle da hin möchte", erklärte der Mann. “Und was hast du geantwortet?”, fragte die Frau. “Ich mache es", sagte er mit fester Stimme. Larissa war nicht glücklich darüber, mit Nina über das Wochenende alleine gelassen zu werden. “Ich habe heute ja noch frei. Also werde ich mich mal um die undichten Stellen hier im Haus kümmern. Ich fahre kurz in die Stadt, um Werkzeug zu holen. Denn abgesehen von ein paar Gartenwerkzeuge gibt es hier nichts, was sich zur Reparatur verwenden lässt", sprach er und verschwand kurz darauf. Nachdem das Auto am Ende der Straße nicht mehr zu sehen war, gingen Larissa und Nina zurück ins Haus. “Komm. Ich mache dir dein Frühstück fertig", sagte die Frau zu ihrer Tochter und beide schlenderten gemütlich in Richtung Küche. Als Larissa die Küche betrat, blieb sie überrascht stehen. Die Zuckerdose war auf den Boden gefallen und hatte den Zucker über die Fliesen verstreut. “Wie ist das denn passiert?”, fragte sie sich und schaute zu Nina. Doch ihre Tochter war die ganze Zeit bei ihr gewesen. Sie konnte nichts damit zu tun haben. Da Larissa noch einiges vor hatte, machte sie sich keine weiteren Gedanken darüber und holte einen Besen. Die Zeit verging und Nina schaute im Wohnzimmer Fernseher, während ihre Mutter im Kinderzimmer Staub wischte. Gerade war Larissa dabei die Fensterbank zu säubern und die Orchideen wieder auf ihren Platz zu stellen, da vernahm sie ein Flüstern. Es huschte unverständlich an ihrem Ohr vorbei. Dann bemerkte sie, dass eine der Puppen von der Komode, mit dem Gesicht nach unten, auf den Boden gefallen war. Verwundert hob sie die Puppe auf, um sie sich anzuschauen. Mit einem schrillen Schrei ließ sie diese sofort wieder fallen. Nina stand von der Couch auf und ging zur Treppe. “Alles okay, Mama?”, rief sie hinauf. “Alles gut, Schatz. Ich habe mich nur erschreckt", rief ihre Mutter zurück. In der Annahme alles sei in Ordnung, setzt sich das Kind wieder auf die alte Couch. Der Empfang im Fernseher wurde schlechter und dann war nur noch Schnee zu sehen. Wie hypnotisiert starrte das Mädchen auf das Rauschen. Larissa hob indes noch einmal die Puppe auf. Dieses Mal sah ihr Gesicht nicht so zerfetzt aus. Es war auch nicht voller Blut und es hatte auch nicht mehr diesen fauligen Geruch. Nur ein Auge fehlte. Da dachte sie daran, was ihre Tochter letzte Nacht erzählt hatte und glaubte, dass das einäugige Monster die Puppe war. Die Frau krabbelte auf dem Boden und tastete den gemusterten Teppich ab. Sie machte sich Hoffnung das fehlende Auge zu finden. Sie kam dem Bett immer näher. Mit einem Schwung hatte sie die Tagesdecke hochgeworfen, um einen Blick drunter werfen zu können. Ein leuchtendes gelbes Auge mit einer schmalen Pupille starrte sie aus der dunkelsten Ecke an. Es war nur ein Auge. Keine Ohren, kein Mund, kein Körper. Nur ein unheimliches, großes Auge. Larissa erstarrte und blickte in das gelbe Auge. Sie wagte es nicht zu zwinkern. Als ob die Zeit stehen blieb, starrten sie sich an. Plötzlich eilte das Wesen auf sie zu. Von Angst gelähmt kniff die Frau ihre Augen zusammen. Fast lautlos war das Wesen ihr näher gekommen. Ein Windhauch zog an ihr vorbei. Dann schien es weg zu sein. Vorsichtig öffnete Larissa ein Auge. Ganz langsam dann das andere. Ihr Atem ging schwer. Ihr Herz raste. Doch als sie die Augen wieder vollständig geöffnet hatte, lag da nur das fehlende Auge der Puppe. Angstschweiß überkam sie. Die Luft schnürte ihren Hals zu. Blitzartig griff sie nach dem Puppenauge und warf die Tagesdecke wieder zurück. Völlig verwirrt stellte sie die Orchideen auf den Boden und riss das Fenster auf, um Luft zu schnappen. Der Wind wehte durch ihr blondes, welliges Haar und weckte sie wieder auf. Sie redete sich ein, dass das alles nur Einbildung gewesen sei. Plötzlich knarrte es hinter ihr. Es fuhr ihr kalt den Rücken hinunter. Dann knarrte es wieder und dann noch einmal. Dieses Mal war es näher. Larissa riss die Augen auf und drehte sich erwartungsvoll zur Zimmertür. Doch dann verzog sich ihre ernste Miene und ein Lächeln breitete sich aus. Ihre Tochter war die Treppe zu ihr hinauf gestiegen. “Alles okay Mama?”, fragte Nina. “Ja, ja, alles okay. Ich habe heute Nacht wohl zu wenig Schlaf bekommen", antwortete sie. “Der Fernseher geht nicht mehr", erzählte das kleine Mädchen mit dem Teddy in der Hand. “Die Satellitenschüssel muss bei dem Wetter wohl was abbekommen haben. Dein Vater kann sich das, wenn er zurück ist, mal ansehen", sprach Larissa und reichte ihrer Tochter die Puppe. “Du musst letzte Nacht wohl diese Puppe gesehen haben. Ihr fehlt ein Auge. Hier. Ich habe das andere Auge gefunden und werde es später annähen", sagte sie und machte auf das Auge in ihrer rechten Hand aufmerksam. Nina gab sich mit dieser Aussage zufrieden und blieb auf dem Zimmer, um mit den anderen Puppen zu spielen. Larissa machte sich auf den Weg runter, um im Wohnzimmer weiter aufzuräumen. Als sie später in die Küche ging, lag dort wieder die Zuckerdose auf dem Boden und der ganze Zucker war verstreut. Verärgert holte sie den Besen aus dem Schrank. In ihrer Erinnerung hatte sie das längst sauber gemacht. Nachdem das geschafft war, wollte sich die Frau auf die Couch legen um auszuruhen. Sie zog die Hausschuhe aus und legte die Füße hoch. Kaum entspannte sie, öffnete sich die Haustür. Frank war aus der Stadt zurückgekehrt und hatte einiges an Werkzeug mitgebracht. Unter anderem Holzbretter um das Haus an den Stellen abzudichten, die am schlimmsten betroffen waren. Denn der Dachdecker hatte erst für kommende Woche zugesagt. “Ich werde gleich loslegen, damit ich morgen früh auf das Seminar fahren kann ohne mir Sorgen zu machen, dass es hier rein regnet. Für die Fenster habe ich Gummidichtungen geholt", erklärte er seiner Frau. Larissa konnte ihm nur halb folgen, so müde war sie. Sie schlief ein und träumte von dem Auge, welches sie unter dem Bett gesehen hatte. Es saß in einer dunklen Ecke und dann, ganz plötzlich schnellte es lautlos auf sie zu. Ein Knall ertönte und Larissa schreckte hoch. Frank hatte mit den Arbeiten auf dem Dach begonnen. Am Abend nachdem Nina zu Bett gebracht wurde, saßen beide Elternteile auf der Couch. Eine Flasche Weißwein und zwei Gläser standen auf dem wackeligen Tisch. “Ach ja, ich vergaß es dir zu sagen, aber der Fernseher geht nicht", erklärte Larissa ihrem Mann, der sich gerade die Fernbedienung geschnappt hatte. Er schaltete das Gerät ein. “Funktioniert doch", meinte er. “Heute mittag ging es wohl nicht. Als ich runter kam war da nur ein schwarz-weißes Rauschen. Vielleicht hat die Schüssel etwas bei dem Sturm vergangene Nacht abbekommen", meinte Larissa. “Dann würde es jetzt aber auch nicht gehen", erklärte er seiner Frau. “Hier passieren komische Dinge", begann sie zu erzählen und füllte den Weißwein in die Gläser. “Was denn zum Beispiel?”, fragte Frank. “Kann ich nicht genau erklären", dachte Larissa laut nach. “Es gibt keine Geister und für alles was passiert, gibt es eine Erklärung. Deine Tochter hat dich mit ihrer Fantasie angesteckt", meinte der Mann und trank das Glas in einem Zug aus. “Dieses Haus ist alt, aber es ist unser neues Zuhause. Ich weiß, dass du gerne in der Stadt geblieben wärst, aber auf Dauer hätten wir es uns nicht leisten können", begann er zu erklären. Dann fuhr er fort: “Was du brauchst ist ein Hobby. Meine Mutter hat Orchideen gezüchtet. Warum schaust du dir nicht mal ihre Notizen an? Vielleicht findest du Gefallen daran" “Orchideen am Leben halten kann ich, aber sie züchten?”, überlegte Larissa laut. “Versuch es. Ich hole die Unterlagen morgen aus dem Schuppen, bevor ich abfahre", ermutigte Frank seine Frau. Sie nickte und widmete ihre Aufmerksamkeit dem Fernseher. Die Zeit verging und der langweilige Krimi wollte nicht enden. Der Wein ging zur Neige und Larissa wünschte sich einfach nur fort. Sie war kurz davor einzunicken, als sie etwas aus der Küche hörte. Sie lauschte noch genauer. “Da war doch was? Oder etwa nicht?”, dachte sie sich. Für einen Moment waren nur die Darsteller im Fernseher zu hören. Larissa wandte sich wieder dem Film zu. Wieder war da ein Geräusch aus der Küche. “Hast du das gehört?”, fragte sie ihren Mann. “Nein. Was denn?”, gab er vor wissen zu wollen und konzentrierte sich mehr auf den Film, als auf seine unruhige Gattin. Das Geräusch ließ die Frau nicht mehr los und trotzdem versuchte sie es zu ignorieren. Sie leerte die Weinflasche in ihr Glas und nahm ein paar große Schlucke. Im Flur war es dunkel und Larissa hatte nicht bemerkt, dass sich ihre Tochter die Treppe hinunter geschlichen hatte. Fassungslos stand die Kleine in der Küche. Sie wollte sich heimlich am Kühlschrank ein Stück Kuchen holen, als es plötzlich anfing Kieselsteine zu regnen. Vor dem Kühlschrank bildete sich ein kleiner Haufen Kies, der immer größer wurde. Mit dem Teddy in der Hand schaute das junge Mädchen dem Schauspiel zu. Das Licht ging an und Frank stand in der Tür. “Warum bist du nicht im Bett?”, fragte er das Kind und eilte zum Kühlschrank. Müde und verwundert beobachtete das Kind, wie ihr Vater durch den Kieshaufen trat um eine Flasche Wein aus dem Kühlschrank zu holen. Er schien nicht zu bemerken, dass seine Fußbewegungen, den Kies im Raum verteilte. Wortlos deutete Nina darauf. “Möchtest du etwas aus dem Kühlschrank?”, fragte er, nach dem er davon ausging, dass sie auf den Kühlschrank zeigte. Sie schüttelte den Kopf und eilte zur Treppe. “Schatz, du bist ja noch wach", stellte Larissa fest. “Nein, ich schlafe. Gute Nacht", sagte Nina und ging die Treppe hinauf. Sie legte sich in ihr Bett und sprach zu ihrem Teddy: “Warum konnte er es nicht sehen? Du hast es es doch auch gesehen" Und für einen kleinen Moment hatte man den Eindruck gewonnen, dass der Bär mehr als sonst lächelte. Wieder wachte das Kind des Nachts auf und schaute sich unruhig im Zimmer um. Die Fenster waren geschlossen. Draußen war keine Wolke am Himmel zu sehen. Der Wind heulte leiser als die Nacht zuvor. Die Vorhänge warfen unheimliche Schatten. Da war es wieder. Schritte. Schritte, die die Treppe hinauf stiegen. Sie kamen immer näher. Lautlos öffnete sich die Tür. Ein Schatten trat ein. Die dunkle Gestalt hatte ein leuchtendes, gelbes Auge mit einer schmalen Pupille. Es starrte das Mädchen an. Aus Angst drückte Nina ihren Teddy fest an sich. Blitzartig sprang das Wesen auf das Kind zu. Nina presste ihren Kopf in das Plüschtier und schrie so laut sie konnte. Wenige Minuten später standen die Eltern bei ihr im Zimmer. Panisch fuchtelte Nina um sich. Larissa versuchte sie zu beruhigen und nahm sie in den Arm. Frank wollte wissen was passiert sei, aber seine Tochter weinte nur und brachte kein Wort heraus. Die Blumen lachten das Mädchen aus. Die Puppen hatten ihre Augen verloren und weinten Blut. In einer anderen Ecke regnete es Kies. Doch keiner außer Nina konnte das sehen. So weinte sich das Kind völlig verängstigt in den Schlaf. TAG 3 - Und es wurde schlimmer ------------------------------ Als Nina durch das Vogelzwitschern am Fenster wach wurde, war es bereits Morgen. Frank hatte sich von seiner Frau verabschiedet und wie versprochen die Notizen seiner Mutter auf den Küchentisch gelegt. Es war ein kalter Tag, daher blieben die Fenster geschlossen. Für das Wochenende wurde Schnee angekündigt. Larissa machte gerade den Abwasch, als Nina herein kam. “Mama? Warum ist die Dose wieder auf dem Boden?”, fragte das Kind. Während die Mutter den Teller zum Trocknen ablegte, wollte sie wissen: “Was meinst du?” Doch als sie auf den Boden schaute lag da tatsächlich wieder die Zuckerdose. So langsam war es unheimlich. Ihr fiel auch keine Ausrede mehr ein, mit der sie sich selbst belügen konnte. “Du hast lange geschlafen. Geht es dir besser?”, fragte sie ihre Tochter und trocknete sich die Hände an der Schürze. “Ich habe gut geschlafen, aber das einäugige Monster hat die Augen meiner Puppen gestohlen", erklärte Nina völlig ruhig. Larissa war sprachlos. Entsetzt stellte sie die Dose auf den Tisch und rannte die Stufen hoch in Ninas Zimmer. Sie atmete auf, als sie feststellte, dass die Augen der Puppen noch da waren. Langsam streifte ihr Blick durch den Raum und dann wieder auf die Puppen. Schreckhaft hielt sie sich die Hand vor den Mund, um nicht laut zu schreien. Die Augen fehlten, das Gesicht zerfetzt und voller Blut. “Mama?”, rief Nina nach oben. Ohne zu wissen, was sie ihrer Tochter sagen sollte, ging sie die Treppe hinunter. “Du setzt dich jetzt auf die Couch. Ich mache dir Müsli und räume in der Küche auf. Deine Puppen sind krank. Sie werden aber wieder gesund", sagte die Mutter nervös und kehrte in die Küche zurück. Zuerst säuberte sie den Boden. Danach machte sie den Abwasch. Um zwischendurch mal zu pausieren, setzte sie sich an den Küchentisch und blätterte in den Unterlagen ihrer Stiefmutter. Desinteressiert schaute sie sich die Zeichnungen an und las immer nur ein paar Zeilen. Dann kam Nina mit ihrer leeren Müslischale herein. “Mama, der Fernseher geht wieder nicht", sagte die Kleine. Genervt nahm Larissa ihrer Tochter die Schale ab und stellte sie in die Spüle. Dann gingen beide wieder ins Wohnzimmer. Ein lieblicher Geruch stieg der Frau in die Nase. Sie erinnerte sich, das schon mal in einem der Zimmer gerochen zu haben. Entschlossen dem Geruch auf die Spur zu gehen schnupperte sie in Richtung der Orchideen. “Schau mal Mama. Da ist das einäugige Monster", rief Nina entsetzt und deutete auf das Fernsehgerät. “Ich sehe da nichts", sagte die Mutter und wollte sich abwenden, als sich in dem Rauschen eine Gestalt formte. Neugierig ging Larissa darauf zu. Sie holte aus und schlug auf den Bildschirm in der Hoffnung, der Fernseher würde sich wieder fangen. “Mama, die Puppen kommen die Treppe herunter", rief Nina verängstigt. Und tatsächlich hüpften die augenlosen Puppen die Stufen hinunter. Verzweifelt und von Panik gepackt rannte Larissa zu ihrer Tochter, packte sie am Arm und rannte mit ihr zur Eingangstür. Vergeblich versuchte sie diese zu öffnen, aber sie rührte sich kein bisschen. Sie drehte den Schlüssel in alle Richtungen, aber die Tür wollte einfach nicht aufgehen. Nun hatten die Puppen das Wohnzimmer erreicht und hüpften auf der alten Couch. Daraufhin begannen die Orchideen an zu lachen. Jetzt war sich Larissa sicher, dass sie den Verstand verlor. “Da kommt das einäugige Monster um unsere Augen zu holen", sprach Nina im Flüsterton. Sie starrte zum Fernsehgerät und ihre Mutter folgte dem Blick. Die dunkle Gestalt hatte ihr eines Auge geöffnet und schaute sich im Raum um. In der Annahme, dass das Monster die Aufmerksamkeit auf die hüpfenden Puppen gerichtet hatte, warf Larissa ihre Tochter über die Schulter, rannte an den nach Verwesung riechenden Puppen vorbei und sperrte sich in der Küche ein. Angst packte die Mutter. Sie mussten aus dem Haus. Das war der einzig klare Gedanke, den sie fassen konnte. Doch auch das Küchenfenster ließ sich nicht öffnen. Bei dem hektischen Versuch es aufzureißen, fiel der Blumentopf mit der Orchidee herunter und zersprang. Wieder nahm die Frau den lieblichen Geruch war. Nina weinte und beobachtete die Tür, gegen die von außen gehämmert wurde. Die Sonne wurde von Wolken verdeckt und in der Küche wurde es dunkler. Das Klopfen hörte abrupt auf. “Ist es vorbei?”, fragte sich die Mutter und setzte das Kind ab. Augenblicklich wurde es kälter im Raum. Kieselsteine fielen von der Decke. Larissa versuchte noch einmal das Fenster auf zu bekommen. Es war vergeblich. Also fasste sie den Entschluss, die Monster von ihrer Tochter weg zu locken. Sie öffnete den Küchenschrank unter der Spüle und bat Nina sich dort drinnen zu verstecken. “Mach die Augen zu, Kleines. Hier, dein Teddy passt auf dich auf. Aber ihr müsst leise sein, verstanden?”, sagte sie zu dem Mädchen. Nina nickte und zog die Nase hoch. Dann schnappte sich die Frau eine Bratpfanne und schützte sich damit vor dem Kieselregen. Zögernd umklammerte sie den Türgriff. Durch die fallenden Steine konnte sie nicht hören, ob sich etwas hinter der Tür bewegte. Sie begann langsam runter zu zählen. ...vier, drei, zwei, .. und noch ehe die Zahl eins in ihrem Kopf war, drückte sie die Tür mit einem heftigen Schwung auf, holte mit der Bratpfanne zum Schlag aus und ... stellte fest, dass da nichts war. Larissa zitterte am ganzen Leib. Ihre Angst war groß, aber der Wille ihre Tochter zu beschützen, war größer. Langsam ging sie voran und lauschte aufmerksam. Das Gelächter der Orchideen war verstummt. Keine lebendigen Puppen auf der Couch. Sogar das rieselnde Geräusch fallender kleiner Steine war verstummt. Zögernd setzte die Frau einen Schritt vor den anderen. Ein Kieselstein, der sich in ihren Haaren verfangen hatte, fiel zu Boden. Erschrocken rannte sie die Treppen hinauf ins Schlafzimmer. Die Blumen begannen wieder zu lachen und Schritte näherten sich. Schnell verschloss Larissa die Tür hinter sich und schaltete das Licht an. Draußen windete es wieder mehr. Es zischte durchs Fenster und sie zuckte zusammen. Langsam und mit einem wachen Auge auf die Umgebung ging sie zum Ehebett. Von dort aus schlich sie zum Fenster. Wieder waren die pinken Orchideen im Weg. Ein lieblicher Duft stieg auf. Larissa wusste, dass das nichts Gutes bedeutete. Das Licht flackerte und fiel aus. Ein Flüstern zog an ihrem Ohr vorbei. Aufmerksam beobachtete sie jeden Schatten. Da sie im Dunkeln nichts erkennen konnte, versuchte sie zu lauschen. Nur der Wind und ihr eigener Atem waren zu hören. Es wurde kälter im Raum. Die Heizung musste wohl ausgefallen sein, dachte sie sich. Larissa bemühte sich ruhig zu bleiben, aber konnte nicht aufhören zu zittern. Immer wieder streifte ihr Blick durch das Schlafzimmer. Da, in einer Ecke des Zimmers, bewegte sich etwas. Die dunklen Wolken ließen kurz das Sonnenlicht hindurch und offenbarte, was sie bereits ahnte. Das einäugige, schwarze Monster stand in der Ecke neben dem Kleiderschrank. Es war größer als zuvor. Das gelbe Auge weit aufgerissen. Die Pupille schmal geformt. Nun hatte es einen Kopf in Form einer Orchidee. Tausende Zähne traten in Erscheinung, als sich das Maul öffnete. Der dunkle Körper schien unaufhaltsam zu wachsen. Tentakel brachen aus dem Gesäß des Monsters heraus. Sie wurden immer länger. Plötzlich schossen zwei der Tentakel auf Larissa zu und umklammerten ihren Hals. Der Würgegriff wurde immer fester. Sie versuchte die Tentakel mit ihrer freien Hand los zu werden, doch ihre Energie reichte dafür nicht aus. Das Monster kroch immer näher. Der Gestank von verfaultem Fleisch nahm zu. Das Sonnenlicht verschwand wieder und hüllte das Wesen in Dunkelheit. Larissa nahm all ihre verbliebene Kraft zusammen um das Fenster hinter sich mit der Bratpfanne zu zerschlagen. Es schepperte und das Glas zerfiel. Ohne einen Laut ließen die Tentakel von der Frau ab. Kraftlos fiel sie zu Boden und hustete. Nach dem Larissa ein paar Mal tief Luft geholt hatte und sich das Wesen offensichtlich nicht mehr an sie heran traute, kletterte sie auf das Fensterbrett. Dabei zog sie sich ein paar Schnittwunden zu. Es war kalt und Larissa konnte ihren Atem sehen. Sie ließ die Bratpfanne draußen fallen und sprang zum nahe gelegenen Baum. Sie verfehlte nur knapp den dicken Zweig, der sie hätte tragen können und rutschte auf dem darauffolgenden Ästen ab. Mit einem lauten rums landete sie auf dem kalten, harten Boden. Vor Schmerz keuchend versuchte sie aufzustehen. Jeder Atemzug ließ ihre Lunge gefrieren. Sie war mit dem Kleid am Fensterrahmen hängen geblieben. Die Schnittwunden brandten und für einen kurzen Moment dachte Larissa ans Aufgeben. Da ertönte ein Schrei von einem kleinen Mädchen und riss die Mutter aus diesen Gedanken. Während die Mutter sich draußen aufrappelte, kämpfte Nina im Küchenschrank mit dem Teddy. Sein Lächeln war immer breiter geworden, bis sich sein Maul öffnete, um das kleine Mädchen zu verspeisen. Hilflos trat sie gegen das Plüschtier, das ihr immer wieder in den Fuß biss. In dem Schrank war kaum was zu sehen. Nina schrie vor Angst und hämmerte gegen die Schranktür. Endlich war die Tür aufgesprungen sodass sie herausklettern konnte. Irrtümlicherweise wog sich das Kind nun in Sicherheit. Als Nina zur Zimmertür blickte, begann sie wieder zu schreien. Larissa hatte sich, mit der Bratpfanne in der Hand, aufgerafft und rannte zum Küchenfenster mit der Absicht es von außen einzuschlagen. Doch dann fiel ihr die Axt auf, die neben dem Kaminholz unter dem Fenster lag. Sie wechselte ihre Waffe und änderte ihren Plan. Sie rannte zum Haupteingang des Hauses. Gerade als sie die Tür einschlagen wollte, öffnete sich diese wie von selbst. Vorsichtig trat sie ein. Nina schrie immer noch. Auf dem Weg zur Küche musste es nun schnell gehen. Ohne nach links oder rechts zu schauen rannte Larissa durch das Wohnzimmer zur Küche. Im Türrahmen stand das Monster mit den Tentakeln. Nina drückte ihren kleinen Körper an den Schrank. Das Monster vor ihr hatte die Form eines Menschen angenommen und streckte die Hände nach ihr aus. Das gelbe Auge war so groß wie der Kopf selbst. An den Enden der Arme öffneten sich Münder. Fast erreichte sie eines dieser Münder. Sie drehte den Kopf zur Seite und quetschte das Gesicht an die Schranktür. Hinter dieser Tür tobte immer noch der wild gewordene Teddy. Ein widerlicher Geruch lag in der Luft. Das Monster hatte kurz vor Ninas Wange Halt gemacht und den Mund geöffnet. Eine schwarze Zunge fuhr aus und leckte die Wange des Mädchens. Plötzlich brach das Wesen vor ihr zusammen. Larissa hatte es mit der Axt von hinten erschlagen. Noch immer steckte die Waffe im Kopf des Monsters. “Komm her Schatz", sagte die Mutter nach Luft ringend und nahm ihre Tochter auf den Arm. “Wir verschwinden hier", sprach sie. Doch als sie in den Flur kamen, waren da wieder die unheimlichen Puppen hüpfend auf der Couch. Zurück in der Küche griff Larissa nach der Zuckerdose und warf sie durch das Fenster. Ein Windstoß wirbelte die Unterlagen vom Tisch auf und eines der losen Blätter landete vor den Füßen der Frau. Rein aus Intuition griff sie nach dem Papier und steckte es in ihre Rocktasche. Mutter und Kind kletterten aus dem Fenster und rannten quer über den Hof bis zu einem Baum. Nach dem Larissa ihre Tochter hinter einem Gebüsch versteckt hatte und ihr andeutete still zu sein, begutachtete sie die Notizen der verstorbenen Frau. Auf einmal war ihr klar, was sie tun musste. “Schatz, du bleibst hier. Ich muss nochmal zum Haus", erklärte sie dem Kind. Nina schüttelte den Kopf. Doch das hielt ihre Mutter nicht davon ab aus dem Gebüsch zu springen. Larissa rannte über den Hof in den Schuppen und suchte nach einem Benzinkanister. Unter einigem Gerümpel wurde sie dann fündig. Am Tor lag in einer Schachtel das Feuerzeug, dass Frank immer nutzte um heimlich zu rauchen. Sie verdrängte den Gedanken an den Geruch, der dadurch an ihrem Mann haften blieb, steckte das Windfeuerzeug in die Rocktasche. Als Larissa vor dem Hauseingang stand musste sie noch einmal ihren Mut zusammen fassen. Sie öffnete den Deckel und rannte durch die offene Eingangstür ins Haus. Es war dunkel, kein Strom und kein Sonnenlicht. Doch Larissas Augen hatten sich daran gewöhnt. Die augenlosen Puppen fielen über sie her. Jeder Biss verlangsamte ihre Schritte. Sie schüttete das Benzin aus und kämpfte sich durch die Puppen in den ersten Stock. Das Gelächter der Blumen wurde unerträglich laut. Sie konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Überall war Blut an den Wänden und es roch nach verfaultem Fleisch. Larissa gab sich Mühe die Puppen abzuschütteln. Sie hatte gerade die letzte Stufe hinter sich gebracht, als sie unter dem Gewicht der Puppen zusammenbrach. Der Kanister kippte um und das Benzin lief aus. Es verteilte sich auf dem gesamten Boden. Larissas Kleid sog ein wenig davon auf. Die Puppen zogen an ihren Haaren, zerrissen ihr Kleid, bissen sie in die Beine oder spuckten ihr Blut ins Gesicht. Schützend nahm sie die Hände über den Kopf. Ab hier konnte sie nicht weiter. Das Benzin verteilte sich weiter und der Geruch übertönte den fauligen Duft der Puppen. Mit der Hoffnung hier lebend raus zu kommen, kroch Larissa auf allen Vieren und mit verschlossenen Augen zum Schlafzimmer. Endlich war sie an der Tür angekommen. Kaum hatte sie diese geöffnet, rannten die Puppen weg. Die Luft wurde klarer und der Wind drang das Böse zurück. Larissa krabbelte nun schneller zum Fenster, zog sich hinauf, kletterte raus und versuchte zum Baum zu springen. Dieses mal hatte sie den richtigen Ast erwischt. Kraftlos stieg sie den Baum hinab. Unten angekommen humpelte sie zur Eingangstür. Aus ihrer Rocktasche holte sie vorsichtig das Feuerzeug hervor und stopfte den Notizzettel, wieder tiefer hinein. “Jetzt endet es", sprach sie kraftvoll sowie siegessicher, zündete das Windfeuerzeug und warf es in den Eingang. Keine Sekunde später stand das Haus in Flammen. Alles auf Anfang ---------------- Larissa war zu ihrer Tochter gehumpelt und hielt sie fest im Arm. Beide zitterten vor Angst aber auch vor der Kälte. Das Feuer stieg immer höher. Da bemerkte Larissa Franks Auto neben dem Haus, was für sie keinen Sinn ergab. Die Feuerwehr, die das Feuer von ihrem Stützpunkt aus kaum übersehen konnten, traf mit Blaulicht und Sirene ein. Sofort begannen die Löscharbeiten. Die Rettungssanitäter waren auch schon da, als Larissa und Nina aus ihrem Versteck kamen. Nach dem ihre Wunden versorgt waren, trat der Hauptmann der Feuerwehr zu ihnen und bat um ein Gespräch mit der Mutter. Sie stimmte zu. Hüllte ihre Tochter noch in eine Decke und ging dann ein paar Schritte mit dem uniformierten Mann. “Wollen Sie mir erzählen was hier passiert ist? Sie stinken nach Benzin. Haben sie das Haus angezündet?”, wollte er wissen. Larissa holte das Dokument hervor, welches sie instinktiv aus der Küche mitgenommen hatte. “Die gezüchteten Orchideen. Ich konnte es mir erst nicht erklären, aber...", begann sie und machte dann eine kurze Pause. Der Feuerwehrmann las von den Notizen vor: “Die neue Gattung der Orchidaceae weist einen lieblichen Geruch auf. Nachtrag: Der Geruch löst Verwirrung im Kopf aus. Ich verliere den Verstand" Er blickte zur Frau, deren Haut bis auf ein paar Schnittwunden keine weiteren Verletzungen aufweiste. In ihrem zerzausten Haar hatten sich die letzten Blätter der Herbstes verfangen. Das Kleid war hinüber. Doch ihre Augen. Er kam ihr näher. “Ihre Pupillen sind geweitet. Hatten Sie Halluzinationen? Was haben sie gesehen?”, fragte er Larissa. Doch noch ehe sie antworten konnte, schrie einer der Feuerwehrmänner, dass er eine männliche Leiche gefunden hätte. Einer der uniformierten Männer trat zum Hauptmann. “Es ist der Sohn von Frau Müller. Da seine Leiche noch nicht vollständig verbrannt ist, konnte ich ihn identifizieren. Eine Axt steckte in seinem Hinterkopf" Mit leeren Blick fiel Larissa auf die Knie. “Warum ist er zurückgekommen?”, fragte sie sich und weinte bitterlich. Epilog: -------- Schneeflocken rieselten vom Himmel. Das Feuer wurde immer kleiner. Der Wind nahm zu. Das letzte Blatt fiel von dem Baum der unmittelbar neben dem brennenden Haus stand und wurde vom Wind davongetragen. Nun stand auch der Baum in Flammen. Dieses Blatt jedoch flog über die Köpfe der Feuerwehrmänner und Sanitäter hinweg bis in die Stadt, wo es sich zwischen schmelzenden Schneeflocken an einem Fenster eines dreistöckigen Gebäudes nieder ließ. Hinter dem Fenster stand eine aufgeklappte Grußkarte mit der Aufschrift: Für Helen. Von deiner Freundin Gudrun Müller. Und hinter der Karte befand sich ein Blumentopf in dem eine pinkfarbene, lieblich duftende Orchidee wuchs. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)