Wayward Son von Morwen (Dean x Sam) ================================================================================ Kapitel 5: The Supernatural --------------------------- Während er durch die belebten Straßen der Innenstadt lief, die Hände in den Taschen seiner Jacke vergraben, versuchte Sam sich zu erinnern, was er über Jason Dunham gelesen hatte. Den Zeitungsartikeln nach war der Mann von Beruf Buchhalter gewesen, was an sich kein besonders aufregender oder gar gefährlicher Job war, weshalb Sam es ausschloss, dass er seinem Mörder auf diesem Weg begegnet war. Er erinnerte sich allerdings auch daran, etwas von einer Suppenküche und einer Anlaufstelle für obdachlose Jugendliche gelesen zu haben, in der Dunham sich engagiert hatte. Wenn er irgendwo Informationen über zwei minderjährige Mädchen auf der Flucht bekommen würde, dann mit Sicherheit dort. Sam erkannte das Mehrfamilienhaus, in dem Dunham gelebt hatte, schon von weitem an der großen Anzahl von Blumen und Kerzen, die die Leute auf die Stufen vor dem Eingang gestellt hatten. Viele hatten Zettel oder Karten mit Dankesbekundungen und Abschiedsgrüßen hinterlassen, und Sam konnte an den Handschriften erkennen, dass auch etliche Schreibanfänger unter ihnen gewesen waren. Ein Begriff tauchte dabei in ihren Nachrichten immer wieder auf – die Abkürzung NWYC. Sam wusste damit nichts anzufangen, aber er spürte, dass er auf dem richtigen Weg war. Ein Stück die Straße hinunter lieh er sich in einem Café das Telefonbuch aus, um unter N nach der Abkürzung zu suchen. Es dauerte nur wenige Minuten, bis er eine Antwort hatte – und eine Adresse. Das North West Youth Center lag etwa eine halbe Stunde von Dunhams Wohnung entfernt und war gerade dabei, seine Kantine zu öffnen, als Sam dort ankam. Um nicht aufzufallen, reihte er sich in die Schlange der wartenden Kinder und Jugendlichen ein, die gekommen waren, um sich eine kostenlose, warme Mahlzeit abzuholen. Während er wartete, dass er an der Reihe war, musste Sam mit aller Mühe den Impuls unterdrücken, sich immer wieder neugierig umzusehen. Er hatte sich noch nie in einer solchen Umgebung bewegt und fragte sich, welche Schicksale sich hinter den hungrigen und erschöpften Mienen der Jugendlichen um ihn herum verbargen. Die meisten schienen etwa in seinem Alter oder nur wenig jünger zu sein, doch er sah auch Kinder, die kaum älter sein konnten, als seine Schwestern, und Sam musste die Zähne zusammenbeißen, weil ihn die Tatsache, dass die Gesellschaft so etwas zuließ, so wütend machte. Und er fragte sich plötzlich, ob es ihm ähnlich ergangen wäre, wäre er als Baby nicht von dem liebevollen, jungen Paar adoptiert worden, das er auch heute noch seine Eltern nennen durfte... „Du bist neu hier“, hörte er auf einmal eine Stimme und Sam hob überrascht den Blick. Er hatte mittlerweile den Anfang der Schlange erreicht und stand einer jungen Frau mit dunklem Haar gegenüber, die ihm über den Tresen hinweg ein Tablett mit Besteck in die Hände drückte. „Ja“, antwortete er einsilbig und senkte den Kopf. „Zweiter Tag.“ „Ich verstehe“, sagte sie voller Mitgefühl. Dann fügte sie hinzu: „Ich bin Laura. Und wie heißt du?“ Er zögerte einen Moment. Seinen echten Namen zu verwenden, war vermutlich nicht die beste Idee, also griff er auf seinen Zweitnamen zurück. „... Billy.“ Sie schenkte ihm ein warmes Lächeln. „Okay, Billy“, erwiderte sie. „Willkommen im NWYC. Heute gibt es leider nicht viel, aber ich hoffe, es reicht trotzdem, um deinen Hunger zu stillen.“ „Danke, Laura“, sagte Sam und lächelte schwach. „Es wird schon genug sein.“ Während er weiter durch die Essensausgabe geleitet wurde und sich das Tablett in seinen Händen mehr und mehr füllte, bekam er ein immer schlechteres Gewissen. Er sollte nicht hier sein. Er hatte eine Familie und ein Dach über dem Kopf, er war nicht auf die Mahlzeit angewiesen, im Gegensatz zu all den anderen, die hier versammelt waren. Andererseits brauchte er auch Antworten, und die würde er nur hier finden. Als er alles beisammen hatte, setzte Sam sich mit seinem Essen schließlich an einen der Tische, die am weitesten vom Eingang entfernt waren. Mit dem Rücken zur Wand hatte er von hier aus einen guten Überblick über den gesamten Raum, und während er aß, sah er sich immer wieder unauffällig nach den beiden Schwestern um. Wenn sie noch immer in Sioux Falls waren, würden sie früher oder später auftauchen, da war er sich sicher – und wenn nicht an diesem Abend, dann am nächsten. Doch während Sam noch überlegte, wer am Dienstagabend seine Schicht im Diner abdecken sollte und wie er Dean erreichen konnte, um ihn über seine Pläne zu informieren, öffnete sich die Tür zur Kantine und er sah den blonden Haarschopf von Emily. Sie stellte sich nach kurzem Zögern zu den Wartenden, wobei sie sich immer wieder nervös im Raum umsah. Von ihrer Schwester fehlte jegliche Spur, aber Sam bezweifelte nicht, dass Cathy in der Nähe war und ihr im Notfall zur Hilfe kommen würde. Er ließ sich Zeit mit seinem Essen und war froh, dass sich niemand in seine unmittelbare Nähe setzte und versuchte, ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Das hatte allerdings auch den Nachteil, dass er sich hinter niemandem verbergen konnte, und nur wenige Minuten später begegnete Emilys suchender Blick dem seinen. Ihre Augen weiteten sich, als sie ihn wiedererkannte, und sie verließ augenblicklich ihren Platz in der Schlange und ging zügig auf den Ausgang zu. „Mist!“, fluchte Sam leise. Er stand auf und griff nach seinem Rucksack, bevor er Emily so unauffällig wie möglich hinaus auf die Straße folgte. Vor dem Gebäude blieb er stehen und sah sich aufmerksam um, doch das Mädchen war wie vom Erdboden verschluckt. Sam vermutete jedoch, dass sie noch in der Nähe war. Er schlenderte an dem Jugendzentrum vorbei und bog in die nächste Seitenstraße ein. Die Dämmerung war bereits angebrochen und dunkle Schatten lagen über der schmalen Gasse, die Sam kaum mit den Augen durchdringen konnte. Es war vollkommen still – zu still. Sam hatte kaum ein paar Schritte gemacht, als plötzlich ein Fauchen ertönte, und im nächsten Momente wurde er zur Seite und gegen die nächste Hauswand geschleudert, als plötzlich eine riesige, sandfarbene Katze auf ihn zusprang und ihre Krallen in seine Schulter bohrte. Sam war so überrascht von dem Angriff, dass er den brennenden Schmerz, der in seiner rechten Schulter explodierte, kaum registrierte. Blut lief aus den langen, tiefen Kratzern, die sich über seinen Oberarm zogen, und färbte den zerrissenen Stoff seines Shirts und seiner Jacke schnell rot. Die Raubkatze sprang zurück und öffnete ihr Maul, um eine Reihe scharfer, weißer Zähne zu entblößen, bevor sie erneut zum Sprung ansetzte. Doch es sollte nicht dazu kommen. „Cathy!“, hörte er auf einmal eine hohe, entsetzte Stimme und im nächsten Moment trat Emily zwischen Sam und... ihre Schwester? „Cathy, hör auf damit!“, rief sie. „Er ist den Ärger nicht wert!“ Die Raubkatze fauchte auf, während eine nur allzu menschliche Wut in ihren bernsteinfarbenen Augen aufblitzte, doch sie griff nicht noch mal an. Emily legte eine Hand auf das kurze Fell zwischen ihren Ohren, dann wandte sie sich Sam zu. „Was willst du von uns?“, fragte sie anklagend. „Du hast uns versprochen, dass ihr uns in Ruhe lasst!“ Sam machte ein gequältes Gesicht, als der Schmerz langsam zu ihm durchdrang, und er zog vorsichtig seine Jacke aus. „Ich weiß“, erwiderte er, während er den Stoff auf die tiefen Kratzwunden an seinem Oberarm presste. „Und es tut mir leid, dass ich mein Wort nicht gehalten habe. Aber irgendjemand ist euch auf der Spur und ich muss wissen, wer es ist, bevor erneut jemand sterben muss!“ Die Raubkatze gab ein warnendes Knurren von sich und auch Emily sah ihn scharf an. „Warum sollten wir dir vertrauen?“, fragte sie. „Du hast uns bisher noch keinen Grund dafür gegeben!“ „Emily, bitte!“, flehte Sam. „Wer auch immer Jason getötet hat, er wird früher oder später auch euch finden! Ihr seid zwar zu zweit, aber das allein wird vielleicht nicht reichen, wenn es so weit ist!“ „Und du glaubst wirklich, wir sind dumm genug, um auf den Schutz eines Jägers zu vertrauen?“, entgegnete Emily. „Wir wissen, was Leute wie du mit Leuten wie uns machen!“ Sie tauschte einen Blick mit ihrer Schwester und ein entschlossener Ausdruck legte sich auf ihr Gesicht. „Allein sind wir sicherer“, sagte sie dann. „Und wenn wir einen von euch noch mal sehen, dann werde ich meine Schwester beim nächsten Mal nicht zurückhalten! Ist das klar?“ Sam nickte verzweifelt. „Absolut. Aber Emily, ihr könnt nicht...!“ Doch sie hörte ihm nicht länger zu, sondern wandte sich ab und lief davon, gefolgt von ihrer Schwester, die ihr in großen Sprüngen nacheilte. Wenig später waren die beiden im Dämmerlicht verschwunden. Sam lehnte sich stöhnend gegen die Hauswand und schloss die Augen, als ihn die Schmerzen seiner Verletzung mit einem Mal trafen wie ein Vorschlaghammer. Verdammt, das war schlecht gelaufen – sehr schlecht sogar. Nicht nur gab es jetzt einen weiteren Ort, an dem sie die beiden Mädchen nicht länger antreffen würden, sondern er hatte auch den letzten Rest von Vertrauen verspielt, das sie ihm entgegengebracht hatten. Beim ihrer nächsten Begegnung würde Cathy keine Gnade mehr walten lassen, das hatte er nun begriffen. Was sollte er jetzt bloß machen...? Sam wünschte, er hätte eine Möglichkeit, Dean zu erreichen und ihm von seinem Fehltritt zu erzählen, doch leider würde er sich damit noch einen Tag gedulden müssen. Stattdessen wickelte er die Überreste seiner Jacke fest um seinen Oberarm und verknotete die Ärmel miteinander, um Druck auf die Wunde auszuüben. Dann schulterte er vorsichtig seinen Rucksack und machte sich auf den Weg nach Hause.   „Sam, mein Schatz, was ist mit deiner Jacke passiert?“, fragte seine Mutter, als Sam mit bleichem Gesicht über die Türschwelle trat. Dann sah sie die Blutflecken auf dem Stoff, und schlug entsetzt die Hände vor den Mund. „Aaron!“, rief sie panisch. Aaron Wesson war ein ruhiger, ausgeglichener Mann, den nur wenig erschüttern konnte, doch als er nun aus dem Wohnzimmer in den Flur hinaustrat und sah, in welchem Zustand sich sein Sohn befand, legte sich ein besorgter Zug auf sein Gesicht. „Sam“, sagte er leise. „Wer hat dir das angetan?“ Sam wand sich innerlich. Sein Vater war ein kluger Mann und würde ihm nie abkaufen, dass er einen Unfall gehabt hatte und unglücklich gestürzt war, und so entschied er sich für eine Notlüge. „Ich wollte einen Streit aufbrechen“, murmelte er. „Einer der Typen hatte ein Nietenarmband mit Stacheln um und, nun ja...“ Sein Vater nickte verstehend. „Ich hoffe, du bist weggelaufen.“ Doch Sam schüttelte den Kopf. Wenigstens was diesen Teil anging, musste er nicht lügen. „Sie sind von allein abgehauen“, sagte er. „Sie waren nur Teenager.“ „... ich verstehe.“ Sein Vater stieß ein Seufzen aus. „Sam, ich kann und möchte dir nicht verbieten, dich für andere einzusetzen, aber ich wünsche mir von dir, dass du in Zukunft vorsichtiger bist. Erst dein langes Fortbleiben letzte Nacht, jetzt diese Verletzung...“ Sam senkte beschämt den Blick. „Es wird nicht wieder vorkommen, Dad.“ „Mach keine Versprechen, die du nicht halten kannst“, ermahnte ihn sein Vater, doch es war keine Strenge in seiner Stimme. „Ich will nur, dass du beim nächsten Vorfall dieser Art wenigstens für einen Moment innehältst, um dich zu fragen, ob es das wirklich wert ist.“ „Ja, Dad“, wisperte Sam. Sein Vater stieß ein Seufzen aus, dann legte er sanft die Hand auf Sams Schulter. „Komm schon, ab in die Küche“, sagte er. „Ich habe als junger Mann genug Streitigkeiten vom Zaun gebrochen, um mich noch zu erinnern, wie man Wunden wie diese verarztet.“ Sam wischte sich kurz mit dem Handrücken über die Augen, dann hob er den Kopf und schenkte seinem Vater ein schwaches Lächeln. „Danke, Dad.“ Während er ihm in die Küche folgte, konnte Sam aufgeregtes Flüstern von der Treppe her hören und die scharfe Aufforderung seiner Mutter an die Flüsterer, wieder im Bett zu verschwinden, und er musste plötzlich lächeln. Die Zwillinge waren unerträglich neugierig und wann immer im Hause Wesson etwas Unvorhergesehenes passierte, waren sie die ersten, die vor Ort waren. „Setz dich“, sagte sein Vater und ging los, um den Erste-Hilfe-Kasten zu holen, während Sam sich derweil auf einem der Stühle niederließ. Während er wartete, dass sein Vater wiederkam, entfernte Sam den behelfsmäßigen Verband von seinem Oberarm und warf ihn in den Müll, bevor er ein sauberes Tuch nahm und es nass machte, um damit vorsichtig die Wunde zu reinigen. Als sein Vater schließlich zurückkehrte, warf er nur einen prüfenden Blick auf die Wunde und nickte kurz, bevor er sie desinfizierte und anschließend verband. „Du solltest morgen einen Tag freinehmen von deiner Arbeit“, sagte er, nachdem er Sam sorgfältig verarztet hatte. „Ich bin mir sicher, das Diner kann einen Abend auf dich verzichten.“ „Lass das bloß nicht meine Chefin hören“, erwiderte Sam und lächelte. Dann stand er auf, um ein Glas Wasser zu trinken. „Es geht schon, Dad“, fuhr er fort. „Ich werde meinen Kollegen morgen einfach erzählen, was passiert ist, und sie bitten, mir bei Bedarf zu helfen. Wir kriegen das schon irgendwie hin.“ „Wie du willst.“ Sein Vater nickte, dann erhob er sich ebenfalls. „Dann wünsche ich dir schon mal eine gute Nacht. Ich werde mich jetzt wieder zu deiner Mutter gesellen, nach den letzten zwei Tagen braucht sie etwas seelischen Beistand.“ Sam nickte bekümmert. „Es tut mir wirklich leid, was passiert ist“, entschuldigte er sich. „Ich werde mich bemühen, euch in Zukunft nicht erneut solche Sorgen zu machen.“ „Ich weiß, Sam. Und das rechne ich dir hoch an.“ Sein Vater klopfte ihm auf die Schulter und nickte ihm kurz zu, dann wandte er sich ab und verließ die Küche. Sam nahm sich eine Flasche Wasser mit und schwang seinen Rucksack über die unverletzte Schultern, dann ging er hinaus in den Flur und stieg die Treppe hinauf, um sich in sein Zimmer zurückzuziehen. Als er an der geschlossenen Zimmertür seiner Schwestern vorbeikam, hörte er leises Kichern, und schüttelte voller Zuneigung den Kopf. Dann straffte er sich und ging weiter. Morgen würde er es wieder versuchen. Ja, er hatte sich heute einen schweren Fehler erlaubt, aber er würde alles geben, um die Situation noch irgendwie zu retten. Die beiden Schwestern mochten nicht an Hilfe interessiert sein, aber das hieß nicht, dass sie sie nicht brauchen konnten. Wenn Dean wieder zurückgekehrt war, würde er sich mit ihm beraten – und Sam war zuversichtlich, dass sie den Mörder bald finden und diese Sache alle heil überstehen würden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)