Beautiful Behavior von Varlet ================================================================================ Kapitel 10: Interview mit Folgen -------------------------------- Milena beobachtete Jodie, während sie einen Stapel an Akten auf den Tisch legte. „Mhm…“, murmelte Jodie. „Ja, alles in Ordnung. Ich hab nur…an die Vergangenheit gedacht.“ Es war schon lange her, dass Jodie das letzte Mal an die Zeit von vor zwei Jahren dachte. In der Zwischenzeit war so viel passiert und Jodie konnte nicht sagen, was passiert wäre, wäre sie nicht mit Ed wieder zurück nach New York gekommen. „An die Vergangenheit?“, gab Milena nachdenklich von sich. „Stimmt, wir kennen uns jetzt schon eine ganze Weile.“ Jodie nickte. Noch am Abend des gleichen Tages wurde sie von Ed in die Detektei gebracht und seinen Mitarbeitern vorgestellt. Daniel arbeitete bereits seit fünf Jahren in der Detektei und war Jodie gegenüber eher skeptisch. Doch es dauerte nicht lange bis er sie als neue Kollegin akzeptierte. Milena hingegen hatte sie sofort ins Herz geschlossen und wurde zu einer guten Freundin. Sie selbst arbeitete erst seit zwei Jahren für Ed, hatte allerdings einen zusätzlichen Vertrauensbonus, da sie seine Tochter war. Wenn Jodie die Beiden im Umgang miteinander sah, beneidete sie sie und stellte sich vor, wie es gewesen wäre, wenn sie mit ihrer Familie aufwuchs. Aber nicht nur das. Ihr Herz wurde jedes Mal schwer, wenn sie daran dachte, dass sie auch mit ihrem Vater hätte zusammenarbeiten können, wenn nur alles anders gekommen wäre. Vielleicht wäre sie dann glücklich geworden und hätte ein ganz anders Leben, möglicherweise sogar einen Freund oder Mann. Aber scheinbar war ihr dies nicht vergönnt. Trotzdem wollte sie nicht daran denken, was passiert wäre, wenn alles anders gekommen wäre. Die Vergangenheit konnte keiner ändern und deswegen musste sie das Beste daraus machen. Seit ihrer Rückkehr arbeitete Jodie für Ed. Anfänglich war sie nur für die administrativen Tätigkeiten zuständig, wie Briefe sortieren, Termine absprechen, Akten archivieren und alle anderen Kleinigkeiten, die anfielen. Milena und Ed hingegen kümmerten sich darum, dass Jodie Lebensmittel und Kleidung zur Verfügung stand. Sie begleiteten sie zu Behördenterminen oder nahmen diese in ihrem Namen war und arrangierten für sie auch eine Wohnung in der Nähe. Kurze Wege waren ein Vorteil, wenn man nicht gefunden und gesehen werden wollte. Nach einem halben Jahr durfte Jodie tiefer in die Aufträge und Fälle eintauchen und die Hintergrundrecherche durchführen. Besonders Milena war es, die sie jedes Mal tadelte, wenn Jodie einen Fehler machte. Es tat ihr auch irgendwie gut, dass man sie nicht mit Samthandschuhen anfasste und ihre Vergangenheit vor Augen führte. So kam es auch dazu, dass Jodie noch einmal ein Training zur Selbstverteidigung absolvieren musste – auch wenn sie dies bereits beherrschte. Danach wurde ihr vieles zu den Arbeitsabläufen und Vorgängen erklärt und sie musste eine Hintergrundrecherche zur Übung durchführen durchführen, während Daniel genau das Gleiche tat. Am Ende verglichen sie die Ergebnisse und danach konnte sie ihre Kollegen in der Arbeit unterstützen. Bei Observationen abends oder in der Nacht, die nicht gefährlich waren, durfte Jodie an Eds Seite im Wagen sitzen und beobachten. Sie hatte viel an diesen Abenden von ihm gelernt, vor allem wie man sich am besten vor den anderen Menschen versteckte und nicht auffiel. Wiedererwarten machte ihr die Arbeit in der Detektei tatsächlich Spaß. Allerdings gab es immer noch ein Problem: Die Waffe. In Amerika war es normal, dass Menschen eine Waffe besaßen und auch dass Kinder schon frühzeitig im Umgang damit geschult wurden. Jodie hatte in ihrer Kindheit bereits gelernt, dass Waffen großen Schaden anrichten konnten, aber auch Leben retten, je nachdem wer sie einsetzte. Ihr Vater hatte sie schon damals häufiger zum Schießstand mitgenommen und sie die Waffe bedienen lassen – sehr zum Unmut ihrer Mutter. Damals hatte sich Jodie auch gefreut, aber mittlerweile konnte sie keine Waffe in der Hand halten. Ed hatte es mehrfach versucht und ihr eine ungeladene Waffe in die Hand gedrückt. Jedes Mal ließ Jodie diese sofort auf den Boden fallen und bekam eine Panikattacke. Sie konnte kaum atmen und schwitzte. Erst Ed schaffte es sie wieder zu beruhigen und brachte ihr ein paar Atemübungen bei. Und so kam es, dass sie sich langsam in die kleine Gemeinschaft integrierte und sogar ihr Studium wieder aufnahm – allerdings als Fernstudium. So konnte sie an den Vorlesungen und Seminaren online teilnehmen und wurde nur mit ihrer neuen Studentenummer im Chat angezeigt. Nur zu den Klausuren musste sie hinfahren, was aber kaum ein Problem darstellte. „Und weil wir uns so lange kennen, sehe ich dir an, dass irgendwas los ist.“ „Wie gesagt“, entgegnete Jodie ruhig. „Ich habe nur wieder an die Vergangenheit gedacht. Eigentlich sogar an die Zeit, wie ich Ed kennengelernt habe. Ich habe damals nicht vorgehabt mit ihm zu gehen, aber als er mit mir sprach, habe ich meine Meinung geändert. Und jetzt wo ich hier bin…ich kann mich gut ablenken, aber manchmal frage ich mich schon, was aus James und Roy geworden ist…wie es ihnen geht und…was sie über mich denken, würden sie mich jetzt hier sein.“ „Ach Jodie“, murmelte Milena. „Mach es dir doch nicht so schwer. Wenn du sie sehen willst, dann geh zu ihnen. Dad hat sicher nichts dagegen.“ „Ich weiß ja nicht“, sprach Jodie leise. „Damals klang alles wie eine gute Idee und…ich bin auch sehr froh, diese Erfahrung gemacht zu haben, aber jetzt weiß ich nicht, ob…“ „..ob das damals nicht ein Fehler war?“ Jodie nickte. „Mein Vater wusste worauf er sich einließ und er wusste auch, dass du Zeit brauchst. Deswegen hat er dir auch dieses Angebot gemacht. Hätte er dich sofort wieder zum FBI gebracht, wärst du vielleicht wieder untergetaucht oder du wärst unglücklich geworden. Deswegen hat er gelogen und hilft dir beim Verstecken. Aber er weiß auch, dass es nicht ewig so weitergeht.“ Jodie schluckte. „Das passt zu ihm. Er kannte auch meinen Vater und…hat mich deswegen auch so sehr unterstützt. Soll ich dir noch was verraten?“ „Mhm?“ „Als ich wieder hier war, habe ich die Nähe zu Roy gesucht. Ich weiß, das war gefährlich, aber ich wollte ihn unbedingt sehen und auch James. Das hab ich damals häufiger gemacht, aber als Ed dann mehr anfing mir alles hier zu zeigen, hörte ich damit auf.“ „Das wissen wir“, kam es von Milena. „Mein Vater hat dich selbstverständlich auch in deinen ersten Tagen hier beobachtet. Was meinst du, warum wir das gesamte Ablenkungsprogramm gestartet haben.“ „Oh man“, Jodie kicherte trotzdem. „Ich hätte es mir denken können.“ „Mach dir nichts draus. Du musstest seit jeher auf der Hut sein und natürlich war es normal, dass du die Menschen, die dir damals wichtig waren, sehen wolltest. Deswegen hatte mein Vater die Sorge, dass du unvorsichtig werden würdest. So wie bei deiner Freundin aus Kindertagen.“ „Du meinst Leslie? Ja, das war wirklich…etwas blöd. Ich dachte am Haus meiner Eltern würde mich keiner erkennen, vor allem weil es mittlerweile jemand anderem gehört. Und dann kam Leslie auf einmal aus dem Nachbarhaus und hat mich angesprochen. Aber es hat auch Vorteile. Gerade eben hat sie mir geschrieben, dass man wieder nach mir sucht. Ich vermute, dass es wieder James ist.“ „Und was hast du jetzt vor?“ „Naja…ich denke, ich muss jetzt wieder vorsichtiger sein, wenn ich raus geh. Das bin ich natürlich, aber nun muss ich noch mehr auf der Hut sein. Dabei hab ich gehofft, dass James seine Suche mittlerweile aufgegeben hat. Aber scheinbar…“ „Es war doch vor kurzem der Todestag deines Vaters.“ Jodie nickte betroffen. „Ja, ich…hab ihn am Grab gesehen und bin dann gegangen…auch wenn es mir schwer fiel…vielleicht hat er wegen dem Datum wieder versucht…mich zu finden.“ „Das wär gut möglich“, entgegnete die junge Frau. „Er vermisst dich. Ich wünschte, ich könnte dir helfen.“ „Das hast du doch schon“, gab Jodie von sich. „Du hörst mir immer zu und mehr erwarte ich nicht.“ Milena lächelte. „Ich bin immer für dich da.“ „Das weiß ich doch. Ach ja…weswegen bist du eigentlich hergekommen?“ „Ich hab dir gerade ein paar Akten auf den Tisch gelegt. Du müsstest sie bitte wegsortieren.“ Jodie blickte auf den Stapel. „Ach so, ja, mach ich gleich.“ „Danke und danach musst du mir helfen, meinen Vater ein wenig aufzuziehen.“ „Mhm? Was meinst du?“ „Hast du das nicht mitbekommen? Vor einigen Tagen kam doch diese Schauspielerin nach New York zurück. Sie hat vorher wohl in Japan gelebt. Kurz nach ihrer Rückkehr gab sie wohl ein Interview oder machte eine Home Story. Ich weiß es nicht mehr so genau, jedenfalls findet heute die Ausstrahlung in der Mediathek statt. Mein Vater ist ein Fan von ihr. Und jetzt erhofft er sich, Neues zu hören.“ „Für einen Fan hätte ich ihn eigentlich nicht gehalten“, kicherte Jodie. Ihr war klar, dass natürlich jeder Mensch Hobbies hatte und gewisse Dinge gern tat. Aber von Ed wusste sie eigentlich gar nicht was er mochte. „Es gibt so viel, was du von ihm noch nicht weißt. Ich habe mir überlegt, dass wir uns auch mal in der Mediathek anschauen, was es gibt und wenn er uns dann Fragen stellt, geben wir ähnliche antworten.“ „Du bist ja fies.“ „Manchmal. Ich will ihn doch nur ein wenig ärgern“, entgegnete sie. „Also? Ja oder ja?“ „Na gut, du hast gewonnen. Ja. Wann wird es veröffentlicht?“ „In einer Stunde.“ „Gut, dann kümmer ich mich um die Akten und komm dann zu dir ins Büro“, sagte Jodie. „Gut, bis gleich.“ Milena verließ das Büro und ging zu ihrem. Sie setzte sich und rief schon einmal die Mediathek auf. Immer wieder aktualisierte sie die Seite bis das Interview mit Sharon Vineyard abrufbereit war. Sie lächelte und wartete auf Jodie. „Entschuldige, dass es länger gedauert hat.“ Die junge Frau hetzte in das Büro ihrer Kollegin, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben sie. „Ist es schon online?“ „Ja. Wir können“, nickte Milena und startete das Interview. Die beiden Frauen lauschten den Worten der Gesprächspartner. „Miss Vineyard, wir sind wirklich sehr froh, dass Sie uns heute die Chance für dieses Interview geben. Es war für uns alle eine Überraschung, dass Sie nun wieder nach Amerika zurückgekommen sind. Können Sie uns etwas dazu sagen?“ Sharon lächelte in die Kamera. „Ich freue mich auch. Um auf Ihre Frage zurückzukommen, wie Sie vermutlich alle wissen, werde ich das nächste halbe Jahr eine Filmreihe drehen. In der Zeit möchte ich nicht zwischen New York und Tokyo pendeln müssen. Deswegen entschied ich mich, erst einmal hierzubleiben. Und wer weiß, was danach noch alles kommt. Vielleicht drehe ich dann noch weiter, vielleicht fliege ich dann aber auch wieder zurück nach Japan. Ich lasse mich überraschen, aber für das nächste halbe Jahr werden mich die Menschen hier auf der Straße sehen.“ „Miss Vineyard, ich möchte gern auf Ihr Leben in Japan zurückkommen. Sie sind vor einigen Jahren dorthin gezogen. Bereuen Sie das? Und was war der Grund für Ihren Umzug?“ „Nein“, antwortete die Schauspielerin. „Schon als ich ein kleines Mädchen war, nahm mich meine Mutter oft nach Japan mit. Sie hatte dort viele Freunde und ich habe sehr schnell Anschluss gefunden. Nach dem sehr frühen Tod meines Mannes brauchte ich einen Neuanfang und meiner Tochter gefällt es dort auch. Eigentlich planten wir maximal ein Jahr dort zu bleiben, aber ich habe mich schnell in die Kultur und die Mentalität verliebt und deswegen lebe ich dort. Aufgrund ihrer und meiner Kontakte habe ich auch in Japan verschiedene Filme und Werbespots drehen können. Selbstverständlich habe ich auch einige Dreharbeiten in den Staaten angenommen und bin immer für kurze Zeit wiedergekommen. Sie alle haben davon erst etwas mitbekommen, als die Filme abgedreht und ausgestrahlt wurden.“ „Das heißt, Sie könnten sich einen anderen Lebensort nicht mehr vorstellen?“ „Ja und nein. Ich denke, ich bin in der Lage wieder woanders zu leben, aber warum sollte ich? Ich habe mir mein Leben in Japan aufgebaut und das ist mir auch wichtig. Aber sollte sich etwas anderes ergeben, könnte ich mir auch vorstellen wieder in New York zu leben. Ich habe hier immer noch ein paar Freunde und eine sehr gute Freundin wollte ich unbedingt besuchen.“ Die Reporterin nickte verstehend. „Wo wir gerade beim Thema Freunde sind, gibt es in Japan jemanden, der auf Sie wartet?“ „A secret makes a woman woman.“ Sharon schmunzelte. „Sie werden sicherlich verstehen, dass ich zu meinem Privatleben keine Auskunft geben möchte.“ „Ja…ja natürlich“, gab die Dame von sich und setzte das Interview fort. Jodie saß schockiert auf dem Stuhl und blickte auf das Video. A secret makes a woman woman. Das hatte sie gesagt – die Mörderin ihrer Eltern. Sie schluckte. „Milena?“ „Mhm? Soll ich auf Pause drücken?“ Jodie blickte zu ihr, als hätte sie einen Geist gesehen. „Jodie? Was ist denn los?“ „Diese Worte…“, wisperte die junge Frau. „Sie hat sie auch gesagt…die Frau, die meine Eltern…“ „Was? Jodie, was redest du da?“ „Ich glaube, Sharon Vineyard hat…hat meine Eltern…auf dem Gewissen. Sie sagte genau das gleiche.“ „Bist du dir sicher?“ Jodie nickte. „Ich habe ihre Worte damals wieder und wieder wiederholt. Ich bin…mir sicher.“ „Aber Sharon Vineyard ist…eine Person der Öffentlichkeit. Du kannst…sie nicht so einfach zur Rechenschaft ziehen.“ „Das…das…stimmt“, sagte Jodie leise. „Was hast du jetzt denn vor?“ Jodie seufzte. „Ich…ich wollte immer Gerechtigkeit und…vielleicht gibt es doch Beweise und wenn…wenn ich dem FBI sage, was ich weiß, vielleicht finden sie was.“ „Das heißt, du möchtest dich mit den Agenten treffen?“ „Ich…ich glaube, das sollte ich…jetzt ist alles anders…“ Milena beobachtete sie. „Aber vorher solltest du mit Dad reden.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)