Drachenjagd von Lady_of_D (Die Himmelsgöttin) ================================================================================ Kapitel 17: Izara ----------------- "Lauft!" Die Stimme hallte wie ein Schreckgespenst durch die Nacht. Die Äste knackten unter seinen Schritten, die Stiefel waren durchweicht, das Leder nichts als abgewetzter Stoff, der langsam von seinen Füßen abblätterte. Irgendwo kreischte eine Eule und ließ sein Herz höher schlagen. So durfte nicht das Ende aussehen! Zwischen den Bäumen, inmitten des Waldes, vom Feindgebiet umzingelt - die letzten Wochen wären bedeutungslos gewesen, sollte er jetzt einfach aufgeben. Er stolperte, presste die Hände auf die Wunde und rannte weiter. Es blieb wenig Zeit, er spürte, wie das Blut durch seine Finger rann, als wäre es feiner Sand, der durch eine Sanduhr rieselte. Er war unvorbereitet gewesen und nun musste er den Preis seiner Torheit zahlen. Wäre er der Einzige, er hätte sein Schicksal akzeptiert. Doch die Umstände…nein! Er musste weiterlaufen. Ganz weit weg, bevor ihn der Sensenmann einholte. Der Speer hatte die Arterie erwischt, jetzt sickerte roter Lebenssaft von den Kleidern auf die feuchte Erde des Spätherbstes. Blätter rieselten von den Bäumen, der Wind blies hartnäckig durch seine Kleider. Gewiss war ihm kalt, aber nicht deswegen. "Noch nicht", flüsterte er sich zu, sprang über den Bach, vorbei an der schmalen Brücke Richtung Stadt. Die Nacht verschluckte das Blut, sowie es die Silhouette des Drachen verschleierte, der durch den Wald rannte, als gäbe es ein Ziel am Ende seiner Reise. Dabei wollte er nur Abstand gewinnen. Die Distanz seiner Verbündeten wuchs, er hoffte, es reichte aus, um die Paladine abzuschütteln. Er keuchte. Dem nächsten Hindernis konnte er nicht ausweichen, der Baumstamm lag quer auf dem Blätterteppich, er verlor den Halt, rutschte mit den Beinen aus. Im letzten Moment hielt er sich am Stamm fest. Er beugte sich vor, hustete und sackte zu ein kümmerliches Stück Schmerz zusammen. Das Blut fand kein Halten mehr, die letzten Reserven nutzte der Drache, um seine Spuren zu verwischen. Die Unabdingbarkeit des Todes lastete schwer. Er hatte kaum Luft zum Atmen, doch sein letzter Lebenshauch sollte denjenigen gelten, denen er sich selbst überlassen musste. Die Schuld lastete schwer - schwerer als die Wunde an seinem Bauch. Wie könnte er jemals Wiedergutmachung leisten, wie die Fehler der Vergangenheit ausräumen? Fluchend krallte er die Nägel in das Holz, weißes Licht floss durch ihn, ließ den Baumstamm in Millionen feine Splitter zerfallen. "Hallo?", rief da eine zarte Stimme in die Dunkelheit hinein. Er riss die Augen auf, sammelte seine Energie und suchte nach der Quelle. Zwischen dem Rascheln der Bäume, hörte er Schritte - nicht weit von ihm. Er richtete sich auf. Zog scharf die Luft ein. Die Frau war jung, in der Blüte ihrer Zeit und wenn er sich nicht täuschte, standen die Zeichen günstig. Er biss die Zähne zusammen. Seine Gedanken entehrten seine Sippe und all jene, die einst dem Großen Drachen gedient hatten. Doch Zweifel waren fehl am Platz. Es gab keine Wahl, nur den Tod und solange sein Herz schlug, musste er alles tun, um das Schicksal der Drachen abzuwenden. "Ist da jemand?", die Stimme wurde leiser, obwohl sie immer näher kam. Angst war noch das kleinere Übel, seine Taten würden Abdrücke hinterlassen - tief und schwerwiegend, das wusste er. Allein der Gedanke ekelte ihn an. Er verachtete sich, mit jeder Sekunde, die verstrich. Langsam drehte er sich um, folgte der Duftspur, die Vorahnung und Panik einfingen. Mit einem Satz sprang er über einen Busch und rannte los. Schneller. Immer schneller. Nur nicht haltmachen. Nicht bevor… "Izara!" Jemand packte sie bei den Schultern, die Füße baumelten über den Boden. "Izara", drang eine tiefe Stimme zu ihr durch. Izara riss die Augen auf, keuchte und strampelte mit den Beinen. Sie starrte in tiefblaue Augen und spürte nur noch, wie ihre eigenen Seelenspiegel eine Flut von Tränen losließen. "Ich habe sie umgebracht!", schrie sie. Die Schuldgefühle schlugen auf sie ein, es war wie ein Fausthieb nach dem anderen, sie bekam kaum noch Luft. "Ich habe sie umgebracht! Alle! Es ist meine Schuld, dass sie starben. Ich konnte nichts tun. Ich-", sie zitterte, "ich habe sie nicht beschützen können!" "Sch", sie wurde an etwas Warmes und Festes gepresst, "wach auf, Izara!" Eine Hand strich über ihr Haar. Sie gab sich den Berührungen hin, die Schreie erstarben und langsam erwachte Izara aus ihrem Albtraum. Der Wald war verschwunden, schwache Umrisse eines Schlosses ließen sie tief einatmen. Felsen und Bäume bildeten eine fremde Landschaft, nichts erinnerte an ihr Zuhause. Das einzig Vertraute waren zwei Arme, die sie fest umschlungen hielten. König Devon hatte sein Kinn auf ihren Kopf gelegt, sie spürte seinen ruhigen Atem und kehrte langsam zu ihrem alten Ich zurück. "Ihr seid zurück", leise wimmerte sie in seine Brust, die Bilder waren fort, doch die Angst blieb. Viel zu viele Wochen waren ins Land verstrichen. Dass sie ihn bald wiedersähe, daran hatte sie nicht mehr glauben wollen. Die aufgestauten Gefühle, die vielen Zweifel - im Augenblick waren sie vergessen. "Ich", schniefte Izara, "ich habe ihn gesehen." "Wen?", fragte der König. Er drängte sie nicht, und Izara nahm sich die Zeit, ihre Emotionen zu sortieren. "Meinen…ich meine, König Juras", flüsterte sie, "er war dort. In den Wäldern - vor Kandio." "Ganz ruhig", murmelte der König, als Izaras Herzschlag schneller wurde. "Ich weiß, warum er es getan hat. Aber-", weitere Tränen bahnten sich einen Weg nach draußen. Izara besudelte die Kleider des Königs, aber im Moment musste ihre Scham hinten anstehen. "Ich verstehe das nicht. Warum musste ich das sehen? Was sind das für Gefühle?", sie schloss die Augen, "es ist, als wurde mir das Herz herausgerissen. Da ist so viel Trauer. Ich kann gar nicht aufhören zu weinen." "Das sind nicht deine Gefühle, Izara", entgegnete König Devon. Er ließ von ihr, brachte Abstand zwischen sie beide. Izara wünschte, er hätte das nicht getan, aber es schien ihm wichtig, dass sie einander in die Augen sahen. In seinen eiskalten Blicken steckte so viel Wissen, so viel Unausgesprochenes. Für den Augenblick genügte es, die Tiefgründigkeit zu spüren, damit Izara wieder sich selbst spüren konnte. Als Izara die Arme um sich schlang, zog König Devon den Mantel aus und legte ihn über das lange, durchscheinende Nachtgewand. "Du fühlst die Gedanken des Königs, das ist nicht unüblich. Er war dein Vater, im Geiste wird er das immer bleiben." "Seine Gefühle? Wieso? Wie kann ich fühlen, was er fühlte? Ich kannte ihn doch gar nicht." Und eigentlich hätte es ruhig so bleiben können. Solange sie ihn aus ihren Gedanken aussperrte, musste sie sich nicht damit auseinandersetzen, wer er eigentlich für sie gewesen war. Aber seit der Erweckung, seit sie die Wahrheit kannte, spukte der alte König in ihren Gedanken und brachte noch mehr Chaos in ihr Leben. "Ein Teil von ihm wird immer in dir weiterleben", sagte König Devon, den Blick sanft auf Izara gerichtet. "Himmelsdrachen geben ein Stück ihrer Seele an ihre Nächsten weiter. Manchmal passiert es, dass wir Episoden der Vergangenheit sehen oder Bilder in unserem Kopf abgespielt werden, die ein anderer geschaffen hat. Es ist eine spezielle Fähigkeit. Es gibt manche, die in die Vergangenheit und Gegenwart blicken können - wir nennen das den Weißen Blick." "Das ist", Izara fasste sich an den Kopf, "zu viel." Das Hämmern ließ nur langsam nach, sie spürte weiterhin die Panik und Schuld als säße die Last einer ganzen Welt auf ihren Schultern. Womöglich war es auch so, aber Izara war nicht bereit, sie zu tragen. "Wieso passiert das alles mit mir?" "Es ist dieser Ort", antwortete der König, "du wurdest frisch erweckt, du bist jetzt in der Lage, das Himmelsblut zu rufen." Er sah sie sah, sie spürte, wie wichtig die Worte für ihn waren. "Du bist sehr weit gerannt", sagte er und ein Anflug eines Seufzers klang in seiner Stimme mit, "der Drache in dir schien dich gerufen zu haben." Er drehte seinen Kopf leicht und nickte in die Richtung. Die Dunkelheit war tief vorgedrungen, ein paar Sterne erhellten den Nachthimmel, aber König Devon schien genau zu wissen, wohin er sehen musste. "Dort drüben", sagte er und Izara folgte seinen Blicken. Die Sterne flackerten, strahlten ein grelles Licht aus, je länger man sie betrachtete. Ein wohliges Kribbeln umhüllte sie. "Das sind keine Sterne", flüsterte Izara. "Nein", bestätigte der König, "das sind die Bergspitzen von Raj." "Raj", wiederholte Izara ehrfürchtig, "Die Stadt im Himmel. Ich dachte, sie wäre-" "Ein Mythos?", König Devon lächelte schwach, "das haben sie euch erzählt, aber Raj existiert. Sie ist eine der drei großen Städte unserer Welt." "Dragor, Logia und Raj." "Ja, nur dass Logia nicht mehr existiert." "Was ist passiert?" "Viel", entgegnete er, sein Blick verfinsterte sich und Izara hielt es für das Beste, ihn nicht weiter zu fragen. Sie schaute weiter in den falschen Sternenhimmel. "Meine Freunde haben mir von diesem Ort erzählt", sagte sie und erinnerte sich an die Geschichten, die ihr Mayabes Mutter erzählt hatte, "es klang wie ein Paradies." Ein Ort, an dem Drachen…in Frieden leben konnten, ohne die Angst der Paladine im Rücken zu spüren. "Das kann man so sagen", erwiderte der König rau, "die magischen Schutzmauern sind mit alter Magie belegt. Nicht einmal der Großmeister kann sie durchbrechen." "Warum leben nicht alle Drachen dort?" Izara hätte alle Ländereien aufgegeben, wenn es dafür wahren Frieden im Himmel gäbe. "Der Weg", antwortete er, "die Flugrouten befinden sich im feindlichen Gebiet. Es gibt Fallen und jede Menge Paladine, die darauf warten, ihre Speere zu werfen. Jeder, der die Reise nach Raj antritt, findet den Tod." König Devons Gesichtsausdruck war unergründlich. Auf der einen Seite waren da Ratlosigkeit, Zorn. Aber auch Kampfgeist und Entschlossenheit. Die widersprüchlichen Emotionen erinnerten Izara an ihr eigenes Gefühlsbad. Sie hätte ihm gerne ein paar aufmunternde Worte gesagt, aber was sagte man einem König, der die Trümmerhaufen einer ganzen Epoche aufzulesen hatte und dem es nicht gestattet war, aufzugeben? Unsicher wischte sie sich übers Gesicht. Ein paar Tränen flossen weiterhin die Wangen hinab. Sie fühlte sich einfach so hilflos. Er bemerkte ihren Blick, zwang sich zu einem Lächeln, das von Herzen kommen sollte, aber bloß noch mehr Ratlosigkeit wachrief. "Die Reise nach Whalla wird dir guttun, sagte er, "es wird dich auf andere Gedanken bringen." "Whalla?" "Wir reisen morgen ab." "Wir?" Izara wusste nicht, was sie sagen sollte. Wieso Whalla? Das Fürstentum östlich Medaniens war nicht gerade um die Ecke. Und überhaupt, meinte er das ernst, als er »wir« sagte? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)