Drachenjagd von Lady_of_D (Die Himmelsgöttin) ================================================================================ Kapitel 39: Izara ----------------- "Du bist also Soldat?", Izara hatte diese Frage nicht als erstes stellen wollen, aber nachdem sie eine halbe Stunde schweigend nebeneinander hergelaufen waren, war es Izara egal, worüber sie redeten. Die Stille zwischen ihr und Solar hatte sich schon immer falsch angefühlt. "Ja", antwortete Solar knapp, dass Izara seufzend die Kapuze nach hinten klappte. Den Umhang hatte sie von Trias. Der Volan war noch einmal zurückgekehrt, um Izara einen schwarzen, schweren Mantel umzulegen. Unter grummelnden Gemurmel und einem Blick, den Izara nicht zu deuten wusste. Er hatte sie auch beschworen, die Kapuze unter keinen Umständen abzusetzen. Irgendwie niedlich von dem Volan, wie er Izara vor den Rest der Welt zu verstecken versuchte und noch niedlicher, dass er glaubte, damit Erfolg haben zu können. Nach den jüngsten Ereignissen auf Whalla ein lächerlicher Gedanke. Bloß schien niemand darüber reden zu wollen. Wie er Izara in dieses übergröße Stück Stoff eingehüllt und dabei einen nicht minder süßen Schmollmund gezogen hatte, hatte Izara doch glatt zu einem Wangenkuss verleitet. Dass er diesen nicht einmal mitbekommen hatte - er musste wirklich erschöpft sein, und Izara war das erste Mal besorgt um König Devons ersten Leibwächter. "Du hattest schon immer ein starkes Pflichtbewusstsein, Solar", sagte sie, um das Gespräch am Laufen zu halten. Solar war noch nie der offensive Typ gewesen. "Pflichtbewusstsein reicht nicht aus, um unser Volk zu beschützen", erwiderte Solar. Er drehte sich zu Izara und zog ihr die Kapuze über den Kopf. "Und was ist mit deiner Erfahrung?" Izara hob eine Augenbraue und zog die Kapuze wieder herunter. "Erfahrung kann hilfreich sein." "Ach Solar, dir muss man aber auch alles aus der Nase ziehen", Izara seufzte. "Was möchtest du hören? Wie ich für das Drachenvolk kämpfe, in dem ich mein Wissen mit ihnen teile? Wie ich die Schwächen der Paladine ausnutze? Wie uns mein Wissen über Trainingsmethoden, Zaubersprüche und  Folterspielchen weiterhilft…?" "Ja, sowas zum Beispiel." Aus den Augenwinkel beäugte er sie. Ein flinker Handgriff und Izara hatte wieder die Kapuze bis zu den Spitzen ihres Ponys hängen. Schnaubend funkelte sie ihn an. "Das ist doch lächerlich", grummelte Izara. "Das ist notwendig", erwiderte Solar und blickte wieder geradeaus. "Hier ist weit und breit niemand zu sehen." Sie wedelte mit den Armen. Seichter Wind wehte durch die Ärmel - ein Vorbote des Herbstes. Sie mochte, wie der Wind durch ihre Haare strich. Trotzdem blieb die Kapuze oben. Vorerst. "Das heißt überhaupt nichts", Solar verschränkte die Arme vor der Brust. Ihm war es eindeutig ernst damit. Sein Blick wanderte von einer verlassenen Eiche zum nächstgelegenen Feld und wieder zurück nach vorne. Sie folgten einem Trampelpfad, nachdem sie über einen durchweichten Boden gewatet waren, klebten nun einzelne Bröckchen Erde an Izaras viel zu dünnen Schuhen. "Du übertreibst, Solar." "Die jüngsten Ereignisse beweisen, dass ich nicht übertreibe." Darauf wusste Izara nichts zu sagen. Geistesabwesend starrte sie auf den Boden zu ihren Füßen. Sie waren schnell unterwegs, auch wenn sie nicht gerade rannten, so legten sie die ersten Meilen ohne Probleme zurück. Solar hatte einen geschmeidigen Schritt, dem sich Izara anzupassen hatte - ob sie nun wollte oder nicht. Proteste hätten nichts genutzt. Am Ende hätte er sie zurück in den Palast gebracht, und nachdem sie es bis hierher geschafft hatte, würde sie auch die restliche Strecke durchhalten. Ihre viel zu kleinen Füße stolperten über die trockene Erde. Falscher Stolz ließ sie die Zähne zusammenbeißen. "Solar", hauchte Izara und stubste den Blitzdrachen mit dem Zeigefinger an. "Du weißt, was passiert ist? Während des Vollmonds?" "Wir alle haben davon gehört", antwortete Solar knapp und Izara war überzeugt, dass das Thema für ihn beendet war. Er stieß einen tiefen Atemzug aus, dann sagte er: "Es war dennoch ein Schock für uns." "Es war der Bürgermeister, Solar." "Flatsch", knurrte Solar - ein erstes Zugeständnis, dass auch der Blitzdrache Gefühle hatte, "wir hätten es wissen müssen." Knochen knackten. Solar hatte die Hände zur Faust geballt. "Die Gemeinschaft der Paladine lässt keinen Ausbruch ungesühnt", fuhr er mit zusammengepressten Lippen fort. "Es ist meine Schuld", Izara blieb stehen. Sie ließ die Schultern hängen. "Ich habe den König dazu gebracht, die Drachen zu befreien. Ich habe die Eier nicht ausreichend beschützt, ich-" "Izara", raunte er ihren Namen. Auch Solar war stehen geblieben. Mit einem schwachen Lächeln schüttelte er den Kopf. "Mayabe hatte also doch recht. Hör' zu: Dich trifft keine Schuld, Izara. Du hast uns befreit und die Ungewissheit ist nun einmal der Preis unserer Freiheit. Glaub' mir, keiner hat gezögert, als der König vor uns stand und das Halsband gelöst hat. Ich zumindest empfinde nichts als Dankbarkeit gegenüber unseren König - und natürlich gegenüber dir." "Hast du dich deshalb dazu entschieden, ein Soldat zu werden?" "Es ist ein Grund", entgegnete Solar und lief weiter. Izara folgte ihm. "Nachdem ich erfahren habe, wer du bist", aus seinen Fäusten drang das Weiß seiner Knöchel hervor, "wir konnten es gar nicht glauben. Ich dachte…es war…" Er brach plötzlich ab. "Was dachtest du?", flüsterte Izara, unsicher, ob es richtig war, in der Wahrheit herumzustochern. "Das Verschwinden unseres Vaters, das Gerücht einer Vergewaltigung - ich dachte immer, dass es einen Zusammenhang gäbe. Der Zeitpunkt passte perfekt, es ergab einfach Sinn. Menschen lügen und Drachen-" "Du…du dachtest, ich wäre deine Schwester?" Sie wollte Halbschwester sagen, aber das Wort fühlte sich noch falscher an als das vorherige. "Die meisten dachten es. Abgesehen von Mayabe. Mutter hat ihr nie erzählt, dass unser Vater kurz nach der Empfängnis verschwunden ist." Dann glaubte Mayabes Mutter also auch…sie wusste nicht, was sie sagen sollte. "Ihr dachtet, ich wäre der Grund, weshalb euer Vater gegangen ist, und trotzdem ward ihr so… so lieb zu mir gewesen?" "Wir haben uns von deinem Aussehen trügen lassen", fuhr Solar fort, als hätte er Izara nicht gehört. "Die blonden Haare, die blauen Augen - für uns stand fest, du bist ein Blitzdrache." [style type="italic"]Uns. Wir.[/style] Izara wusste, dass er von den anderen Drachen sprach. "Haben sie mich deshalb gemieden?", fragte sie geradewegs. Wenn die Wahrheit ans Licht kommen sollte, dann die ganze. "Die meisten waren bloß wütend", antwortete Solar, "sie waren sich sicher, dass deine Mutter gelogen haben muss. »Erst lässt sie sich auf eine Affäre mit einem Drachenblut ein, und dann beschimpft sie ihn als Vergewaltiger«, so etwas in der Art. Niemand hätte angenommen, dass ein Drache wirklich dazu im Stande wäre, die Gesetze zu brechen." "Verstehe", Izara versagte die Stimme. Am Ende lief immer alles auf ihr Mischblut hinaus. Ob sie jemals damit leben könnte, ohne von anderen und sich selbst verachtet zu werden? "Hilft es dir zu wissen, dass sie ihren Ärger zutiefst bereuen?", wollte er ehrlich wissen. "Nicht wirklich", traurig lächelte sie. Unter der Kapuze erblickte sie Solars zerknirschten Gesichtsausdruck. Der Volan kämpfte mit seinen eigenen Gefühlen. Wie viel Schuld hinter seinen grünen Seelenspiegeln steckte, konnte Izara nicht ergründen. Schon früher hatte er nicht viel von sich preisgegeben. Solar war jemand, der Gefühle als Schwäche ansah. Schwäche konnte sich ein Drache in Knechtschaft nun einmal nicht leisten und dass er sich so schnell an die neuen Gepflogenheiten gewöhnt hätte, konnte auch niemand verlangen. Es kostete Kraft, doch nach einer Weile wich ihr falsches Lächeln einem Ernstgemeinten. "Aber ich bin froh, dass du nie so gedacht hast." "Natürlich nicht", tiefe Furchen entstanden zwischen seinen Augen. "Ich dachte, du wärst meine Schwester. Demnach hatte unser Vater auch dich im Stich gelassen. Wir lassen keine Familienmitglieder zurück." Sie hätte ihn gerne in die Arme genommen, aber Solar lief weiter. Seine Bewegungen waren ruppig und weniger geschmeidig als zuvor. "Egal, was du denkst", sie hob ihre Stimme. Solar sollte - nein er musste! - sie hören. "Wenn dein Vater dich sehen würde, wäre er bestimmt stolz, einen Sohn wie dich zu haben." "Das bringt uns zu meinem Besuch heute morgen." Der Blitzdrache kickte einen Kieselstein zur Seite. Sie hatten die Feldplantagen erreicht, das Stadttor rückte näher und Solar richtete seine prüfenden Blicke auf seine königliche Begleitung. "Wie meinst du das?", fragte Izara irritiert, nachdem Solar sich wieder in Schweigen gehüllt hatte. "Jetzt, nachdem ich weiß, dass mein Vater nicht deswegen gegangen ist, will ich die Wahrheit erfahren. Ich will wissen, was wirklich passiert ist. Ob er vielleicht befreit wurde, so wie wir." "Du meinst, ob der König ihn befreit hat?" "Wenn er tatsächlich entkommen konnte, dann nur durch Himmelsblut." Seine Lippen waren ein einziger gerader Strich. Er steckte die Hände in die Hosentaschen und beschleunigte seinen Schritt. "Du glaubst also, dass dein Vater…" "Ich weiß es nicht", seufzte Solar und Izara hatte das Gefühl, das Thema nicht weiter vertiefen zu müssen. Im Verdrängen war sie genauso gut wie ihr Nebenmann, der Tod ihrer Mutter war wie ein weit entferntes Schmuckstück in den tiefen einer versunkenen Schatzkiste. Sie war geradezu erstaunt, als Solar hinzufügte: "Ich habe keine großen Hoffnungen, dass mir der König weiterhelfen kann. Das Ganze ist über neunzehn Jahre her, unser jetziger König wird andere Probleme gehabt haben, als einen kandonischen Drachen zu befreien. Aber wenn es doch einen Hinweis gibt - egal, wie klein er sein mag -, dann muss ich ihm nachgehen. Für Mutter. Sie hat ihn nie aufgegeben. Bis heute. Ich habe sie nie verstanden, aber was weiß ich auch schon, was es bedeutet, seinen Gefährten zu verlieren." Gefährten. Da war es wieder. Dieses Wort, das sie in den Abgrund ziehen wollte. Ihr Magen rollte sich zusammen. "Wir sind da." Solar hätte nichts sagen brauchen. Vor ihnen erhob sich das Stadttor von Dragor. Mit zwei Soldaten, die in voller Kampfmontur auf ihren Posten waren und mit ihren Blicken zu töten vermochten, bildeten sie die tragende Säule einer schwer zu überwindenden Hochburg. Und sie waren nicht allein. Auf dem Dach reihten sich die Soldaten, zwei standen auf den jeweiligen Wachtürmen, die einen Blick über das gesamte Drachengebiet umfassten, während ein Dritter Kreise über den Himmel zog. Seine goldenen Schuppen wurden von den Sonnenstrahlen reflektiert, die zwischen den dichten Wolken immer wieder herausbrechen wollten. Ein Blitzdrache aus dieser Entfernung war wie eine schwebende goldene Statue zu betrachten. Dass sie in erster Linie als Ablenkung dienten, schnürte Izara die Kehle zu. Die Geschichten besagten, dass Blitzdrachen die nähesten Verwandten des Himmelsdrachen seien und dass ihr Glanz und ihre Schönheit - beginnend mit den goldenen Eiern - zum Schutz der Himmelsgötter entstanden waren. Als Paladine zu jagen begannen und Himmelsblut kostbares Gut war, richtete das prächtige Gewand des Blitzdrachen alle Aufmerksamkeit auf sich. Menschen bevorzugten Gold. Die Eier von Himmelsdrachen waren matt, unscheinbar, die jungen Drachen weit davon entfernt, mit ihrer Schönheit zu übertrumpfen. Sie waren wir Schwäne. Graue, hässliche Echsen, die erst im Alter zur vollen Anmut heranwuchsen. Und Paladine waren so töricht und fielen auf die Täuschung herein. Doch das Täuschungsmanöver hatte seinen Preis und Izara blutete das Herz, wie der Blitzdrache seine Bahnen flog, ungeachtet der freien Schusslinie, die er seinem Feind damit darbot.   »Für den König. Für das Drachenvolk«, wie oft hatte Izara diesen Satz gehört. Seit sie Kandio den Rücken gekehrt hatte, waren die Worte als stumme Gebete aus den Mündern der Diener und Soldaten gekommen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)