Drachenjagd von Lady_of_D (Die Himmelsgöttin) ================================================================================ Kapitel 46: Izara ----------------- Niemand sprach es aus, doch jeder schien darauf zu warten, dass etwas passieren würde. Wann die Paladine vor den Toren Dragors stünden. Der Albtraum wahr würde, den die Hyrakonda mitten in der Nacht prophezeit hatte. Izara fürchtete die Worte, ebenso wie sie um das Leben ihres Ziehvaters fürchtete. Ein ständiges Wechselspiel aus Schuldgefühl und quälenden Alpträumen. Während sie warteten, verbrachte Izara die meiste Zeit mit Kaia im Garten oder in ihrem Zimmer. Händchenhaltend, wobei Izara diejenige war, die Kraft und Trost spenden musste. Eine neue Aufgabe, der sie noch nicht ganz gewachsen zu sein schien. Nicht gegenüber Kaia. Die Hyrakonda war völlig fertig. Eigentlich weinte sie nur noch, und das trieb Izara selbst in die Verzweiflung. Jedes kleinste Mutmachen, jede noch so winzige Hoffnung wurde durch Kaias leeren Blick zerstört. Die gequollenen Augen, aus denen kaum mehr als zähflüssige Trauer hinaus gedrückt wurden.   Ab und an bemühte sich die Hyrakonda um ein Lächeln, das schneller als ein Luftkuss verrauchte und nur noch mehr Kummer und Trauer mit sich brachte. Noch nie hatte Izara ihre Ziehmutter in einem Zustand absoluter Verzweiflung erlebt. Die Hyrakonda, ihre Vertraute und Freundin - sie hatte aufgegeben. Sich und Levis. Obwohl sie den weiten Weg auf sich genommen hatte, um die Hilfe des Königs zu erbitten, war Kaias Hoffnung irgendwo auf der Strecke zwischen Kandio und Dragor verloren gegangen. In Izara wuchsen die Schuldgefühle, sie war mitverantwortlich für Kaias Zustand und allem, was sie sich sonst noch an den Kopf warf. Die einstige starke und schöne Hyrakonda war ein zusammengerolltes Wrack, das Izara jeden Tag aufs Neue aufzubauen versuchte. Manchmal glaubte sie, Erfolg zu haben. Wenn sie von früher sprachen. Den Zeiten im Pralinengeschäft, die lustigen Augenblicke, die kleinen Glücksmomente. Sachte blühte Kaia auf, ein Hauch von Leben zierte ihre Wangen, bis die harte Realität einschlug und die Hyrakonda zu dem Häufchen Elend zurück verwandelte, das nur noch auf das Ende der Welt zu warten schien. Die düsteren Gedanken, die schweren Worte - sie lasteten nicht nur auf Kaia. Am schlimmsten war es während des Abendessens. Wie hatte Kaia damals auf eine ausladende Mahlzeit bestanden, wie viele Gänge hatte sie gekocht, dass Izara und Levis fast geplatzt wären und die Bäuche kaum noch Platz für den Nachtisch fanden. Da war er wieder. Levis. Ihr gemeinsamer Halt, die Liebe, die sie miteinander verband. Ohne ihn war das Essen nicht dasselbe, ohne ihn waren Kaia und Izara bloß zwei Weibchen, die sich stillschweigend gegenüber saßen und sich die fürchterlichsten Szenarien ausdachten. So schwer es ihr fiel - Izara musste kämpfen. Sie durfte sich nicht der Verzweiflung hingeben. Sie musste stark sein. Für sich und für Kaia, die auch immer für sie stark gewesen war. Tränen erlaubte sie sich nicht, und wenn ihre Augen zu brennen begannen, biss sie sich so fest auf die Unterlippe, bis die Schmerzen in der Brust weniger wurden.   Tagtäglich wartete Izara auf Neuigkeiten. Ein Lebenszeichen hätte schon genügt, Izara wusste, wie gering die Chancen standen, dass Levis die Befragungen der Paladine überstand. Trotzdem gab sie nicht auf. Wenn Levis kämpfte - und sie war davon überzeugt, dass er das tat -, dann musste auch Izara kämpfen. Und wenn sie nur um ihre Selbstbeherrschung kämpfte, denn zu mehr gereichte es nicht. * Der wievielte Tag seit Levis Entführung angebrochen war, konnte Izara nicht mehr sagen. Tag und Nacht verschmolzen miteinander, sie kam kaum noch zur Ruhe und wenn, dann wurde sie von den schlimmsten Visionen heimgesucht. Essen war eine Notwendigkeit geworden, ein Versuch, Kaias geschundenen Körper aufzubauen. Zusammen saßen die beiden Weibchen an der Tafel des Speisesaals. Izara saß direkt neben Kaia, die wortlos in ihre Suppe starrte. Das tat Kaia jeden Tag. In die Luft starren oder dieses und jenes betrachten, als würden die Gegenstände einen Blick in die Zukunft gewähren - keiner erfreulichen Zukunft. Die dunklen Ringe waren ein völliger Kontrast zu ihrer kalkigen Haut. Kaia atmete schwer, die Lippen bebten und dürsteten geradezu nach Flüssigkeit, welche die Hyrakonda ihnen einfach verwehrte. Still löffelte Izara ihre Suppe und blickte zu ihrer Leibwächterin. Kyia sah aus, als könnte sie jeden Moment von ihrem Posten springen und eine halbe Armee zur Strecke bringen. Aber nicht nur Kyia. Alle waren sie Einsatzbereit. Izara spürte die Anspannung und fühlte sich zunehmend unbehaglicher. Kaia legte den Löffel auf den Teller, das Geräusch hallte durch den Saal, dicht gefolgt vom Quietschen des Stuhles, als die Hyrakonda von ihrem Platz aufstand. "Du gehst schon?", fragte Izara und schaute zu ihrer Ziehmutter hinauf. Sie klang überraschter als sie es war. Matt lächelte Kaia. "Ich habe keinen Hunger." Damit verabschiedete sie sich. Meist drehte Kaia ein paar Runden im Schlossgarten oder setzte sich in die Vorhalle und blickte nach oben in den zugezogenen Himmel. Manchmal wollte sie alleine sein, obwohl Alleinsein im Schloss ein Ding der Unmöglichkeit war. Niemand hätte die Hyrakonda unbeaufsichtigt gelassen, das Misstrauen spürte Izara bis in die Fußspitzen. Immer wieder sprachen sie von Verrat, Verschwörung und geheimen Machenschaften. Nichts, das je bewiesen worden wäre. Mit einem Seufzer löffelte Izara weitere ihre Suppe, bis nur noch eine blasse Schicht übrig geblieben war. Am Ende lief es doch immer auf dasselbe hinaus. Sogar der König kam nicht mehr zum Essen, seit er den Bürgermeister vor einem möglichen Anschlag gewarnt hatte. Oft saß er in seinem Arbeitszimmer, begleitet von mehreren Soldaten, Gelehrten und natürlich seinem Leibwächter. Ob sich König Devon die Zeit zum Speisen nahm, bezweifelte Izara. Sie war überzeugt, dass er sich nie Zeit für sich nahm. Ihr kam ein Gedanke. Zwei, drei Löffel ihres Nachttisches hineingeschoben, sprang auch sie von ihrem Platz auf. Sofort richtete sich Kyia auf. "Alles in Ordnung, Prinzessin?", fragte sie, die Finger am Gürtel, direkt neben ihrem Schwert. "Alles gut", versicherte Izara, "ich wollte nur schnell in die Küche und etwas zu Essen holen." "Das braucht Ihr doch nicht. Ich kann dem Küchenjungen Bescheid geben, dass er ein paar Kleinigkeiten für Euch besorgen soll." "Aber doch nicht für mich", Izara fasste sich ans Ohr, "ich möchte dem König etwas vorbeibringen. Er wird doch sicherlich noch nichts gegessen haben." "Ich bezweifle es", entgegnete Kyia und verschränkte die Arme vor der Brust, "also schön", sagte sie, als bräuchte es die Zustimmung des Bergdrachen. Lächelnd lief Izara an ihrer Leibwächterin vorbei. Diese sah ihr kurz hinterher, bevor sie sich im Flur neu postierte. Die Küche war schnell gefunden, die Küchenhilfen waren hilfsbereit und stellten ein Tablett mit allerhand Leckereien zur Verfügung. In einer Schale duftete es nach frischer Fischsuppe, während daneben kleine Häppchen aus Fleisch und Gemüse drapiert worden waren. Zielstrebig steuerte Izara dem Teil des Schlosses an, in dem sich das Arbeitszimmer des Königs befand. Wie zu erwarten stand Trias genau vor dessen Tür. Die Arme hinter dem Kopf, unterdrückte er sich gerade so ein Gähnen, als er Izara auf sich zulaufen sah. Überrascht stemmte er die Hände in die Hüften und schaute zu dem vollen Tablett hinunter. "Das wäre aber nicht nötig gewesen", sagte der Volan und grinste sie breit an. Sie war den Leibwächtern dankbar, dass sie Izara nicht mit Mitleid und Überfürsorge begegneten. Noch mehr traurige Gesichter hätte sie nicht ertragen. "Das ist nicht für dich", entgegnete Izara, bot ihm aber etwas von den Häppchen an. Der Volan schüttelte den Kopf. Sehr zum Missfallen seines Bauches, der laut zu brodeln begann. Entschuldigend kratzte sich Trias an den Kopf. "Die Gerüchte sind also wahr", sagte Izara und blickte auf seinen Bauch hinunter, "du versteckst unter deinem Hemd also doch einen Vulkan." "Ja, und ein paar Feuersalamander hätte ich auch noch zu bieten. Willst du mal sehen?" "Ähm, nein", Izara musste sich die roten Wangen verkneifen. So ganz bekam sie das Bild seines Oberkörpers nicht aus ihrem Kopf. Trias grinste triumphierend, dann wurden ihre Mienen wieder ernst. "Ist er schon lange da drin?", Izara deutete auf die Tür. Trias seufzte. "Seit dem Vormittag. Ich glaube, er arbeitet an einer neuen Route für…naja, du weißt schon." "Oh", mehr konnte Izara nicht sagen. Niemand schien es zu behagen, dass der König in Erwägung zog, Levis zu retten. Es wurde zunehmend unangenehmer, über das Thema zu reden. Sie wollte sich nicht rechtfertigen - nicht wegen Levis. Der Volan war so freundlich und ging nicht weiter darauf auf. "Über eine Mahlzeit wird er sich bestimmt freuen", sagte er und versuchte es noch einmal auf die lockere, ungezwungene Art. Diesmal erfolglos. Mit einem Nicken klopfte er an die Tür, dann ließ er Izara eintreten. Mit dem Tablett schlüpfte sie durch den Spalt, den Trias ihr zur Verfügung gestellt hatte. Es klapperte laut, als sie die Tür hinter sich schloss und dabei nur den Ellenbogen benutzte. "Izara", König Devon klang überrascht. "Ich hoffe, ich störe Euch nicht", murmelte Izara und blickte scheu auf den Schreibtisch, an dem der König an mehreren Schriften gleichzeitig arbeitete. "Nein, schon gut", entgegnete König Devon. Er legte den Stift beiseite und musterte Izara auf eine Art, die sie nicht zu deuten wusste. Das Schweigen war beengend, dass Izara nicht anders konnte als irgendetwas zu sagen. "Ich fürchte, Euer Leibwächter wird sich bald in einen Vulkan verwandeln." König Devons Augenbrauen schnellten in die Höhe. "Ich meine, wenn er nicht bald etwas Vernünftiges zu essen bekommt, wird er noch explodieren." "Steht er etwa immer noch vor der Tür?", fragte der König ein klein wenig genervt. "Ja." König Devon gab ein tiefes Schnauben von sich. "Unverbesserlicher Sturkopf." "Ich denke, er macht sich nur Sorgen um Euch." So wie ich, dachte Izara, behielt das Geständnis jedoch für sich. "Das sieht diesem Volan ähnlich. Wenn er so weiter macht, muss ich mir noch Sorgen um ihn machen." "Er weiß vielleicht nicht, wie er Euch sonst unterstützen kann", warf Izara ein und trat langsam an den Tisch des Königs heran. "Wenn ich raten müsste, scheint Ihr jemand zu sein, der die Dinge lieber alleine klären möchte." "Ja, da hast du wohl recht", seine eiskalten Augen fixierten Izara, die ganz vorsichtig mit dem Tablett zu balancieren versuchte. "Wenn Ihr Trias eine eigene Aufgabe geben könntet", überlegte Izara, "wäre er vielleicht nicht mehr so…anhänglich." "Das bezweifle ich stark", lachte der König leise, "aber du wirst recht haben. Trias ist nicht genug ausgelastet. Vielleicht sollte ich es einmal ausprobieren." Schüchtern drehte sie sich von seinen Blicken weg und sah sich noch einmal in diesem kleinen, beengenden Raum um. Die vielen Möbel, das dunkle Holz - alles kam ihr vage bekannt, wenn auch nicht wirklich vertraut vor. Als hätte sie einen ähnlichen Ausblick auf einer Leinwand oder in einem Bilderbuch gesehen. "Ich hoffe, dass Trias dich nicht dazu verdonnert hat", er zeigte auf das Tablett, bevor er den Stapel an Dokumenten, an denen er bis eben gearbeitet hatte, an den Rand seines Tisches schob. Flüchtig erkannte Izara ein paar Zeichnungen von Dragor und Umgebung. Auch ein paar Schriftstücke mit ausländischen Siegeln waren dabei. "Nein, aber ich stimme Eurem Leibwächter zu." "In wiefern?" "Ihr achtet nicht auf Euch, und selbst ein Drachenkönig muss ab und an einmal an sich denken." Ein flüchtiges Lächeln huschte über sein Gesicht, Izara hatte es genau gesehen und es ärgerte sie maßlos, dass eine solch kleine Regung genügte, um ihr Herz wie einen Flummi springen zu lassen. "Izara", ihren Namen aus seinem Mund ließ einen wohligen Schauer über ihren Rücken wandern. Izara blickte auf das Tablett und stellte es etwas ungeschickt auf den Schreibtisch ab. Die Miene des Königs wurde wieder ernst. "Trias wird es dir sicherlich schon gesagt haben", seine Stimme ließ Izara in ihrer Bewegung verharren. "Ihr meint, dass es keine Neuigkeiten gibt bezüglich-", sie stockte. Schluckte den zähen Brocken hinunter. Er dachte, sie wäre deshalb gekommen. Wegen Levis - und nicht wegen ihm. "Die Lage ist schwierig", fuhr der König fort. Izara nahm die Hände vom Tablett. Sie waren rutschig und Izara hätte sie gerne irgendwo abgewischt, aber das schien ihr noch peinlicher als sie einfach nur zur Faust zu ballen. "Ich weiß", nuschelte Izara, "Ihr tut alles, was Ihr könnt, und dafür bin ich Euch dankbar. Es ist mehr als ich mir zu erwarten erhofft hatte." Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper, hielt sich mit der linken Hand am rechten Oberarm fest. Indem sie den König um Hilfe gebeten hatte, hatte sie ihn etwas versprechen lassen, das er unmöglich einhalten konnte. Dass er dennoch nach einem Weg suchte, ihr die möglichste Unterstützung zusagte, machte es ihr schwer, ihre Bitte noch einmal vorzutragen. "Ich wollte nur sagen", begann Izara und spürte den eindringlichen Blick des Königs. Die tiefen, dunkelblauen Augen, die alles von ihr ergründen wollten. "Was ich neulich zu Euch gesagt habe", sie geriet ins Stottern. "Ich wollte nicht -" "Ich verstehe schon", entgegnete der König, "wir müssen das Thema nicht wieder aufgreifen." Sie sah ihm nicht direkt in die Augen, aber sein Tonfall verriet, das er sich nicht weiter mit dem Thema befassen wollte. "Wenn Ihr meint", ihre Stimme war leise und gedrückt, sie hätte gerne ihre Entschuldigung rübergebracht. Doch scheinbar wollte der König sie nicht hören und das musste sie respektieren. "Kann ich", sie leckte sich über die Lippen. Immer wenn sie dem König nahe war, wurden ihre Lippen so trocken. "Kann ich sonst etwas für Euch tun?" "Nein, Izara", sagte der König sanft, "damit", er zeigte auf das Essen, "hast du schon genug getan." Sie nickte, wandte sich zum Gehen, obwohl ihr Kopf schrie, dass sie bleiben sollte. Das Aufreißen der Tür nahm ihr jegliche Entscheidungen ab. "Hoheit", Trias hatte noch die Hand an der Klinke, seine Augen waren weit geöffnet. Er keuchte, als wäre er gerannt. "Sie - sie sind hier!" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)