Drachenjagd von Lady_of_D (Die Himmelsgöttin) ================================================================================ Kapitel 1: Devon ---------------- >>Ein Drache fährt nicht Zug.« Devon hätte bei seiner Entscheidung bleiben sollen, aber ein Flug zwischen den Königreichen Medanien und Isven war einfach zu unsicher. Gerade jetzt, wo diese verdammten Paladine das Sagen übernommen hatten. Da könnte er sich ihnen ja gleich vor die Füße werfen! Den Ellenbogen auf die Lehne gestützt, blickte er aus dem Fenster. Der Zug beschleunigte und ließ die Bäume wie verwaschene grüne Striche aussehen. Die Wälder Medaniens hatte er schon unzählige Male gesehen. Von oben. Nicht aus dieser Perspektive und es behagte ihm nicht, dass der Zug noch eine Spur schneller wurde. Es war einfach… nicht normal. Mit einer Maschine - von Menschenhand erschaffen - durch die Länder zu reisen, war eine Sache, aber sein Vertrauen in die Technologie zu setzen, ja, vielleicht sogar sein Leben in die Hände einer neuartigen Erfindung zu legen, war nicht das klügste, was er hätte tun können. Durch die Spiegelung der Fensterscheiben sah er die Gesichter seiner Begleiter. Sie alle schienen denselben Gedanken zu teilen. »Einem Fahrzeug, das ein Pferd überholen konnte, ist einfach nicht zu trauen.« "Wie lange noch?", fragte Sila und Trias antwortete: "Drei Stunden, wenn ich mich nicht irre." Die gebürtige Lóng unterdrückte einen Seufzer und schlug mit einer ausladenden Geste die Beine übereinander. "Es können aber auch fünf sein", fügte der Leibwächter hinzu und heimste sich einen hasserfüllten Blick Seitens des weiblichen Geschlechts ein. "Und wie lange wir in Masfor halten werden, weiß ich auch nicht." "Sag' lieber nichts mehr", murrte Kyia ihren Sitznachbarn an. Es war ihr erster Satz an diesem Tag - und womöglich auch ihr letzter. Kyia war keine gesprächige Begleitung - das waren Bergdrachen nie -, doch gerade deshalb hatte er sie bei den Verhandlungen dabei haben wollen. Es war immer gut, jemanden in den Reihen zu haben, der sich zurücknehmen konnte. Anders als Sila, der es keineswegs an Gesprächsstoff fehlte und die selbst am Verhandlungstisch kein Blatt vor dem Mund nahm. Nur heute hielt sie sich zurück, was wohl an den unbefriedigenden Ergebnissen liegen konnte. Da hatten sie den weiten - und nicht ganz ungefährlichen - Weg auf sich genommen, um schließlich mit leeren Händen nach Dragor zurückzukehren. Wieder einmal waren die Verhandlungen ins Stocken geraten. Wieder einmal war Isvens König nicht bereit, die Drachen zu unterstützen. Die verbliebenen Territorien »wären es nicht wert« von dem südlich angrenzenden Königreich beschützt zu werden. Der König hatte es nicht direkt formuliert, aber das brauchte er auch nicht. Devon hatte zwischen den Zeilen lesen können, dass ein Bündnis kein lukratives Geschäft darstellte, und das einzige, das Isvens König zu interessieren schien, waren seine Goldmünzen. Und vielleicht noch seine Vollblutaraber, die er ihm allesamt beim Namen vorgestellt hatte. Wenn Devon gewusst hätte, dass der Herrscher seine Entscheidung im Vorfeld gefällt hatte, hätte er sich den Rundgang durch die Ställe sparen können. Er tat einen tiefen Atemzug und verdrängte die baldigen Gespräche, die auf ihn zukommen würden. Was er seinen Beratern und Generälen sagen sollte, wusste er noch nicht. "Ist Euch nicht wohl, Hoheit?" Silas Stimme drang an sein Ohr. "Es ist nichts", antwortete er in ihrer eigenen Sprache. Die menschliche Kommunikation war ihm noch nicht ganz vertraut, er fühlte sich nicht wohl beim Klang seiner eigenen Stimme, ganz zu schweigen von den vielen Silben und Worten, also kommunizierte er lieber so, wie die Drachen es seit tausenden von Jahren taten - durch Schallwellen. Das war unkompliziert und bis auf ein paar mächtige Paladine konnte sie niemand hören. Sila nickte. Ihr besorgter Blick blieb. Vermutlich glaubte sie, er vertrug die Zugfahrt noch weniger als sie. Immerhin war er innerhalb des Drachenvolkes eine Spezies für sich, in seinen Adern floss reines Drachenblut, und obendrein auch noch das mächtigste überhaupt. Vielleicht rührten daher die Kopfschmerzen. Er hatte sie, seit sie die Grenzen überquert hatten, und je weiter sie fuhren, umso heftiger wurde das Hämmern. Nie wieder Zug fahren, schwor er sich und legte den Kopf in den Nacken. "Hoheit", murmelte Sila, bevor sie den Kopf senkte und in ihre Sprache wechselte. "Wenn Ihr eine Pause braucht-" "Nein!", antwortete er und beendete das Thema. Er mochte es nicht, dass man ihn wie einen hilfsbedürftigen Welpen behandelte und in letzter Zeit war es besonders auffällig, wie behutsam seine Leibgarde mit ihm umging. Schlimm genug, dass er keine zehn Meter gehen konnte, ohne die wachsamen Blicke der Soldaten im Rücken zu spüren. Etwas, woran er sich nie ganz gewöhnt hatte. Genauso wie es ihm nicht behagte, mit Hoheit angesprochen zu werden. Nach fast neunzehn Jahren fiel es ihm immer noch schwer, in die Fußstapfen des Königs - des einzig wahren Herrschers des Drachenvolkes - zu treten. Würde König Juras noch leben, wie hätten die Verhandlungen wohl dann ausgehen? Solche Fragen stellte sich Devon immer wieder. Mit seinem Verschwinden hatte er definitiv für Verunsicherungen gesorgt. Einige waren sogar der Ansicht, dass die Vorherrscht nun endgültig den Paladinen gehörte. Eine Äußerung, die ihn jedes Mal an die Grenzen seiner Geduld brachte, und er war ein sehr geduldiger Mann. "Bereitet den Schleier vor", sagte er und verschaffte seinen Untergebenen die nötige Ablenkung. Beinahe gleichzeitig nickten sie, sammelten ihre Kräfte und verstauten sie in ihr Innerstes, damit sie vor den Paladinen unentdeckt blieben. Die Wälder galten als sicher. Erst dahinter - in den umliegenden Städten, die vorwiegend von den Paladinen kontrolliert wurden - war das Reisen als Drache nicht ganz ungefährlich. Trotzdem wollte er kein Risiko eingehen. Die Paladine erweiterten ständig ihre Hoheitsgebiete. Als Menschen mit magischen Begabungen nahmen sie sich ganz schön viel heraus. Für seinen Geschmack ein wenig zu viel. Und die Menschen Medaniens nahmen es einfach hin, sogar der König ließ es zu, dass der Einfluss der Paladine immer weiter wuchs. "Wunderschöne Wälder! All dieses ungenutzte Potential", seufzte die Lóng und erinnerte Devon daran, wie machtlos er eigentlich war. Dort draußen gab es tausende Drachen, die der Leibeigenschaft der Menschen vollkommen ausgeliefert waren. Drachen, die es damals - vor der großen Säuberung - nicht geschafft hatten zu fliehen, steckten in zahlreichen Dörfern und Städten fest, ohne Aussicht, ihre geliebte Heimat  Dragor - oder das, was von ihr übrig geblieben war - wiederzusehen. Devon verschränkte die Arme vor der Brust. Ihm war nicht wohl, sein Volk zurückzulassen. Egal, wie sehr sie sich den Menschen angepasst hatten, wie sehr sie sich bemühten, ihre Kräfte zurückzuhalten, sie blieben nun einmal Drachen, und Drachen brauchten das Gefühl von Freiheit. Genauso sehr wie den Wind durch ihre Schuppen zu spüren oder die Flügel wie ein Adler auszustrecken und dabei über die Spitzen des Kesselberges zu segeln. Ein Drache, der kein Drache sein durfte verkümmerte mit der Zeit und irgendwann- Genug, ermahnte er sich. Die Kopfschmerzen waren kaum noch zu ertragen und zu allem Überfluss hatte er auch noch mit einer inneren Unruhe zu kämpfen. Das alles, weil er etwas durchgerüttelt wurde? Er hatte sicherlich keine Angst vor ein wenig Geschwindigkeit. In seiner Drachengestalt flog er schon mal hundert Meilen die Stunden. Und nur, weil er kein Vertrauen in diese Höllenmaschine hatte, hieß das nicht, dass sie ihn einschüchterte. Zumindest nicht auf diese Weise. Nein, der Grund für seine Unruhe war ein anderer. Auch der Kopfschmerz nahm klarere Züge an, je tiefer sie in den Wald kamen. Er riskierte noch einen Blick aus dem Fenster. Das Pfeifen der Lokomotive dröhnte in seine Ohren, Rauch benebelte die Sicht, aber es war auch nicht die Landschaft, die ihn beschäftigte, sondern der Geruch. "Unmöglich!" "Hoheit?" Er sprang von seinem Sitz auf, riss das Fenster herunter, dass es beinahe aus den Angeln gehoben wurde. Das konnte nicht sein! Sein Geist musste ihm einen Streich spielen, der Stress der letzten Stunden und die nervenaufreibende Fahrt hatten seine Sinne getrübt. "Hoheit", sprach ihn Sila an, doch er hörte sie nicht. Auch Trias und Kyia waren angespannt. Den Kopf aus dem Fenster gesteckt, atmete Devon die Luft des Waldes ein. Sofort war er von schwarzem Rauch umhüllt. Der Gestank brannte ihm in die Nase. Für einen Menschen wäre es unmöglich, sich auf etwas anderes zu konzentrieren, als Drache jedoch konnte er Gerüche über mehrere Meilen auseinanderhalten. Seine Nackenhaare stellten sich auf. Mit aufgerissenen Augen starrte Devon zwischen die dichten Laubblätter hindurch. Er wagte es, einen Funken Magie durch seine Augen zu jagen. Auch wenn es riskant war, er wollte - nein, er musste - die Quelle des Duftes finden. Noch blauer erstrahlten die Seelenspiegel des mächtigsten Drachen, drängten sich durch das Dickicht, weiter durch die Lichtungen, um schließlich eine Stadt ausfindig zu machen. "]Die Stadt - nordöstlich des Waldes", sprach er Trias, seinen Leibwächter und Kartographen an, und der Volan antwortete: "[style type="italic"]Kandio, Hoheit."[/style] Die Anspannung war ihm anzuhören. Trias Haut begann zu schwitzen. Wenn er erst wüsste, was Devon gefunden hatte! "Kandio wird unser nächster Halt sein!" "Äh, Hoheit? Kandio liegt außerhalb unserer Fahrtstrecke, der Zug hält erst wieder in Vebrix, wenn wir-" "Dann sollten wir keine Zeit verlieren", Devon ließ die Magie zurück in sein Innerstes fließen und zog dann seinen Kopf ein. Aber nur, um seinen Mantel fest zu binden und den Kragen zu richten. Ein frischer Wind kam auf, er rechnete mit Regen und sobald die Luft von Feuchtigkeit dominiert wurde, war es schwer, die Spur weiter zu verfolgen. Selbst für ihn. Der Geruch war nur stellenweise und auch nur in kleineren, feinen Mengen zu erschnüffeln, dass er bereits ein paar Tage alt sein musste. Es galt, schnell zu handeln. Er wandte sich an Sila und Kyia. "Ihr haltet euch weiter an den Plan." Sie verstanden und nickten. In Kyias Augen blitzte es kurz auf. Sie wollte mitkommen, der Ton ihres Königs ließ etwas Wichtiges erahnen. Aber sie schwieg. Aus Gehorsam, und weil sie wusste, dass sie Sila nicht allein lassen konnte. Im Gegensatz zu ihr, hatte die Lóng einiges zu verlieren, sollte sie in Schwierigkeiten geraten. Außerdem kam Devon mit seinem langjährigen Vertrauten bestens allein zurecht. Trias nickte ebenfalls, knöpfte seinen eigenen Mantel zu und bereitete sich auf eine ungemütliche Landung vor. Dass sie so schnell den Zug verlassen würden, damit hatte wohl keiner von beiden gerechnet, doch Devon interessierte sich längst nicht mehr für das menschliche Transportmittel. Er kletterte aus dem Abteil, Trias hinterher. Kapitel 2: Devon ---------------- Einer großen Vorbereitung bedurfte es nicht und mit angezogenen Beinen sprangen sie aus dem Zug. Das Moos federte die Landung etwas ab, den Rest erledigten die Sprunggelenke. Drachen hatten von Natur aus robustere und elastischere Gelenke und selbst in Menschengestalt hielt ihr Körper deutlich mehr aus als der einer anderen Spezies. "Wenn Ihr mir die Frage erlaubt", Trias klopfte sich gerade die Erde von dem Mantel, "was genau wollen wir in Kandio?" "Himmelsblut suchen", antwortete Devon und marschierte auf sein Ziel zu. "Hoheit!", rutschte es laut aus Trias heraus. Stolpernd folgte er seinem Anführer, sprintete ein Stück, bis er Devon eingeholt hatte. "Seid Ihr-", Trias stockte. Die Frage erübrigte sich. Himmelsdrachen erkannten einander immer, und Devon war ein Himmeldrache. Der Letzte…zumindest bis zu diesem Augenblick. "Ich weiß, was du denkst, Trias", entgegnete Devon und schloss für einen Moment die Augen, unschlüssig, was er eigentlich fühlen sollte, "ich glaube es ja selbst kaum. Aber es besteht kein Zweifel. Sie ist ein Himmelsdrache - eine Himmelsgöttin." "Sie?!" Sie bogen nach links ab und folgten dem Wanderweg weiter Richtung Osten. "Aber die Königin ist…ich meine, sie war die Letzte!" "Ich weiß", knurrte Devon und schüttelte den Gedanken an das Massaker von Logia ab. Der Tod der Königin war lange Zeit vor seiner Ernennung gewesen. Damals hatte kein Weibchen des Himmelsvolkes überlebt. "Aber es ist möglich." Die Duftspur führte ihn aus dem Wald heraus. Es beruhigte ihn genauso sehr, wie es ihn den Verstand kostete. Devon hatte das Gefühl, als stürzte alles auf ihn ein. Er war einfach nicht darauf vorbereitet. Aber wie hätte er sich auch darauf vorbereiten können?! "Wenn König Juras ein Kind mit einer Menschenfrau gezeugt hat, und dieses Kind bis heute überlebt hat", er schüttelte den Kopf, "es ist möglich, Trias!" "Das würde bedeuten, dass dies", er schaute sich um, vor ihnen tauchten die ersten kleinen Spitzhäuser auf und dahinter erhoben sich bereits die Stadtmauern, "dass Kandio sein letzter bekannter Aufenthaltsort ist." Und der Ort an dem er starb, dachte Devon und zog die Augenbrauen zusammen. Er war sich sicher. König Juras war tot. Wenn es stimmte, wenn der König sich bis an den Rand der menschlichen Zivilisation geschlichen hatte, alles riskiert hatte, ja sogar den Beischlaf mit einem Menschen vollzogen hatte, dann hatte er gewusst, dass sein Ende nahte. Die Königin war längst tot, kein weiblicher Nachkomme hätte die Blutlinie weiterführen können, es sei denn, man zeugte ein Kind mit gemischtem Blut. Drachenmenschen waren selten, gerade in der heutigen Zeit, wo Paladine Hass und Vorurteile in den Köpfen der Menschen säten und Drachen lieber unter sich blieben, käme niemand auf die Idee, ein Kind in die Welt zu setzen, dessen Schicksal ungewiss blieb. König… Devon konnte dessen Opfer kaum in Worte fassen. Er war das Risiko eingegangen, um sein Volk zu retten, ihnen Hoffnung zu geben. Devon konnte nur erahnen, was in dem alten Herrscher vorgegangen war, aber eines wusste er: er würde alles dafür tun, um König Juras Willen weiterzuführen. Nach einer Stunde erreichten sie Kandio. Mit Drachenmagie wären sie schneller gewesen, doch wie gesagt, Ort und Zeit waren unsicher. Die Kleinstadt war überschaubar, es gab einen Rosengarten und einen kleinen Park, auf denen Großväter mit ihren Enkeln Drachen steigen ließen und eine Gruppe junger Erwachsener den Müll von den Wiesen und Parkbänken entsorgten. Der Marktplatz befand sich zwischen einer Kirche und dem Gemeindezentrum. Auf den Straßen war wenig los, ein paar Frauen schlenderten über den Basar, der Obst und Gemüse anbot. Irgendwo gackerte ein Huhn und eine Katze huschte blitzschnell über die Straße, wo sie beinahe zwischen die Räder einer Kutsche gekommen wäre. Hinter den Marktständen wies eine gigantische Menschenstatue auf das Rathaus hin. Die beiden Reisenden tauschten wissende Blicke aus. Kandio war feindliches Hoheitsgebiet. Die Tür, auf welche die Statue deutete, trug die für Paladine so typische Inschrift - »Unser Land - unsere Regeln« "Was die wohl mit uns meinen?", grummelte Trias und steckte die Hände tief in die Taschen seines Mantels. Devon ging nicht weiter darauf ein. Sie beide kannten die Antwort. Keinem von ihnen war es entgangen. Die Halsbänder der Frauen und Männer mit Drachenblut waren das Ergebnis einer verlorenen Schlacht, die mehr als das Leben tausender gekostet hatte. Ein Drache, der mit dem Halsband eines Paladins gezeichnet wurde, verlor sämtliche Immunität. Drachenreiter - so hatten sich die ersten ihrer Art bezeichnet. Als die Verfolgungen anfingen, Kämpfe zwischen Paladinen und Drachen unvermeidlich wurden und schließlich ganz Medanien Krieg gegen die Bezwinger der Lüfte führten, hatten es sich die Paladine zur Aufgabe gemacht, sich jene Kreaturen zu Willen zu machen. "Unfassbar, dass König Juras hier gewesen ist", sein Leibwächter presste die Lippen zusammen. Devon stimmte ihm zu. Der König musste verzweifelt gewesen sein. Sehr verzweifelt. "Hier lang", sagte er und deutete mit einem Kopfnicken auf eine kleine Seitenstraße, die außerhalb des Zentrums führte. Die Spur wurde stärker. Ein süßer Duft umwehte ihn wie ein flüchtiger Kuss auf den Mund. Devon erschauderte. Diese Himmelsgöttin stand kurz vor ihrer Erweckung. Ein junges Weibchen, das bald seinen neunzehnten Geburtstag erreichen sollte. Deshalb hatte er sie so stark wahrgenommen. Ihr Geruch war…intensiv. Unkontrolliert. Die typischen Anzeichen eines Drachenweibchens, das zur Frau heranreifte und auf seine erste Verwandlung zusteuerte. Wenn das stimmte, durften sie keine Zeit verlieren. Ihnen blieben wenige Tage, wenn überhaupt. "Dort drüben." Er blieb stehen. Die Spur hatte ihn in ein kleines Pralinengeschäft geführt. Hier war der Duft am stärksten und es brauchte nur ein paar Schritte, um sich seiner Vermutungen sicher zu sein. "Meint Ihr, sie wird-" Devon schüttelte den Kopf. "Sie ist nicht hier. Aber vielleicht ändert sich das noch. Ihr Geruch ist stark, sie wird öfter den Laden besuchen. Wir sollten reingehen und uns ein wenig umsehen." "Was passiert, wenn wir sie gefunden haben? Sie wird nicht wissen, wer sie ist, sonst hätte man sie niemals am Leben gelassen." Auch Trias schien sich zusammen gereimt zu haben, dass der junge Himmelsdrache noch nicht erweckt worden war. "Die Sicherheit der Himmelsgöttin hat oberste Priorität", entgegnete Devon. Er spürte, wie Trias zu einer Verbeugung ansetzen wollte, doch er erinnerte sich, wo sie waren und nickte nur. "Wie Ihr wünscht", sagte Trias. Er ließ seinem König den Vortritt und mit festen Schritten überquerten sie die Straße. Im Schaufenster lagen lilane und schwarze Trüffel, Schokopralinen und Marzipanfiguren drapierten sich auf weißen Etageren. Devon riss die Klinke herunter. Ein Glockenspiel kündigte die Neuankömmlinge an. "Ich komme sofort", trällerte eine süße Stimme vom Hinterzimmer aus. Devon nutzte den Moment, um sich ein wenig umzusehen. Direkt neben ihnen, hinter dem Schaufenster, war ein runder Stuhl mit zwei Stühlen aufgestellt. Ein ähnlicher Tisch stand gegenüber der Kasse. Alles war klein und eng, doch es strahlte eine gewisse Gemütlichkeit aus, dass Devon nicht sofort das Gefühl hatte, die Flucht ergreifen zu müssen. Enge, kleine Räume waren nichts für Drachen seiner Größe - selbst in seiner jetzigen Gestalt. Langsam näherte er sich der Theke. Dahinter füllten hunderte Pralinen die Regale, die bis an die Decke reichten. Es gab Schubfächer, aus denen Bonbons hervorlugten, dutzende Verpackungen aus Papier und Spitzen besetzten Tütchen und eine Box, die nach Rosen, Pfeffer und Chili duftete. Natürlich nahm er noch ganz andere Gerüche wahr. Wie zum Beispiel die heiße Schokolade, die irgendwo im Hinterzimmer umgerührt wurde, oder die aufgekochte Sahne und die süßen Mandeln. Zwischen all den intensiven Aromen überdeckte der Duft des Drachenweibchen für Devon alles andere. Sein Kopf stand kurz davor, in Stücke gerissen zu werden. "Ich bitte vielmals um Verzeihung." Aus dem Hinterzimmer stürmte eine schwarzhaarige Frau, Devon schätzte sie in den Vierzigern. Einzelne Strähnen hatten sich aus ihrem Zopf gelöst und das weiße Leinentuch rutschte ihr beinahe vom Kopf. Schweiß benetzte Oberlippe und Stirn. Ihr Handtuch - sie hatte sich damit die Schokolade von den Händen gewischt - warf sie sich locker über die Schulter. Sie begrüßte ihre Gäste, ihr Blick huschte über die zwei fremden Gesichter. Kandio schien keine Stadt, in welcher der Tourismus florierte. Eine Ladenbesitzerin wusste so etwas natürlich und begutachtete entsprechend die beiden Herren. Erkennen konnte sie sie jedoch nicht. Nicht, solange der Schleier sie schützte. "Touristen, wie ich annehmen darf?" Ihr Stimme war hoch, höher als er es von einer Frau wie ihr erwartet hatte. Zu ihr hätte definitiv etwas Rauchigeres gepasst. Die Männer nickten und Trias übernahm die Führung des Gesprächs. Im Gegensatz zu Devon beherrschte der Volan die menschliche Sprache nahezu perfekt, und je weniger Aufsehen sie erregten, umso sicherer konnten sie sich sein, nicht aufzufliegen. Eine Konfrontation mit den Paladinen wollte er definitiv vermeiden. "Wir werden warten", Devon schickte seinem Untergebenen die Nachricht, während dieser gerade über das strenge Herstellungsverfahren unterrichtet wurde. Die beiden führten seit einigen Minuten ein angeregtes Gespräch über die Qualitätsunterschiede diverser Kakaobohnen. Devon hatte seinem Leibwächter gar nicht so viel Wissen zugetraut. "Mein Begleiter und ich, wir sind müde von der Reise", Trias deutete auf die freien Sitzplätze, "wir hoffen, wir können Ihre Gastfreundschaft in Anspruch nehmen und unsere Beine ein wenig Entspannung gönnen, bevor wir weiter nach Skandia wandern." Er verneigte sich, und zwar freiwillig. Die rassige Chocolatier schien genau seinem Beuteschema zu entsprechen. Trias konnte nicht wissen, dass noch etwas anderes in ihr schlummerte. Sie war keine gewöhnliche Frau. Sie war eine Hyrakonda - ein Raubtier mit menschlichen Zügen. Bislang hatte sie ihre langen Krallen und die spitzen Zähne hinter ihrem menschlichen Aussehen verbergen können, und solange Devon oder Trias nichts unüberlegtes taten, würde dies auch so bleiben. Hyrakonden waren von allen Chimären den Menschen am besten angepasst. Ein Grund, weshalb die Spezies nicht längst von den Paladinen ausgerottet worden war. Ihr breites Lächeln schmeichelte ihren vollen Lippen. Sie kokettierte, sehr wohl ihrer körperlichen Reize bewusst und widmete sich ganz Devons Leibwächter. "Unser Angebot ist nicht sehr groß", sagte sie, "aber ich kann Ihnen frisch gemahlenen Kaffee anbieten. Eine Kleinigkeit zum Essen ließe sich sicherlich organisieren." "Wir wollen keine Umstände bereiten. Etwas Heißes zu trinken reicht uns vollkommen aus." "Gut. Vielleicht fällt Ihnen in der Zwischenzeit etwas ein", sie zwinkerte Trias zu, "womit ich Ihnen eine Freude machen kann." "Das wird nicht nötig sein. Ihre Gastfreundlichkeit ist Geschenk genug." Trias lächelte breit. "Trias!" "Entschuldigung, Hoheit." "Ähm", räusperte sich Angesprochener und unterdrückte weitere Schmeicheleien, "haben Sie vielen Dank. Wir nehmen diesen Platz, wenn es ihnen recht ist." Trias ließ den Blick umherschweifen. Verlegen zeigte er auf den Platz neben der Tür. Mantel und Schal ausgezogen, ließen sich die beiden Männer nieder. Ihnen blieb jetzt nichts weiter, als zu warten. Ein wenig Hoffnung schadete auch nicht. Kapitel 3: Izara ---------------- Prüfend betrachtete Izara sich im Spiegel. Die tiefen Schatten unter den Augen waren noch das kleinere Übel. Es war die aschfale Haut, die sie zu dem kleinen Fach unterhalb der Frisierkommode greifen ließ. Die Kräuter waren noch frisch, sie brauchte sie nur noch mit dem Stößel zu bearbeiten und in die kleine Kapsel zu stopfen. Mit einem Seufzer steckte sie das winzige Ding in den Mund und spülte es mit dem Wasser, das sie eigentlich zum Zähne putzen hatte nutzen wollen, herunter. Sie sehnte den Tag herbei, an dem es endlich vorbei sein würde. Morgendliche Übelkeit, Stimmungsschwankungen und der ständige Heißhunger nach gekochten Kartoffelschalen. Izara hatte davon gehört, dass Frauen in besonderen Umständen ähnliches durchmachten und es schüttelte sie bei dem Gedanken, bei jeder Schwangerschaft dieselben Symptome ertragen zu müssen, statt einfach nur dieses ein Mal kurz vor ihrer Erweckung. Sie wischte sich über den Mund und fühlte ihre Stirn. Das Fieber war etwas gesunken, die Wadenwickel hatten geholfen, fragte sich nur, für wie lange. Die Fieberschübe häuften sich, nachts kam sie kaum noch zur Ruhe und dass sie von Albträumen geplant wurde, machte es nicht besser. Schüttelfrost und Schweißausbrüche klatschten sich in die Hände und wie lange sie Levis und Kaia noch etwas vormachen konnte, wusste sie nicht. Solange die Kräuter etwas brachten, die Wadenwickel das Fieber in Schach hielten, wollte sie ihren Zieheltern keine unnötigen Sorgen bereiten. "Reiß dich zusammen, Izara", ermahnte sie sich und blickte ernst in den Spiegel, "das ist eine Erweckung - nicht das Ende der Welt!" Beherzt kniff sie sich in die Wangen. Ein wenig Farbe schadete nicht, und wenn sie erst einmal frische Luft geschnappt hätte, würden auch die Augenringe verschwinden. Blass war sie schon immer gewesen und das triste Wetter spielte ihr heute in die Karten. Sie richtete ihren Rock, lächelte zaghaft in den Spiegel. Sie hatte bereits genug herum getrödelt, der Laden hatte seit einer halben Stunde auf und wenn sie nicht bald in die Gänge käme, würde Levis noch Verdacht schöpfen. Aus dem Bad gestürmt, lief sie ihrem Adoptivvater direkt in die Arme. "Nicht so stürmisch, junges Fräulein", lachte er auf, "Kaia wird dir schon nicht den Kopf abreißen." "Aber vielleicht abbeißen", murmelte Izara und unterdrückte ein breites Grinsen. "Lass' sie das ja nicht hören! Du weißt, wie empfindlich sie ist, wenn es um ihre »hübschen Beißer« geht." Die Hände in die Hüften gestemmt, versuchte er, den strengen Vater zu mimen, dabei war Levis eher wie der nette Onkel von nebenan. Er legte den Kopf schief. Erst jetzt schien er seine Adoptivtochter richtig zu betrachten. "Alles klar bei dir?" Izara nickte. "Wirklich?" Er hob eine Augenbraue. "Macht dir vielleicht wieder das Drachenblut zu schaffen?" "Nichts, was nicht jedem achtzehnjährigen Drachenmädchen zu schaffen macht", entgegnete Izara und zwang sich zu einem Lächeln. "Falls sich die Symptome verschlimmert haben-" "Das haben sie nicht." Izara wollte jetzt nur noch ganz schnell weg. "Ehrlich, Lev, es ist alles in Ordnung." Sie griff nach ihrem kleinen Beutel mit etwas Kleingeld und dem großen Eisenschlüssel und band sich beides um ihr Handgelenk. "Versprich mir, dass du mir Bescheid gibst, solltest du dich plötzlich schlechter fühlen", er zeigte mit dem Finger auf sie. Wenn es um ihr Wohlergehen ging, konnte er doch die Rolle des fürsorglichen Vaters übernehmen. Er folgte Izara durch den Flur, die junge Frau hatte sich ihre Stiefel geschnappt und versuchte möglichst grazil in diese hinein zu schlüpfen. "Vergiss' nicht, in deinen Adern fließt Menschen- und Drachenblut. Wir haben keine Ahnung, wie sich das auf deine Erweckung auswirken könnte." "Ich werde auf mich aufpassen, versprochen." Direkt vor ihm blieb sie stehen. Sie ging auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. Dann öffnete sie die Tür und eilte aus dem Haus, bevor Levis doch noch die Schweißperlen unter dem Pony auffielen. Draußen blies ein kalter Wind. Die Kälte tat gut, ließ Izara einen klaren Kopf bekommen. Sie hasste es, ihren Adoptivvater belügen zu müssen. Aber sie sah keine andere Möglichkeit. Wenn er die Wahrheit wüsste - dass Izaras Erweckung schneller vorranging als erwartet -, was würde es ihm bringen, außer dass er sich noch mehr Sorgen machen würde. Er fühlte sich auch so schon völlig hilflos, da brauchte Izara ihn nicht zusätzlich mit etwas belasten, woran er sowieso nichts ändern konnte. Zügig eilte Izara die Straße herunter. Sie nahm eine Abkürzung durch den Stadtpark und huschte weiter durch eine kleine Schlippe, die direkt in eine Nebenstraße führte. Der Duft von heißer Schokolade stieg ihr in die Nase. Hoffentlich ist Kaia nicht allzu böse auf mich, dachte sie und erinnerte sich an den Scherz mit den Reißzähnen zurück. Eine Hausnummer vor dem Pralinengeschäft blieb sie stehen. Sie nahm den Schlüssel und schloss die Tür auf. Durch den Hausflur schlüpfte sie durch eine weitere, etwas kleinere Tür und stand direkt in der Küche. Wie erwartet schmolz dunkle Schokolade langsam vor sich hin, während die ersten Pralinen bereits für den Weiterverkauf vorbereitet wurden. "Du kommst spät", kam es aus dem Kassierbereich und im nächsten Moment flog eine Schürze auf sie zu. Izara fing sie auf. "Tut mir leid, ich war…verhindert." Sie band sich flink die Schürze zu. "Du hast Glück, dass ich ein so gutmütiger Vorgesetzter bin." Mit einem Kochlöffel in der Hand kam Kaia auf sie zu. Ihr Lächeln war wieder einmal scharf geladen. Selbst ohne ihre »hübschen Beißer«. "Du bist die Beste, Kaia", sagte Izara und lächelte ebenfalls. "Jaja, Fräulein, schmier mir nur weiter Honig ums Maul." "Ich weiß doch, dass du es liebst." "Du freches Weib", mit dem Kochlöffel klopfte sie erst Izara, dann sich selbst auf die Schulter. Beide Frauen unterdrücken ein Lachen. "Genug getrödelt", Kaia schwenkte den Kochlöffel, ihre Gesichtszüge wurden streng, "es wartet einiges an Arbeit auf uns. Ich muss noch die Kreationen für die Hochzeitsgesellschaft zusammenstellen und Rosenwasser muss auch neues bestellt werden." Sie nickte Izara zu. "Eine Liste mit den Kundenbestellungen liegt vorne auf dem Tisch. Es sind gestern Abend noch zwei dazu gekommen. Mit der Mittagspause wird es wohl heute nichts. Außerdem", Kaia deutete in Richtung Ladenbereich, "haben wir zwei neue Gäste. Du müsstest Kaffee kochen und vielleicht noch ein paar Brötchen belegen, falls die Herren doch noch eine Kleinigkeit zu sich nehmen wollen." "Verstanden", entgegnete Izara, obwohl sie die frühen Besucher verwunderten. Zum Kaffee blieben nur die Wenigsten. Die Tische waren eher Dekoration, jeder wusste das. Aber Izara wollte nicht nachbohren, Kaia war bereits wieder an ihren Pralinen und auch Izara hatte ihre Aufgaben zu erledigen. Sie suchte die Kaffeebohnen aus einem der Hängeschränke und begann den Kaffee zu mahlen. Sie liebte den Duft, wenn die Bohnen ihr Aroma vollends entfalteten und das heiße Wasser kleine Dampfwolken entstehen ließ. Sie bedauerte, dass sie nur selten Gelegenheit hatte, Kaffee zu kochen. Hyrakonden vertrugen kein Koffein und Levis hatte Kaia zuliebe aufgehört Kaffee zu trinken. Langsam ließ sie die frisch aufgebrühte Flüssigkeit in zwei Porzellantassen laufen. Sie hatte den Kaffee etwas zu stark gekocht, aber sie hoffte, dass ihre Gäste das Aroma zu schätzen wussten. Irgendwo hatte sie einmal aufgeschnappt, dass Männer ihren Kaffee prinzipiell schwarz und immer eine Spur stärker tranken. Hoffentlich war das nicht wieder eines dieser Vorurteile! Die Tassen auf ein Tablett gelegt, balancierte Izara aus der Küche in Richtung der zwei Gäste, die direkt neben dem Eingang Platz genommen hatten. "Hier sind ihre zwei Kaffees - stark und heiß", Izara bemühte sich um ein ehrliches Lächeln. Die Arbeit im Pralinengeschäft hatte ihr immer Spaß gemacht, doch die letzten Tage waren schwer gewesen. Wenn nicht gerade die Morgenübelkeit einsetzte, war ihr entweder schwindelig oder ihr platzte fast der Kopf. Gerade war es eine Mischung aus allem. Darum fiel ihr auch nicht auf, dass sie seit Betreten des Ladens genauestens in Augenschein genommen wurde. "Wenn ich Ihnen vielleicht noch eine Kleinigkeit zu essen anbieten darf, wir haben-" Ihr Blick wanderte von dem einen Herren zum dem anderen. Zwei eisblaue Augen begegneten ihren eigenen Seelenspiegeln, dass sie für einen Moment nicht wusste, was sie eigentlich hätte sagen wollen. Der Mann war groß, obwohl er saß, was Izara überzeugt, dass er sie mindestens um anderthalb Köpfe überragte. Sein schwarzes Haar reichte ihm bis zum Nacken, ein paar Strähnen lösten sich aus seiner streng zurück gekämmten Frisur und fielen ihm locker über die Stirn. Izara gefiel es, es brachte seine Gesichtszüge zur Geltung. Wie zum Beispiel sein markantes Kinn, oder die vollen Lippen. Er lächelte sie an, irgendwie geheimnisvoll, wie Izara fand. Sein Blick raubte ihr kurzerhand den Atem, die Dominanz, die er ausstrahlte, war erschreckend und faszinierend zugleich. Er ist ein Drache, schoss es ihr durch den Kopf, ein Drache ohne Halsband. Je länger sie in seine Augen sah, umso sicherer war sie sich, jemand Starkem - jemand Mächtigem - gegenüber zu stehen, und sie wollte wissen, wer dieser fremde Drache war. Warum er hier war und ob er sie genauso anziehend fand. Ein wohliges Kribbeln bescherte Izara eine Gänsehaut, ihr Körper gehorchte ihr nicht länger und entsandte eine Welle ihres eigenen, besonderen Duftes. "Nein, vielen Dank", seine Worte rissen sie zurück in die Gegenwart, "der Kaffee reicht völlig aus." Seine tiefe Stimme überförderte sie kurzzeitig, sie nickte etwas betreten. Hitze schoss ihr ins Gesicht. Einen peinlicheren Auftritt hätte sie nicht hinlegen können! Mit zittrigen Händen nahm sie das Tablett und zurück hinter die Kasse. Sie klemmte sich einen Strähne hinters Ohr und Griff nach dem Kugelschreiber. Sie hatte einem anderen Drachen Avancen gemacht. Einem fremden Drachen! Daran konnten nur die verdammten Hormone Schuld sein. Sie ging die Bestellliste durch und machte sich anschließend daran, die Kisten zu falten. Aber sie war nicht bei der Sache. Das gerade Geschehene hatte sie völlig aus der Fassung gebracht. Noch schlimmer als ihr kläglicher Annäherungsversuch, war seine Reaktion. Sie wusste, dass Drachen anhand eines speziellen Duftes signalisierten, ob sie einander mochten oder nicht. In Zeiten der Erweckung - oder während der Paarungszeit - waren die Absichten dahinter, die Männchen und Weibchen miteinander austauschten, mehr als deutlich. Izara erhaschte einen Blick auf die beiden Drachen. Auch in dem anderen Mann floss Drachenblut, das spürte sie so deutlich wie das langsam ansteigende Fieber (oder hatte sie die Abfuhr einfach zu sehr getroffen?). Auch er schien stark zu sein, wenn auch nicht so stark wie sein Begleiter, der mit dem Rücken zu ihr stand und an seinem Kaffee nippte. Erneut fühlte sie einen starken Sog. Sie schüttelte den Kopf und drehte sich zu den Pralinen. Die Arbeit hatte oberste Priorität, um ihr Gefühlschaos konnte sie sich später kümmern. Ihr blieb kaum Zeit, sich weiter Gedanken zu machen. Um zwölf kamen bereits die ersten Kunden, Fräulein Karlmey forderte wie üblich ein Dutzend Likörpralinen an und der Schuldirektor trudelte wenig später ein. Der ein oder andere kam vorbei, um einen kleinen Plausch abzuhalten. Kaia war beliebt, nicht nur weil sie gerne einmal flirtete. Sie war auch eine gute Zuhörerin, die Alten liebten sie wegen ihrer zuvorkommenden Art und die Kinder vergötterten sie, weil sie immer ein Bonbon für sie übrig hatte. Izara bewunderte sie, nicht zuletzt, weil sie geliebt wurde, obwohl jeder wusste, was sie war. Izara packte gerade die letzte Tüte mit Marzipan- und Nougatpralinen ein, als ihr Blick zur Fensterscheibe glitt. Ihr eigenes Spiegelbild verblasste zwischen all den Leckereien. Nur ihr Halsband, das sah sie deutlich. Das Stahl, die Ketten, an die sie sich eigentlich längst gewöhnt haben müsste. Aber so war es nicht. Es fiel ihr schwer, sich mit der Tatsache abzufinden, dass sie nie ganz ein Teil der Gemeinschaft werden würde. Dass sie nie als sie selbst angesehen würde, sondern nur als das, was das Mischblut aus ihr machte. Nämlich eine Außenseiterin. Die Menschen fürchteten sich vor dem Drachen in ihr und die Drachen begegneten ihrer Menschlichkeit mit Skepsis. Es gab nur wenige, mit denen sie Freundschaften hatte schließen können. Ihre Finger berührten das Stahl um ihren Hals. Sie wusste nicht, wie das Leben außerhalb von Kaido aussah, aber sie hatte davon gehört, dass es Drachen geben soll, die nicht unter der Kontrolle der Paladine standen. Sie sah zu den beiden Herren herüber. Sie wusste nicht, warum es sie hierher verschlagen hatte, aber Izara konnte sich nicht vorstellen, dass es sicher war. Kandio wurde gut bewacht. Bürgermeister Flatsch war ein mächtiger Paladin, wenn er wüsste, dass zwei frei umherlaufende Drachen durch seine Stadt schlenderten- "Alles gut?" Erschrocken drehte sich Izara um. Kaia stand neben ihr, eine Sorgenfalte zierte ihre Stirn. "Du siehst blass aus, Izara. Brauchst du vielleicht doch eine Pause?" "Ich schaff' das schon, ehrlich", entgegnete Izara, "hab einfach nicht genug getrunken." Das war nicht einmal eine Lüge. Aber Kaia blieb skeptisch. In Gegensatz zu Levis konnte man ihr nur schwer etwas vormachen. Mit einem tiefen Seufzer kehrte Kaia zurück in die Küche. Sie rief Izara noch etwas hinterher, doch die junge Frau könnte ihr nicht mehr länger folgen. Mittlerweile war das Fieber hoch genug, dass ihre Beine sich wie Pudding anführen. Möglichst unauffällig stützte sie sich am Tresen ab. Sie sollte wirklich etwas trinken. Kapitel 4: Izara ---------------- "Du hast was?!" Mayabe schrie ihr fast ins Ohr. Ihre beste Freundin grinste wie ein Honigkuchenpferd und ließ sich aufs Bett plumpsen. Nach der Arbeit wollte Izara eigentlich nur noch in ihr eigenes Bett, aber der Weg zum Familienhaus ihrer besten Freundin war kürzer als der zu ihrem Zuhause und nach einem weiteren Schwindelanfall wollte sie keine so weiten Strecken alleine laufen. Kaia war noch im Geschäft die letzten Abrechnungen erledigen und hatte Izara etwas früher heimgeschickt. Izara befürchtete, dass ein ernstes Gespräch folgen könnte und dass sie nicht länger so tun konnte, als wäre alles in bester Ordnung. "Ich weiß", jammerte Izara und warf sich ebenfalls aufs Bett. Die weichen Federkissen taten gut und am liebsten hätte sie die Augen geschlossen. "Es war ganz furchtbar, Maya! Ich habe keine Ahnung, warum ich das gemacht habe." "Weil er dir gefallen hat, ganz einfach", entgegnete Mayabe und kuschelte sich an ihre Freundin. Ihr Duft nach Kornblumen und Verbranntem kitzelte ihr in die Nase, normalerweise beruhigte sie immer der Geruch, aber im Augenblick wollte sie sich einfach nur übergeben. "Wie alt war er denn?", bohrte ihre Freundin nach. "Ich habe ihn nicht danach gefragt, Maya." "Du wolltest lieber gleich zur Sache kommen, meinst du." Izara hielt sich die Hände vor's Gesicht. "Ich fühle mich, als hätte ich mich vor ihm ausgezogen. Maya, ich will dass das endlich aufhört!" "Wir haben es ja bald geschafft", strich ihr Mayabe übers Haar, "noch zwei Wochen und deine Hormone sind wieder völlig normal." "Ich weiß nicht, ob ich wirklich noch solange durchhalte." "Meinst du, weil du zum ersten Mal abgeblitzt wurdest?", Mayabe grinste und gab Izara einen leichten Stups. Ihre Freundin meinte es nur gut, aber Izara hatte nicht die Nerven, auf ihren Humor einzugehen. "Maya, ich", sie nahm die Hände aus dem Gesicht, sie atmete schwer, "ich weiß nicht, ob mein Körper die Kraft hat, das durchzustehen." "Sag' sowas nicht", Mayabe sah sie erschrocken an. Wie jedes Mal, wenn sie über das Thema zu sprechen kam. Ihre beste Freundin war die einzige, die wirklich wusste, wie es ihr ging, und obwohl Mayabe von Grund auf positiv war, wusste auch sie nicht mehr weiter. Mayabe war ein Blitzdrache - wie ihre Mutter und ihr älterer Bruder -, in ihr floss kaum ein Tropfen Menschenblut (und auch nur das, was ihre Vorfahren vor Jahrhunderten hinterlassen hatten). Ihre Erweckung verlief anders, ihr war nicht so häufig übel und auch Fieber hatte sie keines. Sie war etwas übellauniger, vor allem, wenn keine Schokocreme im Haus war. Sonst fehlte ihr nichts. "Vielleicht", sagte Mayabe leise, "solltest du dir das noch einmal mit der Erweckung überlegen und dir doch jemanden suchen, der-" "Der was?", fiel ihr Izara ins Wort. Sie klang harscher als sie wollte. "Du meinst, ich soll mir irgendein Drachenmännchen suchen, der mit mir Händchen hält, während ich mir die Seele aus dem Leib schreie?!" "Naja, schreien jetzt nicht gerade." "Oh doch, Maya. Wenn es stimmt, dass die Erweckung die Symptome verschlimmert, wird das kein fröhlicher Morgenspaziergang." Izara blies die Luft aus. "Entschuldige, Maya, ich wollte nicht…ich weiß, du meinst es nur gut, aber ich will mir keinen Begleiter suchen, der während der Verwandlung an meiner Seite ist." Noch mehr als vor der Erweckung hatte sie Angst, dass ihre Verwandlung etwas hervorbrachte, dass sie und ihren Begleiter verschrecken könnte. Keiner ihrer Bekannten wusste, wie Drachenmenschen sich verwandelten. Was, wenn sie zu grässlichen Gestalten mutierten, mit verkrüppelten Gliedmaßen, verstümmelten Flügeln und stumpfen Krallen - so, wie es ihr damals einige Schüler eingeredet hatten? Nein, Izara wollte da alleine durch. Zumal sie sich zu keinem der männlichen Drachen hingezogen fühlte. Zwei Angebote hatte sie abgeschlagen, beides eher unerfahrene Kerle, die Izara wegen ihrer optischen Reize angesprochen hatten. Beide hatten ihr deutliche Signale gegeben und beide Male hatte sie dankend abgelehnt. Gerade hatte sie Mitleid mit den beiden Kerlen, wenn sie gewusst hätte, dass eine Abfuhr derart schmerzhaft sein konnte, wäre sie etwas freundlicher gewesen. Wie auf Abruf kam ihr das Gesicht des fremden Drachen in den Sinn. Die eisblauen Augen, das Lächeln. Wenn sie jetzt darüber nachdachte, war es ein trauriges, sehnsüchtiges Lächeln gewesen. Vielleicht hatte sie ihn an jemanden erinnert und hatte sie deshalb abblitzen lassen. "Ich denke, ich sollte nach Hause gehen", Izara setzte sich auf. "Willst du nicht doch lieber bei mir übernachten?" Das Mitleid in Mayabe Augen konnte Izara kaum ertragen. "Mama hat bestimmt nichts dagegen und Solar könnte bei dir Zuhause Bescheid sagen." Sie nahm Izaras Hand. "Ich habe Angst, dass du etwas Dummes machen könntest." "Ich dachte, von uns beiden seist du diejenige, die nur Dummheiten im Kopf hat?" Izara wollte Lächeln, aber das Stechen in ihrem Kopf ließ es nicht zu. "Ich mein's ernst, Izara. Tu nichts, was dich in Gefahr bringen könnte." Das kann ich nicht, dachte Izara und drückte die Hand ihrer besten Freundin. Izara verabschiedete sich von Mayabe, die beiden umarmten sich fest und Izara spürte die Sorge ihrer Freundin. Sie ließ sich von Mayabes Mutter etwas getrockneten Lavendel geben und Mayabe Bruder bestand darauf, sie nach Hause zu bringen. Mayabes Familie war immer herzlich zu ihr gewesen, sie hatte sich dort stets willkommen gefühlt, dass sie nicht verstehen konnte, wieso Mayabes Vater sie einfach alle im Stich gelassen hatte. "Ein Gewitter zieht auf", sagte Solar und blickte in den verschleierten Himmel. Auf Solars Gefühl war Verlass, ein Blitzdrache spürte, wenn die Naturgewalten nach einem riefen. Die Sonne war untergegangen, ein paar Gaslaternen beleuchteten die Hauptstraßen und schienen auf die einzigen beiden Lebewesen. "Ja", murmelte Izara, die sich kaum noch konzentrieren konnte, "danke übrigens, dass du mich nach Hause bringst. Das wäre wirklich nicht nötig gewesen." "Ich tue meine Pflicht, das weißt du", er verschränkte die Arme vor der Brust. Solar war nach den alten Drachengesetzen erzogen worden und die besagten nun einmal, dass nach Sonnenuntergang kein Weibchen das Haus verlassen durfte - außer ein männliches Familienmitglied begleitete sie. Der Gedanke ließ Izara kurz den Schmerz vergessen. Solar würde nie seine brüderlichen Gefühle zugeben, dafür war er viel zu verschlossen und unnahbar. "Außerdem", fügte er trocken hinzu und packte ihre Schulter, "glaube ich nicht, dass du ohne mich weit kommen würdest." "Sehe ich schon so bemitleidenswert aus?" "Du siehst vor allem krank aus." "Seit wann ist die Erweckung eine Krankheit?" "In manchen Fällen kann sie eine hervorrufen." "Aha", Izara verdrehte die Augen, "kümmern sich die Drachenmännchen deshalb so rührend um einen?" "Ich weiß nicht, wie die anderen dazu stehen", sagte er und drückte sie an sich. Tatsächlich tat es gut, von seinen starken Armen gehalten zu werden, dass Izara nicht dagegen protestierte. "Ich glaube ja, dass die meisten sich nicht die Chance entgehen lassen wollen, eine nackte Frau zu sehen." "Bist du mit allen so streng?" "Nur wenn es um das andere Geschlecht geht", meinte Izara und versuchte, das Gespräch etwas aufzulockern. Dabei vergaß sie, dass Solar nicht der Typ war, der auf solche Scherze einging. "Bei einer Erweckung", sagte er, "geht es vor allem darum, sich um das Weibchen zu kümmern." Weibchen. Bei dem Begriff kam sie sich selbst wie eine läufige Hündin vor, die jedem ans Bein springen wollte. "Die Verwandlung ist Kräfte zehrend, du wirst vielleicht ein paar Tage ohnmächtig sein, bevor du wieder in deinen menschlichen Körper zurückkehren kannst." Er wollte auf etwas hinaus, Izara konnte sich nur nicht vorstellen, dass er darauf hinaus wollte. "Mayabe habe ich geraten, das Angebot dieses Burschen anzunehmen." "Ich weiß", grummelte Izara, die sich eine bessere Partie für ihre Freundin gewünscht hätte als diesen pickeligen Neunmalklug. "Sie braucht jemanden", sagte er, "genauso wie du." Dann wusste er von ihrem Plan? Na toll! "Wenn du also noch niemanden haben solltest-" Er blieb stehen, seine dunkelgrünen Augen sahen zu ihr herab. "Wenn du meine Unterstützung brauchst-" "Was?! Nein", Izara schüttelte den Kopf, "Solar, du bist wie ein Bruder für mich und ich weiß, dass auch du nichts anderes für mich empfindest." Sie ließ den Kopf hängen. "Ich möchte nicht, dass du dich wegen deines Pflichtbewusstseins dazu genötigt fühlst." "Wenn du dich bei jemandem wohler fühlen solltest, den du kennst-" Aha, daher wehte also der Wind. Solar wusste nichts von Izaras Entscheidung, er befürchtete nur, dass sie niemanden finden könnte, der sie begleitete. "Du sollst wissen, dass ich dir zur Seite stehe, wenn es sein muss." "Du Charmeur", entgegnete Izara und verzog das Gesicht. "Du weißt, wie ich's meine." "Natürlich, Solar", sie sah ihn wieder an, "und ich danke dir. Aber das ist nicht nötig." "Mein Angebot steht." Damit war alles gesagt. Den Rest des Weges liefen sie schweigend nebeneinander her. Zwei Häuserblocks vor ihrem Elternhaus trennten sich ihre Wege, Izara versicherte, dass sie die letzten Meter alleine ginge und schaffte es sogar, ein halbwegs glaubwürdiges Lächeln hinzubekommen. "Bis morgen", sagte er und hob die Hand zum Gruß. "Ja, bis morgen." Sie wartete, bis er um die Ecke verschwunden war. Dann lief sie weiter. Nicht auf die andere Straßenseite, dort wo in der Küche Licht brannte und Kaias Silhouette hinter der Gardine zu sehen war. Izara lief immer weiter. Sie wusste, dass es Zeit war. Kapitel 5: Devon ---------------- "Hier muss es sein." Sie standen vor dem Einfamilienhaus - das einzige Backsteinhaus mit einem umgekippten Pflanzenkübel. Alle anderen hatten bereits alles nach innen geschafft, ein Gewitter kündigte sich an, der Sturm war bereits bis ins Stadtinnere vorgedrungen.   Die Spur hatte sie einmal durch ganz Kandio gescheucht. Nachdem die beiden Drachen das Pralinengeschäft verlassen hatten, waren sie unbemerkt durch die Seitenstraßen weitergegangen, um weitere Informationen zu sammeln. Der Zustand der Himmelsgöttin war mehr als beunruhigend, sie stand kurz vor ihrer Erweckung, die Zeit drängte. Kaum auszumachen, was passierte, wenn der Großmeister Wind von ihr bekäme… "Was sind Eure nächsten Schritte, Hoheit?", Trias schaute durch eines der Fenster, Gardinen und Vorhänge nahmen die Sicht, aber Devon wusste auch so, dass sie noch nicht nach Hause zurückgekehrt war. Vielleicht könnten sie das zu ihrem Vorteil nutzen. "Die Himmelsgöttin muss so schnell wie möglich aus der Stadt geschafft werden", antwortete er. "Und wie sollen wir das anstellen, Hoheit? Ich glaube kaum, dass man sie uns freiwillig überlassen wird. Sie steht unter der Obhut einer Hyrakonda, wenn sie sich als Feind herausstellen sollte-" "Dann werden wir entsprechende Maßnahmen treffen", entgegnete Devon ruhig,  "aber vorerst sollten wir versuchen, in Ruhe mit ihnen zu sprechen. Alles Weitere wird sich zeigen." Trias verstand, auch wenn sein Gesicht einige Sorgenfalten zierte. Ihr Anblick hatte dem Volan ebenfalls die Sprache verschlagen. Die Ähnlichkeit zu König Juras war erschreckend, es bestand kein Zweifel, dass sie die rechtmäßige Erbin war. Ihr hellblondes, fast weißes Haar fiel wie Seide bis zu ihren Hüften hinab, die bleiche Haut zeigte bereits erste Spuren der Erweckung und die blauen Augen - bei dem Großen Drachen, was für Augen! - erinnerten an die blauen Lagunen des Südens. Das einzige, worin sich die Himmelsgöttin von ihren Artgenossen abhob, war ihre doch recht zierliche Erscheinung. Sie war kleiner als die üblichen Himmelsdrachen, ihr Körper geradezu zerbrechlich. Die menschliche Seite hatte Spuren hinterlassen, und soweit Devon die Situation einschätzen konnte, war ihr Aussehen nicht das einzige Unterscheidungsmerkmal. "Euer Optimismus in allen Ehren, Hoheit", Trias seufzte. Er war mindestens so angespannt wie Devon. Nur aus dem Grund sah der Himmelsdrache über den Sarkasmus seines Leibwächters hinweg. Trias war ein Wächter und Beschützer des alten Reiches, die Sicherheit der Himmelsgöttin war ihm genauso wichtig wie seinem König treu ergeben zu sein. Trias starrte noch weiterhin auf die Tür, bis er ungläubig zu seinem König sah. "Soll ich die Tür eintreten, Hoheit!?" "Ich hörte, dass die Menschen es bevorzugen, anzuklopfen." Also klopfte Devon an. "Und dann?" Trias Augen weiteten sich, die Ahnungslosigkeit seines Leibwächters war schon fast zum Schmunzeln, wenn die Lage nur nicht so ernst gewesen wäre. Licht schien durch das runde Fenster über der Tür. "Was soll ich ihnen denn sagen, Hoheit?" "Natürlich die Wahrheit." "Ich kann doch nicht-." Schwungvoll ging auch schon die Tür auf. "Na endlich…Huch", das Grinsen erlosch. Der Mann, der zwischen den Lippen einen Pinsel stecken hatte, sah die beiden Neuankömmlinge fragend an. "Und Sie sind?", fragte der Mann, wobei er die Tür ein Stück weiter ran schob, dass kein Zentimeter Platz zwischen sich und dem Holz war. Eine Augenbraue schnellte in die Höhe, scheinbar kannten sich die Leute in Kandio untereinander und Fremde waren genauso gern gesehen wie Erdbeben und Gewitterstürme. "Verzeihen Sie vielmals die Störung", sagte Trias, der seine Sprache wiedergefunden hatte, "es mag etwas eigenartig erscheinen, aber wir kommen in einer dringenden Angelegenheit zu Ihnen." "Aha", erwiderte der Hausherr und spannte die Muskeln an, "und was für eine Angelegenheit soll das sein?" "Das Mädchen, das bei Ihnen wohnt - der Drachenmensch-" "Was wollen Sie?" Die Stimmung kippte. Die Augen des Mannes wurden zu gefährlichen Schlitzen. Wäre er kein Mensch und Devon kein Drache, er hätte ihm sicherlich Respekt eingeflößt. Wenn Devon raten müsste, waren die beiden nicht seine ersten unerwünschten Gäste. Beschwichtigend hob Trias die Arme. "Wir wollen nur-" "Verschwinden Sie!", er war im Begriff, die Tür zuzuschlagen. Devons Stiefel quetschte sich dazwischen. Seine Augen trafen die seines Gegenübers. "Wir sind keine Paladine", sprach er ruhig, "wir wollen ihr nichts tun." Die Gesichtszüge entspannten, der Mann atmete schwer aus. "Und was wollen zwei »Nicht-Paladine« hier in Kandio?" Er deutete auf seinen Nebenmann. Trias stand einfach nur da. Seine Haltung täuschte, er wäre jeden Moment bereit, einzugreifen, sollte der Mensch so dumm sein und Devon angreifen wollen. "Wir sollten diese Unterhaltung lieber nach drinnen verlegen", murmelte der Volan und zeigte in den Hausflur. Der Mann seufzte. Die Tür ging auf und mit einer ausladenden Handbewegung ließ er die beiden Drachen eintreten. "Und ihr Name ist Izara", grummelte der Mann, während er voran schritt. Seinen Pinsel hatte er sich inzwischen hinters Ohr geklemmt. Farbe kleckerte auf das helle Parkett. "Ein schöner Name", sagte Devon. "Ihre Mutter hat ihn ausgesucht." Mit einem Kopfnicken zeigte er ins Wohnzimmer. Das Haus war überschaubar. Ein kleiner Flur, der in die Küche und Stube führte, dann noch eine Wendeltreppe, um ins Obergeschoss zu gelangen. Im Wohnzimmer standen mehrere Kartons mit Malutensilien, sowie eine Staffelei, auf der ein halbfertiges Portrait lehnte. Sonst gab es nur einen kleinen Tisch und zwei Sofas, der Mann deutete auf eines der beiden und die Drachen ließen sich nieder; der Mann nahm ihnen gegenüber Platz. "Also", er stützte die Ellenbogen an seinen Knien ab und legte das Kinn auf die Fäuste. Skeptisch musterte er die beiden Drachen. "Was wollen Sie? Oder besser gesagt, was wollen Sie von meiner Tochter? Ihr seid keine Drachen aus Kandio", er deutete auf die fehlenden Halsbänder. Trias wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als jemand aus dem Obergeschoss rief: "Ist das Izara, Liebling?" Der Mann antwortete nicht, sein Gesicht nahm wieder härtere Züge an. Wenn es um seine beiden Frauen ging, verstand er keine Scherze - Devon war fasziniert von seiner Entschlossenheit. Ihm schien es egal zu sein, dass er derjenige war, der gegenüber den Kreaturen in seinem Haus im Nachteil war. "Levis?" Es knackte und die Hyrakonda kam die Treppe herunter. "Was hat das zu bedeuten?" Sie erkannte die beiden Gäste wieder - kein freudiges Wiedersehen, wenn man ihre funkelnden Augen betrachtete. Ihre Lippen waren zwei dünne Linien, sie pirschte sich heran, ohne die beiden Drachen aus den Augen zu lassen und stellte sich demonstrativ hinter ihren Mann. Eine Hand legte sie auf seine Schulter. "Ich kenne sie. Die beiden Herren waren in meinem Geschäft." "Was?!", der Mann, den sie Levis nannte, wollte aufspringen, aber ihre Hand drückte ihn zurück aufs Sofa. "Ihr wagt es, meiner Tochter und Ehefrau nachzustellen?!" "Seine…Frau?!", drangen Trias Gedanken zu Devon durch. "Das ist -" "Ganz ruhig, Levis", sagte sie, wobei ihre Stimme alles andere als ruhig klang. "Ich regel' das." "Nein, Kaia", er umfasste ihr Handgelenk, "das sind Drachen. Wenn sie sich unerlaubt in Kandio befinden, ist das ein Fall für die Stadtwache. Du musst nicht-" "Drachen?!", rief sie überrascht aus. Auch sie schien eher mit einem Paladin gerechnet zu haben. Devon war etwas enttäuscht. Der Hyrakonda hatte er eine feinere Spürnase zugetraut. "Richtig", mischte sich nun Trias in die Unterhaltung ein, "ich rate Ihnen daher, sich mit Drohungen zurückzuhalten, Madame. Sie müssten selbst wissen, dass jemand wie Sie nichts gegen uns ausrichten kann." Sie riss die Augen auf. Ihre Nägel bohrten sich in die Schulter ihres Mannes. "Woher wissen Sie, wer ich bin?", sie klang eher verärgert als beunruhigt. "Ich weiß es", antwortete Devon, der das Ganze bisher als stiller Begleiter mitverfolgt hatte. "Woher-?" Er konnte ihren Unglauben verstehen. Hyrakonden konnten sich sehr gut tarnen. Das Leben zwischen den Menschen hatte ihren Duft mit den Gerüchen ihrer Umwelt vermischen lassen. Statt einer Antwort, demonstrierte es Devon ihr. Er atmete ein, ließ die Kräfte durch seine Augen sprechen. Sein stechender, alles einnehmender Blick zog die Hyrakonda in seinen Bann. "Unmöglich", presste sie atemlos hervor. Sie stützte sich auch mit der anderen Hand an ihrem Gatten ab, bevor sie auf die Knie ging. "Was hast du?", stieß Levis hervor und drehte sich zu seiner Frau, doch sie schüttelte bloß mit dem Kopf. "Er", stotterte sie, "E-er ist der König." "Das kann nicht sein! Der Drachenkönig ist tot." "Es gibt keinen Zweifel, Levis", langsam kam sie wieder auf die Beine, "er ist ein Himmelsdrache." "Ich habe König Juras Platz eingenommen", erklärte Devon, wobei es ihn Kraft kostete, weiter zu sprechen. Allmählich kam er mit seinen Sprachkenntnissen an seine Grenzen. Er versuchte es dennoch. "Ihr Mündel - Izara. Wissen Sie, was sie ist?" "I-ich…", Levis senkte den Kopf, "jeder in der Stadt weiß, was sie ist." "Trias, übernimm' du." "Jawohl, Hoheit." "Aber kennen Sie auch die ganze Wahrheit?", Trias schaute erst auf den Menschen, dann auf die Hyrakonda. "Sie ist eine Himmelsgöttin", fuhr er fort, "der letzte weibliche Himmelsdrache, um es genau zu nehmen." "Ein Himmelsdrache?", Kaia lief um das Sofa und ließ sich erschöpft neben ihrem Gatten nieder. "Es besteht kein Zweifel. Wir wissen auch, dass sie kurz vor ihrer Erweckung steht. Ich hoffe, Sie beide verstehen, worauf ich hinaus will?" "Izara soll ein Himmelsdrache sein?", wiederholte Levis perplex. "Sie ist König Juras Tochter, ja." "Wollen Sie damit etwa sagen", eine bittere Erkenntnis traf Levis, "dass Ihr König Izaras Mutter vergewaltigt hat?!" Kapitel 6: Devon ---------------- Zorn flammte in Levis Gesicht auf. Devon bekam so eine Ahnung, in welcher Beziehung die beiden gestanden hatten. "Wir wissen nichts über die Umstände, die zu der Zeugung des Kindes geführt haben", sagte Trias und traf dabei die falschen Worte. Levis Augen funkelten ihn hasserfüllt an. "Haben Sie eine Ahnung, was die beiden durchgemacht haben?!, platzte es aus ihm heraus. "Durch die Hölle sind sie gegangen. Alizja…sie…" Er sah weg, die Wangen glühten und die Schlagader an seiner Stirn pochte gefährlich. Devon verstand seine Gefühle. Wäre sie seine Gefährtin, es wäre wohl nicht bei einem verbalen Schlagabtausch geblieben. "Ich habe nicht die Absicht, die Taten unseres Königs zu rechtfertigen", sagte er deshalb, "aber im Moment geht es um Ihre Tochter - um ihre Sicherheit." "Er hat recht, Levis", entgegnete die Hyrakonda mit brüchiger Stimme, "wenn Izara wirklich ein Himmelsdrache ist, dann ist sie in Gefahr." Ihre Hand fand die ihres Partners, sie verhakte ihre Finger mit seinen und langsam beruhigte sich der Mensch. Der Puls entschleunigte ebenfalls. "Also schön", sagte er. Sie lächelte ihn an, dann wandte sie sich an Devon und Trias. Der Volan setzte seine Unterredung fort: "Wie mein König schon sagte: die Sicherheit der Himmelsgöttin hat Vorrang. Sobald jemand herausfindet, wer sie ist-" "Ich verstehe", Levis sah ihn scharf an. "Und Sie sind sich sicher, dass niemand Verdacht schöpft?" "Nein, woher auch? Wir hatten ja selbst keine Ahnung. Izara, sie…sie hat sich nie anmerken lassen, was sie ist." Ein resigniertes Seufzen entfuhr dem Mann, Devon spürte, wie Bilder der Vergangenheit in seinen Augen aufflackerten. "Izaras Mutter - sie hatte Angst vor ihrer Tochter. Als sich ihre Kräfte das erste Mal zeigten, war Alizja derart verstört. Izara war fünf, ihre Augen begannen zu leuchten. Eigentlich war es ein schöner Anblick", ein trauriges Lächeln legte sich auf seine Lippen, "aber für ihre Mutter war es, als würde sie die Schreckensnacht von damals von Neuem durchleben. Ich denke, deshalb hat sich Izara zurückgehalten. Sie hat immer versucht, ihre andere Seite zu verbergen, sie zu unterdrücken, nur damit ihrer Mutter keine Angst vor ihr hat." Die Worte hingen schwebend in der Luft. "Letztendlich beging Alizja Selbstmord, Izara gibt sich bis heute die Schuld dafür." Levis driftete ab, erst Devons wachsamer Blick ließ ihn in die Gegenwart zurückkehren. "Ich glaube, Izara selbst weiß nichts von ihren Fähigkeiten. In all den Jahren hat sie versucht, sich wie ein Mensch zu verhalten, das Halsband zu vergessen... ich brauche Ihnen wohl nicht sagen, dass das unmöglich ist." Nein, das brauchte er nicht. Devon kannte die Foltermethoden der Paladine. Auch wenn er selbst noch nie mit einem Halsband belegt worden war, hatte er genug Drachen getroffen, die von der Knechtschaft der Paladine erzählt hatten. Selbst diejenigen, die seit Geburt an unter den Menschen lebten und Gehorsamkeit geschworen hatten, spürten die Macht des Halsbandes wie ein pendelndes Damoklesschwert. "Eines muss ich von Ihnen wissen", Levis beugte sich nach vorne, er sah zu Devon. "Sind Sie gekommen, um sie mitzunehmen?" "Das ist unsere Absicht", bestätigte Devon. Der Mann schnaubte. "Und Izara, hat sie ein Mitspracherecht oder läuft es darauf hinaus, dass sie keine andere Wahl hat?" "Glauben Sie, mein König und ich würden uns bei Ihnen vorstellen, wenn wir die Absicht hätten, sie zu entführen?!" Trias knurrte. Er nahm immer alles zu persönlich. "Wir sind keine Paladine-" "Das reicht, Trias", sagte Devon, bevor sich der Volan vergaß. "In erster Linie wollen wir ihren Schutz gewährleisten. Sobald die Verwandlung vollzogen wurde, wird ihre Aura sie verraten." "Dann ist sie hier nicht sicher", erwiderte Levis. Er schien noch immer nicht überzeugt von den Absichten der beiden Drachen, geschweige denn, dass sie in der Lage wären, seine Ziehtochter zu beschützen. Die Skepsis eines Vaters, dachte Devon, der einen Generationenkampf aufflammen spürte. Dabei war Devon um etliche Jahre älter als der Mensch, wenn es ihm auch nicht anzusehen war. "Ihre Erweckung steht kurz bevor, nicht wahr?", sagte Devon stattdessen. Levis nickte. "Ihr Geburtstag ist in zwei Wochen." Was?! "Das kann nicht sein", Devon erhob sich. Dafür dass sie noch zwei Wochen haben sollte, war ihr Zustand bereits zu weit fortgeschritten. "Sie müssen sich irren!" "Alizja hat den fünfundzwanzigsten als ihren Geburtstag eintragen lassen." "Nein!" "Was mein König meint", auch Trias hatte sich erhoben, "die Verwandlung hat bereits begonnen. Es besteht kein Zweifel, dass die Erweckung innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden erfolgen wird…" Trias versuchte, das Paar zu überzeugen. Für Devon bestand die Unterhaltung aus unvollständigen Sätzen, er nahm nicht einmal mehr wahr, wie sich die Hyrakonda echauffierte. Er dachte nur noch an die Himmelsgöttin. Überall im Haus hatte sich ihr Duft verteilt. Seine Sinne fokussierten sich, er schnüffelte und trennte das Wichtige von dem Unwichtigen. "Zeigen Sie mir ihr Zimmer", sagte Devon. Levis, der mitten in einer Diskussion mit Trias steckte, drehte sich zu Devon. Er machte große Augen, nickte dann aber und führte sie in den ersten Stock. "Ich weiß wirklich nicht, warum Alizja gelogen haben soll", er sprach mehr mit sich selbst. An diesem Tag waren zu viele Geheimnisse gelüftet worden - für einen Menschen scheinbar zu viele. Er öffnete die linke Tür, obwohl Devon selbst darauf gekommen wäre. Ihr Duft war wie eine gigantische Wolke, die sich in dem Zimmer ausgebreitet hatte und direkt davor umarmte ihre persönliche Note die Holzbalken des Türrahmens. Aromen verschiedenster Emotionen hafteten an Stühlen und Tischen, den Schränken und dem Bett. Der Drache in ihm wollte sich sofort darauf stürzen. Die unterschiedlichen Eindrücke machten es schwer, einen kühlen Kopf zu bewahren, geschweige denn seine niederen Instinkte zu ignorieren, aber er musste sich zusammennehmen. Er lief auf die Mitte des Zimmers zu. Die Möbel waren allesamt an die Wände gestellt worden, als hätte sie erst vor kurzem umgeräumt. Das Zimmer war klein, zu klein für einen Drachen, aber Izara hatte das Bestmögliche herausholen können. Der Platz in der Mitte war eine stille Vorbereitung auf die anstehende Verwandlung, das Gefühl, von alles und jeden eingeengt zu werden, war typisch für einen Drachen. Seine Nase witterte etwas. Er trat an den Frisiertisch und berührte flüchtig die einzelnen Fläschchen. Da waren Lavendel, ein ungeöffneter Duftflakon. Seine Finger griffen unter den Tisch. "Was ist das?", Levis war an ihn herangetreten, schaute an dem mächtigen Drachen vorbei. "Kräuter", antwortete Devon, "zur Betäubung der Schmerzen." "Schmerzen!? Was für Schmerzen?" Devon ignorierte die Frage und lief zum Bett. Die Laken waren relativ frisch, doch unter der Matratze musste etwas versteckt worden sein. "Wadenwickel für das Fieber", sagte er und legte den Stoff zwischen seine Finger. "Ich verstehe das nicht." Das glaubte Devon ihm aufs Wort. Sein Gesicht war wie erstarrt, fassungslos sah Levis auf die Tücher. "Die Erweckung von Drachenmenschen ist eine heikle Angelegenheit", erklärte Trias. Er war an seinen König herangetreten, seine Nervosität war ihm anzumerken. "Sie durchlaufen eine harte Vorbereitungszeit. Manche überleben die Verwandlung nicht." "Hoheit, was ist, wenn…" "I-ich", Levis schien kurz vor einem Nervenzusammenbruch. "Warum hat sie nichts gesagt? I-ich…ich hätte doch…wir hätten es doch gemerkt, wenn sie so leidet. Ich kenne sie, Izara würde uns nie anlügen." "Unsereins kann Schmerzen sehr lang ertragen", sagte Devon, auch wenn er wusste, dass es dem Menschen nichts nutzte. "Izara", flüsterte am Türrahmen die Hyrakonda. "Wo ist sie jetzt?", Devon wusste, dass nicht mehr viel Zeit blieb. Ihre Spur - sie verblasste. "Sie ist noch bei ihrer Freundin", erwiderte Levis wie in Trance, "drei Straßenblocks von hier." Aber Devon schüttelte den Kopf. "Ich spüre sie nicht mehr", sagte Devon und lief zum Fenster. Er riss es auf, kalte Luft schlug ihm ins Gesicht. Der Regen hatte eingesetzt, aber das war nicht der Grund, warum er sie nicht mehr wahrnehmen konnte. Nicht der einzige. Verdammt! "Sie ist geflohen - irgendwohin, wo sie sich ungestört verwandeln kann." "Seid Ihr sicher, Hoheit?" "Ja", knurrte Devon, Regentropfen verfingen sich in seinem Haar. "Oh nein!", rief Kaia und schlug die Hände vor den Mund. "A-aber", stammelte Levis, "was hat das-" "Das heißt, sie ist fort", Devon schlug das Fenster zu. "Weit kann sie nicht gekommen sein, Hoheit." "Ich weiß", und in der Sprache der Menschen fügte er hinzu: "Ich werde sie suchen gehen, aber vorerst brauche ich Ihre Hilfe." Kapitel 7: Devon ---------------- Der Regen schlug ihm unermüdlich ins Gesicht, die Backsteinpflaster waren wie Eis, als er durch die Stadt rannte, abseits der Straßenlaternen. Kandio war menschenleer, die Bewohner hatten sich in ihren Häusern verschanzt, niemand der bei Verstand war, riskierte von einem Sturm hinweg gefegt oder von einem Blitz getroffen zu werden. Bloß raus aus dieser Stadt, sagte er sich. So schnell ihn die Füße tragen konnten! Die Feuchtigkeit drückte sich durch seinen Mantel, von den Fußsohlen bis zu den Haarspitzen war er durchnässt. Der Sturm hinderte ihn, schneller  zu werden. Dabei wollte Devon einfach nur die Beine in die Hand nehmen. Jede Sekunde könnte über ihr Schicksal - nein, über das Schicksal seiner gesamten Spezies - entscheiden. Mit Scheuklappen vor den Augen, steuerte er sein Ziel an. Von ihren Adoptiveltern hatte Devon sich die Orte geben lassen, die Izara wahrscheinlich aufgesucht haben könnte. Wenn ein Drache erwachte, suchte er einen Ort, an dem er sich anschließend erholen und pflegen lassen konnte. Das galt sowohl für die Männchen als auch für die weiblichen Drachen. Üblicherweise waren das Höhlen, geeignete Klippen oder Felsvorsprünge. Klippen und Felsen gab es um Kandio keine brauchbaren, und selbst wenn, hätten die Paladine alles daran gesetzt, die Drachen von möglichen Start- und Landebahnen fernzuhalten. Die einzige Höhle, von der die Menschen wussten, dass sie sich im näheren Umkreis befand, lag nur wenige Kilometer hinter der Stadt. Er musste einmal durch ganz Kandio, zum anderen Ende der Stadtmauer. Kein Problem für einen Drachen, seine langen Beine ließen ihn geradezu über die Backsteinpflaster fliegen und wenn er den Regen erst einmal beherrschte, war auch der rutschige Boden kein Problem mehr. Auf seinem Weg umging er einer Schar Soldaten, darunter zwei Paladine in Ausbildung. Sie spürten nichts von der Präsenz des mächtigen Drachen, noch schützte ihn der Schleier und bis er die Stadt verlassen hätte, würde er es bevorzugen, es dabei zu belassen. Weiteren Ärger musste er nicht heraufbeschwören, dafür war einfach nicht der richtige Zeitpunkt. Hinter den Stadtmauern tobte sich der Sturm erst so richtig aus. Der Wind hatte die meisten Düfte der Natur längst davon geweht und auch der Regen tat sein Bestmöglichstes, um Devon von seiner Suche abzuhalten. Aber Devon wäre nicht der mächtigste Drache, wenn er sich von ein paar Gewitterwolken bezwingen ließe. Die Stadtgrenze weit hinter sich gelassen, quollen Rauchwolken aus seinen Nüstern. Er sammelte seine Energie, spürte die Wärme des Lichts und rannte weiter. Auch wenn die Dunkelheit nicht sein Freund war, reflektierte der Mond genügend Licht, um Devons Kräfte zu erwecken. Wie zwei flackernde Kerzen glühten seine Augen in der Dunkelheit, er stieß einen tiefen Atemzug aus und ließ die Quelle seiner Macht für ihn sprechen. Die Kräfte ließen ihn winzige Farbtupfen sehen, Hinterbliebenschaften ihres einzigartigen Duftes in Form weiß-blauer Schatten hatten sich in der gesamten Umgebung verteilt. Sein Herz zog sich zusammen. Dass kein Laut zu ihm durchkam,  machte ihm zu schaffen. Normalerweise stießen Drachenweibchen einen Schrei aus; wie Frauen, die kurz vor der Entbindung standen. Für Menschen kaum zu hören, war er umso deutlicher für seine Rasse. Zweifel machten sich breit. Was, wenn ihr bereits etwas zugestoßen war? Wenn er sie nicht rechtzeitig fand, wenn es bereits zu spät war…? Er musste die Gedanken abschütteln. Jetzt war nicht die Zeit, in Selbstmitleid und Schuldgefühlen zu versinken, er musste sie finden. Die vage Spur führte ihn auf offene Felder - derselbe Weg, den ihm Levis geschildert hatte. Dahinter gab es einige Hügel und eine Schlucht, und irgendwo dort befand sich eine Höhle. Allmählich beruhigte sich der Regen, auch der Sturm ließ nach. Devon wurde langsamer, er hatte die Spur wiedergefunden. Sie konnte nicht weit sein und die Wiese bot einen guten Überblick auf die Umgebung, dass er sie eigentlich leicht finden müsste. Dass er das nicht konnte, ließ ihn noch mehr verzweifeln. Nicht einmal ihr Licht schimmerte in der Dunkelheit. Wie schlimm stand es wirklich um sie? Er war töricht gewesen, dass er sie nicht einfach gleich angesprochen hatte, als er die Gelegenheit dazu gehabt hatte. Rücksichtnahme hin oder her, wenn sie in Gefahr schwebte, wäre eine Entführung völlig legitim gewesen. "Wo bist du?" Niemand antwortete, aber er hatte auch nicht wirklich mit einer Antwort gerechnet. Sicherlich verstand sie ihn nicht - wie die meisten Drachen in Leibeigenschaft. Sollte er sich wirklich mit der Tatsache abfinden, dass er nicht rechtzeitig gekommen war? Sollte er mit leeren Händen nach Dragor  zurückkehren, als derjenige, der das Himmelsblut nicht hatte schützen können…? Aber - da! Nicht weit von der Schlucht, zwischen zwei krumm gewachsenen Eichen, hörte er etwas. Ein unterdrückter Laut, vielleicht auch ein Schrei, er war sich nicht sicher. Er folgte seinem Instinkt und dort - hinter einem der Bäume - lag sie. Kapitel 8: Devon ---------------- Der Körper hatte sich wie ein Embryo zusammengerollt, ihre Haare verdeckten das meiste von ihr. Sie war eindeutig nicht in der Lage, auf ihn zu reagieren. Sie lag auf dem Rücken, ganz behutsam legte er eine Hand auf Izara und drehte sie in die Seitenlage. Ihr Anblick überwältigte ihn kurzzeitig. Sie hatte sich einen dicken Stock zwischen die Lippen gepresst - selbst in diesem Zustand hatte sie nur daran gedacht, nicht aufzufallen. Es schmerzte Devon, dass ein Drachenmensch so weit gehen musste - sein Blut verleugnen musste -, um in der Welt als  akzeptiert zu gelten. Er nahm ihr den Stock aus dem Mund und drückte sie an sich. Ihr Körper glühte, Devon schätzte, dass er bereits die fünfzig Grad-Marke erreicht haben musste. Nicht mehr lange und das Drachenblut wäre zur Verwandlung bereit. Ob das auch für ihren Körper galt, musste sich noch zeigen. Bisher war ihre Seele uneins mit dem Drachen in sich - nicht gerade günstig, wenn die Erweckung ein Zusammenspiel von Körper und Geist war. Ein leises, gequältes Stöhnen ertönte, Devon machte sich daran, den Körper in eine stabile Lage zu bringen. Wie eine zerbrechliche Puppe lag sie in seinen Armen, er spürte ihren Herzschlag dicht an dem seinen und richtete sich auf. Er war vorsichtig, trotzdem wimmerte das Weibchen, als er sie von der Wiese weg brachte und sich auf die Suche nach der Höhle begab. So schnell es eben möglich war, lief er durch diese fremden Landschaften. Die Unwissenheit gab ihm ein Gefühl von Hilflosigkeit - etwas, womit Devon nur schwer zurechtkam. Es gab kleinere Berge, Felsen und Klippen - doch keine Höhlen. Frustriert musste Devon feststellen, dass die meisten Höhlen verschüttet oder gesprengt worden waren. Bloß keine Gutherzigkeit zeigen! Die Drachen könnten sich ja was darauf einbilden. Zitternd bewegte sich die Himmelsgöttin in seinen Armen, ihr Atem war so schnell wie sein Herzschlag, die Lider wie ein Schmetterling auf der Flucht. Ihre Kleider waren von dem Fieber getrocknet worden, dafür legte sich ein Schweißfilm auf ihr blasses Gesicht, Schweißperlen tropfen ihre Schläfe hinab. Schließlich fand er den letzten begehbaren Höhleneingang. Wie er die Paladine kannte, sahen diese es als Akt höchster Großzügigkeit an, dass sie den Drachen Kandios überhaupt noch einen Rückzugsort gewährleisteten. Nicht dass eine Tropfsteinhöhle großzügig gewesen wäre. Die Feuchtigkeit erschwerte das Atmen, der Boden war nass und überall lagen größere Gesteinsbrocken herum. Die Höhle war abgenutzt, wie viele Drachen bereits ihre Verwandlung hier durchzogen hatten, blieb wohl ein Geheimnis; vermutlich jeder Drache, der jemals in Kandio gelebt hatte. Der Duft von Fauligem ließ ihn bitter aufstoßen. Er bahnte sich einen Weg durch die Tropfsteine, suchte einen gemütlichen Untergrund - oder wenigstens eine Stelle, die halbwegs annehmbar war - und legte sie ganz sachte ab. Dann kehrte er zum Höhleneingang zurück. Die linke Hand ausgestreckt, zeichnete er mehrere kleine Kreise in die Luft. Gleißendes Licht wuchs zu einer Blase, die Schutzmauer war fast fertig errichtet, er brauchte nur noch die Blase wachsen und auf die gesamte Höhle ausweiten lassen. Mit seinen Sinnen erfasste er Größe und Struktur der Höhle. Im richtigen Moment ließ er los, die Kräfte verselbständigten sich, das Licht erlosch. Eilig kehrte Devon ins Höhleninnere zurück. Izara hatte sich kaum von der Stelle bewegt, sie zuckte, presste die Lippen zusammen und stöhnte in ihren Mund hinein. Devons Hand strich über das Haar. Es hatte die Farbe von Schnee angenommen, die Strähnen wanden sich um die Arme und um den Hals, als wollten sie ihn auf diese Weise schützen. Er griff unter ihren Nacken, die Position schien ihr alles andere als zu behagen, also versuchte er sie ein Stück zur Seite zu drehen. Seine Hand fand dadurch ihren Rücken, etwas Warmes bahnte sich einen Weg durch ihren Mantel bis zu seiner Handinnenfläche. Das war Blut - eindeutig. Nicht das noch! Devon befreite sie von dem Mantel, riss die restlichen Kleidungsstücke auf und warf sie von sich. Sobald ihre Verwandlung los ginge, wären ihre Menschenkleider sowieso zerfetzt worden. Devon hatte den Vorgang lediglich beschleunigt. Er wusste, dass die Drachenhaut Luft zum Atmen brauchte, ganz besonders, wenn es da noch zwei Flügel gab, die darauf warteten, auszubrechen. Erstlinge waren unerfahren und abgelenkt, als dass sie ihr Menschsein problemlos nach innen kehren könnten. Kaum hatte er Izara auf seinen Schoß gelegt, fielen ihm die vielen Risse auf. Zwischen den Schulterblättern war die Haut bereits stark in Mitleidenschaft gezogen worden, Blut sickerte unaufhaltsam ihren Rücken herunter. Nicht gut! Der menschliche Körper kämpfte gegen die Drachengestalt an. Wenn er die Blutungen nicht in den Griff bekäme, würde sie noch verbluten. Aus seinem Mantel fischte er ein Fläschchen heraus. Er hatte immer einen kleinen Vorrat an Heiltränken und -mixturen dabei. Er öffnete den Deckel und tröpfelte den Inhalt auf die geschundene Stelle. Izara gab einen seufzenden Laut, die Flüssigkeit brannte, das hatte Devon schon zu Genüge erfahren können. Wenigstens zeigte sie schnell Wirkung. Der Gerinnungsprozess setzte bereits ein, das Blut floss kontrollierter, langsamer. Devon hoffte, dass es das Blut bis zum Durchbruch in Schach halten konnte. "Ganz ruhig. Alles wird gut", raunte er in ihr Ohr. Unwahrscheinlich, dass sie ihn noch hörte, aber manchmal reichte es aus, zu spüren, dass man nicht alleine war. Soweit Devon ihren Zustand einschätzen konnte, befand sie sich zwischen der ersten und zweiten Phase. Es gab drei und jede galt es zu überwinden, um den Drachen zu erwecken. Die Temperatur stieg stetig an, der Körper dehnte sich. Ihre Haut wurde transparent, Schuppen zeichneten sich durch blass graue Linien ab. Devon wusste, dass sie noch einen langen Weg vor sich hatte. Sie mussten geduldig sein - sie beide. Ein Rascheln und die Haare begannen mit dem Hals zu verwachsen. Außenstehende könnten meinen, sie wollten sie erdrosseln, dabei bereitete er ihn auf das Bevorstehende vor. Nicht mehr lange und der Hals würde sich strecken, lang und kräftig werden. Der Wachstumsprozess war der Schwierigste von allen. Selbst Drachen mit reinem Blut schmerzten die ersten Zentimeter, wenn die Haut zu reißen drohte, die Schale aufplatzte und die Drachenschuppen offenbarten. Devon hatte nie eine Verwandlung durchlebt, das stand denjenigen zu, die als Fötus im Leib der Mutter herangewachsen waren. Drachen, die aus Eiern schlüpften, kamen als Drachen auf die Welt - ihr menschliches Äußeres nahmen sie erst in ihrer Kindheit an, wenn sie der Gestaltwandlung fähig waren. "Hmm", Izara verzog das Gesicht. Sie fing an, sich zu kratzen. Die Haut ähnelte immer mehr der einer Schlange, sie biss sich auf die Lippen, versuchte die Haut von den lästigen Schuppen zu befreien. Er griff nach ihren Armen, aber Izara wehrte sich, fauchte und fletschte die Zähne. Kleine, bissige Stute! In dieser Phase wurden alle Weibchen zu Furien. Der Drache erwachte, die Zähne wurden spitzer, die Finger - lange, scharfe Krallen - bohrten sich durch alles, was sie zwischen die Finger bekamen. Auch die Füße ähnelten immer mehr den Hinterbeinen eines Drachen. Sie strampelte, traf dabei zwei Tropfsteine, die mit einem Knall zu Boden gingen. Noch war sie weit davon entfernt, ihre wahren Drachenkräfte zu erwecken. Das hielt sie aber nicht davon ab, um sich zu schlagen und alles zerlegen zu wollen, was ihr in den Weg käme. Devon ließ sie ihre Gefühle ausleben, ihr Kreischen hallte durch das Innere der Höhle - wild und unbeherrscht. Was als gequälter Laut begann, verwandelte sich in leidenschaftliche Raserei. Ihre Hormone waren unkontrolliert, ihr Körper spürte die Veränderung, spürte das Weibchen in sich. Und Devon spürte es auch, biss die Zähne zusammen und kümmerte sich weiter darum, das Blut von Izara zu lecken. Die antiseptische Wirkung würde später die Heilung beschleunigen und verhindern, dass Narben blieben. Die Prozedur lenkte ihn von den Gefühlen, die sich wie ein Rauschgift in der Höhle verteilt hatten, ab. Stunden strichen dahin, Izara hatte kaum noch Kraft, der Verwandlung stand zu halten. Ihre Flügel standen nun kurz vor dem Durchbruch, er strich ihr über die Fleischwunde, spürte die Handflughaut darunter, die auf ein Maximum zusammengefaltet war. "Unterdrück es nicht", flüsterte er ihr zu. Izara keuchte. Lange würde sie das nicht mehr durchstehen. Das Himmelsblut machte ihr zu schaffen, Devon wusste auch nicht, was er noch tun könnte. Drachenmenschen waren zu selten und es hatte seine Gründe, weshalb Himmelsdrachen dieses Risiko nie eingegangen waren. Er musste darauf hoffen, dass ihr Körper den Strapazen standhielt, ihr Wille erwachte und den Drachen in sich befreite. Wenn sie ihn akzeptierte, würden vielleicht auch die Schmerzen nachlassen. "Es geht vorüber. Versprochen." Devon war sich nicht sicher, ob er sich gerade selbst Mut zusprach. Etwas Zuversicht hatte auch er bitter nötig. "I-ich kann-" Devon sah zu ihr herunter. Hätte er sich verhört? Eigentlich sollte sie nicht in der Lage sein zu sprechen. Sie stieß die Luft aus, Rauch sammelte sich in ihren Nüstern. Wie er es sich gedacht hatte, waren ihre Worte nur Einbildung. Doch es gab ihm Zuversicht. Er gab ihr etwas von seiner eigenen Wärme, sein Licht umhüllte Izara, bis sie selbst zu leuchten begann. Es knackte unter seinen Fingern, die Flügel brachen durch, hinterließen eine Pfütze aus Blut und einem blau-weißen Sekret. Als spannte sich ein Schirm auf, entfalteten sich die Flügel, die Decke knackste unter der gewaltigen Kraft. Ob sie dem Druck standhielt, blieb ungewiss, aber das war Devon egal. Er hatte nur Augen für den Drachen.  Die Verwandlung war vollzogen -  mit den letzen Kraftreserven, die sie hatte aufbringen können. Neben ihrer erhabenen Gestalt waren es die Flügel, die alles an Aufmerksamkeit für sich beanspruchten. Hatten sie einmal das Blut abgeschüttelt, waren sie das Schönste, was er je in seinem Leben gesehen hatte. Selbst seine kräftigen Schwingen konnten es nicht mit ihren weißen, blau schimmernden Flügeln aufnehmen. Ohne Frage waren dies die Flügel einer Prinzessin - der einzig wahren Himmelsgöttin. Kapitel 9: Izara ---------------- Das Zeitgefühl war dahin, aber als Izara ihre Augen aufschlug, war ihr Mund trocken, rau und kratzig wie nach Wochen des Entsagens. Sie hatte Schwierigkeiten zu atmen, Husten tat weh und sobald auch nur ein Staubkorn in ihre Lunge kam, glaubte sie zu ersticken. Das Gefühl dauerte eine Weile an. Sie kam nur langsam wieder zu sich, die Umgebung erschien ihr wirr und unklar. Izara wischte sich über die Augen. Viele kleine Lichtpunkte tanzten vor ihrem Gesicht, zunächst dachte sie, sie halluzinierte, doch die Glühwürmchen großen Kugeln waren echt. Das Licht blendete kaum, es war warm und einladend und entlockte Izara ein Lächeln. »Tropf - Tropf« Izara starrte zur Decke. Ein Tropfen landete auf ihrer Nasenspitze. Etwas Abkühlung hätte nicht geschadet, aber das hier fühlte sich nur schwül und eklig an. Ein Tropfstein hing nur wenige Zentimeter vor ihrem Gesicht, die Spitze lächelte ihr geradezu entgegen. Sie war noch nie hier gewesen. Solar hatte ihr einmal von dieser Höhle erzählt, die Drachen Kandios kannten diesen Ort. Er war zu einer Art Heiligtum geworden. Jetzt, wo ihr die Wassertropfen ins Gesicht klatschten, spitze Steine in ihren Hintern pieksten und der Gestank von Altem in ihrer Nase juckte, war sie sich nicht sicher, ob er diesen Namen überhaupt verdient hatte. Wie bin ich hier hergekommen? Sie erinnerte sich, wie sie aus der Stadt gerannt war, wie sie es kaum aus dem Tor geschafft hatte und die ersten Regentropfen auf ihre Sachen gefallen waren. Hinter den Feldern hatte sie es nicht länger unterdrücken können. Der Schmerz hatte sie übermannt, danach war alles um sie herum schwarz geworden. Ihr Blick glitt von der Decke hinab zu sich selbst. Der Mantel war vorher definitiv noch nicht dagewesen - und wann hatte sie sich ausgezogen? Zu all dem Chaos kam hinzu, dass das eindeutig ein Herrenmantel war, der Stoff lag wie eine Decke um Izara, sie konnte ihn sogar bis zu ihrem Kinn hochziehen. Nachdem sie sich aufgesetzt hatte, versuchte Izara ihre Erinnerungsfetzen zu sortieren. Wenn doch nur nicht der Durst so mächtig wäre! Verzweifelt sah sie sich um. Sie könnte etwas Wasser von den Tropfsteinen auffangen. Nur waren ihre Hände das einzige, was als Schale noch irgendwie durchgegangen wäre und wie viel sie auffangen konnte, bevor die Tropfen in die Haut eingingen, ließ in ihr kaum Euphorie aufsteigen. Sie könnte natürlich auch einfach den Mund aufmachen und ihre Zunge ausstrecken, aber selbst jetzt hatte sie noch einen Hauch von Stolz und der weigerte sich strikt gegen diese Idee. Dann also doch die Hände. "Einen Versuch ist es wert", murmelte Izara und streckte die Arme aus. Schritte ließen sie mitten in der Bewegung innehalten. Sie zuckte zusammen, bedeckte sich mit dem Mantel und starrte in die Richtung, aus der sie die Schritte kommen hörte. Ihr Herzschlag setzte aus. Wie zuvor bei den Lichtern glaubte sie zu fantasieren. Der Mann aus dem Laden, schoss es ihr durch den Kopf. Die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag. Izara träumte nicht - weder jetzt noch die Nächte zuvor. Er war wirklich hier gewesen. Bei ihr. Während ihrer Erweckung. Auf einen Schlag erschienen ihr die letzten Stunden viel klarer. "Du bist wach", seine Stimme bereitete ihr Gänsehaut. Er lächelte sie an - dasselbe Lächeln wie am ersten Tag ihrer Begegnung. "Ja", Izara kam sich blöd vor, nicht mehr sagen zu können, aber sie war schon froh, dass sie ihn nicht wie ein seltenes Exemplar begaffte. Gedanklich schüttelte sie sich. Jetzt war nicht der Augenblick, über die starke Anziehungskraft nachzudenken - oder über das Kribbeln in ihrer Brust, das seine Gegenwart in ihr auslöste. Nein! Was sie jetzt brauchte, waren Antworten. Sie bereitete sich darauf vor, eine Reihe unangenehmer Fragen zu stellen, als er sich zu ihr herunterbeugte, ihr eine Flasche reichte und sich gegenüber Izara setzte. Sie öffnete den Deckel, ihr wäre fast ein Stöhnen herausgerutscht. Es war Wasser - frisches, klares Wasser! Wer hätte gedacht, dass diese Flüssigkeit so viel Freude auslösen könnte.   "Du wirst bestimmt durstig sein", sagte er. Wie recht er hatte! Er schien darauf zu warten, dass sie trank. "Danke", krächzte sie. Ihre eigene Stimme erschreckte sie. Selbst als sie mit Lungenentzündung im Bett gelegen hatte, hatte sie sich nicht so schlimm angehört. Die Lippen an die Flüssigkeit gesetzt, spürte sie, wie der erste Tropfen über ihre Zunge rollte. Danach war Izara nicht mehr zu bremsen. Sie trank das Wasser in einem Zug, verschluckte sich und bemerkte nicht einmal, wie sie laut und genüsslich gluckste. Gespannt beobachtete er sie dabei und Izara setzte die Flasche ab. Ihr wurde heiß, sie drehte sich weg und wischte sich über den Mund. Schon das zweite Mal, dass sie sich vor ihm blamiert hatte. Sie hatte gar nicht gewusst, dass sie ein Talent für peinliche Auftritte hatte. "Besser?", fragte er und Izara wäre am liebsten im Erdboden versunken. "I-ich", sie versuchte nicht in sein Gesicht zu sehen. Die Erweckung lag hinter ihr, aber ihre Hormonen schienen das noch nicht begriffen zu haben. "Du hast sicher viele Fragen", sagte er mit einem gebrochenen Akzent. Izara wüsste nur zu gern, woher der Fremde stammte. Sie nickte schüchtern. Ihr war nicht entgangen, dass sie noch immer nackt war - selbst wenn der Mantel sie hinreichend schützte, galt das nicht für den Augenblick als er ihn ihr übergelegt haben musste. Es bestand kein Zweifel, dass er derjenige war, der sie hierher gebracht hatte, und wenn sie so darüber nachdachte, erkannte sie auch den Mantel wieder. Im Augenblick trug der Fremde eine schwarze Hose und ein weißes Hemd - er sah aus wie jedermann, bloß dass er kein Mann war. Ein Bild seines Gesichtes, das nahe an ihrer Wange ruhte, ließ sie die Hitze in die Wangen treiben. Ob das auch kein Traum gewesen war? "Wie lange bin ich schon hier?", es war nicht die erste Frage, die ihr durch den Kopf schoss, aber für den Anfang die Klügste, wie Izara fand. "Drei Tage", antwortete er und Izara wäre fast vom Boden aufgesprungen. "Levis! Kaia! Ich muss-" "Ganz ruhig", sein Ton half Izara tatsächlich, sich zu beruhigen, "sie wissen, dass du hier bist." "Dann wissen sie auch-", Izara ließ den Kopf hängen. Sie hatte immer gewusst, dass der Tag kommen würde, an dem ihre Zieheltern erfuhren, dass sie sie belogen hatte. Dennoch schmerzte es, dass Izara ihnen nicht selbst die Wahrheit gesagt hatte. "Haben…Sie", Izara fiel auf, dass sie noch nicht einmal seinen Namen kannte, "haben Sie es ihnen gesagt?" "Ja", antwortete er. Izara zog die Beine zu sich heran und legte den Kopf auf die Knie. "Izara." Der Fremde kannte ihren Namen? Eigentlich logisch, wenn er vorher mit Levis und Kaia gesprochen hatte. "Sieh' mich an, Izara",  er sprach ruhig, aber hinter dieser Stimme verbarg sich eine Autorität, der sich Izara nur schwer entziehen konnte. "Erkennst du mich?", fragte er. Izara nickte. "Aus dem Geschäft meiner…Sie waren dort in Begleitung eines anderen…Mannes." Es war schwer, seinen Blicken zu widerstehen. Den eiskalten Augen, die Izara bereits so vertraut vorkamen. Warum mussten gerade jetzt diese Gefühle aufkommen? "Ich weiß, dass Sie ein Drache sind." "Weißt du auch, was genau ich bin?" "Ich…ich weiß nicht", da war etwas, aber Izara konnte es nicht genau benennen. "Und weißt du, was du bist?" Die Frage machte ihr Angst. Nicht ob sie es wusste, war entscheidend, sondern ob sie es überhaupt wissen wollte. Ein Teil sträubte sich, die letzten Tage zu akzeptieren. All die Jahre hatte sie es unterbunden. Sie konnte nicht einfach so tun als hätte sie keine Angst vor dem, was sie sein könnte. Als könnte er ihre Zweifel spüren, ließ er seine Augen in himmelblaues Licht tauchen. Das Wissen überrollte sie, Izara konnte sich nicht länger verstecken. "Hast du von den Himmelsdrachen gehört?" "Ja", sagte sie, "sie sind die stärksten von uns. Sie sollen die unmittelbaren Nachfahren des Großen Drachen sein." Ihre Stimme brach. "Man sagte mir, sie seien alle tot. Der letzte König sei verschwunden und…" Izara hatte das Gefühl, weinen zu wollen. Sie spürte einen unbändigenden Schmerz. "Schon gut", er schien zu verstehen. Seine Augen nahmen dieselbe Traurigkeit an. "Ich werde dir auf dem Rückweg alles erzählen, aber vorerst sollten wir diesen Ort verlassen." "In Ordnung", erwiderte sie, obwohl für sie gar nichts in Ordnung war. Der Fremde erhob sich und deutete hinter sie. "Frische Kleider liegen dort drüben." "Danke." "Ich warte draußen auf dich." Damit drehte er sich um und ging. Für einen Moment saß Izara einfach nur still da. In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Die Hände ins Gesicht geschlagen, ließ sie ihren Gefühlen freien Lauf. Die Tränen kullerten übers ganze Gesicht, hinterließen nichts als Verzweiflung und Angst. So fremd hatte sie sich noch nie gefühlt. Aber da war noch etwas anderes, etwas, das ihr geradezu die Kehle zuschnürte. Irgendwo, tief in ihr, schlummerte die Wahrheit und es brauchte bloß einen Fingerschnipp, um die Lawine ins Rollen zu bringen. In dem Augenblick dachte sie an ihre Mutter. Das Bild war so klar, so greifbar, dass sie an liebsten die Hand ausstrecken wollte. Sie wusste, dass es nicht echt war, dass sie tot war und nie wieder zu ihr zurückkehren würde. Nicht einmal, wenn Izara alles ungeschehen machen könnte… "Beruhige dich", flüsterte sie und atmete flach. Ruhe kehrte ein, sie musste ihre Gefühle vorerst wieder verschließen. Es galt, sich auf Wichtigeres zu fokussieren. Über ihre Veränderungen könnte sie später nachdenken. Sie zitterte, als sie sich aufstellte. Ihre Beine fühlten sich wie Pudding an, während sie überall an ihrem Körper Muskelkater verspürte. Sie legte den Mantel ab, ein wenig wehmütig ließ sie ihn zu Boden gleiten. Sie wusste, dass ihr Körper nicht in Bestform war, aber dass er derart in Mitleidenschaft gezogen worden war, erschreckte sie dennoch. Überall waren Schrammen, ihre Schulterblätter spannten und die Blutspritzer auf dem Boden bemerkte sie auch erst jetzt. Dafür sah Izaras Haut relativ sauber aus und sie hatte eine Ahnung, wer dafür verantwortlich war. Bevor ihre Scham ein neues Level erreichen konnte, schnappte sie sich ihre Kleider und zog sich hastig um. Stolpernd kam sie aus der Höhle. Wie versprochen stand der Fremde direkt am Eingang, seine Hände wischten in der Luft und zogen seltsame Linien in Richtung der Höhle. Izara strauchelte, sie hatte sich zu sehr ablenken lassen und ihr Zustand tat sein Übriges. "Vorsicht", schnell hatte er sie am Oberarm gepackt. Er musste die Reflexe eines Panthers haben, oder waren dies die Fähigkeiten eines Drachen - des Drachen? "Geht schon wieder", stammelte Izara und befreite sich etwas zu abrupt aus seinem Griff. "So geht es jedem nach seiner Verwandlung", sagte er, scheinbar nicht weiter über ihr Verhalten verwundert. "Wird das jedes Mal sein?", fragte sie und dachte im selben Moment, ob es überhaupt ein nächstes Mal geben sollte. Er schüttelte den Kopf. "Die nächsten Male werden…entspannter", er schien nicht sicher, ob er das richtige Wort verwendet hatte, "aber es ist gut, wenn du dich die nächste Zeit schonst. Dein Körper ist als Drachenmensch weniger belastbar." Natürlich. Wieder einmal das nervige Mischblut. Sie folgte ihm durch die Wiesen. Ihr Gefühl sagte ihr, sie sollte sich alles noch einmal gut ansehen sollte. Kapitel 10: Izara ----------------- Auf dem Heimweg erfuhr sie alles. Als sie vor dem Haus ihrer Zieheltern standen, wusste sie von ihrer Herkunft, darüber, wer er war und warum er sie aufgesucht hatte. Seinen Namen hatte sie auf dem Weg auch erfahren, aber die Tatsache, dass er der König war, machte das Wissen nichtig. Der König hat sich persönlich um mich gekümmert, diese Tatsache kam ihr selbst mit dem Wissen, dass sie eine Prinzessin sein soll, unwirklich vor. "Sind wir", fragte sie vorsichtig und blieb am Gartentor stehen, "sind wir verwandt?" "Nein", antwortete er, "obwohl man das nie richtig sagen kann. Drachen leben etwas anders als Menschen, aber König Juras war nicht mein Vater." Izara spürte…Erleichterung? Sie nickte, sie hatte noch viele Fragen, aber die meisten dienten hauptsächlich dazu, nicht dieses Haus betreten zu müssen. Izara hatte Angst, was sich dahinter verbarg. Wie Levis reagierte, wenn er sie sah. War er dolle gekränkt? Und Kaia? Würde sie es ihr übel nehmen, dass sie so einfach weggerannt war? Es nützte nichts. Sie musste sich ihnen stellen. Schon allein, weil sie vielleicht nicht mehr viel Zeit zusammen hatten. Man wollte sie mitnehmen, und ihr Schutz bedeutete, diejenigen verlassen zu müssen, die ihr alles bedeuteten. Er ließ ihr den Vortritt und Izara schritt die letzten Stufen zur Tür hinauf. Sie klopfte - ein Mal, und noch ein zweites Mal, weil der erste Versuch nicht zählte. Aber man hatte sie gehört. Noch die Faust an der Tür, riss diese auf. Levis stand vor ihr. Die Augen auf ihrem Gesicht. Er sah schrecklich aus. Die Augenränder hingen ihm fast bis zur Nase. "Levis, ich-" Seine Arme zogen sie an sich, er drückte Izara an die Brust, dass sie seinen rasenden Herzschlag spüren konnte. Tränen liefen Izaras Wange hinab, sie gönnte sich den kurzen Moment, an dem sie das kleine schwache Mädchen spielen durfte. "Bei den Göttern, du bist wohlauf!" "Lev", hauchte Izara, "du erdrückst mich." "Das hast du nicht anders verdient, junges Fräulein!", brummte er in ihr Ohr, "hör' endlich auf, Rücksicht auf mich oder Kaia nehmen zu wollen. Nicht, wenn es um deine Sicherheit geht." "Tut mir leid. Ich werde es mir merken." Dann ließ er langsam locker. Levis legte die Hände auf ihre Oberarme und musterte seine Adoptivtochter. "Du siehst verändert aus", ein Lächeln huschte über seine Lippen, bevor er sich mit ernster Miene an den König wandte. "Ihr habt Euer Wort gehalten. Danke." König Devon nickte. "Komm', Izara", er lenkte sie in den Flur, "es gibt einiges zu besprechen." Im Wohnzimmer wartete bereits Kaia. Die rassige Hyrakonda umarmte Izara, entgegen ihrer Vermutungen, brannte Kaia kein bissiger Spruch auf den Lippen. Sie schien bloß froh, dass Izara wohlauf war. Kaia war nicht allein im Zimmer. Da stand noch der andere Drache, direkt am Fenster. Er fixierte Izara und mit einem kaum merklichen Nicken verneigte er sich. Izara war viel zu verwirrt, als dass sie angemessen reagieren konnte, geschweige denn eine Ahnung hatte, wie man überhaupt darauf zu reagieren hatte. Die Geschichten, sie wäre König Juras Tochter und demnach die Prinzessin aller Drachen, wollten nicht in ihrem Kopf ankommen. Vor der Erweckung war sie doch nichts weiter als ein unwichtiger Drachenmensch gewesen. Wie konnte eine Erweckung so vieles verändern? Sie war froh, als der König den Raum betrat, damit konnte sie sich einreden, der Drache hatte sie vor ihm verneigt. Die beiden tauschten Blicke aus, danach ruhte alle Aufmerksamkeit wieder auf Izara. Es gab wirklich viel zu bereden, aber im Grunde lief alles auf dasselbe hinaus. "Ich soll einfach fort?", Izara konnte diese Tatsache nicht akzeptieren. Nicht einmal eine Woche gab man ihr, nein, wenn es nach den anderen ginge, säße sie schon längst im nächsten Zug Richtung Dragor . "Es ist der einzige Weg", seufzte Levis. Ausgerechnet Levis. Er war ein Skeptiker, besonders wenn es um Drachen ging. Es hatte Jahre gedauert, bis er sich mit Mayabe abgefunden hatte. Solar gegenüber blieb er noch heute misstrauisch. "Und was ist mit euch?", platzte es aus ihr heraus. "Wer passt denn auf euch auf, wenn ich weg bin? Sie werden merken, dass ich fort bin und dann…dann kommen sie zu euch." Izara wollte sich gar nicht ausmalen, was alles passieren könnte. "Mach dir um uns keine Sorgen", winkte Levis ab, aber Izara schüttelte den Kopf. "Ihr wollt, dass ich einfach so fort gehe. Ohne irgendjemandem Lebwohl zu sagen? Ohne zu wissen, was aus dir und Kaia wird?" "Izara", Levis legte eine Hand auf sie. Sie saßen auf der Couch - zumindest die drei Hausbewohner. Die beiden Drachen standen am Fenster, beobachteten stillschweigend die Diskussion. Levis fuhr fort: "Hör' zu. Ich bin dieses Risiko schon vor Jahren eingegangen. Als deine Mutter dich auf die Welt brachte - als alle wussten, was du warst -, bestand die Gefahr, dass sie mich dir wegnehmen könnten… oder mich einfach verschleppen - je nachdem, wonach ihnen gerade der Sinn steht. Es war meine Entscheidung, dich aufzuziehen - egal, welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Also hör' auf, dir Sorgen um mich zu machen. Ich komme zurecht. Und Kaia auch." Die Hyrakonda nickte. Nur Izara konnte nicht glauben, dass an dieser Stelle Schluss sein sollte. Dass sie einfach ihrer Wege gehen sollte, als hätte es die beiden nie gegeben. Wut machte sich breit. Sie entzog sich seinem Arm und sprang auf. "Das ist euer Todesurteil! Wieso tut ihr noch länger, als ginge es mich nichts an?!" "Hier wird niemand sterben", mischte sich auf einmal der andere Drache, Trias, ein. "Wir werden es so aussehen lassen, als wärd Ihr, Prinzessin, freiwillig geflohen. Die Paladine werden die Spur noch etwas verfolgen und dann aufgeben. Drachenmenschen interessieren sie nicht. Wir werden die Spuren manipulieren und die Paladine irgendwo im Westen suchen lassen." "Du hast eine Sache vergessen", keifte Izara. Sie merkte nicht einmal, wie sie alle Höflichkeiten abgelegt hatte. Sie war beleidigt, dass ihr keiner davon erzählt hatte. Die Herren schienen genug Zeit gehabt zu haben, Pläne zu schmieden und sie hatten es nicht nötig gehabt, Izara vernünftig einzuweihen. "Mein Halsband lässt mich nirgendwo hingehen", wie konnten sie das vergessen? "Sobald ich die Region verlasse, wird der Bürgermeister informiert. Egal, wo ich bin, sie werden mich überall finden." "Izara", murmelte Levis, "ist es dir denn noch gar nicht aufgefallen?" "Was denn?" Und Kaia entgegnete: "Schau dich doch mal an." Irritiert starrte sie ihre Zieheltern an. Weil sie nichts weiter sagten, lief Izara auf das Fenster zu. Levis hatte gemeint, sie hätte sich verändert, aber dasselbe Spiegelbild leuchtete ihr entgegen. Moment! Izara fasste sich an den Hals. "Wo ist es hin?" "Weg", antwortete dicht neben ihr der König. "Wie-" "Ich war das." "I-Ihr könnt-", Izara fehlten die Worte. Sie war frei? Einfach so? "Drachen können die Halsbänder nicht vernichten", flüsterte sie. Von all den Geschichten, die sie heute schon gehört hatte, war dies die Verrückteste."Die Paladine nutzen eine spezielle Legierung, damit niemand sie durchtrennen kann. Nicht einmal Magie." "Ich kann es." Er klang so überzeugend, dass es Izara eiskalt den Rücken herunter lief. "Die Macht des Himmelsdrachen", fügte Trias hinzu. "Das ist-", fassungslos starrte sie König Devon an. Wenn ein Himmelsdrache dazu fähig war, was könnte er noch gegen die Paladine ausrichten? "Verstehst du nun, Izara?", Levis kam auf sie zu. Versöhnlich blickte er seine Adoptivtochter an, aber Izara konnte er nichts vormachen. Das Trübe in seinen Augen war unverkennbar. "Ich kann dich nicht länger beschützen. Aber sie… bei ihnen bist du sicher. Sie passen auf dich auf, bis du stark genug bist, auf dich selbst aufzupassen." Glaubte er das wirklich? Izara wollte es zumindest glauben. Wenn der Tag käme, an dem sie sich gegen die Paladine behaupten könnte, würde sie sich nicht mehr verstecken müssen und könnte Levis und Kaia vielleicht wiedersehen. Wenn… "Nun", der König riss sie aus ihren Gedanken, "wie entscheidest du dich?" "Ich dachte, ich habe keine Wahl?" "Wir werden dich nicht zwingen, mit uns zu kommen." Er war ehrlich, das spürte sie. Zumindest wollte er es sein, ob er im Ernstfall seine Meinung ändern würde, war eine andere Sache. "Ich komme mit", sie begegnete seinen Blicken - standhaft, "unter einer Bedingung." "Und die wäre?", fragte er ruhig, wenn sie auch Verwunderung erkennen konnte. "Die anderen Drachen", sagte sie, "es leben etwa hundert weitere in Kandio. Wenn Ihr sie befreit, komme ich mit." "Wisst Ihr, was Ihr da sagt!?", Trias schüttelte den Kopf, "denkt Ihr, es wäre so einfach-" Der König brachte seinen Leibwächter zum Schweigen. "Einverstanden", entgegnete er, ohne Izara aus den Augen zu lassen. "Aber, Hoheit!", Trias riss die Augen auf, "das ist viel zu riskant." "Das Risiko ist mir bekannt. Doch ich weiß, warum sie das tut und sie hat recht." "Ihr wisst selbst, dass eine Einmischung in diesem Ausmaß Konsequenzen nach sich ziehen wird. Erst neulich habt Ihr-" Stumm schauten die Drachen einander an. Izara fragte sich, ob Himmelsdrachen auch Gedanken lesen konnten. Sie wusste nicht wieso, aber es kam ihr so vor, als würden sie weiterreden. Irgendwann resignierte Trias. Mit einem Seufzer wandte er sich an ihre Zieheltern und sagte: "Bringt sie bis morgen nach Vebrix. Wir nehmen den ersten Zug." Dann marschierte er aus dem Haus. Er sah wütend aus, Izara wusste, dass es ihre Schuld war. Ein letztes Mal wandte sich der König an sie. Sein Blick fesselte sie aufs Neue und ein Teil von ihr freute sich darauf, mit ihm gehen zu dürfen. Sie hätte Zeit, herauszufinden, was es mit dieser Anziehung auf sich hatte und ob er sich ihr gegenüber irgendwann öffnen würde, denn nichts anderes wünschte sie sich. Aber zunächst sah sie ihn aus dem Haus gehen. Ein wenig machte ihr die Forderung zu schaffen. Die Drachen gingen ein hohes Risiko ein, wenn sie sich mit den Paladinen Kandios - ganz besonders mit Bürgermeister Flatsch - anlegten. Andererseits hätte Izara nie wieder ein Auge zumachen können, wenn sie die anderen Drachen einfach ihrem Schicksal überlassen hätte, während sie von nun an in Freiheit lebte. Auch wenn nicht jeder freundlich zu ihr gewesen war, sie verband alle dasselbe Schicksal, dieselben Ketten der Unterdrückung. Kapitel 11: Izara ----------------- Die letzten Stunden verbrachte Izara mit Levis und Kaia. Es war nichts Spektakuläres, sie aßen zusammen Kaias legendäre Rindfleischsuppe, danach half ihr die Hyrakonda beim Packen. Ein paar Kleider, hauptsächlich kleinere Erinnerungsstücke - mehr brauchte Izara nicht. Sie wusste, dass sie nichts aus ihrem alten Leben behalten musste, außer vielleicht ein paar Himbeerpralinen, weil diese einfach keiner besser machen konnte als Kaia. "Ich werde die Arbeit im Pralinengeschäft vermissen", sagte sie und strich über das Bild, das Levis einst für sie gemalt hatte. Es zeigte einen Sonnenaufgang, nahe der Hauptstadt, auf einem Felsvorsprung. "Ich weiß nicht, was ich ohne dich machen soll, Izara", Kaia zog sie in ihre Arme, "aber ich weiß, dass du dein Glück finden wirst." Izara hoffte es. Unten wartete Levis. Sie mussten früh los, um Vebrix noch vor der Mittagsstunde erreichen zu können. Die erste Strecke liefen sie zu Fuß, auch wenn noch keiner Verdacht schöpfte, würde sich das schnell ändern, sobald Izara in einem der Droschken säße. Erst als die erste Weggabelung auftauchte und die Hälfte der Strecke geschafft war, reisten sie in einem der Wagen mit. Izara hätte gerne die Zeit genutzt, ein paar letzte Worte mit ihrem Ziehvater zu wechseln. Sie hatte das Gefühl, dass es noch so viel gab, worüber sie reden mussten. Zum Beispiel über die Zeit, als ihre Mutter starb und Levis die Verantwortung übernommen hatte. Oder damals in der Schule, als Izara zwei ihrer Mitschüler verprügelt hatte und Levis deswegen zum Direktor musste. Er hatte nie gefragt, warum sie die beiden Jungs verhauen hatte und es hatte nie Schelte dafür gegeben. Izara öffnete ihren Mund. Vielleicht war dies das Geheimnis ihrer engen Bindung. Dass sie immer einander vertraut hatten - egal, was kam. Augenblicklich schloss sie wieder ihren Mund. Möglicherweise war es gut, die Dinge unausgesprochen zu lassen. Dann hätte sie etwas, worüber sie mit ihm reden könnte, wenn sie sich wiedersahen. Levis legte eine Hand auf ihren Oberschenkel und lächelte. Er schien denselben Gedanken gehabt zu haben. Das brachte auch Izara zum Lächeln. Nach einigen Stunden erreichten sie die zweitgrößte Stadt des Landes. Während der Fahrt hatte Izara ein wenig schlafen wollen, doch die Aufregung hatte sie kein Auge zumachen lassen. Auch Levis wirkte erschöpft, er führte Izara durch die Stadt und gähnte immerzu, während er den Uhrenturm im Auge behielt. Der Bahnhof war nicht zu übersehen. Im Zentrum der Stadt war er doppelt so groß wie das Rathaus von Kandio. Tausende Menschen tummelten sich um und in dem Gebäude. Izara schaute sich um. So viele Menschen an einem Punkt hatte sie noch nie gesehen. Vebrix war eindrucksvoller als aus den Erzählungen ihres Ziehvaters. "Gleis sieben", sagte Levis und schob Izara an eine Gruppe Menschen vorbei. Izara folgte ihm stolpernd, während sie mit den Blicken alles aufzufangen versuchte. "Da", stöhnte Levis, als sie eine breite Treppe hinaufgestiegen waren. Auf Gleis sieben schnaufte bereits die Dampflok. Schwarzer Rauch stieg empor, ein paar Dunstschwaden hatten sich auf dem Boden verteilt. Izara hatte sich einen Zug eher pompös und edel vorgestellt. Dieser hier machte einfach nur Dreck, sie wusste nicht, ob die fünfstündige Fahrt so angenehm werden würde, wie man es ihr vorgeschwärmt hatte. Ein Blick auf einen der mittleren Waggons ließ sie innehalten. Die Drachen standen direkt vor einer der Türen, sie hatten Izara längst in der Menschenmasse erkannt und sahen zu ihr herüber. Dann haben sie es also geschafft? "Gerade noch pünktlich", murmelte Trias, der Izara das Gepäck abgenommen hatte und dabei war, in den Wagen zu steigen. Wie er einfach so verschwand, ließ Panik in ihr aufkommen. Der Abschied kam viel zu schnell. Was sollte sie Levis in der kurzen Zeit sagen? "Alles ist gut", Levis lächelte sie an. Ein letztes Mal warf sie sich in seine Arme. "Danke", hauchte sie in seine Halsbeuge, "für alles." "Du wirst immer meine Tochter bleiben. Vergiss' das nicht." Izara unterdrückte ein Schniefen. Würde sie jetzt weinen, sie wüsste nicht, ob sie je wieder aufhören könnte. Ein schrilles Pfeifen entriss Izara seiner Umarmung. "Ihr müsst los", sagte Levis und wandte den Blick ab, um sich flüchtig eine Träne aus dem Gesicht zu wischen. Ach, Lev! Sie nickte, auch wenn sich das alles falsch anfühlte - es gab kein Zurück mehr. König Devon ließ ihr den Vortritt und Izara stieg in den Zug. Das ist kein Abschied für immer, wiederholte sie wie ein Mantra in ihrem Kopf. * War Levis bereits keine sonderliche Plaudertasche, schienen die Drachen einen Schweigewettkampf begonnen zu haben. Wenn sie kommunizierten, dann nur mit den Augen. Manchmal beobachtete sie einen der beiden heimlich vom Fenster aus. Nachdem sie eine Stunde nur Ödland gesehen hatte, war der Ausblick nicht mehr allzu spektakulär, dass sie nur noch das Ende der Reise herbeisehnte. Der Leibwächter machte einen zerknirschten Eindruck. Er war ein wenig blass um die Nase, seine Augen sahen stur geradeaus. Neben ihm wirkte der König geradezu ausgeruht. Sein Blick glitt in die Ferne, er schien in seinen eigenen Gedanken gefangen zu sein. Der Ausdruck war so unergründlich, dass Izara wieder einmal fasziniert von ihm und seiner Aura war. Sie hätte gerne gewusst, was in seinem Kopf vorging, und ob Izara etwas tun könnte, um ihm das Leben leichter zu machen. Wo kommt das denn jetzt her?!, Izaras Wangen begannen zu glühen. Kurz huschte sein Blick in Richtung Fenster. Ihre Augen trafen sich und Izara fühlte sich ertappt. "Ich muss dir noch etwas geben", sagte er nach einer peinlichen Schweigeminute (Izara war es peinlich, der König schien wieder einmal die Ruhe selbst zu sein). Sie horchte auf, beobachtete neugierig, wie er seine Hand in die Hosentasche steckte und ein Armband herausholte. "Von deiner Freundin", fügte er hinzu. Izara nahm das Armband entgegen. Es war aus einer rotgoldenen Strähne geflochten worden. "Mayabe", Izara lächelte, "dann wurden die Drachen wirklich befreit?" "Ich halte immer mein Wort", entgegnete er. Verlegen nickte sie. Sie hatte seine Glaubwürdigkeit nicht in Frage stellen wollen. Es war einfach…so unglaublich, dass ihre Freunde befreit worden waren und nun in Freiheit leben konnten. "Wo sind sie jetzt?" "Fort", antwortete er, "zumindest weit genug, um nicht entdeckt zu werden. Ich vermute, einige werden die Hauptmetropole aufsuchen." "Dragor ." Wie schön wäre es, wenn ihre beste Freundin in ihrer Nähe wäre! Dieser kleine Hoffnungsschimmer war tröstend und mit einem weniger schweren Herzen in der Brust blickte sie wieder aus dem Fenster. Kapitel 12: Izara ----------------- Es dauerte fünfeinhalb Stunden, bis sie ihr Ziel erreicht hatten. Der Zug hatte wegen Wartungsarbeiten länger halten müssen. Sehr zu Trias Leidwesen. Dieser hatte nämlich die letzte Stunde damit zugebracht, tausend Flüche in seinen imaginären Bart zu grummeln. Er war auch der Erste, der sich das Gepäck schnappte und unter dem Vorwand, die Flure zu sichern, aus dem Abteil gestürmt war. Weniger eilig hatte es Izara. Sie streckte ihre Beine, der Muskelkater war noch nicht ganz verschwunden und ihre Gelenke fühlten sich an, als wären sie durch den Reißwolf gejagt worden. Dennoch waren ihr die Schmerzen lieber, als noch länger in diesem Abteil festzusitzen. Sie sehnte sich nach dem Boden unter ihren Füßen - echtem Boden mit echter Erde. Am liebsten hätte sie einmal tief durchatmet, doch am Bahnsteig wartete bereits ein kleiner Mann mit langem Haar und langem Rauschebart. "Hoheit", er eilte auf den König zu, kaum hatte dieser den Zug verlassen, "endlich seid Ihr zurück." Er atmete schwer, verneigte sich, wobei er fast die Papiere fallen ließ, die er sich zwischen seine Arme geklemmt hatte. "Es gibt Neuigkeiten, Hoheit. Von Osten-" Er verstummte, kaum dass er Izara bemerkt hatte. Sie hätte gerne gewusst, ob Drachen einander erkannten oder doch nur der Geruch nach Mensch sie verriet. Für Izara fühlte es sich wie eine Ewigkeit an, dass sie einfach nur dastanden und nichts sagten. Ab und an glaubte sie, ein Rauschen zu hören, aber das hätte auch genauso gut der Zug sein können. Und wenn Himmelsdrachen telepathische Kräfte haben?, überlegte sie, während König Devon seinen Laufburschen betrachtete und ernst nickte. Sie schienen sich einig, Izara glaubte es zumindest, denn der König wandte sich nun an sie. "Trias wird dich zum Palast begleiten." Und Ihr?, wollte Izara fragen, traute sich nur nicht. Also nickte sie, unschlüssig, ob sie ohne ihn gehen wollte. Schließlich war er der einzige, zu dem sie eine Verbindung hatte - wie auch immer das in so kurzer Zeit passieren konnte. Ihn fortgehen zu sehen, nicht zu wissen, wohin er ging und wann sie ihn wiedersehen würde, machten ihr fast so viel zu schaffen, wie die Trennung ihrer Familie. Kraftlos folgte sie Trias aus dem Bahnsteig. Der Bahnhof bestand nur aus einer kleinen Hütte und zwei angrenzenden Bahnsteigen. Dahinter lagen breite Felder, Wiesenlandschaften erinnerten an Izaras Zuhause und stellten ihre Selbstbeherrschung auf eine harte Probe. "Kommt, Prinzessin", wies sie Trias an. Er blieb immer wieder stehen und wartete auf Izara, die mit ihren kurzen Beinen kaum hinterherkam. "Trias", sagte sie, dem großen Drachen mit den dunkelbraunen Haaren folgend, "ich würde mir wünschen, dass du mich Izara nennst. Prinzessin klingt so…fremd." Trias blieb stehen. "Ich weiß nicht, ob ich das darf." "Und wenn es ein Befehl wäre?", sie versuchte zu lächeln - ein gequältes, von den Tagen erschöpftes Lächeln. "Nun", Trias war stehen geblieben, er drehte sich zu ihr um, "soll das wirklich Euer erster offizieller Befehl sein?" Eine Augenbraue schoss in die Höhe. "Wir müssen es ja nicht offiziell machen." Trias seufzte. "Also schön. Wenn es Euch…dir lieber ist, dann nenne ich dich Izara." Er verschränkte die Arme vor der Brust. "Aber du solltest nicht jedem im Palast erlauben, dich beim Vornamen zu nennen. Das wirft kein gutes Licht auf dich und könnte dem Ruf der Königsfamilie schaden. Einschließlich unseres Königs." "In Ordnung", sie bekam ein Gefühl, welche Verpflichtungen auf sie zukämen und die Lust, den Palast zu sehen, schwand allmählich. "Und nun?", fragte sie, "wie weit ist es noch bis nach Dragor ?" "Fünfzig Meilen", sagte er trocken. Izara fiel beinahe die Kinnlade herunter. "Das ist ein Scherz." "Das ist ganz sicher kein Scherz oder denkst du, das hier", er zeigte auf die Umgebung, nur Wiesen und Felder, so weit das Auge reichte, "ist die berühmte Drachenstadt?" "Vielleicht der Vorgarten?" "Sehr witzig, aber nein. Doch keine Angst", er grinste breit, "wir werden nicht laufen." "Sondern?" Wie Trias schon demonstriert hatte - hier gab es nichts, was annähernd nach einem Gefährt aussah. Nur langsam fiel der Groschen. "Wir fliegen?!" "Ich fliege", meinte er und streckte sich, "in deinem jetzigen Zustand wäre es lebensgefährlich, sich zu verwandeln." "Ich dachte, nach der Erweckung wäre es einfacher." "Nicht als Drachenmensch mit Himmelsblut. Das Risiko ist mir zu hoch." "Verstehe", grummelte Izara, doch der Ärger über ihre Wurzeln hielt nicht lange. Trias legte Mantel und Hemd ab. "Du wirst dich doch jetzt nicht vor mir ausziehen?!" Izara wich einen Schritt zurück. Zugegeben, Trias Oberkörper konnte sich sehen lassen. Fett schien in seinem Vokabular keinen Platz zu haben. Aber ob dieser Drache der erste sein sollte, den sie nackt sähe…? "Ich bin nicht lebensmüde", entgegnete er verschmitzt, "aber es kann sehr unangenehm werden - zumindest obenrum." Er streckte die Arme nach links und rechts aus. Tiefe Atemzüge drangen aus dem Mund, die Nasenflügel bebten und Rauchschwaden sammelten sich. Dann begannen die Augen zu glühen, rote Rubine waren nichts gegen das Strahlen seiner beiden Iriden. Ein Windzug wurde freigesetzt und mit einem lauten Knacksen schossen zwei Flügel aus Trias Schulterblättern. Izara schreckte zusammen. So groß hatte sie sich die Drachenschwingen nicht vorgestellt. Wenn ihre eigenen Flügel Platz in einer Höhle hatten, wollte sie gar nicht wissen, wie zerquetscht sie danach ausgesehen hatten. "Endlich", stöhnte Trias. Er sah erleichtert aus - und um Längen entspannter. Ihr anfänglicher Schrecken wich bloßer Neugier. Sie kam ein Stück näher, betrachtete die dunkelroten Flügel, die schwarzen Linien, die wie kryptische Zeichen auf der Haut eingebrannt waren. Die Enden waren mit dicken Stacheln versehen, die zu pulsieren schienen. "Du bist ein Feuerdrache", rief sie begeistert aus. "Ich bevorzuge die Bezeichnung Volan", meinte er voll Stolz. "Natürlich", entgegnete Izara. Sie kannte die Begriffe der einzelnen Untergruppen, aber die meisten Drachen in Leibeigenschaft vermieden es, sie zu gebrauchen. "Ich habe noch nie einen von euch getroffen", sagte sie, während ihre Blicke weiterhin auf den Flügeln ruhten. Im Grunde hatte sie noch keinen Drachen in seiner Reinform gesehen. Sie hätte sie gerne berührt, aber so selbstbewusst war sie nun doch nicht - oder dreist. "Dann war es langsam Zeit", er flatterte mit den Flügeln, heißer Wind schlug ihr entgegen, die Luft wurde trocken und stickig. "Wenn ich nun bitten dürfte, [style type="italic"]Prinzessin[/style] Izara", Trias drehte sich um. Er meinte es ernst! Izara starrte ihn mit großen Augen an. Zaghaft kam sie direkt auf ihn zu. Die Flügel hingen in der Luft wie Statuen. "Soll ich auf deinen Rücken klettern?", fragte sie, die Fingerspitzen nur knapp unter einem der Unterflügel. "Halt dich an meinem Hals fest. Sobald du einen festen Griff hast, werde ich mich verwandeln." "Das ist wohl noch keine Verwandlung?", sie krallte sich an seinen breiten Hals, auch hier schien Trias nur aus Muskeln zu bestehen. "Nein", lachte er auf. Es war herzlich, langsam schien er zu begreifen, dass Drachen in Leibeigenschaft keine Ahnung von ihrer eigenen Spezies hatten. Langsam zeichneten sich bei Trias Drachenstrukturen ab. Die Haut wurde rauer, ledriger und Izara hielt sich an dem Drachen so fest sie nur konnte. "Bereit?", fragte er, einen Blick hinter seine Schulter werfend. "Ich glaube, ja." "Dann los!" Kapitel 13: Izara ----------------- Mit kräftigen Flügelschlägen hob Trias in die Luft ab, der Wind wurde kühler, trotz der Schwaden, die sein Körper entsandte. Er holte noch einmal kräftig Schwung und flog empor zu den Wolken. Sein menschliches Aussehen verlor sich. Der Drache erwachte - ein langer Hals und ein breiter Rücken, auf dem sich die Stacheln eingezogen hatten. Izara geriet ins Wanken, sie drückte ihr Gesicht an seinen Hals und ermahnte sich, nicht loszulassen. Trias wurde schneller, flog direkt durch die Wolken zu, sodass er von unten nur noch als kleiner roter Punkt zu erkennen war. Ungläubig starrte Izara in die Tiefe. Sie hätte mit einer Ohnmacht gerechnet, aber das Kribbeln in ihrer Brust war kein Ausdruck von Angst. Es war purer Rausch. Noch nie hatte sie ähnliches gespürt. Sie war…glücklich, denn sie spürte, was es hieß, frei zu sein, Grenzenlosigkeit zu erfahren. "Es ist", schrie sie, doch der Wind nahm ihr die Stimme. Stattdessen lachte sie. In ihrem Bauch gluckste es, tausend Ameisen liefen um die Wette. Trias stieß einen lauten Schrei aus. "Tut mir leid, ich verstehe dich nicht", lachte sie weiter. Vorsichtig wagte sie es, ein Stück nach unten zu rutschen. Ihre Finger umfassten einen Stachel, sie setzte sich auf, dass sie direkt in die Sonne blicken konnte. Izara blinzelte, ließ die Strahlen ihre Haut berühren. Die Wärme tat gut. Entgegen aller Gerüchte war der Körper des Volan eher lauwarm. Dass Vulkane aus seinen Schuppen ausbrechen sollten, kam ihr rückblickend lächerlich vor. Behutsam strich sie über die Schuppen, der Kopf des Drachen drehte sich in ihre Richtung. Izara meinte, Belustigung in seinen Augen zu erkennen. Er schnaubte, dass heißer Dampf ihr Gesicht bedeckte. Trias wirkte geradezu verspielt, dass Izara nicht anders konnte, als ihre Augen zum Leuchten zu bringen. Das Gefühl übermannte sie, ihr ganzer Körper begann blaues Licht zu entsenden. Der Drache richtete seine Aufmerksamkeit zurück nach vorne, sein Tempo war kaum zu bremsen. "Äh, Trias", schrie sie. Zwei Felsen tauchten auf, der Drache flog direkt auf sie zu, "meinst du nicht, dass es ein wenig eng wird?" Zu eng, wollte sie sagen. Die Felsenspalte hätte gerade so für sie beide gereicht. Als Menschen, nicht in Drachengestalt. Der Feuerdrache schnaubte und Izara hielt es für besser, sich doch wieder an seinem Hals festzukrallen. "Ich hoffe, du weißt, was du tust." Kaum zu Ende gesprochen, ging der Drache in den Sinkflug. Die Felsspalte rückte näher, Izara zog den Kopf ein, als der Feuerdrache eine Vierteldrehung vollführte. Ein Flügel zeigte nach oben und ohne an Geschwindigkeit einzubüßen flog er durch die Öffnung. Izaras Haare klatschten an die Felswand, während sie ungebremst durch den Spalt rauschten. "Das machst du nicht zum ersten Mal", schrie sie ihn an. Dabei war es nur logisch, dass Trias schon öfter hier gewesen sein musste. Trotzdem war sie froh, als das Ende der Felsen sichtbar wurde. Mit Leichtigkeit hindurch geflogen, nahm Trias wieder an Flughöhe zu. Izara hatte nicht bemerkt, wie sie kurz die Augen zusammengekniffen hatte und öffnete nun die Lider. Der Anblick übertraf alles. "Dragor ", flüsterte sie. Dass sie so schnell hier sein würden… Izara betrachtete die florierende Metropole, tausende Drachen in Menschengestalt liefen durch die Straßen. Der Marktplatz war um ein Vielfaches größer als sie es aus Kandio kannte, von oben erkannte sie Schulen und Universitäten, einen Hafen, sowie mehrere Fischerboote. Der Wochenmarkt war im vollen Gange, noch mehr Menschen tummelten sich auf den Haupt- und Nebenstraßen. Sie hätte gern noch mehr gesehen, doch Trias flog weiter, aus der Stadt hinaus, über zwei Berge, auf deren Dächern noch etwas Restschnee zu erkennen war. Es dauerte eine Weile, bis Izara erkannte, worauf er zuflog. Erneut stockte ihr der Atem. Sie kannte Paläste aus Schulbüchern und den Zeichnungen, die Levis angefertigt hatte. Natürlich alles Paläste von Menschenhand gebaut. Der Drachenpalast war aber kein gewöhnlicher Palast. Er war in die Felsen gehämmert worden. Es gab keine Grenze zwischen Schloss und Gestein. Izara war so sehr eingenommen, dass sie gar nicht bemerkte, wie Trias langsamer wurde und einen Hügel ansteuerte, der ebenfalls in das Schloss integriert worden war. Erst als sie Boden unter den Füßen hatten, registrierte Izara, dass sie gelandet waren. Etwas unbeholfen kletterte sie von ihm herunter und bedankte sich. Der Drache stieß ein Kreischen aus, bevor er die Flügel einzog und in seine Menschengestalt zurückkehrte. "Ich nehme an, du hattest einen guten Flug." Trias schmunzelte sie an. Ein kleiner Angeber schien er zu sein, aber einer von der netten Sorte. "Bis auf den Selbstmordversuch an der Felswand, war es sehr angenehm." "Hm", sein Schmunzeln wandelte sich zu einem Grinsen. Es währte nur kurz, viel zu kurz. So schnell er zum freundschaftlichen Begleiter gewechselt hatte, kehrte er jetzt zurück in die Rolle des ernsten Leibwächters. "Ich bringe dich zu den anderen." "Die anderen?" Aber Trias reagierte nicht. Er schien es eilig zu haben und lief, ohne Izara irgendetwas zu erklären. Sie kamen an die Palasttore, zwei Wachen erkannten den Leibwächter des Königs und ließen ihn ohne Fragen hinein. Izara schenkten sie einen undefinierbaren Blick, über den sie heute noch nicht nachdenken wollte. Weiter ging es durch die Flure, zu ihrer Linken reihte sich Tür an Tür. Auf der anderen Seite führten Terrassen ins Freie. Sie hatte etliche Fragen, aber Trias ließ sie kaum Luft holen, sich auch nur in Ruhe umzusehen. Er steuerte einen Garten an, in dem sich mehrere Frauen versammelt hatten. Drachen, wie sich Izara im Geiste korrigierte. Sie standen im Kreis, im Mittelpunkt stand eine schwarzhaarige Frau, die wohl so etwas wie eine Anführerin sein musste. Dass sie Respekt einflößte und diesen erhielt, war selbst aus dieser Distanz zu erkennen. Izara war auf der Terrasse stehengeblieben. Die kritischen Blicke waren ihr unangenehm. Sie hatte das Gefühl, nichts verbergen zu können. Währenddessen schritt Trias auf einen Baum zu. Es gab wenige Bäume, und auch sonst gab es hier nichts, das den Namen »Garten« verdient hatte. An diesem Baum, Izara erkannte, dass es ein Nussbaum war, stand eine weitere Frau, abseits der restlichen Drachen. Die Arme vor der Brust verschränkt, lehnte sie am Baumstamm und kniff die Augen zusammen, als der Volan einem Schatten vor sie warf. "Deine neue Aufgabe", sagte Trias. Mehr verstand Izara nicht, er hörte auf, die Lippen zu bewegen. Im Hinterkopf behielt sich Izara die Frage nach dem Kommunikationsmittel der Drachen. Etwas übersah sie - eindeutig. Mit einem Grummeln stützte sich das Drachenweibchen vom Baumstamm ab. Gemeinsam mit Trias kamen sie auf Izara zu. "Das ist Kyia", stellte er sie vor. Izara schaute hinauf, der Drache war mindestens so groß wie König Devon - und genauso muskulös wie Trias. Sie trug eine Uniform. Izara hatte noch nie eine Frau getroffen, die Hosen trug und sie begriff auch wieso. Die enge Lederhose gab alles Preis. Kyia dürfte sich wohl kaum vor potentiellen Freiern retten können. "Hallo", zaghaft lächelte Izara. Ihr gegenüber nickte knapp. "Kyia wird fortan auf dich aufpassen. Sie ist ein Bergdrache und die Stärkste, wenn es um den Nahkampf geht." "Und was ist mit dir?", fragte Izara. Sie beschlich das Gefühl, dass er sie auch verlassen wollte. "Ich muss meinem König folgen", antwortete er, "ich bin sein zugeschriebener Leibwächter, normalerweise darf ich ihm nicht von der Seite weichen." Er verschränkte die Arme vor der Brust. "Kyia hat Erfahrung mit Himmelsgöttinnen. Du brauchst dir also keine Gedanken machen, du bist in besten Händen." "Verstehe." Aber darum ging es doch gar nicht. Der Palast machte ihr Angst, die vielen fremden Drachen, die abschätzigen Blicke. Was erwartete man von ihr? Sie hätte gerne ein wenig Schonfrist gehabt, doch es schien, als wollte man sie direkt ins kalte Wasser werfen. Allein. Wehmütig sah sie Trias hinterher, wie er aus dem Garten marschierte und einfach verschwand. Sie dachte, sie könnten sich anfreunden, Trias schien umgänglich, wenn man ihn einmal ein wenig kennengelernt hatte. Kyia wiederum machte ihrem Namen alle Ehre. Sie war hart wie Stein, ihre Mundwinkel schienen noch nie ein Lächeln gesehen zu haben. Stocksteif marschierte sie los. "Kommt, Prinzessin", sagte sie mir rauer Stimme. Izara nickte und lief dem Bergdrachen hinterher. Dabei sah sie kurz nach hinten. Die anderen hatten sich zu einer Formation gestellt, dazwischen hatte die Schwarzhaarige die Haare nach hinten geworfen und ihre hellblauen Augen zum Leuchten gebracht. Ihr Blick war feindselig. Ganz anders als der ihres Königs, aber das schien bereits so lang her, dass Izara sich kaum daran erinnern konnte, ohne an sich selbst zu zweifeln. "Was sind das für Drachen?", fragte Izara, als sie weiter durch den Flur liefen. "Das sind die Weibchen", antwortete Kyia. "Und welche Aufgabe haben sie?" "Man könnte sagen, sie sind aus demselben Grund wie Ihr hier, Prinzessin." "Das verstehe ich nicht", Izara musste fast rennen, um mit Kyia Schritt zu halten. "Nun", entgegnete der Bergdrache und lief an der Treppe vorbei, "sie sind hier, um ihre Art zu erhalten. Der König hat sie aufgenommen, damit ihr Nachwuchs vor möglichen Feinden geschützt ist." "Ich verstehe immer noch nicht, was ich damit zu tun haben soll." "Ihr wisst, dass Ihr die letzte Himmelsgöttin seid?" "Ja." "Dann wisst Ihr auch, dass der Erhalt Eurer Art an oberster Stelle steht." "Das klingt ja so, als wäre ich hier, um einen Erben auf die Welt zu bringen." "Wenn Ihr es so formulieren wollt." "Wie bitte?" Izara war stehen geblieben. Das war doch nur ein Scherz gewesen. Oder? "Willst du damit sagen, dass ich hier bin, damit man mich…schwängert?!" "Ich maße mir nicht an, die Pläne des Königs zu kennen", sagte Kyia und lief einfach weiter, "doch es ist nur logisch. Ihr seid die einzige, die in der Lage ist, unserem Volk eine Zukunft zu schenken. Einschließlich unseres Königs natürlich." Zukunft unseres Volkes?Logisch? Wovon in aller Welt redete der Bergdrache? "Sie sagten doch…", Izara wandte den Blick ab, den Teppich zu ihren Füßen anzustarren war gerade interessanter als alles andere. "Ich… ich habe nie gesagt…er hat nie gesagt, dass ich…dass ich deswegen hier bin. Ich meine, ich würde doch nie freiwillig zustimmen…" Kyia gab keine Antwort, doch Izara wollte auch nichts weiter davon hören. Das konnte nicht real sein! Das war unmöglich. Es war- logisch?!, brannte sich das Wort in ihren Kopf ein. Der Bergdrache hatte so abgeklärt gesprochen, dass Izara keine Chance hatte, es zu leugnen. "Und die anderen Weibchen?", flüsterte Izara, "ist der König auch mit ihnen…" Izara wollte es nicht aussprechen. Ein unbekannter Schmerz brannte sich in ihre Brust ein. Sie wollte schreien, weinen, zurück zu Levis und Kaia rennen, doch nichts davon war möglich. Stattdessen musste sie Kyia folgen. Unermüdlich, egal wie stark die physischen und mentalen Schmerzen auch waren. Sie zeigte ihr das Zimmer, in dem sie nun leben sollte. Izara konnte sich darüber nicht freuen. Weder über die hohen Wände, oder das große Himmelbett, den hellen Parkettboden und die freundliche Tapete. Das hier war ein weiterer Käfig. Größer und komfortabler, ja, aber was war mit ihrer Freiheit oder mit den Leuten, die sie beschützen wollten? Hatte sie sich von der Aura des Königs täuschen lassen? Hatte er ihre Anziehung ausgenutzt, um Izara für sich zu gewinnen? Nein, sie war freiwillig mitgekommen. Weil sie keine andere Wahl gehabt hatte und weil etwas in ihr daran geglaubt hatte, dass es um sie ginge. Izara kam sich naiv, dumm und hintergangen vor. Allen voran naiv. Sie hatte gedacht, die leichtgläubige Phase überstanden zu haben. "Wenn Ihr noch etwas braucht", Kyias Stimme riss sie aus ihren Gedanken. "Nein, danke", antwortete Izara, "ich würde gerne ein wenig für mich sein, wenn das möglich ist." "Selbstverständlich", Kyia verneigte sich, "ich bin im Flur, wenn Ihr mich braucht." Und weg war sie. Izara ließ sich aufs Bett fallen, drückte das Gesicht in die Kissen und beschloss, sich für den Rest des Tages vor der gesamten Welt zu verkriechen. Kapitel 14: Izara ----------------- "Guten Morgen, Prinzessin." Pünktlich betrat Linnora das Zimmer. Die Bedienstete balancierte eine frische Ladung an Betttüchern und Bezügen, während Handtücher und kleine Seifenstückchen oben drauf drapiert worden waren. Sie lächelte und packte alles auf das bereits gemachte Bett. Die Routine hatte etwas Aufmunterndes, Linnoras Lächeln, dazu ihr Tatendrang munterten Izara jeden Morgen auf. "Also wirklich, Prinzessin", schnaubte sie, "ich hab Euch doch schon hundertmal gesagt, dass Ihr nichts aufräumen müsst. Die Laken müssen eh jeden Morgen neu bezogen werden." "Und ich habe schon hundertmal gesagt, dass du das nicht tun musst", Izara tauchte hinter den Vorhängen auf. Sie hatte gerade die Fenster aufgerissen, kühle Luft wehte die Stoffe zur Seite und Izaras Haare in alle Richtungen. "Ihr seid unverbesserlich, Prinzessin", schmunzelnd schüttelte Linnora den Kopf und machte sich an die Arbeit. Izara gesellte sich dazu. Zwischen den Laken lugte etwas Goldenes hervor, das Izaras Aufmerksamkeit erweckte. "Neue Kleider?" "Ja, Prinzessin", entgegnete die Dienerin und faltete die viel zu großen Laken auseinander. Ihre Decke reichte bis zum Boden, Izara könnte sich mehrere Male darin einwickeln und immer noch ein Stück Decke übrig haben. Sie fragte sich, ob alle Adligen so schliefen, oder ob bei Drachen einfach alles eine Nummer größer sein musste. "Die Alten schienen etwas knapp", sagte Linnora, "da habe ich Neue herbringen lassen." Izara zog die Stoffe hervor. Die Gewänder waren genauso wie die Alten - bunte Kleider, die bis zu den Knöcheln reichten, mit weiten Flügelärmeln und hoch geschlossenem Kragen. Einer Schärpe um die Hüften und manchmal ein paar Ketten - die Drachen hatten definitiv einen Hang zum Nostalgischen. Die Trachten waren anders als sie es von Zuhause gewohnt war. In Kandio waren die Menschen zwar eher einfach gestrickt, doch selbst in einer Kleinstadt, wie dieser, hatte die Mode des Jahrhunderts Einzug gehalten. Sogar Mayabes Mutter hatte ihre Tochter mit Röcken herumlaufen lassen, die ein ganzes Stück ihrer Waden präsentierten. Für Izara etwas zu freizügig, aber bei Mayabe hatte es gut ausgesehen. Schnell hatte sie begriffen, dass alle weiblichen Palastbewohner dieselbe Kluft trugen. Izaras unterschied sich allein darin, dass sie von einem goldenen Saum umrahmt wurde. Scheinbar eine Art Erkennungsmerkmal, damit sie sich von den anderen abhob. Als ob sie sich nicht schon genug abhob! Izara nahm das Gewand auseinander, die Letzten waren, wie Linnora festgestellt hatte, etwas zu knapp geworden. In den vergangenen Wochen war sie um fünf Zentimeter gewachsen, dabei hatte Izara immer geglaubt, den letzten Wachstumsschub mit Vierzehn hinter sich gehabt zu haben. Die Erweckung belehrte sie eines Besseren. "Wenn sie Euch nicht gefallen", warf die Dienerin schüchtern ein, nachdem Izara eine Zeit lang stumm darauf gestarrt hatte, "ich kann Euch jederzeit neue Kleider bringen lassen." "Nein", winkte Izara sofort ab, "sie sind wunderschön. Ich danke dir, Linnora." Das blau-weiße Kleid, das mit der Morgensonne um die Wette funkelte, hatte es ihr besonders angetan, aber es machte nun einmal nicht wett, welchem Zweck die vielen Annehmlichkeiten dienten. Izara hatte schon zu viel Zeit damit verbracht, über den Grund ihres Hierseins zu grübeln und immer wieder drückten sich die Worte, die sie von Kyia am ersten Tag gehörte hatte, an die Oberfläche ihres Bewusstseins. "Kann ich sonst noch etwas für Euch tun, Prinzessin?" Linnora war wirklich fürsorglich und Izara spürte Wehmut, dass ihre Beziehung nie über das Formale hinausgehen würde. Sie bliebe nun Mal eine Prinzessin und Linnora eine Dienerin. Die Palastbewohner nahmen ihre Rollen sehr ernst, manchmal zu ernst, wie Izara fand. Eine Freundin zwischen all denen, die sie mit Argwohn betrachteten, hätte Izara gebrauchen können, doch sie wollte nicht undankbar sein. Linnora war mehr Freundin als sie es von einer Fremden erwarten durfte. "Nein, alles gut", Izara lächelte schwach und legte das Kleid auf das frisch bezogene Bett. Dass Linnora ihr nicht glaubte, sah selbst ein Blinder, die Dienerin presste die Lippen zusammen und beeilte sich, fertig zu werden. Mit einem Knicks verabschiedete sich Linnora, um der nächsten Dienerin Platz zu machen. Izara kannte die Prozedur mittlerweile in- und auswendig. Zuerst wurden die Betten neu bezogen, dann folgte die Zofe, die sie zu ihrem Bad begleitete. Von allen Abläufen war ihr der Gang zu den Bädern des Palastes der liebste. Auf Izaras Bitte führte sie die Zofe nur noch bis zu den Räumlichkeiten. Eine lange Diskussion war es, als Izara erklären musste, warum sie denn keine Dienerin wünschte. Sie brauchte niemanden, der ihr den Rücken schrubbte oder die Haare wusch, das verstand nur niemand. Es wurde hingenommen; sicher weil Izara die Prinzessin war und nicht, weil man es ihr zutraute. Dabei erinnerte sich Izara noch sehr gut daran, wie es ging, und wenigstens ein wenig Selbstständigkeit wollte sie sich beibehalten. Wenn sie schon keinen Schritt alleine gehen konnte, wollte sie wenigstens die Zeit im Bad dazu nutzen, ihrer Seele ein wenig Abstand von all den neuen Eindrücken zu gönnen. Sobald sie die Baderäume betrat, atmete Izara erleichtert aus. Der Raum war mit dezenten Duftnoten versehen, Blumen hangelten sich an den Steinwänden. Sie schlüpfte aus ihren Kleidern und lief über den dampfenden Marmorboden. Anfangs hatte sie sich über die Waschrituale der Drachen gewundert. Dass sie zuerst in eiskaltes Wasser tauchen sollte, bevor sie die heiße Quelle aufsuchte, kam ihr etwas zu extrem vor. Den Zeh in das kalte Becken getaucht, lief ein eisiger Schauer über ihren gesamten Körper. Das Gefühl dauerte nur kurz, die Haut gewöhnte sich schnell an die Temperaturen und mit zaghaften Schritten stieg sie die Stufen hinab. Aus dem Schauer wurde ein wohliges Kribbeln. Ihr heißer Atem hinterließ Wölkchen, direkt über dem Wasser und schwebten vergnügt an der Oberfläche. Sie war bis zum Kinn in kaltem Wasser, ein paar Grad weniger und es hätte den Gefrierpunkt erreicht. Izara gab sich einen Ruck und tauchte unter. Ihr Kopf war es, der sich gegen die Logik dahinter sträubte, ihr Körper hatte bereits erkannt, dass die Extremen gut taten, ihn geradezu regenerierten. Nach dem ersten Schock, öffnete sie die Augen. Unnötige Gedanken wurden weggespült, übrig blieben Klarheit und ein durch gerüttelter Verstand. Seit drei Wochen war sie im Palast. Ständig hatten ihre Gefühle von traurig, wütend, enttäuscht zu vollkommener Verzweiflung gewechselt. Eine Eigenschaft mehr, die sich seit der Erweckung verändert hatte. Izara wusste nicht, ob ihr diese launische Seite an sich wirklich gefiel. Es machte sie unbeherrschter. Manchmal fluchte sie einen halben Tag in ihrem Zimmer, um am Abend in die Kissen zu weinen oder mit den Zähnen so lange in die Bezüge zu beißen, bis es Daunen regnete. Dass der König bisher nicht zurückgekehrt war, machte es nicht besser. Sie wollte Antworten, wollte von ihm hören, dass sie nicht benutzt worden war. Sie war mehr als eine Brutmaschine, mehr als die Prinzessin eines Harems - nicht wahr? Ihre Augen begannen zu leuchten. An einem Tag wollte sie ihm an die Gurgel springen, den anderen aus dem Schloss fliehen und dann wiederum hoffte sie, das Ganze stellte sich als dummer Irrtum heraus. So wütend und verletzt sie auch war, sie konnte nicht leugnen, dass sie ihn vermisste. Dass eine Leere in ihr herrschte, die sie einfach nicht begriff und weder mit Vernunft noch mit Logik zu tun hatte. Wann sie ihn wiedersähe, war ungewiss und die Ungewissheit war schlimmer als die Enttäuschungen, die sich Tag für Tag im Geiste wiederholten. Niemand war in der Lage, ihr zu sagen, wann König Devon von seinem Geschäftstermin zurückkehren würde. Außeneinsätze und längere Reisen gehörten zum König der Drachen genau wie Krone und Zepter. Der König schien nur selten im Schloss zu verweilen, vielleicht hatte sich Linnora deshalb angewöhnt, die Betten jeden Tag aufs Neue zu beziehen. Traurig blickte Izara auf die Edelsteine, die zwischen den Gemäuern hervorlugten. Allmählich hatte ihr Körper die Temperaturen angenommen, die Haut straffte sich und Izara wusste, dass es Zeit war, aus dem Becken zu steigen. Sie sog noch einmal den kalten Dampf in sich auf. Ihre Haut begann zu glühen, das Drachenblut regte sich, ließ nach und nach warme Schauer über ihren Körper gleiten. Schnell tippelte sie durch den Gang, der die beiden Räume miteinander verband. Sie war die einzige in diesem gewaltigen Waschraum, der Sonderstatus ließ sie nicht mit den anderen baden und zur Abwechslung genoss sie die Privatsphäre, die damit einherging. Das Wasser waberte und schmatzte, die schwüle Luft war ungewohnt und so brauchte ihr Körper einen Moment, um sich an den Klimawechsel zu gewöhnen. Izara war jedes Mal erstaunt, wie viele Klimazonen hier zu existieren schienen. Sie wusste, es hatte mit den Drachen zu tun, die Gattungen, die den Palast bewohnten, beeinflussten auch dessen Klima. Wie viele Arten tatsächlich im Schloss lebten, konnte sie nicht sagen. Aber es waren mehr als Izara zählen konnte. Neben den klassischen Elementardrachen, gab es noch eine Reihe von Untergruppen - Lindwürmer, Wyrme und Seeschlangen - und sie alle hatten irgendwo ihren Platz im Schloss gefunden. Sobald sie sich bereit fühlte, stieg sie in die heiße Quelle. Das Badewasser von Zuhause war ein Witz dagegen. Das erste Mal hatte sie geglaubt, gekocht zu werden. Ihre Wangen glühten sofort auf, die Stirn pulsierte, doch ihr Innerstes machte Purzelbäume. Komischerweise erinnerte es sie an den ersten Flug und die Andeutung eines Lächelns huschte über ihr Gesicht. Hoffentlich bliebe es nicht ihr Letzter. Sie würde gerne noch einmal der Sonne entgegentreten, vielleicht als Himmelsdrache, hoch über den Wolken. Sie stand bis zu den Lippen im Wasser, mit dem Mund machte sie Bläschen und versuchte, ihre Emotionen in die richtigen Bahnen zu lenken. Sie vermisste den unkomplizierten Morgen mit Levis. Seine gute Laune und die halbherzigen Moralpredigten hatte sie früher nie zu würdigen gewusst. Sie vermisste es, mit Kaia die Zutatenliste durchzugehen und bei den Einkäufen mitzuhelfen. Die Späße zur Mittagspause, wenn Kaia über Herrn Wegner schimpfte oder sie beide über das frisch verliebte Pärchen schwärmten, das seit Neujahr regelmäßig ihren Laden besuchte. In Kandio hatte sie wenigstens eine Aufgabe gehabt, man hatte sie gebraucht und ihren Fleiß zu schätzen gewusst. Hier durfte sie nicht einmal das Essen selber zubereiten, oder einen Spaziergang durch die Gärten machen, ohne von Wachen und Soldaten beäugt zu werden. Sicher, in Kandio hatten die Stadtwachen auch immer ein Auge auf die Drachen geworfen, aber es hatte sich anders angefühlt. An die unmissverständlichen Blicke war sie gewohnt, das Halsband hatte ihr immer ihren Platz zugewiesen. Im Palast redete man kaum mit ihr, und davon, einen Platz zu finden, war sie noch weit entfernt. Kapitel 15: Izara ----------------- Mit einem Seufzer beendete sie ihr Bad. Sie nahm die Handtücher, rubbelte erst die Haare trocken und wickelte sich dann das Zweite um ihren Oberkörper. Izara wäre gerne noch ein wenig länger hier geblieben, aber auch die Badezeiten waren streng getaktet. Die Zofe wartete bereits auf sie. Im Umkleideraum half sie Izara bei den Kleidern und flechtete ihr das Haar. Sie hatten sich darauf geeinigt, diese Aufgabe der Zofe zu überlassen, das Gefühl, unnütz zu sein, wollte sie der Dienerin nicht auch noch geben. Es reichte schon, dass Izara sich so fühlte, sie musste nicht noch mehr Leute in ihre Missstimmungen hineinziehen. Nachdem die Kleider saßen, wurde Izara zurück in ihr Zimmer geführt. "Ich habe Kyia heute noch gar nicht gesehen." Eigentlich war der Bergdrache bereits vor Sonnenaufgang auf ihrem Posten. Izara hatte sich bereits daran gewöhnt, ihre persönliche Leibwächterin vor ihrer Tür stehen zu sehen. "Die Ablöse erfolgt zu einem späteren Zeitpunkt", meinte die Zofe, "wie ich hörte, müssen ein paar Vorbereitungen getroffen werden, bei denen Kyias Anwesenheit gefragt ist." "Achso, verstehe." "Für Eure Sicherheit ist dennoch gesorgt, Prinzessin", die Dienerin tat einen Knicks. Sie standen nun wieder vor der großen Zimmertür. Einer der Palastwachen hatte sich kerzengerade am Türrahmen postiert. Sie bezweifelte nicht, dass der Drache seiner Aufgabe gerecht würde. Die Hellebarde trug er nicht nur zur Zierde und sein kalter Blick ließ erahnen, wie schnell seine Reflexe im Ernstfall reagieren konnten. Trotzdem wäre ihr Kyias Anwesenheit lieber gewesen. Mittlerweile wusste Izara, dass Kyia gegenüber jeden kalt und unnahbar war, das machte den Umgang mit ihr einfacher. Zudem bewunderte sie den Bergdrachen, wie sie sich vor den Männchen behauptete und mit ihnen gleichzog, ungeachtet der weiblichen Schwächen, denen sich keine Frau - oder besser gesagt Weibchen - entziehen konnte. Kyia war überhaupt nicht zimperlich, die Soldaten behandelte sie wie ihre Untergebenen und zu den Weibchen war sie herrisch, wenn es sein musste. Unter dem weiblichen Geschlecht strahlte Kyia so viel Dominanz aus, dass sie von allen respektiert und teils gefürchtet wurde. Kaum einer würde es zugeben, doch Izara war sich sicher, dass die männlichen Drachen ein wenig Angst vor ihr hatten. Die Wache öffnete die Tür und Izara schlüpfte hindurch. Sie war wieder allein, Frühstück hatte man ihr auf die Kommode gestellt. Es gab Früchte und süßes Gebäck, dazu viel Butter und allerhand Aufstriche. Izara war sich nicht sicher, ob man versuchte sie zu mästen oder unterschwellig zu sagen versuchte, dass sie nicht  kräftig genug war. Zum Kinderkriegen vielleicht nicht, dachte Izara und verzog das Gesicht. Ihr war der Appetit vergangen - wie seit Wochen. Früher hatte sie immer mit ihrer Familie gefrühstückt. Im Palast durfte sie nicht mit dem Personal zusammen an einem Tisch sitzen. Der einzige, mit dem sie essen durfte, war der König, aber der ließ sich einfach nicht blicken und Izara hatte genug, deswegen Trübsal zu blasen. Sie knabberte an ein paar Weintrauben und sah aus dem Fenster. Die Alternative wäre gewesen, im Vorgarten oder im Speisesaal zu essen. Sie konnte sich nur nicht durchringen, allein in einem fremden großen Zimmer zu essen oder einsam unter einem Pavillon ihren Kaffee zu trinken. Das kam ihr einfach zu traurig vor - und es war schon traurig genug, dass sie sich den halben Tag in ihrem Zimmer verschanzte. Izara musste dringend etwas gegen das aufkommende Gefühl von Selbstmitleid unternehmen. Sie war kein Mensch, der um sich selbst trauerte, und als Drache wollte sie es schon mal gar nicht sein. Also beschloss sie, den ausstehenden Rundgang durch das Schloss nachzuholen. Eigentlich hatte sie vorgehabt, diesen mit Kyia zu machen, aber wenn der Bergdrache beschäftigt war, musste Izara eben alleine losziehen. Keine schlechte Idee, wie sie fand und so stellte sie die Speisen zurück auf die Platte, zupfte sich den Mund mit einer Serviette ab (einfach, weil sie der Meinung war, Prinzessinnen machten das so) und verließ das Zimmer. Flüchtig sah die Wache zu Izara hinunter, als diese an ihr vorbei huschte und die Flure inspizierte. Im Erdgeschoss mündete jeder Flur in die Vorhalle. Ein Kuppeldach zeigte den unendlichen Himmel und ließen Fernweh in ihr erwachen. Viele der Räumlichkeiten waren private Gemächer oder Kammern der Bediensteten. An der jeweiligen Aura ließ sich vage erkennen, wer wo sein Zuhause gefunden hatte, doch Izaras Kräfte waren nicht sensibel genug, um sie genau zu bestimmen. Speise- und Festsaal befanden sich im Obergeschoss. Dann gab es noch ein Arbeitszimmer, eine Bibliothek, die sich Izara etwas näher anschaute und einen Raum für königliche Dekrete, den sie - wie das Arbeitszimmer - nicht betreten durfte. Obwohl niemand Izara aufhielt, spürte sie an der Haltung der Soldaten, dass sie hier nichts verloren hatte. Schneller als erwartet, war Izara mit sämtlichen Zimmern fertig. Es gab noch ein paar Gästezimmer, die sie aber nicht sonderlich interessierten. Die Räume waren alle gleich möbliert. Es gab viel Freifläche, helle Möbel und ein Bett neben dem Fenster. Izara stieg die Wendeltreppe hinunter. Im Untergeschoss waren neben der Küche- und Speisekammer, ein Trainingsraum der Soldaten, eine Waffenkammer, sowie ein großer Waschraum, in dem die überdimensionalen Laken und Bezüge Platz gefunden hatten. Etwas enttäuscht stieg Izara wieder hinauf. Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte. Vielleicht einen Ort, mit dem sie sich identifizieren könnte. Eine Zufluchtsstätte an Tagen, an denen sie glaubte, die Decke stürzte über sie ein. Auf dem Weg in ihr Zimmer kam sie an den Gärten vorbei, in diesem Teil war sie bisher noch nicht gewesen. In den Vorgärten, ja, und das eine Mal im großen Schlossgarten, um dem Gärtner zu zeigen, welche Blumen sie bevorzugte, aber dieser Garten schien anders. Das sanfte Wiegen der Grashalme zog sie magisch an, Izara lief durch den Rundbogen, der mit Efeuranken geschmückt war und ließ sich nach draußen leiten. "Oh", stieß sie aus und blickte sich um. Sie war in einer Schlucht gelandet. Ein kleiner Bach schlängelte sich zu ihren Füßen, Berghänge und Felswände formierten sich zu einem Oval. Überall schienen Höhleneingänge angedeutet worden zu sein. Izara machte einen Schritt nach vorne. Die Sonne schien auf einzelne Felsen hinab, doch etwas anderes erweckte ihre Aufmerksamkeit. Die Höhleneingänge - sie schienen ein Leuchten auszusenden - ganz sachte, als wenn jemand mit einer Kerze die Finsternis erleuchten wollte. Izara fühlte eine starke Anziehungskraft. Das Leuchten schien nach ihr zu rufen. Ein leises Flüstern, mehr war es nicht, aber Izara lief weiter, immer weiter. Die fremde Kraft leitete sie, bis sie vor einer der Eingänge stand und feststellen musste, dass sie nicht breiter als ein Kleiderschrank waren. Izara musste sich bücken, um hinein zu sehen. Die Hand an dem Felsen beugte sie den Kopf nach unten und steckte ihn in die Öffnung. Ihre Augen gewöhnten sich kaum an die vielen Lichtveränderungen. Es glänzte und funkelte in den grellsten Farbtönen. Sie blinzelte gerade, als eine Hand sie an der Schulter packte. Izara wurde herumgewirbelt, ihr Rücken knallte an die Wand, dass sie einen Stöhnen gerade so unterdrücken konnte. Erschrocken sah sie ihren Gegenüber an. "Was hast du hier zu suchen?", zischte sie die Anführerin der Weibchen an. Die Augen glühten auf, ihre Nüstern bebten, während Izara kein Wort herausbrachte. Ihre Hand lag gefährlich um Izaras Hals, eine falsche Bewegung und sie würde Izara spüren lassen, zu was sie fähig wäre. "Was fällt dir ein, meine Babys anzurühren!?" "B-Babys?", krächzte Izara. "Spiel nicht die Unschuldige!", blaffte sie der Drache weiter an, "meinst du, ich merke nicht, was du versucht? Aber glaube mir", sie drückte zu, Izara spürte, wie sie nach Luft schnappen wollte, doch sie konnte es einfach nicht. "Wenn du ihnen auch nur ein Haar krümmst-" "Das reicht!" Der Druck ließ nach und Izara sank keuchend zu Boden. "Bist du verrückt geworden, Sila?!", fauchte Kyia. Sie hatte die Schwarzhaarige am Kragen gepackt, ihr Blick war noch eisiger als sonst. "Dieser Mensch", spie Sila aus, "wollte sich an den Eiern zu schaffen machen!" "Ich wusste nicht", erwiderte Izara und wurde gleich wieder unterbrochen. "Lüg' mich nicht an! Du kannst deine Spielchen mit anderen spielen, aber nicht mit mir. Dir wäre es doch lieber, wir würden verschwinden, aber du vergisst eines: wir waren vor dir hier." "Sila!", knurrte Kyia und stellte sich zwischen Izara und ihre Freundin, "und duvergisst, mit wem du hier sprichst." "Pah", Sila warf ihr Haar nach hinten, "was interessiert es mich, wessen Tochter sie sein soll. Sie bleibt ein Mensch. Der Gestank verpestet unser Schloss, die Weibchen können kaum noch ruhig schlafen, während sie versucht, uns zu vertreiben." "Ich will niemanden vertreiben", verteidigte sich Izara. Sie hatte schweigen wollen, aber die Anschuldigungen waren einfach nur unverschämt. "Du tust so, als wäre ich eine Gefahr für euch. Ich bin ganz sicher nicht hergekommen, um Ärger zu machen." "Hör zu, Menschenfrau", Silas Augen begannen in einem hellen türkis zu leuchten, "wenn ich dich noch einmal hier sehe, wirst du dir wünschen, das Halsband niemals abgelegt zu haben…und wenn ich dabei die Befehle des Königs missachte, ich werde dich niemals anerkennen. Niemals!" Damit stapfte Sila davon, Eiszapfen landeten auf dem Boden, die sie mit den Füßen zerstampfte. Izara sah ihr noch lange nach, selbst als der Drache längst verschwunden war. "Geht es?" Erst jetzt merkte Izara, dass die Leibwächterin ihr die Hand gereicht hatte. Izara war etwas neben sich, nickend nahm sie Kyias Hand und ließ sich hinaufziehen. "Es ist nichts", Izara zubbelte an ihrem Kleid, bis auf ein paar Knitterfalten war es unversehrt, aber sie hatte trotzdem das Gefühl, schmutzig geworden zu sein. "Gehen wir", Kyia geleitete sie aus dem Garten, Izara folgte mit etwas Abstand. "Es tut mir leid", hauchte sie, kaum dass sie beide den Flur erreicht hatten. "Prinzessin", der Bergdrache runzelte die Stirn, "Ihr müsst Euch nicht entschuldigen. Ich bin es, die Euch um Vergebung bitten muss. Silas Verhalten war…unangemessen. Es wird sich nicht wiederholen - das versichere ich Euch." Wie Izara die Anführerin einschätzte, waren ihre Worte mehr als nur leere Drohungen. Sie hatte es in ihren Augen gesehen. "Ihr müsst ihr Verhalten entschuldigen", Kyia unterdrückte ein Seufzen, "die Weibchen in diesem Stadium sind schnell reizbar. Die Sicherheit ihrer Eier hat oberste Priorität." "Das habe ich gespürt", entgegnete Izara finster. Ihr anfänglicher Schock war verflogen. Was sie jetzt spürte, war eine Mischung aus Mitgefühl und Frust. "Ich wusste wirklich nicht, dass in dem Garten die Eier aufbewahrt werden." Wenn sie ehrlich war, hatte sie nicht einmal eines davon gesehen. "Natürlich nicht", bestätigte Kyia mit einem Nicken, "Euch hat niemand darüber unterrichtet und sehen kann man sie nur, wenn der Schutzkreis durchbrochen wird." "Dann war dieses…Leuchten nur der Schutzschild?" "Ihr habt ihn gesehen?" Zum ersten Mal klang Kyia wirklich überrascht. "Ja, das waren die Schutzkreise. Jedes Weibchen hat sein Nest mit seinem ganz persönlich Schutzkreis versehen, um Fressfeinde und Konkurrentinnen abzuwehren." "Konkurrentinnen wie mich?" Izara ballte die Hände zur Faust. Sie ließ das Ganze viel zu nahe an sich heran, dabei kannte sie Sila überhaupt nicht. "Die Weibchen sind sich nicht immer so einig wie sie scheinen", antwortete Kyia, ohne auf Izaras Frage einzugehen. "Sila hat es geschafft, die Weibchen zusammenzuführen, sich nicht mehr zu bekriegen. Seitdem die Königin tot ist, gibt es niemanden, der sie leitet. Sila hat die Aufgabe übernommen, um das Chaos in Schach zu halten und das Blut zu schützen. Doch das Vertrauen ist noch frisch, die Weibchen gehen lieber auf Nummer sicher. Das hat nichts mit Euch zu tun, Hoheit." "Schon gut, Kyia. Du brauchst es nicht schön zu reden. Ich weiß, dass sie mich nicht akzeptieren." Noch deutlicher hätte Sila nicht werden können. "Das ist nichts Neues für mich." Starr blickte sie auf den Boden. "Prinzessin", Kyia bemühte sich, nicht so hart zu klingen, aber ein Bergdrache, der sanft war, hatte etwas Befremdliches. Das sah auch Kyia, sie sprach nicht weiter davon. Es war wohl das beste, sich damit abzufinden, dass sich manche Dinge wohl nicht änderten. Kapitel 16: Zwischenspiel I --------------------------- "Abtreten." Mit einem Nicken erhob sich der Paladin und verließ den Empfangssaal. "Der wievielte war das jetzt?" "Der zwölfte, Großmeister." Er seufzte. Termine über Termine. Er hasste Donnerstage, besonders den ersten des Monats. Zu viele Gespräche, noch mehr Verträge und der Stapel mit den Anträgen musste auch noch abgearbeitet werden. Warum tat er sich das nochmal an? Stimmt, da war ja noch was… Neben der Tür flackerten die Kerzen, der Berater kritzelte etwas auf seiner Schriftrolle und ein Staubkorn flatterte vom Fensterbrett. Bis auf die Stimmen seiner Untergebenen, gab es nichts, das die Stille zum Schweigen brachte - und, wenn er ehrlich war, hätte er auf das Gestottere von manchen Einfallspinseln verzichten können. Das entlockte ihm doch gleich noch einen Seufzer. Es war nicht zu leugnen. Die Ruhe langweilte ihn. Ruhe bedeuteten Pausen und Pausen erlaubten sich nur die Schwachen. Er war nicht schwach und weit davon entfernt, eine Pause einzulegen. Der Ruhestand war keine Option, nicht mit dem Fortschritt, den sie erzielt hatten. Wenn da bloß nicht die elende Bürokratie wäre, dann könnte er schon morgen im nächsten Zug Richtung Gebirge sitzen. Es juckte ihm nämlich seit Längerem wieder in den Fingern. Einfach losziehen. Wieder auf die Jagd zu gehen, zu zähmen und zu beherrschen, das zu tun, was einen Paladin ausmachte. Die Tage der Diplomatie strengten ihn an, Vorschriften, Administration und was er nicht alles für Begriffe gelernt hatte! Das war etwas für Feiglinge und Weicheier - wie den König. Angsthasen, die sich vor richtiger Arbeit fürchteten, die ja keinen Dreck an ihren Händen kleben haben wollten - vom Blut ganz zu schweigen. Was gäbe er nicht wieder für die Zeiten, in denen rohe Gewalt und Stärke einen Anführer definierten - und nicht dieses Gesülze von Friede und Einigkeit. Wenn der Geldbeutel prall gefüllt war, aber die Waffen nicht nachgeliefert wurden, Soldaten immer fetter wurden, aber der Fortschritt ausblieb - was würde aus seiner geliebten Heimat werden? Es war höchste Zeit, mit dem König abzurechnen. Medanien hatte lang genug unter der Stagnation einer ganzen Dynastie gelitten. Die Könige, die sich auf ihren Hintern ausruhten, nichts auf die Beine stellten und bei der kleinsten Schwierigkeit um Hilfe bettelten. Ja, so waren die Königshäuser allesamt und wenn sie das begriffen hätten, würde es längst zu spät sein. Jetzt war er am Zug. Mit seinen Männern hatte er binnen eines Jahrzehnts ganze Territorien und Landstriche zum Einsturz gebracht. Die Welt erzitterte vor der Macht der Paladine. Das Volk neigte sein Haupt, zollten Respekt den Kämpferinnen und Kämpfern ihrer Heimat. Sobald die Menschen begriffen, wer ihnen das Brot auf den Tisch stellte, die Ernte erträglich machte und das Vieh mästete, wäre die Zeit der Hierarchie Geschichte. Er freute sich auf diesen Tag, er spürte ihn näher rücken. Er schlug die Beine übereinander, betrachtete sein Reich, sein Schloss. Nicht aus der Ferne - in seinen Gedanken und vom Platz, auf dem er saß. Der Hauptsitz der Paladine hatte es schon vor hunderten von Jahren gegeben. Er hatte dafür besorgt, dass die Posten erweitert und ausgebaut wurden. Der Bau konnte es mit Medaniens Schlössern und Burgen aufnehmen. Die Zelte waren besser ausgestattet als jede königliche Soldatensiedlung. Kein Gebäude war stärker bewacht, von Fallen umzingelt und von hunderten der best ausgestattetsten Kriegern bewaffnet. Magie war nur eine von vielen Fähigkeiten, die ihn und seine Leute auszeichneten. Wer sich nicht vor ihnen fürchtete, hatte nie Bekanntschaft mit Medaniens Sondereinheit gemacht. Ja, er hätte durchaus zufrieden sein können. Aber das lag nicht in seinem Naturell. Sein vor Ehrgeiz gepeinigter Körper war ein Beispiel für seine Verbissenheit. Er wollte erobern, vernichten und ein Imperium schaffen, das die Welt noch nicht gesehen hatte. Den linken Ellenbogen auf die Lehne, glitt die rechte Hand zu der Kette, die sich zwischen seinen Fingern schlängelte. Er umschloss die Hand, packte zu, dass sein Haustier in Kauerstellung überging. So ist's richtig. Kräftig an der Kette gezogen, lag der Drache zu seinen Füßen. Die Spitzen seiner Stiefeln berührten die Hinterbeine des Tieres, er könnte es noch ein Stück weiter zu sich ziehen und spüren lassen, wie hart seine Tritte wirklich waren. Zum Stressabbau wärmstens zu empfehlen. Ihm war definitiv langweilig! Mehr als ein Schnauben brachte der Drache nicht zustande. Die Bestie hatte nicht die Kraft, und wenn, fehlte ihr der Wille, sich gegen ihn aufzulehnen. Das war es, was ihn von den anderen Paladinen abhob. Er lernte sie nicht nur zu kontrollieren, er schaffte es auch, sie zu brechen, jeden Lebenswillen auszulöschen, um sie dann wie dressierte Schoßhunde für sich tanzen zu lassen. "Großmeister", sprach ihn sein Berater an, "Flatsch ist hier." "Ah, der gute alte Flatsch", seine Mundwinkel begannen zu zucken. Stimmt ja, dieser Tag könnte doch noch interessant werden. "Wollt Ihr, dass ich die Akte raushole?" "Nein, nein. Nicht nötig", winkte er ab, "ist alles in meinem Kopf abgespeichert. Wer könnte schon die Schmach des Jahrhunderts vergessen. Schick ihn rein." Der Berater rollte das Pergament ein, steckte es in die Gesäßtasche und huschte durch die Tür. Eine Kakerlake hätte nicht schneller in die Dunkelheit abtauchen können. Zurück kam er nicht, dafür betrat ein anderer Paladin den Empfangssaal. Er hatte diesen Raum bewusst für seine Termineausgesucht. Ein Zimmer, das kaum Licht spendete, eine Empore für seinen Stuhl bereitstellte und ein Gemälde, direkt hinter ihm, das einen Paladin mit abgetrennten Drachenkopf zeigte. Er hatte sich damals sofort in das Bild verliebt. Deshalb war es von der Schatzkammer in den Empfangssaal verlegt worden. Die Reaktion seiner Gäste war aber auch zu schön, als dass er sich die Gesichter entgehen lassen könnte. Flatsch war ein gutes Beispiel. Der Paladin schien nicht sicher, was er zuerst tun sollte. Der Mund klappte wie ein Fisch auf und zu, er kratzte sich an seinem Bart, nahm den Helm vom Kopf und klemmte ihn sich zwischen die Achsel. "Großmeister." Flatsch hatte sich also entscheiden. Er verneigte sich, das rechte Knie berührte den kalten Holzboden. Wer nicht niederkniete lag entweder tot auf dem Boden oder hatte einen Speer in seiner Brust stecken - beides keine Option für seinen Untergebenen. Seine Aufmerksamkeit richtete sich zunächst auf die Stiefel seines Vorgesetzten, dann beschloss er, das Bild anzusehen, doch er blieb nicht lange dabei. Das taten sie nie. Vermutlich waren die Darstellungen etwas zu anschaulich. "Bürgermeister Flatsch", er schenkte dem Paladin ein Lächeln. Flatsch wusste nicht, was er sagen sollte, die meisten hatten Schwierigkeiten, die Stimmung des Großmeisters zu deuten. "Wie lange ist unsere letzte Begegnung her?", er tippte sich ans Kinn, er wusste es wirklich nicht und eigentlich war es ihm scheißegal, aber er eröffnete eine Unterhaltung immer auf diese Weise - besonders in einer Angelegenheit wie dieser. "Das war zum vergangenen Weinfest, Großmeister." "Ja, das Weinfest", er hatte keine Ahnung; an Festen, an denen Alkohol ausgeschenkt wurde, erinnerte er sich kaum noch, "deine Söhne waren auch da, richtig?" "Ja", murmelte Flatsch. Niemand mochte es, die Familie in seine Angelegenheiten zu ziehen, das zerknirschte Gesicht des Paladins sprach Bände und der Großmeister freute sich, ins Schwarze getroffen zu haben. "Hört zu, Großmeister, Ihr müsst mir glauben, dass das Ganze-" "Aber, aber, Flatsch", unterbrach er ihn, "seit wann halten wir uns nicht mehr an die Vorschriften? Erst der Bericht, dann kannst du mir die Ohren voll jammern." "Richtig, Großmeister, verzeiht." Flatsch wandte den Blick ab. Er wusste, dass sein Vorgesetzter bereits informiert worden war, schließlich war er nur aus diesem Grund vorgeladen worden. Die ganze Misere noch einmal vor den Großmeister durchzukauen, strapazierte seine Nerven. Gut so, das alte Klappergestell hatte es nicht anders verdient. Flatsch gab sich einen Ruck, Knochen knackten, als er versuchte, seine Position aufrecht zu erhalten. "Am vierzehnten des dritten Vollmondes wurde das Verschwinden von hundertvierundzwanzig Drachen gemeldet. Einer der Wachen entdeckte in der Nacht zum dreizehnten die Überreste eines Halsbandes nahe der östlichen Stadtmauer. Wir haben daraufhin sämtliche Ein-und Ausgänge gesichert. Ich habe die Untersuchungen persönlich geleitet, aber die Drachen waren bereits verschwunden. Weitere Halsbänder wurden gesichert, die Untersuchungen laufen weiter. Zwei Paladine verfolgten eine Spur in Richtung Kesselberg, die sich als Sackgasse herausstellte." "Danke, das genügt." Fast schon gleichgültig winkte er mit der freien Hand und der Paladin schwieg. Er fixierte seinen Untergebenen. Eine Schweißperle rann seine rechte Schläfe hinab, die Augen versuchten weiterhin den Blickkontakt mit ihm zu vermeiden. "Hundertvierundzwanzig, sagst du." "Ja, Großmeister." "Wie viele Drachen sind in deiner Stadt gelistet?" "Großmeister-" "Antworte einfach auf meine Frage", je ruhiger seine Stimme wurde, umso mehr bekamen es seine Leute mit der Angst zu tun "Hundertvierundzwanzig, Großmeister." "Du willst also sagen, dass eine Kleinstadt mit zwanzigtausend Einwohnern nicht bemerkt, wenn all seine Drachen gestohlen werden." "Unsere Mauern sind gut geschützt, Großmeister." "Na scheinbar nicht gut genug. Was denkst du?" "Ich bin mir des Ausmaßes bewusst, Großmeister. Es war ein…schrecklicher Fehler. Meine Männer und ich, wir suchen bereits die gesamte Umgebung ab." "Völlig unnötig", sagte der Großmeister. Er wickelte die Kette um sein Handgelenk. Der Kopf des Drachen schnappte zurück, das Kreischen des Tieres fiepte in den Ohren, aber daran hatte er sich mittlerweile gewöhnt. Für ihn was es wie der lästige Tinnitus, vor dem ihn seine Großmutter immer gewarnt hatte. "Aber Großmeister", Flatsch' Augen weiteten sich. "Mach' dir nicht gleich ins Hemd", die grünen Augen funkelten amüsiert, "es gibt nur einen, der in der Lage ist, hundertvierunzwanzig Drachen einfach so verschwinden zu lassen." Jetzt musste er schmunzeln. "Hätte nicht gedacht, dass er sich von der letzten Niederlage so schnell erholt haben könnte." König Devon war zurück. Er erinnerte sich noch sehr gut daran, wie ihre letzte Begegnung ausgegangen war und ein spannungsgeladenes Kribbeln rann seinen Rücken herunter. "Ihr sprecht von König Devon, Nachfolger König Juras'?" Die Frage erübrigte sich, selbst Flatsch musste bereits das Ausmaß seines Versagen bewusst geworden sein. "Kennst du sonst einen Drachen, der unsere Magie durchbrechen kann?" "Ihr habt recht, Großmeister. Verzeiht die Frage, ich war nur- "Verwirrt?", half er ihm auf die Sprünge. "Oh, Flatsch, Sie werden bald mehr als nur verwirrt sein. Wenn erst einmal rauskommt, wie lange sich unser Drachenkönig in Kandio aufhielt, dann - puh - kann ich Ihnen versichern, dass das ihr letzter Fehler gewesen sein wird." Der Großmeister zeigte sein breitestes Lächeln, das einer Hyäne Konkurrenz machen konnte. "Großmeister", krächzte Flatsch als hätte er einen Frosch im Hals. Aber der Großmeister winkte ab. Er war bereits am Überlegen. König Devons Schachzug war definitiv eine Überraschung - aber auch sehr riskant und leichtsinnig. "Das passt gar nicht zu ihm", sprach er seine Gedanken laut aus. Der Blick wanderte zu seinem Drachen herunter. Die Bestie reagierte nicht. Vielleicht hatte sie schon vergessen, wie man Emotionen zeigte. "Diese Nacht- und Nebelaktion", murmelte der Großmeister weiter, "warum hast du das gemacht?" "Großmeister?" "Ich denke", er hob seinen Kopf, im Geiste ging er die Möglichkeiten durch, "Sie haben etwas übersehen, Flatsch. Und ich spreche nicht von einem Drachenkönig, der sich in Ihre Stadt schleichen konnte, ohne von Ihren Männern entdeckt zu werden." "Um die Verantwortlichen habe ich mich bereits gekümmert." "Sie sind der Verantwortliche, Flatsch, aber ich will nicht weiter darauf rumreiten. Zu gegebener Zeit werde ich über ihre Bestrafung nachdenken, aber erst einmal kümmern wir uns um die Ursache. Der Drachenkönig ist vielleicht ein Patriot, aber kein Dummkopf. Wenn er sich Ihre Stadt als Ziel ausgesucht hat, dann hatte das einen Grund." Einen verdammt guten, dachte er weiter. In seinem Kopf ratterte es. Er versuchte sich in die Lage des Königs hineinzuversetzen. Was würde ein verzweifeltes, angeschlagenes Tier in einem Provinznest wie Kandio wollen? Die Aussicht genießen? Wohl kaum. Flatsch war ein arroganter Pisser, der sich seit zwanzig Jahren auf seinem Posten ausruhte. Es war ein Wunder, dass er bisher glimpflich davongekommen war. Kandio war keine Stadt, die einer großen Aufsicht bedurfte. Ein paar schwache Drachen, Hyrakonden, die der Krone ergeben waren und ein ordentliches Maß an Konservative, das die Stadt am Leben erhielt. "Könnte er etwas gesucht haben?" Er zog noch einmal an der Kette, rote Blitze schossen aus seiner Faust direkt auf die Bestie zu. Der Kopf zuckte, es würgte. Ein kurzes Aufbäumen, ein verweifelter Versuch, den eigenen Kräften Herr zu werden. "Sch", der Großmeister ließ die Finger über die goldenen Schuppen fahren. Sein Kraulen war…schmerzhaft, doch es erfüllte seinen Zweck. Die Magie, die durch seine Fingerspitzen wanderte, brachte das Tier zur Ruhe. "Guter Junge", er beugte sich zu ihm vor, sein Atem streifte den Nacken des Tieres. Die kurze Machtdemonstration diente der eigenen Konzentration. Er war jetzt wieder ganz auf das Wesentliche fokussiert. "Deine Drachen, Flatsch. Was könnte so besonderes an ihnen sein?" "Nichts, Großmeister", antwortete der Paladin. "Wir haben ein paar Blitzdrachen und Nachfahren von Wyvern. Die meisten sind jedoch Mischgeburten - minderwertige Ware, wirklich kaum der Rede wert. Keiner von denen würde freiwillig aus den Reihen tanzen. Die meisten dienen bereits in vierter Generation, wer sich nicht einreiht, wird systematisch aussortiert." Flatsch schmunzelte. Das Codewort hatten die Paladine einheitlich beschlossen, kurz nachdem die Territorien neu verteilt worden waren. "Ich muss zugeben", Flatsch schnaubte, schüttelte amüsiert den Kopf, "das Schicksal spielte mir in die Karten. Irgendeines dieser dummen Bestien hat es doch tatsächlich gewagt, eines unserer Weiber zu vergewaltigen. Eine bessere Propaganda hätten uns diese Kreaturen nicht geben können." Der Großmeister hielt inne. "Was sagst du da? Ein Drachenmensch wurde geboren? In Kandio?" "Erinnert Ihr Euch nicht mehr an die Briefe, die ich…" Natürlich nicht. Wie auch? Post landete immer im Papierkorb, außer es war mit königlichem Siegel oder einem Blutzeichen in Form einer Drachenklaue abgebildet. "Wissen Sie, warum Ihre Geschichte keinen Sinn ergibt, Flatsch?" "Wie meinen Sie das?" "Ein Drache vergewaltigt nicht. Das steht in seinen Gesetzen geschrieben. Meine Güte Flatsch, wissen Sie denn gar nichts?!" "I-ich-' "Entweder das Weib hat gelogen, oder…" Ja, oder was? "Ich will alles über dieses Kind wissen. Wenn ein Drachenmensch gestohlen wurde, will ich erfahren, was aus ihm geworden ist." "Die Akte ist nicht vollständig. Die Erweckung fand noch nicht statt." "Wann sollte sie stattfinden?" "Ich, äh", Flatsch zog hastig einen Zettel aus der Tasche. Der Wisch war zerknittert, gelbe Flecken zeichneten sich an den Rändern ab. Der Großmeister wollte gar nicht wissen, was er alles damit angestellt hatte. Es dauerte eine Weile, bis er die richtigen Zeilen gefunden hatte. "Am fünfundzwanzigsten, Großmeister." "Letzte Woche", murmelte er, "sehen Sie, wie die Puzzleteile langsam zueinander finden?" "Ähm, ich-" "Schon gut, Flatsch", lächelte er schwach, "wollen wir Ihre grauen Zellen nicht allzu sehr strapazieren." Flatsch verzog das Gesicht. "Wenn es nichts mehr zu besprechen gibt, würde ich gerne nach Kandio zurückkehren. Es sind noch ein paar Befragungen offen, wenn ich Eure Erlaubnis habe, würde ich noch heute-" Ein schriller Pfiff erklang. Normalerweise nutzten ihn Paladine, um ihre Drachen zu trainieren, aber diesmal war es Flatsch, der auf Abruf seinen Kopf anhob. Der Großmeister war aufgestanden, er kam die Stufen herunter, nahe genug an Flatsch heran, dem Zweifel kamen, ob die Bestrafung so lange auf sich warten ließe. "Sie, mein lieber Flatsch", sagte der Großmeister und zeigte auf ihn, "Sie werden nach Dragor reisen. Wo könnte man besser nach seinen Verlorenen Schäfchen suchen als in Medaniens letzter Drachenhochburg?" "Aber, Großmeister, ich kann nicht einfach nach Dragor reisen. Meine Verpflichtung und…Wie soll ich das anstellen? Er klopfte ihm beherzt auf die Schulter. "Ihnen wird schon etwas einfallen." Kapitel 17: Izara ----------------- "Lauft!" Die Stimme hallte wie ein Schreckgespenst durch die Nacht. Die Äste knackten unter seinen Schritten, die Stiefel waren durchweicht, das Leder nichts als abgewetzter Stoff, der langsam von seinen Füßen abblätterte. Irgendwo kreischte eine Eule und ließ sein Herz höher schlagen. So durfte nicht das Ende aussehen! Zwischen den Bäumen, inmitten des Waldes, vom Feindgebiet umzingelt - die letzten Wochen wären bedeutungslos gewesen, sollte er jetzt einfach aufgeben. Er stolperte, presste die Hände auf die Wunde und rannte weiter. Es blieb wenig Zeit, er spürte, wie das Blut durch seine Finger rann, als wäre es feiner Sand, der durch eine Sanduhr rieselte. Er war unvorbereitet gewesen und nun musste er den Preis seiner Torheit zahlen. Wäre er der Einzige, er hätte sein Schicksal akzeptiert. Doch die Umstände…nein! Er musste weiterlaufen. Ganz weit weg, bevor ihn der Sensenmann einholte. Der Speer hatte die Arterie erwischt, jetzt sickerte roter Lebenssaft von den Kleidern auf die feuchte Erde des Spätherbstes. Blätter rieselten von den Bäumen, der Wind blies hartnäckig durch seine Kleider. Gewiss war ihm kalt, aber nicht deswegen. "Noch nicht", flüsterte er sich zu, sprang über den Bach, vorbei an der schmalen Brücke Richtung Stadt. Die Nacht verschluckte das Blut, sowie es die Silhouette des Drachen verschleierte, der durch den Wald rannte, als gäbe es ein Ziel am Ende seiner Reise. Dabei wollte er nur Abstand gewinnen. Die Distanz seiner Verbündeten wuchs, er hoffte, es reichte aus, um die Paladine abzuschütteln. Er keuchte. Dem nächsten Hindernis konnte er nicht ausweichen, der Baumstamm lag quer auf dem Blätterteppich, er verlor den Halt, rutschte mit den Beinen aus. Im letzten Moment hielt er sich am Stamm fest. Er beugte sich vor, hustete und sackte zu ein kümmerliches Stück Schmerz zusammen. Das Blut fand kein Halten mehr, die letzten Reserven nutzte der Drache, um seine Spuren zu verwischen. Die Unabdingbarkeit des Todes lastete schwer. Er hatte kaum Luft zum Atmen, doch sein letzter Lebenshauch sollte denjenigen gelten, denen er sich selbst überlassen musste. Die Schuld lastete schwer - schwerer als die Wunde an seinem Bauch. Wie könnte er jemals Wiedergutmachung leisten, wie die Fehler der Vergangenheit ausräumen? Fluchend krallte er die Nägel in das Holz, weißes Licht floss durch ihn, ließ den Baumstamm in Millionen feine Splitter zerfallen. "Hallo?", rief da eine zarte Stimme in die Dunkelheit hinein. Er riss die Augen auf, sammelte seine Energie und suchte nach der Quelle. Zwischen dem Rascheln der Bäume, hörte er Schritte - nicht weit von ihm. Er richtete sich auf. Zog scharf die Luft ein. Die Frau war jung, in der Blüte ihrer Zeit und wenn er sich nicht täuschte, standen die Zeichen günstig. Er biss die Zähne zusammen. Seine Gedanken entehrten seine Sippe und all jene, die einst dem Großen Drachen gedient hatten. Doch Zweifel waren fehl am Platz. Es gab keine Wahl, nur den Tod und solange sein Herz schlug, musste er alles tun, um das Schicksal der Drachen abzuwenden. "Ist da jemand?", die Stimme wurde leiser, obwohl sie immer näher kam. Angst war noch das kleinere Übel, seine Taten würden Abdrücke hinterlassen - tief und schwerwiegend, das wusste er. Allein der Gedanke ekelte ihn an. Er verachtete sich, mit jeder Sekunde, die verstrich. Langsam drehte er sich um, folgte der Duftspur, die Vorahnung und Panik einfingen. Mit einem Satz sprang er über einen Busch und rannte los. Schneller. Immer schneller. Nur nicht haltmachen. Nicht bevor… "Izara!" Jemand packte sie bei den Schultern, die Füße baumelten über den Boden. "Izara", drang eine tiefe Stimme zu ihr durch. Izara riss die Augen auf, keuchte und strampelte mit den Beinen. Sie starrte in tiefblaue Augen und spürte nur noch, wie ihre eigenen Seelenspiegel eine Flut von Tränen losließen. "Ich habe sie umgebracht!", schrie sie. Die Schuldgefühle schlugen auf sie ein, es war wie ein Fausthieb nach dem anderen, sie bekam kaum noch Luft. "Ich habe sie umgebracht! Alle! Es ist meine Schuld, dass sie starben. Ich konnte nichts tun. Ich-", sie zitterte, "ich habe sie nicht beschützen können!" "Sch", sie wurde an etwas Warmes und Festes gepresst, "wach auf, Izara!" Eine Hand strich über ihr Haar. Sie gab sich den Berührungen hin, die Schreie erstarben und langsam erwachte Izara aus ihrem Albtraum. Der Wald war verschwunden, schwache Umrisse eines Schlosses ließen sie tief einatmen. Felsen und Bäume bildeten eine fremde Landschaft, nichts erinnerte an ihr Zuhause. Das einzig Vertraute waren zwei Arme, die sie fest umschlungen hielten. König Devon hatte sein Kinn auf ihren Kopf gelegt, sie spürte seinen ruhigen Atem und kehrte langsam zu ihrem alten Ich zurück. "Ihr seid zurück", leise wimmerte sie in seine Brust, die Bilder waren fort, doch die Angst blieb. Viel zu viele Wochen waren ins Land verstrichen. Dass sie ihn bald wiedersähe, daran hatte sie nicht mehr glauben wollen. Die aufgestauten Gefühle, die vielen Zweifel - im Augenblick waren sie vergessen. "Ich", schniefte Izara, "ich habe ihn gesehen." "Wen?", fragte der König. Er drängte sie nicht, und Izara nahm sich die Zeit, ihre Emotionen zu sortieren. "Meinen…ich meine, König Juras", flüsterte sie, "er war dort. In den Wäldern - vor Kandio." "Ganz ruhig", murmelte der König, als Izaras Herzschlag schneller wurde. "Ich weiß, warum er es getan hat. Aber-", weitere Tränen bahnten sich einen Weg nach draußen. Izara besudelte die Kleider des Königs, aber im Moment musste ihre Scham hinten anstehen. "Ich verstehe das nicht. Warum musste ich das sehen? Was sind das für Gefühle?", sie schloss die Augen, "es ist, als wurde mir das Herz herausgerissen. Da ist so viel Trauer. Ich kann gar nicht aufhören zu weinen." "Das sind nicht deine Gefühle, Izara", entgegnete König Devon. Er ließ von ihr, brachte Abstand zwischen sie beide. Izara wünschte, er hätte das nicht getan, aber es schien ihm wichtig, dass sie einander in die Augen sahen. In seinen eiskalten Blicken steckte so viel Wissen, so viel Unausgesprochenes. Für den Augenblick genügte es, die Tiefgründigkeit zu spüren, damit Izara wieder sich selbst spüren konnte. Als Izara die Arme um sich schlang, zog König Devon den Mantel aus und legte ihn über das lange, durchscheinende Nachtgewand. "Du fühlst die Gedanken des Königs, das ist nicht unüblich. Er war dein Vater, im Geiste wird er das immer bleiben." "Seine Gefühle? Wieso? Wie kann ich fühlen, was er fühlte? Ich kannte ihn doch gar nicht." Und eigentlich hätte es ruhig so bleiben können. Solange sie ihn aus ihren Gedanken aussperrte, musste sie sich nicht damit auseinandersetzen, wer er eigentlich für sie gewesen war. Aber seit der Erweckung, seit sie die Wahrheit kannte, spukte der alte König in ihren Gedanken und brachte noch mehr Chaos in ihr Leben. "Ein Teil von ihm wird immer in dir weiterleben", sagte König Devon, den Blick sanft auf Izara gerichtet. "Himmelsdrachen geben ein Stück ihrer Seele an ihre Nächsten weiter. Manchmal passiert es, dass wir Episoden der Vergangenheit sehen oder Bilder in unserem Kopf abgespielt werden, die ein anderer geschaffen hat. Es ist eine spezielle Fähigkeit. Es gibt manche, die in die Vergangenheit und Gegenwart blicken können - wir nennen das den Weißen Blick." "Das ist", Izara fasste sich an den Kopf, "zu viel." Das Hämmern ließ nur langsam nach, sie spürte weiterhin die Panik und Schuld als säße die Last einer ganzen Welt auf ihren Schultern. Womöglich war es auch so, aber Izara war nicht bereit, sie zu tragen. "Wieso passiert das alles mit mir?" "Es ist dieser Ort", antwortete der König, "du wurdest frisch erweckt, du bist jetzt in der Lage, das Himmelsblut zu rufen." Er sah sie sah, sie spürte, wie wichtig die Worte für ihn waren. "Du bist sehr weit gerannt", sagte er und ein Anflug eines Seufzers klang in seiner Stimme mit, "der Drache in dir schien dich gerufen zu haben." Er drehte seinen Kopf leicht und nickte in die Richtung. Die Dunkelheit war tief vorgedrungen, ein paar Sterne erhellten den Nachthimmel, aber König Devon schien genau zu wissen, wohin er sehen musste. "Dort drüben", sagte er und Izara folgte seinen Blicken. Die Sterne flackerten, strahlten ein grelles Licht aus, je länger man sie betrachtete. Ein wohliges Kribbeln umhüllte sie. "Das sind keine Sterne", flüsterte Izara. "Nein", bestätigte der König, "das sind die Bergspitzen von Raj." "Raj", wiederholte Izara ehrfürchtig, "Die Stadt im Himmel. Ich dachte, sie wäre-" "Ein Mythos?", König Devon lächelte schwach, "das haben sie euch erzählt, aber Raj existiert. Sie ist eine der drei großen Städte unserer Welt." "Dragor, Logia und Raj." "Ja, nur dass Logia nicht mehr existiert." "Was ist passiert?" "Viel", entgegnete er, sein Blick verfinsterte sich und Izara hielt es für das Beste, ihn nicht weiter zu fragen. Sie schaute weiter in den falschen Sternenhimmel. "Meine Freunde haben mir von diesem Ort erzählt", sagte sie und erinnerte sich an die Geschichten, die ihr Mayabes Mutter erzählt hatte, "es klang wie ein Paradies." Ein Ort, an dem Drachen…in Frieden leben konnten, ohne die Angst der Paladine im Rücken zu spüren. "Das kann man so sagen", erwiderte der König rau, "die magischen Schutzmauern sind mit alter Magie belegt. Nicht einmal der Großmeister kann sie durchbrechen." "Warum leben nicht alle Drachen dort?" Izara hätte alle Ländereien aufgegeben, wenn es dafür wahren Frieden im Himmel gäbe. "Der Weg", antwortete er, "die Flugrouten befinden sich im feindlichen Gebiet. Es gibt Fallen und jede Menge Paladine, die darauf warten, ihre Speere zu werfen. Jeder, der die Reise nach Raj antritt, findet den Tod." König Devons Gesichtsausdruck war unergründlich. Auf der einen Seite waren da Ratlosigkeit, Zorn. Aber auch Kampfgeist und Entschlossenheit. Die widersprüchlichen Emotionen erinnerten Izara an ihr eigenes Gefühlsbad. Sie hätte ihm gerne ein paar aufmunternde Worte gesagt, aber was sagte man einem König, der die Trümmerhaufen einer ganzen Epoche aufzulesen hatte und dem es nicht gestattet war, aufzugeben? Unsicher wischte sie sich übers Gesicht. Ein paar Tränen flossen weiterhin die Wangen hinab. Sie fühlte sich einfach so hilflos. Er bemerkte ihren Blick, zwang sich zu einem Lächeln, das von Herzen kommen sollte, aber bloß noch mehr Ratlosigkeit wachrief. "Die Reise nach Whalla wird dir guttun, sagte er, "es wird dich auf andere Gedanken bringen." "Whalla?" "Wir reisen morgen ab." "Wir?" Izara wusste nicht, was sie sagen sollte. Wieso Whalla? Das Fürstentum östlich Medaniens war nicht gerade um die Ecke. Und überhaupt, meinte er das ernst, als er »wir« sagte? Kapitel 18: Izara ----------------- Izara folgte dem König. Sie kehrten zurück ins Schloss, wo ein spannungsgeladener Bergdrache ihre Ankunft erwartete. "Prinzessin", knurrte Kyia, nachdem sie vor ihrem König auf die Knie gegangen war. "Ich bitte vielmals um Verzeihung, Hoheit. Dass die Prinzessin einfach verschwinden konnte, ist unverzeihlich. Jede Strafe, die Ihr für angemessen haltet, werde ich demütig auf mich nehmen." Irritiert starrte Izara zu König Devon. "Steh' auf Kyia", sagte er ruhig, "du hättest es nicht verhindern können." "Ich hätte aufpassen müssen", erwiderte Kyia, als wünschte sie, dass der König sie bestrafte. "Gegen Himmelsblut bist auch du nicht gefeit, Kyia", die Blicke des Königs wurden eisiger, "und außerdem", er sah jetzt wieder zu Izara, "ist die Prinzessin keine Gefangene. Solange die Umgebung sicher ist, darf sie sich überall aufhalten. Sei es innerhalb oder außerhalb des Schlosses." "Jawohl", Kyia senkte den Blick. "Ruh dich noch etwas aus", er nickte Izara zum Abschied zu und verschwand in den Fluren. Langsam erhob sich der Bergdrache, Kyia stieß einen tiefen Atemzug aus, dann begleitete sie Izara zurück in ihr Zimmer. Izara hätte sich gerne entschuldigt, aber Kyia selbst hatte ihr schon mehrmals gesagt, dass es für eine Prinzessin nicht angemessen war, vor ihren Untergebenen um Entschuldigung zu bitten. * In ihrem Zimmer angekommen, warf sich Izara aufs Bett. Schlaf hätte sie bitter nötig gehabt. Was auch immer das für ein Traum gewesen war, er hatte sie nicht zur Ruhe kommen lassen. Die Augenlider wurden schwer, doch die Kopfschmerzen und der Druck auf ihrer Brust ließen sie nicht schlafen. Langsam legte sie sich auf die Seite, dass ihr Blick zu dem großen Spiegel wanderte. Sie verstand, warum sie so angesehen wurde. König Juras hatte dieselben hellen Haare, dieselbe blasse Haut. Von ihm hatte sie die hohen Wangenknochen und das spitze Kinn. Mit den Fingerspitzen strich sie sich über die Stirn. Der alte König hatte kürzeres Haar, das ihm wirr ins Gesicht gefallen war und einen Großteil seiner Augen verdeckt hatte. Sie hatte ja schon immer gewusst, dass sie nicht viel von ihrer Mutter geerbt hatte (außer die zierliche Statur), aber die Ähnlichkeit zu König Juras machte ihr doch ein klein wenig Angst. Wenn das Volk nicht nur äußerliche Ähnlichkeiten vermutete? Wenn sie glaubten, sie könnte wie er sein? Dabei war er ihr so fremd wie der Drache in ihr. Sie biss sich auf die Lippen. Wie konnte es passieren, dass sie von einer jungen Frau zum weinerlichen Drachenmädchen mutiert war? Trotzig wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht. Sie rollte sich vom Bett und ging auf den Frisiertisch zu. Kaltes Wasser stand in einer silbernen Schale, Izara klatschte es sich ins Gesicht und blickte entschlossen in ihr Spiegelbild. Bis zu ihrer Abreise musste sie sich zusammennehmen. Nicht dass König Devon seine Entscheidung überdachte, und Izara doch noch im Schloss bleiben musste. Wenn erst einmal der Schrecken der Nacht vorüber wäre, könnte sie sich sogar ein wenig auf die Reise freuen. * Nur schwer unterdrückte sich Izara einen Gähner. Sie hatte doch noch ein wenig Schlaf gefunden, wenn auch nur in mehreren kleinen Abständen und auch nicht gerade gut, dass sie weit davon entfernt war zu behaupten, erholt zu sein. Für die Abreise sollte es genügen. Linnora half ihr beim Packen. Die Dienerin erzählte Izara, was sie über Whalla wusste und schwärmte ihr von der exotischen Küche des Landes vor. Izara war erstaunt, dass das Fürstentum mit dem Drachenkönig zusammenarbeitete. Sie hatte immer geglaubt, dass sich alle Menschen vor ihnen fürchteten. Paladine gab es nicht nur in Medanien, sie nisteten überall und verbreiteten Hass und Misstrauen. "Fürst Hallswejf ist ein Verbündeter", sagte Linnora und knüllte die alte Bettwäsche zu einer Kugel, "er und der König unterstützen sich schon seit vielen Jahren. Ich vermute, unser König will Euch dem Fürsten vorstellen; Eure Existenz offiziell machen." "Ich habe immer gedacht, dass ich hier versteckt gehalten werde, bis ich-" Einen Erben gezeugt habe?, dachte Izara weiter und verdrängte die Worte gleich wieder. Heute wollte sie nicht darüber nachdenken. Zu gegebener Zeit würde sie den König fragen, aber jetzt wollte sie sich nur auf die Reise konzentrieren. Linnora packte zu Ende, während Izara ihren morgendlichen Rundgang begann. Als sie aus den Badeanstalten zurückkehrte, lief sie auf ein bekanntes Gesicht zu. "Trias!", rief Izara und kam ihm ein Stück entgegen. "Prinzessin Izara", verneigte sich Trias und schenkte ihr ein Lächeln hinterher. "Wie ich sehe, hast du dich gut eingelebt", sagte er und musterte flüchtig ihre Garderobe. "Ich kann mich nicht beklagen", winkte Izara ab. Sie wollte nicht gleich an die Startschwierigkeiten erinnert werden, die sie bis heute verfolgten. So lange, wie sie Trias nicht gesehen hatte, tat es gut, ein weniger verdrießliches Gesicht zu sehen, und sie wollte, dass das so blieb. "Ich kenne auch niemanden, der sich über die Annehmlichkeiten einer Prinzessin beschweren würde." "Dann hast du noch keine echte Prinzessin getroffen", lächelte sie keck zurück . "Ich habe mehr Prinzessinnen getroffen, als du dir vorstellen kannst", entgegnete er mit einem Funkeln in den Augen, "aber bevor ich dir Dinge erzähle, die ich lieber nicht erzählen sollte: bist du bereit für deinen Ausflug nach Whalla?" Izara nickte. Sie hätte zwar gerne gewusst, was für Geschichten Trias zu erzählen hatte, doch der Volan sah nicht gerade so aus, als würde er sich noch ein weiteres Wort aus der Nase ziehen lassen. "Wirst du auch mitkommen, Trias?" "Selbstverständlich", schnaubte Trias, "ich lasse meinen König ganz sicher nicht alleine." Trias klingt wie eine Amme, Izara musste über den Gedanken schmunzeln. Scheinbar hatte auch der mächtigste Drache keine Sekunde Ruhe vor seinen Leibwächtern. "Dann kannst du mir sicher erzählen, was genau wir dort machen werden." Trias Blick lenkte Izaras Aufmerksamkeit nach hinten. "Ähm." räusperte sich die Zofe, Izara hätte sie beinahe vergessen. Peinlich berührt, entließ sie die Dienerin und mit einem Knicks entfernte sie sich. "Politik", antwortete Trias. Er war ebenfalls losgelaufen. Zusammen gingen sie in Richtung Schlossgarten. Das Wetter war günstig für einen kleinen Spaziergang im Freien, bevor das Frühstück auf sie wartete. Nach wochenlangem Stubenhocken war es endlich Zeit, die frische Luft zu genießen! "Fürst Hallswejf hat den König für ein paar Tage in seine Sommerresidenz geladen", erzählte Trias weiter. "Es sind ein paar Ausflüge geplant - jagen, den Tierpark besuchen, Tee mit den Damen trinken - sowas halt. Wie jedes Jahr wird der Fürst einen Ball veranstalten, meist am vorletzten Tag. Nichts Großes, nur im engsten Kreis." "Solange ich nicht tanzen muss", sagte Izara, die ein wenig Vorfreude packte. "Aber natürlich! Als Prinzessin wird es deine Pflicht sein, den Tanz mit dem König zu eröffnen." "Warte!", Izara blieb stehen, aber Trias lief einfach weiter, also eilte sie ihm hinterher, "das ist nicht dein Ernst!", keuchte sie, "ich kann nicht tanzen. Oder glaubst du, in Kandio laden die Herrschaften uns Drachen auf ihr Anwesen ein?" "So schwer ist das nicht", meinte Trias, Izara hätte beinahe aufgelacht. "Kannst du denn tanzen?" "Nein, ich bin der Leibwächter - schon vergessen?", er zwinkerte ihr zu, "aber bei den Damen sah das nicht so schwer aus. Du wirst das schon hinkriegen." "Trias!" Sie war sprachlos. Auf einmal gab es ein paar gute Gründe, hier zu bleiben. Wie sollte sie denn in kürzester Zeit tanzen lernen? Wenn alles glatt lief, könnte sie gerade einmal zwei Schritte vor und zurück laufen, ohne gleich hinzufallen. Sie musste den König davon überzeugen, dass tanzen eine ganz dumme Idee war. Ein lauter Knall ließ ihre Gedanken unausgesprochenen. Auch Trias lenkte den Blick in Richtung Schlossgarten. "Was war das?" Izara erwartete keine Antwort. Die laute Stimme erkannte sie sofort. Neben ihr schnaubte der Volan und verschränkte die Arme vor der Brust. "War zu erwarten, dass Sila nicht begeistert sein würde", sagte er. "Worüber?" Izara erhaschte einen Blick auf den Eingang. Die zwei gläsernen Türen zeigten die große Treppe, die zum Schlossgarten führte. Irgendwo zwischen den Labyrinth-artigen Blumenbeeten hörte sie Sila fluchen und schimpfen. Ein Wasserspender kippte um, Wasser spritzte in alle Richtungen. "Der König wird mit ihr geredet haben", antwortete Trias, der sich an die Wand gelehnt hatte und auf etwas zu warten schien. "Falls du ein Frühstück im Freien geplant hast, solltest du das lieber nochmal überdenken. Bis Sila sich beruhigt hat, könnte es noch einige Stunden dauern. Sie hat vom König erfahren, dass sie nicht mitreisen wird. Wie du hören kannst, hat sie die Entscheidung nicht gut aufgenommen." "Ich wusste nicht, dass normalerweise Sila-", Izaras Vorfreude schwand. Sie war also Ersatz. Vielleicht ein besserer Ersatz - aus politischer Sicht -, aber das änderte nichts an dem, was sie war. Ein bisschen verstand sie Silas Unmut, sie würde jetzt gerne auch ein paar Wasserspender umwerfen. "Der König reist fast immer mit Kyia, Sila und mir", er drehte sein Gesicht zu Izara, "Kyia und Sila gehören zu den Stärksten ihrer Art. Während der Verhandlungen sind ihre Kompetenzen gefragt. Als Bergdrache ist Kyia für Waffen und Rüstungen zuständig. Sila ist, wie du bestimmt schon gemerkt hast, ein Wasserdrache. Lòng sind für Grundversorgung und Wasserspeicher verantwortlich - wenn die Gelder knapp werden, hat sie das letzte Wort." Das hätte man ihr früher sagen können. Izara wusste manchmal nicht, wozu sie eigentlich hier war, wenn keiner mit ihr redete. Mit jedem Mal wuchs der Frust. Einerseits wie Luft behandelt, sollte sie im selben Atemzug die Verantwortung einer Prinzessin übernehmen. Sie verstand einfach nicht, was man von ihr wollte. "Mach' dir keinen Kopf", er stupste sie mit der Schulter an, "dass sie nicht mitkommt, ist ihre eigene Schuld." Und wieso glaubte Izara, dass es doch ihre Schuld war? Das Poltern hörte auf, die Stimme wurde schwächer und nach einiger Zeit kam jemand die Treppen hinaufgestiegen. Es war Kyia, der Bergdrache hatte sein Schwert in die Scheide gesteckt und marschierte nun auf Izara und Trias zu. "Hast du das Weib beruhigen können?", Trias stützte sich von der Wand an. "Ihr Weibchen seit in der Brutzeit kaum zu ertragen." "Solange du keine Kinder kriegen kannst, solltest du dich aus Dingen heraushalten, von denen du nichts verstehst." Für einen Morgen war das der längste Satz, den Izara je aus Kyias Mund gehört hatte. Trias verdrehte die Augen. "Haben wir wieder mal unseren Humor verloren, Kyia?" "Wenn du noch Zeit findest, Witze zu reißen, dann machst du eindeutig etwas falsch, Trias." "Oh, ich kann viele Dinge gleichzeitig, Kyia. Du gibst mir nur nie die Chance, es dir zu zeigen." "Dumme Sprüche reißen und an der Wand lehnen, meinst du?" Kyia stemmte die Hände in die Hüften. "Suchst du Streit, Bergriese? Wie wäre es, wenn wir das draußen klären?" "Ähm, Leute", meldete sich Izara, die sich nicht sicher war, ob jeden Moment einer lachen würde oder doch der Anfang einer Schlägerei in Gang war. Bei Kyia war sie sich sicher - der Bergdrache würde ganz sicher nicht lachen. Kyia schnaubte. Ihre Muskeln spannten sich unter den Kleidern an. Mit einem Kopfschütteln wandte sie sich an Izara. "Nach dem Frühstück reisen wir ab." Und schon war sie weg. Kapitel 19: Izara ----------------- Zunächst hatte Izara geglaubt, sie würden in ihrer Drachengestalt nach Whalla fliegen. Dass die Vorbereitungen doch etwas komplizierter waren, und eine Kutsche die königlichen Hoheiten als erstes nach Dragor bringen sollten, bevor sie dann weiter in das Fürstentum gebracht wurden, schien ihr doch etwas aufwendig. Aber was wusste sie schon über königliche Regeln und Normen. Die Bediensteten des Schlosses waren den ganzen Vormittag beschäftigt gewesen. Es wurde viel beredet, das meiste davon fand in Izaras Abwesenheit statt. Sie hatte sich damit abgefunden, dass sie niemand in irgendetwas einbeziehen wollte und hatte gemeinsam mit ihrer Zofe an der Kleider- und Frisurenwahl gearbeitet. »Prizessinnensachen machen«, wie es Izara getauft hatte; etwas Verbitterung war an diesen Tagen ein wenig nötig. Weil Fürst Hallswejf ein Mann war, der viel Wert auf Äußerlichkeiten legte, sollte Izara ein goldenes Kleid mit roten Blumenstickereien anziehen. Ihre Haare steckte die Zofe in einen breiten Reif, der aus mehreren geflochtenen Stofftüchern bestand. Ihr Aussehen hatte nichts mehr mit der jungen Frau aus Kandio gemein. Sie war eine Drachenprinzessin - zumindest optisch und auch nur, wenn sie den Worten der Bediensteten Glauben schenkte. Die roten Lippen betonten ihre bleiche Haut, die Augen waren mit Pastellfarben bemalt. "Wunderschön, Prinzessin", flüsterte Linnora, die aus dem Türspalt herauslugte, "die Herrschaften in Whalla werden hingerissen sein." "Danke, Linnora", hauchte Izara, die schon eine Weile auf ihre Leibwächterin wartete. Kyia gab das Zeichen zur Abreise, sie nickte Izara zu und führte sie aus dem Schloss heraus zu einer Kutsche. Mehrere Drachen waren versammelt, darunter König Devon, der von zwei Beratern aufgehalten wurde. Es gab Schriftrollen und versiegelte Briefe, vielsagende Blicke wurden ausgetauscht. Von Linnora hatte sie erfahren, dass Drachen weit mehr als mit den Augen sprachen und es war beruhigend zu wissen, dass das Rauschen in letzter Zeit nichts mit ihrem Geisteszustand zu tun hatte. Der König achtete kaum auf seine Untergebenen, Izara sah es an der stoischen Miene und der Endgültigkeit in seinem Blick. Schließlich sah er Izara auf sie zulaufen. Er blickte sie an, etwas länger als sonst, doch seine Augen waren kaum zu deuten. Gefiel ihm, was er sah oder hätte sich Izara etwas anderes anziehen sollen? Dass sie überhaupt darüber nachdachte, brachte ihre Wangen zum Glühen. Sie wollte ihm nicht gefallen - oder doch? Nein! Er hatte sie damals nicht gewollt und Izara musste akzeptieren, dass sie nichts dagegen tun konnte. Solange der König keine deutlichen Signale sendete, würde Izara das Thema ruhen lassen. Schließlich war er es doch, der Pläne mit ihr hatte… Wenigstens nahm sie sich das fest vor. "Prinzessin", die Dienerschaft verneigte sich der Reihe nach, und mit einem scheuen Lächeln ließ sie sich von Kyia in die Kutsche führen. Izara setzte sich und schob ein Stück weit die Gardine zur Seite, um einen Blick auf das schöne Tier zu werfen, das den Wagen anziehen sollte. Das Pferd war riesig, sein weißes Fell schimmerte im Sonnenlicht und seine roten Augen funkelten wie frisch polierte Rubine. "Ein Albino?", sagte Izara, als König Devon dazu gestiegen war. "Nicht ganz", antwortete der König. Er schloss die Wagentür und ließ sich ihr gegenüber nieder. "Es ist -", er überlegte kurz, "ein magisches Wesen. Von Drachen erschaffen. Wir besitzen keine echten Pferde - oder andere Tiere -, das ist Menschensache." "Er sieht so echt aus." Nun ja, das Pferd wirkte etwas kalt, aber es gab auch sicherlich stoische Pferde. "Ich wusste nicht, dass Drachen so etwas können." "Trias kann dir die Einzelheiten dazu nennen. Es ist zum Großteil seine Magie, ein paar Wyvern haben mitgeholfen, aber die Idee stammt von ihm. Ursprünglich war es als Geschenk an den König von Isven gedacht." Noch einmal sah sie zu dem Pferd - also… magischem Wesen - herüber. "Ein Pferd, das niemals hungrig ist - oder durstig", überlegte sie. "Aber auch seine Kräfte schwinden", erwiderte König Devon, "die Energie kann nicht ewig gehalten werden, aber es schafft deutlich weitere Strecken als ein echtes Pferd." Von draußen sah sie Trias über den Kiesboden laufen. Sie beobachtete den Volan, sanft strich er dem Wesen über den Rücken. Dunkle Schwaden kamen aus seinen Fingern, Trias übertrug ein Stück seiner Kräfte auf das Tier, heiße Luft dampfte aus seinen Nüstern. Izara spürte die Hitze bis ins Wageninnere. Das Wesen schnaubte, ein unnatürlicher Laut, der nichts mit einem echten Pferd zu tun hatte. Dann setzte es sich in Bewegung - geschmeidig, wie ein richtiges Pferd. Erst im Trapp, wurde es immer schneller und galoppierte schließlich aus dem Schlosshof. Ein normaler Schimmel hätte eine Kutsche wie diese kaum alleine ziehen können, aber für dieses Wesen stellte sie kein Problem dar. "Das ist…unglaublich", Izara schüttelte den Kopf, "er benutzt das Feuer, um die Wärme in Energie umzuwandeln." "Einfach gesagt, ja", sagte König Devon, "die Menschen haben diese Erkenntnis nicht als einzige für sich genutzt. Aber lass' Trias das nicht hören. Er könnte beleidigt sein, wenn seine Arbeit als »einfach« bezeichnet wird." Izara lächelte. Sie konnte sich den Dialog bildlich vorstellen und nickte. "Wo sind Trias und Kyia überhaupt?" Izara stützte sich mit dem Ellenbogen am Fenstersims ab, "Euer Leibwächter scheint mir niemand, der sich weit von Euch entfernen würde." "Ja", König Devon seufzte, "Trias nimmt die Rolle des Leibwächters etwas zu…wörtlich." Die Miene des Königs brachte sie zum Schmunzeln. Er wirkte das erste Mal…genervt. Das machte ihn sogleich nahbarer und sympathischer. "Auch diesmal sind sie nicht weit", fügte er hinzu, diesmal deutlich gefasster. "Sie werden hinter Dragor zu uns stoßen." Es war etwas schade, dass die beiden Leibwächter nicht im Wagen saßen. Allein mit dem König zu sein, brachte sie auf eigenartige Ideen. Seine Nähe bescherte ihr ein Gefühl von Unsicherheit. Der Drang, sich durch die Haare zu fassen, war groß, aber sie wollte die Frisur ihrer Zofe nicht ruinieren. Die Stille zwischen ihr und dem König wurde von Minute zu Minute drückender. Nicht, dass es nichts gäbe, worüber sie reden könnten. Izara fielen genug Themen ein, die für die gesamte Reise nach Whalla gereicht hätten. Eine Frage lastete besonders schwer, aber sie hatte Angst, sie zu stellen. Jetzt, wo sie alleine in einer Kutsche saßen, wurde ihr ganz flau im Magen, wenn sie daran dachte, mit dem König über die Zukunft zu sprechen und welche Rolle sie dabei spielen sollte. "Belastet dich etwas?", seine Frage ließ sie zusammenfahren. Wie recht er hatte und wie sehr es sie ängstigte, dass er so ein gutes Gespür zu haben schien. "Nun", Izara wandte den Blick ab. Sie wusste, jetzt wäre die Chance, ihn zur Rede zu stellen. "Beschäftigt dich noch der Traum?" Innerlich atmete Izara erleichtert aus. Seine Instinkte waren gut, aber nicht genau - das war beruhigend. "Ja, ein wenig." Sie musste nicht einmal lügen. Der Schmerz in ihrer Brust war noch nicht ganz weg und auch die Trauer und Schuldgefühle schwebten schwach an der Oberfläche. "Ich glaube, dass es nicht mein erster Traum war", sie sah aus dem Fenster, "aber sie waren noch nie so deutlich wie gestern Nacht." "Womöglich versucht der Drache in dir, dir etwas zu sagen", entgegnete König Devon nicht zum ersten Mal. Sie spürte seinen Blick auf sich, die eiskalten Augen, vor denen sie sich nur schwer verstecken konnte. "Vielleicht", sagte sie und senkte die Lider. Sie hatte nie auf den Drachen in sich hören wollen. Jahrelang hatte man ihr gesagt, wie gefährlich und schlecht das Anderenblut war. Izara hatte nichts anderes gelernt, als die Gefühle davor zu verschließen, ihr anderes Ich zu leugnen und den Menschen zu spielen, der sie zum Teil auch war. "Wir sind da", sagte König Devon, dass Izara ihre Aufmerksamkeit zurück nach draußen lenkte. Da waren Felder und Plantagen, Arbeiter mit Sensen und Spitzhacke, wie sie Izara aus ihrer Heimat kannte. Nicht weit davor wurde das Stadttor von Dragor sichtbar. Aus der Luft hatte die Stadt schon gewaltig gewirkt, aber von hier unter ließ es ihr Herz unkontrolliert höher schlagen. Sie spürte Angst und Aufregung. Magie lag in der Luft - Drachenmagie, die offen ausgelebt wurde. Drachen in Menschengestalt liefen durch die Straßen, hielten Ausschau nach der Kutsche, die über das Kopfsteinpflaster holperte. Ihr Wagen machte einen höllischen Lärm und das weiße Pferd war auch nicht gerade unauffällig. Izara zog den Vorhang ein wenig zu, die Blicke der Leute bedrückten sie. "Sie wissen, dass Ihr in dieser Kutsche sitzt, nicht wahr?", sagte sie und krallte die Finger in den Stoff ihres Kleides. "Das ist nicht der Grund, weshalb sie uns anstarren", erwiderte der König, dass Izara überrascht aufsah. "Sie spüren deine Präsenz. Sie sind…verwirrt." "Sie wissen nichts von mir", murmelte Izara. Sie wünschte, dass das noch eine Weile so bleiben könnte. "Nein", der König fixierte sie, die stahlblauen Augen bohrten sich tief in ihr Innerstes. "Aber vielleicht möchtest du dich ihnen vorstellen." "I-ich-", ihr stockte der Atem. Nein, nein, nein!, schrie es in ihrem Kopf. "Ich weiß nicht, ob ich dazu bereit bin." Das war untertrieben. Sie hatte das Gefühl, vor einer Klippe zu stehen - ein einziger Windstoß genügte, um sie zu Fall zu bringen, und sie wollte nicht fallen; ganz gleich, dass in ihr zwei Flügel steckten, die sie auffangen könnten. Durch den Spalt sah sie zu den Drachen herüber. Sie hatten mittlerweile den Marktplatz erreicht und ein vages Gefühl beschlich sie, dass es Absicht war. Sie konnte nicht deuten, was das Volk dachte - oder erwartete -, aber Izara war sich sicher, dass sie eine Enttäuschung wäre. "Wovor fürchtest du dich?", die Frage des Königs war so simpel, aber Izara wusste nicht, wo sie anfangen sollte. Vielleicht damit, dass sie nicht bereit war, dass sie keine Prinzessin sein wollte, nicht die Hoffnung eines Volkes sein konnte, wie man es ihr immer wieder hatte einreden wollen. "Wenn sie mich sehen", Izara holte tief Luft. Es war immer wieder dasselbe. Die Landen änderten sich, die Seiten wechselten, aber die Vorurteile blieben. "Da wird es nur das Menschenblut für sie geben." Sie biss sich auf die Lippen. "Ich weiß, dass ich nach ihnen stinke. Sie werden es nicht verstehen." "Dein Duft ist…menschlich, ja", entgegnete König Devon, der jede Mimik von Izara ganz genau beobachtet hatte, "er hat etwas Erdiges, das ist nichts Schlimmes und ganz natürlich - und überhaupt nicht unangenehm." "Wenn es nicht der Geruch ist", entgegnete Izara, "dann liegt es an mir. Sie sehen eben nur den Menschen in mir. Ich verstehe das, wirklich. Ich habe gesehen, wozu sie fähig sind. Wäre ich sie, würde auch ich mich vielleicht verachten." "Vielleicht möchtest du, dass sie so denken. Dass sie dich so sehen - als Mensch." Izara wusste nichts darauf zu erwidern. Das war nicht, was Izara wollte, aber sie konnte auch nicht widersprechen. Er hatte einen wunden Punkt getroffen, nicht nur Izara spürte es. "Vielleicht musst du ihnen die Möglichkeit geben, etwas anderes in dir zu sehen, als das, was sie dir eingeredet haben." "Und dann?" Die vielen Drachen, Wyvern und Lindwürmer tummelten sich zu tausenden auf dem Marktplatz. Einige waren hinzugekommen. Die Aufmerksamkeit, die der Wagen erhielt, hatte sie aus allen Winkeln der Stadt angelockt. Izara dachte an ihren Traum, dachte daran, was König Devon fühlte, als er dem Tod ins Auge geblickt hatte. Da war so viel Liebe für sein Volk. Er hatte keine Sekunde gezögert, hatte nichts unversucht gelassen, um das Drachenvolk zu beschützen. Die Tochter in ihr würde ihm nie verzeihen können für das, was er seiner Mutter angetan hatte. Alizja hatte Pech gehabt und das hatte ihr Schicksal besiegelt. Unschuldige wurden für das Gemeinwohl geopfert, ohne dass der König an sie gedacht hätte. Die Drachen Kandios hatten mit der Schmach eines Einzelnen leben müssen, ohne zu wissen, dass ihr König nur für das Wohl seiner Nation gehandelt hatte. Dass er ihnen nichts Böses wollte, als er das Gesetz gebrochen und den Drachen Schande gebracht hatte. Doch da gab es noch eine andere Wahrheit. Horchte sie tief in sich rein, sprach der Drache zu ihr, der den Schmerz und den Kummer des alten Königs verstand. Alternativen hatte es nicht gegeben, nur Entscheidungen, und die war der König ohne Kompromisse eingegangen. Das Brennen in ihrer Brust breitete sich langsam aus. "Wenn ich zu ihnen gehe", flüsterte Izara, "was soll ich ihnen denn sagen?" "Du musst nichts sagen", antwortete König Devon, "ich werde dich zu nichts zwingen, Izara", seine Stimme war sanft, "aber wenn du anhalten möchtest-" "Ich…" "Schon gut", er lächelte sie an, "wir können es auf ein anderes Mal verschieben." Das Pferd trappte durch die Massen, die Gesichter blickten hinterher. "Wartet!", rief Izara, "haltet bitte an." Sie wusste nicht, warum sie das gesagt hatte, es war ein Impuls, nicht mehr. Der König klopfte einmal fest an die Wand zu seiner Linken und das Pferd blieb augenblicklich stehen. Was hatte sie da nur getan?! Sie riss die Augen auf. "Bist du dir sicher?", fragte er. Izara war dankbar, dass er ihr die Chance gab, ihre Entscheidung zu überdenken, dass er ihr eine Wahl ließ. "Nein", sagte sie, "aber ich muss es trotzdem tun." Glaube ich… "Also gut", König Devon öffnete die Wagentür und stieg aus. Sie hatte nicht erwartet, dass es so einfach wäre. Von dem König ihres Landes wusste sie, dass er sich nur selten dem Volk zeigte. Wenn er durch die Hauptstadt schritt, dann lief er über einen roten, samtenen Teppich, mit viel Tamtam und einer halben Armee, die hinter ihm her marschierte. König Devon verzichtete auf jegliches königliches Gehabe. Die einzige Gemeinsamkeit lag in der Ehrfurcht des Volkes. Dieses schritt einige Meter zurück, machte dem König Platz, ohne dass es einem Soldaten bedurfte, der ihnen den Befehl erteilte. Sie neigten ihr Haupt, sie hörte ein eigenartiges Gemurmel, ein Fiepen und Rauschen, und sie wünschte, sie könnte verstehen, was die Drachen sagten. Bevor sie darüber nachdenken konnte, ging ihre Seite des Wagens auf. König Devon hielt ihr die Hand hin. Es war eine so schlichte Geste, aber sobald sie seine Wärme spürte, war ein Teil der Angst verflogen. Sie stieg die beiden Stufen hinab und blickte erstmals auf. Das Gemurmel war verstummt, sie spürte tausende Augenpaare auf sie ruhen und ihr Herzschlag setzte für eine Sekunde aus. In diesen vielen Augenpaaren sah sie all die Gefühle, die Izara Tag für Tag beschäftigten. Es tut mir leid, dachte Izara, ohne sich sicher zu sein, ob die Empfindungen nicht einem anderen gehörten. In diesem Moment spielte es keine Rolle. Die Schuldgefühle waren in ihr, egal, wem sie einst gehörten, jetzt waren sie ein Teil von ihr und vielleicht würde der Schmerz ein wenig genommen werden, wenn sie die Gefühle zuließ. Izara tat das einzige, das ihr einfiel. Die Tränen unterdrückend, ging sie erst auf die Knie. Beide Hände drückten sich auf den Boden, die Finger berührten einander und der Kopf ruhte auf den Handrücken. So hatte sie es als Drache Kandios gelernt, so hatte sie sich dutzende Male vor den Pranger stellen und für ihre Existenz um Vergebung bitten müssen. Dieses Mal war es anders. Sie bat wirklich um Vergebung - für all die Jahre, die Izara im Stillen verbracht hatte, den Drachen in sich nicht anerkannt hatte. Aber auch Vergebung für König Juras, den sie noch nicht als ihren Vater akzeptieren konnte. Izara konnte die Drachen nicht sehen. Dafür hörte sie ein leises Brummen, ein Takt oder eine Melodie vielleicht. Es erinnerte an Trommelschläge. "Steh' auf, Izara", König Devon schaute zu ihr herunter. Er sah nicht verärgert aus, aber auch nicht glücklich. Langsam erhob sie sich, er nahm ihre Hand und half ihr auf die Beine. "Hört Ihr das auch?", hauchte Izara, als das Brummen immer lauter wurde. Der Laut war zutiefst bewegend. "Ich bin erstaunt, dass du es hörst." "Was ist das?" König Devon sah zu seinem Volk. "Das ist der Totengesang. Deine Botschaft ist angekommen." Kapitel 20: Izara ----------------- Pausenlos ritt das Pferd durch die Landen Medaniens. Zwei Tage dauerte die Reise in das Nachbarland, zwei Tage, in denen Izara praktisch von den Annehmlichkeiten eines Reiterwagens leben musste. Die Leibwächter stießen hinter der Drachenmetropole hinzu. Es wurde eng. Drei große Drachen in einem einfachen Wagen, und dazwischen Izara - sie hätte sich etwas Schöneres vorstellen können und offen gestanden, vermisste sie die Zweisamkeit mit dem König, egal, wie nervös seine Gegenwart sie machte. Zwar brachten die beiden Leibwächter deutlich mehr Leben in die vier Wände, aber die giftigen Blicke und ständigen Provokationen machten die Luft im Raum sehr, sehr dünn. Den König schienen die Sticheleien keineswegs zu stören, vermutlich war es nicht das erste Mal, dass die beiden Streithähne aneinandergerieten. Wenigstens sprach niemand über den Zwischenstopp in Dragor. Izara war froh, dass die Drachen anderweitig beschäftigt waren, sie musste das, was in der Drachenmetropole geschehen war, selbst erst einmal sacken lassen. Wenigstens hatten die Kopfschmerzen aufgehört. Das Innere eines Pferdewagens war nicht gerade der beste Ort, um seinen Gedanken Luft zu machen, doch für den Augenblick musste es genügen. Es war gerade Morgengrauen, als die Grenze Whallas inmitten des Silberwaldes auftauchte. Ein Soldat ließ sie über die Schranke passieren, Izara hatte mit deutlich schärferen Kontrollen gerechnet. In Medanien lauerten überall Paladine, das Land wurde von allen Seiten strengstens bewacht; das hatte man zumindest den Einwohnern Kandios wie das tägliche Morgengebet immer wieder einbläuen wollen. Die Realität sah ander aus - oder zumindest die Grenze nach Whalla. So entspannt wie ihre Insassen aussahen, konnte Izara nicht anders, als sich ganz auf ihre Intuition zu verlassen. Sie fuhren eine Weile durch die Wälder, Izara nutzte die Zeit, sich zu erholen, obwohl der Platz beengt war und Schlaf nur ein Mittel zum Zweck. Auf einige Quadratmeter Baumfläche kamen mehrere Dörfer, Trias kannte sie, doch Izara hatte kaum die Nerven, sich all die exotischen Namen zu merken. Bald darauf folgte wieder Wald. Whalla schien ein einziges großes Fleckchen Wald zu sein, dazwischen einige Dörfer und kleinere Städte - sonst nichts. Ihr Ziel befand sich nur unweit hinter den letzten Nadelbäumen. In Wirklichkeit war die Sommerresidenz des Fürsten ein Jagdschloss. Das Gebäude schien alt, die Mauern waren aus dunklem Gestein, ebenso der Rest des Schlosses. Hohe Turmspitzen, viel Freifläche und ein angrenzender Park, der direkt in den Wald führte, verwandelten Izaras Augen in zwei große leuchtende Kugeln. Sie sah Falken, Raben krähten und Zuchttauben wurden in ihre Käfige zurückgeschickt. Um das Jagdschloss herrschte ein reges Treiben, Bedienstete liefen umher, es wurde frisches Wild nach drinnen getragen und die Küchenmagd diskutierte mit einem der Hausdiener.   Der Wagen hielt nur unweit des Eingangstores, zwei Bedienstete in schwarzer Kluft empfingen die Neuankömmlinge. Einer kümmerte sich um den Wagen, der andere führte sie ins Schloss. Seine Worte gingen an Izara vorbei, sie war nervös, wusste nicht, was sie tun sollte und wie sie sich zu verhalten hatte. Hilfesuchend drehte sie sich zu ihrer Leibgarde. Kyia und Trias waren keine Hilfe. Die beiden Leibwächter hatten sich stumm hinter Izara und dem König postiert als ginge sie das Ganze nichts an. Der König selbst wandte sein Gesicht Izara zu, er lächelte aufmunternd. Hoffentlich würde es nur halb so schlimm, wie Izara befürchtete. Die Tore gingen auf und aus der Eingangshalle schritt ein großer, schlanker Mann in den Fünfzigern auf sie zu. Sein Schnurrbart schmeichelte seinem Lächeln, er breitete die Arme aus, als er vor König Devon stehen blieb. "Drachenkönig", sagte er, "endlich habt Ihr es geschafft." "Fürst Hallswejf", König Devon schüttelte die Hand des Fürsten. Das war also der Fürst von Whalla. Linnora hatte nicht übertrieben, als sie von seinem »außerordentlichen« Kleidungsstil gesprochen hatte. "Ihr sagtet, Ihr kämt in Begleitung", der Fürst drehte sich erstmals zu Izara. Seine Augen leuchteten, die kleinen Falten darunter gaben seinem sonst eher durchschnittlichen Gesicht Charakter und Tiefe. "Aber…ist es das, was ich vermute?" Seine Aufmerksamkeit lag nun ganz auf Izara. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte - durfte sie überhaupt sprechen? Also tat sie das, was ihr als erstes einfiel; sie machte einen Knicks und - zu Izaras Überraschung - verbeugte sich der Fürst ebenfalls vor ihr. Bis heute konnte sie sich nicht an diese Art des Respekts gewöhnen. "Wenn ich vorstellen darf: Prinzessin Izara - Tochter des siebten Drachenkönig Juras", sagte König Devon. "Es ist ein Wunder", sprach der Fürst wie in Trance. Izaras Augen schienen es ihm besonders angetan zu haben, er konnte sich gar nicht von ihnen abwenden "Wenn ich es nicht mit eigenen Augen sehe würde…aber es besteht kein Zweifel. Selbst ich erkenne den König in Euch... Prinzessin Izara. Wie ist das überhaupt möglich? Wo habt Ihr sie so lange versteckt?" "Das habe ich nicht", antwortete König Devon, "es war…Zufall. Ihre Erweckung ist noch keine acht Wochen her, die Umstände waren besonders. Zu gegebener Zeit werdet Ihr alles erfahren, das verspreche ich Euch, nur konnte ich Euch nicht früher einweihen, Fürst." "Schon gut", Fürst Hallswejf lächelte, "jetzt seid Ihr ja hier. Es wird einiges zu besprechen geben. Aber vorher", er winkte zwei Diener zu sich heran, "solltet Ihr Euch ein wenig Ruhe gönnen. Meine Frau ist schon ganz aufgeregt, sie hat eine Menge geplant, müsst Ihr wissen. Frauen eben", er lächelte verschmitzt, "ich sehe Euch dann zum Abendessen. Danach besprechen wir die Einzelheiten. Und Ihr, Prinzessin", er nahm ihre Hand, küsste die Handfläche, dass Izara zu Stein erstarrte, "willkommen auf meinem Sommerschloss. Fühlt Euch ganz wie Zuhause." * Erschöpft ließ sich Izara aufs Bett fallen. Das Schloss war größer als es den Anschein machte. Bis sie in ihre Gästezimmer gekommen waren, hatte es einen halben Nachmittag gedauert. Fürst Hallswejfs Töchter hatten die kleine Gruppe kurzzeitig aufgehalten. Die vielen Komplimente, die neugierigen Fragen - Izara war ganz erschöpft von der Reise, dass sie nur knapp geantwortet hatte. Die Tür fiel ins Schloss und Kyia trat ins Zimmer. "Wenn Ihr dann soweit wärd, Prinzessin", sie hatte ein frisches Kleid in den Händen, etwas Modernes, mit langer Schleppe und kurzen Ärmeln aus durchsichtigem Tüll. Nichts, das Izara freiwillig getragen hätte. "Das Abendessen wird in Kürze serviert." "Jetzt schon?!", nuschelte Izara in ihr Kissen. Sie hatte es sich gerade erst gemütlich gemacht. "Die Menschen in Whalla schätzen Pünktlichkeit. Fürstin Maygrit hat Euren Aufenthalt bis ins kleinste Detail geplant." Davon hatte sie bereits gehört. Ausritte, Nachmittagstee, Blumenstickereien… "Und es gibt keine Möglichkeit, sich davor zu drücken?", Izaras Frage war rhetorisch, aber Kyia antwortete wie immer: "Nein, Prinzessin. Ein Zuspätkommen oder gar ein Nichterscheinen würde die Fürstin beleidigen. Ich rate Euch, ihren Unmut nicht auf Euch zu ziehen. Die Fürstin ist nur schwer zu besänftigen." "Schon verstanden", seufzte Izara. Sie warf das Kissen auf den Boden, rollte sich ab und sprang aus dem Bett. Die Daunen waren so schön weich gewesen! Zu schön um wahr zu sein. Izara stellte sich vor den Bergdrachen, der ihr ganz offensichtlich bei den Kleidern helfen wollte. Bei ihrer Zofe ging sie ja noch mit, aber ihre eigene Leibwächterin…? "Wirklich, Kyia, das musst du nicht tun. Ich ziehe mich selbst an", Izara nahm ihr das Kleid ab, bevor diese noch auf dumme Ideen kam. "Du bist eine Soldatin, wenn du jetzt auch noch anfängst, meine Zofe zu spielen, falle ich noch ganz vom Glauben ab." Izara warf das Kleid auf ihr Bett. "Und schau nicht so", sie lächelte den Bergdrachen an, "ich schaff' das schon." "Ich mache mir keine Sorgen", entgegnete Kyia ernst. Sie hatte sich direkt neben Izara postiert, die linke Hand an der Hüfte umfasste die andere den Knauf ihrer Waffe. Das tat ihre Leibwächterin, seit sie Dragor hinter sich gelassen hatten und irgendwie machte es Izara nervös. Was genau verstand Kyia unter »sich keine Sorgen machen?« "Aber du denkst, ich vermassel es", meinte Izara und zog den Reif von ihrem Kopf. Sie fühlte sich deutlich freier, die Haare lösten sich von der Frisur und hingen wallend über ihren Schultern. "Ihr werdet es nicht vermasseln", sagte Kyia. Sie klang nicht gerade überzeugend. "Und warum habe ich das Gefühl, dass - egal, was ich tue - ich es nur schlimmer machen kann?" "Wie meint Ihr das?" "Ich meine", jetzt waren die Kleider an der Reihe, nach und nach fielen die Stoffe zu Boden, "ich weiß gar nichts über diese Welt." "Welche Welt?" "Na, die hier." Sie stand in ihren Unterkleidern vor dem Bergdrachen und wedelte mit den Armen. Früher hätte sie sich scheu zur Seite gedreht, das hatten man den Mädchen so beigebracht. Aber Kyia war ständig in ihrer Nähe, dass ihre Anwesenheit ganz selbstverständlich geworden war. "Ich soll eine Prinzessin sein, aber ich habe keine Ahnung, was ich hier überhaupt mache. Soll ich mit dem Fürsten reden, seiner Frau gefallen? Mich mit den Töchtern anfreunden? Was erwartet man von mir?" "Gar nichts, Prinzessin", antwortete Kyia. Das war hart. Aus Kyias Mund besonders. "Du triffst es auf den Punk." Izara ließ die Schultern hängen. Sie stieg in die frischen Kleider, aber eigentlich wollte sie sich nur in die nächste Ecke verkriechen. "Versteht mich nicht falsch, Prinzessin", Kyia spielte mit dem Knauf an ihrer Waffe, ihr Blick war auf Izara gerichtet. "Der König möchte Euch nicht unter Druck setzen. Deshalb hat Euch niemand eingeweiht. Ihr sollt nicht denken, dass Ihr irgendwelche Verpflichtungen gegenüber dem König oder jemand anderem habt. Er hat Euch nach Whalla mitgenommen, damit Ihr rauskommt und Euren Gedanken Luft machen könnt." "Das hat der König gesagt?", flüsterte Izara. Ihr Blick wanderte in Richtung linker Wand. König Devon hatte das angrenzende Zimmer bekommen. Schon allein der Gedanke ließ ihr Herz wie wild klopfen.   "Er muss nicht viel sagen", entgegnete Kyia, "der König hat mir klare Befehle erteilt und ich führe sie aus." "Gehören Aufmunterungsversuche auch dazu?" Kyia schien zu überlegen. "Schon gut", jetzt musste Izara lachen, das erste Mal nach vielen Wochen, und es tat gut, ihren Emotionen freien Lauf zu lassen. "Es ist dir definitiv gelungen. Ich danke dir, Kyia. Aber zurück zu meiner eigentlichen Frage: könntest du mir ein wenig über Fürst Hallswejf erzählen? Ich möchte mich nicht völlig vor dem Fürsten blamieren, sollte er mir widererwartend eine Frage stellen. Der König und er scheinen nämlich eine gute Beziehung zueinander zu haben." "Das ist richtig", bestätigte Kyia. Jetzt half sie Izara doch bei dem Kleid. Die Schnürungen waren aber auch kompliziert. "Whalla ist seit fast zwanzig Jahren unser Verbündeter. Der Fürst beliefert uns mit Waffen, während wir im Gegenzug unsere Drachenressourcen mit ihm teilen. Es ist ein Gewinn für alle." "Was sind das für Ressourcen?" "Später", Kyia zog einmal kräftig an den Bändern. Izara schnappte nach Luft. "Das Essen wartet." "Wenn ich mit diesem Kleid überhaupt noch essen kann", erwiderte Izara und fasste sich an die schmale Taille. "Dem Fürsten wird es gefallen." "Weil ich ihm nicht die Haare vom Kopf fressen werde?" "Was den modischen Geschmack angeht, halte ich mich raus. Aber Ihr werdet nicht verhungern, Prinzessin." Kyia lief voran und hielt Izara die Tür auf. Mit einem schwachen Seufzer - zu mehr war sie in diesem Kleid nicht fähig - ging sie in den Speisesaal. Kapitel 21: Izara ----------------- An das Kleid gewöhnte sie sich, was sie deutlich mehr Nerven kostete waren Hallswejfs Töchter - Fiona und Lotta. Die beiden jungen Frauen, die kaum älter als Izara waren, hatten während des Abends nichts Besseres zu tun, als König Devon mit sinnlosem Geplauder und Schmeicheleien zu überfallen. Offensichtlicher hätten sich die beiden Damen nicht dem König um den Hals fallen können. Ihre Komplimente waren seit Wochen einstudiert und die vielen unauffälligen Gesten brachten Izaras Blut zum Kochen. Fehlte nur noch, dass sie direkt in seine Arme stolperten, und wäre nicht der Esstisch zwischen ihnen gewesen, eine von ihnen hätte sicher den Versuch gewagt. Wie konnte man sich einem Mann - nein, einem Drachen und dann auch noch dem Drachen! -, wie konnte man sich ihm so anbiedern? Mit zusammengekniffenen Augen lauschte sie der Unterhaltung. Kaum ein anderer kam zu Wort, die beiden Schnattertaschen schlossen fast nie den Mund und Izara war kurz davor die Augen zu verdrehen. "Vater hat uns schon so viel über das Drachenschloss erzählt", schwärmte Fiona, die Jüngere von beiden. Ihre dunkelroten Löckchen wippten jedes Mal, wenn die Fürstentochter zu kichern begann. Sie war hübsch, auch wenn der Ausschnitt den Fokus auf etwas anderes als ihr Gesicht lenkte. Bei dem Großen Drachen, selbst Izara musste ständig darauf starren. Der Nachtisch wurde serviert, der Pudding duftete himmlisch, doch Fiona hatte nur Augen für König Devon. "Irgendwann muss ich es mir unbedingt ansehen." Hatte sich das Weib gerade selbst eingeladen?! Izara stopfte sich den Löffel voll Pudding in den Mund. Was glaubten die beiden, wer sie waren? Izara war noch nie so wütend gewesen. Die jungen Frauen wurden ihr von Minute zu Minute unsympathischer. Sie wünschte sich Kyia und den Rest der Drachenweibchen an ihrem Tisch. "Zurzeit ist das Reisen nach Dragor kompliziert. Selbst für Euch und den Fürsten", antwortete König Devon. Das war kein eindeutiges 'nein'. Dass der König so ruhig darauf antwortete, machte Izara nur noch rasender. Sie schob sich den nächsten vollen Löffel in den Mund und warf den beiden Frauen giftige Blicke zu. "Wenn Ihr die Paladine erst einmal unter Kontrolle habt", entgegnete Lotta und lächelte scheu. Die Schüchterne spielen hatte die Ältere deutlich besser drauf. Aber Izara durchschaute die Fürstentochter. Sie konnte sich das nicht länger anhören. Die beiden Frauen hatten überhaupt keine Ahnung, wovon sie da sprachen. "Jemand wie Ihr, der so mächtig ist…" Ein Knurren drang aus Izaras Innersten. Die Mädchen hörten nichts, ebenso wenig der Fürst und dessen Gemahlin. Nur König Devon sah überrascht in ihre Richtung. Izara ließ beinahe den Löffel mit dem Pudding fallen. Was war das für ein Laut gewesen? Es hatte sich so angehört, als hätte ihr Magen durch ein Sprachrohr gegrummelt. Und wieso musste ihn ausgerechnet der König hören? Schnell widmete sie sich ihrer halbleeren Schüssel. "Ich glaube, es ist genug", schaltete sich Fürst Hallswejf ein. Er tupfte sich den Mund mit einer Serviette ab. "Dies ist wohl kaum das passende Thema für zwei Damen." Izara hätte dem König um den Hals fallen können. * Für die nächsten drei Tage stand viel auf dem Programm. Die Fürstin hatte sich um alles gekümmert, damit ihren Gästen auch ja nicht langweilig wurde. Dabei hätte Izara liebend gern einen Moment für sich gehabt. Als erstes war ein Waldspaziergang angekündigt worden. Nach dem Mittagessen marschierten sie los, die beiden Leibwächter immer ein paar Schritte hinter der Fürstenfamilie und den königlichen Hoheiten. Izara lief hinter den Töchtern, die sich darüber beklagten, wie furchtbar langweilig es hier doch wäre und von der Hauptstadt schwärmten, die sie so sehnlichst vermissten. Sie hörte kaum hin, die Umgebung war viel zu beeindruckend, dass sie vollkommen davon eingenommen worden war. "Gefällt es Euch hier?" Zu ihrem Schreck war es der Fürst persönlich, der sich zu ihr gesellte. Die Arme hinter dem Rücken verschränkt, musterte er Izara amüsiert. Er schien sichtlich seinen Spaß zu haben, Izara zu überrumpeln. Sie wurde ganz rot im Gesicht. "Ich weiß, die Damen wollen heutzutage lieber etwas erleben, statt ihre Freizeit mit Spaziergängen zu verschwenden. Meine Töchter haben auch nur noch Tanzabende und Gesellschaften im Kopf." "Oh nein", entgegnete Izara, "es ist wunderschön hier. Ich", sie spürte, wie die Wangen heiß wurden, "ich liebe die Zurückgezogenheit." "Ja, man hat das Gefühl, der Welt entfliehen zu können", der König ließ den Kopf in den Nacken fallen, "das ist auch der Grund, warum ich immer wieder hierherkomme." Er lächelte. "Und natürlich wegen der Geschäfte." "Wenn Ihr mir die Frage erlaubt", begann Izara. Dabei wusste sie selbst nicht, ob es so eine gute Idee war, davon anzufangen. "Warum habt Ihr Euch mit dem Drachenkönig verbündet?" "Interessant, dass Ihr mir gerade diese Frage stellt, Prinzessin." Er fixierte sie neugierig. "Ich muss zugeben, ich kenne nicht viele, die sich gegen die Gemeinschaft der Paladine stellen", Izara bereute schon jetzt, dass sie überhaupt davon angefangen hatte. Deutlich spürte sie die Blicke ihrer Leibgarde im Rücken, und auch König Devons Präsenz schien nicht weit. "Ich wollte keineswegs sagen, dass-" "Ich verstehe sehr gut, was Ihr sagen wollt", Fürst Hallswejf lachte auf, "und Ihr habt recht. Den Paladinen die Stirn zu bieten, ist nicht gerade ungefährlich. Aber ich habe keine Angst vor ihnen. Sie mögen mächtig sein, aber auch nur, wenn wir uns von ihnen abhängig machen. Das ist ihre stärkste Waffe; den Leuten das Gefühl geben, ohne sie nicht zurechtzukommen. Ich habe mich vor Jahren gegen ihren sogenannten Schutz entschieden. Whalla ist sicher, auch ohne ein paar Ritter in magischer Rüstung, die meinen, allen anderen Spezies überlegen zu sein - einschließlich uns Menschen." "Aber fürchtet Ihr nicht, sie könnten-" "In mein Reich einfallen? Das Fürstentum stürzen?" Izara starrte auf den Boden. "Damit liegt Ihr nicht ganz falsch, Prinzessin. Die Paladine Medaniens haben große Pläne, der Großmeister hat große Pläne. Ihr habt von ihm gehört?" Wer nicht? Als Drache in Leibeigenschaft war der Name wie das Phantom in der Dunkelheit. "Sie wollen den Kontinent für sich einnehmen - Medanien, Isven, Drakheim und Whalla", sprach der Fürst weiter, "sobald ihr Einfluss die Meeresengen passiert, werden sie kaum noch aufzuhalten sein. Der König von Medanien hat sich eine Krankheit in sein Reich geholt, die sich schlimmer ausbreiten wird als die Pest. Das ist einer der Gründe, warum ich mein Vertrauen in das Drachenvolk lege. Schon damals, als König Juras noch lebte, habe ich alles getan, damit diese Paladine aus meinem Reich verschwinden." "Ich wusste nicht, dass ihr den alten König persönlich kanntet." "Wir sind uns einmal begegnet. Das war kurz bevor…nun, Ihr wisst es ja bereits. Er wollte mich unbedingt treffen, er hatte seine eigenen Pläne, müsst Ihr wissen. Dass er verschwunden ist, war ein großer Verlust." Er schüttelte den Kopf. "Ich bin froh, dass König Devon zu mir gekommen ist und die Verhandlungen weiterführen wollte. Dass, was er mir bieten kann, ist dreimal so viel wert wie aller Schutz, den mir die Paladine vor die Füße werfen. Solange das Drachenvolk nicht fällt, können die Paladine aufgehalten werden und ich tue alles, um die Drachen bei ihrem Vorhaben zu unterstützen." Aufgehalten nicht, aber abgelenkt, dachte Izara und verkniff sich einen Kommentar. Für sie klang es so, als hielten die Drachen als Köder hin. Ihr Magen zog sich zusammen. Ob das der König wusste? "Ihr hättet König Devon sehen müssen", Fürst Hallswejf schwelgte weiter in Erinnerungen, doch Izara war die Lust an dem Gespräch vergangen, "Ihr müsst wissen, damals hat der Drachenkönig kaum ein Wort in unserer Sprache sprechen können. Die Verhandlungen waren schwierig, aber er hat es dennoch geschafft, mein Vertrauen zu gewinnen. Seine Ausstrahlung ist bemerkenswert." "Ja, das ist sie." Izara schaute zu dem König. Auch wenn sie nur seinen Rücken sehen konnte, spürte sie seinen eiskalten Blick, die wachsamen Augen, die ein Geheimnis umgaben und Izara nicht daran teilhaben lassen wollten. "Wenn Ihr mir nun eine Frage erlauben würdet", Fürst Hallswejf riss sie aus ihren Gedanken, "der König sagte mir, dass in Euch nicht nur Himmelsblut fließt." "Das ist richtig", Izara wäre lieber nicht darauf eingegangen. Aber der Fürst war neugierig. Einen Drachenmenschen hatte auch er noch nie zuvor getroffen. "Und welche Seite, meint Ihr, ist die richtige für Euch? Für was schlägt Euer Herz, Prinzessin?"   "Darüber habe ich noch nicht nachdenken können, Fürst." "Weil Euch noch nie jemand diese Frage gestellt hat? Ich verstehe." "Nicht nur das. Diese Frage hat sich bisher noch nie gestellt. Der König wird Euch bestimmt über die Umstände meiner Existenz aufgeklärt haben. Ich hatte kein Recht, eine Wahl zu treffen." Izara spürte einen Kloß im Hals. Darüber zu reden, war eindeutig nicht der richtige Zeitpunkt. Und der Fürst war nicht derjenige, vor dem sie sich erstmals öffnen wollte. "Das hat er", bestätigte Fürst Hallswejf, "es ist sowohl traurig als auch eine Fügung des Schicksals, dass ihr nur wegen der Knechtschaft der Paladine in Sicherheit ward." Darauf hatte Izara nicht hinaus gewollt, aber sie wollte dem Fürsten nicht widersprechen. Für ihn zählte nicht, was Izara die letzten neunzehn Jahre hatte erleiden müssen und sie wollte ihn auch deshalb nicht verurteilen. Niemand konnte nachempfinden, was es bedeutete, Drache und Mensch zu sein, in Knechtschaft zu leben und von den Verstoßenen verleugnet zu werden. Izara presste die Lippen zusammen. Sie hatte eigentlich nicht mehr darüber nachdenken wollen, aber es gab immer etwas oder jemanden, der sie ständig daran erinnern wollte. Kapitel 22: Izara ----------------- Sie bestaunten die wundervolle Aussicht. Auf dem Berg konnten sie auf den Wald hinab schauen, der kein Ende zu nehmen schien. Izara war dennoch froh, als sie den Spaziergang hinter sich hatten und das Gespräch mit dem Fürsten unterbrochen wurde, nachdem seine älteste Tochter unglücklicherweise über eine Baumwurzel gestolpert war und die Aufmerksamkeit fortan ihr und dem geschundenen Knöchel galt. Lottas Sturz führte dazu, dass die Damen nur noch in der Nähe des Schlosses blieben. Reiten stand nun nicht mehr auf dem Programm und Izara atmete erleichtert auf. Im Gegenzug hatte die Fürstin ein Spiel organisiert - ein Holzklotz, der über einen anderen Holzbalken geworfen werden sollte, Izara war mit solchen Beschäftigungen überhaupt nicht vertraut und schaffte es nur mit Mühe, sich nicht völlig zu blamieren. Da genoss sie doch lieber die Führungen durch das Jagdschloss und hörte sich die Geschichten über die Porträts und Statuen des Anwesens an. Fürstin Maygrit Hallswejf hatte eine wohlklingende Stimme, der Izara nur allzu gerne lauschte. Was sich nicht änderte, waren die Abende. Der ein oder andere Besucher hatte sich angekündigt, die Festtafel des Fürsten war immer voll, es kam nie Langeweile auf. Erstaunlich war, dass keiner der Anwesenden über den Besuch der vier Drachen verwundert schien. Jeder behandelte König Devon und seine Begleiter als wären sie keine gefährlichen Bestien, für die sie in aller Landen beschimpft wurden. Fürsten und Grafen aus dem ganzen Kontinent besuchten den Schlossherren und seine Familie, die Gespräche waren meist politischer Natur, von welcher Izara eindeutig schon zu viel gehört hatte. So manches Mal wurde herzlich gelacht, Alkohol floss und besonders die Herren hatten ihre Freude daran, sich ausgelasseneren Themen zu widmen. Nur König Devon blieb erstaunlich nüchtern. Dabei schlug er keines von Fürst Hallswejfs selbstgebrannten Schnäpsen aus. Nach dem Abendessen versammelten sich die Herrschaften in den Salons, Männer und Frauen verbrachten die Abende meist getrennt, dass Izara nur selten das Vergnügen hatte, den Abend mit dem König ausklingen zu lassen. Sie gab es nicht gerne zu, doch sie hatte sich den Aufenthalt etwas anders vorgestellt. Wenn ihr König Devon nur etwas mehr Aufmerksamkeit schenken würde, wäre Izara schon zufrieden gewesen. Sie hasste es, dass ihr die Meinung des Königs so wichtig war, dass sie nichts gegen dieses aufsteigende Gefühl von Unzufriedenheit unternehmen konnte, das mit jedem Tag ein Stück weiter wuchs. Vielleicht hätte sie den Mut aufbringen können, ihn nach seinen Absichten zu fragen, wenn er sich ihr nur ein wenig widmen würde. Nur ein klitzekleines bisschen, damit sie sich nicht ganz so unnütz fühlte. Auf dem Jagdschloss schien es unmöglich König Devon unter vier Augen zu sprechen. Wenn Frauen mit den Männern zusammensaßen, dann nur, wenn Fiona sich an ihr Klavier setzte und die Herren mit ihrem lieblichen Spiel verzückte. Manchmal sang die Älteste oder auch Fürstin Maygrit Hallswejf erwies sich die Ehre und stimmte in die Melodien mit ein. Nur Izara hielt sich zurück. Singen konnte sie überhaupt nicht und das einzige, das sie mit den anderen vornehmen Damen gemeinsam hatte, war ihre Affinität zum Malen. Einmal hatte sie sich dazu hinreißen lassen und war mit den anderen Frauen in den Park gegangen, um einige Landschaftsbilder anzufertigen. Den Pinsel in die Hand zu nehmen, war ein gutes Gefühl. Sofort dachte sie an ihren Ziehvater. Er hatte ihr die Liebe zu den Farben näher gebracht und Izara genoss es, die Farbpalette anzurühren und nach so langer Zeit wieder aktiv zu werden. "Ihr seid wirklich talentiert, Prinzessin", lobte die Fürstin, "habt Ihr Unterricht genommen?" "Mein Adoptivvater war…ist Maler." Izara legte den Pinsel ab. "Er fertigt hauptsächlich Portraits an, obwohl er auch Landschaften malen kann. Von ihm habe ich die Techniken gelernt. Er war ein guter Lehrmeister." Sie lächelte. Die vielen Male, als Levis mit ihr aufs Dach geklettert war, um den Sonnenaufgang mit ihr zu zeichnen, waren unvergesslich. "Ich würde viel lieber etwas Lebendiges zeichnen", schmollte Fiona und malte einige breite Linien auf das Blatt. "Du meinst wohl ein hübsches Männergesicht", korrigierte sie ihre ältere Schwester. "Graf Bleimhall würde bestimmt nicht nein sagen." "Ach, hör' schon auf", Fiona wurde ganz rot um die Nase. Der Graf hatte sich am vorherigen Abend vorgestellt. Scheinbar besuchte er die Fürstenfamilie regelmäßig und dass er wegen  Fürst Hallswejfs Tochter kam, schien auch kein Geheimnis zu sein. Zumindest machten die beiden jungen Leute kein Hehl darum und seit der Graf den Abend mit ihnen verbracht hatte, hörte Fiona auch auf, dem König Avancen zu machen. "Also wenn ich die Wahl hätte", sagte die Älteste und deutete auf König Devon und ihren Vater, die sich mit ein paar anderen Herren zur Jagd verabredet hatten. "Ich würde den Drachenkönig ja zu gerne einmal von Nahem betrachten." "Benimm' dich, Lotta", funkelte sie die Fürstin an, "wir reden immerhin von dem Drachenkönig und nicht von irgendeinem deiner Verehrer." "Aber du hast es doch selbst gesagt, Mutter - König Devon ist wirklich ein gutaussehender Mann." Drache, widersprach Izara ihr im Geiste. "Ihr seht es doch auch, Prinzessin", wandte sie sich an Izara, der es viel zu unangenehm war, mit ihnen über solche Themen zu reden. "Kann schon sein", murmelte Izara und versteckte sich hinter der Leinwand. Heimlich sah sie zu der kleinen Gruppe. Obwohl Fürst Hallswejf am auffälligsten gekleidet war, beanspruchte König Devon die gesamte Aufmerksamkeit für sich. Ob nun gewollt oder nicht, der König strahlte auch mit wenig so viel Macht und Stärke aus, dass Izara ein Schauer über den Rücken lief. Verständlich, dass auch andere Frauen auf seine Präsenz aufmerksam wurden, auch wenn Izara noch immer nicht damit umgehen konnte. Nicht zuletzt, weil sie mit sich und ihren eigenen Schwächen zu kämpfen hatte. Der Tag des Abschlussballs rückte immer näher und Izara wusste nicht, wie sie dort aufkreuzen sollte, ohne eine Schmach für sich und den König zu sein. "Ich will da nicht hin", sagte sie und schlug die Hände vor's Gesicht. Sie hatte mehrere Stunden vor dem Spiegel gestanden, um an ihrem Makeup für den morgigen Abend zu arbeiten. Sich zurecht machen war keine ihrer Stärken und zum ersten Mal wünschte sie, ihre Zofe wäre an ihrer Seite. "Ihr müsst, Prinzessin." "Und wenn ich plötzlich krank werde?" Kyia seufzte. Der Bergdrache lehnte an der Tür, die Beine lässig überkreuzt. "Das haben wir doch schon besprochen. Es ist nur ein Abend. Ihr werdet einen einfachen Walzer mit dem König tanzen, danach könnt Ihr Euch gerne zurückziehen." "Ein einfacher Walzer, sagst du", Izara ließ die Hände sinken. Durch den Spiegel blickte sie zu ihrer Leibwächterin. "Ich kann doch noch nicht einmal die Schrittfolge." "So schwer ist das nicht." "Das hat Trias auch gesagt", grummelte Izara. Kyia stützte sich von der Tür ab und marschierte auf sie zu. "Steht auf, Prinzessin." "Kyia, was hast du vor?" Unsicher erhob sie sich. Die beiden Weibchen standen sich gegenüber. "Tanzen natürlich", brummte der Bergdrache und hielt Izara ihre Hand hin, "im Gegensatz zum Volan hab ich nicht nur eine große Klappe." "Du kannst tanzen?" Sie wollte nicht so überrascht klingen, aber sie war es. "Nur die Grundschritte. Ich führe Euch, Prinzessin. Folgt einfach meinen Bewegungen." "Kyia", Izara wusste nicht wieso, aber sie war zu Tränen gerührt. "Ich weiß nicht, was ich sagen soll." "Wenn Ihr mir versprecht, dass ihr den anderen nichts sagt, reicht mir das." "Abgemacht." Kapitel 23: Izara ----------------- "Sollen wir die Reihenfolge noch einmal wiederholen?" "Nein, danke. Ich glaube, ich hab es jetzt." Izara ließ von ihrer Leibwächterin. Kyia war eine gute Lehrerin. Den letzten Abend hatten sie ununterbrochen an der Schrittfolge geübt und daran, nicht ständig auf die Beine des Tanzpartners zu starren. Bei Kyia mochte das funktioniert haben, ob sie König Devon ebenso selbstverständlich in die Augen sehen konnte, würde sich noch zeigen. "Lasst Euch einfach von dem König führen, dann sollte nichts schief gehen." Wieso klang bei Drachen immer alles so einfach? Izara hätte gerne die Zuversicht der anderen. "Danke, Kyia", Izara wollte sie gerne umarmen, der Bergdrache hatte eine harte Schale, aber es steckte eindeutig mehr dahinter. "Ich bin froh, dass ich dich habe", sagte sie, statt der Leibwächterin um den Hals zu fallen. Die Mundwinkel des Bergdrachen zuckten leicht, Izara war sich sicher, ein Lächeln gesehen zu haben. Damit gab sie sich zufrieden. "Und nun zum Kleid, Prinzessin." Kyia schritt auf den Kleiderschrank zu, die vielen prunkvollen Kleider hingen nach Farben sortiert und es glitzerte und funkelte zwischen all dem vielen Tüll, der Seide und was die feine Gesellschaft noch so zu bieten hatte. Kyia zog ein rosanes Kleid mit breitem Reifrock hervor, aber Izara schüttelte den Kopf. "Prinzessin. Das Kleid wurde extra für diesen Anlass ausgewählt." "Ich weiß, aber ich möchte gerne etwas anderes anziehen." Izara trat an ihre Leibwächterin heran und schob die Kleider beiseite. "Seid Ihr sicher?", Kyia schlug die Stirn in Falten. "Ich wollte es schon lange einmal anziehen", sagte Izara und nahm das blaue Drachengewand von der Stange. Gold und blau funkelten um die Wette. Das Kleid war vom Hals bis zu den Knöcheln enganliegend, kein Vergleich zu den Glockenröcken und Prinzessinnenkleider. "Ihr werdet Euch von der Masse abheben, das ist Euch doch bewusst." "Wenn ich eines in den letzen Tagen gelernt habe, dann dass ich nicht wie die anderen bin." Mit einem Lächeln glättete Izara den Stoff. "Außerdem glaube ich, dass es dem König gefallen wird", sie riss die Augen auf. Hatte sie das gerade laut gesagt? Nein, der Mund war definitiv zu. "Ich meine, der Fürst mag es doch auffällig, nicht wahr?" "Da mögt ihr recht haben", Kyia kratzte sich an den Kopf, etwas unbeholfen half sie Izara bei dem Kleid. "Fühlt Ihr Euch jetzt besser?", fragte Kyia, als Izara den goldenen Gürtel enger schnallte. Fragend sah sie ihre Leibwächterin an. "Ich hatte bisher das Gefühl, dass Ihr Euch nicht wohl in Eurer Haut fühltet. Als Drache, meine ich." Izara blinzelte verdutzt und Kyia ging augenblicklich auf die Knie. "Verzeiht meine Frage, Prinzessin. Das war nicht angemessen." "Schon gut", hauchte Izara. Noch mehr als über die Frage verwirrte sie die ehrfürchtige Haltung des Bergdrachen. "Du hast ja recht. Ich weiß nicht so richtig, wie ich damit umgehen soll. Es ist nicht nur, weil ich eine Prinzessin sein soll. Ich habe einfach Angst-" Sie schloss die Augen, atmete tief durch, "ich habe Angst davor, wer ich wirklich bin. Bin ich ein Drache in einem Menschenkorper? Ein Mensch, in dem ein Drache haust? Nichts davon fühlt sich richtig an. Ich dachte immer, ich wüsste, wer ich bin - wer ich sein will -, aber bei euch zu sein, gibt mir das Gefühl, eine Lüge gelebt zu haben." "Das war nie unsere Absicht", Kyia hob ihren Kopf. "Ich weiß. Es ist nur, seit ich erweckt wurde, fühle ich mich mehr wie ich selbst. Das habe ich seit Kurzem begriffen und es ist schwer, damit umzugehen." Izara lächelte schwach. "Ich denke , ich muss endlich anfangen, mein Ich zu mögen - das ist alles." "Das wird schon", Kyia erhob sich, "der König hat Vertrauen in Euch, und ich vertraue Euch ebenso." "Danke, Kyia." * Noch ein letzter Feinschliff und Izara war fertig. "Das Kleid steht Euch, Prinzessin." "All diese Komplimente. Das bin ich gar nicht von dir gewohnt", Izara schmunzelte. "Gewöhnt Euch lieber nicht daran", entgegnete der Bergdrache und richtete den Schwertgürtel an ihrer Hüfte. "Ich kann nichts versprechen", zwinkerte ihr Izara zu, "ich könnte mich schon an einen handzahmen Bergdrachen gewöhnen." "Ein handzahmer Bergdrache", murmelte Kyia, sagte aber nichts weiter dazu. Ihr Blick ging zur Tür, genau dort, wo auch Izara hinsah. Der König würde sie heute Abend abholen. Den Gedanken hatte sie lange verdrängen können, doch jetzt hämmerte ihr Herz an die Brust, als wollte es jeden Augenblick reisausnehmen. Es wurde nicht besser, als es wirklich an der Tür klopfte. So viele Tage waren sie zusammen auf Fürst Hallswejfs Schloss und eigentlich war das heute ihr erster Abend, den sie tatsächlich zusammen verbrachten. Jede Nacht hatte sie an der Wand gehorcht, hatte seine Schritte im Zimmer gehört, hatte sich vorgestellt, wie er aussah, was er trieb. Ihr Herz wummerte hart gegen Izaras Brust, das hatte es schon immer, wenn sie an den König dachte, doch seine Nähe hatte alles intensiviert. Was wollte Izara? Eine Antwort hatte sie nicht finden können. Manchmal wünschte sie, er würde an ihre Tür klopfen und manchmal erzitterte sie bei dem Gedanken, dass er sie nachts in ihrem Zimmer besuchen könnte. Sie wollte es und wiederum auch nicht. Er sollte ihre Nähe suchen, aber nicht, weil er es musste, oder das Schicksal der Drachen davon abhing. Izara wusste, wie verrückt ihre Gedanken waren, wie naiv es war zu glauben, er könnte sie aus einem anderen Grund wollen, als diesen einen Offensichtlichen. Die Leibwächterin öffnete die Tür und aus dem Augenwinkel sah Izara die Gestalt des Drachenkönigs. Die hohe Statur war unverkennbar, das rabenschwarze Haar war streng zurückgekämmt. Langsam wagte es Izara, aus der sicheren Ecke ihres Zimmer zu treten. Sein Gesicht erschien ihr im Profil, König Devon sprach mit der Leibwächterin. Izara stellte sich genau unter den Türrahmen, der König drehte sein Gesicht zu ihr. Wie lange er sie schweigend ansah, wusste sie nicht. Für Izara fühlte es sich wie eine Ewigkeit an, bis seine Mundwinkel ein warmherziges Lächeln zauberten, das Izara dahinschmelzen ließ. "Du siehst wunderschön aus", sagte er, den Blick kein einziges Mal von ihr abgewandt. Wie ein einfacher Satz sämtliche Zweifel erdrücken konnte! "Danke", entgegnete sie. Ihre Beine begannen zu zittern, zum Glück wurden sie von dem Kleid verdeckt. "Ihr auch", fügte sie scheu hinzu und ließ von seinen Augen, bevor ihr noch mehr peinliche Sätze herausrutschen konnten. Aber sie hatte sich den König bereits ganz genau angesehen. Er trug zum ersten Mal eine Uniform. Eine dunkelblaue Jacke, an deren Ärmeln zwei goldene Bänder eingearbeitet worden waren und passend dazu eine Hose in derselben Farbe. Er hielt ihr einen Arm hin und bevor Izara Löcher in die Decke starren konnte, hakte sie sich bei ihm unter und ließ sich durch den Flur führen. "Es ist nicht das Kleid, das man für dich ausgesucht hat, oder?", fügte er nach einer Weile schmunzelnd hinzu. Izara errötete. "Nein, Hoheit. Aber ich denke, dieses ist die bessere Wahl." "Für dich?" "Ja", nickte sie. Verlegen wandte sie ihr Gesicht der Tapete zu. Ihr brannten selbst Fragen auf den Lippen, aber die Leibwächter waren ihnen dicht auf den Versen, dass sie stumm neben ihm herlief. [CENTER* Der Ballsaal war im Ostflügel des Schlosses, der Teil der Sommerresidenz, der an den Garten anschloss. Izara war einmal dort gewesen, als sie das Schloss hatte erkunden dürfen. An dem Tag war der Saal verlassen gewesen, ein Kronleuchter und zwei Tafeln hatten im Raum gestanden. Jetzt war der Ballsaal voller Leben, knapp hundert Menschen hatten sich eingefunden. Darunter Grafen, hochrangige Soldaten, Lords aus allen Teilen des Kontinents. Schriftsteller, Komponisten und Künstler von nah und fern - kaum eine Persönlichkeit, die nicht anwesend war. Izara fragte sich, ob Trias das mit »nur im kleinsten Kreis« gemeint hatte. König Devon flüsterte ihr die jeweiligen Namen und Stellungen zu. Gerade wünschte sie, er würde ihr andere Dinge ins Ohr flüstern - an einem anderen Ort, vielleicht in ihrem… "Was denkst du denn da?!", fauchte sie im Geiste. Der König hielt kurz inne, dann sprach er weiter. "Der Mann mit dem weißen Haar. Das ist seine königliche Hoheit Prinz Enhardt." "Der Bruder des Königs von Isven?", fragte Izara ungläubig. "Du hast von ihm gehört?" "In Medanien kennt jeder die Geschichte, wie der Jüngere seinen eigenen Bruder den Thron abspenstig gemacht hat." "Das erzählen sich die Leute?", fragte König Devon und schien sich darüber zu amüsieren. "Ich glaube, zu gegebener Zeit werde ich dir die ganze Wahrheit darüber erzählen müssen." "Ich bitte darum", Izara schaute zu ihm auf. Seine Augen funkelten belustigt und ihre Schmetterlinge im Bauch führten sich wie eine Horde Betrunkener auf. "Ah, Drachenkönig." Ein Lord aus Whalla kam auf König Devon zu, "ich wusste doch, den Gerüchten ist nicht zu trauen. Als ob Ihr Euch von einem wahnsinnigen Sadisten aufhalten lasst." Er klopfte ihm wie einen alten Freund auf die Schulter, dann sah er zu Izara. "Und was sehen meine Augen", er machte eine Verbeugung, "die Prinzessin, nehme ich an. Ich habe schon viel von Euch gehört. Ich hoffe, Ihr erweist uns eines Tages die Ehre, uns in Falkenland zu besuchen." Bevor Izara über eine Antwort auch nur nachdenken konnte, redete der Graf wieder mit dem König. So ging es eine ganze Weile. Man wurde einander vorgestellt, die Leute begrüßten den König, bevor sie Izara wie ein seltenes Exemplar bestaunten. In ihren Augen bist du das auch, sagte sie sich und versuchte, sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Egal, wie unangenehm die Blicke der anderen waren. Von den Damen wurde sie ungläubig begafft. Man hatte sie vorgewarnt - das Kleid stach hervor. Es war wie eine Provokation an die Mode der heutigen Zeit. Dem Fürsten schien es zu gefallen. Sie wechselten ein paar Worte, Fürst Hallswejf selbst hatte viele seltene Stoffe aus Dragor erwerben können, und auch die Töchter schwärmten von den leuchtenden Farben, die an Izaras Augen erinnerten. Kapitel 24: Izara ----------------- Mit Spannung sehnte Izara den ersten Tanz herbei. Im Geiste wiederholte sie die Schritte und warf Kyia stumme Blicke zu. Der Bergdrache verstand und nickte streng. Nachdem die letzen Gäste eingetroffen waren, folgte eine kurze Rede, bevor der König zum Eröffnungstanz bat. Die Fürstin und er schwebten durch die Halle, gefolgt von Lotta, die den ersten Tanz einem mittelständischen Kaufmann versprochen hatte. Izara sah all diese Menschen nach und nach auf die Tanzfläche zugehen. Das Tanzen schien jeder zu beherrschen und Izara zweifelte, ob ihr spontaner Kurs mit Kyia wirklich ausgereicht hatte. "Wenn ich bitten darf, Prinzessin", König Devon hatte eine Hand ausgestreckt. Sie wusste nicht wieso gerade jetzt, doch genau in diesem Moment fühlte sie sich wie eine echte Prinzessin, und als Prinzessin musste sie da durch. Sie nahm die Hand, der König zog sie zu sich heran, die andere lag oberhalb ihrer Hüfte. Er hatte warme Hände, wie Izara feststellte. Sein Griff war fest und bestimmend. Ihr rutschte das Herz bis zum Hals, als er den ersten Schritt machte, und Izara sich seinen Bewegungen anpasste. Kurz erhaschte sie einen Blick auf seine Augen, die sie anvisiert hatten, hastig sah sie zu Boden, auf die Füße, die sie doch eigentlich nicht ansehen sollte. Also wieder nach oben schauen, am besten an den König vorbei. "Du kannst tanzen", stellte er nach einigen Minuten fest. Vielleicht waren aber auch erst Sekunden verstrichen, Izara hatte keine Ahnung. "Ein wenig", meinte sie. "Trias sagte mir, dass es dein erster Tanzabend wäre." "Das stimmt. In Kandio gab es selten die Gelegenheit zu tanzen." "Das kann ich mir denken." Seine Miene verhärtete sich. "Dann scheinst du Talent zu haben." Nein, nur die Hilfe eines Bergdrachen. Aber Izara hatte versprochen, nichts zu verraten. "Ich tippe auf Glück", sagte sie stattdessen und zeigte ihr stolzes Prinzessinnenlächeln. "Aber woher könnt Ihr tanzen, Hoheit?" "Die Umstände zwangen mich dazu." "Ihr meint Veranstaltungen wie diese?" "Es war unvermeidlich. Wenn man mit den Menschen verhandeln möchte, muss man ihre Gepflogenheiten lernen." "Und welche Gepflogenheiten zählen noch dazu?", fragte sie neugierig. "Auf einem Pferd zu sitzen und es »zu reiten«. Eindeutig nicht meine Paradedisziplin." Sein Gesicht verzog sich nachdenklich. "Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass es etwas gibt, das Ihr nicht könnt." "Oh, da gäbe es so einiges", er funkelte sie an, "aber ich würde mich lieber auf die Stärken konzentrieren." "Dann kann ich Euch beruhigen", sie drehten sich, Izara merkte gar nicht, wie sie einfach losließ und tanzte, "Tanzen gehört definitiv zu Euren Stärken." "Da bin ich ja erleichtert." Sie stellte sich König Devon vor, wie er vor dem Spiegel geübt hatte. Oder hatte der König ebenfalls Hilfe von einem Begleiter gehabt? Wenn Trias es ihm nicht beigebracht hatte, dann vielleicht Sila…? All die Tage hatte sie nicht an die Lóng denken müssen. Oder an die anderen Weibchen. Wäre Izara nicht hier, hätte die Lóng  an ihrer Stelle mit dem König getanzt und es hätte für ihn womöglich keinen Unterschied gemacht? "Hat es sich gelohnt? Ich meine, die Gepflogenheiten zu lernen?" Izara wollte nicht traurig klingen, aber so ganz konnte sie ihre Gefühle nicht verbergen. Vor dem König erst recht nicht. "Heute, ja", bestätigte er, "der Fürst versprach, neue Waffenlieferungen. Es ist bereits alles besiegelt worden." Er sah zu ihr herunter. "Das haben wir dir zu verdanken." "Meinem Himmelsblut, wolltet Ihr sagen." "Himmelsblut ist nicht alles", sagte König Devon, "du unterschätzt deine Ausstrahlung, Izara." "Ich muss zugeben, meine Ausstrahlung war das Letzte, woran ich gedacht habe." Sie lächelte schwach. "Wenn du nicht gerade schmollst, kannst du sehr einnehmend sein." Jetzt musste sie dem Drachenkönig doch in die Augen sehen. Izara »schmollte?« Moment, er hatte gesagt, dass ihre Ausstrahlung einnehmend wäre?! "Wie kommt Ihr darauf?", murmelte Izara. "Weißt du noch? In Dragor?" Izara hielt den Atem an. "Du weißt noch gar nicht, was alles in dir steckt. Was für eine Wirkung du auf andere haben kannst. Den Fürsten hast du beeindruckt - und nicht, weil du seinen modischen Geschmack getroffen hast. Du hast das Wohlwollen der Fürstin - ein seltenes Privileg. Niemand, den ich bisher auf meine Reisen mitgenommen habe, hat einen so guten Eindruck hinterlassen." Er drückte ihre Hand, den Blick unablässig auf ihrem Gesicht ruhend. Wenn er sie wie jetzt ansah, spürte sie, wie die eiskalten Augen in ihre Seele vordringen wollten. Der Drache in ihr ließ es zu. Izara genoss die Wärme des Königs, seinen eingehenden Blick, die süßen Worte, all die Aufmerksamkeit. Wenn es nach ihr ginge, sie hätten den ganzen Abend tanzen können. Sie wollte den Augenblick festhalten. Noch nie fühlte sie sich dem König so nah. Die verwirrenden Gefühle erschienen ihr richtig, vielleicht steckte hinter ihrer schnell wachsenden Zuneigung doch mehr als sie sich zugestanden hatte. "Hoheit", hauchte Izara. Es war der richtige Zeitpunkt, die Wahrheit zu sprechen, "i-ich…ich", ihre Gefühle handelten schneller als ihr Mund. Ein Hauch ihres eigenen Duftes umwehte das Tanzpaar. Ein flüchtiges Zeugnis ihrer  Paarungsbereitschaft. Der König fixierte Izara und Izara wagte es nicht zu atmen. Die Musik endete. Izara hatte es erst gar nicht bemerkt, doch der König ließ ihre Hand los. Eine Verbeugung vom König, ein Knicks von Izara und die Blase war geplatzt. Ein Dolch in ihrer Brust hätte nicht schmerzhafter sein können. Wie konnte sie nur derartig leichtsinnig sein? "Prinzessin", jemand Neues bat um ihre Hand und ohne nachzudenken, ließ sie sich auf den nächsten Tanz ein. Ihre Bewegungen waren steif, nichts erinnerte an die grazile Haltung zwischen ihr und dem König. Aber Izara tanzte, damit sie nicht an den König denken musste. An ihre Dummheit und darüber, wie leicht sie zu verletzen war. Der Nächste reichte ihr die Hand, sie ließ es einfach geschehen. Ließ die Männer reden, ihr Komplimente machen - Izara war es völlig gleich. "Prinzessin Izara", sagte eine kratzige Stimme, die dem königlichen Bruder gehörte. Er wirbelte Izara über das Parkett, seine Hand drückte sie enger an ihn als ihr lieb war. "Ich hörte, der Fürst sei von Euch beeindruckt." "Das wage ich nicht zu beurteilen", entgegnete Izara. Sie versuchte, sich aus seinem Schraubstockgriff zu befreien, doch Prinz Enhardt ließ nicht locker. "Das kann ich mir kaum vorstellen. Jemand, der den Fürsten dazu ermutigt, seine eigenen Waffenressourcen dem Drachenkönig zu übergeben, weiß genau, was er tut." Er lächelte, ein falsches widerwärtiges Lächeln. "Ich frage mich, ob Ihr auch meinen Bruder überzeugen könnt, jetzt, nachdem der Drachenkönig etwas zu bieten hat, das uns alle interessiert." Alles in Izara verkrampfte sich. Wann war endlich das Lied vorbei? Wo waren Kyia, Trias oder der König? "Verratet mir doch", er beugte sich zu ihr vor, sein Atem streifte ihr Ohr und überall breitete sich Gänsehaut auf ihrem Körper aus, "was bietet mir der Drachenkönig an, damit ich meinen Bruder von einer Zusammenarbeit überzeuge?" "Das solltet Ihr besser den König fragen", knirschte Izara mit den Zähnen. "Aber ich frage Euch, Prinzessin. So ein hübsches, junges Ding wie Ihr entspricht mehr meinen Vorstellungen von einer befriedigenden Zusammenarbeit als der Drachenkönig es jemals könnte. Oder gilt dieses Privileg nur dem Fürsten von Whalla?" "Ich weiß nicht, wovon Ihr da sprecht." Sie tanzten gar nicht mehr, die Bewegungen war so träge, dass sie jeden Augenblick angerempelt werden könnten. Izara wünschte, es würde jemand kommen, aber niemand schien auf sie zu achten. "Spielt nicht die Unschuldige", Prinz Enhardts Lächeln wurde immer schmieriger, "als wüsstet Ihr nicht genau, wo Euer Platz ist." Izara stieß einen tiefen Atemzug aus, weißer Rauch umnebelte ihr Gesicht. Endlich ließ er von ihr. "Wenn Ihr mich entschuldigt", sie presste die Lippen zusammen, machte im Absatz kehrt und lief aus dem Ballsaal. Kaum im Flur angelangt, rannte sie auch schon los. Die Wände begannen sich zu drehen, alles verschwand hinter einem Schleier von Tränen. Izaras Tränen. Sie stürmte in ihr Zimmer, ungeachtet der vielen fragenden Blicke, die ihr die Dienerschaft beim Vorbeilaufen hinterherwarfen. Mit einem lauten Knall ließ sie die Tür ins Schloss fallen, sackte zusammen und ließ die Welt über sich einstürzen. Sie wusste nicht, was sie zuerst fühlen sollte. Trauer? Enttäuschung? Wut? Oder doch lieber Hass? Izara riss die Augen auf, sie stürmte auf den Kleiderschrank zu, riss jedes Kleid heraus, bis sie in einem Meer aus Stoffen stand. Sie stampfte zum Fenster, riss die Klappläden auf und schnappte sich die Kleider. Mit glühenden Augen feuerte sie ein Teil nach dem anderen aus dem offenen Fenster, die Stoffe wirbelten in der Luft, bevor sie von der Dunkelheit verschlungen wurden. "Prinzessin!", Kyia stand im Zimmer. Der Bergdrache schloss die Tür und beobachtete fassungslos, wie Izara die Schmuckschatulle packte und die Perlenketten nach draußen schleuderte. "Ich habe es satt!", schrie Izara. "Wovon sprecht Ihr?" "Sie sollen mich einfach in Ruhe lassen", Izara schloss die Fensterläden. "Alle!" "Was ist denn passiert?", langsam näherte sich Kyia ihr. "Wann hattet ihr vor, es mir zu sagen, hä?!", Izara starrte ihre Leibwächterin an, ihre Augen waren verquollen, das Makeup verwischt. "Dass ich Eure Prinzessin spielen soll - schön! Dass ich nichts weiter als euer Spielball bin - gut! Aber auf meinen Gefühlen zu herumzutreten, mich zu beleidigen-" Sie schnappte sich die restlichen Schminkutensilien und schleuderte sie vom Tisch. Über dem Boden schwebte eine Staubschicht aus Pastell- und verschiedenen Rottönen, die sich auf dem ganzen Teppich ausbreiteten. "Warum bin ich auch so blöd!" "Prinzessin!", Kyia schnappte sich ihre Schultern, "beruhigt Euch!" "Wie kann ich mich beruhigen?!", ihre Lippen zitterten. Sie konnte es nicht länger zurückhalten. "Als Hure sehen sie mich! Ist es das, was dein König wollte? Dass ich mich zum Narren mache? Mich anbiedere? Den anderen Königreiche auf die Knie falle?" "Nein!", Kyia riss die Augen auf, "Wer hat Euch das gesagt?" Der Bergdrache rüttelte Izara, die eine wütende Träne nach der nächsten vergoss. "Ist das so wichtig?", funkelte sie ihre Leibwächterin an. Gerade verabscheute sie alles und jeden. "Es spielt keine Rolle, weil es die Wahrheit ist." "Nein, Prinzessin, so etwas würde der König nie tun! Wir haben Gesetze, die-" "Gebrochen werden, wenn es sein muss!", Izara zeigte auf sich, sie war Beweis genug und das wusste Kyia. "Das ist nicht das, was der König will! Prinzessin, ich schwöre bei meiner Ehre, Ihr werdet nie-" Die Leibwächterin stockte, die Tränen hatten ihre Fingerspitzen erreicht. "Hört mir zu", Kyia tat einen tiefen Atemzug, "niemand darf so mit Euch reden. Egal, was man Euch einzureden versucht, Ihr seid mehr Wert als das", sie zeigte auf das Fenster, die Läden waren aus den Angeln gehoben, ein Stück Stoff klemmte zwischen dem Holz. "Ich werde mit dem König reden-" "Nein", Izara sah sie entsetzt an. König Devon war der Letzte, von dem sie wollte, dass er davon erfuhr. "Kein Wort zum König, bitte." "Aber Prinzessin, es ist wichtig. Wenn unsere Verhandlungspartner denken, sie könnten Euch einfach beleidigen-" "Kein Wort zum König", wiederholte Izara, ihr brannten die Augen. Sie wusste nicht, dass die Iriden zu Glühen anfingen, oder blau-weißes Licht durch ihre Augen direkt zu ihrer Leibwächterin durchdrang. "In Ordnung", schluckte der Bergdrache und verneigte sich. Für Izara begann der Schmerz von vorne. Ihr Innerstes brannte, sie wollte um sich schlagen und sich gleichzeitig wie ein Kleinkind zusammenrollen und weinen. "Es tut mir leid, Kyia. Ich wollte nicht so mit dir reden", sie fasste sich an den Kopf.  "Es ist nicht deine Schuld, normalerweise bin ich nicht so hysterisch." "Ihr müsst nicht um Vergebung bitten, schon vergessen?" "Nein, Kyia, ich…Das soll aufhören", murmelte sie, "warum habe ich meine Gefühle nicht mehr unter Kontrolle?" "Weil ihr die ganze Zeit den Schleier aktiviert habt", antwortete Kyia. Aus Kyias Mund kamen die Worte ganz selbstverständlich, aber Izara hatte nur noch mehr Fragezeichen im Kopf. "Was für ein Schleier?" "Ein Mittel, um unsere magischen Kräfte zu verbergen. Damit können wir verhindern, dass uns die Paladine aufspüren können. Ihr hingegen nutzt den Schleier, um den Drachen in Euch zu unterdrücken - und das schon seit Wochen. So etwas schlaucht - und raubt Euch Kraft und Nerven. Ich dachte, Ihr wüsstet das." "Ich wusste nicht, dass ich so etwas kann." Izara wandte sich ab, trat ans Bett und ließ sich auf der Kante nieder. "Ihr müsst es rauslassen, Prinzessin", beschwor Kyia sie, "all Euren Ärger, Eure Wut - verwandelt es in das, was es tatsächlich ist." "Und was soll das sein?" "Energie." Kyia drehte sich und schritt auf die Wand zu ihrer Rechten zu. Eine Hand presste sie auf die Blümchentapete, Kyia schloss die Augen, konzentrierte sich. Silbernes Licht glitt ihren Oberarm hinab. Die Hand leitete das Licht weiter, dass es sich auf der gesamten Wand ausbreitete. Es knackte und das Licht nahm Strukturen an, eine zweite Wand errichtete sich. "Jetzt könnt Ihr Euren Gefühlen freien Lauf lassen", sagte Kyia und klatschte in die Hände, als wollte sie sich von lästigem Staub befreien. "Diese Wand hat eine Schallisolierung und eine Stahllegierung, die Eure Kräfte eindämmen wird." Fasziniert erhob sich Izara und berührte die glatte Oberfläche. "Das ist unglaublich", flüsterte Izara, aber Kyia zuckte bloß mit den Schultern. "Versucht einfach, keinen allzu großen Schaden anzurichten." Kapitel 25: Zwischenspiel II ---------------------------- Das Wasser war noch gefroren, als Sila die Badeanstalten betrat. Die Luft stand im Raum - von Trockenheit und einem nebelartigen Gemisch dominiert, hätte auch der größte Liebhaber von Eisbädern kaum seine Freude daran gehabt. Überall roch es nach Winter und den Überresten von Schutzmagie, den die anderen Weibchen bei ihrem letzten Besuch hinterlassen hatten. Inmitten von Eiskristallen, die an der Oberfläche glitzerten und dem Raureif, der den Boden bedeckte, war das pechschwarze Haar der Lóng eine lange schmale Säule des Widerstands. Schwach benetzte das Licht des Vollmondes das Gestein zu ihre Füßen, während einzelne Lichtstrahlen mühselig durch die offenen Luken reflektierten. Es war ein schwacher Trost, den das Licht abgab, die Augen bemühten sich, mit den dunklen Schattierungen mitzuhalten, doch wirklich Erleuchtung fände hier niemand. Nur flüchtig war die Lóng als Silhouette zu erkennen. Sila mochte die Dunkelheit auf der Oberfläche nicht; den Mondschein, der ein schwaches Abbild der Sonne darstellte und an aufregenden Tagen nur wenig Milderung versprach. Mit einer wegwerfenden Handbewegung ließ sie eine Flut heißen Wassers auf den Marmorboden klatschen. Es zischte und dampfte, das Eis schmolz, die Luft erholte sich; Leben kehrte zurück. Sila lächelte. So war es eindeutig besser. Die seichten Wellen fingen viel besser die Mondstrahlen ein, die Atmosphäre wechselte, sowie die Stimmung der Lóng. Sie stieg aus ihren Sachen, tauchte in das Wasser ein. In ihrem Element spürte sie, wie sich alles in ihr zu entspannen begann. Der Körper schuppte sich. Langsam wich die weiche Haut festem Leder. Ein harter Panzer bedeckte ihren Rücken, angeführt von tausenden kleinen Perlen. Die gesamte Menschengestalt wurde darunter bedeckt, bis der Körper vollständig seine Strukturen verlor. Krallen fuhren aus, der Hals streckte sich und ein langer, haariger Schwanz schlug breite Wellen in das Becken. Wie sehr sie es doch vermisst hatte! Die Erholung war bitter nötig. Nach wochenlanger Schufterei läutete die Brutzeit sein Finale ein, nur noch ein paar Tage und die Quälerei, das Abmühen, all die Tage voller Hoffnung und Zweifel würden mit dem ersten Brechen der Schalen zu Ende gehen. Genussvoll drehte sie sich im Wasser, ein Strudel formte sich aus den geschmeidigen Bewegungen der Lóng. Sie war nun einmal die Meisterin unter ihresgleichen und mit derselben Hingabe liebkoste sie das Wasser und hieß die Gebieterin der Meere willkommen. "Du weißt, dass du hier nicht sein solltest." Die Stimme drang von der Oberfläche direkt in ihr Ohr. Es hallte zwischen den Wassertropfen und mit einem Seufzer verwandelte sie sich zurück. "Du bist eine Spielverderberin, Kyia", Sila stieg aus dem Wasser. Sie schüttelte sich, dass tausend Wasserperlen auf den Boden kullerten. "Ich halte mich an die Regeln, du solltest auch langsam damit anfangen. Ab Abenddämmerung sind die Badeanstalten tabu; das gilt auch für dich!" Der Bergdrache kam auf sie zu. Kyia trug ihr Kriegerinnen-Outfit und Sila musste neidlos zugeben, dass sich die Beine der Leibwächterin darin sehen lassen konnten. "Solltest du nicht bei deiner Prinzessin sein?", fragte Sila gelangweilt, "ein bisschen Händchen halten oder was auch immer dieses kleine Ding nötig hat. Oder muss sie sich von der langen, anstrengenden Reise erholen? Es ist bestimmt schlimm für sie gewesen - so viel Aufmerksamkeit und dieses ständige Hofieren…schrecklich!" "Lass' das, Sila." "Und du", die Lóng tippte ihre Freundin auf die Brust, "wann hast du dich von ihr einwickeln lassen?" "Du weißt, dass das nicht stimmt", Kyia drehte sich um und schritt auf den Beckenrand zu. Es knirschte mit jedem Schritt, den der Bergdrache über eines der Eisbrocken tat. Die Kleider gegriffen, warf sie diese der Lóng zu. "Fang' endlich an, deiner Stellung gerecht zu werden, statt dein Revier wie eine wildgewordene Furie zu markieren." "Ich sage doch, du bist eine Spielverderberin", Sila machte einen Schmollmund, dann zog sie sich mit einem Lächeln auf den Lippen wieder an. "Man gönnt mir aber auch keinen Spaß", Sila ließ einen Zeigefinger rotieren, ein Eiszapfen entstand. Das Haar einmal über ihren Kopf gedreht, steckte sie den Zapfen zwischen die schwarze glatte Mähne. "Erst schließt mich der König von seinen Audienzen aus, dann meint Trias, sich als dessen rechte Hand aufspielen zu müssen, und jetzt fällst du mir auch noch in den Rücken, Kyia." Sila verschränkte die Arme vor der Brust. Ihr theatralischer Seufzer entlockte Kyia bloß ein Schulterzucken. "Du hast es nicht anders gewollt", sagte der Bergdrache. Ungeduldig blickte sie zu ihrer Freundin, die mit einem giftigen Blick und einem dritten letzten Seufzer los marschierte. "Bin ich hier eigentlich die einzige, die noch bei klarem Verstand ist?", sie hob ihre Arme, "das Ding will nicht einmal eine Prinzessin sein und ihr kriecht ihr alle in den Hintern als würde ihre Anwesenheit irgendetwas an unserem Schicksal ändern." "Du weißt, dass das nicht stimmt." Ja, das wusste sie. Aber dass jeder den Drachenmenschen wie den heiligen Gral verehrte, hing ihr mittlerweile zum Halse raus. "Sie bleibt trotzdem ein weinerliches Menschenmädchen. Du kannst mir sonst etwas erzählen, aber wir beide wissen, dass sie niemals ihrem Titel gerecht werden wird. Und wenn der Augenblick kommt, in dem euch allen bewusst wird, dass ich recht hatte, werde ich euch das schön unter die Nase binden." "Wir werden sehen", erwiderte Kyia und lief weiter durch den Flur in Richtung der Schlafzimmer. "Aber bis es so weit ist", sie drehte sich zu Sila um, bedeutete sie schneller zu laufen, "will ich, dass du dich zusammenreißt." "Solange sie unsere Eier in Ruhe lässt-" "Sila, es ist mein ernst!", knurrte der Bergdrache, "wenn du dich nicht beherrschen kannst, kann ich dir für nichts garantieren." "Ach, wirklich?", Sila hob eine Augenbraue. Sie kannte ihre Stellung. Ihren Wert. Niemand würde die Lòng aus dem Schloss vertreiben. Nicht einmal eine Prinzessin konnte daran etwas ändern. "Ich will nur, dass du mir dein Wort gibst", Kyia ließ einfach nicht locker. Der Bergdrache nahm seine Pflichten viel zu ernst. Der Drachenmensch war nicht ihre geliebte Himmelsgöttin, verdammt nochmal! Die Königin von einst - sie war nicht nur eine Erscheinung, nein, sie war eine Führungspersönlichkeit gewesen. Ihr Schutz hatte einen Sinn gehabt. Selbst wenn Kyia glaubte, damals versagt zu haben, sie war niemandem etwas schuldig. Schon gar nicht gegenüber einem Mädchen aus einer Provinzstadt, das nicht einmal gelernt hatte, seine Kräfte zu beherrschen. "Sila…" "Schon gut, schon gut", maulte Sila und wedelte mit den Armen. Aus Kyia war die Position des Leibwächters einfach nicht heraus zu bekommen. Zu schade, dass der Bergdrache keine eigenen Kinder zeugen wollte. Eine wie sie in ihren Reihen hätte Sila gut gebrauchen können und Nachwuchs unter den Bergdrachen wäre kein schlechter Schachzug gewesen. Dann hätte Sila ein Argument, gegen das nicht einmal Kyia angekommen wäre. "Ich verspreche es, okay?", Sila bemühte sich, nicht sarkastisch zu klingen. Sie versuchte es wirklich. "Ich hoffe, damit ist das Thema erledigt." "Das liegt ganz in deiner Hand", entgegnete Kyia und schwenkte den linken Arm. Ihre Aufmerksamkeit war bereits auf ihr nächstes Ziel gerichtet. "Hey, du da!" Sie streifte die Hellebarde einer Wache. Der Wyvern zuckte zusammen, salutierte und brachte die Waffe in Stellung. "Wenn du denkst, in der Nachtschicht deine Ruhe zu haben", Kyia funkelte ihn zornig an, "dann hast du dich getäuscht, Bürschchen." Ohne eine Antwort abzuwarten, lief sie kopfschüttelnd an ihm vorbei. "Macht denn hier niemand mehr seine Arbeit richtig…!?" Die Ruhe brachte Kyia dazu, stehen zu bleiben. "Sila?" "Pst", die Lóng legte einen Finger an ihre Lippen. "Hier ist irgendwas", hauchte sie, die Sinne weit über das Territorium ausgebreitet. "Ich spüre eine Präsenz…die Drachenschlucht!" Die Eier! Sila eilte los. "Warte, ich komme mit", flüsterte Kyia. "Musst du nicht zurück auf deinen Posten?" "Spiel nicht die Beleidigte, sei einfach froh, dass ich dich begleite." "Wie überaus nobel von dir." Sila verdrehte die Augen. Dann wurde sie wieder ernst. Es behagte ihr nicht, zu so später Stunde dem Gefühl erlegen zu sein, beobachtet zu werden. Das Schloss war ihr Zuhause, selbst eine Bedienstete, die ihr nicht wohlgesinnt war, würde nicht so ein Gefühl hinterlassen. Den Kopf nach links und rechts gedreht, suchte sie genauer nach der Quelle. Leise hauchte sie den Tautropfen ihre Bitte vor, das Flüstern breitete sich über das gesamte Schloss aus, doch auch das Wasser hatte keine Antworten. Sie musste selbst nachsehen. "Könnte es vielleicht soweit sein?", von der Seite sprach Kyia. Der Bergdrache hatte seine Waffe gezückt. Sie vertraute Silas Fähigkeiten, so handhabten sie es seit Ewigkeiten, und wäre nicht die Himmelsgöttin aufgetaucht, würde Kyia noch immer an ihrer Seite stehen und die Eier beschützen. "Heute Nacht?", sagte Sila und spielte auf den Mond an. Dracheneier schlüpften nur selten an Vollmonden. Es brachte Unglück, das Mondlicht vertrug sich nicht mit der Haut der frisch Geschlüpften, nur wenige Eier überlebten die Nacht. "Ich bete zum Großen Drachen, dass dem nicht so ist", sagte Sila und hielt unter dem Rundbogen inne. "Und die Alternative?" Aber Sila hielt den rechten Arm in die Höhe. Die beiden schwiegen, Sila konzentrierte sich. Den Blick auf alle wichtigen Punkte schweifend überblickte sie das gesamte Areal. An den Höhleneingängen hatte sich nichts geändert, die Schutzzauber waren aktiv und auch die Eier gaben keinen Laut von sich. Es war still, kein Insekt hatte sich hierher verirrt, ja selbst das Wetter blieb erstaunlich friedlich. "Nichts", sagte Sila nach einer Ewigkeit. Sie wusste nicht, wieso, aber die innere Unruhe wollte einfach nicht von ihr weichen. "Ich verstehe das nicht." "Wenn das wieder eines deiner Intrigen ist, um-" "Nein", wechselte die Lóng in ihre Sprache, "warte kurz." Sila atmete tief ein, der Bach vor ihren Füßen gluckste, das Wasser rief sie - ein intimer Moment zwischen ihr und den Gezeiten. Die Ergebnisse waren unbefriedigend. "Nichts", murmelte Sila, "alles sicher." "Gehen wir." Kyia war die erste, die sich in Bewegung setzte. Den Rücken ihrer Freundin zugewandt, sah sie nicht, wie diese das Wasser des Baches aufgesogen hatte. Eine Mauer aus durchsichtiger Flüssigkeit bewegte sich in rasender Geschwindigkeit auf die Mitte des Platzes zu. "Sila, was -" Mit aufgerissenen Augen starrte Kyia auf das Wasser. Es wurde langsamer, verformte sich zur Kugel und blieb schwebend in der Luft hängen. "Wird man hier immer so freudig empfangen?", fragte eine Stimme, die ganz sicher nicht hierher gehörte. Sila verkrampfte. Hätte sie sich doch nur getäuscht! Kapitel 26: Zwischenspiel III ----------------------------- Die Wasserkugel komprimierte sich, schließlich wurde die Gestalt dahinter sichtbar - ein Mann, kaum von beachtlicher Größe oder Aussehen. Seine rechte Hand unter der Kugel bewegte sich, als knetete sie etwas. Sila wusste es ganz genau, seine Kräfte waren es, die ihre Magie gebändigt hatten. Ein schwacher Rauch und das Wasser verdampfte. Der Mann ließ die Arme sinken und lächelte die beiden Drachen an. "Verzeihen Sie mein plötzliches Eindringen, meine Damen, aber der Vordereingang war mir nicht vergönnt. Doch das wissen Sie ja bereits", er kam zwei Schritte auf sie zu. Zwei Schritte zu viel, aber die beiden Drachen ließen sich nichts anmerken. "Ein wirklich netter Schutzwall, muss ich zugeben", fuhr er fort. Sein entspanntes Auftreten ließ das Blut der Lóng kochen. "Selbst in Abwesenheit Ihres Königs eine undurchdringbare Mauer, sehr faszinierend."   Er wusste, dass der König außer Haus war. Sila hörte, wie Kyias Muskeln anspannten. Die Augen auf den Eindringling fokussiert, versuchte die Lóng mehr über den Mann zu erfahren. Dass er kein gewöhnlicher Herr war, musste kaum mehr gesagt werden. Aber etwas störte sie an ihm. Die Art seines Auftretens, sein Erscheinungsbild, sowie seine gesamte Redensweise passten nicht zueinander. Er war ein Paladin, nein, er musste ein Paladin sein, denn nur sie waren in der Lage, Magie zu wirken und eine Strecke wie die nach Dragor unbeschadet zu überstehen. Man überwand den Weg zwischen der Drachenmetropole und dem Schloss lediglich, wenn man des Fliegens mächtig war - oder auf andere heimtückische Fähigkeiten zurückgreifen konnte. Doch was machte ein einzelner Paladin in Dragor? Waren noch andere zugegen? Verbargen diese ihre Aura genauso gut wie dieser hier? Und überhaupt - ein Paladin, der weder Rüstung noch Helm trug? Was war das für ein Mann, der in einfaches Leder gekleidet war, scheinbar mit Arroganz den beiden Drachen gegenüberstand? Vielleicht ein Ablenkungsmanöver. Sila schielte zu ihrer Freundin. Der Bergdrache gab kein Zeichen des Zweifels. Dann sollte Sila auch nicht zweifeln. "Eine dumme Idee, hierher zu kommen…Paladin", sagte sie und brachte sich in Angriffsstellung." Er sollte ruhig wissen, dass er ihnen nichts vormachen konnte. "Aber, aber", hob er seine Hände und lächelte versöhnlich, "ich habe wirklich nicht die Absicht, mich mit Ihnen anzulegen. Ich bin nur hier, um Ihnen ein paar Fragen zu stellen. Wie ich hörte, wohnt seit Kurzem unter Ihnen ein Drachenmensch-" Das war Kyias Zeichen. Wie der Blitz schnellte der Bergdrache nach vorne, direkt auf den Paladin zu. Die Faust war mit der Magie des Bergdrachen getränkt, ein Stein war nichts im Vergleich zu Kyias Knochen und der Kraft, die daraus einhergingen. Mit ebendieser Kraft zielte sie auf den Paladin. "Also wirklich", er hob seinen Arm, seine Handinnenfläche entließ eine Druckwelle, der den Bergdrachen an die nächste Felswand schleuderte. Sila hielt den Atem an. Zum Glück waren nicht nur Kyias Fäuste aus Stahl. Den Rücken mit dem Drachen in sich verschmolzen, milderte dieser den Sturz ab, Kyia war bereits wieder auf den Beinen, bereit für den nächsten Angriff. "Das ist aber nicht die feine Art", stöhnte der Paladin, "aber nun gut - was soll man auch anderes erwarten, nicht wahr? Bestie bleibt eben Bestie." Sein Blick verdüsterte sich, während das Grinsen fratzenartige Züge annahm. Endlich zeigte das Monster sein wahres Ich. Von wegen friedliche Absichten! "Sila", Kyias Stimme hallte durch ihren Geist. Die Lóng verstand. Es galt jetzt, einen kühlen Kopf zu bewahren. Wenn sie sich nicht täuschte, konnte der Mann die Schallwellen der Drachen kodieren. Das bedeutete, sie hatten es mit einem starken Paladin zu tun. Nun denn; Silas Augen begannen zu glühen, sie wich zur Seite aus, Kyia stürmte von links auf ihn zu. Dabei das Schwert aus der Scheide gezogen, ließ sie ihre Drachenmagie auf die Klinge wirken. Rotbraune Streifen umwickelten die scharfe Seite, mit voller Stärke holte Kyia aus. Das Schwert traf auf widerspenstiges Metall. Der Paladin hatte ebenfalls ein Schwert gezückt und parierte die Schläge des Bergdrachen allesamt. "Ein Bergdrache und eine Lóng", sagte der Paladin, während er sich dem Schutz der nächsten Lücke bediente und einige Meter Abstand zwischen sie beide brachte. "Wie überaus lästig", er fuchtelte mit den Armen und schlug einen Eispflock nach dem nächsten weg. Aber Kyia ließ ihm keine Pausen. Ein Schlag von oben, die Erde erzitterte und der Paladin verschwand unter dem Krater und einer ein Meter hohen Staubschicht. "Netter Versuch", hallte es von oben. Kyia schnellte den Kopf in die Richtung. "Kyia, ein Hinterhalt", schrie Silla, doch zu spät. Arme packten sie an den Füßen. Es waren dutzende Hände, die aus der Erde emporragten. Ein Erdzauber, dachte Sila und ließ die Blicke zu den Dracheneier wandern, während Kyia eine Hand nach der anderen weg stieß. Sila konnte nicht länger ihre ganze Aufmerksamkeit Kyia widmen, sie musste sicher gehen, dass den Eiern nichts passierte. Auch wenn der Paladin sie nicht sehen konnte, waren sie nahe genug an der Magie, um Schaden nehmen zu können. "Vergiss' es, Drache!" Sila drehte sich um, ein Angriff von hinten! Eine zweite Druckwelle beförderte den Bergdrachen direkt neben ihre Freundin. Kyia stöhnte auf. "Bist du verletzt?", flüsterte Sila ihrer Freundin zu. "Wir haben nicht die Zeit", fauchte Kyia und sie verstand sofort. "Du verdammter-", knurrte Sila. Ihr Herz raste, sie spürte das Adrenalin durch ihren Körper fließen. Erst strömte die Magie über ihre Augen. Die Lòng war an der Reihe. Die Attacken des Paladins waren großflächig und Kyias Kräfte zu impulsiv, als dass die Schlucht keinen Schaden davon nehmen würde. "Niemand kommt ungestraft in unser Territorium!", rief sie. Wasser formierte sich in ihren Händen. Mehrere Wellen peitschten in alle Richtungen, die Hände spülte es aus dem Boden. Jetzt rannte Sila los, auf den Paladin, dessen hinterhältiges Versteck sie aufgespürt hatte. Der Felsen zu ihrer Linken, am dritten Vorsprung, dort hatte sich diese Kröte versteckt. Die Lóng rief weitere Schichten Wasser herbei, wie Stufen ebneten sie Sila den Weg nach oben. Sie sprang, ihre Bewegungen wurden eins mit dem Wasser in ihren Händen. "Du bist nicht der einzige, der Spielchen spielen kann, Paladin!" Ihr Körper kühlte aus - in unmenschlicher Geschwindigkeit war sie weit unter dem Gefrierpunkt. Sila atmete aus, formte ihren Atem nach ihrem Willen, so wie es seit Generationen den Lóng weitergegeben wurde. Ein Speer legte sich auf ihre Handinnenfläche, aus Trockeneis geboren, könnte dieser tödlich für denjenigen enden, der seine Spitze berührte. Die Wirkung hielt nicht lange, aber Sila verschwendete keine Zeit, holte aus und schlug mit voller Wucht zu. Eis traf auf Fleisch, die Spitze hatte den Arm erwischt. Tief versenkte sie die Waffe in seinen Körper. Das Knacken von Knochen und der Arm wurde abgetrennt. Blut spritzte ihr ins Gesicht. Der Paladin lachte. Laut, schallend, dass es in sämtliche Nervenbahnen eindrang und Sila irritiert zurückließ. Er riss die Augen auf. "Zu spät, Wasserdrache!" Ein Klirren, Sila wandte sich der Quelle zu, als ihr Gesicht inmitten der Bewegung verharrte. Schließlich wurde ihr Kopf herumgerissen, sie starrte Kyia direkt in ihr entsetztes Gesicht. "Nein", schrie der Bergdrache, doch Kyia war zu weit weg. Sila sah nur noch, wie ihre Freundin ihr Schwert mit beiden Händen packte. "Kyia", stöhnte die Lóng. Die Luft wurde dünn, der Druck an ihrem Hals war unerträglich. "Nicht bewegen, kleine Bestie", säuselte der Paladin in ihr Ohr. Sila knirschte mit den Zähnen, bewegte sich aber nicht. Verdammt, was war nur los? "Eine Schönheit wie du", sagte er und packte sein Schwert ein. Es schien, als interessierte ihn nicht, dass der Bergdrache einen nächsten Angriff vorbereitete. "Ein richtiges Schmuckstück", sagte er weiter und zog den Eiszapfen aus ihrem Haar, "und dazu noch so selten. So eine wie du passt gut in meine Sammlung." "Niemals", knurrte Sila. "Du hast es scheinbar noch nicht begriffen, Drache, aber du gehörst bereits mir." Sila stockte der Atem. Der Paladin hob seine Hand, zwei dicke Ketten aus Stahl hatten sich um sein Handgelenk gewickelt. Der Druck an ihrem Hals wurde stärker, sie fasste nach ihrem Nacken - kalt und fest hatte sich das Halsband wie ein Strick um ihren Hals gewickelt. Man hatte sie ausgetrickst! "Und jetzt", lachte er und zog an dem Stahl, dass Sila herumwirbelte und direkt auf Kyia zu sprang. "Halt mir dieses lästige Weib vom Leib!", der Befehl hallte durch Sila durch. Der Drache in ihr rebellierte, ihr Hals wurde warm, sie spürte das Halsband, die Knechtschaft, von der sie nur aus Erzählungen wusste. Ein Stromschlag folgte und Silas Körper bewegte sich von allein. Sie streckte den Arm aus, eine Ladung Wasser drängte den Bergdrachen zurück an die Wand. "Es tut mir leid", rief Sila, obwohl sie sich gerade selbst nicht verzeihen konnte. Langsam stützte sich Kyia am Felsen ab. "Weiter!", befahl der Paladin und Sila ballte die Hände zur Faust. Sie wollte das nicht, nein, ihr Innerstes schmerzte, ihr Herz verkrampfte, aber sie hatte keine Kontrolle über sich. Die Kräfte strömten aus der Lóng, direkt auf Kyia zu. Diese wollte ausweichen, aber Sila kannte ihre Freundin. Sie sammelte die Magie in ihren Augen, das Leuchten erhellte die Felsen und mit zusammengepressten Lippen entließ sie ihre Kräfte. Kyia erstarrte. Den Mund aufgerissen, rang diese nach Luft, aber das Wasser schnürte ihr die Kehle zu. Tropfen für Tropfen sickerte aus ihrem Mund. Bergdrachen bestanden aus sechzig Prozent Wasser. Genug, um Kyia außer Gefecht zu setzen. Wie lange sie gegen den Druck ankam, wusste Sila nicht. Sie hoffte, dass es lange genug ausreichte. Hilfe sollte unterwegs sein. Im letzten Moment hatte Sila ihre Aura auf das gesamte Areal verteilt. Wenn der König bereits in der Nähe war oder wenigstens die Streitkräfte um Dragor ihr Signal erkannten… "Nun zu dir, meine Hübsche", schnurrte der Paladin. "Was willst du?" Aber der Paladin zog an den Ketten, dass Sila auf den Boden geschleudert wurde. Der Aufprall schürfte ihre Knien auf, das Gewand riss und eine Blutspur zog sich über die Erde. "Ich hatte nur ein paar Fragen", sagte der Mann, sprang vom Felsvorsprung und landete vor Silas Gesicht. Dort, wo sein abgetrennter Arm gewesen war, tropfte weiterhin das Blut, ein normaler Mensch wäre längst verblutet und auch ein gewöhnlicher Paladin sollte sich doch langsam mal heilen müssen. Welchen dreckigen Zauber hatten sich diese Scheusale diesmal ausgedacht? "Ihr wolltet einfach nicht hören." Er schüttelte den Kopf. "Damit kommst du nicht durch", Sila versuchte sich aufzurichten. Die Stiefel des Paladins traten Sila in die Seite, die Lóng krümmte sich, ein weiterer Tritt auf ihre rechte Hand folgte. Sila fauchte, damit sie nicht vor Schmerz heulte. "Du weißt scheinbar nicht, wo dein Platz ist", knurrte der Paladin. Er sah auf Sila herab, sie spürte seinen Hass, die Überlegenheit in seinen Augen und die unkontrollierte Wut in ihm. Diese war jedoch nichts im Vergleich zu ihrem eigenen Zorn. "Solange ich nicht das bekomme, weshalb ich hier bin, werde ich auf andere Weise auf meine Kosten kommen. Und ich bin noch lange nicht zufrieden." Er lächelte schief. "Also, Schätzchen", er schwenkte seinen einzigen Arm, dass die Ketten straffer wurden und Sila zurück auf die Füße stellte. "Fangen wir mit deinem kleinen Geheimnis an." Er zog noch einmal kräftig, dass Silas Gesicht auf die Felswand zu ihrer linken gerichtet war. Das Schimmern war nur für diejenigen sichtbar, welche die Schutzmauern errichtet hatten. Das Glühen der Eier spürte Sila bis hierher, die Ungeborenen nahmen die Veränderungen wahr - ein sensibler Moment für die Nachkommen. "Denkst du, ich weiß nicht, was das für ein Ort ist?", der Paladin legte eine Hand auf ihre Schulter. Sie wollte sich davon befreien, aber sie war wie festgewachsen. Ihre Gedanken galten den Eiern. Ihre Angst wuchs mit jedem Augenschlag, der sie weiter zur Erkenntnis brachte. "Weißt du, euer König hat mir über hundert Drachen weggenommen. Da ist es doch nur fair, wenn ich dasselbe mit euch mache." Fingernägel krallten sich in ihre Schultern. Es brannte, mit jedem Zentimeter, den er tiefer in ihr Fleisch eindrang. "Lös' die Schutzzauber auf!" "Nein!" "Das war keine Frage", knurrte der Paladin. Egal, was sie machte, Sila war nicht fähig, seinem Willen zu widerstehen. Tränen liefen aus ihren Augen, als diese ein weiteres Mal zu glühen anfingen und die Schutzmagie aufhoben, die diesen Ort umgab. Selbst die Mauern der anderen Weibchen zerfielen durch die Macht der gebürtigen Lóng. Die Höhleneingänge begannen erst matt zu schimmern, ehe die Eier ihre wahre Gestalt offenbarten. Es leuchtete in allen Regenbogenfarben, das Spektakel war nur denjenigen vergönnt, die ihre Eier das erste Mal schlüpfen sehen sollten, und nicht einem Paladin, der auf Rache aus war. Der einzigartige Moment war den Weibchen genommen - ein Anfang des wahren Grauens, das folgen sollte und Sila musste es mit eigenen Augen sehen. "Sehr gut", lobte der Paladin und verhöhnte damit alles, was Sila sich die Jahre aufgebaut hatte. Das Vertrauen, die Mühen, die Verhandlungen und das viele Durchsetzen. Sie biss sich auf die Unterlippe. Sie schmeckte die salzigen Tränen, die sie nicht aufhalten konnte. "So ist's brav", lächelte der Paladin und ließ von ihr. Sein Blick ruhte auf den unzähligen Eiern. Zerbrechliche Geschöpfe, aufgewachsen in einer einzigartigen Schale, die bald aufbrechen sollte. Sila wusste, wie versessen manche Paladine nach ihnen waren. Die Drachenjäger hatten viele abartige Artgenossen hervorgebracht - Reiter, Diebe und Schlächter. Die kostbaren Schalen, die schwerer als Gold aufwogen, waren für Drachenjäger eine besondere Herausforderung. Es gab so viele verschiedene und die seltensten und kostbarsten Eier waren hier versammelt. "Das sind wirklich hübsche Eier", er stemmte die Hände in die Hüften, Sila sah den Soll seiner Arbeit in seinen Augen aufblitzen. Wie viel ihm der Großmeister für ein paar Volan- und Lóngeier zahlen würde? "Und diese da-" ohne hinzusehen, wusste Sila, dass er auf ihre zeigte. Die Perlmuttfarbenen, die im Mondlicht in einem zarten Blauton schimmerten. Sie lagen ganz außen, im Schutz der Höhle - der einzig verbliebenen Mauer. Schwach und ausgeliefert. "Töte sie!" Kapitel 27: Izara ----------------- "Was war das?" Das Geräusch ließ Izara und ihre Bedienstete gleichzeitig aufschauen. Die beiden Weibchen hatten die letzten Möbel verschoben, Izara hatte das Gefühl, dass eine Veränderung nötig wäre und hatte zusammen mit Linnora begonnen, das Zimmer umzuräumen. "Scheint, als käme es von draußen", sagte Izara und drehte ihren Kopf Richtung Fenster. "Um die Zeit?", entgegnete Linnora, "selbst wenn der König zurückgekehrt wäre, würde niemand so einen Lärm veranstalten." Ach ja, der König. Izara hatte nicht daran denken wollen, dass er wohl bald von seinem [style type="italic"]Ausflug[/style] zurückkehren würde. Auch wenn er sie wieder einmal mitten auf der Rückreise allein gelassen hatte, war sie dieses Mal froh gewesen, die Ereignisse auf Whalla fürs erste beiseite schieben zu können. "Wenn ich es nicht besser wüsste", sagte Izara und verdrängte die aufkommende Aufregung, "würde ich sagen, jemand hat ein Schwein geschlachtet." Die Stirn in Furchen geschlagen, richtete sich Linnora auf, straffte das Gewand und ging auf das Fenster zu. Einmal kräftig an den Gardinen gezogen, war der Blick auf den Nachthimmel frei. Auch Izara war aufgestanden, direkt neben Linnora blieb sie stehen und sah hinaus ins Freie. Die Nacht war sternenklar, kein Lüftchen wehte und Izara wollte sich schon wieder wegdrehen, wenn da nicht dieser seltsame Druck auf ihrer Brust wäre. Es war, als ob etwas durch ihre Sinne hindurch gerauscht wäre, sie spürte, dass da draußen etwas war, das sie rief. Die Dienerin starrte ebenfalls aus dem Fenster, als könnte sie zwischen der Dunkelheit und all den vielen schwarzen Flecken etwas ausmachen. In ihren Augen passierten eine Reihe von Emotionen, Izara kannte den Blick nur zu gut und sie stellte sich bereits auf eine unangenehme Nachricht ein. Langsam drehte sie sich zu Izara. "Was ist los?", Izara spürte, wie Angst in ihr hoch kroch. Irgendwas stimmt nicht, aber Linnora schüttelte geistesabwesend den. "Es ist alles in Ordnung", sagte sie. Ihr Ton verriet, dass das Gegenteil der Fall war. Izara war zu gut darin, selbst die Sorglose zu spielen, dass sie Linnoras schlechtes Schauspiel schnell durchschaute. "Macht Euch keine Gedanken, Prinzessin, hier kann Euch nichts passieren." "Linnora", Izara fasste die Dienerin an die Schultern. Linnora lächelte gequält. "Das macht es nicht besser, Linnora. Du hast es doch auch gespürt, oder?" Aber Linnora widmete sich wieder ihrer Arbeit. Die Vorhänge zugezogen schritt sie auf die Kleiderkiste zu. "Du weißt, was es ist, nicht wahr? Bitte, sag's es mir", Izara folgte der Dienerin, die durch das gesamte Zimmer lief und die Dreckwäsche einsammelte als wäre sie von einer Biene gestochen worden. "Prinzessin, ich -", Linnora nahm die Tücher von der Kommode. "Linnora!" Jetzt reichte es. Izara entriss ihr den Samtgürtel und starrte sie wütend an. "Was verheimlichst du mir? Ich habe das Gefühl, gerufen zu werden, aber ich weiß einfach nicht, warum." "Das spürt Ihr?", hauchte Linnora und senkte den Blick, "es ist ein Drachenzeichen, glaube ich. Eine Aura. Und sie kommt von der verehrten Lóng Sila." "Das ist Silas Aura?" Nicht, dass Izara eine Ahnung hätte, wie eine Aura überhaupt auszusehen hatte, doch dieses Gefühl des Überranntwerdens war eindeutig echt. "Ja, Prinzessin", bestätigte Linnora, "solange ich hier arbeite, ist es bisher nur einmal vorbeikommen." "Wann war das?" Linnora zögerte und mit einem knurrenden Laut stampfte Izara an der Dienerin vorbei. "Was habt Ihr vor?" "Wenn du es mir nicht sagen willst", entgegnete Izara und steuerte die Tür an, "dann muss ich wohl jemanden suchen, der es mir verrät." Kyia, dachte Izara und riss die Klinke herunter. Der Bergdrache war der einzige, der sie nicht mit Samthandschuhen anfasste. Sie stieß die Tür auf und wäre beinahe rückwärts auf ihren Hintern geplumpst. Die Hellebarde der Wache war wie eine Guillotine nach unten gerauscht und versperrte nun den Eingang zu ihrem Gemach. Oder versperrte sie für Izara den Ausgang? "Was ist hier los?" Izara wandte sich an die männliche Wache. Der Soldat war ein Blitzdrache, niemand mit dem sie bisher groß zu tun gehabt hatte. Aber der große Drache nahm seine Rolle mindestens so ernst wie Kyia, die grünen Augen waren eiskalt und berechnend. "Alles in Ordnung, Prinzessin. Geht zurück in Euer Zimmer." Hielt sie hier jedermann für ein dummes, naives Mädchen? Izara stemmte die Hände in die Hüften. "Wo ist Kyia?" "Kyia ist zurzeit verhindert. Ich bitte Euch, Prinzessin, heute Nacht nicht mehr Eure Gemächer zu verlassen." "Ich dachte, es sei alles in Ordnung." "Für Eure Sicherheit ist gesorgt, ich habe lediglich die strikte Anweisung erhalten, Euch nicht mehr hinaus zu lassen. Das ist eine reine Routinemaßnahme." "Ihr sperrt mich ein?!", Izara riss die Augen auf, "wenn Kyia in Gefahr ist-" "Macht Euch keinen Gedanken, Prinzessin." "Das ist nicht Ihr Ernst!", fuhr sie ihn an. Die Wache verzog keine Miene, und Izara schaffte es gerade so, nichts Unangemessenes zu sagen. Stattdessen knallte sie die Tür zu und sandte Todesblicke an das dunkle Holz. "Das kann nicht wahr sein", murmelte sie leise vor sich hin, während ihr Innerstes derart unruhig wurde, dass sie ihren eigenen Herzschlag hörte. "Wenn Kyia bei der ehrenwerten Sila ist, müsst Ihr Euch nicht Sorgen, Prinzessin", vorsichtig trat Linnora näher an sie heran. "Und was, wenn nicht?", fauchte Izara. Dass alle so taten, als wäre »alles in Ordnung« machte sie wütend. Sollte Izara einfach hier sitzen und warten, bis alles vorbei wäre? Egal, was dort draußen vor sich ging, wenn ein Drache wie Sila eine derart intensive Aura freiließ, konnte das nichts Gutes heißen. "Bitte, Prinzessin", Linnora klang richtig verzweifelt. Wie viel Izara allein durch ihren Gesichtsausdruck preisgab, wollte sie sich gar nicht vorstellen. In ihr tobte ein Sturm, sie kämpfte mit sich und ihren Gefühlen und hätte am liebsten die Wache mit einem Wutausbruch überrollt. Ihr Instinkt sagte ihr, sie sollte gehen, nachsehen, was vor sich ging. "Du hast recht, Linnora", seufzte Izara. Sie ließ sich aufs Bett fallen, das die beiden gerade erst in Richtung Raummitte verrückt hatten. "Ich kann eh nichts tun, richtig? Und am Ende ist es gar nicht so schlimm", sie lächelte schwach, "ich brauche einfach ein wenig Ruhe." "Ihr habt Euch heute überanstrengt", nickte Linnora, sichtlich froh, dass ihre Prinzessin so einsichtig war. "Etwas Schlaf kann nicht schaden." "Ein gute Idee, Prinzessin", lächelte Linnora. Sie sammelte noch die letzten Kleidungsstücke auf, dann wünschte sie Izara eine gute Nacht. Kapitel 28: Izara ----------------- "Von wegen", murmelte Izara, als die Tür ins Schloss gefallen war. Vom Bett aufgesprungen, schlidderte sie zum Fenster. Sie riss die Gardinen zur Seite, der Mond schien jetzt direkt über ihr, das Licht war grell und Izara konnte nicht direkt hineinsehen, ohne von seinem Schein geblendet zu werden. "Wieso?", hauchte Izara, Melancholie erfasste sie, bevor sie daran erinnert wurde, was sie eigentlich vorhatte. Sie riss die Fenster auf, eine angenehme Abendluft blies ihr ins Gesicht, doch Izara lief ein Schauer über den Rücken. Sie hörte erneut einen Knall, und weitere Geräusche, die sich nicht zuordnen ließen, aber sicher nichts Gutes verheißen konnten. Ihr war mulmig zumute, sie wusste nicht, ob sie wirklich herausfinden wollte, was das für Geräusche waren. Das einzige, das sie wusste, war, dass sie keine andere Wahl hatte. Die Instinkte trieben sie geradezu an, aus dem Fenster zu klettern. Sie drehte sich und blickte auf eine Steinwand, die darauf wartete, von ihr erklimmt zu werden. Izara verzog das Gesicht. Laut ihren Freunden hatten Drachen nach ihrer Erweckung deutlich gelenkigere Arme und Beine. Es sollte doch ein Leichtes sein, die Wand hinauf zu klettern und in die Gärten zu gelangen. Die zwanzig Meter hohe Wand war aber alles andere als ein mickriger alter Baum. Vielleicht sollte sie doch lieber warten, bis Kyia zurück war. "Nein", rief eine Stimme in ihrem Innersten. Sie war sich nicht sicher, aber womöglich sprach der Drache zu ihr und wenn sie wieder damit anfinge, ihn zu ignorieren, würde sie sich eines Tages nicht verzeihen können, gezweifelt zu haben. "Also gut", sagte sie sich. Izara war nicht gut, sich selbst Mut zuzusprechen. Darum fackelte sie auch nicht lange herum und suchte eine gute Position, sich hinauf ziehen zu können. Zum Glück sah niemand, wie Izara die Steinwand erklomm. Als Kind war sie gerne auf Bäume geklettert, sie hatte sich auch für gelenkig und sportlich gehalten, aber die Wände des Drachenschlosses sagten etwas anderes. Das hier war eben keine Eiche oder Birke, es war verdammt nochmal ein Felsen und der hatte es mir seinen unzähligen Einkerbungen und losen Steinen ganz schön in sich. Flüchtig sah sie hinunter. Die Tiefe war nicht das Problem. Izara atmete tief durch. Sie war doch ein Drache, da dürfte es wohl ein Leichtes sein, eine Schlosswand hinauf zu klettern, ohne sich ein Bein zu brechen! Ein Stück Gestein bröckelte vor ihrer Nase. Es juckte fürchterlich, sie hielt die ganze Zeit die Luft an, um auch ja nicht niesen zu müssen. Noch ein letztes Stück und es war geschafft. Ein Beben ließ sie innehalten. Ihre Hände wurden rutschig, sie presste sich an die Wand und wartete, bis es vorbei war. Allmählich drangen nicht nur Laute zu ihr durch. Izara hörte Stimmen… oder Schreie, sie war sich nicht sicher. Explosionen und andere beunruhigende Laute überlappten sich, Izara spürte einzig, wie es ihre Brust zuschnürte. Der Druck war gewaltig, und sie nutzte ihn, um die letzten Meter zu überwinden. Auf der anderen Seite blickte sie in den Schlossgarten. Sie kam der Quelle näher, aber am Ziel war sie noch nicht. Also kletterte sie erst einmal herunter, die ersten Meter rutschte sie mehr oder weniger elegant an einer Wurzel entlang. Der Schlossgarten beherbergte viele seltene und exotische Pflanzen, überall schlängelten sich Blätter und Ranken um die Steinmauern. Die letzten Meter entschied Izara, abzukürzen. Sie gab sich einen Ruck und sprang. Der Sprung war weit weniger königlich, wie sie es sich vorgestellt hatte. Izara kam ins Straucheln und musste sich letztendlich mit den Händen abstützen, um nicht mit dem Gesicht in der Erde zu landen. Sporadisch klopfte sie sich den Dreck von den Sachen, dann lief sie weiter. Das mit der Landung sollte sie definitiv noch einmal üben! Seltsamerweise war am Schlossgarten keine weitere Wache postiert, und auch im Flur, direkt am Eingang, war niemand vorzufinden. Für so viel Lärm war hier überhaupt nichts los. Hatte sie sich vielleicht umsonst Sorgen gemacht? Den ersten Soldaten entdeckte Izara auf der anderen Seite des Flures. Und er war nicht allein. Zu mehreren standen sie dort, wo der Gang in Izaras Zimmer führte. Sie musste also nur noch die andere Richtung einschlagen. Dort gab es nicht viel, bloß die anderen Gärten und die Schlucht. "Die Schlucht…" Izara rannte los. Ihr würde sowieso niemand über den Weg laufen und selbst wenn, Izara wäre nicht aufzuhalten gewesen. Die Geräusche kamen immer näher, Izara war nur noch ein Stück von ihrem Ziel entfernt. Ein weiterer Knall brachte die Kronleuchter über sie zum Wackeln. "Du hast keine Chance", hörte sie jemanden schreien. Ihr Herz zog sich zusammen. Sie kannte die Stimme. Aber woher nur? "Nein", schrie und heulte eine zweite Stimme - lang und gequält. "Sila-", Izara stürmte auf den Rundbogen zu. Sie glaubte nicht, was sie in der Schlucht sah. Die Eier, sie waren alle offengelegt. Die Brutstätte war ein einziges Schlachtfeld, riesige Steine lagen verstreut, es roch schweflig und metallisch - unheimlich vertraut. Ein Schrei schallte durch die Schlucht, Izara spürte ihn überall. Sie wirbelte herum, sah das Ausmaß der Verwüstungen. Es war nur ein kleiner Teil dessen, was hier wirklich vor sich ging. "Kyia", hauchte Izara. Ihre Leibwächterin war in die Ecke gedrängt, sie fasste sich an den Hals und würgte gequält, die Augen waren nur noch kleine Schlitze, aus denen eine Träne heraus gepresst wurde. Izara wollte losstürmen, sie musste doch irgendetwas tun. Als das Geräusch von Ketten ertönte, hielt Izara inmitten der Bewegung inne. Das waren die Geräusche, die ihr das Herz zusammengeschnürt hatten. Starr blickte sie zu den langen Stahlketten, die seine Beute fest im Griff hatten. Sila. Die Lóng war mit dem Halsband gezeichnet. Direkt dahinter stand ihr Gebieter. Ein schmächtiger Mann, den Izara nie für einen Paladin gehalten hätte. "Immer noch so stur", knirschte der Mann mit den Zähnen, zog an den Ketten, dass Sila die Luft abgedrückt wurde. Diese Stimme, Izara schüttelte den Kopf. Sie kannte diese Stimme, aber…dieser Mann…wer war er? "Muss ich dir erst wieder Manieren beibringen?!", brüllte er, dass die Ketten vibrierten und ein rotes Leuchten umgaben, das Izara nur allzu gut kannte. Sila schrie auf, sie schüttelte den Kopf, während ihre Arme zwei spitze Eispflöcke erschufen. "Nein", wimmerte die Lóng. Noch nie hatte Izara so viel Verzweiflung gespürt. Silas Tränen wurden vom Mond beschienen. Ein Anblick, der die Schönheit der Nacht einfangen sollte, doch stattdessen glühte ihr Gesicht von heftigen Emotionen erdrückt. Mit aller Macht versuchte sie, ihrem Willen Herr zu werden. Izara wusste, welche Schmerzen Sila erdulden musste. Selbst diejenigen, die sich widerstandslos ergaben, spürten die Ketten an ihrem Hals, die Schmerzen, die daran erinnern sollten, dass sie keinen eigenen Willen besaßen. Izaras Welt begann sich zu drehen. Sie verstand nicht, was das alles sollte, warum das passierte. Warum die Vergangenheit an ihre Tür klopfte. Sie waren doch im Palast, sicher vor den Paladinen. "Du dreckiges Mistvieh! Gehorche", der Befehl hallte in Izaras Ohren. Sie fand zurück in die Gegenwart, konzentrierte sich darauf, was vor ihr geschah. Sila brachte sich in Position. Die Erkenntnis traf Izara wie ein Schlag. Sie konnte nicht mehr denken, sie reagierte nur noch; von einem unbekannten Instinkt geleitet. Silas Hände zitterten, sie packte die Eispflöcke, stülpte sie über ihren Kopf. Nein! Sie zielte auf die Eier, zwei goldene, vom Mondschein beleuchtete Eier. Die Wesen darin hatten keine Chance gegen einen Angriff dieser Größe. "Nicht!", schrie Izara. Das Bild König Juras', sein Blick, der Schmerz, weil er sein Volk nicht beschützen konnte - es war so klar. Izara packte sich einen Stein und warf ihn in Silas Richtung. Kapitel 29: Izara ----------------- Alle Augen waren auf sie gerichtet, als Izara auf die Eier zurannte, ausrutschte und direkt vor dem Höhleneingang zum Stehen kam. "Sieh mal einer an", grinste sie der Fremde von Weitem an, "da ist ja noch eine." "Versch-", das war Kyia, der Bergdrache hatte nicht die Kraft zu sprechen. Wasser kam aus ihrer Lunge, ihr Blick war genauso voller Panik wie der ihrer Freundin. "Geh!", kreischte nun auch Sila, mehr Drache als Mensch. Die Augen, Tränen verschmiert, starrten zu Izara herüber. Beide Weibchen sahen einander tief in die Augen. So viel Abscheu Sila gegenüber Izara auch empfand, gerade galt ihr Hass nur sich selbst. "Ich kann nicht", sagte Izara, den Blicken der Lóng standhaltend, "du willst das doch gar nicht." "Ha, du dummes Ding", lachte der Paladin und stellte sich demonstrativ hinter Sila. "Scheinbar hat man euch Drachen ganz schön verweichlicht. Dass ihr es wagt, mir ohne weiteres in die Quere zu kommen", er wickelte die Ketten um sein Handgelenk. Der zweite Arm fehlte ihm, ein befremdlicher Anblick, da noch Blut aus dem abgerissenen Ärmel tropfte. In Kandio hätte es so etwas nicht gegeben... Izara riss die Augen auf. "Bürgermeister", sie sah zu dem Fremden. Sein Gesicht hatte überhaupt keine Ähnlichkeit zu Flatsch. Der Bürgermeister war ein grauhaariger älterer Mann mit Bart und zwei buschigen Augenbrauen, die in die Höhe schnellten, wenn ihm etwas nicht passte. Aber die Stimme - sie gehörte eindeutig dem Bürgermeister von Kandio. "Oh, du weißt, wer ich bin." Zumindest sein Lächeln war gleich. "Dann bist du wohl der Drachenmensch." Er erkannte sie nicht. Natürlich nicht. Das letzte Mal, dass er zusammen mit Izara auf dem Marktplatz gestanden hatte, war vor zehn Jahren gewesen, am Tag, als ihre Mutter sich erhängt hatte. An kleine, weinende Mädchen erinnerte sich niemand, schon gar kein so wichtiger Mann wie Flatsch. "Und ich dachte schon, die Mühen seien vergeblich", sagte er und musterte Izara amüsiert. "Lassen Sie sie in Ruhe!", rief Izara. Sie durfte sich nicht von seinem Erscheinungsbild täuschen lassen. Das war eindeutig Flatsch - ein gnadenloser Paladin. "Ha", laut lachte er auf, die Überheblichkeit triefte nur so aus ihm. "Hast du deinen Platz vergessen, Drache? Glaubst du, ich lasse mir von dir etwas sagen?" "Verschwinde endlich", kreischte Sila, mit feuerroten Wangen und blutunterlaufenen Augen. "Ich kann nicht", rief Izara und krabbelte zu den Eiern. Sie hockte sich vor die zerbrechlichen Schalen. Die Arme weit ausgebreitet sah sie zu der Lóng, die sich auf die Unterlippe biss. "Ein wirklich schöner Anblick", Flatsch zeigte seine Zähne, "ich frage mich, wer von euch beiden zuerst auf die Knie geht." Damit gab er Sila den Befehl zum Angriff. "Weg!", schrie sie, aber Izara hörte nicht. Die Lóng holte aus, die Hand schlug Izara mitten ins Gesicht. Kalt und hart waren die Schläge, gestärkt durch erbarmungslose Eismagie. Sila holte ein zweites Mal aus. Diesmal traf sie die andere Wange, Izara wurde zur Seite geschleudert und klatschte mit dem Gesicht auf den Kiesboden. Als würden ihre Wangen nicht vor Schmerz pulsieren, verlor Izara keine Zeit, sie rappelte sich hoch, stolperte zurück zum Höhleneingang, um dort die Eier wiederzufinden. Nichts war ihr wichtiger als diese feinen Schalen aufrecht zu erhalten. Es war so selbstverständlich wie das Atmen. "Du musst das nicht tun!", Izara wusste, wie naiv es war zu glauben, dem Schicksal der Ketten entrinnen zu können. Aber sie musste es sagen - für sie beide. Sila biss indes ihre Lippen blutig, sie schniefte und ließ die Rotze über ihren Mund fließen. "Weiter!" Sie holte mit dem Fuß aus, Izara riss die Arme nach vorne und krallte sich die Eier. Der Fuß landete auf Izaras Kopf, zwei Tritte trafen mit voller Härte Stirn und Schläfe. Während die Prozedur pausenlos fortgeführt wurde, bewegte sich Izara keinen Zentimeter aus ihrer kauernden Stellung. Die Eier fest an ihre Brust gedrückt, spürte sie die Herzschläge der Ungeborenen. Izaras eigenes Herz verkrampfte sich. Da war Leben in ihren Händen. Die Eier waren hilflos, unschuldige Geschöpfe, die auf den Schutz der anderen angewiesen waren, und in diesem Augenblick war Izara die einzige, die ihr Schicksal abwehren konnte. Sie kniff die Augen zusammen, Tränen stiegen auf. Nein! Sie durfte nicht weinen. Durfte sich nicht der Verzweiflung hingeben. Nicht solange sie die Wärme innerhalb der Schale spürte, die pulsierenden Schläge oder das leise Surren in ihnen. "Erledige endlich dieses Weib!" Eine Welle drückte Izara an die Wand, Wasser kam in die Lungen, sie hustete und würgte, doch die Eier blieben in ihren Händen. "I-ich lass nicht los", keuchte Izara. Das Wasser verdunstete, und Izara sackte zusammen. "Das verspreche ich dir!" "Wie rührselig", rief der Paladin gelangweilt, "scheinbar sind die Weibchen des Königs nichts weiter als kleine, schwache Geschöpfe, die bloß noch ihren Schoß hinhalten können." Er machte eine wegwerfende Handbewegung. "Zeit, diese Peinlichkeit ein für allemal zu beenden." "Passt auf!", röchelte Kyia. Der Boden wackelte. Zuerst kamen die Hände, bröckelige, faule Hände. Von überall krochen sie hervor - es waren leblose Gestalten, aus Lehm geformt und ihrem Schöpfer treu ergeben. "Vorsicht", das war wieder Kyia. Izara wollte sich zu ihrer Leibwächterin umdrehen. Eine Hand zerrte an ihrem Oberarm, dass sie mit den Beinen in der Luft strampelte. "Verschwinde", rief Izara. Panisch trat sie in die Luft, die Gestalten waren robust, zumindest was ihre Körper anbelangte, waren sie mit einfachen Tritten nicht zu besiegen. Von Weitem hörte sie das Lachen des Bürgermeisters. "Um dich kümmere ich mich gleich", sagte Flatsch, bevor er sich den Eiern zuwandte. "Nein!" Izara wollte es nicht wahrhaben. So leicht durfte sie es ihm nicht machen. "Ihr müsst es rauslassen, Prinzessin." Kyia hatte recht. Sie musste es rauslassen. All ihren Ärger, ihre Verzweiflung musste sie verwandeln. Was nützte es, dass sie eine Himmelsgöttin war, wenn sie nicht ihre Kräfte beschwören konnte? König Devon hatte sogar die Halsbänder zerstören können - allein wegen des Himmelsblutes. Izara riss die Augen auf. Natürlich…der Wille des Himmelsdrachen… Sie sah zu Flatsch. "NIEMAND RÜHRT DIE EIER AN!" Dann ließ sie einfach los. Die Emotionen verschwanden, Gefühle waren bedeutungslos. Da gab es nur sie und ihre Kräfte. Das Licht drang in einer einzigen Explosion aus ihrem Innersten. "Unmöglich!", hörte sie irgendwo den Paladin rufen. Doch es war ihr gleich, sie hatte einen Aufgabe, ein Ziel und mit geballten Fäusten stieß sie das Licht von sich. In wellenartigen Schüben verbreitete es sich, schleuderte die Leblosen von den Eiern weg. Die Kreatur ließ von ihr, und Izara richtete sich auf, die Eier fest um ihren rechten Arm geschlungen. Mit glühenden Augen sah sie zu ihrem Feind herüber, der die Ketten enger um sein Handgelenk gewickelt hatte. "Himmelsblut", zischte er. Sein Lächeln war falsch. "Ein Mensch mit dieser Kraft - das kannst du nicht überleben." "Wollen wir doch mal sehen", fauchte sie zurück. Das Licht trieb Izara an, in einem Tempo, bei dem niemand mitkam, stürmte sie auf den Paladin zu. Flatsch bewegte die Ketten. "Feigling", Izara packte sich ebenfalls die Ketten, "ich sagte, Sie sollen sie in Ruhe lassen!" Etwas Metallisches tropfte auf ihre Lippen. Izara ignorierte es, sie biss die Zähne zusammen, zog entgegen aller Stromschläge, die er ihr entgegen schlug. "Du kannst die Ketten nicht zerstören", rief der Paladin. "Doch", knirschte Izara und starrte zu der Lóng, die sie mit großen Augen anvisierte. "Sie sind nicht Ihr Herr", Izara hatte es verstanden. Die Kraft der Ketten waren so mächtig, weil sie den Drachen dominierten. Aber nur ein Drache auf dieser Welt dominierte sie alle. Das war das Geheimnis des Himmelsdrachen - seine wahre Macht. "Sila", sagte Izara und zog so sehr sie konnte, "gehört zu mir!" Ihr Licht erhellte die Nacht, stieg aus der Schlucht empor und breitete sich auf dem gesamten Schlossgelände aus. Der Mond schwebte wie eine falsche Sonne über ihnen. Die Kraft, die durch ihre Augen floss, hüllte alles in Wärme und Energie ein. "Prinzessin", flüsterte Sila. Es gab ein Klicken, dann zerbarsten die Ketten. Und ohne die Ketten zerfiel das improvisierte Halsband zu Staub. "Jetzt!", rief Izara. Die Lóng wirbelte herum, eine Ladung Wasser brachte den Paladin aus dem Gleichgewicht. Ein Kreischen ertönte. Es war Kyia. Der Bergdrache war von Silas Magie befreit, jetzt zückte sie ihr Schwert und erledigte die Leblosen wie einfache Zinssoldaten. "Damit kommst du nicht durch", der Paladin zog sein Schwert aus der Scheide. "Tot bist du genauso viel wert wie lebendig", schrie er und stürmte auf Izara zu. "Ich werde nicht sterben", entgegnete sie und breitete die freie Hand aus. Grelles Licht formte sich zu einem Pfeil. "Nicht solange ich Sie nicht besiegt habe." Sie warf den Pfeil und aus einem wurden Dutzende, die sich auf den Paladin stürzten. Doch es kamen noch mehr, aus allen Richtungen formte sich das Licht zu langen, scharfen Spitzen. Die ersten wehrte der Paladin noch mühelos ab. Allmählich waren es zu viele, Flatsch fluchte und brachte sich in Sicherheit. Izara bekam nicht mit, wie er auf dem Felsen stand, die Kräfte gebündelt, dass sich schwarzer Rauch vor ihm ausbreitete. "Ihr müsst aufhören." Weit weg klang Kyias Stimme wie das Rauschen des Windes. Das Licht fiepte in Izaras Ohren. Sie konnte nicht aufhören, selbst wenn sie gewollt hätte. Der Drache in ihr trieb sie immer weiter an. Izara spürte nicht, wie Venen platzte und das Blut ihre Kleider durchtränkte. Wie die Drachenschuppen ihren Tribut einforderten, die immer mehr Besitz von ihrem Körper ergriffen. Da war nur ihre Kraft, die sie aufforderte, weiterzumachen. Ihr Leuchten war nicht aufzuhalten, die Kreaturen lösten sich nacheinander zu Staubkörnern auf. Das Licht blendete ihre Augen, sie spürte nur das Knacken von Flügeln und wie ihr Rücken mit den Drachenschwingen allmählich verschmolz. Statt Freiheit verspürte sie nichts als Taubheit. Weit ausgebreitet waren sie eine unbezwingbare Festung für alles, was sich dahinter verbarg - und das war alles, was zählte. Izara fühlte nur noch das Licht in sich, wie es stärker und stärker wurde, sie in ihren Bann riss. "Es ist genug!" Man packte Izara an der Schulter, sie blinzelte. Das Licht wurde schwächer und benebelt schaute sie hinauf zu Flatsch. Er grinste breit, das Schwert in die Höhe gestreckt, von dem eine dunkle Energie ausging. "Zu schwach, Drachenmensch-" "Falsch." Sein Lächeln erstarb, Blut sickerte aus seinem Hals, er klappte nach vorne, stürzte in die Tiefe. »Kyia«, war Izaras letzter Gedanke, bevor auch sie in Dunkelheit gehüllt wurde. Kapitel 30: Zwischenspiel IV ---------------------------- Langsam floss die Schokolade vom Topf in den Spritzbeutel. Röstaromen hingen in der Luft, der Alkohol war verdampft, doch es roch noch immer nach süßem Kirschlikör und einem Hauch von Rum. Ein paar Tropfen Wasser hatten genügt, um die Schokoladenmischung standfest zu machen, jetzt musste Kaia schnell sein, die Masse war nur für einen Augenblick so perfekt und ein zweites Mal wollte sie das schwarze Gold nicht erwärmen. Es verdarb die Qualität und kratzte nur an Kaias Ego. Mit schnellen Handgriffen zog die schwarzhaarige Frau Muster auf die vorbereiteten Pralinen. Kleine Runenzeichen, ein paar hübsch gewundene Linien - die Leute mochten es ausgefallen. Wenn nicht alle Pralinen dieselben Notenschlüssel ähnlichen Muster hatten oder einfache Farbspritzer die Kugeln schmückten, stimmten auch die Verkaufszahlen. Die Zungenspitze über den linken Mundwinkel gelegt, kamen noch die letzten feinen Tupfer drauf. Fertig. Kaia war zufrieden, sie wischte sich mit dem Geschirrtuch über die Stirn und wartete einen Moment, bevor sie die Pralinen auf das Regal zum Trocknen stellte. Ein trauriges Lächeln umspielte ihre Lippen. Das war immer Izaras Aufgabe gewesen. So vorsichtig wie das Mädchen mit ihren Kunstwerken umgegangen war, hätte man meinen können, Kaia stellte Porzellan statt Schokolade her. Ihre Sorgfalt hatte der Hyrakonda immer ein Schmunzeln beschert. Das kleine Ding war so zierlich gewesen, aber die Arme hatte sie definitiv von einem Drachen geerbt. Wie sie damals das erste Mal im Laden gestanden hatte - ihr war gar nicht aufgefallen, dass die Regalbalken dreißig Pfund gewogen hatten und Kaia hatte sie nie darauf aufmerksam gemacht. Die Hyrakonda wusste, der Drachenmensch unterschätzte sich und seine Fähigkeiten, aber in Kandio war es besser gewesen, so zu tun, als könnte man nichts, als unnötig die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Nun vermisste sie die Herzlichkeit ihrer Ziehtochter, die vielen, gemeinsamen Stunden vor und hinter dem Laden hatten Leben in das kleine Pralinengeschäft gebracht. Sie hätte nie für möglich gehalten, dass Izara ihr so ans Herz wachsen würde, andere Völker waren nie vertrauenswürdig genug gewesen und überhaupt passte es nicht zu ihrer Rasse. Levis hatte Vieles verändert; Kaia hatte sich verändert und das Leben zwischen Menschen und Drachen war ihr gar nicht mehr schwierig vorgekommen. Mit einem müden Lächeln wandte sie sich ab. Dass sie zur Nostalgie neigte, sobald ein paar einfache Handgriffe, wie das Rüberstellen von Tabletts, erledigt wurden, wäre vor einigen Jahren undenkbar gewesen. Kaia schüttelt den Kopf. Izara war fort. Es war besser so. Für alle. Das Mädchen hätte Schwierigkeiten gemacht, und die Gefahr für sie und Levis war einfach zu hoch, als dass sie noch einen Tag länger in Kandio hätte bleiben können. Sie nahm das Tablett und stellte es auf das Regal zu den anderen Aperitifs. Das Läuten der Glocke ließ Kaia den Kopf nach hinten schnellen. Heute war wirklich nicht viel los, das war gerade einmal ihr fünfter Gast. Sie hoffte, der Herbst würde die Flaute etwas abmindern, so war es zumindest bisher immer gewesen und sie vertraute darauf,  dass auch in diesem Jahr die Mütter fleißig für die Schulanfänger einkauften. "Ich bin sofort für Sie da!", rief Kaia und stellte den Topf von der Feuerstelle. Dann musste die Ganache eben etwas warten. Sie hatte für heute eh nichts geplant und Levis wäre bis in die Nacht mit seinen Skizzen beschäftigt. Ein paar Überstunden im Geschäft wären nicht verkehrt. Noch schnell eine entflohene Strähne in die Spange gesteckt und Kaia lief in den Ladenbereich. Sie hatte kaum den Türrahmen verlassen, als sie auch schon stehen blieb. Ihre Miene wechselte binnen Sekunden von aufreizend zu skeptisch. Die Lippen waren ein streng gerader Strich, als sie die Männer mit wachsamen Blicken musterte. Es waren drei - nein, eigentlich sogar vier. Der Vorderste direkt hinter dem Tresen, ein Weiterer begutachtete die Schaufensterware, Einer versperrte die Tür und den Vierten entdeckte Kaia durch die Spiegelung der Schusterei auf der anderen Seite. Für den Fall, dass die Ladenbesitzerin zur Hintertür spazierte? Noch auffälliger hätten sie nicht sein können. Kaia nahm die Schürze ab, legte sie behutsam auf die Kasse, ohne die Männer aus den Augen zu lassen. Kaia wusste, wer sie waren, ebenso wie den Männern klar war, dass sie es wusste. Die Herren trugen dunkelblaue Ledermäntel, die rote Drachenklaue leuchtete an ihrer rechten Reverse, dass auch der letzte Armleuchter es verstanden hätte. "Was kann ich für Sie tun?", fragte Kaia. Sie wollte nicht zu sehr in die Defensive, weshalb sie um den Kassenbereich herum schritt und eine Armlänge vor dem ersten Paladin zum Stehen kam. Sie fixierte den Mann, der statt seines üblichen Speers ein Schwert um seine Hüften baumeln hatte. "Einen wirklich schönen Laden, den sie da haben." Kaia ließ den Kopf zur Seite schnellen. Es war der Paladin, der durch den Laden spazierte. Neugierig beäugte er die Süßigkeiten, als wäre er wegen Kaias berühmten Pfirsich-Minz-Maracons gekommen und nicht wegen dem, was so offenkundig der Fall war. Die Stiefel quietschten mit jedem Schritt. Kaias sensible Ohren klappten sich schützend nach innen und im Geiste verfluchte sie die Spezies für ihre schlechte Handwerkskunst. "Wir haben ein paar Fragen", sagte ihr Gegenüber, dass sie die Aufmerksamkeit zurück auf ihn lenkte, "bezüglich des dreizehnten vorletzten Mondes." Er steckte die Hände in die Manteltaschen. Manche von ihnen trugen kleine Fläschchen mit Wahrheitsserum bei sich - ein seltenes Elixier einer noch selteneren Pflanze, aber ein Paladin bekam immer, wonach es ihm beliebte. Kaia blieb auf der Hut. "Unsere Stadtwache", entgegnete sie und verschränkte die Arme vor der Brust, "hat mich bereits aufgesucht. Ich wüsste nicht, was ich Ihnen noch erzählen könnte." "Hören Sie, Madame, wir haben nicht die Zeit-" "Sind das Mocca-Pralinen?" Wieder dieser andere Mann! Er stand vor dem Kassenbereich, den Oberkörper nach vorne gebeugt, dass er Kaias Saisonware ganz genau in Augenschein nehmen konnte. Sein gespieltes Desinteresse bezüglich des Vorfalls machte sie nervös. Die Hyrakonda ließ den Blick über den großgewachsenen Mann schweifen. Der Ledermantel täuschte nicht darüber hinweg, dass er gut gebaut war. Sein weißes Hemd lugte hervor und gab ein Stück seiner Brustmuskeln preis. Er wirkte zudem etwas jünger als seine Kollegen, auch wenn das nicht viel sagte. Paladine hatten genug Tricks auf Lager, um ihr Alter künstlich aufrechtzuerhalten. Das hellbraune, kurz geschnittene Haar zeigte eine Narbe oberhalb seines rechten Ohrs, sonst konnte sie nicht die für Paladine so typischen Zeichnungen entdecken. "Darf ich?" Als Kaia nicht antwortete, zeigte er auf eine der Pralinen. Kaia starrte ihn an, unsicher, was sie von seinen Methoden halten sollte. Vielleicht probierten sie gerade eine Taktik aus, weil Foltern aus der Mode gekommen war, aber da könnte Kaia auch gleich an fliegende Schweine glauben. "Ich weiß wirklich nicht, was Sie von mir wollen", sagte Kaia ernst, "Sie werden dasselbe hören, wie Ihre Kollegen. Meinen Sie nicht auch, dass das Zeitverschwendung ist?" Der Paladin lächelte, nahm sich die Praline und steckte sie sich in den Mund. Überrascht weitete er die Augen, dann nickte er. "Wirklich ausgezeichnet." Er richtete sich auf und sah ihr direkt in die Augen. Im Gegensatz zu seinem Gesichtsausdruck waren die zwei Seelenspiegel ein Zeugnis seiner Grausamkeiten. Dunkelgrüne Augen, die weit genug in die Tiefe geblickt hatten, um das Ausmaß menschlicher Grausamkeiten zu erlernen. Der Hyrakonda lief es eiskalt den Rücken herunter. "Wie er schon sagte", er deutete auf seinen Kollegen, "wir haben ein paar Fragen zu dem Zwischenfall. Natürlich wissen wir, was Sie den Leuten von der Stadtwache erzählt haben, aber wir möchten es dennoch noch einmal aus Ihrem liebreizenden Mund hören." "Ich habe nichts zu sagen", erwiderte Kaia, sie wusste, dass es Regeln gab, selbst unter Paladinen. Diese versuchte sie jetzt auszuspielen. "Bürgermeister Flatsch ist für Kandio verantwortlich, ich bin nicht verpflichtet, einem seiner Mitarbeiter Fragen zu beantworten, wenn sie nicht vorher schriftlich eingereicht worden sind." "Oh, Sie sind gut informiert, Madame", sein Lächeln funktionierte nur halb so gut, wenn seine Augen wie die eines Killers aufblitzten. "Aber Flatsch ist nicht hier", er nahm sich eine weitere Praline zwischen Zeigefinger und Daumen und hielt sie direkt über sein Gesicht. "Der Bürgermeister ist zurzeit verhindert, daher haben wir die Verantwortung für Kandio übernommen. Also ist das, was sie sagen, völlig bedeutungslos." Verdammt. Kaia atmete tief ein. "Machen Sie es doch nicht schwerer, als es ist", sagte er und drehte die Praline, wie Kaia es tat, wenn sie mit den Mustern nicht zufrieden war. "Glauben Sie mir, das nützt keinem etwas. Ihr Mann hat es auch erst spät begriffen." Sie hielt den Atem an. "Ja, wir sind bei Ihrem Gatten gewesen", entgegnete er müde lächelnd. "Sein Pflichtgefühl gegenüber seiner Familie ist ehrenhaft, aber er scheint mir doch mehr ein Künstler als ein guter Mitbürger zu sein." "Was soll das heißen?" Levis, ihr Atem ging flach. Ihr Mann war ein wunder Punkt, vielleicht hatten sie es darauf abgezielt. "Nun", er warf die Praline in die Luft und ließ sie gezielt in seinem Mund verschwinden. Kauend fuhr er fort: "Wir mussten ihn für weitere Fragen mit in unser Quartier nehmen…die sind wirklich vorzüglich. Sie müssen mir nachher unbedingt ein Paar davon einpacken." Er leckte sich über die Lippen. "Wie dem auch sei: Ihrem Mann geht es gut - vorerst." "Ihr-", fauchte Kaia und fuhr ihre spitzen Vorderzähne aus. Ein Schalter legte sich bei ihr um. Dass sie einfach in ihren Laden spazierten, war schon die Höhe, aber Levis festzunehmen... Glaubten sie, Kaia wüsste nicht, was die Herren unter Befragungen verstanden? Sie machte einen Seitensprung, ihre Beißer waren auf den Paladin gerichtet, der ihr am nächsten war. Dieser griff nach seinem Schwert, ebenso schnell wie Kaia ihre Klauen auspackte. Nur hatte die Hyrakonda einen entscheidenden Vorteil - ihre Zähne waren schärfer als die seiner Klinge. So leicht würde sie es ihnen nicht machen. Ein Seufzen drang an ihre Ohren und schon wurde Kaia von einer Welle des Schmerzes überrollt. Ihre obere Körperhälfte war wie gelähmt, während ihre Beine zitterten und mit den Knien zuerst auf den Boden einschlugen. Kaia riss die Augen auf. Die Anziehung war zu mächtig, ihre Hände klebten an dem Parkett fest und der Kopf drückte sich augenblicklich davor. Ihre Haare verdeckten die Stiefel des Paladins, aber sie hörte, wie sich einer von ihnen direkt vor sie aufbaute. Kapitel 31: Zwischenspiel V --------------------------- "Verflucht nochmal, Kent! Packen Sie Ihr Schwert wieder ein. Die Dame kriegt es ja mit der Angst zu tun." "Jawohl, Großmeister", stammelte der Vordere und Kaia hörte, wie die Klinge zurück in die Schwertscheide geschoben wurde. Das Schwert war ihr kleineres Problem. Ihr Magen zog sich zusammen, der Druck lastete schwer auf Kaias Rücken, die unsichtbare Kraft raubte ihr alles an Reserven und mit zusammengekniffenen Augen gab sie ihren Widerwillen auf. Gegen den Großmeister war auch sie nicht gewappnet. Man erzählte sich viel über das Oberhaupt der Paladine. Selbst als nichtiges Mitglied des Königreiches war es ratsam, die Hierarchien innerhalb der mächtigen Organisation zu kennen. Der Großmeister galt als Anführer der Paladine und um diesen Titel tragen zu dürfen, brauchte es mehr als Muskeln und einer Vorliebe für Quälerein jeglicher Art. Sollte auch nur eines der Gerüchte der Wahrheit entsprechen, hatte Kaia keine Chance. "Wenn wir uns alle wieder beruhigt haben-", sprach der Braunhaarige mit leicht genervtem Unterton. Kaia hörte, wie der Paladin dem Großmeister Platz machte. "Also", sagte der Großmeister und zog das Wort künstlich in die Länge. In die Hocke gegangen griff er nach ihrem Kinn, die Berührung war einerseits so zärtlich, doch Kaia ließ es nur nach Luft schnappen. "Kleine, bissige Hyrakonda", murmelte er und schmunzelte, "ziehen Sie lieber wieder Ihren Schwanz ein. Die Leute wollen sich doch nicht vor Ihrem wahren Äußeren zu Tode erschrecken." Resigniert gehorchte Kaia, die Zähne versteckte sie unter ihrem Kiefer, der Hyrakondenschwanz - der dem eines Pumas ähnelte - zog sich ebenfalls zurück. Er drehte das Kinn und betrachtete sie im Profil. Was er darin sah, war unklar, Kaia befürchtete, dass er mehr sehen konnte, als ihr lieb war. Dass er durch ihren Geist durchdrang, wie es der Drachenkönig getan hatte. "Ich frage mich", sprach er ganz nebenbei, "ob Ihr Mann weiß, was Sie bist. Was für eine niedere Bestie in Ihnen schlummert. Oder sieht er nur das hübsche Gesicht, das Sie sich geschaffen haben?" Er zog ihr Kinn nach oben, sie spürte seinen Daumen, als würde er ihr die Luftröhre zerquetschen wollen. Dabei tat er nichts, was ihr äußerlichen Schaden zufügte. Es war Magie, grauenvolle Unterdrückung, mit der er sie kontrollierte. Ein Drache musste gefangen und gezähmt werden. Darum die Halsbänder. Eine Hyrakonda musste nur Dominanz erfahren, um ihre Chancen in einem Kampf abzuwägen und notfalls die Unterwürfige zu spielen, um des eigenen Überlebens willen. Kaia hob ihr Kinn, aber auch nur, weil er es ihr gewährte. Ihre Augen blickten hinab auf die Männer. Auch der Letzte hatte sich in ihrem Laden eingefunden, Kaia fragte sich, wann die ersten Kunden eintreffen würden, die das Schauspiel mit ansähen. Oder hatten sie von Weitem beobachtet, wie vier Männer Kaias Laden umzingelten? Hatte jemand einen Wink gegeben, etwas über sie oder Levis preisgegeben? Vielleicht saßen sie irgendwo im Dunkeln und freuten sich. Aus einem stillen Eckchen. So manche Nachbarin würde es begrüßen, eine Bestie weniger in ihrer Stadt zu haben. "Seht sie euch an", sagte der Paladin, wobei Kaia bezweifelte, dass er mit den Männern sprach, "wahrlich, eine Augenweide. Das muss man schon sagen. Das Kunstwerk ist Ihnen gelungen." Der Griff wurde fester, ohne dass er wirklich zupacken musste. Das überlegene Lächeln über ihr war der letzte seelische Seitenhieb. Aus der selbstbewussten Hyrakonda blieb nichts weiter als eine Raubkatze mit eingeklemmtem Schwanz. Gerade hatte Kaia nur Verachtung für sich übrig. Daher bedurfte es keines besonderen Kraftaktes, um Kaia auf die Beine zu hieven. Er ließ von ihr, ohne den Blick abzuwenden. "Ich rate Ihnen, sich zu benehmen. Der König mag eure Rasse in seinem Reich akzeptieren, weil ihr so schwach und loyal seid, aber bedenken Sie, dass sich das jederzeit ändern kann. Ein Wort von mir und Sie und Ihre Miezekätzchen können sich warm anziehen. Haben Sie das verstanden?" Kaia antwortete nicht. "Gut", sagte er dennoch mit einem Lächeln, "dann kommen wir doch wieder zum Grund unseres Besuchs: erzählen Sie uns etwas über den Drachenmenschen, der bis vor Kurzem noch bei Ihnen gelebt hat." "Ich weiß nicht, was Sie von mir hören wollen", krächzte Kaia. Der Druck an ihrem Hals war vielleicht nicht real, aber auch fiktive Schmerzen konnten einem ganz schön zusetzen. "Ich weiß auch nicht", entgegnete der Großmeister und zuckte mit den Schultern, "wie wäre es, wenn Sie mir sagen, wer Ihre Ziehtochter entführt hat? Oder besser gesagt, wer sie mitgenommen hat?" "Ich sagte bereits, dass ich nicht weiß, was passiert ist." "Ja", murmelte der Großmeister, "das haben Sie." Festen Schrittes umrundete er die Hyrakonda. Diese bewegte sich nicht, ließ es stumm über sich ergehen, auch wenn die Stiefel laut in ihren Ohren quietschten. "Aber aus irgendeinem Grund glaube ich Ihnen nicht." Kaia verspannte sich. "Warum ist das so?" Hinter ihr blieb er stehen, er schnupperte, nahm Gerüche auf, an die Kaia nicht denken wollte. "I-ich weiß nicht", hauchte Kaia, "Izara ist…einfach verschwunden." "Nach ihrer Erweckung", fuhr der Großmeister fort. Er war weitergelaufen und stand nun wieder direkt vor ihr. "Nein", Kaia schüttelte den Kopf, "sie war erst-" "Später an der Reihe?", ergänzte er, "aber warum war sie in der Höhle? Ja, genau, ich weiß, das sie dort war. Dass sie ihren Duft verströmt hat, der auch noch hier in der Luft hängt." Er sah durch den Raum, jetzt ergab seine Erkundungstour Sinn. Es waren nicht Kaias Pralinen, von Anfang an ging es um Izara. Sie hätte es besser wissen müssen. "Sie war noch nicht soweit", beharrte Kaia, sie hatte keine Wahl. Die Geschichten zwischen ihr und Levis mussten übereinstimmen. Sie mussten einfach. Für Levis. "Nachbarn erzählten, sie wäre nicht ganz bei sich gewesen", sprach er weiter, "sie wäre krank gewesen. Im Fieber. Sie wissen schon - alle typischen Anzeichen, wenn das Weibchen kurz vor seiner Verwandlung steht." Er stierte richtig. "Sie hat sich verwandelt, nicht wahr? Ihr Geburtsdatum stimmt nicht mit ihrer Erweckung überein. Ich kann Ihnen auch sagen, warum. Drachen haben statt neununddreißig, siebenunddreißig Wochen, bis sie zur Welt kommen. Die Mutter weiß das nicht, weil sie nur die neununddreißig Wochen im Mutterleib mitgerechnet hat. Aber der Drache lebt schon zwei Wochen vor der Entbindung." "Warum erzählen Sie mir das?" Kaia wollte nichts hören. Nichts über Izaras Mutter oder darüber, dass die Paladine viel zu nahe an ihr Geheimnis gekommen waren. "Ganz einfach", antwortete der Großmeister, "ich will von Ihnen hören, ob Sie gewusst haben, was für ein Kind Sie sich da ins Haus geholt haben? Ihr Gatte wollte nichts darauf erwidern, aber ich denke, Sie können es mir sagen." "Ich weiß es wirklich nicht", ihre Stimme war nur noch ein Fiepen. Wie kam er darauf, dass Kaia etwas verraten würde? Oder Levis hintergehen? Niemals! "Schade", er schnippte mit dem Finger, ein roter Blitz trat heraus. Kaia klappte noch vorne, zurück auf die Knie. Sie hustete und würgte. "Sie haben es immer noch nicht begriffen", er ließ die Arme sinken, Kaia rang nach Atem, sichtlich erschöpft, legte sie ihr Kinn auf die Brust. "Also nochmal von vorn: wussten Sie, dass Ihre Tochter eine Himmelsgöttin ist?" Seine Stimme wurde eine Spur rauer. Er sah auf sie herab, geduldig. Weil er wusste, dass er dieses Spielchen den ganzen Tag spielen konnte. "Ich…", Kaia hustete. Wie war das Himmelsblut so schnell entdeckt worden? Was war mit den Vorbereitungen? Die Drachen meinten, sie hätten Izaras Spur verwischt. Scheinbar nicht gut genug. "Ich weiß nichts." In einem Moment vollkommener Hilflosigkeit, dachte sie nur an Levis. Sie versuchte sich, am Riemen zu reißen. Solange er nicht in Sicherheit war, musste sie die Schmerzen erdulden. Was konnten die Paladine schon tun, als Kaia selbst in ein Verlies zu sperren. Nach diesem Tag konnte sie ihr Geschäft vergessen. Das Leben unter den Menschen war vorüber. Ganz gleich, ob sie in der Wildnis oder im Gefängnis elendig verreckte, ohne Levis gab es keinen Grund zu leben. Daran bestand kein Zweifel. "Kent", der Großmeister schnippte mit den Fingern und machte seinem Kollegen Platz. Sein Untergebener nickte. Auf Kommando tauschten beide die Plätze, der Paladin zog die linke Hand aus seiner Manteltasche. "Nein", flüsterte Kaia, deren Augen zu brennen begannen. "Ihre Nichte lässt Sie grüßen", sagte der Großmeister, "nordöstlich der Landen ist das Wetter ganz passabel, aber für einen Lauf im Freien dennoch nicht zu empfehlen." Voller Entsetzen starrte Kaia auf den abgerissenen Schwanz. Das kleine Fellknäuel lag zusammengeknüllt in der Hand, Kaia wollte es packen, an sich ziehen. Wie hatten sie sie nur finden können? Bruder, Großmutter, die beiden Kleinen… - sie schienen sicher. Weit von der Zivilisation entfernt, hatte ihre Familie ein gutes Versteck gefunden. Nicht alle Hyrakonden lebten unter den Menschen. Es gab Ausnahmen. Einzelne Geschöpfe, die frei und ungezwungen ihr Dasein als das fristen wollten, als was sie geboren worden waren. Die menschliche Gestalt war nur Fassade, ein notwendiges Übel, wenn man sich wie Kaia ein Leben in der Bevölkerung aufbauen wollte. "Das ist ganz allein Ihre Schuld", sagte der mächtige Paladin und sprach Kaias tiefsten Schmerz aus. "Weil Sie nicht die Wahrheit gesagt haben, wird die Kleine von Ihresgleichen nicht mehr als vollständiges Mitglied akzeptiert werden. Doch das wird ihr kleinstes Problem sein, wenn Sie weiterhin so unkooperativ bleiben." Mit einem flüchtigen Wink gab er dem Paladin den Befehl, den Schwanz zurück in die Tasche zu stecken. Ihr Kopf konnte den Anblick jedoch nicht vergessen. "Im Grunde ist es ganz einfach", der Großmeister begann seinen Mantel zuzuknöpfen, "Sie geben uns das, was wir wollen, und ich vergesse die Sache mit Ihrer Familie. Dasselbe gilt im Übrigen für ihren Mann. Den werden wir selbstverständlich zu gegebener Zeit freigeben. Das heißt", er schnappte sich noch eine Handvoll Pralinen und umfasste die Faust. "Es liegt in Ihrer Hand, Madame. Ich bin sicher, Sie werden die richtige Entscheidung treffen." Kapitel 32: Izara ----------------- Warme Sonnenstrahlen kitzelten ihre Nase. Ein Lufthauch umwehte das bleiche Gesicht und mit flatternden Lidern öffnete Izara langsam ihre Augen. Grelles Licht benetzte die Iris, Izara sog die Energie der Sonne auf, empfing das Licht, als wäre sie tagelang in der Finsternis umhergewandert. Den Sommer hatte sie schon immer geliebt; die heiße Mittagssonne, das Glitzern der Bäche, die weißen Nächte - womöglich waren es alles Anzeichen gewesen. Versteckte Hinweise auf ihre wahre Natur. Wenn Izara nur ein klein wenig mehr auf den Drachen in sich gehört hätte, wären ihr so einige Probleme erspart geblieben. Das begriff sie jetzt. Für Izaras Begriff ein wenig zu spät, denn Einsicht linderte ganz sicher keine Schmerzen. Ihr Kopf fühlte sich wie ein aufgequollener Schwamm an, zu viele Bilder flackerten vor ihrem geistigen Auge, dass sie keine Orientierung hatte. Ein Dejavue, ging ihr durch den Kopf, während sich die kleinen schwarzen und roten Pünktchen nach und nach in Luft auflösten. Allmählich lüftete sich der Schleier der Verwirrung, die Bilder verpufften wie Rauch und langsam klärten die Umrisse ihrer Umgebung auf. Das flauschige Bett, dazu die hellen, klaren Möbel - sie war in ihrem Zimmer. Wann und vor allem wie sie hierher gekommen war, konnte sie sich nicht erklären. Das Letzte, woran sie sich erinnerte, war der Kampf in der Schlucht. Für den Bruchteil einer Sekunde war die Welt wie eingefroren. Unbeschreibliche Angst breitete sich in schwingenden Wellen aus, Izara fasste sich an die Brust, fühlte ihr Herz, das nicht annähernd so schnell schlagen wir zerbrechen konnte. Izara richtete sich auf. Zu schnell für ihren erschöpften Geist. Erst begannen sich nur die Wände zu bewegen, dann drehte sich das Bett und schließlich glaubte Izara, selbst zu rotieren. Mit der linken Hand die Stirn berührt, senkte sie den Kopf und kniff die Augen zusammen. Es war zu viel. Ihr wurde übel und nur mit Mühe konnte sie dem Drang, sich zu übergeben, widerstehen. "Prinzessin!", die vertraute Stimme ließ Izara kurz die Augen aufschlagen. Vor der Tür stand Kyia, die Leibwächterin hatte eine Schüssel Wasser in der einen und einen Lappen in der anderen Hand. Den Bergdrachen wohlbehalten zu sehen, linderte ein wenig den Schmerz in ihrer Brust. Vollgepackt  eilte sie auf Izara zu, stellte alles auf die Kommode ab und berührte Izaras Schläfe. "Ihr seid aufgewacht", flüsterte der Bergdrache zur eigenen Bestätigung. Kyia klang verändert. Fast schon zu zärtlich für Izara, die Kyias rohe Seite zu schätzen gelernt hatte. "Mehr oder weniger", entgegnete Izara. Sie versuchte es mit einem Lächeln, aber das ließ sie schnell wieder sein. Es war, als hätte sie ihre erste Erweckung durchlebt. Ja, genau! Deshalb glaubte sie, dieses Gefühl zu kennen. Es war genauso wie damals, nur dass König Devon nirgends zu sehen war… "Was ist passiert?", fragte Izara, nachdem ihr Kyia den Schweiß von der Stirn getupft hatte. Es war ihr peinlich, so von Kyia bemuttert zu werden. Diese Hingabe und Fürsorglichkeit waren zu viele Veränderungen auf einmal und gerade Kyia, die sie als raubeinige, etwas steife Persönlichkeit kennengelernt hatte, kam ihr wie ein völlig anderes Wesen vor. "Ihr habt lange geschlafen, Prinzessin", antwortete die Leibwächterin und tunkte den Lappen erneut in das Wasser. "Drei Tage, um genau zu sagen. Die Regeneration hat etwas länger gedauert als gedacht." "Regeneration?", wiederholte Izara und hätte sich fast an dem Wort verschluckt. Kyia wischte eine feuchte Strähne aus Izaras Stirn, dann nahm sie die Glaskaraffe und schenkte Izara etwas in den Becher. Alles war sorgfältig auf einem weiteren Beistelltisch abgestellt worden, an der Anordnung erkannte Izara, dass Linnora hier gewesen sein musste. "Nach dem Kampf", fuhr Kyia fort, erhob sich und lief auf das Fenster zu, um es weit aufzureißen, "ward Ihr schwer verwundet." "Nach dem… Kampf", langsam kehrten die Erinnerungen zurück. Ein falscher Bürgermeister Flatsch. Silas Halsband. Die Eier. "Kyia!", rief Izara, die Augen weit aufgerissen. "Sch", machte Kyia, ihre Hand drückte sich auf Izaras Oberkörper, der Druck war enorm, obwohl Kyia behutsam war und ganz sicher nur die Absicht hatte, Izaras Leib zurück auf das Kissen zu befördern. Beide Weibchen tauschten intensive Blicke aus. Izara konnte ihre Augen in Kyias ruhelosen Seelenspiegeln erkennen. Ein warmes Leuchten reflektierte auf die treue Leibwächterin, die kaum ihre Gefühle beherrschen konnte. Trauer und Wut vermischten sich zu einer quälenden Fratze schlechten Gewissens. "Ihr wärd fast gestorben", raunte Kyia, den letzten Rest an Selbstdisziplin erhaltend, während ihre Nüstern gefährlich zu beben begannen. "Kyia", hauchte Izara. Obwohl der Bergdrache seine Tränen zurückhielt, wischte Izara mit dem Daumen über deren hitzige Wange. Kyia mochte als ihre Leibwächterin auserkoren worden sein, aber Izara spürte, dass auch sie eine Verantwortung zu tragen hatte. Um das zu begreifen, hätte sie sich beinahe selbst geopfert. Das Brennen wurde unerträglich und so sickerten die Tränen aus Izaras leuchtenden Augen, als wollten sie den Kummer aus Kyias Herzen vertreiben. "Prinzessin", Kyia ließ von ihr, den Körper aufgerichtet stieß sie ein tiefes Seufzen aus, "versprecht mir, nie wieder Euer Leben für uns aufs Spiel zu setzen." "Ich weiß nicht, ob ich das kann, Kyia", entgegnete Izara ehrlich. "Es ist meine Aufgabe, Euch zu beschützen…und ich habe versagt." "Das hast du nicht." "Ihr braucht es nicht schön reden", knirschte der Bergdrache mit den Zähnen, "ich hätte vorsichtiger sein müssen. Die Palastmauern wurden zur Sicherheit der Himmelsdrachen erbaut, die Schutzmagie unseres Königs ist stärker als tausend Paladine, ich…" Die Kraft schwand, Kyia sackte auf die Knie, die Hände den Boden berührend, stieß sie einen leisen Fluch aus. "Ich werde meine Strafe hinnehmen", sagte sie demütig und legte das Kinn an die Brust. "Wenn Ihr eine neue Leibwächterin an Eurer Seite wünscht-" "Nein", Izara bekam es mit der Angst zu tun. Eine andere Leibwächterin als Kyia? Niemals! "Du bist die beste Leibwächterin, die man sich nur wünschen kann", Izara wischte sich mit dem Ärmel ihres Nachtgewands die Tränen aus dem Gesicht. "Das stimmt nicht, Prinzessin." "Doch! Und weißt du auch, wieso? Weil du deine Freundin beschützt hast, als sie dich am meisten gebraucht hat." Kyia sah überrascht auf. "Du hättest Sila aufhalten können, nicht wahr? Du bist viel stärker als sie, du hättest sie ganz leicht bezwingen können. Aber selbst als sie dich angegriffen hat, hast du dich lieber selbst in Gefahr gebracht, als Sila auch nur ein Haar zu krümmen. Ich finde das bewundernswert." Izara lächelte traurig. "Sila hatte mehr zu verlieren, als ich jemals haben werde. Natürlich musstest du sie beschützen. Sie ist die Anführerin der Weibchen. Wenn Sila fällt, dann sind sie alle verloren." "Prinzessin", Kyia war sprachlos. "Genau deshalb", sagte Izara und rutschte ein Stück nach vorne, dass sie nur eine Armlänge von Kyia entfernt war, "genau deshalb kann es keine bessere Leibwächterin für mich geben. Du bleibst doch an meiner Seite, oder?" "Wenn Ihr wünscht, mein Leben lang", schwor Kyia und senkte den Blick, "Ihr habt Euch wirklich verändert." "Meinst du?", lachte Izara gequält, "ich habe eher das Gefühl, als wäre ich wieder ein kleines hilfloses Mädchen." "Oh nein, Prinzessin. Ist es Euch noch nicht aufgefallen? Der Schleier. Ihr habt ihn abgelegt." "Wirklich?", verblüfft fasste sich Izara an den Nacken, als würde dort die Antwort auf sie warten. Jetzt, wo Kyia es sagte, spürte Izara, zwischen den Kopf- und Gliederschmerzen, tatsächlich etwas. Selbstzufriedenheit. Dabei hatte sie keine Ahnung, wie es dazu gekommen war. "Ihr solltet noch etwas schlafen", riss sie der Bergdrache aus ihren Gedanken. Geistesabwesend nickte sie, tatsächlich war es keine schlechte Idee, noch ein wenig die Augen zu schließen. Kyia schüttelte die Decke, Izara gab ein leises Grummeln von sich und ließ sich zurück aufs Kissen fallen. "Kyia, warte!" Hielt sie ihre Leibwächterin an, die sich gerade umdrehen wollte. "Sag', was ist mit Sila und-" "Sila geht es gut", antwortete der Bergdrache, "alles Weitere erfahrt Ihr, wenn Ihr Euch erholt habt." Izara wollte protestieren, das Brennen in ihrer Brust wurde stärker, doch Kiya machte im Absatz kehrt und marschierte aus ihrem Zimmer. Kapitel 33: Izara ----------------- Zwei Tage war Izara zur Bettruhe verdonnert worden. Der Bergdrache zeigte keine Gnade, Kyia besuchte sie mehrmals am Tag, um sich sicher zu sein, ihre Prinzessin unter den sicheren und warmen Daunen ihres Gemaches liegen zu sehen. Die kleinste Regung brachte die Leibwächterin dazu, Izara über die schlimmen Folgen zu ermahnen und Izara selbst hatte aufgegeben, sich dagegen zu sträuben. Fortan wurde Essen ans Bett serviert, Besuch gab es nur morgens von Linnora und der Gang durch die Bäder war ohne Begleitung ihrer Zofe und gefühlt einem halben Dutzend Soldaten schier unmöglich geworden. Strikte Anweisung des Bergdrachen, den sich niemand in Frage zu stellen traute. Izara war so peinlich berührt, dass sie die meiste Zeit die Decke über den Kopf schlug oder mit feurig roten Wangen ins Leere starrte. Es fiel ihr schwer, sich zusammenzunehmen, sie fühlte sich zunehmend besser, ihr Zustand war fast so wie vor dem Unfall und die Kopfschmerzen kamen nur noch selten vor. Warum also nicht aufstehen und ein wenig den Sonnenschein auf der Gartenterrasse genießen? Nicht, dass Kyia mit sich diskutieren ließe. Immer wenn Izara von ihrer Genesung erzählte, wich der Bergdrache aus und zeigte grimmig auf Izaras Körper, der deutlich mehr gelitten hatte, als ihr anfangs bewusst gewesen war. Kampfspuren zeichneten sich von den Füßen bis zu den Schläfen ab. Die Haut schuppte sich, der Juckreiz war fast so schlimm, wie Kyias Überfürsorge und das Brennen am Rücken war auch eine Tortur. Obwohl die Verletzungen bereits am heilen waren, waren die Schürf- und Platzwunden noch deutlich zu erkennen. Ein Mahnung ihres schwachen , menschlichen Körpers. Eine weitere, derartige Verwandlung und Izara hätte sich das letzte Mal von Lydia helfen lassen. Vorsichtig fuhr Izara mit den Fingerspitzen ihren Unterarm hinauf. Die Wunde musste tief gewesen sein, Izara spürte die Einkerbungen, trotz der dicken Bandagen, die regelmäßig an den Armen und Beinen gewechselt wurden. Seltsam, dass der Heilungsprozess so schnell von statten ging. Der menschliche Körper war empfindlich, gerade ihr Mischblut hatte immer wieder für Ärger gesorgt, dass selbst einfache Kratzer oft tagelang sichtbar blieben. Womöglich hatte ihr Kyia etwas von dem Heilmittel verabreicht, von dem immer ein kleiner Vorrat in ihrer rechten Hosentasche steckte. Am Anfang hatte sie den Bergdrachen nach den Ereignissen fragen wollen. Izara war neugierig, aufgeregt und vor allem besorgt, besonders weil Kyia die Ereignisse einfach tot schwieg, statt Izara die Fragen zu beantworten, die ihr so schwer auf der Seele brannten. Doch egal ob es um die besagte Nacht, Izaras Eingreifen oder die Eier ging - Kyia ließ nicht mit sich reden. Izara verstand, dass der Bergdrache sie nur beschützen wollte. Die Angst in Kyias Augen übersah auch Izara nicht, ebenso die Schuldgefühle, mit denen sie weiterhin zu kämpfen hatte. Egal, was Izara sagte, wie sehr sie beteuerte, Kyia nicht böse zu sein - der Bergdrache blieb zerknirscht. Sich selbst zu vergeben, fiel ihr schwer und Izara gewährte ihr den Raum, Gras über die Sache wachsen zu lassen. Genau deshalb beharrte sie auch nicht länger auf die Wahrheit. Zu gegebener Zeit würde sie jemand anderen danach fragen - schließlich konnte man sie nicht ewig in Watte packen. * Als Kyia ihren Anstandsbesuch beendete und endlich zu ihren Dutzend anderen Pflichten zurückkehrte, wagte sich Izara aus dem Bett. Erst wackelig, weil sie kaum einen Tag ohne Kyias Stütze hatte stehen dürfen, gewöhnten sich ihre Beine nur langsam an die Anstrengung. Schlagartig setzte ein Schwindelgefühl ein, der sie erschöpft zu dem Tischchen greifen ließ. Izara knirschte mit den Zähnen. Sie hasste es, schwach und hilfsbedürftig zu sein. Einen tiefen Atemzug getätigt, probierte sie es auf ein Neues. Immer wieder. Bis die Beine ihr gehorchten. Schritt für Schritt ging es voran - als wäre sie ein Baby, das seine ersten Gehversuche wagte. Und es fühlte sich befreiend an, als sie das Fenster erreicht hatte und durch die Vorhänge spähte. Ein breites Grinsen legte sich auf ihr Gesicht. Sie kam sich wirklich wie ein kleines Kind vor, voller Stolz auf sich und seine näher rückende Selbstständigkeit.   Das Fenster war ein Stück offen, eine warme Brise umarmte Izara. Glücklich stützte sie sich am Fensterbrett ab, der kleine Erfolg fühlte sich wie ein Meilenstein an und mit strahlenden Augen empfing Izara die letzten Sonnenstrahlen des Tages. * Schon am darauffolgenden Tag fühlte sich Izara deutlich besser. Ihr Körper erlangte allmählich seine ursprüngliche Fitness zurück, Bewegungen waren wieder so natürlich wie das Atmen und ihre Beine könnten jetzt auch ein paar Kilometer zurücklegen. Selbst Kyia würde sie nicht mehr davon abhalten, ihren morgendlichen Rundgang durch den Schlossgarten anzutreten. Das Essen schmeckte einfach besser, wenn man zwischen weichen Grashalmen und wilden bunten Sommerblumen saß. Vor ihrer Abreise nach Whalla hatte sie sich fest vorgenommen, öfter die Außenanlagen zu nutzen und auch die umliegenden Landschaften wollte sie in den nächsten Tagen erkunden. Die Finger durch die Haare gezogen, entwirrte sie die letzten kleinen Knötchen und rappelte sich aus dem Bett. Einmal den Körper gedehnt, gab er ein leises Knacksen, Izara seufzte erleuchtert auf und machte sich an den Frisiertisch. Heute würde sie schneller als Linnora und ihre Zofe sein. Sie beugte sich zu dem Spiegel herunter und betrachtete ihr Gesicht. Hinter dem Ohr und an der rechten Schläfe waren die Überbleibsel ihrer Verletzungen zu sehen, aber sonst war sie ganz zufrieden mit sich. Vielleicht würde man ihr erlauben, die Bandagen abzunehmen. Natürlich nur mit Kyias Zustimmung! Kopfschüttelnd enfuhr ihr ein Lächeln. Und danach würde sie der Bibliothek einen Besuch abstatten. Linnora hatte ihr gestern ein Päckchen vorbeigebracht. Fürstin Maygrit Hallswejf war so liebenswürdig gewesen und hatte ihr ein paar Souvenirs aus Whalla zukommen lassen. Ein herzlicher Brief und einige Malutensilien, mit denen sich Izara die Zeit vertreiben konnte, waren ebenfalls verpackt gewesen. Izara konnte sich nicht erinnern, je Post bekommen zu haben - und dann auch noch mit Geschenken versehen. Unsicher, ob sie gerührt oder überfordert sein sollte, hatte sie den halben Tag damit verbracht, über eine angemessene Antwort nachzudenken. Da sie weder wusste, wie man einen formellen Brief verfasste oder der Gattin eines Fürsten schrieb, hatte sie die Nacht nicht schlafen können. Kyia war leider auch keine große Hilfe und auch Linnora kannte sich nur bedingt mit den Etiketten des menschlichen Adels aus. Nur ein Buch würde sie jetzt noch retten können. Gedanklich überflog sie die Zeilen, welche die Gräfin in fein säuberlicher Handschrift verfasst hatte. Wenn sie sich doch auch so gewählt ausdrücken könnte! Oder wenn sie jemanden in ihrer Nähe wüsste, der sich mit Formalien bestens auskannte… jemand wie…Nein! Izara schüttelte den Kopf. Auf den König würde sie nicht warten. Allein der Gedanke an ihn, ließen Kummer und Schmerz von Neuem aufflammen und sie wollte noch nicht mit ihren Empfindungen auf Konfrontationskurs gehen. Das Klopfen an der Tür ließ sie erschrocken hochfahren. Das war doch nicht etwa…ihr Herz machte einen Hüpfer, bevor der Verstand in ihre Phantasien krätschte. "Komm' rein, Kyia", seufzte Izara und stützte sich an dem Stuhl gegenüber des Frisiertisches ab. Diese unpassenden Gefühle machten sie noch ganz kirre. "Verzeiht, Prinzessin", drang Kyias Stimme am anderen Ende des Raumes zu ihr durch. Unter dem Türrahmen stand sie, die Haltung stramm und gehorsam, die Miene unergründlich. "Es gäbe da jemanden, der Euch sehen möchte." Kyia räusperte sich und bevor sich Izara über das seltsame Verhalten ihrer Leibwächterin wundern konnte, erschien bereits der neue Gast. Überrascht starrte Izara auf die schwarzhaarige Lóng. Sila wirkte erschöpft. Die langen glatten Haare waren sporadisch zu einem Zopf geflochten - nichts, das ihrer sonst so stolz anmutenden Grazie in die Karten spielte. In ihren Augen fehlte das Feuer. Jene Leidenschaft, mit der Izara tagtäglich schonungslos konfrontiert worden war. "Wenn Ihr Euch nicht gut fühlt-", murmelte Kyia, sichtlich beunruhigt bei dem Anblick der beiden Weibchen. "Schon gut, Kyia", beschwichtigte Izara und hob eine Hand. Mit einer Verbeugung entfernte sich die Leibwächterin, wobei sie den Blick zu ihrem Hintermann schweifen ließ und ein paar letzte stumme Worte entsandte. Leise fiel die Tür ins Schloss. Izara und Sila sahen einander wortlos in die Augen. In Izara ging ein Wellenbad von Gefühlen, ihr Herz hämmerte so heftig, dass sie ihre Worte nicht zügeln konnte, selbst wenn sie gewollt hätte. "Wie geht es den Eiern?", die Augen weit aufgerissen, fasste die Frage all ihre Sorgen und Ängste zusammen. Die Lòng wandte den Blick ab. "Die meisten haben überlebt", murmelte sie kaum hörbar. Doch Izara hatte sie verstanden. "Das tut mir leid", hauchte sie. Izara wusste, wie wenig ihre Worte nutzten - besonders Sila. "Nein", schüttelte Sila den Kopf und tat im selben Moment etwas völlig Unerwartetes. Die Lóng ging auf die Knie. Die Stirn auf den Boden gedrückt, stützte sie sich mit den Händen ab und ging in die unterwürfigste Haltung, die Izara je gesehen hatte. "Ich muss um Vergebung bitten", brach es aus der Lóng heraus. Nicht sichtbar waren ihre Tränen, jedoch in jedem einzelnen ihrer Worte hörbar. Izara durchfuhr ein Schauer. Die schrecklichen Ereignisse flogen durch ihren Kopf, dass sie selbst mit den Tränen kämpfte. Die Hände vor den Schoß gelegt, ließ sie Sila ihren Kummer ausleben. Minuten verstrichen. Nur langsam kehrte die Stimme zurück, Sila war weit davon entfernt, gefasst zu klingen, doch statt Trauer dominierte nun Wut ihren Tonfall. "Es ist meine Schuld", sagte sie, "ich dachte wirklich, ich könnte sie beschützen. Es war anmaßend, auch nur daran zu denken, dass ich über sie wachen, sie leiten könnte. Und nun zahle ich den Preis meiner Arroganz." "Was ist passiert, Sila?" Izara versuchte ruhig zu bleiben, aber die Angst ließ auch ihre Stimme zittern. "Der Paladin - ihm muss es irgendwie gelungen sein, sich in die Hauptstadt zu schmuggeln", Knochen knackten, Silas Hände ballten sich zu Fäusten. "Aber der Bürgermeister", rief Izara und wurde augenblicklich leiser, "ich kannte den Mann…auch wenn er ganz anders aussah als ich ihn in Erinnerung hatte." "Ich kann Euch sagen, wieso", knurrte Sila, "der Bastard steckte im falschen Körper. Paladine können ihre Seele von ihrem Körper abkoppeln. Ihre Magie ist feige und grausam. Er hat sich einen Wyvern gekrallt. Die Wesen sind vielleicht schlau, aber körperlich sind sie so schwach wie Menschen. Ich weiß nicht, wie mir das die ganze Zeit entgangen sein konnte…Man hat das Männchen überfallen, ihm lebendig die Haut abgezogen und daraus eine Marionette geformt." "Wie grausam", allein die Vorstellung ließ Übelkeit in Izara aufsteigen. Sie kannte die furchtbaren Methoden, aber das stellte Sämtliches in den Schatten. "Doch leider effektiv", fügte Sila zerknirscht hinzu, "dadurch hat er sich unbemerkt zum Schloss schleichen können. Das Gebäude mag geschützt sein, das gilt aber nicht für die Brutstätte." Sila zog scharf die Luft ein, die Emotionen drohten erneut, sich zu überschlagen. "Die Schlucht ist der einzige Ort, an dem die Schutzmauern inaktiv sind. Es geht nicht anders. Wenn die Eier schlüpfen, brauchen sie einen direkten Bezug zum Himmel. Eine magische Barriere diesen Ausmaßes gewährleistet das nicht. Außerdem…außerdem sind sie durch meine Magie und die der anderen Weibchen hinreichend geschützt gewesen…das dachte ich zumindest", fügte Sila geknickt hinzu. Ein weiteres Mal herrschte Schweigen, bis Sila flüsternd fortfuhr: "Prinzessin, ich weiß, meine Torheit ist kaum zu überbieten. An diesem Abend hätte ich sterben müssen, nicht sie." "Sag' das nicht", hauchte Izara. "Doch, Prinzessin! Wenn ich Euch nur ein wenig Vertrauen entgegen gebracht hätte…wenn ich auf die anderen gehört hätte…aber ich? Ich war so stur, so dumm! Mein Handeln hat uns alle in Gefahr gebracht. Wärd ihr nicht gewesen…", die Stimme brach, "Vergebt mir, Prinzessin! Ich hätte es besser wissen müssen. Ihr seid die rechtmäßige Erbin, das Oberhaupt aller weiblichen Drachen - nicht ich." Sila… Izara schüttelte den Kopf. "Steh' auf, Sila. Bitte", sagte sie so selbstsicher wie es ihr in dieser Situation möglich war. Nur langsam gehorchte die Lóng. Sie straffte die Schultern, hob ihr Kinn an und blickte ihrem Schicksal entgegen. Jedes Urteil hätte sie hingenommen, ihr resignierter Blick verrieten Izara all ihre Gedanken und zum ersten Mal verstand sie, was in Silas Kopf vorging. "Du hattest recht, Sila", begann Izara und wandte sich dem Boden zu ihren Füßen zu, "als wir uns das erste Mal trafen, da war ich…nicht bereit. Ich hatte Angst, dass man zu viel von mir erwarten würde. Ich wollte keine Prinzessin sein, und schon gar nicht das Oberhaupt von irgendjemandem." Schwer atmete sie aus. "Jetzt weiß ich, wie egoistisch ich war. Ich habe mich so sehr vor der Wahrheit gefürchtet - vor dem, was ich bin! -, dass ich nicht daran gedacht habe, wie es euch ergangen sein muss. Ich verurteile dich nicht, Sila, du hast getan, was du konntest." Und jetzt ist es Zeit, dass ich tue, was ich tun muss, dachte Izara weiter und fasste einen Entschluss. Kapitel 34: Izara ----------------- "Ich möchte, dass du mir alles zeigst." "Wie meint Ihr das, Prinzessin?", blinzelte sie die Lóng an. "Du bist die einzige, die sich all die Jahre um sie gekümmert hat. Bring' mir alles bei, was du weißt. Damit ich ein würdiges Oberhaupt werde, brauche ich deine Hilfe, Sila." "Meint Ihr das wirklich?" "Ja." "Ihr erstaunt mich, Prinzessin", schüttelte Sila den Kopf, um im nächsten Moment das Haupt zu senken. "Ich danke Euch für Euer Vertrauen. Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um meiner Rolle gerecht zu werden." "Danke." Mit einem Lächeln wischte sich Izara eine verirrte Träne aus dem Gesicht. "Komisch, dass ausgerechnet wir beide unsere Herzen einander ausschütten." "Womöglich sind wir gar nicht so verschieden", entgegnete Sila, ebenfalls mit einem zaghaften Lächeln auf den Lippen. "Auch Ihr könnt zuweilen sehr temperamentvoll sein." "Das ist erst seit meiner Erweckung so schlimm geworden." Izara wusste nicht, woher die plötzliche Offenheit stammte, aber im Moment genoss sie die Ehrlichkeit, die sie beide miteinander teilten. Sie hatte lange nicht mehr so vertraut mit jemandem reden können und nach all den Wochen ohne Kaia war eine weibliche Stimme wie die von Sila eine willkommene Abwechslung. "Nun", sagte Sila und deutete scheu auf ihre Prinzessin, "Ihr wisst sicher, was nach Eurer Erweckung mit Euch passiert." So sicher klang Sila eigentlich nicht, aber Izara nahm es ihr nicht übel. "Ja", entgegnete sie etwas verlegen und zupfte an einer ihrer Strähnen herum. Mit der Verwandlung ging auch die Geschlechtsreife einher, Izara wusste das, hatte aber bisher keinen Gedanken daran verschwenden wollen. Nicht solange die Ungewissheit gefährlich über allem baumelte. Sila sah, wie Izara ihre Scham zu verstecken versuchte und lächelte sanft. "Setzt Euch, bitte", sagte sie und deutete auf den Stuhl, auf den sich Izara zögerlich setzte. Dann schritt sie auf Izara zu. "Darf ich?", fragte die Lóng und zeigte auf den Kamm, der neben all den anderen Accessoires auf dem Frisiertisch lag. Immer noch unsicher, nickte Izara. "Nach der Erweckung", vorsichtig begann Sila einzelne dicke Strähnen zu kämmen, "reagiert der Körper sensibel auf Berührungen. Er bereitet sich vor." Als wollte er dies demonstrieren, begannen auf ihrer Haut viele kleine Härchen aufzustehen. Besonders die Kopfhaut begann durch den spitzen Kamm unnatürlich zu prickeln. "Hm", machte Sila, "ich verstehe." Sie ließ die Hand mit den Kamm sinken. Izara hatte nicht das Gefühl als wollte sie verstehen, was ihr Körper damit sagen wollte. So offensichtlich wie es war, musste es nicht auch noch ausgesprochen werden. "Ihr müsst viel klares Wasser trinken", sagte Sila ernst und steckte die freie Hand in die Schüssel voll Wasser. Vorsichtig zog sie die Finger aus dem kühlen Nass. Das Wasser klebte wie Spinnfäden an ihren Fingerspitzen. Lange, schmale Bänder begannen an ihrer Hand herunterzuhängen. "Ich habe das Wasser neutralisiert", erklärte Sila, als wäre es ganz selbstverständlich. "Wenn ich es in Eure Haare einarbeite, kann Euer Kopf einen klaren Gedanken behalten." "Das geht?", fragte Izara verblüfft und beobachtete durch den Spiegel, wie Sila das Haar spaltete, fünf Strähnen auseinander zog und einen strammen Zopf flechtete. "Die Kopfhaut ist bei uns Drachen ein sehr sensibler Punkt. Vielleicht ist es Euch schon aufgefallen. Manchmal zeigt es sich durch Kleinigkeiten - die einen werden ruhiger, andere hassen es, von Fremden am Kopf getätschelt zu werden." "Stimmt", murmelte Izara fasziniert. "Natürlich gäbe es noch andere Dinge, um Euer Wohlbefinden zu steigern. Angenehmere Dinge." Die letzten Worte betonte die Lóng und sah durch den Spiegel in Izaras errötetes Gesicht. "Das ist eines der Vorzüge, wenn man einen geeigneten Gefährten während der Erweckung an seiner Seite hat. Glaubt mir, ich weiß genau, wovon ich rede. Wäre Feydrin nicht gewesen…", ihre Gedanken drifteten ab, ein nostalgisches Lächeln, von Trauer durchzogen, schlich sich in Silas Gesicht. "Ich will damit nur sagen, die Erweckung kann durchaus seine schönen Seiten haben." Das Lächeln erstarb, als wäre die Erinnerung mit ihm gestorben. "Ich wüsste nicht, wie das in meinem Zustand möglich gewesen wäre", nuschelte Izara und sah zu den Utensilien auf ihrem Tisch. "Es gibt immer eine Gelegenheit. Darum bleiben die Weibchen auch mehrere Tage fort. Viele von uns zeugen noch vor dem ersten Mondwechsel ein Kind. Das Erstgeborene kurz nach der Erweckung wird mit außerordentlichen Fähigkeiten geboren." Zaghaft legte Sila eine Strähne über die andere, dann lachte sie leise auf. "Aber Trias wird kaum der Richtige gewesen sein. Egal, was für ein Lustmolch er sein kann, wenn es um seine Pflichten geht, ist er steifer als ein Stock." "Trias?", Izara schaute auf. "Er war es doch, der-", Sila hielt in ihren Bewegungen inne. Mit einem kaum hörbaren »das erklärt einiges« fuhr die Lóng mit ihrer Arbeit fort. In Izara entstanden nur noch mehr Fragezeichen, und weil die Stille drückend auf den beiden Weibchen lastete, gab sie sich einen Ruck und schüttete der Lóng ihr Herz aus. "Sila", sagte Izara und kämpfte gegen ihre inneren Gefühle an. Einerseits unsicher, was sie sagen sollte, waren da die Hemmungen, die seit ihrer Ankunft auf ihr lasteten. Doch wenn sie Gewissheit haben wollte, dann musste sie jetzt fragen. "Der König und du - habt ihr euch geliebt?" Ein weiteres Mal stockte Sila. Perplex schaute sie zu Izara hinunter, deren Worte geradezu aus ihr heraus gequetscht werden mussten. "Ich meine, in dieser Nacht hast nicht nur du deine Kinder verloren, und…und ihr habt viel Zeit zusammen verbracht…naja, bis ich gekommen bin." Die Augen der Lóng wurden immer größer, bis sie aus heiterem Himmel zu lachen begann. Ein herzliches Lachen, Sila hielt sich die Hand vor dem Mund und entschuldigte sich aufrichtig. "Was ist so lustig?", Izara zog die Augenbrauen zusammen. "Verzeiht, Prinzessin. Ich vergaß, dass Ihr unter Menschen groß geworden seid." Schmunzelnd knotete Sila das Ende des Zopfes mit dem letzten Wasserfaden fest. "Es ist wahr, die Eier in der Schlucht sind auch Nachfahren unseres Königs. Es ist seit Urzeiten Tradition, dass der Himmelsdrache die Nachfahren der Elemente beschützt. Damit wird der Erhalt unserer Spezies gewährleistet. Himmelsblut ist stark, und vermischt es sich mit anderem Drachenblut, werden gesunde, starke Nachkommen geboren." "Kyia hat mal etwas Ähnliches erwähnt", Izara erinnerte sich an die erste unangenehme Unterhaltung und schluckte ihre Emotionen herunter. "Es ist notwendig", fuhr Sila nickend fort, "aber die Zeugung ist keineswegs romantischer Natur. Ihr scheint nicht zu wissen, dass Drachen auf zwei Arten Kinder gebären können." Izaras ungläubiges Gesicht war Antwort genug. "Neben der Geburt aus dem Mutterleib, der durchaus ein Akt der Liebe und Leidenschaft ist, verhält es sich mit den Eiern vollkommen anders. Dafür ist nicht einmal Körperkontakt vonnöten." "Willst du damit sagen, der König und du… ihr habt nie-" "Wo denkt Ihr hin", Sila stemmte die Hände in die Hüften, aber nach einer Weile fügte sie seufzend hinzu, "vielleicht hatte ich diese Hoffnung - früher. Natürlich wäre es für mich von Vorteil gewesen, wenn der König Interesse an mir gehabt hätte. Aber meine Gedanken gelten in erster Linie dem Erhalt meines Klans. Ich muss die Zukunft der Lóng bewahren, alles, was ich tue, tue ich für den Schutz meiner Familie. Ich komme aus einem fernen Land, wisst ihr? Meine Sippschaft ist klein und es werden immer weniger", sie schüttelte den Kopf, "viele fürchten sich, Kinder in die Welt zu setzen. Die Angst vor dem Ungewissen ist groß und durchaus berechtigt. Paladine breiten sich wie Ungeziefer aus. Die Lage ist ernst. Umso wichtiger ist es, dass ich hier bin und für die Zukunft kämpfe." Ihre Augen flammten auf, die Leidenschaft überwältigte Izara. Eine kurze, bröckelnde Flamme, bevor ein freches Grinsen seitens Sila den Augenblick verfliegen ließ. "Ihr braucht Euch also keine Sorgen machen, Prinzessin. Weder ich noch die anderen stellen irgendeine Konkurrenz für Euch dar." "Was?!", Izara schüttelte den Kopf, "so meinte ich das nicht. Ich wollte nur-"   "Ihr könnt Euch rausreden, wie ihr wollt", Silas Grinsen wurde noch breiter, "aber mir könnt Ihr nichts vormachen. Ich verstehe jetzt, warum ihr damals so gefühlt habt, als wir uns in der Schlucht trafen - Euren Missmut uns gegenüber." "Ich verstehe nicht." "Ihr habt es vehement abgestritten, aber Ihr konntet die Wahrheit nicht verbergen. Ihr wünschet, ich und die anderen würden verschwinden." "I-ich-" "Schon gut", Sila lächelte breit und klopfte Izara behutsam auf die Schulter. "Eure Aura hat Euch verraten. Ihr müsst wissen, dass ich darauf spezialisiert bin, die Gefühle anderer zu analysieren. Das ist ein Erbe meines Klans. Vielleicht habt Ihr es selbst nicht gespürt, aber Ihr ward ganz eindeutig missgestimmt auf mich und die anderen. Jetzt würde ich sagen, Ihr seid eifersüchtig gewesen." "Eifersüchtig?!", rief Izara etwas zu laut aus. Sie drehte sich zu Sila um. "Da ist doch nichts dabei", winkte diese ab, "als seine Gefährtin ist es ganz natürlich, sein Revier zu verteidigen." Izara sprang auf, rempelte den Stuhl an und verzog das Gesicht. Letzteres weniger wegen des blauen Flecks, der bald kommen würde. "Ich bin nicht seine-" Das Wort blieb ihr im Hals stecken. "Wisst Ihr überhaupt, was-" "Ja", murmelte Izara und sah betreten zur Seite. Sie wollte das Thema nicht anschneiden, aber sie selbst hatte nun mal damit angefangen. "Ein Gefährte ist ein Partner fürs Leben. Ähnlich wie ein Seelenverwandter, den die Großen Drachen für uns erwählt haben. Aber", Izaras Stimme wurde immer dünner, "Gefährten haben dieselben starken Gefühle füreinander. Das beruht nicht nur auf Einseitigkeit." "Warum denkt Ihr, Eure Gefühle werden nicht erwidert?" Sila klang ehrlich verwirrt. "Weil ich es weiß." Es war furchtbar, daran zurückerinnert zu werden, in ihrer Brust staute sich alles zusammen, woran sie die letzten Tage nicht hatte denken wollen. "Ich habe ihm eindeutige Signale gesendet", gab Izara zu, "aber er hat nicht darauf reagiert." "Ihr habt ihm Eure Pheromone gesendet und er hat nicht-" Sila riss die Augen auf, sie schüttelte den Kopf, dass die lose geflochtenen Strähnen aus dem Zopf fielen. "Das könnt Ihr nicht auf Euch beruhen lassen, Prinzessin!", sprach Sila als ginge es um ihre eigene Ehre, "der König ist viel zu vorsichtig mit Euch. Ihr müsst ihn darauf ansprechen, sonst wird er Euch noch die nächsten Jahre wie ein rohes Ei behandeln." "Aber", Izara fehlten die Worte. Sie konnte doch nicht zu König Devon gehen und ihn auf diesen peinlichen und zutiefst verletzenden Augenblick ansprechen! "Das geht nicht", entgegnete Izara und spürte leichte Panik in sich aufkommen. "Ich weiß doch selbst nicht, was ich fühle, wie soll ich da den König nach seinen eigenen Gefühlen fragen?" Izara biss die Zähne in die Unterlippe, bis der erste Blutstropfen auf den Teppichboden landete. "Das ist alles ein großes Missverständnis. Wenn ich erst einmal meine Kräfte unter Kontrolle habe…" Wird dieses Chaos in meinem Kopf aufhören - daran musste Izara einfach glauben. "Nein, Prinzessin", versuchte es Sila, diesmal eine Spur ruhiger, "ich habe Euren Blick gesehen…ich sehe ihn auch jetzt. Glaubt mir, Ihr werdet keine Ruhe finden, wenn Ihr Eure Gefühle weiterhin verdrängt." "Aber was, wenn der König mich wieder abweist?" Sie sah hinauf zu der Lóng. "Sila, ich will das nicht noch einmal durchmachen. Ich muss akzeptieren, dass er mich nicht will." Die letzten Worte waren bloß ein Hauchen, zu nahe war sie den Tränen, um sich die Realität ins Gesicht zu schlagen. "Das glaube ich nicht", sagte Sila, nachdem die beiden stillschweigend ihren Gedanken nachgegangen waren, "der König ist sehr besorgt um Euch." "Weil ich eine Himmelsgöttin bin", entgegnete Izara ein wenig trotzig. "Das glaube ich nicht. Warum sollte er Euch während der Erweckung zur Seite stehen, wenn es ihm nur um das Himmelsblut ginge? Dasselbe gilt für jene Nacht." Die linke Hand umfasste Izaras Zopf, zärtlich legte sie ihn über die Schulter ihrer Prinzessin und lächelte. "Er hat Eure Wunden versorgt, obwohl es ihm selbst nicht gut geht." Moment! "Was hast du gesagt?", fragte Izara wie in Trance, "der König war hier?" Als wären die Bandagen der Beweis blickte sie auf ihre Arme hinab. "Ja, er ist hier", bestätigte Sila, "er ist noch in derselben Nacht zurückgekehrt." "Und das", Izara zeigte auf die Stellen, an denen die Wunden nicht mehr als blasse Erinnerungen waren. "Habe ich ihm zu verdanken, dass die Wunden so schnell verheilt sind? Die Regeneration…das war er?" Wo noch Kummer und Unsicherheit ihre Gefühle beherrschten, plagten sie erste Gewissensbisse. Nie hatte jemand so viele verschiedene Gefühle in ihr hervorgerufen, so viele Hochs und Tiefs binnen weniger Augenblicke ausgelöst. Gerade fühlte sie sich elend. Weil er wieder einmal zur Stelle war, ihren stillen Retter gespielt hatte, ohne dass er je eine Gegenleistung dafür verlangt hatte, während Izara über seine mangelnde Zuneigung jammerte. Kindisch kam sie sich vor. Wie jedes Mal, wenn sie sich vor dem König blamierte. "Ich muss zu ihm", entschied sie, jegliche Zweifel verdrängend. Auch wenn er keine Gefühle für sie hatte, wollte sie ihm seine Dankbarkeit zeigen - das war das mindeste, das sie für ihn tun konnte. "Das geht nicht", erwiderte Sila ernst und Izara meinte eine Sorgenfalte oberhalb der Augen gesehen zu haben. "Der König ist nicht in der Lage, jemanden zu empfangen." "Wie meinst du das?", es verging einen Augenblick ehe Izara realisierte, was Sila ihr vor einigen Minuten noch gesagt hatte. Dem König ging es nicht gut? Was, wenn er all seine Reserven an Izara verschwendet hatte und nun selbst in Gefahr schwebte? Wegen ihr. Warum, dachte Izara gequält, warum tat er das für sie? "Bitte, Prinzessin", sagte Sila, die Izara die ganze Zeit mit Sorge betrachtete, "beruhigt Euch." "Nein", Izara schüttelte den Kopf und wandte sich zum Gehen. Man hatte ihr schon viel zu oft gesagt, dass sie sich beruhigen sollte. Gerade dann, wenn Grund zur Besorgnis stand. Sie würde sich nicht von ein paar daher gesagten Worten abhalten lassen, den König zu sehen. Die Lòng spürte Izaras Gedanken und hielt sie am Ärmel fest. "Nein, Prinzessin, Ihr könnt jetzt nicht zum König." "Doch", Izara war sich nie sicherer gewesen. Sie entriss sich Silas Griff und stürmte davon. "Halt, Prinzessin!", rief Sila. Doch zu spät. Kapitel 35: Izara ----------------- Izara war aus der Tür gestürmt, vorbei an einer überrumpelten Wache und zwei Dienstmädchen, die beinahe die frischen Bettlaken fallen gelassen hätten. Wie vom Wirbelsturm hinfort geweht, rannte Izara durch die Flure. Die Räume des Königs waren in der oberen Etage. Sie kannte die ungefähre Richtung, sprang die Stufen hinauf und hastete weiter. Die postierten Wachen im hintersten Flügel, inklusive des Volan, der sich demonstrativ vor die Tür gestellt hatte, verrieten Izara, dass sie richtig war. "Prinzessin", sagte Trias ernst und blickte streng zu Izara hinunter. Diese war keuchend vor ihm zum Stehen gekommen, das Herz sprang ihr beinahe aus der Brust, als sie ihren Blick auf den königlichen Leibwächter richtete. "Ich muss zu König Devon", sagte sie. "Das geht nicht", seine Antwort schien in Stein gemeißelt. "Sila hat gesagt, dass er verletzt wurde…wenn das wahr ist, dann…", sie schluckte die Befürchtungen hinunter, "vielleicht kann ich etwas tun." "Dieses geschwätzige Weib", knurrte Trias, "ja, der König ist geschwächt. Genau aus dem Grund werde ich dich nicht durch diese Tür lassen." "Wie kannst du das sagen?" Izara wusste nicht, woher ihr plötzlicher Zorn herrührte. Vielleicht war es die Tatsache, dass man sie immer noch nicht ernst nahm. Oder vielleicht, weil Trias sie anblickte, als würde er gleich selbst im Dreieck springen. "Weil du keine Ahnung hast, was hinter diesen Türen geschieht", sagte er kühl. "Glaubst du, ich lasse dich in seinem Zustand auch nur in seine Nähe?" Sein Blick hatte etwas Endgültiges. Trias war ganz klar wütend, vielleicht nicht auf Izara, aber ihre Worte genügten, dass sie ihm eine ernste Miene bescherten. "Warum?", fragte Izara gequält. Seine Worte machten ihr Angst, um den König schien es schlimmer zu stehen, als Izara sich vorgestellt hatte und allein die Vorstellung, dass er litt, kostete sie fast den Verstand. Der Volan wandte den Blick ab. "Sag' es mir, Trias", rief sie energisch. Ihr platzte der Geduldsfaden. "Nie will mir einer irgendetwas sagen! Ich habe es satt, mir Eure kryptischen Antworten anzuhören." Trias setze zum Konter an, doch Izara hob den rechten Zeigefinger. "Und wenn ich von einen von euch noch einmal zu hören bekomme, dass ich mir keine Sorgen machen soll, werde ich eigenhändig diese Tür einbrechen." "Das wird dir nicht viel nutzen", entgegnete Trias mit einem trockenen Lachen, wobei er Izaras Ärger nur noch mehr aufheizte. "Die Mauern sind mit einer zusätzlichen Schicht versehen, niemand wird sie so schnell durchbrechen können. Und das ist auch gut so." "Kyia", murmelte Izara, "sie hat eine zweite Mauer errichtet. Wieso? Was geschieht dort drin?" Mit einem lauten Seufzer resignierte der Volan. "Der König ist geschwächt. Seine Verletzungen sind…kompliziert", er verschränkte die Arme vor der Brust, doch Izara sah, wie er seine Sorge zu überspielen versuchte. "Und da lässt du ihn in diesem Zustand allein!?", Izara wollte nicht vorwurfsvoll klingen, aber Trias Worte hatten sie alarmiert. "Ich muss", knirschte Trias, die Anschuldigungen hatten ihn getroffen, nur hatte Izara weder Zeit noch Nerven, sich deswegen schlecht zu fühlen. "Außerdem", fuhr er fort, "wird der König sich auch von allein erholen." "Und woher willst du das wissen?" "Weil es nicht das erste Mal ist. Der König verbraucht während unserer Missionen eine Menge Energie. Sobald es kritisch wird, lässt er sich in seinen ursprünglichen Zustand zurückverwandeln." "Du meinst", Izara sah mit großen Augen zur Tür, "König Devon hat sich in einen Drachen verwandelt?" "Es ist mehr als das", entgegnete Trias, "aber eigentlich ist es viel weniger. Der König ist in einem Zustand, in dem nur noch die instinktivsten Eigenschaften bestehen." "Das heißt?" "Das heißt, er ist nicht er selbst. In diesem Zustand nimmt er nichts und niemanden wahr, er ist unkontrolliert und würde eine Gefahr für dich und alle anderen darstellen." "Wieso tut er sich das an?" "Nur so heilen die Wunden schnell und er kann seine Kräfte bald wieder einsetzen. Hör zu", er versuchte ruhig zu klingen, seine bebenden Nüstern verrieten, dass er alles andere als ruhig war, "der König hat das selbst entschieden, und ich akzeptiere das. Das solltest du auch." Nein! "Ich werde ihn nicht allein lassen", nur daran zu denken, schnürte Izara die Luft zum Atmen ab. "Du musst", sagte Trias mit fester Stimme. "Es ist mir egal was du sagst, Trias. Ich muss." Sie hatte sich entschieden. "Lass' mich vorbei, Trias." Der Volan sah Izara wie eine Verrückte an. "Hast du mir nicht zugehört?!" "Doch. Aber du hast mich scheinbar nicht verstanden. Lass mich durch!" "Nein!" Demonstrativ baute er sich vor der Tür auf. Durchaus ein abschreckendes Bild, wie der große, mit Muskeln bepackte Feuerdrache vor der zierlichen Izara stand. Izara schreckte der angriffslustige Blick des Volans jedoch nicht ab. Trias war vielleicht stur, aber er würde Izara nichts tun. Davon war sie überzeugt. Gerade machte sie sein Machtgehabe nur wütend und sie wusste, es gab nur einen Weg, diese Angelegenheit zu klären. "Trias", sie schaute hinauf zu dem Leibwächter, ganz von allein begannen ihre Augen in einem strahlenden Blau zu leuchten, "Lass. Mich. Durch." Aus Trias Innersten kam ein leises Grollen, so als wenn aus der Ferne ein Wulkan zu brodeln begann. Seine Augen ließen sich nicht von den beiden Seelenspiegeln abwenden, die Anziehung war zu stark, zu einnehmend. Izara spürte den sog, die Bindung, die zwischen Himmelsdrache und Leibwächter einherging, ohne ihres Handelns wirklich bewusst zu sein. Seufzend ließ Trias die Arme sinken. "Wie Ihr wünscht, Prinzessin." Er trat beiseite, die Lider dabei geschlossen. Ihm gefiel es nicht, aber er fügte sich dem Befehl. Erst jetzt registrierte Izara, was sie soeben getan hatte. Dass sie wirklich dazu fähig war (und nicht nur daran glaubte), fühlte sich seltsam befriedigend an. "Danke", nuschelte Izara, denn sie wusste, dass der Volan keinen Dank hören wollte. "Was hinter diesen Mauern geschieht, liegt nicht in meiner Verantwortung", knurrte der Volan, noch immer in seinen Stolz verletzt. Die Stirn in Furchen geschlagen nickte er in Richtung Tür. "Sei vorsichtig, Izara", sagte er dann aber deutlich ruhiger, "sobald die Tür hinter dir zugeschlagen ist-" "Ich verstehe", auch Izara klang versöhnlich. Sie verstand, dass Trias nur seine Pflicht erfüllen wollte. Das wollte Izara auch. Ein letzter eindringlicher Blick und Trias öffnete die Tür. Es genügte ein Spalt, Trias schien nicht willig, noch mehr offenzulegen und Izara spürte ein unangenehmes Kribbeln im Magen. Bevor der Volan ihre Zweifel merken konnte, huschte sie hindurch. Mit einem leisen Quietschen fiel die Tür ins Schloss. Kapitel 36: Izara ----------------- Sie starrte auf die Klinke. Irgendetwas sagte ihr, dass sie nicht so schnell hier raus könnte. Das Schnauben lenkte sie von ihren Gedanken ab. Izara drehte den Kopf. Die Augen weiteten sich, die Lippen waren geöffnet, der Körper erstarrt. Das Zimmer des Königs war kein Zimmer. Der Raum war gewaltig, es gab weder Blümchentapete noch einen flauschigen Teppichboden oder helles Parkett. Es gab keine Tische, keine Stühle, selbst ein Bett würde man hier vergeblich suchen. Für einen Moment glaubte sie, im Inneren einer Höhle zu stecken. Das grelle Licht zwischen einzelnen Steinen, die unförmig aus der Wand gehauen worden waren, verrieten, dass sie sich noch immer im Schloss befand. Womöglich hätte sie sich etwas länger umgesehen, wenn nicht ein riesiger Drache am Ende des Raumes gestanden hätte und ihre Aufmerksamkeit für sich beanspruchte. Izara hatte bis zu diesem Zeitpunkt keine Vorstellung, wie ein Himmelsdrache auszusehen hatte. Nicht einmal ihre eigene Drachengestalt war ihr bisher bewusst gewesen. Die Kreatur vor ihr, die sie mit seinen eiskalten blauen Augen anstierte, übertraf all ihre Vorstellungen, die sie über ihre Spezies gelernt hatte. Die weißen Schuppen waren so grell, als wären sie aus der Sonne geboren worden. Umrahmt wurden sie von einem verwaschenen Blau, als wäre jemand mit Aquarellfarbe darüber gegangen. Die Flügel waren makellos und so blass schimmernd, dass sie den Eindruck erweckten, man könnte durch sie hindurch sehen. Der lang geschwungene Hals, die breiten Schultern, die Vorder- und Hinterbeine, aus denen silberne Krallen hervorstachen - es war nur ein Bruchteil dessen, was seine Erscheinung ausmachte, die zweifellos die Bezeichnung »königlich« verdient hatte. Izara konnte es nicht bestreiten, sie war fasziniert und auf eine sehnsuchtsvolle Weise fühlte sie sich von ihm angezogen, wie es nicht einmal seine menschliche Gestalt vemochte. Hatte sie König Devon als großgewachsenen und durchaus gutaussehenden Mann kennengelernt, übertraf die Drachenform alles, und zum ersten Mal wurde sie sich ihres eigenen Wesens bewusst. "Hoheit", hauchte Izara. Erst jetzt hatte sie wieder zu atmen begonnen. Die Luft war stickig und schwül. Der Drache stieß aus seinen Nüstern blasse Schwaden aus, die wie Nebel durch den Raum schwebten. In seinen Augen lag keine Erkenntnis und Izara musste schmerzlicherweise feststellen, dass er sie wirklich nicht erkannte. Bis zuletzt hatte sie Trias Worte als leere Drohung vermutet, damit er Izara von seinen Gemächern fernhalten konnte. Nun, wo der Himmelsdrache mit hasserfüllten Augen zu ihr hinunter sah, gab es keinen Spielraum für Interpretationen. Aus seinem Bauch schien ein leises, bedrohliches Grollen zu kommen. Izara verstand es durchaus als Warnung und sie spürte, wie ihr Körper instinktiv eine Schutzhaltung einnahm. Die Arme um den Oberkörper geschlungen, wusste sie nicht so recht, was sie tun sollte. Sie war so überzeugt gewesen, dass es richtig war, hierherzukommen, dass sie sich keine Gedanken gemacht hatte, wie es danach weitergehen sollte. Ganz anders der Drache. Dieser reckte seinen Hals und begann mit den Flügeln zu schlagen. Die Heftigkeit, mit der der Wind auf Izara zu raste, brachte sie aus dem Gleichgewicht. Sie stolperte, rutschte auf etwas Nassem aus und landete mit dem Gesicht in einer Pfütze. Ein metallischer Geschmack legte sich auf ihre Lippen. Izara fasste sich an den Mund, schmeckte das Blut auf ihrer Zunge und riss die Augen auf. Die Lache war kalt, Izara spürte das Blut überall. Vor lauter Schreck fasste sie sich an die Bandagen. Die Laken war klitschnass, das Blut war binnen Sekunden durchgesickert. "Unmöglich", murmelte Izara, die sich nicht erklären konnte, warum die Schmerzen ausblieben. Dann begriff sie und mit offenem Mund starrte sie zu König Devon hinauf. "Ihr blutet." Jetzt sah sie die Stellen. Pfützen über Pfützen - die Spuren zogen sich über den gesamten Raum. Steine waren beschmiert, selbst von der Decke tropfte es herunter. Fast schien es, der Raum selbst blutete, doch dann sah Izara die Wunde. Die Flügel hatten einen Großteil verdeckt, nun zeichnete sich am Rücken eine lange tiefe Schnittwunde ab; von einem Schwert, wie Izara vermutete, und ihr Herz verkrampfte sich bei dem Gedanken. Vorsichtig versuchte sich Izara aufzurappeln. Der Drache stieß einen donnernden Schrei aus, der Izaras Beine zum Zittern brachte. Izara hatte kaum Zeit zu reagieren, als auch schon die Krallen nach ihr ausgefahren wurden. Schnell duckte sie sich und schob sich mithilfe des Blutes weit genug von den Pranken des Himmelsdrachen. "Bitte hört auf!", rief sie der Kreatur zu. Der Drache kreischte, den Kopf gen Decke gestreckt. In seinen eiskalten Augen erkannte sie Zorn und Schmerz. Der Drache litt, ganz egal, wie oft er dieses Prozedere schon durchlebt hatte - die Schmerzen des Königs trafen Izara bis ins Mark und dass Trias dies als Lappalie verkaufen wollte, machte sie wütend. Ein weiteres Mal holte der Drache aus, diesmal stürzte er sich direkt auf Izara, die durch seine Vorderbeine hindurch rannte. "Ihr müsst aufhören!", rief Izara immer weiter. Aber der Drache hörte nicht. Sein animalischer Laut hallte durch den Raum. Selbst die Wände schienen vor ihm zu erzittern. "Ich flehe Euch an", flüsterte sie. Ihre Schreie waren vergeblich, der Drache hörte sie nicht, und wenn, war es ihm egal, was Izara sagte. Der nächste Flügelschlag erwischte Izara an der Schulter, sie flog auf die Wand zu und sackte zu Boden. Sie stöhnte vor Schmerz auf. Izara mochte sich erholt haben, aber auf eine Konfrontation mit dem König der Drachen war auch sie nicht gewappnet. "Ihr müsst Euch erinnern!", versuchte es Izara auf ein Neues. Warum hört er mich nur nicht?, dachte sie verzweifelt, während der Drache den nächsten Angriff vorbereitete. Lag es daran, dass er all seine Gefühle abgestellt hatte? Dass die Gestalt ihn zu einer triebgesteuerten Bestie werden ließ? Ihre Blicke trafen sich und ihr kam eine Idee. Was, wenn der Drache auf Izaras Menschenblut reagierte? Wie hatte König Devon ihren Duft bezeichnet; er hätte etwas »Erdiges«? Sie selbst konnte ihren Duft nicht ausmachen, doch sie war sich sicher, dass auch jetzt noch ein Großteil ihres Menschseins an ihm haftete. Da war es nur logisch, dass der Drache sie als Feind betrachtete, oder? "Natürlich", murmelte Izara, passte nicht auf und wurde von einer Böe bis zur Mitte des Raumes befördert. Izara kauerte sich instinktiv auf den Boden. Der Drache ging ein Stück in die Luft. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Die Hände über den Kopf geschlagen, kam ihr nur noch eine einzige Möglichkeit in den Sinn. Ganz gleich, wie lächerlich es schien, doch um ihren menschlichen Duft zu überdecken, musste sie den Drachen in sich erwecken - oder zumindest seinen typischen Geruch. Bisher hatte sie es nicht kontrollieren können, aber sie musste es wenigstens versuchen. Sie musste die Angst abschütteln und sich auf den Drachen in sich konzentrieren. Dieser fühlte mit dem Himmelsdrachen, dessen unkontrolliertes Umsichschlagen bloß aus Verzweiflung und Hilflosigkeit geschah. Ein lauter Schrei und der Drache war direkt über ihr. Sie spürte den Wind seiner Flügel, die Energie, die sein Körper ausstrahlte, das hitzige Schnauben, das seinen Nüstern entfleuchte. Izara sah ihn bereits auf sie stürzen. Was tat ein Drache mit einem Menschen? Zerfetzte er ihn in tausend Stücke, so wie es die Völker seit Jahrhunderten erzählten? Aß er ihre Gedärme und verschönerte seine Schuppen mit zermahlenen Knochen - ganz nach den Märchen, die die Paladine herum posaunten? Izara würde es wohl nie erfahren. Warme Luft blies ihr in den Nacken. Zaghaft wagte Izara einen Blick auf den Drachen. Der Himmelsdrache stand neben ihr, seinen Kopf hatte er in ihre Richtung gedreht. Er begann, sie von allen Seiten zu beschnuppern, was ein eigenartiges Kribbeln in ihr freisetzte. Könnte es sein, dass der Drache ihr Handeln als Annäherungsversuch verstand? Nicht, dass Izaras Duft Assoziationen weckte, und der Drache dies als Einladung verstand. Können Drachen und Menschen überhaupt - Izaras schüttelte den Gedanken beiseite. Es war lächerlich und in dieser Situation überhaupt darüber nachzudenken, fühlte sich einfach nur unsinnig an. Izara beobachtete ihn dabei, wie er den Hals hin und her schwenkte, die Augen über ihre viel zu kleine Gestalt wandern ließ. Ob er zweifelte, dass der Duft von ihr auskam? Wenigstens hatte er mit dem Knurren aufgehört. Izara wagte, sich aufzurichten, auch wenn sie dadurch kaum größer erschien. Der Drache ließ sie gewähren. Sein Gesicht war ihr nahe; so nahe, dass Izara einfach die Arme ausstreckte und ihm seine Hände darbot. Er sah sie an, Izara meinte, den Blick König Devons wiederzuerkennen und lächelte sanft. Obwohl sie ihm freiwillig die Hände entgegen streckte, überraschte es Izara, als der Kopf des Drachen sich herunter beugte. Wenn er ihre Stimme nicht erkannte - die Bedeutung ihrer Geste verstand er durchaus. Ein tiefes Ausatmen und Izara war in eine Dunstwolke eingehüllt, die sie an die warmen weichen Kissen von Zuhause erinnerten. Sie selbst atmete tief ein, ihre Hand näherte sich langsam dem Kopf, der schwebend neben ihrem eigenen zum Stehen gekommen war. "Wer hat Euch das angetan?", flüsterte Izara, während ihre Fingerspitzen die Schuppen des Drachen fanden. Die Haut war warm und ein klein wenig feucht, als hätte er sich vor Minuten zum Trocknen in die Sonne gestellt. Mit Zeigefinger und Daumen zeichnete sie die Linien oberhalb seines linken Auges ab. Ihre Berührungen fühlten sich unheimlich vertraut und selbstverständlich an, was einerseits beruhigend, aber auch ein klein wenig furchteinflößend war. Der Drache blieb stumm und beobachtete aus seinem tiefgründigen Blick jede winzige Bewegung Izaras. "Zum Glück scheint die Wunde sich geschlossen zu haben", redete sie weiter. Sie wusste, dass er sie nicht verstand, es war nur ungemein beruhigend statt sich mit der Stille und dem eigenen Herzschlag herumzuschlagen. Sanft wanderten die Hände zu den Partien, die eigentlich zu den Wangen gehörten. Dort waren die Schuppen eine Nuance dunkler, die blauen Linien deutlich kräftiger. "Es ist das erste Mal, dass ich Euch berühre", sie hielt inne. Der Drache schaute sie aus seinen runden Augen an und Izara fuhr fort. "Ob Ihr Euch später daran erinnern werdet? Oder werdet Ihr alles vergessen haben? So wie ich Eure Fürsorge vergessen habe…schon wieder." Sie senkte die Lider. "Vielleicht ist es besser so. Wenn Ihr wüsstet, dass ich hier bin, wärd Ihr bestimmt böse auf mich", sie schnaubte lächelnd, "und auf Trias. Aber ich versichere Euch, ihn trifft keine Schuld. Wenn ich nicht gerade schmolle, kann ich auch sehr stur sein." Sie strich über die Vorderbeine, von dort wurde es schwer, den Linien zu folgen, ohne auf den Drachen klettern zu müssen - und so weit wollte sie nun doch nicht gehen. Ihn in seiner wahren Form zu berühren, erschien ihr intimer als in seiner Menschengestalt. Dieses mächtige Wesen, das sie mit Leichtigkeit niedertrampeln konnte, legte sich schließlich neben Izara nieder. Auch jetzt lag der Kopf noch oberhalb ihres eigenen Körpers, der allmählich zu entspannen begann. Sie erlaubte sich, den Drachen als Ganzes zu berühren. Dabei wanderte sie die Konturen seines Halses hinab und zuckte kurz zusammen, als die Wunde wieder sichtbar wurde. Von Nahem flößte sie noch mehr Furcht und Respekt ein. Ein berührendes Bild menschlicher Grausamkeit. Jemand hatte wohl den Körper durchtrennen wollen, und ein einfacher Mensch wäre wohl noch in der Luft zweigeteilt worden. Sie biss sich auf die Lippen und strich um die Wunde herum. Eine Narbe war noch das Mindeste, was er aus diesem Angriff mitgenommen hatte. Wie es um sein seelisches Leiden stand, war kaum zu begreifen. Izara bezweifelte, dass König Devon jemals über seine eigenen Gefühle sprach, geschweige denn sich erlaubte, seiner Seele Erleichterung zu verschaffen. Ob sie ihn wohl jemals danach fragen könnte? Vermutlich nicht. "Es ist nicht Eure Schuld", murmelte Izara traurig, und wusste nicht so recht, ob sie über das Volk oder sich selbst sprach. Wenn sie sich vorstellte, dass sich König Devon ständig solch einer Gefahr aussetzte- Welcher König konnte das schon von sich behaupten? "Werdet schnell wieder gesund", hauchte sie und ließ sich neben das Gesicht des Drachen nieder. Ihr Erschöpfungszustand hatte ein neues Level erreicht. Sie war wohl doch noch nicht so fit, wie sie gedacht hatte. Kurz ruckte der Kopf des Himmelsdrachen, nur um seine Position zu verschieben, dass Izara weiter in seine Augen blicken konnte, deren Lider immer schwerer wurden. Kapitel 37: Izara ----------------- Sie hatte gar nicht gemerkt, wie ihr langsam die Augen zugefallen waren. Erst als die Dunstwolken des Himmelsdrachen ihren Nacken streiften und den geöffneten Zopf hin und her schwenken ließen, bis er schließlich auf Izaras Nase landete und ein lautes, quietschendes Niesen verursachten, dass sie plötzlich mit aufgerissenen Augen durch das Zimmer blickte, bemerkte sie, dass sie wohl eingeschlafen sein musste. "Was-?!", stieß sie aus und presste die Hände auf den Mund. Der Himmelsdrache schlief. Friedlich hauchte er ihr seinen Atem entgegen, dass sie ein weiteres Niesen zurückhalten musste. Vorsichtig richtete sich Izara auf. Sie hatte an seinem Kinn gelehnt, der Drache hatte Izara einmal komplett mit seinem Körper eingewickelt, dass es irgendetwas zwischen Umarmung, Erdrosseln und Nestbau war. Mollig warm war es inmitten dieser schlummernden Kreatur. Das Bild wirkte so beruhigend auf sie, dass Izara nicht anders konnte als ihre Fingerspitzen über die Schuppen seines Gesichtes fahren zu lassen. Wer weiß, ob sie ihn jemals wieder berühren durfte. Schwer wurde es ihr ums Herz. Die Realität rückte mit jeder Sekunde, in der sie wacher wurde, näher. Die unerwiderten Gefühle drückten sich ihr auf, ganz gleich, was Sila ihr gesagt hatte, Izara konnte sich nicht mehr den stillen, verhängnisvollen Hoffnungen hingeben. Noch ein weiteres Mal mit gebrochenem Herzen vor dem König stehen, würde sie nicht ertragen. Denn genau das was es, was ihr die Luft zum Atmen raubte. Ein gebrochenes Herz. Ob sie nun wollte oder nicht. Die Arme gesenkt, befreite sie sich aus seinem Klammergriff. Izara dachte an all die Geschichten von Drachen, die Jungfrauen verschleppten und ihre Schätze in Höhlen horteten. Weit verbreitete Legenden, die den ganzen Kontinent mit falschen Vorstellungen und trügerischem Hass verseucht hatten. Würden die Menschen nicht nur sehen, was sie hörten, wäre den Drachen viel Leid erspart geblieben. Drachen hüteten viel, aber was als kostbare Besitz- und Reichtümer durch die Landen verbreitet wurde, war in Wirklichkeit etwas viel viel kostbareres als Gold und Juwelen. Die Reichtümer waren ihre Eier. Die Jungfrauen wahrscheinlich ihre Gefährtinnen - kurz vor ihrer Erweckung. Die einzig wahren Schätze des Drachenvolkes. Der Drache zuckte mit den Vorderbeinen, bevor er Izara aus seiner Umarmung ließ. Seine Augen blieben geschlossen, und Izara wünschte, sie selbst könnte noch ein wenig die Lider senken. Der Gedanke, dass er sie die ganze Nacht nicht losgelassen hatte, tat gut, selbst wenn es nur seine einfachste Drachengestalt war, die sie umschlungen hielt, hatte der Himmelsdrache ihr Wärme und Zuneigung gespendet. Ein wenig züngelte die Flamme der Hoffnung, Izara musste sich regelrecht dazu zwingen, die Beine in die Hand zu nehmen. Dem König schien es besser zu gehen, und wer weiß, wie lange es dauerte, bis er Izara erkannte. Die Wunde war gut verheilt, erstaunlich, zu was ein Drachenkörper imstande war, wenn er sich nur auf sich selbst konzentrierte. Izara ballte die Hände zur Faust. Zu verführerisch war es, ihm über die ebenmäßigen Schuppen zu fahren, die blauen Linien mit den Fingern nachzuzeichnen, die warme, feuchte Haut auf der Hand zu spüren. "Genug", murmelte sie und kletterte über die Hinterbeine des Drachenkönigs. Kurz schienen die Lider zu zucken, doch der Himmelsdrache hauchte ihr weiterhin seinen ruhigen Atem entgegen, während sich der große, wuchtige Körper in regelmäßigen Abständen hob und senkte. Auf Samtpfoten schlich Izara zur Tür. Auf der anderen Seite wäre sie fast mit dem Bergdrachen zusammen gerempelt. "Kyia?!", rief Izara überrascht aus. Die Leibwächterin lehnte an der Wand, direkt neben der Tür. Die Beine überkreuzt und die Arme über der Brust verschränkt, war sie mindestens so breit wie Izaras Kleiderschrank und nahm ein großes Stück der Tür ein. "Guten Morgen, Prinzessin", grummelte der Bergdrache. Eine Mischung aus Neugier und Ärger schlich sich in ihre Stimme. "Ich hatte nicht mit dir gerechnet", gab Izara zu und entwirrte ihren zerstörten Zopf, dass die Haare ebenmäßig über ihren Rücken fielen. Sie wartete bereits auf die Schelte, die sorgenvolle Standpauke, mit der Kyia sie seit Tagen bombardierte. Doch Kyia seufzte nur. "Schichtwechsel", sagte sie stattdessen und schloss für mehr als einen Wimpernschlag die Augen. "Und Trias?" "Der rauchende Holzkopf brauchte auch einmal eine Pause", sagte sie sanfter, als Izara es erwartet hätte. Mit einem Schulterzucken deutete Kyia auf die Tür. "Keine Ahnung, wann dieser sture Esel das letzte Mal geschlafen hat. Aber es war bitter nötig." "Trias macht sich große Sorgen um seinen König", Izara ließ die Schultern hängen. Dass sie dem Volan vorgeworfen hatte, den König in Stich gelassen zu haben, war nicht richtig gewesen. Natürlich tat Trias alles in seiner Macht stehende, um dem König zur Seite zu stehen und dass er selbst nicht viel unternehmen konnte, setzte ihm wohl mindestens so viel zu wie Izara. "Und Ihr?", fragte Kyia und riss Izara aus ihren Strudel aus Schuldgefühlen. Izara wappnete sich und blickte entschuldigend zu ihrer Leibwächterin hinauf. "Ich musste das tun." "Ich weiß", wieder seufzte der Bergdrache. "Es ist nichts passiert", schwor Izara, "der König - er hat…", Izara schüttelte den Kopf, "er würde mir nie etwas tun." Seltsam, wie einfach die Worte ihren Mund verlassen konnten. Sie war sich einer Sache noch nie so sicher gewesen.   "Es war trotz allem gefährlich, Prinzessin", sagte Kyia und richtete sich auf, "Ihr hättet ernsthaft verletzt werden können. Besonders nach den Ereignissen. Ihr seid noch nicht soweit, es mit einem Himmelsdrachen aufzunehmen…dachte ich zumindest", Kyia runzelte die Stirn. "Egal, wie Ihr das angestellt habt, es ist ein Wunder, dass er Euch nicht aufgefressen hat." Geschockt starrte Izara ihre Leibwächterin an. "Er hätte doch nicht…ich meine…" Allein die Vorstellung war so absurd schockierend- "Schon gut", Kyias Mundwinkel zuckten, "das war nur ein Scherz." "Ein Scherz?!", rief Izara noch völlig aufgebracht, "das mit den Witzen musst du eindeutig noch üben." Langsam beruhigte sich ihr Herzschlag. Der trockene Humor des Bergdrachen hatte ihr Blut um ein dreifaches schneller fließen lassen. Eindeutig zu schnell für diesen Morgen. "Was habt Ihr jetzt vor?", fragte Kyia, die Izaras zerknirschten Gesichtsausdruck gesehen hatte. "Erst einmal", antwortete Izara gedehnt, "werde ich mir ein Bad gönnen." Nach zwei Tagen hatte sie das Gefühl, von ihrem eigenen Duft umnebelt zu sein. Die blutverschmierten Kleider und Bandagen waren auch keine große Hilfe. "Soll ich Eure Zofe schicken lassen?" "Nicht nötig", winkte Izara ab, "wenn du sie siehst, sag ihr, dass ich sie in den nächsten Tagen sprechen möchte." Izara hatte so einiges vor, wofür sie die Hilfe ihrer Bediensteten brauchen könnte. Sie hatte Pläne, jetzt, wo sie sich ihrer Pflichten bewusst war, musste sich einiges ändern. "Ich werde es ausrichten." Kyia nickte. Mit einem Lächeln verabschiedete sich Izara und spazierte durch die bekannten Flure des Palastes. Wachen beäugten die Himmelsgöttin, bevor diese ihre Blicke erwiderte. Augenblicklich schnellten die Köpfe nach unten. Ihren Respekt hatten sie Izara von Anfang entgegengebracht, aber heute fühlte er sich zum ersten Mal…richtig an. "Prinzessin", kam es aus allen Richtungen. Die Ereignisse in der Schlucht hatten sich herumgesprochen, Izara brauchte keine telepathischen Fähigkeiten, um zu wissen, dass sie die Prinzessin in einem völlig neuen Licht sahen. Besonders die Weibchen. Allesamt waren sie auf die Knie gegangen, als Izara die Vorhalle betrat. Stumm neigten sie ihre Häupter. All den Dank verdiente Izara gar nicht, sie hatte helfen wollen, sonst nichts. Wenn sie daran dachte, was geschehen wäre, hätte Izara ihr Blut viel früher akzeptiert, wie viele Leben wären dadurch verschont geblieben? In den Badeanstalten dachte sie lange darüber nach. Sie begoss sich mit kaltem Wasser und tauchte dann in die heißen Quellen des Beckens ein. Zunächst musste sie lernen, ihre Kräfte zu kontrollieren. Für diese Aufgabe wäre wohl Kyia am besten geeignet und sobald sie Izaras Gesundheitszustand für gut befand, würde Izara das Thema ansprechen. Aus dem Wasser gestiegen, rubbelte sie ihre Haare mit einem flauschigen Handtuch trocken und band sie sich zu einem geflochtenen Zopf. Es sah nicht ganz so professionell wie bei Sila aus, aber für den Morgen sollte es genügen. Aus dem Wassers lächelte sie ihr Spiegelbild an. Ein zaghaftes Lächeln, wie eine Blume kurz vor ihrer Blüte. Sie würde ihr Bestes geben, um eine würdige Himmelsgöttin zu sein. Das war sie den anderen schuldig - und sich selbst. * Zurück im Flur, überlegte Izara, ob sie vor ihrer Mahlzeit den Garten aufsuchen sollte. Eigentlich würde sie ja viel lieber in der Schlucht nach dem Rechten sehen, aber die Brutzeit neigte sich dem Ende und sie wollte den Eiern ihre letzten Ruhetage gönnen. Und dann gab es ja noch Izaras Kräfte, die für eine Menge Aufsehen gesorgt hatten. Die Neugier der Dienerschaft war greifbar, sie fürchtete einen Ansturm an Fragen, von denen die wenigsten Izara beantworten könnte. Bereits auf den Gängen hatte sie mit den fragenden Blicken der Soldaten zu kämpfen. Mit der Neugier und stillen Hoffnung, die mit Izaras Handeln unweigerlich einhergingen. Dass sie bisher geschwiegen hatten, verdankte sie ihrem besonderen Status, doch sie wusste, dieser würde nicht ewig halten. Zügig durchquerte sie den Flügel, vorbei an der Vorhalle mit der großen Glaskuppel, die einen wunderschönen Spätsommertag prognostizierte. Spontan entschied sie, die Schlossgärten anzusteuern. Ein kleiner Ausflug in einem mit Moos gebetteten Miniaturwald konnte nicht schaden und wenn sie schon einmal dort wäre, würde sich Izara über die dortigen Heilkräuter erkundigen. Das Palasttor, nur wenige Schritte von ihr entfernt, ließ sie innehalten. Die kleine Gruppe, bestehend aus drei hünenhaften Drachen (inklusive Trias, der doch eigentlich im Bett liegen sollte) stand direkt vor den eisernen Toren und unterhielt sich leise. Der Volan hatte sich vor ein etwas kleineres, blondes Männchen gestellt, die Stimmen waren gedämpft, selbst wenn Izara gewollt hätte, aus dieser Entfernung hätte sie keinen Mucks vernommen. Doch Izara interessierte nicht das Gespräch. Ungläubig blinzelte sie. Unmöglich… Sie träumte gerade - oder? Aber der grünäugige Blitzdrache war auch nach zwei, drei weiteren Wimpernschlägen noch immer neben Trias. Wumm, machte ihr Herz einen derart heftigen Satz, dass sein Nachhall lange in ihrem Innersten zu spüren war. "Solar!" Kapitel 38: Izara ----------------- Die Männchen ließen ihre Köpfe nach hinten schnellen. Auch der Blonde wandte sich Izara zu, die nicht länger in sich halten konnte und auf den Blitzdrachen zurannte. Dieser weitete ebenfalls die Augen, die Erkenntnis traf ihn wie einen Schlag und mit offenem Mund starrte er die Himmelsgöttin an. Diesen Gesichtsausdruck hatte Izara noch nie bei ihm gesehen. Er war…überwältigt? Izara war es allemal, und wie zur Bestätigung machte ihr Herz zwei weitere Purzelbäume, dass es drohte zu überschlagen. "Solar!", wiederholte sie seinen Namen, diesmal lag Erleichterung in ihrer Stimme. Sie schlang die Arme um seinen Hals, spürte die vertraute Wärme, die knisternde Spannung seines Körpers, der nach Heu und Mohnblumen duftete. "Izara", nuschelte er in ihre Haare. Ohne zu zögern hatte er ihre Umarmung erwidert. Der Solar von früher hätte sie wohl nur gefragt, was sie da machte, aber auch der Blitzdrache schien in den letzten Wochen viele Veränderungen durchgemacht zu haben. Das Wiedersehen war auch für ihn eine Überraschung, Izara merkte, wie ihre Augen feucht wurden und die Sorgen der vergangenen Monde mit einem Ruck hinaus preschen wollten. Ihre Wiedersehensfreude fand ein abruptes Ende, das Räuspern war so laut, dass Izara aus ihrer Traumblase erwachte. Es war Trias, der Volan hatte seine Faust vor dem Mund, die Venen einzelner Finger lugten verdächtig hervor. Auch Solar schnaubte, weniger feindselig, denn ergeben riss er sich von Izara los, die für einen Moment entrüstet und überrumpelt war. "Natürlich", sagte der Bruder ihrer besten Freundin und straffte sich, "ich bitte vielmals um Verzeihung…Prinzessin." "Oh nein, Solar", Izara schüttelte den Kopf. Den Volan ignorierte sie absichtlich. "Wenn du mich auch nur einmal mit meinem Titel anredest, dann-" Die Drohung blieb ihr im Halse stecken, Izara schluckte und kämpfte mit dem weinerlichen Mädchen in sich. "Genug mit dem königlichen Geplänkel", sie wischte sich eine Träne aus dem Gesicht. Die Drachenprinzessin hatte gesprochen und selbst jemand wie Solar würde sich dem fügen müssen. Ihr Lächeln war halb erzwungen, obwohl sie vor Freude platzen könnte. "Du musst mir alles erzählen", ihre Zunge war schneller als ihr Kopf. "Was machst du hier? Wo sind Maya und deine Mutter? Habt ihr die Reise gut überstanden? Was ist mit Mayas Erweckung. Wurde sie auch-" "Ganz ruhig, Izara", raunte Solar. Er streckte die Hände in die Höhe als wollte er sich ergeben. "Den beiden geht es gut, Mutter und Mayabe sind wohlauf, und was die Erweckung betrifft, so gab es keine Komplikationen." "Eine kürzere Zusammenfassung konntest du wohl nicht abgeben", Izara rollte mit den Augen. "Ich weiß nicht, was du sonst von mir hören willst", erwiderte Solar so trocken wie eh. "Wirklich, Solar, du hast dich kein Stück verändert." "Es gab bisher nie Anlass, sich zu verändern." "Wenn du nicht willst, dass deine Zukünftige die Flucht ergreift…" "Solange es keine gibt, gibt es auch keinen Grund, etwas an sich zu ändern." Die letzte Bemerkung hatte Solar die Stirn kraus ziehen lassen. "Jaja, verstehe schon." Izara musste die Hand vor dem Mund halten, ihr Lächeln ließ bereits die Leibwächter die Augenbrauen zusammenziehen. "Nun", Trias probierte es erneut mit dem Räuspern, "ich brauche euch wohl nicht mehr zu fragen, ob ihr euch kennt." Izaras klemmte sich eine verirrte Strähne hinters Ohr. "Solars Familie -  sie ist…mir sehr wichtig." Izara wusste nicht, wie sie ihre Beziehung, geschweige denn ihre Gefühle beschreiben sollte. "Dann sage deinem - was auch immer -, dass er einen ungünstigen Zeitpunkt gewählt hat." "Inwiefern?", fragte Izara. "Der König", entgegnete der Volan streng, "steht derzeit für keine Audienz zur Verfügung." Solar war wegen des Königs gekommen? Izara hatt noch gar nicht über seinen Besuch nachdenken können, aber wenn sie den Blitzdrachen so ansah, fielen ihr auch die vielen, kleinen Details auf und die Verwunderung war gar nicht mehr so groß. Zum Beispiel das Abzeichen an seinem Hemdkragen. Er trug ein schwarzes Leinenhemd, dessen Ärmel er bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt hatte. Solar krämpelte grundsätzlich jedes seiner Hemden, egal ob Sommer oder Winter war. Auf Brusthöhe, wo die Herrschaften Medaniens ihre Taschenuhren zu tragen pflegten, blitzte ein weiß-blaues Wappen auf. Dasselbe Wappen, das Izara an sämtlichen Palastwachen gesehen hatte. Eine weiße Drachenklaue umrahmt von einem L-förmigen Drachenschwanz. Wer ein Abzeichen trug, hatte sich dem König verpflichtet, das hatte ihr Kyia einmal gesagt und anhand der Stelle, an welcher das Abzeichen prangerte, ließ sich die Stellung des Kriegers erkennen. Natürlich hatte Izara keine Ahnung, Kyia trug ihres an der Hüfte, ebenso wie Trias. Tiefer hatte sie das Thema nie untersuchen wollen. "Trias hat recht", bestätigte Izara ein wenig traurig. Gerade wusste sie nicht, wem ihre Trauer galt - Solar oder dem Drachenkönig. "Es tut mir leid, dass du den Weg auf dich genommen hast." "Das muss es nicht", entgegnete Solar, dann wandte er sich respektvoll dem Volan zu. "Ich und meine Familie, wir sind sehr dankbar für die Zuflucht, die Dragor und der König uns gewährleistet haben. Ich weiß, meine Bitte ist unverschämt, doch erlauben Sie mir, zu einem späteren Zeitpunkt erneut eine Audienz erfragen zu dürfen." Solar senkte sein Haupt. "Er ist sehr wichtig für mich." "Solar", hauchte Izara. Der Blitzdrache sprach wie ein braver, ehrfürchtiger Bürger. Ein Bürger der Drachenstadt, nicht eines von Paladinen verseuchten Provinznestes. Zum anderen lag eine Schwere in seiner Bitte, die Izara zum Frösteln brachte. Wenn sie die Macht hätte, sie hätte Solar noch heute zu König Devon geführt. Stattdessen presste sie die Lippen aufeinander. Sie war verärgert, so ein Nichtsnutz zu sein und verärgert weil Trias sich nicht einmal dazu bequemte, eine angemessene Antwort zu geben. Am liebsten hätte sie ihm in die Rippen gestoßen, wenn da nicht eine Kleinigkeit in Solars Fürbitte gewesen wäre. Sie war hellhörig geworden. "Maya ist in Dragor?" Izara hätte es wissen müssen, aber aus Solars Mund wurden ihre Hoffnungen Wirklichkeit. Der blonde Blitzdrache nickte. Izaras Augen begannen aufgeregt zu flackern. "Bist du auf dem Weg zu ihr?" "Ich bin auf dem Weg nach Dragor." "Dann nimm' mich mit." "Einen Moment", warf sich Trias zwischen den Dialog. "Prinzessin, wie du dich vielleicht erinnerst, befindet sich Dragor einige Meilen abseits des Palastes. Gemäß der Umstände und deines Zustandes, halte ich es für keine gute Idee, die Drachenmetropole aufzusuchen." "Ich halte es für eine ausgezeichnete Idee", grinste Izara zurück. Gegen einen übermüdeten Volan hatte sie die besten Karten zu gewinnen. Außerdem war sie viel zu aufgeregt, um sich von Trias Knurren einschüchtern zu lassen. Nach ihrer letzten Auseinandersetzung kam ihr der Volan gar nicht mehr so übermächtig vor. "Prinzessin", Trias ließ das Wort scharf auf seiner Zunge rollen, "das Spätlesefest ist kein sicherer Ort-" "Ein Fest?!", rief Izara aus und schaute kurz zu Solar herüber. Der Blitzdrache hielt sich gänzlich aus der Debatte heraus, Izara bezweifelte, dass er große Lust hatte, Stellung zu beziehen. Das war einfach nicht seine Art.   "Trias! Sie sind meine Familie. Ich habe über zwei Monde nichts von ihnen gehört. Ich muss einfach sehen, dass es ihnen gut geht." Wenn sie den Volan nicht mit Stärke überzeugen konnte, dann versuchte Izara wenigstens, dessen Herz zu berühren. Doch Trias schien einen Panzer umgelegt zu haben. Seine Miene war finsterer als die Ringe unter seinen Augen. "Als deine Familie werden sie verstehen, dass es zu gefährlich für dich ist", erwiderte er scharf. "Und als Untertanen-" "Ach, Trias", säuselte aus der Ferne eine Stimme. Gleichzeitig ließen Izara und Trias die Köpfe nach hinten schnellen. Absätze klapperten über den Boden, gemächlichen Schrittes schritt Sila auf die Männchen und ihre Himmelsgöttin zu. Die gebürtige Lóng trug ein traditionelles Drachengewand mit roten Blumenstickereien. Die vergangenen, letzten Tage schienen wie ausradiert. Sila wirkte geradezu erfrischt und ausgeglichen, das Bad schien auch der Lóng gut getan zu haben, etwas Schaum klebte noch an ihrem Hals. "Mir scheint", fuhr Sila fort und schwang ihr frisch gewaschenes Haar nach hinten, "du überschreitest deine Befugnisse, mein Lieber. Immerhin ist es unsere ehrenwerte Prinzessin, die einen Ausflug in unsere Drachenmetropole beabsichtigt." Sie stand nun dicht neben dem Volan, der ein tiefes Grollen von sich gab. Die Lóng schien es wenig zu berühren, ihr Lächeln brachte ihre Schneidezähne zum Vorschein, die sich Izara gar nicht so spitz vorgestellt hatte. Kurz ließ Sila die Fassade fallen, sie verneigte sich vor ihrer Prinzessin, Ehrfurcht und Respekt lagen in ihrer demütigen Haltung, bevor sie sich wieder ganz ihrem brummenden Vordermann widmete. "Der Wunsch der Prinzessin hat oberste Priorität. Niemand außerhalb der Königsfamilie darf sich das Recht herausnehmen, die Prinzessin zu bevormunden…Sag' mir, wenn ich falsch liege, o großer Diener des Himmelsdrachen." Ihre Stimme war Süßholzgeraspel und Schwertklinge in einem. Wer jetzt zwischen die beiden Drachen ginge, der wäre entweder zu Asche verbrannt oder zu Eis erstarrt worden. Noch nie hatte Izara zwei gegensätzliche Kräfte aufeinanderprallen sehen. Selbst das bisschen Aura, das die beiden Drachen aussandten, reichte, um die Luft zum Knistern zu bringen. "Seit wann verbrüderst du dich mit der Prinzessin?", Trias streckte die Brust heraus, er war um einiges größer als Sila und wusste dies durch seine Muskeln zu betonen. "Ich versuche lediglich, dich daran zu hindern, deine Grenzen zu sehr auszuloten." "Solange der König genest, habe ich die Verantwortung für die Sicherheit des Palastes und seiner Bewohner." "Bei dem großen Drachen, Trias! Jetzt stell dich nicht so an", die Lóng stemmte die Hände in die Hüften, "du tust ja so, als würden vor Dragors Mauern die Paladine ihre neuen Speere ausprobieren. Die Stadt ist sicher. Ich weiß das, du weißt das…wieso entspannst du dich nicht einfach und gönnst dir ein wenig Ruhe, statt deine Kompetenzen zu überschreiten. Du kannst dir nämlich nicht vorstellen, wie anstrengend du nach drei schlaflosen Nächten sein kannst", ihre Augen wanderten zu Solar, "dieser überaus attraktive Blitzdrache sollte in der Lage sein, unsere Prinzessin hinreichend zu beschützen. Ist es nicht so?", ihre Lider senkten sich verführerisch. Izara war verblüfft, noch mehr von Solar, den Silas Reize vollkommen kalt ließen. "Natürlich", antwortete Solar und salutierte. "Siehst du, Trias. Dieser ambitionierte Soldat scheint nicht nur ein Freund unserer Prinzessin zu sein. Darüber hinaus verleiht ihm seine Stellung die ehrenvolle Aufgabe, die Prinzessin sicher nach Dragor und wieder zurück bringen zu dürfen. Oder willst du dich neuerdings gegen unsere eigenen Gesetze stellen?" Die letzten Worte kamen harsch über ihre Lippen, Izara verstand kaum ein Wort ihrer Unterhaltung, doch sie wusste, dass Sila dabei war, sie zu gewinnen. Trias war ein schlechter Verlierer, grunzend wandte er sich ab. Ein »macht doch, was ihr wollt« drang zwischen heißen Nebelschwaden, bevor der Volan davon marschiert war. Eine irritierte Wache, eine siegreiche Lóng und eine mehr als verwunderte Izara blieben zurück. Solar hatte kaum etwas an seinen Gesichtszügen verändert. Nicht einmal, als Sila ihm zweideutig zuzwinkerte und Izara beim Verlassen viel Spaß wünschte, blieb Solar der steifeste Blitzdrache, dem sie je begegnet war. Kapitel 39: Izara ----------------- "Du bist also Soldat?", Izara hatte diese Frage nicht als erstes stellen wollen, aber nachdem sie eine halbe Stunde schweigend nebeneinander hergelaufen waren, war es Izara egal, worüber sie redeten. Die Stille zwischen ihr und Solar hatte sich schon immer falsch angefühlt. "Ja", antwortete Solar knapp, dass Izara seufzend die Kapuze nach hinten klappte. Den Umhang hatte sie von Trias. Der Volan war noch einmal zurückgekehrt, um Izara einen schwarzen, schweren Mantel umzulegen. Unter grummelnden Gemurmel und einem Blick, den Izara nicht zu deuten wusste. Er hatte sie auch beschworen, die Kapuze unter keinen Umständen abzusetzen. Irgendwie niedlich von dem Volan, wie er Izara vor den Rest der Welt zu verstecken versuchte und noch niedlicher, dass er glaubte, damit Erfolg haben zu können. Nach den jüngsten Ereignissen auf Whalla ein lächerlicher Gedanke. Bloß schien niemand darüber reden zu wollen. Wie er Izara in dieses übergröße Stück Stoff eingehüllt und dabei einen nicht minder süßen Schmollmund gezogen hatte, hatte Izara doch glatt zu einem Wangenkuss verleitet. Dass er diesen nicht einmal mitbekommen hatte - er musste wirklich erschöpft sein, und Izara war das erste Mal besorgt um König Devons ersten Leibwächter. "Du hattest schon immer ein starkes Pflichtbewusstsein, Solar", sagte sie, um das Gespräch am Laufen zu halten. Solar war noch nie der offensive Typ gewesen. "Pflichtbewusstsein reicht nicht aus, um unser Volk zu beschützen", erwiderte Solar. Er drehte sich zu Izara und zog ihr die Kapuze über den Kopf. "Und was ist mit deiner Erfahrung?" Izara hob eine Augenbraue und zog die Kapuze wieder herunter. "Erfahrung kann hilfreich sein." "Ach Solar, dir muss man aber auch alles aus der Nase ziehen", Izara seufzte. "Was möchtest du hören? Wie ich für das Drachenvolk kämpfe, in dem ich mein Wissen mit ihnen teile? Wie ich die Schwächen der Paladine ausnutze? Wie uns mein Wissen über Trainingsmethoden, Zaubersprüche und  Folterspielchen weiterhilft…?" "Ja, sowas zum Beispiel." Aus den Augenwinkel beäugte er sie. Ein flinker Handgriff und Izara hatte wieder die Kapuze bis zu den Spitzen ihres Ponys hängen. Schnaubend funkelte sie ihn an. "Das ist doch lächerlich", grummelte Izara. "Das ist notwendig", erwiderte Solar und blickte wieder geradeaus. "Hier ist weit und breit niemand zu sehen." Sie wedelte mit den Armen. Seichter Wind wehte durch die Ärmel - ein Vorbote des Herbstes. Sie mochte, wie der Wind durch ihre Haare strich. Trotzdem blieb die Kapuze oben. Vorerst. "Das heißt überhaupt nichts", Solar verschränkte die Arme vor der Brust. Ihm war es eindeutig ernst damit. Sein Blick wanderte von einer verlassenen Eiche zum nächstgelegenen Feld und wieder zurück nach vorne. Sie folgten einem Trampelpfad, nachdem sie über einen durchweichten Boden gewatet waren, klebten nun einzelne Bröckchen Erde an Izaras viel zu dünnen Schuhen. "Du übertreibst, Solar." "Die jüngsten Ereignisse beweisen, dass ich nicht übertreibe." Darauf wusste Izara nichts zu sagen. Geistesabwesend starrte sie auf den Boden zu ihren Füßen. Sie waren schnell unterwegs, auch wenn sie nicht gerade rannten, so legten sie die ersten Meilen ohne Probleme zurück. Solar hatte einen geschmeidigen Schritt, dem sich Izara anzupassen hatte - ob sie nun wollte oder nicht. Proteste hätten nichts genutzt. Am Ende hätte er sie zurück in den Palast gebracht, und nachdem sie es bis hierher geschafft hatte, würde sie auch die restliche Strecke durchhalten. Ihre viel zu kleinen Füße stolperten über die trockene Erde. Falscher Stolz ließ sie die Zähne zusammenbeißen. "Solar", hauchte Izara und stubste den Blitzdrachen mit dem Zeigefinger an. "Du weißt, was passiert ist? Während des Vollmonds?" "Wir alle haben davon gehört", antwortete Solar knapp und Izara war überzeugt, dass das Thema für ihn beendet war. Er stieß einen tiefen Atemzug aus, dann sagte er: "Es war dennoch ein Schock für uns." "Es war der Bürgermeister, Solar." "Flatsch", knurrte Solar - ein erstes Zugeständnis, dass auch der Blitzdrache Gefühle hatte, "wir hätten es wissen müssen." Knochen knackten. Solar hatte die Hände zur Faust geballt. "Die Gemeinschaft der Paladine lässt keinen Ausbruch ungesühnt", fuhr er mit zusammengepressten Lippen fort. "Es ist meine Schuld", Izara blieb stehen. Sie ließ die Schultern hängen. "Ich habe den König dazu gebracht, die Drachen zu befreien. Ich habe die Eier nicht ausreichend beschützt, ich-" "Izara", raunte er ihren Namen. Auch Solar war stehen geblieben. Mit einem schwachen Lächeln schüttelte er den Kopf. "Mayabe hatte also doch recht. Hör' zu: Dich trifft keine Schuld, Izara. Du hast uns befreit und die Ungewissheit ist nun einmal der Preis unserer Freiheit. Glaub' mir, keiner hat gezögert, als der König vor uns stand und das Halsband gelöst hat. Ich zumindest empfinde nichts als Dankbarkeit gegenüber unseren König - und natürlich gegenüber dir." "Hast du dich deshalb dazu entschieden, ein Soldat zu werden?" "Es ist ein Grund", entgegnete Solar und lief weiter. Izara folgte ihm. "Nachdem ich erfahren habe, wer du bist", aus seinen Fäusten drang das Weiß seiner Knöchel hervor, "wir konnten es gar nicht glauben. Ich dachte…es war…" Er brach plötzlich ab. "Was dachtest du?", flüsterte Izara, unsicher, ob es richtig war, in der Wahrheit herumzustochern. "Das Verschwinden unseres Vaters, das Gerücht einer Vergewaltigung - ich dachte immer, dass es einen Zusammenhang gäbe. Der Zeitpunkt passte perfekt, es ergab einfach Sinn. Menschen lügen und Drachen-" "Du…du dachtest, ich wäre deine Schwester?" Sie wollte Halbschwester sagen, aber das Wort fühlte sich noch falscher an als das vorherige. "Die meisten dachten es. Abgesehen von Mayabe. Mutter hat ihr nie erzählt, dass unser Vater kurz nach der Empfängnis verschwunden ist." Dann glaubte Mayabes Mutter also auch…sie wusste nicht, was sie sagen sollte. "Ihr dachtet, ich wäre der Grund, weshalb euer Vater gegangen ist, und trotzdem ward ihr so… so lieb zu mir gewesen?" "Wir haben uns von deinem Aussehen trügen lassen", fuhr Solar fort, als hätte er Izara nicht gehört. "Die blonden Haare, die blauen Augen - für uns stand fest, du bist ein Blitzdrache." [style type="italic"]Uns. Wir.[/style] Izara wusste, dass er von den anderen Drachen sprach. "Haben sie mich deshalb gemieden?", fragte sie geradewegs. Wenn die Wahrheit ans Licht kommen sollte, dann die ganze. "Die meisten waren bloß wütend", antwortete Solar, "sie waren sich sicher, dass deine Mutter gelogen haben muss. »Erst lässt sie sich auf eine Affäre mit einem Drachenblut ein, und dann beschimpft sie ihn als Vergewaltiger«, so etwas in der Art. Niemand hätte angenommen, dass ein Drache wirklich dazu im Stande wäre, die Gesetze zu brechen." "Verstehe", Izara versagte die Stimme. Am Ende lief immer alles auf ihr Mischblut hinaus. Ob sie jemals damit leben könnte, ohne von anderen und sich selbst verachtet zu werden? "Hilft es dir zu wissen, dass sie ihren Ärger zutiefst bereuen?", wollte er ehrlich wissen. "Nicht wirklich", traurig lächelte sie. Unter der Kapuze erblickte sie Solars zerknirschten Gesichtsausdruck. Der Volan kämpfte mit seinen eigenen Gefühlen. Wie viel Schuld hinter seinen grünen Seelenspiegeln steckte, konnte Izara nicht ergründen. Schon früher hatte er nicht viel von sich preisgegeben. Solar war jemand, der Gefühle als Schwäche ansah. Schwäche konnte sich ein Drache in Knechtschaft nun einmal nicht leisten und dass er sich so schnell an die neuen Gepflogenheiten gewöhnt hätte, konnte auch niemand verlangen. Es kostete Kraft, doch nach einer Weile wich ihr falsches Lächeln einem Ernstgemeinten. "Aber ich bin froh, dass du nie so gedacht hast." "Natürlich nicht", tiefe Furchen entstanden zwischen seinen Augen. "Ich dachte, du wärst meine Schwester. Demnach hatte unser Vater auch dich im Stich gelassen. Wir lassen keine Familienmitglieder zurück." Sie hätte ihn gerne in die Arme genommen, aber Solar lief weiter. Seine Bewegungen waren ruppig und weniger geschmeidig als zuvor. "Egal, was du denkst", sie hob ihre Stimme. Solar sollte - nein er musste! - sie hören. "Wenn dein Vater dich sehen würde, wäre er bestimmt stolz, einen Sohn wie dich zu haben." "Das bringt uns zu meinem Besuch heute morgen." Der Blitzdrache kickte einen Kieselstein zur Seite. Sie hatten die Feldplantagen erreicht, das Stadttor rückte näher und Solar richtete seine prüfenden Blicke auf seine königliche Begleitung. "Wie meinst du das?", fragte Izara irritiert, nachdem Solar sich wieder in Schweigen gehüllt hatte. "Jetzt, nachdem ich weiß, dass mein Vater nicht deswegen gegangen ist, will ich die Wahrheit erfahren. Ich will wissen, was wirklich passiert ist. Ob er vielleicht befreit wurde, so wie wir." "Du meinst, ob der König ihn befreit hat?" "Wenn er tatsächlich entkommen konnte, dann nur durch Himmelsblut." Seine Lippen waren ein einziger gerader Strich. Er steckte die Hände in die Hosentaschen und beschleunigte seinen Schritt. "Du glaubst also, dass dein Vater…" "Ich weiß es nicht", seufzte Solar und Izara hatte das Gefühl, das Thema nicht weiter vertiefen zu müssen. Im Verdrängen war sie genauso gut wie ihr Nebenmann, der Tod ihrer Mutter war wie ein weit entferntes Schmuckstück in den tiefen einer versunkenen Schatzkiste. Sie war geradezu erstaunt, als Solar hinzufügte: "Ich habe keine großen Hoffnungen, dass mir der König weiterhelfen kann. Das Ganze ist über neunzehn Jahre her, unser jetziger König wird andere Probleme gehabt haben, als einen kandonischen Drachen zu befreien. Aber wenn es doch einen Hinweis gibt - egal, wie klein er sein mag -, dann muss ich ihm nachgehen. Für Mutter. Sie hat ihn nie aufgegeben. Bis heute. Ich habe sie nie verstanden, aber was weiß ich auch schon, was es bedeutet, seinen Gefährten zu verlieren." Gefährten. Da war es wieder. Dieses Wort, das sie in den Abgrund ziehen wollte. Ihr Magen rollte sich zusammen. "Wir sind da." Solar hätte nichts sagen brauchen. Vor ihnen erhob sich das Stadttor von Dragor. Mit zwei Soldaten, die in voller Kampfmontur auf ihren Posten waren und mit ihren Blicken zu töten vermochten, bildeten sie die tragende Säule einer schwer zu überwindenden Hochburg. Und sie waren nicht allein. Auf dem Dach reihten sich die Soldaten, zwei standen auf den jeweiligen Wachtürmen, die einen Blick über das gesamte Drachengebiet umfassten, während ein Dritter Kreise über den Himmel zog. Seine goldenen Schuppen wurden von den Sonnenstrahlen reflektiert, die zwischen den dichten Wolken immer wieder herausbrechen wollten. Ein Blitzdrache aus dieser Entfernung war wie eine schwebende goldene Statue zu betrachten. Dass sie in erster Linie als Ablenkung dienten, schnürte Izara die Kehle zu. Die Geschichten besagten, dass Blitzdrachen die nähesten Verwandten des Himmelsdrachen seien und dass ihr Glanz und ihre Schönheit - beginnend mit den goldenen Eiern - zum Schutz der Himmelsgötter entstanden waren. Als Paladine zu jagen begannen und Himmelsblut kostbares Gut war, richtete das prächtige Gewand des Blitzdrachen alle Aufmerksamkeit auf sich. Menschen bevorzugten Gold. Die Eier von Himmelsdrachen waren matt, unscheinbar, die jungen Drachen weit davon entfernt, mit ihrer Schönheit zu übertrumpfen. Sie waren wir Schwäne. Graue, hässliche Echsen, die erst im Alter zur vollen Anmut heranwuchsen. Und Paladine waren so töricht und fielen auf die Täuschung herein. Doch das Täuschungsmanöver hatte seinen Preis und Izara blutete das Herz, wie der Blitzdrache seine Bahnen flog, ungeachtet der freien Schusslinie, die er seinem Feind damit darbot.   »Für den König. Für das Drachenvolk«, wie oft hatte Izara diesen Satz gehört. Seit sie Kandio den Rücken gekehrt hatte, waren die Worte als stumme Gebete aus den Mündern der Diener und Soldaten gekommen. Kapitel 40: Izara ----------------- Solar stellte sich vor das Tor, genau zwischen die Soldaten. Izara hielt er dabei am Handgelenk fest. Ein schwacher Druck, aber fest genug, um sie wissen zu lassen, dass sie das Reden ihm zu überlassen hatte. Was er mit den Soldaten besprach, blieb Izara verborgen. Ein kurzes Salutieren, eine Begrüßung unter Gleichgesinnten, dann wechselten die Drachen in ihre Sprache. Schwach rauschte es in Izaras Ohren, sie hatte es mittlerweile satt, nichts von dem verstehen zu können, was die drei miteinander besprachen. Dass es um sie ging, verriet der Blick der Soldaten, der über Izaras Aufmachung huschte. Es gab ein Nicken, eine stumme Übereinkunft und das Stadttor öffnete sich. "Seit wann kannst du dich per Schallwellen unterhalten?", grummelte Izara. Sie meinte sich zu erinnern, dass das Erlernen als Straftat galt. Niemand aus Kandio konnte die Sprache der Drachen. "Mein Vater hat es mir sehr früh beigebracht. Im Geheimen natürlich", antwortete er. "Und Maya?" "Mutter hielt es für zu gefährlich. Sie selbst hat nie die Sprache gelernt. Sie ist in Kandio geboren, während mein Vater", er zuckte mit den Achseln, "ich weiß nicht genau. Er war um einiges älter. Mutter spricht nicht darüber, aber ich glaube, dass er ihretwegen nach Kandio gekommen ist." "Er muss sie sehr geliebt haben", entgegnete Izara leise. "Nicht genug, um zu bleiben", entgegnete Solar kühl und wurde eine Spur schneller. Bisher machte er nicht die Anstalten, Izara loszulassen und Izara selbst war froh, jemandem die Führung übergeben zu können. Durch das Fenster einer Kutsche zu blicken, war etwas anderes als selbst über die gepflasterten Straßen der größten Drachenmetropole zu laufen. Die Wege waren breiter, die Häuser höher und die Drachen größer als alles, was Izara bisher gesehen hatte. Sogar in ihrer Menschengestalt nahmen sie eine Menge Platz auf den Gehwegen ein. Große Drachenmenschen, dazwischen ein paar Kleinere, aber die fielen kaum ins Gewicht. Es gab genau eine breite Straße - niemand fuhr einen Wagen oder ritt ein Pferd. Es gab nur Drachen und ihre nächsten Nachfahren. Am Himmel zogen Wyvern und Volans ihre Bahnen, Izara legte den Kopf in den Nacken und beobachtete den eigenartigen Tanz aus der Ferne. Sie schienen keinen Zweck zu verfolgen - sie flogen einfach. Als wäre es ganz natürlich, und Izara rief sich ins Gedächtnis, dass es das auch war. "Komm." Solars Griff  zog sie weiter über die Hauptstraße. "Wir sollten uns beeilen. Wenn erst einmal das Fest im vollen Gange ist, werden wir nirgendwo mehr durchkommen." Sie spürte schon jetzt, wie das Gedränge zunahm, je tiefer sie in die Stadt eindrangen. "Warte", rief sie. Die Menge drohte ihre Worte zu verschlingen. Das Brummen und Surren und dazwischen die Sprache, die Izara gelernt hatte. Das alles war zu viel für einen Fußgängerweg. Trotzdem hielt der Blitzdrache an und drehte sich fragend um. "Dieser Drache", sie zeigte weiter nach vorne. Dort gab es eine kleine Bühne direkt neben mehreren Ständen, die mit bunten Zelten überdacht waren. Auf der Bühne stand ein kleiner Drache mit langem Rauschebart und unterhielt sich mit zwei städtischen Soldaten. "Ich habe ihn schon einmal gesehen", murmelte Izara, "auf dem Bahnhof. Er hatte auf den König gewartet." "Du meinst Cymhru - den Bürgermeister von Dragor." "Das ist der Bürgermeister?!" "Ja. Und der Form halber: Cymhru ist kein Drache. Er ist eine Seeschlange." "Ist er deshalb so…also, naja, du weißt schon." "Du meinst klein?" Izara reckte das Kinn, vielleicht fiel Solar auf, dass sie seit ihrem letzten Treffen größer geworden war. "Seeschlangen sind nicht groß", ergänzte Solar und beachtete Izara nicht weiter. "Entgegen der Gerüchte ist selbst ihre wahre Gestalt nur mittelmäßig. Aber die Größe ist nicht entscheidend. Cymhru hält den Fluss am Leben. Die Stärke Dragors steht und fällt mit ihm." "Das ist eine große Verantwortung", hauchte Izara, die an ihre eigene Bestimmung dachte. Scheinbar waren sie und König Devon nicht die einzigen, von denen die Existenz der Drachen abhing. "Zusammen mit unserem König", sagte Solar und zog sie weiter, "sichert der Bürgermeister die Handelsrouten zwischen Dragor und dem Stamm der Lóng. Du wirst sicher wissen, dass ihre Fähigkeiten essentiell sind." "Sie halten die Wasserversorgung am Leben." "Sie halten das Wasser am Leben", erwiderte Solar wie ein strenger Lehrer, "der Bürgermeister hat den Fluss geschaffen, die Lóng sorgen dafür, dass Fische, Krebse und Muscheln gedeihen können. Die Fischerei ist eine der wichtigsten Einkommensquellen Dragors. Ohne sie hätten wir nicht das Geld für Waffen und Ausrüstungen." "Das wusste ich nicht", gestand Izara kleinlaut. Es ärgerte sie, wie wenig sie wusste. Als Prinzessin sollte es doch ihre Aufgabe sein, bestens Bescheid zu wissen. Wie sonst sollte sie ihrer Aufgabe gewachsen sein, wenn sie nicht einmal die grundlegendsten Dinge wusste? Das Schlagen von Trommeln ließ sie innehalten. Die Geräusche kamen von einer kleinen Seitenbühne. Gleichmäßig schlugen zwei Dutzend Drachen auf ihre großen, dicken Trommeln ein. Der Rhythmus purzelte über ihren eigenen Herzschlag. Es rumpelte in ihrer Brust. Kein unangenehmes Gefühl, wie Izara fand. Es hatte etwas Hypnotisierendes. Der Takt verleitete dazu, sich mit ihm zu bewegen. "Du kannst dir später noch genug ansehen", sagte Solar und drängte sie weiter nach vorne. Izara nickte und ließ sich an mehreren Essensständen vorbeiführen. Aus einer Richtung duftete es nach deftigem Fleisch, auf der anderen Seite kitzelte sie der Geruch von Honig und Bananen und ganz woanders roch es nach Fisch und gedünstetem Gemüse. Solar nahm eine Schlippe, die in ein Gässchen führte. Die Eindrücke nahmen ab, es wurde ruhiger, wenn auch nicht weniger beengend. "Ich dachte, Drachen mögen keine engen Plätze", Izara drückte sich an Solar. Kurz spannte der Blitzdrache an. Dann legte er einen Arm um sie, dass er der einzige blieb, den sie berührte. "Früher waren die Straßen nicht so überfüllt, aber seit Logia zerstört und Raj unerreichbar geworden ist, bleibt Dragor die einzige Stadt, in der das Spätlesefest gefeiert werden kann." "Du weißt wirklich eine Menge." "Die Soldaten haben es mir erzählt. Einige stammen noch aus der Zeit, in der die Paladine noch nicht so mächtig waren." "Ich kann mir so eine Zeit gar nicht vorstellen", gestand Izara und zu ihrer Überraschung nickte Solar. "Hier rein", mit einem Kopfnicken zeigte er auf das heraushängende Schild. "Ein Wirtshaus?", fragte Izara, doch Solar schleppte sie einfach mit. Restaurants hatte sie früher selten besuchen können und in ein Wirtshaus hatte sie Levis auch nur einmal mitgenommen. In ihrer Erinnerung war es ein düsteres Backsteinhaus gewesen, mit sechs Tischen, auf denen halb abgenagte Kerzen geklebt hatten. Kein Vergleich zu dem hellen freundlichen Raum, den Izara und Solar betraten. Es gab auch nur einen Tisch, besser gesagt eine Tafel mit vielen Sitzmöglichkeiten. Ob alle Anwesenden einander kannten, konnte Izara nicht erkennen. Dass es niemanden scherte, mit wem er am Tisch saß, war dafür umso deutlicher. Ihr Blick schweifte nach vorne. Dort stand der Wirt, schenkte Wein aus und rief die Bedienung herbei. Zum zweiten Mal schien die Welt für Izara den Atem anzuhalten. "Maya", Izaras Mundwinkel gingen nach oben. Ihre blondhaarige Freundin hatte sich kaum verändert. Ihre Rundungen waren üppiger, das Becken deutlich breiter, aber ihr süßes Vollmondgesicht hatte noch immer sein keckes Lächeln auf den Lippen. Zuerst bemerkte sie ihren Bruder. Mayabe winkte, ungeachtet der tadelnden Blicke des Wirts. Ihr Blick wanderte neugierig zu seiner Begleitung. Die Kapuze leicht zur Seite geneigt, legte sie Izaras leuchtenden Augen frei. Mayabes Mund klappte auf. "Bei dem großen Drachen!", rief sie aus. Dann riss Maya die Augen auf. "Izara!" Die Becher fast umgeworfen, rannte sie um den Tresen direkt auf ihre Freundin zu. Izara setzte sich ebenfalls in Bewegung. In der Mitte stießen die beiden Freundinnen aneinander, leise keuchend, als hätten sie Berge erklommen. Arme wurden in die Luft gerissen, bevor Mayabe Izaras zarten Körper umfasste und an ihren presste. Der bekannte Duft nach Verbranntem kroch Izara in die Nase. Sie atmete ihn tief ein. Eine Erinnerung nach der Nächsten erwachte zum Leben und seit Langem liefen Tränen der Freude über ihre Wangen. "Du glaubst gar nicht, wie ich dich vermisst habe", schniefte Mayabe und drückte ihr Gesicht in Izaras Halsbeuge. "Und du mir erst", nuschelte Izara in Mayabes Schürze. "Hast du mein Geschenk erhalten?" "Natürlich", Izara deutete auf den Gürtel an ihrer Hüfte. Sie hatte Linnora gebeten, das Armband in ihren Gürtel einzuarbeiten. Die Dienerin hatte sich liebevoll um Izaras kleinen Schatz gekümmert, die Arbeit war ihr wirklich gelungen, und seitdem war Mayabes Strähne immer an ihrer Seite gewesen. Kurz ließen die Weibchen voneinander. Sie blickten sich in die Augen, die vom Weinen feucht und angeschwollen waren und lachten. Liebevoll umfasste Mayabe die Wangen ihrer Freundin. Die Kapuze verrutschte ein weiteres Stück, bis sie der Schwerkraft erlegen war und auf Izaras Schultern landete. Ein lautes Raunen erfüllte das Wirtshaus. Izara musste ihren Blick von ihrer Freundin abwenden, weil das Murmeln zu einem lauten, überraschten Ausruf geworden war. Jeder im Raum starrte zu Izara herüber. Ungläubige, überraschte Gesichter. Die Münder der Anwesenden klappten wie die der Fische auf und zu. Der erste machte schließlich den Anfang und ging auf die Knie. Die anderen folgten seinem Beispiel. Wie sie alle den Boden zu küssen schienen, stand Izara einfach nur hilflos da und wusste nicht, wie sie die Menge beruhigen sollte. "Ganz toll", hörte sie Solar dicht hinter sich fluchen. Sie wandte sich ihm zu, ihr Blick war voller Reue und Scham. Sie musste zugeben, damit hatte sie nicht gerechnet. "Ich kümmere mich darum", raunte er an ihr Ohr und Izara nickte zaghaft zurück. "Erhebt euch", Solars feste Stimme ließ Gänsehaut auf Izaras Rücken regnen. Die Drachen gehorchten. Das Abzeichen auf Solars Hemd zeigte seine Wirkung. Nun, da Solar die Aufmerksamkeit für sich beansprucht hatte, gab er ein lautes Räuspern von sich und fuhr fort: "Die Prinzessin befindet sich auf einer streng geheimen Mission. Deshalb darf unter keinen Umständen bekannt werden, dass die verehrte Himmelsgöttin in Dragor gesichtet wurde. Im Namen des Königs und zum Schutze unserer Prinzessin, erwarte ich absolutes Schweigen." Der Befehl hallte durch den Raum. Erst als das letzte Echo verklungen schien, verstreute sich die Gruppe. Mit einem Schnauben setzte der Blitzdrache Izara die Kapuze über den Kopf. Diesmal gab es kein Protest von Izara. "Spielverderber", sagte Mayabe und streckte ihrem Bruder die Zunge raus. "Werd' endlich erwachsen", erwiderte Solar mit zusammengekniffenen Augen. "Werd' du endlich mal weniger verbissen" sie stemmte die Hände in die Hüften. Mit einem Lächeln drehte sie sich zu Izara. "Ich hoffe, mein Bruder ist dir nicht all zu sehr auf die Nerven gegangen." "Überhaupt nicht", antwortete Izara, "ich bin froh, dass er mich mitgenommen hat." "Einer Prinzessin würde er ja wohl kaum einen Wunsch abschlagen." "Ich stehe direkt neben dir, Mayabe." Solar blickte seine jüngere Schwester immer noch streng an. Aber Mayabe beachtete ihn nicht. "Erzähl' schon, Izara. Wie ist es so, im Palast zu leben? Ist das Schloss wirklich so groß wie Dragor? Teilst du dir ein Zimmer mit dem König?" "Mayabe!", zischte Solar. Ein leichtes Grollen brodelte an der Oberfläche. "Musst du nicht langsam zurück an die Arbeit?" "Jaja", Maya verdrehte die Augen. "Vielleicht kann ich etwas tun", meldete sich Izara zu Wort. Mayabes letzte Frage hatte ihre Wangen noch nicht ganz verblassen lassen. "Wenn ich den Wirt überzeugen könnte-" "Das würdest du tun?" Mayabe griff nach Izaras Händen. Kapitel 41: Izara ----------------- Den Wirt zu überreden war nicht schwer. Izara hatte kaum etwas sagen müssen, da hatte er Mayabe bereits für den Rest des Tages freigegeben. Etwas unangenehm war es ihr schon, aber die Möglichkeit, Zeit mit ihrer Freundin verbringen zu dürfen, ließen das schlechte Gewissen schnell vergessen. "Wohin als erstes?", summte Mayabe, und weil Izara keine Idee hatte, stürmte ihre beste Freundin in die erstbeste Menschenmenge hinein. Flötenspieler gesellten sich zu dem rhythmischen Schlägen der Trommler und auch die ein oder andere Geige war zu hören. Izara erkannte den Ort. Es war derselbe Platz, an dem sie und der König aus der Kutsche gestiegen waren. Vorsichtshalber zog sie die Kapuze noch ein Stück tiefer in ihr Gesicht. "Ich weiß noch genau, wie du aus der Kutsche gestiegen bist", teilte Mayabe Izaras Gedanken. "Du warst auch dort?" "Ich und Mutter", bestätigte ihre Freundin nickend, "du sahst so hübsch aus, Izara." Mayabe faltete die Hände vor ihrer Brust und blickte verträumt zu den Stoffen, vor denen sie sich gestellt hatten.   "Warum hast du nichts gesagt?", Izara wäre froh gewesen, wenn sie ein vertrautes Gesicht gesehen hätte. Und dann auch noch Mayabe. "Das ging doch nicht", schüttelte Maya den Kopf, "du warst mit dem König unterwegs. Denkst du, ich schreie über den halben Marktplatz, während das Drachenvolk den wichtigsten Augenblick in seiner Geschichte erlebt?" "Du übertreibst", Izara war es jetzt noch unangenehm, daran zurückzudenken. Das Summen der Drachen, der Schmerz des alten Königs, ihr eigener Schmerz… "Das ist so aufregend", trällerte Mayabe und schaffte es, Izaras Gedanken in eine andere Richtung zu lenken. Ihre beste Freundin hielt vor einem der vielen Essenstsände. Statt einer Portion gerösteter Samen und Nüsse gab es einen Becher Punsch, den Mayabe Izara überreichte. "Kostet das nicht was?", fragte Izara unsicher. Ihr war es unangenehm. Sie hatte gar nicht daran gedacht, Geld mitzunehmen (wenn sie überhaupt welches besessen hätte…) "Heute ist alles umsonst", rief Maya fröhlich aus, "naja, fast alles. Das Essen und die Getränke werden aus der Stadtkasse und der Schatzkammer bezahlt. Unser König ist so freundlich und lässt einmal im Jahr alle Drachen zusammenkommen. Egal, ob arm oder reich. Wyvern oder Lindwurm. Zum Spätlesefest sind alle gleich und das versucht unser König damit zu erreichen. Habe ich was vergessen, Solar?" Belustigt beäugte sie ihren Bruder. Solar verschränkte die Arme vor der Brust. "Nein", sagte er kühl. "Jetzt sei' nicht so ein Misepeter, Bruder. Meine beste Freundin ist eine Prinzessin…nein, die Prinzessin." "Geht das vielleicht etwas leiser?", zischte Solar und beobachtete verärgert, wie Mayabe und Izara den Punsch leerten. Als Kinder hatten sie auch Punsch trinken dürfen - zu besonderen Anlässen. Dieser war jedoch nicht so süß gewesen. Ebenso die Kräuter und Gewürze, die fröhlich an der Oberfläche schwammen - die hatte es damals bestimmt noch nicht gegeben. Izara meinte auch, mehr Alkohol heraus zu schmecken. Der Punsch rutschte heiß durch ihre Kehle, hinterließ ein angenehmes Gefühl im Bauch. "Keine Sorge, hier hört uns keiner", Mayabe zwinkerte ihrer Freundin zu, "und selbst wenn, niemand würde glauben, dass die Himmelsgöttin unter uns Gewöhnlichen weilt." "Und was ist mit den Gästen im Wirtshaus?", Izara sah zu ihrer Freundin, die sofort eine zweite Runde Punsch bestellte. "Du hast doch Solar gehört", entgegnete Mayabe und hielt ihr den dampfenden Becher hin. "Die Drachen werden sich hüten, sich seinem Befehl zu widersetzen. Mein Brüderchen ist nämlich zum dritten Kommandanten aufgestiegen. Weißt du, was das heißt?", sie stupste Izara mit dem heißen Becher an, "Solar hat das Kommando einer größeren Einheit im Osten. Wenn die Paladine Schwierigkeiten machen, reißt Solar ihnen den Arsch auf." "Mayabe!" "Entschuldige, ich meine natürlich Hintern. Er reißt ihnen den Hintern auf", Mayabe kicherte, "Mutter und ich sind so stolz auf ihn. Du müsstest ihn kämpfen sehen, das Schwert schwingt er wie-" "Das reicht jetzt", Solar rieb sich die Nasenwurzel. "Es geht nicht um meine Stellung, sondern darum, die Prinzessin zu beschützen. Wenn es um ihre Sicherheit geht, wird kein Drache etwas ausplaudern." Mayabe stupste ihre Freundin noch einmal an. Ohne darauf einzugehen, nippte Izara an ihrem Becher. Fürs erste überließ sie Mayabe das Reden. Ihre Freundin hatte viel zu erzählen. Zwei volle Monde mussten aufgeholt werden. Die Flucht aus Kandio war beschwerlich, die Reise nach Dragor gefährlicher als erwartet. Besonders für einen Drachen, der kurz vor seiner Erweckung stand. Izara wollte sich gar nicht ausmalen, wie die Chancen für sie gestanden hätten. Noch dazu in ihrem damaligen Zustand. "Zum Glück hatte ich Ayido." Mayabe konnte das Glühen ihrer Wangen kaum verbergen. "Er war sehr…einfühlsam." Mehr brauchte Maya nicht verraten, und obwohl sie das Gefühl unterdrückte, war Izara ein klein wenig neidisch. Maya hatte den Wyvern kurz vor ihrer Ankunft in Dragor kennengelernt. Er war ein junger Soldat, kaum älter als Maya und viel auf Außeneinsätzen unterwegs. Dann schien also dies nicht nur auf König Devon zuzutreffen. Wie viele Drachen wohl ständig der Gefahr ausgesetzt waren? An den König erinnert zu werden, hinterließ ein eigenartiges Ziehen, das ihre Stimmung erheblich trübte. "Aber jetzt zu dir", Mayabe hatte sich bei Izara untergehakt, die beiden Weibchen schlenderten über den Marktplatz. Maya hatte frittierte Oktopusbällchen in einer kleinen Schale, während Izara an einer überbackenen Kartoffel knabberte. "Ganz Dragor spricht nur noch vor dir." "Von mir?" Izara schluckte einen dicken Brocken hinunter. "Aber sicher. Als der Himmel über den Palast zu leuchten begann, die Nacht zum Tag wurde…Mutter und ich haben es vom Fenster unserer kleinen Hütte sehen können. Es war…einzigartig. Ich kann es gar nicht beschreiben, aber ich wusste sofort, dass du das warst - unsere Himmelsgöttin. Ich kann verstehen, dass man sich in deiner Nähe…geborgen fühlt. Du hattest ja schon immer eine besondere Aura, aber jetzt, wo du unsere Prinzessin bist, ist das alles viel, viel stärker geworden." Die nächsten Worte flüsterte Maya ehrfurchtsvoll. "Am nächsten Tag hörten wir, was passiert war. Es war schrecklich. Ausgerechnet ein Paladin vor den Mauern Dragors. Man hat uns zu Beginn gewarnt, dass die Sicherheit hinter der Stadt endet, aber dass so etwas passiert..." Mayabe schüttelte den Kopf. "Diese Kraft…ich habe immer noch Gänsehaut, wenn ich daran denke, zu was du fähig bist. Damit hast du den Paladin vertrieben, die Weibchen beschützt, uns alle beschützt…Du bist eine Heldin, Izara." "Nein, bin ich nicht", sagte Izara und spürte einen dicken Kloß im Hals - und es war nicht die Kartoffel. "Du brauchst dich nicht mehr zu verstecken", entgegnete Maya und lächelte sanft, "du bist ein Himmelsdrache. Die Stärkste unserer Art. Das braucht dir nicht unangenehm zu sein. Wenn du wüsstest, wie sie von dir sprechen. Von ihrer Prinzessin." Maya klatschte in die Hände. Die Bällchen hatte sie allesamt verputzt. Etwas Soße klebte an ihrem rechten Mundwinkel, aber das störte sie nicht. "Seit Tagen gibt es nur ein Thema", sagte Maya und bestellte einen weiteren Becher dieser süßen, alkoholischen Flüssigkeit. "»Wann wird die Prinzessin zum Schleiertanz einladen?«" "Was?!", Izara hätte fast den Punsch wieder ausgespuckt. Der Schleiertanz? Die Hochzeit unter Drachen, die in einem Paarungsritual, dem Schleiertanz, endete? "Wie kommen sie darauf, d-dass ich…dass ich-", sie konnte es nicht einmal aussprechen, ohne wie ein Warnschild aufzuleuchten. "Na hör' mal. Das ist doch ganz normal", entgegnete Mayabe und winkte mit der freien Hand. Die andere hielt den Becher, der geradewegs auf ihren Mund zusteuerte. "Das reicht", knurrte Solar und entriss seiner Schwester den Becher. Mayabe knurrte zurück, grinste dann aber, als Solar selbst daraus trank. "Und überhaupt", nuschelte Izara und blickte in ihren eigenen Becher voll Punch, "wen soll ich denn bitte schön heiraten?" "Natürlich den König", sagte Mayabe gerade heraus. Das brachte Izaras Ohren zum Glühen. Zum Glück konnte das niemand unter ihrem Umhang sehen. "War er nicht während der Erweckung an deiner Seite?" "Doch, schon", nuschelte Izara, "aber das hat doch nichts zu bedeuten. Er hat nur seine Pflicht als Drachenmännchen erfüllt." "Mehr nicht?", Mayabe stellte sich neben Izara. Dabei schwankte sie ein wenig. "Du kannst mir nicht erzählen, dass ihr nicht…" Mayabe versuchte unter der Kapuze etwas zu erkennen. "Wirklich nicht?!" Sie klang etwas entsetzt. "Er ist der König", mehr wusste Izara auch nicht dazu zu sagen. Sie kam sich dabei lächerlich vor. Irgendwie erwartete jeder, dass sie und der König ihre Pflicht erfüllten. Izara widerte die Vorstellung einer erzwungenen Vereinigung an, während der König das Thema nicht einmal erwähnte. Das brachte Izara dazu, den Becher an den Mund zu führen. "Ja, aber du bist die Prinzessin", Mayabe schien nicht glauben zu wollen, was sie da hörte. "Es ist doch ganz selbstverständlich, dass ihr-" "Ist es nicht", Izara wechselte den Blick auf den Boden, zügig leerte sie ihren Becher und steuerte das Zelt mit dem Ausschank an. "Nur weil alle meinen, dass ich dafür geboren wurde, heißt das nicht, dass ich es auch machen werde." Mit einem Nicken tauschte sie den leeren Becher gegen einen vollen. "So meinte ich das nicht", entschuldigte sich Maya, "ich dachte, weil er doch so gut aussieht und ihr euch so ähnlich seid-" "Wir sind uns nicht ähnlich", Izara nahm einen kräftigen Zug, ihre Stimme wurde etwas weicher, "zumindest weiß ich es nicht. Ich kenne den König eigentlich gar nicht. Er ist nie da, und ich…", Izara zuckte mit den Schultern. "Keiner von uns hat bisher irgendwas in dieser Richtung unternommen." Es tat ihr leid, ihre beste Freundin zu belügen, aber zwischen all den anderen Drachen und Solar, der alles mit anhören konnte, wollte sie sich nicht öffnen. "Dann suchst du dir eben einen anderen", rief Mayabe plötzlich aus und grinste breit, "im Palast werden doch noch andere Drachen herumlaufen. Du kannst mir nicht sagen, dass noch keiner von ihnen versucht hat, dich zu umwerben." Jetzt musste Izara lachen. "Du kennst meine Leibwächterin nicht. Sie würde die Männchen alle zu Stein verwandeln, wenn einer versuchen würde, mir zu nahe zu kommen." "Das klingt nach einem furchteinflößenden Drachen." "Ja, Kyia kann furchteinflößend sein, aber tief in ihrem Inneren steckt ein gutes Herz." Kyia. Was der Bergdrache wohl dazu sagen würde, wenn er erfuhr, dass sich Izara auf dem Spätlesefest betrank? Ein leichter Schauder durchfuhr sie. Es war wohl das beste, den Gedanken an Kyias Zorn mit einem weiteren Schluck Punsch runter zu spülen. Solar machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Er nahm den Becher und bevor Izara etwas sagen konnte, hatte er ihn bis auf den letzten Tropfen geleert. "Schluss für heute", sagte er und zog die Augenbrauen zusammen, "ihr zwei habt genug getrunken und außerdem ist es schon spät." "Die Sonne ist noch nicht einmal untergegangen", jammerte Mayabe, denn sie wusste, was gleich folgen würde. "Izara muss zurück in den Palast. Bis wir dort sind, wird es längst Nacht sein." "Jetzt schon?!", das war Izara. Sie zog ebenfalls einen Schmollmund. Gemeinsam mit ihrer Freundin versuchten sie, Solar zu überreden, doch vergeblich. "Ich habe keine Lust, meine Arbeit wegen zwei betrunkenen Weibchen aufs Spiel zu setzen." "Schon verstanden", Izara salutierte. Mayabe machte es ihr nach, bevor sie vor Lachen zusammenbrach. Kapitel 42: Izara ----------------- Weitere zwei- dreimal musste Solar an Izara und Mayabe appellieren. Die beiden Freundinnen lagen sich lange in den Armen. Izara versprach, dass sie sich fortan öfter sehen würden. Als Prinzessin musste es doch möglich sein, Mayabe und ihre Mutter aufs Schloss zu holen - oder? Schließlich lösten sich die beiden voneinander. Einzelne Tränen rannen das Kinn herunter, dann drehte sich Izara um und folgte Solar aus der Stadt. "Bist du sauer?", fragte Izara und eilte dem Blitzdrachen hinterher. "Ich bin nicht sauer", entgegnete Solar knapp. "Doch bist du", sie hatte Mühe, hinterher zu kommen, "weil ich getrunken habe und meinen Spaß hatte." "Ich bin nicht sauer", wiederholte er, die Lippen fest zusammengepresst. "Ich verspreche dir, du wirst meinetwegen keinen Ärger kriegen." Solar antwortete nicht. Grimmig hielt Izara inne. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und wartete, bis Solar es bemerkte. "Der Volan hatte recht", sagte er. Solar war stehen geblieben, den Rücken hatte er ihr aber immer noch zugewandt. "Es war zu riskant. Selbst wenn dich nur ein paar Drachen und Wyvern gesehen haben, hätte es auch ganz anders laufen können. Mitten im Spätlesefest - was, wenn Spitzel irgendwo auf der Lauer lagen. Oder Paladine wieder versucht hätten…" Er fasste sich durchs Haar. "Wenn dir etwas zustößt-" "Mir geht es gut", unterbrach sie ihn. Eigentlich hatte sie vorgehabt, stehen zu bleiben, aber… "Dass du mich heute mitgenommen hast", sie stand nun dicht hinter ihm, "das war nicht falsch. Du hättest mir kein größeres Geschenk machen können... Ja, ich weiß, ich bin die Drachenprinzessin und ich will auch gar nicht mehr vor meinem Schicksal davon rennen, aber", sie senkte die Stimme, "aber darf ich nicht einmal etwas tun, das mich glücklich macht? Muss es denn immer nur darum gehen, was ich bin? Darf ich nicht einmal Izara sein?" "Du bist Izara", erwiderte Solar rau, "denkst du, es geht mir um etwas anderes?" Sie sah auf, und obwohl er sie nicht sehen konnte, lächelte sie ihm zu. Solar lief weiter. Dem Sonnenuntergang entgegen. Genau hinter den zwei Felsen, die den Palast bildeten, sanken die Strahlen immer tiefer. Ein blassroter Himmel, dann war die Sonne gänzlich verschwunden. Die Nacht kehrte ein, das ruhige und stetige Zirpen der Zikaden ließ Izara langsam zur Ruhe kommen. Sie hatte sich neben Solar eingefunden. Mit Zeigefinger und Daumen hatte er eine kleine Blitzkugel geschaffen, die ein Stück des Weges beleuchtete. "Wenn du willst, dass ich ein wenig Licht erzeuge-", begann Izara und wurde von Solar unterbrochen. "Das erweckt zu viel Aufsehen. Dein Licht ist einzigartig." "Naja, nicht ganz", winkte Izara ab und ärgerte sich, dass sie selbst mit dem Thema angefangen zu hatte. "Deine Kräfte sind anders als die unseres Königs." "Weil ich zum Teil ein Mensch bin", knurrte Izara. "Nein. Weil du eine Himmelsgöttin bist. Dein Licht ist viel…intensiver." Solar kratzte sich an den Kopf. "Ich weiß überhaupt nichts von meinen Kräften", gestand sich Izara traurig ein, "als ich sie das letzte Mal benutzt habe, wäre ich fast verblutet." Solar hielt inne. Mist, das hatte sie doch gar nicht verraten wollen. Ihre Zunge gehorchte ihr aber auch nicht! Sie biss sich auf die Unterlippe. "Also", nuschelte sie, "was ich damit sagen wollte-" "Pst", er streckte einen Arm aus, die Blitzkugel zerdrückte er mit seiner Faust. Izara wäre fast in ihn hineingelaufen. Sie wollte fragen, was los war, als Solar sie auch schon herum wirbelte und an einen der Bäume drückte. Der Geruch von Kiefer und Heu stieg in ihre Nase auf. Izara hielt den Atem an. Dann hörte sie es auch. Schritte. Ihr Herzschlag wummerte gegen Solars Brust. Der Blitzdrache hatte Izara mit seiner Statur vollkommen überschattet, ein Entkommen schien unmöglich, selbst wenn sie gewollt hätte, und Izara wollte ganz sicher nicht, dass er sich bewegte. Auch er atmete nicht, sein ganzer Körper spannte sich an, Izara konnte einzelne Muskeln ertasten. Die Schritte wurden lauter. Es klackerte leicht. Solars Atem berührte ihre Kapuze. "Fehlalarm", raunte Solar und atmete tief aus, "das Geräusch erinnert mich immer-" "An Ketten?", Izara hatte dasselbe gedacht. Die Bilder von Paladinen, die mit Ketten durch die Straßen marschierten, Drachen erwählten und zur Belustigung hinterher sich herzogen. Wenn sie ihre Beute erspähten, ließen die Paladine ihre Leinen gerne einmal über den Boden schleifen. Genau dieses Geräusch hatte sie geglaubt, gehört zu haben. Aber es war kein Paladin und auch keine Kette. Es war der Laut eines Lindwurms, der über den Boden kroch. "Der Schwanz eines Lindwurms ist so hart wie Stahl. Daher das Geräusch", murmelte er in den Stoff ihres Umhangs. "Tut mir leid, dass ich dich erschreckt habe." "Muss es nicht", flüsterte Izara, "es gibt Dinge, die kann man nicht so leicht vergessen." "Ich wünschte, ich könnte so manches vergessen." Solar war noch immer angespannt, seine Präsenz so nahe wie noch nie. "Was meinst du?" "Deinen Duft zum Beispiel." Die Worte schwebten über ihnen. Izaras Magen zog sich zusammen. "Er hat sich verändert", sagte er mit kratziger Stimme, "seit ich weiß, wer du bist…nein, seit ich weiß, wer du nicht bist, ist alles…komplizierter." "Solar", hauchte Izara. Seine Nähe umhüllte sie mit seinem Duft, der sich mit etwas anderem, Intensiverem zu vermischen drohte. Wie von selbst reagierte ihr Körper. Obwohl etwas in ihr bereit dazu war, wickelte sich ein unsichtbares Band um ihre Brust und zog sie von Solar weg. Der Blitzdrache hörte sofort auf, das Gefühl verschwand und eine peinliche Stille legte sich zwischen ihnen. Kalter Wind trennte die beiden unabdingbar voneinander. "Ich bitte um Verzeihung." Izara war noch nicht ganz bei sich, als Solar auch schon auf die Knie gegangen war. "Ich hätte das nicht tun dürfen." "Nein, Solar, ich…", sie hätte nie gedacht, einmal in so eine Lage zu geraten. Und dann auch noch mit Solar. "Ich", Izara ließ die Schultern hängen, "ich liebe dich, Solar. Genauso wie ich Mayabe, Levis oder Kaia liebe." "Ich verstehe", antwortete Solar überraschend gefasst, "ich verspreche dir, es wird nicht wieder vorkommen." "Versprich' mir lieber", sie schaute weg, zu dreist kam ihr diese Bitte vor. Schnell sprangen die Worte von ihren Lippen. "Versprich' mir, dass du mich nicht verlässt - als Bruder, als Freund. Ich möchte dich nicht auch noch verlieren." Solar schaute sie mit großen Augen an. Schnell fasste er sich wieder, erhob sich und legte die Hand auf das Abzeichen. "Ich verspreche, meiner Prinzessin auf ewig ergeben zu sein - als Bruder und auch als Freund." * Den Rest des Weges redeten sie kein Wort mehr darüber. Solar verfiel in Schweigen und auch Izara hing ihren eigenen Gedanken nach. Das Ziehen in ihrer Brust hatte aufgehört, dennoch spürte sie, wie etwas in ihren Körper eingedrungen war. Eine unsichtbare Barriere, eine Art Schutzzauber, der sie mit Gewalt von Solar entrissen hatte. Selbst wenn sie es gewollt hätte, ihr Körper schien das letzte Wort zu haben und das fiel gnadenlos aus. "Was wirst du jetzt machen?", fragte Izara, kurz bevor sie das Schloss erreicht hatten. "Du wolltest doch mit dem König sprechen." "Das habe ich auch noch vor", Solars Stimme klang so abgeklärt wie immer, "aber sein Leibwächter meinte, ich sollte morgen wiederkommen, also muss ich mich gedulden und bis morgen warten." "Aber wenn du schon mal hier bist", Izara zeigte auf die Palasttore. Solar schüttelte den Kopf. "Ich halte mich an die Regeln. So weit ist es nach Dragor nicht, vielleicht werde ich auch irgendwo im Hain warten." "Ich setze dich doch nicht wie einen reudigen Straßenköter vor die Tür!" Sie blieb kurz stehen. Seufzend - denn es brachte ja eh nichts, gegen Solars Einstellung zu rütteln -, lief sie weiter. An den Toren begrüßten sie zwei Wachen. Izara zog die Kapuze herunter und befreite ihr Haar von dem wirren Zopf. In seichten Wellen fiel das feine Haar über ihren Umhang. Solar war dabei voranzuschreiten, als sie ihn am Ärmel packte und den Boden anvisierte. "Solar", murmelte sie. Angesprochener versteifte sichtlich, sagte aber nichts. "Was deinen Vater angeht - ich werde dir bei deiner Suche helfen. Ich weiß noch nicht, wie, aber ich werde alles versuchen, um dir zur Seite zu stehen." Solar drehte sich nicht um, aber die Anspannung blieb. Schließlich nickte er und beide betraten das Schloss. Kapitel 43: Izara ----------------- Kerzen schwebten an den Decken und tauchten die Vorhalle in ein warmes Licht. "Ich hoffe, Maya ist gut nach Hause gekommen", sagte Izara und stellte sich vor, wie Mayabe durch die Gassen torkelte. "Mayabe geht es gut", entgegnete der Ältere trocken, "bis nach Hause sollte sie problemlos kommen. Geht ja schließlich nur geradeaus. Sie sollte sich lieber Gedanken machen, wenn Mutter vor der Tür steht." "Na, den Hintern versohlen wird sie ihr ja wohl nicht mehr." "Du hast Mutter noch nie wütend erlebt." "Ehrlich?!", Izara konnte sich ein Kichern nicht verkneifen, "das möchte ich nur zu gern-" Dass Solar abrupt stehen geblieben war, brachte Izara zum Schweigen. Noch mehr jedoch der Gesichtsausdruck des Blitzdrachen, dessen Augen leicht geweitet waren. Schrecken, gefolgt von Ehrfurcht zwangen Solar auf die Knie. Ein tiefes, weit entferntes Grollen ließ ihn stolpernd auf die Füße kommen. Mit zusammengekniffenen Augen drehte sich Izara zu der Quelle um. Auch sie riss die Augen auf - wenn auch aus einem anderen Grund als Solar. Am anderen Ende der Vorhalle, die zum Ostflügel führte, stand König Devon. Das Kerzenlicht ließ seine Gestalt im Halbschatten verschwinden. Seine eiskalten Augen konnten sie nicht abmildern. Das Tiefgründige war durch eine Kälte ersetzt worden, die auch Izara frösteln ließ. Sie meinte sich nicht zu erinnern, ihn jemals so abweisend, so…wütend erlebt zu haben. Gespannt sah sie zwischen den beiden Männchen hin und her. Die Machtverhältnisse waren rasch geklärt, Solar würde es nie wagen, seine Dominanz an den mächtigsten Drachen der Welt auszuprobieren. Ein Blick in die Augen des Drachen und Solars Beherrschung riss wie Seidenpapier, und König Devons Aufmerksamkeit galt ganz allein dem Blitzdrachen, dass er Izara keines Blickes würdigte. Ein schwaches Nicken von Solar und dieser senkte sein Haupt. "Ich sollte jetzt gehen", sagte er mechanisch. "Aber…Das musst du nicht", entgegnete Izara. An der Art, wie er es sagte, schwang eine gewisse Endgültigkeit mit, dir ihr Angst machte. "Doch, Izara", Solar wandte sich ab. Kein Blick, kein »Aufwiedersehen«. Er war einfach fort und das brennende Stechen, das seine Ablehnung hervorbrachte, verwandelte sich in ein loderndes Feuer. Alle, die ihr wichtig waren, alle, dir ihr je etwas bedeutet hatten - sie waren weg. Wegen eines Schicksals und einem Drachen, der wie eine Festung an der Schwelle stand, einfach in ihr Leben getreten war und das Gefüge vollkommen aus den Bahnen geworfen hatte. Izaras Augen begannen zu brennen. Wütend schluckte sie das Verlangen zu weinen hinunter und wandte sich ganz dem König zu. "Ihr habt ihn vertrieben!", rief sie. Er sollte ihre Verzweiflung spüren. "Das habe ich nicht", sagte König Devon ruhig. Es war weniger die Ruhe, die er sonst ausstrahlte. Zu viel Erschöpfung lag in seinem Ton, das blasse Gesicht ließ ihn ausgelaugt und müde aussehen. "Doch", so einfach wollte sie sich nicht abspeisen lassen, "mit Eurer blöden Geheimsprache habt Ihr ihn fortgeschickt." "Geheimsprache", wiederholte König Devon düster, "wenn du dich weniger darüber echauffieren und einfach nur zuhören würdest, hättest du längst wissen können, was ich gesagt habe." Seine Worte waren bröckeliger als sonst, der Akzent noch stärker als vor zwei Monden. "Darum geht es überhaupt nicht", entgegnete Izara und ballte die Hände zur Faust, "Ihr…Solar, er…er ist mein Freund." Eine Veränderung zeichnete sich in König Devons Gesichtszügen ab. Ein kurzes Aufflackern in seinen Seelenspiegeln, eine plötzliche Erkenntnis, bevor die Mundwinkel nach unten drifteten und seine Stimme noch kühler als zuvor durch die Vorhalle bebte. "Weißt du, in was für eine Gefahr dich dein Freund gebracht hat?" "Es war meine Entscheidung!", konterte Izara, weit weniger wütend als sie sich fühlte. "Ihr habt doch selbst gesagt, dass ich keine Gefangene bin und ich mich frei bewegen darf." "Wenn es sicher ist. Und das ist es nicht. Ich dachte, das hättest du begriffen." "Oh, ja. Ich habe begriffen." Jetzt wurde Izara auch lauter. Ihre Wangen begannen zu glühen, Alkohol und Scham vermischten sich mit dem brodelnden Etwas, das an der Oberfläche waberte. "Dass Ihr mich hier einsperren wollt und ich für den Rest meines Lebens hier versauern soll, das habe ich sehr gut verstanden." Der König blinzelte, fast schien es, als wollte er etwas erwidern. Resigniert schloss er die Lider. Er sammelte sich, das Eisige wich aus seinem Gesicht, selbst seine Augen wirkten blass und schwach. Seufzend wandte er sich ab. Er wandte sich einfach ab! Izara starrte ihn mit offenem Mund an. "Du solltest auf dein Zimmer gehen", sagte er so ruhig, dass Izaras Blut in Wallungen geriet. "Mehr habt Ihr nicht dazu zu sagen?", rief sie ihm hinterher. Doch König Devon reagierte nicht, er setzte einen Fuß vor dem anderen. Er machte ernst, er würde gehen. Ihr Drachenblut reagierte schneller als ihre menschliche Seite. Ihr Zorn brachte ihr Innerstes hervor, die Quelle ihres Himmelsblutes. Die Augen brannten und ohne es zu merken, feuerte sie einen spitzen Lichtpfeil auf den König los. Dieser drehte sich um, die Hand schnappte sich den Pfeil, der in seiner Handfläche zu einem Klumpen Energie schrumpfte und sich zurückzog. Seine Augen waren geweitet. Er war…überrascht? Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen, keines der angenehmen Sorte. Jetzt war er wütend, egal wie irritiert ihn Izara zunächst anstarrte, ihre Aktion hatte einen Schalter umgelegt. "Du bist nicht in der Verfassung, dich mit mir anzulegen", sagte der König und ließ den Arm sinken. "Wieso? Weil ich kein richtiger Himmelsdrache bin?" "Weil du betrunken bist", entgegnete König Devon scharf, "und betrunken bist du noch unkontrollierter als sonst…und launischer." "Was soll das heißen?!", sie kam ein paar Schritte auf ihn zu, der Drachenkönig tat es ihr gleich. "Ich bin noch sehr klar im Kopf, wenn Ihr das damit ansprechen wolltet." Sie reckte das Kinn. Sinnlos. Der König überragte sie um anderthalb Köpfe. Und selbst ohne seine Größe war er gefährlich und dominant. Dominanter als sie jemals sein würde, ganz gleich wie wütend sie war. Ihr Körper begann dieses Prickeln auszusenden. Blubberblasen sammelten sich in ihrem Magen, eine schäumende Gischt stieß wellenförmig aus ihrem innersten Kern. Da war wieder dieses Band. Diesmal zog es sie in Richtung des Königs. Sie hasste dieses Gefühl. Sie hasste es, dass es sich so gut anfühlte. Die Spannung, das Kribbeln, die Dominanz, die sich wie ein Mantel um ihren eigenen Willen legte. "Dann soll ich deinen Angriff also ernst nehmen?", fragte er und verschränkte die Arme vor der Brust. Sein Blick erlaubte es ihr nicht, sich ihm zu widersetzen. Ein Himmelsdrache hatte gelernt, seinen Willen durchzusetzen. Doch Izaras eigenes Himmelsblut klopfte an die Pforte, wollte den König herausfordern, ihn provozieren. "Ich will, dass Ihr mich ernst nehmt", sagte Izara und schaute so stolz sie nur konnte zu König Devon hinauf. "Wie kann ich das, wenn du so leichtsinnig bist?"  Eine Gegenfrage. Natürlich. Ihre Augen leuchteten scharf auf - eine Gegenreaktion auf König Devons tiefen Blick. Izara ließ nicht locker. "Dann vertraut mir", sagte sie. Der König sah sie lange und schweigend an. Also fügte sie hinzu: "Ihr erwartet, dass ich Euch vertraue, dass ich Euch glaube-" "Und habe ich dein Vertrauen missbraucht, Izara? Habe ich dich angelogen?" Izaras Lippen bebten. "Ich weiß es nicht", entgegnete sie, "Ihr sagtet, ich sei hier sicher. Dass ich nur beschützt werden kann, wenn ich mit Euch gehe", die Stimme wurde fester, "Ihr wollt mir sagen, dass ich keine Gefangene bin. Dass ich meine eigenen Entscheidungen treffen darf. Aber die Wahrheit ist, ich darf überhaupt nichts. Selbst mit meinem Titel bin ich eine Gefangene. Sagt mir, was unterscheidet Euer Handeln von dem der Paladine?" Sie stockten gleichzeitig. Izara wusste, dass es falsch war, aber sie hatte es gesagt. Die Worte waren nicht zurückzunehmen und ein klein wenig wünschte Izara, der König wäre so verletzt wie sie. Der König zeigte eine Reaktion und diese ließ ihren Magen schmerzhaft zusammenziehen. Ihre Worte hatten getroffen, wie tief, das konnte sie nicht sagen, aber für Entschuldigungen war sie viel zu aufgewühlt. Das Resultat war Schweigen. Ein kurzes Schweigen, das sich wie ein halbes Jahrhundert anfühlte und von König Devons ruhiger Stimme gebrochen wurde. "Wenn du gehen willst-", die Worte brachten alles, was sie an Selbstkontrolle noch besaß, zum Einsturz. "Ihr versteht überhaupt nicht, was ich will", schimpfte sie, "ich will doch nur, dass Ihr…" Sie wandte sich ab. Beinahe hätte sie sich verplappert. Verdammter Alkohol. Verdammtes Himmelsblut. Verdammter Drachenkönig. "Ich will nicht fort." "Was denn nun?", sprach König Devon leicht gereizt. Er fuhr sich durchs Haar. "Bei dem Großen Drachen, Weib, du machst mich wahnsinnig!"   "Ich mache Euch wahnsinnig?!", rief Izara. Vergessen war die Scham, die Röte stieg von ihren Ohren direkt in ihr blasses Gesicht. "Schon mal darüber nachgedacht, dass nicht ich diejenige bin, die mit ihrem ständig wechselnden Verhalten in den Wahnsinn treibt?" "Dann bist du die erste, die-" Ein lautes Scheppern und König Devon wurde augenblicklich ruhig. Genervt drehte sich Izara zur Tür. Das Klopfen kam von draußen, dort wo die Wachen rund um die Uhr patrouillierten. Die Spannung ließ die Luft im Raum knistern. Izara spürte wie König Devon seine Sinne schärfte, wie alles an ihm anspannte, er seine Kräfte verstaute. Schließlich ging die Tür auf. Ein Wyvern kam zum Vorschein. "Bitte entschuldigt die späte Störung, Hoheit", er verneigte sich flüchtig. Eher aus einer Marotte als aus einer Notwendigkeit heraus. "Aber eine Hyrakonda steht vor unseren Toren und bittet die Prinzessin zu sprechen." Kapitel 44: Devon ----------------- "Das kann nur-" Kaum hatte der Wyvern seine Ansprache beendet, stürmte Izara auf die Wache zu. Erstaunlich, wie schnell Izara ausnüchtern konnte. Die rosaroten Wangen wurden blass, die Augen flackerten aufgeregt von der Tür zurück zu dem Wyvern. "Was ist mit Levis?", rief sie, "ich meine, ist sie allein?" "Soweit ich das beurteilen kann, ist sie allein gereist", antwortete der Wyvern und wandte sich ernsten Blickes seinem König zu. "Was soll ich tun, Hoheit?" Die Frage veranlasste Izara stehen zu bleiben. Flehend sah sie zu Devon herüber, dessen Zorn allmählich verblasste. "Aber", Izaras Augen begannen unruhig zu flackern, "es ist Kaia! Sie war…sie ist-" "Schon gut", er hob eine Hand. Ihre Augen machten ihn schwach. Zudem wollte er selbst hören, was die Hyrakonda dazu veranlasst hatte, verbotenes Terrain zu betreten. "Lasst sie rein", sprach König Devon und schritt selbst Richtung Tor. "Seid Ihr sicher, Hoheit?", wandte sich der Wyvern erneut an den König, diesmal in ihrer Sprache. "Ich will wissen, was sie zu sagen hat", entgegnete Devon und schaute zu Izara, die ihm dankbar war, dass er nicht wieder in seiner Geheimsprache antwortete. Das Wort machte ihn immer noch sauer. Dabei hatte er gedacht, sie hätte den Dreh endlich raus. "Wie Ihr wünscht", eine weitere Verbeugung, dann öffnete sich das Tor noch ein Stück und eine zweite Wache trat zusammen mit einem bekannten, verwandelten Gesicht ein. "Kaia!", rief Izara und rannte der Hyrakonda in die Arme. Niemand hätte die Drachenprinzessin aufhalten können. Selbst die zweite Wache machte große Augen, als sie ihr die Hyrakonda entriss. "Beim König, Izara!", krächzte sie und erwiderte die innige Umarmung. "Ich bin so froh, dass es dir gut geht", murmelte sie der Prinzessin in ihr Haar. Sie drückte ihre Wange an Izaras Schläfe und hauchte ihr einen Kuss aufs Haar. Langsam löste sie sich aus Izaras Klammergriff. Die Himmelsgöttin schien nur widerwillig von ihr zu lassen. Beim Anblick der Hyrakonda stiegen Tränen in ihre tiefen, blauen Augen. Devon konnte ihre Erregung verstehen. Die Hyrakonda sah schlecht aus. So schlecht, dass er bezweifelte, dass sie sich jemals wieder erholen würde. Seit sie einander verabschiedet hatten, hatte die gutaussehende Schale Risse bekommen. Kaia war gerannt, Dreck klebte ihr an Wangen und Ohren und auch ein wenig Blut mischte sich hinzu. Vermutlich das ihrige, Devon konnte kein andersartiges Blut an der Hyrakonda spüren - einer der Gründe, weshalb er Ruhe bewahrte. Ihr aschfahles Gesicht ließ Anlass zu Sorge, Izara musste dasselbe durch den Kopf gegangen sein. Sie strich ihrer Ziehmutter über die Wange. Kaias Lippen bebten, sie zwang sich zu lächeln, doch ihre leeren Augen trügten ihre Freude. "Ich vermute, Sie haben keine guten Neuigkeiten zu berichten." Devon war der Erste, der die Stille zu brechen wagte. Izaras Kopf schnellte herum, dann sah sie wieder zu Kaia, die ihren Tränen freien Lauf lief. "Levis-", ihr versagte die Stimme. Es war förmlich spürbar, wie Izara die Luft anhielt. "Sie haben Levis!" "Was?!" Izara wich einen Schritt zurück. Devon machte einen Schritt vor, die Prinzessin war ins Wanken geraten und er wollte im richtigen Augenblick zur Stelle sein. "Sie haben ihn", wimmerte die Hyrakonda und wagte nun einen Blick auf den König zu werfen. Ihre Augen waren schwer zu deuten. Erschöpfung dominierte alle anderen Empfindungen. "Sie standen vor unserer Tür", fuhr sie zitternd fort, "sie waren im Geschäft. Sie haben einfach-", sie schüttelte den Kopf, biss ihre raue Unterlippe blutig. "Sie sagten, wenn ich nicht kooperiere, dann…dann töten sie ihn." Devon richtete seine Aufmerksamkeit auf Izara. Zu seinem Verwundern regte sie sich kaum, ihr Blick war starr auf ihre Ziehmutter gerichtet, ihre Augen wurden trüber und Devon wagte erneut, die Führung des Gespräches zu übernehmen. "Was haben sie genau gesagt?", er wollte nicht gefühllos klingen, doch er hatte diese Frage schon viel zu oft hören müssen, und bisher war der Ausgang immer derselbe gewesen. "Sie haben Levis zu weiteren Verhören mitgenommen. Bei den Göttern…", sie hielt sich die Hand vor dem Mund, als könnte sie die Ereignisse einfach hinunter würgen. "Der Großmeister war da." "Der Großmeister", Devon zog die Stirn kraus. Er hatte es kommen sehen, aber diesen Mann konnte man nicht vorhersehen. Das machte ihn ja so gefährlich. "Was hat er gesagt?", seine Stimme wurde tiefer, er spürte, wie sich etwas Dunkles an die Oberfläche bahnen wollte, wie Erinnerungen wachgerufen wurden und das Blut vor seinem geistigen Auge alles zu überschatten drohte. Er ermahnte sich zur Ruhe. Es fiel ihm schwer, doch mit der Zeit hatte er den Dreh raus. "Sie wollen die Drachenstadt angreifen", antwortete Kaia, "weil »[style type="italic"]ihre Drachen[/style] gestohlen wurden«, so sagten sie. Und sie wollen Izara. Sie wissen, was sie ist. Von Dragor aus wollen sie das Schloss erobern. Ich…ich bin so schnell gerannt, wie ich konnte. Wenn sie merken, dass ich fort bin…", sie schüttelte den Kopf, "egal. Ich will nur Levis befreien. Das ist alles. Ich wusste nicht, an wen ich mich sonst wenden sollte." Sie flehte den König an, ein verzweifelter, unterwürfiger Blick einer Hyrakonda, die kaum noch ihre Menschlichkeit aufrechterhalten konnte. Devon legte die Stirn in Furchen. "Ihr seid meine einzige Hoffnung." * "König?", Izara war Devon hinterher gelaufen. Ihre kleinen Beine waren flink, flinker als er erwartet hatte. Er hatte gehofft, für einen Moment allein sein zu können. Seine Gedanken zu ordnen, die immer mehr seiner Kontrolle entglitten. Eine zierliche Drachenprinzessin machte ihm einen Strich durch die Rechnung und wenn er ehrlich zu sich war, hatte er von Anfang an gewusst, dass sie ihm folgen würde. Schließlich gab er nach. Vor seinem Arbeitszimmer blieb er stehen und wartete, dass Izara ihn eingeholt hatte. Sie verstand seinen Wink, nickte ihm dankend zu, dass Devon die Tür aufriss und beide das Zimmer betraten. "Oh", machte sie und blieb unter dem Türbalken stehen. "Es ist", sie sah zu dem Bücherregal, dem Schreibtisch in der Mitte und der kleinen Zimmerpflanze rechts außen, "so…klein." "Es ist nicht gerade mein Lieblingszimmer", entgegnete Devon und schloss die Tür. Er wusste auch nicht, warum er das gesagt hatte. Ihre Verwunderung irritierte ihn ein Stück weit. "Ich habe immer gedacht, dass es wie die anderen Zimmer aussähe. Oder wie Euer…" Er hob seine Augenbrauen, doch Izara fügte dem nichts mehr hinzu. Schlapp ließ sie sich auf das Sofa fallen. Ihre Arme hingen schlaff neben ihrem Körper, die Beine waren angewinkelt, die Oberschenkel presste sie aneinander, als gäbe es nicht genügend Sitzfläche. Devon lief um das Sofa und setzte sich auf die andere Seite seines Schreibtisches. Normalerweise saßen dort seine Geschäftspartner oder hochrangige Soldaten, die ihre Berichte abzugeben hatten. Wie gesagt, er mochte dieses Zimmer nicht sonderlich, doch für seine Geschäfte strahlte das Zimmer diese gewisse Menschlichkeit aus, die es brauchte, um sachlich zu bleiben. Er schlug die Beine übereinander, die Ellenbogen stützten sich an seinen Oberschenkeln ab. Leicht beugte er sich vor, er wollte Izara in die Augen sehen und Izara sollte ihrerseits nicht das Gefühl bekommen, er würde nicht mit ihr auf einer Stufe stehen. Scheinbar glaubte sie, dass ihm ihre Stellung kalt ließ. Dass sie überzeugt war, er nähme sie nicht ernst, hatte sie ja schon deutlich zum Ausdruck gebracht. Ein tiefes, zittriges Seufzen ließ ihn wieder auf die Prinzessin vor ihm konzentrieren. "Schon wieder", sagte sie und starrte auf ihre Hände. Sie hatte sie mittlerweile auf ihrem Schoß liegen und betrachtete sie als sähe sie mehr als nur die Innenflächen. "Wieder muss jemand, den ich liebe, leiden. Alles bloß meinetwegen." "Das ist nicht deine Schuld." "Das habe ich schon öfter gehört", Izara lächelte schwach, "aber warum fühlt es sich nicht so an?" Er kannte die Antwort. Devon hatte sie für sich selbst gefunden, doch das Urteil war vernichtend und das wollte er ihr nicht antun. Natürlich war sie nicht schuld, wenn dann trugen sie alle die Verantwortung - einschließlich Devon. Ihre Worte kamen ihm ins Gedächtnis. Zu frisch waren sie, um sie einfach verdrängen zu können. "Warum Levis?", ihre Stimme brach und Devon war kurz davor von seinem Stuhl aufzuspringen. Doch die Tränen blieben aus. Vielleicht hatte sie keine mehr übrig. Laut seinen Leuten schien die Prinzessin viel zu weinen. Das brachte Devon zurück zu dem Gesagten. Izaras Vorwürfe und die Verzweiflung und Wut hinter ihrem wilden Drachenblut. "Es war", sagte sie und Devon richtete sein Augenmerk zurück auf ihre Seelenspiegel. Erinnerungen wollten an die Oberfläche, Worte ausgedrückt, die lange verschlossen gewesen waren. Izaras Leben unterschied sich oberflächlich von dem seinigen, ihre Vergangenheit lag unter der Knechtschaft der Paladine und doch führten ihre Stränge zu einem gemeinsamen Punkt. "Es war nie einfach", begann Izara ihre Geschichte zu erzählen. Es kostete sie Kraft, sie schien genau abzuwägen, ob sie sich ihm anvertrauen sollte oder nicht. Vielleicht sprach sie auch zu sich selbst. Er wusste nicht, ob sie ihn wirklich wahrnahm, doch er würde still ihren Worten lauschen. Noch einmal tief eingeatmet sprach sie weiter: "Drachenblut in seinem eigenen Haus zu haben, hat immer Probleme gemacht. Aber Levis - er hat sich nie etwas anmerken lassen. Hat immer gelächelt, als wären die Probleme nicht da. Als gäbe es da nicht dieses Mädchen, das alle lieber tot sehen wollten als dass es die Menschheit befleckte oder das Drachenblut entehrte." Kurz hielt sie inne. Schüttelte sich. "Wir hatten Glück, dass wir so viele Male verschont wurden. Das hatten wir nur Levis zu verdanken. Er ist Maler, Portraitzeichner, um genau zu sagen. Er war viel unterwegs. Einmal war er in Vebrix, dort hat ihn der Schwager des Königs gesehen. Nachdem er ihn gezeichnet hat, stand er in dessen Gunst. Meist haben sich die Paladine nicht getraut, Levis zu nahe zu treten und wenn es doch einer tat, wurden die Anklagen schnell im Keim erstickt. Doch jetzt." Sie schaute auf, an Devon vorbei, der Izara ihre Geschichte zu Ende erzählen ließ. "Ich dachte, wenn ich fort bin, könnte ich sie beschützen. Aber ich habe alles nur noch schlimmer gemacht." Langsam wanderte ihr Blick zu Devon. Er kannte diesen Ausdruck in ihren Augen. Früher hatte er auch so gedacht, jetzt konnte er es sich nicht mehr leisten, Schuldgefühle zu haben. Auch Devons Schicksal hatte das Blut seiner Familie geopfert. Ein Himmelsdrache brachte immer denjenigen Kummer, die man zu beschützen versuchte. Und beschützen hatte er damals auch nicht können. Stattdessen hatte er die Asche seiner Verwandten aufgesammelt, hatte die Überreste, die die Paladine von seinen Leuten übrig gelassen hatten, aufgelesen und hinfortgetragen. In den glänzenden Augen der Himmelsgöttin spiegelte sich die Reue wider, die er ein Leben lang zu tragen hatte, denn ein Himmelsdrache war dazu verdammt, zu bereuen und eines Tages zu sühnen. "Was machen sie denn jetzt mit ihm?" Ihr Augen weiteten sich. "Werden sie…haben sie ihn bereits-" "Nein", entgegnete Devon, bevor Izara gezwungen war, es auszusprechen. "Er lebt. Da bin ich ziemlich sicher." Auch wenn er diese Antwort nicht beruhigend fand. "Sie hätten sonst kein Druckmittel." "Also halten sie ihn gefangen", sagte sie. Izara wusste ganz genau, was das bedeutete. Devon nickte. "Wenn die Hyrakonda die Wahrheit sagt, dann sollte er sich im Hauptquartier der Paladine aufhalten. Es gibt dort einen speziellen Raum - dort halten sie für gewöhnlich Menschen gefangen, die ihre Ideologien nicht teilen." "Wenn?", Izara blinzelte, "glaubt Ihr, Kaia lügt?" "Ich weiß es nicht", antwortete er ehrlich. Ihre Rasse war alles andere als vertrauenserweckend, ganz besonders, wenn sie so eng mit den Menschen zusammen lebte. Eine ausführliche Erklärung ersparte er Izara. Vermutlich hätte sie es nicht verstanden. Zu wenig wusste sie über das Verhältnis zwischen Hyrakonden und Drachen. Seine Erfahrung hatte ihn gelehrt, ihnen nicht weiter als zehn Fuß über den Weg zu trauen. Für jemanden, der mit ihnen aufgewachsen war und eine von ihnen sogar als Mutterfigur betrachtete - ein unvorstellbarer Gedanke. "Kaia würde nicht lügen", sagte Izara voller Überzeugung, "nicht, wenn es um Levis geht. Sie liebt ihn. Das weiß ich. Für ihn hat sie alles aufgegeben. Ich weiß, was das für eine Hyrakonda bedeutet." Devon wusste es auch. Hyrakonden waren treue Partner. Wenn sie sich banden, dann für den Rest ihres Lebens. "Sie würde alles für ihn tun", sagte sie und ballte die Hände auf ihren Schoß, "und ich auch." "Izara." "Wir müssen ihn befreien. Levis ist wie mein Vater. Ohne ihn…ohne ihn würde es mich nicht geben", die letzen Worte waren bloß ein Hauchen. "Das-" "Es stimmt", entgegnete sie. Izara hatte aufgehört zu blinzeln, zu nahe schien sie den Tränen und das machte ihn fertig. "Ich habe sie belauscht. Meine Eltern. Das ist viele Jahre her. Ich habe gehört, wie meine Mutter sagte, dass sie mich nie haben wollte. Sie hätte fast…", sie schüttelte den Kopf, "aber Levis hat sie überzeugt, es nicht zu tun. Er wollte mich. Mich", sie zeigte auf sich, "obwohl ich nicht seine Tochter bin. Obwohl ich der Grund bin, warum meine Mutter sich umgebracht hat. Warum die meisten Menschen nichts mit uns zu tun haben wollten. Ich will ihn nicht im Stich lassen." Die ersten Tränen fielen ihre Wange hinab. Zarte, weiche Haut verwandelte sich in einen Tränenfluss, der kaum aufzuhalten war. Devon versuchte es dennoch. Den Stuhl ein Stück nach vorne gerückt, beugte er sich weit genug vor, dass er mit den Fingerspitzen ihre Tränen auffangen konnte. "Ich werde sehen, was ich tun kann", sagte er und atmete schwer aus. Es juckte ihn in den Fingern, mehr zu tun, mehr zu sagen. Tropfen für Tropfen einzufangen, bis die Tränen versiegt wären. Für den Augenblick beließ er es dabei und senkte die Hände. Izara schniefte. "Danke", sie lächelte - ein erschöpftes Lächeln. "Darf Kaia bleiben?", fragte sie vorsichtig nach. Devon seufzte. "Sie darf bleiben." Kapitel 45: Devon ----------------- "Haltet Ihr es für eine gute Idee, sie hier zu behalten?" Trias ließ seinen Unmut freien Lauf. Er lief durch das Arbeitszimmer und raufte sich durch die Haare. Devon hatte ihn schweigend dabei beobachtet. "Sie ist ihre Ziehmutter", antwortete Devon ruhig. "Ausgerechnet jetzt",] schimpfte der Volan und stampfte über den Teppichboden. "Setz' dich, Trias. Du versaust den Boden." "Verzeihung, grummelte Trias, der kleine glühende Kohlesplitter fallen gelassen hatte. Er blieb stehen und zwängte sich auf den Stuhl. "Ich meine nur", sprach er leise gedämpft und in der Sprache der Menschen weiter, "ich finde es verdächtig, dass sie gerade jetzt auftaucht. Gerade, wo Ihr Euch von der letzten Mission erholen müsst." "Das ist etwas weit hergeholt", entgegnete Devon und verschränkte die Arme vor der Brust. Er konnte es nicht leiden, wenn Trias sich zu viele Sorgen um seinen Zustand machte. Der Volan wusste das. "Sie ist eine Hyrakonda", warf Trias ein, als wäre es nicht offensichtlich, was diese Frau war. "Einer Hyrakonda ist nicht zu trauen. Egal, wessen Ziehmutter sie ist." "Ich habe auch nie behauptet, dass ich ihr traue", sagte Devon scharf.   Trias hob eine Augenbraue. "Aber Ihr habt-" "Ich habe sie ins Schloss gelassen, weil ich wissen will, was hinter ihrer Geschichte steckt", antwortete Devon in ihrer Sprache. " Fakt ist, der Ziehvater ist nicht mehr in Kandio." Und auf die Informationen seiner Späher war Verlass. "Ihr wisst, dass die Möglichkeit besteht, dass er- "Ja, knurrte Devon. Er wollte nichts davon hören. "Aber, wie ich den Großmeister einschätze, wird er ihn nicht einfach töten wollen. Nicht solange er nicht das hat, was er will." Der Leibwächter schluckte. Der Titel hinterließ selbst bei einem solch kräftigen Drachen wie Trias ein unangenehmes Ziehen im Hinterkopf. "Also", fuhr Devon ruhiger fort, "müssen wir unsere nächsten Schritte überdenken und uns auf alle Eventualitäten vorbereiten." "Ihr meint einen möglichen Angriff auf Dragor?" "]Wir dürfen es nicht ausschließen", nickte Devon, auch wenn er es für unwahrscheinlich hielt. Die Drachenmetropole war gut bewacht. Die Männer an der Stadtmauer waren stark und auf alles vorbereitet. Selbst, wenn die Paladine einen Angriff planten, würde ihnen das nicht viel nützen. Letztendlich waren die Drachen in der Überzahl, eine Niederlage wäre unausweichlich. Dennoch gefiel es ihm nicht, dass diese Option in den Raum geworfen wurde. "Jemand soll den Bürgermeister informieren", sagte Devon und legte die Arme auf den Schreibtisch ab, "ansonsten will ich, dass diese Information geheim gehalten wird. Wir dürfen keine Panik schüren." Gerade jetzt, wo das Drachenvolk einen Funken Hoffnung verspürte. Wieder einmal gelang es den Paladinen, für Verwirrung und Missmut zu sorgen. "Der Bürgermeister wird das nicht so entspannt sehen, wie Ihr, Hoheit", warf Trias in den Raum und kippte mit dem Stuhl ein Stück nach hinten. "Er wird mehr Wachen an den Stadttoren fordern, mehr Späher an den Außenposten. Wenn das geschieht, werden die Drachen selbst drauf kommen, dass etwas nicht stimmt." Trias schnaubte verächtlich. "Alles wegen einer unzuverlässigen Quelle. Am Ende will uns das Weib auf eine falsche Fährte locken." "Und was willst du tun, wenn sie die Wahrheit sagt?" Die dritte Stimme meldete sich zu Wort. Bisher hatte Kyia einfach nur an der Tür gelehnt. Die Beine überkreuzt starrte sie grimmig aus dem Fenster. "Du willst doch nicht behaupten, dass du ihr traust?!", lachte Trias auf. "Ich behaupte gar nichts", entgegnete der Bergdrache trocken, "aber ich gebe dem König recht, wir dürfen die Information nicht einfach ignorieren." "Na toll", der Volan fasste sich durchs Gesicht, die dunklen Augenringe waren noch nicht ganz verschwunden. "Jetzt machen wir Panik wegen einer Hyrakonda, deren Menschenmann verschwunden ist." "Dieser Menschenmann ist der Ziehvater der Prinzessin", erwiderte Devon und musterte seinen Leibwächter streng. "Außerdem haben wir keine Ahnung, was die Paladine planen." "Aber die Stadt angreifen? Ist das nicht ein wenig zu weit hergeholt?" "Du meinst unsere Wasserversorgung zu kitten, die Handelsrouten zwischen den Lóng abzubrechen, unsere Einkommensquelle zum Erliegen zu bringen…?" Trias antwortete nicht. Er hatte aufgehört, mit dem Stuhl zu kippeln und ließ die Hände auf den Schoß sinken. Ein Zeichen der Resignation. "Sende einen Luftboten nach Dragor aus", Devons Befehl richtete sich an Trias, "und der Bürgermeister soll die Füße still halten. Sollten widererwartend irgendwelche Ereignisse passieren, kann er mit meiner Unterstützung rechnen." "Wie Ihr wünscht", nickte der Volan. "Für den Augenblick ist alles gesagt", damit ließ er Trias abtreten. Der Leibwächter erhob sich, sein letzter zweideutiger Blick galt seiner Kameradin. Kyia nickte ihm ernst zu. "Wo hält sich die Prinzessin derzeit auf?", fragte Devon, als Trias in den Fluren verschwunden war. "Die Prinzessin hält sich in den Gärten auf." "In Begleitung?" "Es ist unmöglich, die Prinzessin von der Hyrakonda fernzuhalten. Aber seid unbesorgt, Sila ist an ihrer Seite." Devon nickte. Seit dem Anschlag auf die Eier hatte sich das Verhältnis der beiden Weibchen verbessert. Sila schien nicht weiter ihre Position verteidigen zu wollen, was Devon sehr begrüßte. Im schlimmsten Fall hätte er sich von der Lóng trennen müssen. Ein harter Verlust für seine Allianz, aber derartige Respektlosigkeiten gegenüber der Prinzessin wären weiterhin nicht hinnehmbar gewesen. "Wenn Ihr mir die Frage erlaubt", Kyia stellte sich aufrecht hin, ihre Hand löste sich von dem Knauf ihrer Waffe, "in Bezug auf den Menschen-" "Izaras Ziehvater", Devon schloss kurz die Augen. "Ihr werdet doch nicht nach ihm suchen? Das ist genau das, was sie wollen." "Meinst du?", ein schwaches, trostloses Lächeln zierte seine Lippen. "Was den Großmeister angeht, kann ich dir nicht sagen, was er will. Wen er will, ja. Aber wie er das anstellen wird, weiß nur er selbst." "Ihr werdet der Prinzessin helfen, nicht wahr?", hakte Kyia nach. Sie mochte keine Antworten, die nicht eindeutig waren. Aber mehr würde sie nicht von ihm bekommen. Das merkte auch der Bergdrache, er nickte, dann trat auch Kyia ab. Zurück blieb die drückende Luft. Schnaubend erhob sich Devon und schritt durch sein Arbeitszimmer. Vertrauen kämpfte gegen Misstrauen. Er konnte sich nicht entscheiden, auf wen er zuerst sein Augenmerk richten sollte. Dragor war wichtig - ein letzter Rettungsanker in einer Welt, in der Drachen kaum noch frei herumspazieren konnten. In der kastriert, dominiert und abgeschlachtet wurde - erbarmungslos und unter dem Deckmantel von Frieden und Einigkeit unter den Reichen. Aber Trias hatte recht. Der Hyrakonda war nicht zu trauen. Ganz gleich welchen Status sie genoss, die Hyrakonden war immer noch diejenigen, die sich auf die Seite der Paladine geschlagen hatten. So einfach gab eine Bestie wie sie nicht ihre Sicherheit auf. Das einzig Beruhigende: eine Bestie allein konnte nichts ausrichten. Ihre Beißer waren unangenehm, doch gegen einen Drachen standen die Chancen schlecht, aus der Sache lebend herauszukommen. Er verließ das Arbeitszimmer. Vorsicht hatte nie geschadet und Devon war ein vorsichtiger Drache, wenn es um Vertrauen und den Schutz seines Volkes ging. Durch die Flure gewandert fühlte er die Magie in den Wänden. Die Schutzzauber waren ungebrochen - und stark. Paladine konnten von außen nicht eindringen, ohne von seiner Himmelsmacht zurückgeworfen zu werden. Er atmete tief ein, trieb seine Kräfte in die Mitte seines Innersten direkt in seine Hände. Erschöpfung minderten die Intensität, doch es sollte genügen. Ein großer, runder Ballen staute sich auf, Devon entließ die Kräfte, ließ sie über die Wände fließen, die von Kyias Magie hart und schwer zerstörbar gemacht worden waren. Weiter ging es. Entlang der einzelnen Gärten, kam er an der Schlucht vorbei. Die Weibchen hatten ganze Arbeit geleistet und das Schlachtfeld in einen annehmbaren Rückzugsort zurückverwandelt. Das drückende Gefühl blieb. Die Sicherheit des Schlosses war angekratzt worden. Kein guter Tag für das Drachenvolk - oder Devon, dem alles gerade um die Ohren flog. Erst Entführungen und eine zum Scheitern verurteilte Befreiungsaktion, dann neue Sicherheitslücken, und aus Raj erwartete man auch täglich Antworten, die Devon alles an Nerven kosteten. Die Miene verzogen, lief er weiter. Er würde überall die Magie verstärken. Die meisten Eier waren am Brechen, aus den ersten kamen bereits die Nachkommen. Es sollte demnach kein Problem darstellen, seine Schutzmagie weiter auszubauen. Nur für den Fall aller Fälle. Kapitel 46: Izara ----------------- Niemand sprach es aus, doch jeder schien darauf zu warten, dass etwas passieren würde. Wann die Paladine vor den Toren Dragors stünden. Der Albtraum wahr würde, den die Hyrakonda mitten in der Nacht prophezeit hatte. Izara fürchtete die Worte, ebenso wie sie um das Leben ihres Ziehvaters fürchtete. Ein ständiges Wechselspiel aus Schuldgefühl und quälenden Alpträumen. Während sie warteten, verbrachte Izara die meiste Zeit mit Kaia im Garten oder in ihrem Zimmer. Händchenhaltend, wobei Izara diejenige war, die Kraft und Trost spenden musste. Eine neue Aufgabe, der sie noch nicht ganz gewachsen zu sein schien. Nicht gegenüber Kaia. Die Hyrakonda war völlig fertig. Eigentlich weinte sie nur noch, und das trieb Izara selbst in die Verzweiflung. Jedes kleinste Mutmachen, jede noch so winzige Hoffnung wurde durch Kaias leeren Blick zerstört. Die gequollenen Augen, aus denen kaum mehr als zähflüssige Trauer hinaus gedrückt wurden.   Ab und an bemühte sich die Hyrakonda um ein Lächeln, das schneller als ein Luftkuss verrauchte und nur noch mehr Kummer und Trauer mit sich brachte. Noch nie hatte Izara ihre Ziehmutter in einem Zustand absoluter Verzweiflung erlebt. Die Hyrakonda, ihre Vertraute und Freundin - sie hatte aufgegeben. Sich und Levis. Obwohl sie den weiten Weg auf sich genommen hatte, um die Hilfe des Königs zu erbitten, war Kaias Hoffnung irgendwo auf der Strecke zwischen Kandio und Dragor verloren gegangen. In Izara wuchsen die Schuldgefühle, sie war mitverantwortlich für Kaias Zustand und allem, was sie sich sonst noch an den Kopf warf. Die einstige starke und schöne Hyrakonda war ein zusammengerolltes Wrack, das Izara jeden Tag aufs Neue aufzubauen versuchte. Manchmal glaubte sie, Erfolg zu haben. Wenn sie von früher sprachen. Den Zeiten im Pralinengeschäft, die lustigen Augenblicke, die kleinen Glücksmomente. Sachte blühte Kaia auf, ein Hauch von Leben zierte ihre Wangen, bis die harte Realität einschlug und die Hyrakonda zu dem Häufchen Elend zurück verwandelte, das nur noch auf das Ende der Welt zu warten schien. Die düsteren Gedanken, die schweren Worte - sie lasteten nicht nur auf Kaia. Am schlimmsten war es während des Abendessens. Wie hatte Kaia damals auf eine ausladende Mahlzeit bestanden, wie viele Gänge hatte sie gekocht, dass Izara und Levis fast geplatzt wären und die Bäuche kaum noch Platz für den Nachtisch fanden. Da war er wieder. Levis. Ihr gemeinsamer Halt, die Liebe, die sie miteinander verband. Ohne ihn war das Essen nicht dasselbe, ohne ihn waren Kaia und Izara bloß zwei Weibchen, die sich stillschweigend gegenüber saßen und sich die fürchterlichsten Szenarien ausdachten. So schwer es ihr fiel - Izara musste kämpfen. Sie durfte sich nicht der Verzweiflung hingeben. Sie musste stark sein. Für sich und für Kaia, die auch immer für sie stark gewesen war. Tränen erlaubte sie sich nicht, und wenn ihre Augen zu brennen begannen, biss sie sich so fest auf die Unterlippe, bis die Schmerzen in der Brust weniger wurden.   Tagtäglich wartete Izara auf Neuigkeiten. Ein Lebenszeichen hätte schon genügt, Izara wusste, wie gering die Chancen standen, dass Levis die Befragungen der Paladine überstand. Trotzdem gab sie nicht auf. Wenn Levis kämpfte - und sie war davon überzeugt, dass er das tat -, dann musste auch Izara kämpfen. Und wenn sie nur um ihre Selbstbeherrschung kämpfte, denn zu mehr gereichte es nicht. * Der wievielte Tag seit Levis Entführung angebrochen war, konnte Izara nicht mehr sagen. Tag und Nacht verschmolzen miteinander, sie kam kaum noch zur Ruhe und wenn, dann wurde sie von den schlimmsten Visionen heimgesucht. Essen war eine Notwendigkeit geworden, ein Versuch, Kaias geschundenen Körper aufzubauen. Zusammen saßen die beiden Weibchen an der Tafel des Speisesaals. Izara saß direkt neben Kaia, die wortlos in ihre Suppe starrte. Das tat Kaia jeden Tag. In die Luft starren oder dieses und jenes betrachten, als würden die Gegenstände einen Blick in die Zukunft gewähren - keiner erfreulichen Zukunft. Die dunklen Ringe waren ein völliger Kontrast zu ihrer kalkigen Haut. Kaia atmete schwer, die Lippen bebten und dürsteten geradezu nach Flüssigkeit, welche die Hyrakonda ihnen einfach verwehrte. Still löffelte Izara ihre Suppe und blickte zu ihrer Leibwächterin. Kyia sah aus, als könnte sie jeden Moment von ihrem Posten springen und eine halbe Armee zur Strecke bringen. Aber nicht nur Kyia. Alle waren sie Einsatzbereit. Izara spürte die Anspannung und fühlte sich zunehmend unbehaglicher. Kaia legte den Löffel auf den Teller, das Geräusch hallte durch den Saal, dicht gefolgt vom Quietschen des Stuhles, als die Hyrakonda von ihrem Platz aufstand. "Du gehst schon?", fragte Izara und schaute zu ihrer Ziehmutter hinauf. Sie klang überraschter als sie es war. Matt lächelte Kaia. "Ich habe keinen Hunger." Damit verabschiedete sie sich. Meist drehte Kaia ein paar Runden im Schlossgarten oder setzte sich in die Vorhalle und blickte nach oben in den zugezogenen Himmel. Manchmal wollte sie alleine sein, obwohl Alleinsein im Schloss ein Ding der Unmöglichkeit war. Niemand hätte die Hyrakonda unbeaufsichtigt gelassen, das Misstrauen spürte Izara bis in die Fußspitzen. Immer wieder sprachen sie von Verrat, Verschwörung und geheimen Machenschaften. Nichts, das je bewiesen worden wäre. Mit einem Seufzer löffelte Izara weitere ihre Suppe, bis nur noch eine blasse Schicht übrig geblieben war. Am Ende lief es doch immer auf dasselbe hinaus. Sogar der König kam nicht mehr zum Essen, seit er den Bürgermeister vor einem möglichen Anschlag gewarnt hatte. Oft saß er in seinem Arbeitszimmer, begleitet von mehreren Soldaten, Gelehrten und natürlich seinem Leibwächter. Ob sich König Devon die Zeit zum Speisen nahm, bezweifelte Izara. Sie war überzeugt, dass er sich nie Zeit für sich nahm. Ihr kam ein Gedanke. Zwei, drei Löffel ihres Nachttisches hineingeschoben, sprang auch sie von ihrem Platz auf. Sofort richtete sich Kyia auf. "Alles in Ordnung, Prinzessin?", fragte sie, die Finger am Gürtel, direkt neben ihrem Schwert. "Alles gut", versicherte Izara, "ich wollte nur schnell in die Küche und etwas zu Essen holen." "Das braucht Ihr doch nicht. Ich kann dem Küchenjungen Bescheid geben, dass er ein paar Kleinigkeiten für Euch besorgen soll." "Aber doch nicht für mich", Izara fasste sich ans Ohr, "ich möchte dem König etwas vorbeibringen. Er wird doch sicherlich noch nichts gegessen haben." "Ich bezweifle es", entgegnete Kyia und verschränkte die Arme vor der Brust, "also schön", sagte sie, als bräuchte es die Zustimmung des Bergdrachen. Lächelnd lief Izara an ihrer Leibwächterin vorbei. Diese sah ihr kurz hinterher, bevor sie sich im Flur neu postierte. Die Küche war schnell gefunden, die Küchenhilfen waren hilfsbereit und stellten ein Tablett mit allerhand Leckereien zur Verfügung. In einer Schale duftete es nach frischer Fischsuppe, während daneben kleine Häppchen aus Fleisch und Gemüse drapiert worden waren. Zielstrebig steuerte Izara dem Teil des Schlosses an, in dem sich das Arbeitszimmer des Königs befand. Wie zu erwarten stand Trias genau vor dessen Tür. Die Arme hinter dem Kopf, unterdrückte er sich gerade so ein Gähnen, als er Izara auf sich zulaufen sah. Überrascht stemmte er die Hände in die Hüften und schaute zu dem vollen Tablett hinunter. "Das wäre aber nicht nötig gewesen", sagte der Volan und grinste sie breit an. Sie war den Leibwächtern dankbar, dass sie Izara nicht mit Mitleid und Überfürsorge begegneten. Noch mehr traurige Gesichter hätte sie nicht ertragen. "Das ist nicht für dich", entgegnete Izara, bot ihm aber etwas von den Häppchen an. Der Volan schüttelte den Kopf. Sehr zum Missfallen seines Bauches, der laut zu brodeln begann. Entschuldigend kratzte sich Trias an den Kopf. "Die Gerüchte sind also wahr", sagte Izara und blickte auf seinen Bauch hinunter, "du versteckst unter deinem Hemd also doch einen Vulkan." "Ja, und ein paar Feuersalamander hätte ich auch noch zu bieten. Willst du mal sehen?" "Ähm, nein", Izara musste sich die roten Wangen verkneifen. So ganz bekam sie das Bild seines Oberkörpers nicht aus ihrem Kopf. Trias grinste triumphierend, dann wurden ihre Mienen wieder ernst. "Ist er schon lange da drin?", Izara deutete auf die Tür. Trias seufzte. "Seit dem Vormittag. Ich glaube, er arbeitet an einer neuen Route für…naja, du weißt schon." "Oh", mehr konnte Izara nicht sagen. Niemand schien es zu behagen, dass der König in Erwägung zog, Levis zu retten. Es wurde zunehmend unangenehmer, über das Thema zu reden. Sie wollte sich nicht rechtfertigen - nicht wegen Levis. Der Volan war so freundlich und ging nicht weiter darauf auf. "Über eine Mahlzeit wird er sich bestimmt freuen", sagte er und versuchte es noch einmal auf die lockere, ungezwungene Art. Diesmal erfolglos. Mit einem Nicken klopfte er an die Tür, dann ließ er Izara eintreten. Mit dem Tablett schlüpfte sie durch den Spalt, den Trias ihr zur Verfügung gestellt hatte. Es klapperte laut, als sie die Tür hinter sich schloss und dabei nur den Ellenbogen benutzte. "Izara", König Devon klang überrascht. "Ich hoffe, ich störe Euch nicht", murmelte Izara und blickte scheu auf den Schreibtisch, an dem der König an mehreren Schriften gleichzeitig arbeitete. "Nein, schon gut", entgegnete König Devon. Er legte den Stift beiseite und musterte Izara auf eine Art, die sie nicht zu deuten wusste. Das Schweigen war beengend, dass Izara nicht anders konnte als irgendetwas zu sagen. "Ich fürchte, Euer Leibwächter wird sich bald in einen Vulkan verwandeln." König Devons Augenbrauen schnellten in die Höhe. "Ich meine, wenn er nicht bald etwas Vernünftiges zu essen bekommt, wird er noch explodieren." "Steht er etwa immer noch vor der Tür?", fragte der König ein klein wenig genervt. "Ja." König Devon gab ein tiefes Schnauben von sich. "Unverbesserlicher Sturkopf." "Ich denke, er macht sich nur Sorgen um Euch." So wie ich, dachte Izara, behielt das Geständnis jedoch für sich. "Das sieht diesem Volan ähnlich. Wenn er so weiter macht, muss ich mir noch Sorgen um ihn machen." "Er weiß vielleicht nicht, wie er Euch sonst unterstützen kann", warf Izara ein und trat langsam an den Tisch des Königs heran. "Wenn ich raten müsste, scheint Ihr jemand zu sein, der die Dinge lieber alleine klären möchte." "Ja, da hast du wohl recht", seine eiskalten Augen fixierten Izara, die ganz vorsichtig mit dem Tablett zu balancieren versuchte. "Wenn Ihr Trias eine eigene Aufgabe geben könntet", überlegte Izara, "wäre er vielleicht nicht mehr so…anhänglich." "Das bezweifle ich stark", lachte der König leise, "aber du wirst recht haben. Trias ist nicht genug ausgelastet. Vielleicht sollte ich es einmal ausprobieren." Schüchtern drehte sie sich von seinen Blicken weg und sah sich noch einmal in diesem kleinen, beengenden Raum um. Die vielen Möbel, das dunkle Holz - alles kam ihr vage bekannt, wenn auch nicht wirklich vertraut vor. Als hätte sie einen ähnlichen Ausblick auf einer Leinwand oder in einem Bilderbuch gesehen. "Ich hoffe, dass Trias dich nicht dazu verdonnert hat", er zeigte auf das Tablett, bevor er den Stapel an Dokumenten, an denen er bis eben gearbeitet hatte, an den Rand seines Tisches schob. Flüchtig erkannte Izara ein paar Zeichnungen von Dragor und Umgebung. Auch ein paar Schriftstücke mit ausländischen Siegeln waren dabei. "Nein, aber ich stimme Eurem Leibwächter zu." "In wiefern?" "Ihr achtet nicht auf Euch, und selbst ein Drachenkönig muss ab und an einmal an sich denken." Ein flüchtiges Lächeln huschte über sein Gesicht, Izara hatte es genau gesehen und es ärgerte sie maßlos, dass eine solch kleine Regung genügte, um ihr Herz wie einen Flummi springen zu lassen. "Izara", ihren Namen aus seinem Mund ließ einen wohligen Schauer über ihren Rücken wandern. Izara blickte auf das Tablett und stellte es etwas ungeschickt auf den Schreibtisch ab. Die Miene des Königs wurde wieder ernst. "Trias wird es dir sicherlich schon gesagt haben", seine Stimme ließ Izara in ihrer Bewegung verharren. "Ihr meint, dass es keine Neuigkeiten gibt bezüglich-", sie stockte. Schluckte den zähen Brocken hinunter. Er dachte, sie wäre deshalb gekommen. Wegen Levis - und nicht wegen ihm. "Die Lage ist schwierig", fuhr der König fort. Izara nahm die Hände vom Tablett. Sie waren rutschig und Izara hätte sie gerne irgendwo abgewischt, aber das schien ihr noch peinlicher als sie einfach nur zur Faust zu ballen. "Ich weiß", nuschelte Izara, "Ihr tut alles, was Ihr könnt, und dafür bin ich Euch dankbar. Es ist mehr als ich mir zu erwarten erhofft hatte." Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper, hielt sich mit der linken Hand am rechten Oberarm fest. Indem sie den König um Hilfe gebeten hatte, hatte sie ihn etwas versprechen lassen, das er unmöglich einhalten konnte. Dass er dennoch nach einem Weg suchte, ihr die möglichste Unterstützung zusagte, machte es ihr schwer, ihre Bitte noch einmal vorzutragen. "Ich wollte nur sagen", begann Izara und spürte den eindringlichen Blick des Königs. Die tiefen, dunkelblauen Augen, die alles von ihr ergründen wollten. "Was ich neulich zu Euch gesagt habe", sie geriet ins Stottern. "Ich wollte nicht -" "Ich verstehe schon", entgegnete der König, "wir müssen das Thema nicht wieder aufgreifen." Sie sah ihm nicht direkt in die Augen, aber sein Tonfall verriet, das er sich nicht weiter mit dem Thema befassen wollte. "Wenn Ihr meint", ihre Stimme war leise und gedrückt, sie hätte gerne ihre Entschuldigung rübergebracht. Doch scheinbar wollte der König sie nicht hören und das musste sie respektieren. "Kann ich", sie leckte sich über die Lippen. Immer wenn sie dem König nahe war, wurden ihre Lippen so trocken. "Kann ich sonst etwas für Euch tun?" "Nein, Izara", sagte der König sanft, "damit", er zeigte auf das Essen, "hast du schon genug getan." Sie nickte, wandte sich zum Gehen, obwohl ihr Kopf schrie, dass sie bleiben sollte. Das Aufreißen der Tür nahm ihr jegliche Entscheidungen ab. "Hoheit", Trias hatte noch die Hand an der Klinke, seine Augen waren weit geöffnet. Er keuchte, als wäre er gerannt. "Sie - sie sind hier!" Kapitel 47: Izara ----------------- "Sie - sie sind hier! Die Paladine, sie sind in Dragor…vor den Stadtmauern, meine ich." Der König sprang von seinem Stuhl. "Seit wann?", fragte er ruhig. Sein angespannter Körper verriet ihn. "Vor etwa einer halben Stunde", antwortete der Volan. In Izara stauten sich genau zwei Gefühle auf - Furcht und Wut. Beides ließ sie wie angewurzelt stehen bleiben. Nun war es also soweit. Die Paladine hatten Wort gehalten, Kaia hatte doch recht behalten. Erst als König Devon auf seinen Leibwächter zu schritt, setzte sich auch Izara in Bewegung. Sie hatte Mühe, mit den beiden Männchen Schritt zu halten. "Die dritte Division soll sich bereithalten", sagte der König, während er durch den immer voller werdenden Flur marschierte. Mindestens drei Dutzend Soldaten huschten durch die Gänge. Es gab ein regelrechtes Durcheinander und Geschnatter. Jeder wollte seine Rolle kennen, jeder seine Überraschung zum Ausdruck bringen. Angst und Zorn waren spürbar. Der Geruch drängte sich zwischen die Wände, dass Izara den Atem anhielt. "Von wo sind sie gekommen?", fragte König Devon weiter. Er klang abgeklärt und vollkommen gefasst. Ständig schienen die Drachen zwischen der Menschensprache und ihrer eigenen Kommunikation zu wechseln. Die vielen zusammenhangslosen Pausen und das Surren in ihrem Kopf kamen zweifellos von den Schallwellen. "Durch eine Lücke im Untergrund," antwortete Trias. Izara verstand es nicht, aber der König nickte wissend. "Hoheit", nun eilte auch Sila auf die Drachen zu. Ihr offenes Haar wehte bei jedem ihrer Schritte, ein sorgenvoller Ausdruck zierte ihr Gesicht. Sie stellte sich neben Trias und lief den beiden Männchen hinterher. "Du hast sie gespürt?", die Frage des Königs schien eher rhetorisch. Die Lóng antwortete: "Eine starke Aura von Osten und von Westen ausgehend, Hoheit. Und sie wird stärker." "Wie viele sind es?" "Ich kann es nicht genau sagen", entgegnete die Lóng, "aber es sind viele." "Ich breche sofort mit Trias auf." "Aber meint Ihr nicht, Ihr solltet", Silas Einwurf würde durch ein Kopfschütteln unterbrochen. "Alle höfischen Soldaten sollen auf dem Schloss bleiben. Meine Anwesenheit sollte vollkommen genügen." "Aber", rutschte es aus Izara heraus. Von selbst bewegten sich ihre Lippen, die Worte sprudelten unkontrolliert aus ihrem Innersten. "Ihr sagtet doch, die Paladine hätten keine Chance." Der König richtete seinen Mantel, er drehte sich zu Izara, die ihm bis zu den Schlosstoren nach draußen gefolgt war. Bis dahin schien er sie nicht bemerkt zu haben. "Wenn Ihr geht, dann", Izara schluckte, "ist es nicht das, was sie wollen?" "Ich muss gehen", sagte der König und starrte ernst in den Abendhimmel hinauf. "Ich habe es versprochen." "Steht es so schlimm um die Stadt? Glaubt Ihr…glaubt Ihr etwa, Dragor wird fallen?" Die Frage ließ alle Köpfe in ihre Richtung schnellen. "Nein", antwortete König Devon. "Aber, warum geht Ihr dann?" Sie verstand das alles nicht. "Ich habe es dem Bürgermeister versprochen", er schaute zu Izara hinunter, "ja, meine Leute können die Paladine vertreiben. Aber zu welchem Preis? Ich werde ganz sicher nicht zulassen, dass einer deswegen sein Leben lassen muss." Izara erwiderte seinen Blick. Der Schmerz eines Drachenkönigs, dachte Izara. Sie verstand, dass er keine Wahl hatte. Er ging nicht in den Kampf, um zu siegen. Er wollte seine Leute, sein Volk beschützen. Das, was König Juras nicht geschafft hatte. Izara presste die Lippen zusammen. Die Männchen machten sich zum Abflug bereit. "Izara", sagte der König und ließ seine Augen hell wie den Mittagshimmel aufleuchten, "bleib' bei Kyia und den Soldaten." Sie hatte erwartet, er würde sie unter Hausarrest stellen, doch sein Blick war eindeutig. Izara nickte. "Passt auf Euch auf", Izara spürte, wie Angst von ihr Besitz ergriff. Etwas an der Art, wie er sie ansah, gab ihr das Gefühl, sie würden einander nicht wiedersehen und das schien ihr Herz nicht verkraften zu können. König Devon lächelte. Er sagte nichts und dann hob er ab und tauchte in der Dunkelheit unter. Dicht gefolgt von Trias, der mit seiner Verwandlung etwas hinterher hinkte. Ein roter Streifen am Firmament zeichnete die Silhouette des Feuerdrachen ab. Schließlich waren die beiden Drachen verschwunden. "Prinzessin", Sila hatte sich neben Izara gestellt, "wir sollten zurück ins Schloss." "Ja", hauchte Izara, "Sila?" "Ja, Prinzessin?" "Egal", Izara schüttelte den Kopf. Jetzt war nicht die Zeit, in Selbstmitleid zu versinken. Sie kehrten zurück ins Schloss, wo Kyia zusammen mit Kaia stand und Verzweiflung eine neue Ebene erreicht hatte. Die Hyrakonda zitterte noch heftiger als sonst. "Keine Angst, Kaia", versuchte Izara, sie zu beruhigen. Vorsichtig legte sie die Arme um ihre Ziehmutter. "Sie werden dich nicht kriegen. Hier bist du sicher." "Niemand ist sicher vor ihnen, Izara", flüsterte Kaia. Izara versuchte es weiter, sie strich Kaia über den Arm und schenkte ihr alles an Wärme, das sie noch zu bieten hatte. "Wenn du nicht allein sein magst", schlug Izara vor, "wir können in mein Zimmer gehen. Linnora kann einen hervorragenden Tee aufbrühen-" "Nein, Izara!", schüttelte Kaia mit dem Kopf, "wir können nirgendwo hin." Sie fasste nach Izaras Hand. "Du bist so ein tapferes Mädchen", begann die Hyrakonda und lächelte schwach, "als ich dich das erste Mal traf, hätte ich nie gedacht, was in dir steckt. Du bist viel stärker als du glaubst. All die Jahre hast du die Beleidigungen und Beschimpfungen ertragen. Du hast dich nie beschwert, du hast uns nie um Hilfe gebeten. Und sieh' dich jetzt an! Du bist eine Prinzessin", Kaia kullerten die Tränen auf ihr Kleid, "Levis wäre so stolz gewesen, wenn er dich noch einmal hätte sehen können." "Das wird er. Eines Tages", erwiderte Izara. Kaia beunruhigte sie, der Angriff auf Dragor hatte ihren seelischen Zustand drastisch verschlimmert. "Lieber nicht, Izara", Kaia schüttelte wieder den Kopf, diesmal etwas heftiger, "es ist zu spät. Für uns alle. Selbst, wenn Levis…nein! Ich könnte ihm niemals wieder unter die Augen treten." "Sag' so etwas nicht." "Doch, Izara", Kaia packte Izara noch etwas fester - bis es wehtat. "Er wird mich hassen." "Wovon sprichst du, Kaia?", Izara versuchte, sich aus dem Griff zu befreien. Ein lauter Knall überdeckte Kaias Antwort. Die Explosion kam von draußen. Nicht weit von den Toren. "Was war das?", raunte Kyia, die ihre Waffe gezückt hatte. Auch Sila starrte auf die Tore. Die Augen weit aufgerissen. "Das kann nicht sein", sagte die Lóng, "von wo sind sie gekommen?' "Was ist los, Sila?", raunte Kyia. "Da sind noch mehr…hier!' "Was hast du getan, Wildkatze?!", blaffte Kyia mit knirschenden Zähnen. "Es tut mir leid", wimmerte Kaia und ließ Izara los. Kyia trat an die Hyrakonda heran, bereit, jeden Moment anzugreifen, als ein zweiter Knall ertönte. "Kyia, dort draußen", mehr sagte die Lóng nicht. Kyia setzte sich in Bewegung. Sie rannte auf die Tore zu, gefolgt von Sila und zwei weiteren Wachen, die aus dem Ostflügel kamen. "Was ist passiert?", Izara starrte den Weibchen hinterher, dann packte sie Kaia an den Schultern. "Kaia!" "Sie haben meine Familie, Izara", wimmerte Kaia, "sie hätten sie getötet, wenn ich nicht-" Izara ließ los, torkelte zwei Schritte zurück. "Du bist hier nicht mehr sicher, Izara", sagte Kaia und begann lauthals zu würgen. Das Würgen endete damit, dass eine kleine, zerbrochene Phiole hervorkam. Kaia spuckte sie auf ihre Hand, gefolgt von Blut und einer lilanen Substanz. "Was ist das?" Izara riss die Augen auf. "Ein Mittel, das die magische Barriere durchbricht. Der Drachenkönig ist stark - und sehr gerissen. Er hat die Schutzmauern verstärkt, wodurch die Wirkung des Mittels sich verzögert hatte. Ich habe fünf Ampullen gebraucht, bis das Mittel Wirkung zeigte." "Hattest du das die ganze Zeit-", Izara zeigte auf Kaias Bauch. "Es war die einzige Möglichkeit, durch die Barriere zu kommen. Jemand musste das Mittel in den Palast bringen und die Mauern von innen schwächen. Sie wussten, dass du mir vertraust...dass du mich nie... Glaube mir, Izara, ich wollte das nicht, aber sie ließen mir keine Wahl." "Die Paladine sind hier?", Izara zitterte am ganzen Körper. Nicht wegen der Paladine. "Sie werden bald hier sein", antwortete Kaia. Die letzten Tränen versiegten. Ihre Augen verwandelten sich, die schwarzen Pupillen wurden größer, das weiß durch ein tiefes Rot ersetzt. Die Hyrakonda fauchte. Erst jetzt bemerkte Izara, dass sie umzingelt waren. Drei Wachen und zwei Bedienstete. Jeder mit einer Waffe in der Hand. "Izara", krächzte Kaia, die ihre Menschlichkeit fallen ließ. Ein großer, muskulöser Körper baute sich vor Izara auf. Dunkelrote Pfoten landeten auf dem Boden, gefolgt von zwei kräftigen Hinterbeinen, die sich zum Sprung bereit machten. "Lauf!" Gleichzeitig griffen Kaia und die Wachen an. Hypnotisiert drehte sich Izara um und rannte zu den Toren. Sie traute sich nicht zurückzublicken. Das Fauchen und Fletschen vibrierte in ihren Ohren. Sie hielt sich beide zu, biss sich auf die Lippen. "Tötet sie nicht!", die Bitte donnerte durch den Saal, dann riss Izara die Tore auf. Kapitel 48: Izara ----------------- Sie öffnete den Mund, der Schrei erstickte zwischen Rauch- und Nebelschwaden. Die Soldaten auf den Wachposten saßen zusammengesackt am Eingang, aus ihren Bäuchen trat unkontrolliert das Blut, als hätte jemand einen Korken gesprengt. Der eine röchelte leise, während der andere mit weit aufgerissenen Augen Richtung Himmel starrte. "Prinzessin!", schrie Kyia. Izara sah sich um. Kaia musste Verstärkung geordert haben. Fast einhundert Hyrakonden stellten sich den Drachen im Kampf. Bestie gegen Bestie, und auch wenn die Drachen im Vorteil waren, floss auf beiden Seiten jede Menge Blut. "Prinzessin", schrie der Bergdrache erneut. In der Menge erblickte Izara ihre Leibwächterin. Kyia rammte dem Hyrakondo ihre verhärtete Hand in den Bauch. Das Tier schrie und sackte zusammen, dass Kyia den Moment nutzte, um zu Izara zu gelangen. "Ihr müsst zurück ins Schloss, Prinzessin." "Das bringt nichts", erwiderte Izara, "die Schutzmauern werden nicht länger halten." "Verdammte Raubkatze!", schimpfte Kyia, drehte sich um und wehrte die Krallenhiebe einer weiteren Hyrakonda ab. "Kyia, wenn die Paladine erst einmal hier sind-" "Scheiße", brüllte Kyia, stieß die Hyrakonda von sich und rammte ihr Schwert in dessen Brust. Schwer atmend drehte sie sich zu ihrer Prinzessin um. Diese starrte entsetzt auf die Blutlache, die sich vor ihren Beinen bildete. "Wir müssen fliehen", sagte Kyia und wischte das Blut des Schwertes an ihrer Hose ab. "Das können wir nicht tun", rief Izara. "Wenn die Schutzmauern durchbrochen wurden, könnt Ihr nicht länger hier bleiben." "Ich werde nicht fliehen", Izaras Herzschlag hämmerte so heftig, dass sie kaum noch etwas anderes hörte. "Wie viele Drachen befinden sich auf dem Schloss…? Antworte mir, Kyia!" "Knapp hundertachtzig Drachen, Prinzessin." "Und die soll ich alle zurücklassen?!" Sie dachte an König Devon und seine Worte. Noch nie hatte sie sich ihm so verbunden gefühlt wie in diesem Augenblick, als ihr bewusst wurde, dass sie niemanden ihretwegen opfern würde. "Ihr müsst", schleuderte ihr Kyia entgegen. "Nein", beharrte Izara, "was ist mit den Bediensteten, den Weibchen? Was ist mit den Eiern?" "Sila kümmert sich darum." "Sila schafft das nicht alleine!" Izara riss die Augen auf. Der Bergdrache begriff und schüttelte den Kopf. "Nein, Prinzessin!" "Doch, Kyia. Wir haben keine andere Wahl-" Ein roter Blitz spaltete den Himmel. Lautes Gelächter ertönte, dann bewegten sich die Blitze wie Geschosse auf sie zu. "In Deckung, Prinzessin", Kyia drückte Izara zu Boden, der Blitz sauste an ihnen vorbei, traf ein Stück der Schlossmauer, die ein lautes grummelndes Geräusch von sich gab. "Paladine - Bodenlinie!", rief einer in die Menge hinein. "Ich werde Euch nicht von der Seite weichen", knurrte Kyia, rappelte sich auf und streckte den rechten Arm aus. Es knackte und knirschte, dann wuchs der Arm mitsamt Hand zu einer großen steinernen Drachenklaue. "Sie werden Euch nicht kriegen", sagte Kyia und holte aus. Drei Hyrakonden wurden gleichzeitig zur Seite geschleudert. Der nächste Angriff galt dem roten Blitz. Der Bergdrache saugte Luft ein, schwoll zu einem Riesen mit Drachenschuppen heran, der sich wie eine Mauer vor Izara aufbaute. "Elendes Drachenpack!", Gebrüll kam von vorne, die Palasttore wurden gesprengt. Zwei Paladine stiefelten einfach über die Überreste auf sie zu. Ihre Speere lagen locker in ihren Händen, das Lachen auf ihren Gesichtern war widerwärtig und falsch. Zwei Schläge und die Krieger hatten den Angriff eines Wyvern abgeblockt, der mit einem Hyrakondo kämpfte. Überrascht torkelte der Wyvern zurück, es blieb keine Zeit auszuweichen, als die Spitze des Speeres seinen Rücken durchbohrte und den Wyvern japsend auf den Boden aufschlagen ließ. "Nein!", kreischte Izara. Eine Klaue hielt sie am Ärmel, Izara strampelte, wollte sich befreien, zu dem Soldaten rennen, der seine letzten Atemzüge aushauchte. Ein sinnloser Tod. Wann würde es endlich aufhören? Brüllend stürzten sich die Paladine auf ihre nächsten Opfer. Magie wirbelte durch die Luft, Drachen ließen ihre menschliche Hülle fallen und kämpften mit allem, was sie zu bieten hatten. "Sie dürfen ihnen nicht in die Augen sehen!", rief Izara, doch bis auf Kyia hörte sie keiner. Sie ballte die Hände zur Faust. Wenn sie den Angriff in der Schlucht bloß überstanden hatte, um den anderen beim Sterben zuzusehen… "Ich muss auch etwas tun." "Nein, Prinzessin", knurrte Kyia und wehrte einen weiteren Blitz ab. Dabei bebte der Körper des Bergdrachen unheilvoll. "Wenn Ihr Euch verwandelt", ein weiterer Blitz brachte Kyia zum Wanken, "dann werdet Ihr sterben." "Das werden wir sowieso, wenn das so weitergeht", rief Izara zornig zurück. Sie war es leid, dass alle ihr Leben hinter das von Izara stellten. "Eure Kräfte", Kyias Worte wurden von einem Paladin rechts außen verschluckt. Der Krieger hatte einen Teil des Bodens zum Reißen gebracht. Erde spaltete sich, Kyia geriet ins Wanken, sie sah nur noch, wie Izara ausrutschte und in die Tiefe gezerrt wurde. Den Arm ausgestreckt, fing sie die Prinzessin auf und schleuderte sie aus der Schusslinie. Izara stieß an einen Baum, der gefährlich zu Wanken begann. "Du bist die Nächste, Drachenweib!" Sie starrte nach oben, ein Paladin saß dort, breit grinsend zielte er mit dem Speer auf sie. Izara rappelte sich hoch, doch der Speer war schneller. Das ist also das Ende, dachte Izara, und es fühlte sich unbefriedigend an. Ein greller Blitz und der Speer scherte aus und landete knapp neben Izara. Keuchend drehte sie sich zur Seite. "Solar!?" Der Blitzdrache streckte den rechten Arm aus, ein weiterer gelber Blitz schoss aus seinem Handteller. Daraufhin sprang der Paladin von der Baumkrone. Zu langsam für Solar, der bereits die Flügel ausgebreitet hatte. Golden funkelnd stellten sie sich der Finsternis. Solar zückte sein Schwert. Es gab kein Zögern, er stieß zu, bevor der Paladin seine Magie heraufbeschwören konnte, rammte das Schwert in dessen Brust, bis das Röcheln des Mannes versiegt war. "Was machst du hier?", mit weit aufgerissenen Augen starrte sie zu Solar hinauf, der direkt neben ihr landete und die Flügel zurück in sein Innerstes verstaute. "Der König hat mich zu sich rufen.", antwortete Solar japsend, "aber irgendwie glaube ich nicht, dass er das mit »eine Audienz unter vier Augen« gemeint hat", er stemmte die Hände in die Hüften, drehte sich von links nach rechts, "wo, bei den Großen Drachen, kommen all diese Paladine her?" "Bist du nicht deshalb hier?" "Woher sollte ich wissen-" "Keine Zeit für Erklärungen", entgegnete Izara, und schon schoss der nächste rote Blitz auf den Boden. Izara wich nach links, Solar nach rechts aus, dann war er wieder an ihrer Seite, das Schwert dabei fest in der Hand. Er schwenkte es mit einer Eleganz, als hätte er Zeit seines Lebens nie etwas anderes getan. Er war bereit, sich dem nächsten Gegner entgegenzustellen - kompromisslos. Derweil hatte sich Kyia in ihre ursprüngliche Menschengestalt zurückverwandelt, sie kam auf die beiden jungen Drachen zu, die sich kaum aus den Augen ließen. Dass sie wütend war, schien eine glatte Untertreibung. "Seid Ihr wohlauf?" "Mir geht es gut, Kyia", Izara zeigte auf Solar, der ihnen mit seinen Blitzen zwei Hyrakonden vom Leibe hielt. Dabei stellten sich Solars Haare spannungsgeladen auf. "Aber ich mache mir Sorgen um Sila", Izara wollte nicht locker lassen. Die Dracheneier hatten genug durchgemacht. "Aber Prinzessin-", Kyia umklammerte ihr Schwert. Von rechts kamen die zwei Paladine, welche die Tore gesprengt hatten. "Sie kann sie nicht allein beschützen", sagte Izara eindringlich. Ihre Augen glühten, der Drache in ihr war wild und ungehalten. "Du bleibst an ihrer Seite, solange wie ich es sage." "Und was ist mit Euch?", Kyia versuchte schon gar nicht mehr, dagegen zu protestieren. Auch wenn sie nicht glücklich über diesen Ausgang war, den Augen der Himmelsgöttin konnte Kyia nicht widerstehen. "Solar wird auf mich aufpassen." Auf Kommando stellte sich der Blitzdrache schützend neben sie. Kyias Unmut wuchs, wenn sie auch nichts sagte. "Pass auf sie auf, Bursche", knurrte der Bergdrache. "Mit meinem Leben", versicherte Solar. Kapitel 49: Izara ----------------- Ein letzter Blick auf ihre Prinzessin und Kyia rannte zurück in Richtung Schloss. Dabei versäumte sie nicht, den beiden Paladinen einen Seitenhieb zu verpassen. Die Männer fluchten, einer folgte dem Bergdrachen, während der andere seine Magie bündelte und in Richtung der Leibwächterin feuerte. Die Verfolgung des einen schien in Kyias Karten zu spielen. Wie Izara den Bergdrachen kannte, war das mit voller Absicht geschehen. "Wir müssen etwas gegen diese Blitze unternehmen", knurrte Solar, dass sich Izara wieder ganz auf das Geschehen konzentrierte. Izara drehte sich in Richtung Quelle. Irgendwo am Himmel lauerte der Paladin, doch Izara konnte nichts erkennen. "Er wird Richtung Hain abgehauen sein", der Blitzdrache hatte seine Augen zu kleinen Schlitzen geformt. "Ich muss ihn ausschalten." Solars Stimme ließ keinen Zweifel zu. "Wie willst du das anstellen?", Izara kannte Solars Gedanken. "Du kannst nicht einfach losfliegen und den Paladin im Alleingang bezwingen. Was, wenn es eine Falle ist?" "Der Paladin ist stark, Izara", entgegnete Solar und lud die Klinge mit seiner Blitzmagie auf. "Und genau deshalb solltest du-" "Verstehst du nicht, Izara?!" Er schaute sie an. Wütend. Und flehend. "Die Blitze kommen von oben! Weißt du, was das bedeutet?" Der Paladin ritt einen Drachen, Izara verstand sehr gut und ließ die Schultern hängen. "Drachenreiter sind um Längen stärker als diese Lackaffen hier unten", Solar umklammerte sein Schwert, bis das Weiß seiner Knöchel hervortrat. "Wir dürfen ihn nicht bis zum Schloss vormarschieren lassen." Wie zur Bestätigung leuchtete der gesamte Himmel auf, rote Blitze ließen die Wolkendecke in Blutfarben baden. Immer und immer wieder regnete es blutrünstige Paladinmagie. Drachen und Hyrakonden schrien zu gleichen Teilen auf. Schwache Wyvern, jene die direkt getroffen wurden, fielen zuerst auf den Boden, wo sie von verzweifelten Hyrakonden zerfleischt wurden. Izara starrte auf die Szene. Wie ein halbes Dutzend Hyrakonden um den großen schlangenförmigen Wyvern herfielen, als stritten sie um ihre Mahlzeit. Ihr ganzer Körper zitterte vor Angst. Aber auch vor Wut. Der Mensch in ihr fürchtete den Tod. Der Drache war von Vergeltung und Hass durchbohrt. Die Augen leuchteten, die Stimmbänder vibrierten. "Aufhören!" Ein weiterer Blitz zielte auf Izara, Solar packte die Himmelsgöttin und drückte sie auf den Boden. Er selbst lag halb auf ihr, das Schwert dabei nach oben ausgestreckt, ließ er seine eigenen Blitze auf den Himmel los. "Nicht, Izara", brüllte Solar ihr ins Ohr. "Ich muss etwas tun", entgegnete Izara, noch immer zitternd. Unter ihrer Nase sammelte sich Flüssigkeit, die langsam ihre Lippen hinabrann. "Du blutest", rief Solar von oben, als bräuchte es noch weitere Beweise für ihre Unfähigkeit. Kyia hatte recht. Sie war nicht soweit, ihre Kräfte nur Ballast, wenn es hart auf hart kam. Vielleicht könnte sie die Paladine mit ihrer Magie aufhalten, wenn sie weit genug ginge und ihr Blut als Pfand darbot. Ihr Leben als Preis war nicht das, wovor Izara zurückschreckte. Es waren die anderen. Solar, Kyia...alle, die in und um den Palast festsaßen. Sie würden Izara beschützen, komme was wolle, und sich damit einer noch größeren Gefahr aussetzen. Ihr wurde bewusst, dass sie alles nur noch schlimmer machte, wenn sie glaubte, mitkämpfen zu können. Frust staute sich in ihr auf. "Bist du okay?", fragte Solar. Langsam kletterte er von ihr heunter und hievte Izara mit seinen starken Armen hoch. "Geht schon", murmelte Izara, "danke, Solar." Das Lächeln blieb aus, noch bevor Izara den Schmutz von ihren Kleidern abgeklopft hatte, hörte das Blitzgewitter auf. An seiner Stelle kam ein lautes, klagendes Schreien. Izara kannte das Geräusch, und auch Solar spannte sich an. Der Schrei eines Drachen konnte bis in die Knochen vordringen. Der Schrei eines Drachen in Knechtschaft drang sogar noch tiefer ein. "Drachenmensch!", lachte eine Stimme von Weitem auf sie herab. Erneut kreischte der Drache, ein Zeichen des hoffnungslosen Widerstandes einer Kreatur, die seine Freiheit verloren hatte. Aus einem schwarzen Nebelgemisch trat seine Silhouette hervor, und auch sein Meister zeigte sich. Die ganze Zeit über hatte er sich dort oben aufgehalten, hatte gelauert und die Nacht zu seinem Vorteil genutzt. Mit den Flügeln schlagend schwebte der Drache nahe des Hains. Seine grau-roten Schuppen waren aus der Entfernung kaum zu erkennen. Er war ein Mischblut, etwas zwischen Erd- und Feuerdrache, wie es sie zu hunderten gab. Nichts Halbes und nichts Ganzes - Mangelware, so drückten sich Paladine gerne aus, denn bis auf ein paar Feuerballen oder Gesteinsbrocken brachten Mischblüter nichts zustande, geschweige denn genügend Kraft auf, um sich gegen einen Paladin aufzubäumen. "Oh, Drachenmensch", summte die Stimme, lachte erneut, dass es über das Schlachtfeld donnerte. Die Kämpfe zwischen Hyrakonden und Drachen stoppte. Auch die Paladine blieben erstaunlich ruhig. Langsam kam der Drache näher, dass Izara zwei Gestalten ausmachen konnte. Der Paladin war unverkennbar. Seine goldene Rüstung war aus den Überresten eines Blitzdrachen geschaffen, den Helm hatte er abgesetzt, dass sich seine roten Haare wie Stacheln aufstellten. Das Grinsen war aus dieser Entfernung nicht auszumachen, dennoch ließ Izara das gehässige und von Wahnsinn getriebene Lachen die Nackenhaare zu Berge stehen. "Sieh' mal, was ich hier habe", trällerte er und zeigte auf seinen Vordermann, der von einem schwarzen Umhang fast gänzlich verschlungen wurde. Der Paladin schlang seinen Arm um dessen Hals, die Kapuze fiel und ließ nur vage den Knebel und die Schlinge erkennen. Aus dieser Entfernung war der Mensch kaum auszumachen; für Izara reichte es aus, um dem Unbekannten einen Namen zu geben. Sie hatte sich viele Szenarien ausgedacht - gute wie schlechte. Die Tage hatten eine Phantasie nach der nächsten geschaffen, doch die Realität schlug wie ein Meteoritenschauer auf sie ein. Ihre Ohren begannen zu Fiepen, Taubheit legte sich um ihren Körper. "Levis!!!", kreischte sie, in der Hoffnung, dem Gefangenen irgendeine Regung zu entlocken. Seinen Namen laut zu brüllen, fühlte sich falsch und schmerzhaft an, Izara hatte Mühen, ihrer eigenen Stimme Herr zu werden. Die Regung blieb aus - natürlich! Der Paladin ließ nicht los, sein Griff packte den Nacken, der restliche Körper war mit Fesseln zugeschnürt worden. "Levis?!" Auch Solar konzentrierte sich auf den gefesselten Mann. Er schien Zweifel zu hegen, behielt sie aber für sich. "Habe ich deine Aufmerksamkeit, Drachenprinzessin?", der Paladin lachte ohne Unterbrechung. Unter dem Gewusel schien er Izara nicht gefunden zu haben, und Izara bezweifelte, dass er überhaupt eine Ahnung hatte, wie sie aussah. "Wenn du die kleine Wildkatze siehst", sagte der Paladin, sein Lachen war zu einem Glucksen geworden und seine Rüstung klapperte im Takt des Sturmes, der von Westen herankam, "richte ihr aus, die Aufgabe gilt als erfüllt. Mutter und Nichte brauchen sich nicht mehr zu verstecken." Wind peitschte ihnen um die Ohren. Doch das Lachen knallte lauter als jede Sturmböe. "Und was ihren geliebten Gatten betrifft." Er legte den Kopf schief, dass sich die roten Strähnen wie morsche Äste bogen, "wie der Großmeister versprochen hat, lassen wir ihn natürlich auch frei." Und er ließ ihn frei. Packte seine Schultern und schubste ihn vom Rücken des Tieres. Die Augen weit aufgerissen, verfolgte Izara den Sturz wie aus einer kleinen Luke. Das Bewusstsein sickerte wie Sand durch eine Sanduhr. Das Glas platzte, die Sandkörner stürzten heraus und ließen einen einzigen Impuls zurück: Izara rannte. Ihre Beine setzen sich in Bewegung und trieben sie aus dem Schlossgelände. "Izara, halt!", Solar streckte den Arm aus. Izara schlüpfte hindurch, hechtete weiter über die Trümmer der Schlosstore, vorbei an fauchenden Hyrakonden und brüllenden Drachen. "Warte", schrie der Blitzdrache dicht hinter ihr. Izara hörte ihn nicht. Sie rannte weiter. Immer weiter. Zwischen Bäume und Sträucher, über feuchte Erde und umgestürzten Stämmen. Sie rannte. Rannte, dass ihr die Lunge brannte. Nur nicht stehenbleiben! Wenn sie nur schnell genug rannte, nicht halt machte, dann... Die Bäume rückten näher zusammen, Izara war inmitten des Hains, Wind und Gestrüpp versuchten den Drachenmenschen am Weiterlaufen hindern zu wollen. Wurzeln verfingen sich in Izaras Beinen, die sich von nichts aufhalten ließ. Sie musste weiterrennen. Immer weiter. Durch die Lichtung, entgegen der Blätter, die vor ihrem Gesicht herum wirbelten, als wollten sie die Sicht auf das nehmen, was ihr kleines, flattriges Herz nicht verkraften konnte. Es war ein Körper. Izara wurde langsamer. Das war nicht, was sie zu sehen geglaubt hatte: Gebeine ragten in die Höhe, Gelenke waren verdreht - wer Menschlichkeit suchte, wusste nichts von der Rauheit des freien Falls. Steine drapierten das Gerüst von einem Leib. Vom Kopf war nichts mehr zu erkennen, da gab es nur noch Blut, dass sich fächerartig ausbreitete, die Steine hinunter floss und tropfenförmig in den Boden sickerte. "Ne-", ihre Kehle schluckte die Worte hinunter. Der Schrei erstickte, der Körper sog alles in sich auf, bis nichts mehr übrig war. Ein Glucksen aus ihrem Bauch wurde zu einem heißen Brodeln unterhalb ihres Nabels. Dann entsandte ihr Innerstes ein tiefes, brüllendes Klagen. Nichts Greifbares und schon gar nichts Menschliches. Die Erde erzitterte, der Wind blies die Vibrationen von sich, verteilte sie über das ganze Gebiet. Izaras Schmerz war zu etwas Himmlischen geworden. Menschliche Emotionen wurden von dem Drachen in ihr verbannt. Keine Träne rann ihre Augen hinab, kein Flehen und Wimmern stießen die Lippen aus. Es gab nur den Drachen in ihr, das Klagelied einer Himmelsgöttin, die um ihren Vater trauerte. "Levis", Izara setzte sich in Bewegung. "Nein!", Hände packten sie am Oberarm. Solar hatte sie eingeholt, er keuchte, die Nüstern bebten und so fest er nur konnte, hielt er Izara fest. "Du kannst nichts mehr für ihn tun." Die Worte erreichten sie nicht. Izara wehrte sich, schüttelte mit dem Kopf. "Ich muss zu ihm", stieß sie keuchend aus. "Izara, das willst du nicht. Er-" "Ich kann ihn nicht liegen lassen! Er braucht meine Hilfe, ich muss...ich muss..." Beide Arme um Izara geschlungen, drückte Solar sie mit dem Rücken an seinen Oberkörper. "Izara, er ist-" "Sprich es nicht aus!", kreischte sie, "wage es nicht, auch nur daran zu denken! Levis ist nicht...er darf nicht..." Schlagartig hörte sie auf, sich zu wehren. Der Druck auf ihrer Brust drohte sie von ihnen zu zerreißen. Schlaff ließ sie die Schultern hängen. Es endete immer mit dem Tod. In diesem Leben schien es keine Gnade für diejenigen zu geben, die das Himmelsblut zu schützen versuchten. Das also hatte Kaia gefühlt, als sie von Verzweiflung zerfressen worden war. Es raubte ihr alles an Energie, alles an Lebenswillen. "Bitte, Izara", flüsterte Solar, "beruhige dich. Wir sind nämlich nicht allein." Hinter ihr knurrte der Blitzdrache. Es kostete Izara Mühe, zu ihm aufzusehen. Er hatte sie losgelassen. Mit der Hand schob er sie erst zur Seite, dann trat er ein paar Schritte vor Izara. "Beweg' dich nicht", flüsterte Solar und richtete sein Schwert nach vorne aus. Die Blitze an dessen Spitze erhellten die kleine Lichtung, legten die Sicht auf die Person frei, die langsam aus dem Schatten der Bäume heraustrat. Ein Mann. Ein großer Mann. Sein Blick war auf die beiden Drachen gerichtet - in seinen Augen blitzte es gefährlich auf. Verlangen und Gier wurden von einem ungesunden Blutdurst heimgesucht. "Solar, dort drüben", hauchte Izara, die ihren Blick nach links schweifen ließ. Dort kamen zwei weitere Männer hinter den Bäumen hervor. Und auch von links - zwei Männer und eine Frau. Ihre langen, dunklen Mäntel verbargen nur spärlich die Waffen an ihren Hüften. Das schwere Leder war Izara seit Kindertagen vertraut. Dass sie ohne ihre Rüstung aufgekreuzt waren, unterstrich nur, wie überlegen sie sich fühlten. "Was haben wir denn da?", säuselte einer von ihnen. Hungrig blickten die Paladine zu Izara herüber. Diese packte Solar am Ärmel. Sie wollte nicht, dass er noch einen weiteren Schritt nach vorne machte, sie spürte das Knistern, den Hunger nach Tod und Quälerei. "Paladine", knurrte Solar, das Schwert in seiner Hand schien zu pulsieren. Warme, kleine Blitze tanzten auf der Klinge. "Bleib' hinter mir, Izara." "Wie putzig", sagte die Frau und legte ein schiefes Lächeln auf. "Der Welpe versucht das Weibchen zu beschützen." "Er glaubt, er hätte eine Chance", lachte ein anderer. "Ob der Blitzdrache zu Flatsch gehört? Sein Gesicht hätte ich nur zu gern gesehen. Wenn ich diesem Vieh eigenhändig die Haut abziehe..." "Wenn wir ihn vor ihren Augen sterilisieren-" "Bitte, die Herrschaften, etwas mehr Contenance", der Mann vor ihnen zückte ein paar Handschuhe aus seiner Manteltasche. Langsam zog er den ersten über. Finger für Finger steckte er mit Sorgfalt ins Leder. "Wo bleiben Ihre Manieren?" Die Stimme war ruhig - ein Messer, das mit sanften Berührungen das Fleisch durchtrennen konnte. Izara war nie gut darin, Drachen, geschweige denn Menschen an ihren Fähigkeiten zu erkennen, doch dieser Mann war der Inbegriff von Angst. Die Anderen verstummten ob seiner dahergesagten Worte und das war weitaus beunruhigender als Izaras Intuition. "Und nun zu euch zwei", grüne Augen visierten sie an. Izara spürte ein eigenartiges Ziehen im Nacken. "Es gibt genau zwei Optionen", begann der Mann und sah auf seine behandschuhten Finger. "Option eins: die Himmelsgöttin ergibt sich freiwillig." "Niemals!", Solar fletschte mit den Zähnen. "Aber, aber, Jungchen", der Mann schnalzte mit der Zunge, "hat dir deine Mutter denn nicht beigebracht, dass man die Leute erst ausreden lässt?" Als Antwort gab Solar ein leises, gefährliches Knurren von sich. Das brachte ihm ein müdes Lächeln ein, auch die restlichen Paladine grinsten amüsiert. "Option Nummer zwei", fuhr der Mann fort und streckte Zeige- und Mittelfinger aus, "wir töten deinen Beschützer und nehmen dich dann mit. Ich denke, so schwer ist diese Entscheidung nicht." Er deutete auf die leblosen Überreste ihres Ziehvaters. Izara biss sich auf die Lippe. "Keine Sorge", sprach Solar ganz ruhig, "ich werde nicht zulassen, dass sie dich bekommen." "Eine dumme Entscheidung, Drache", der Mann zuckte mit den Schultern, schließlich ließ er seine Leute von der Leine. Kapitel 50: Devon ----------------- Als der Schrei ertönte, war die Formation der Paladine soeben zerschlagen worden. Männer schlugen auf den Boden ein, nachdem Blitze die Körper gelähmt und die Himmelskäfte des Drachenkönigs ihr Urteil gefällt hatten. Trias wischte sich den Schweiß von der Stirn, Erschöpfung und ein wenig Selbstgefälligkeit lagen in seinem müden Lächeln, das augenblicklich erlöschte. Der Schrei drang durch Mark und Bein. Jeder, der den Lockruf einer Nymphe kannte, wusste, wie er den Körper zum Beben brachte, doch der Schrei einer Himmelsgöttin war kein Beben. Es zerriss die Erde und jeden, der sich ihm näherte. Wenn eine Himmelsgöttin schrie, dann setzte sich der Schrei dort fest, wo niemand hingelangen konnte - und das war nicht gerade angenehm. Vor allen anderen hatte Devon ihn als erster gespürt. Es war schmerzhaft, wie der Laut durch seine Knochen bohrte, seine Kräfte anschubste, als wollten sie ihn daran erinnern, wo sein Platz war. Devon kannte diesen Laut - er hatte schon vor Jahrzehnten einen Untergang prophezeit, von dem das Drachenvolk mehr als nur einen Schrecken davongetragen hatte. Die Einzigartigkeit, die in dem melodiösen, fast sirenenartigen Klang mitschwang, ließ jede Faser seines Körpers in Flammen aufgehen. Himmelsblut rief Himmelsblut - die Worte waren nicht für ihn bestimmt und doch hatte er sie erhalten. Im nächsten Augenblick breitete sich der Schrei wie eine Welle über Dragor aus. Die Drachen reckten die Hälse, zuckten zusammen - die Welle schlug auf den Felsen auf, das Volk fiel auf die Knie. Diejenigen, die noch kämpften, ließen sich von Kummer und Zorn leiten - ein ekstatischer Klingentanz, der das Blut der Feinde auf die Straßen verteilte. Sie alle wussten, wessen Schrei ihre Herzen gebrochen hatte. Dass es nur eine gab, welche die Erde mit ihrem Klagelied zum Zittern bringen konnte. Leiser Donner ertönte auf den Straßen der Drachenmetropole, der Rest war nur für die Drachen bestimmt. Ein verzerrtes Abbild einer verzweifelten Himmelsgöttin. Nur der Tod brachte einen derartigen Klang hervor, und nur die Himmelsgöttin selbst konnte ihr Volk an ihrer Trauer teilhaben lassen. Jemand wie Izara, der kaum etwas von seinen Drachenkräften verstand, war es erschreckend, mit was für einer Energie sie den Laut aus sich herausgeholt hatte. Devon versetzte es in Alarmbereitschaft. Es galt jetzt, keine Zeit zu verlieren. Für den Drachenkönig wirkte es wie eine Ewigkeit, wie er starr in den Himmel blickte. In Wahrheit waren keine Sekunden zwischen Schrei und Übertragung vergangen. Die letzten Paladine im Rücken, welche krampfhaft versuchten, die Mauer aus Blitzdrachen zu durchbrechen, wandte sich Devon einfach ab und stieß seine Flügel aus seinem menschlichen Rücken. Neben ihm stand immer noch Trias. Von den Schallwellen der Himmelsgöttin hypnotisiert, schaute der Volan dabei zu, wie sein König einfach in die Luft abhob und den roten Blitzen am Firmament Konkurrenz machte. Himmelsmagie strahlte über dem smaragdenen Himmel, das Licht war so grell, dass es in den Augen schmerzte. "Wartet, Hoheit", rief Trias. Er schüttelte sich, rannte und sprang im richtigen Moment ab. Als Feuerdrache war er um einiges langsamer als sein König, die Flügel waren schwerer, die Schuppen wuchtiger. Holprig folgte er König Devon, dessen Drachengestalt von überall zu erkennen war. Sein Leuchten war grell, er sammelte die Energie, um schneller zu werden. So schnell, wie es in seiner derzeitigen Verfassung eben möglich war. Wäre der Tag an seiner Seite, wäre er mit Schallgeschwindigkeit an sein Ziel gelangt. Doch ganz gleich wie bleich der Mond auch am Himmel schien, Devon nutzte all seine Reserven, um seine Fähigkeiten auf ein Maximum anzutreiben. "Wir wurden reingelegt", brummte Devon und ließ die Mauern Dragors hinter sich. Die ganze Zeit war er am falschen Ort gewesen, und das bekam er gerade richtig zu spüren. Frustration und Wut beschrieben nicht annähernd, was in dem Drachenkönig vorging. "Das Schloss war von Anfang an das Ziel." Natürlich! Devon hatte schon so ein Gefühl gehabt, als er dem Palast den Rücken gekehrt hatte. Strenge Gerüche hatten in der Luft gehangen. Das Blut der Hyrakonda war nur ein Ablenkungsmanöver gewesen. Ein Überdecker des eigentlichen Übels. Devon schnaubte. "Dann kamen die roten Blitze von hier?", Trias traute sich kaum zu fragen. Sein Kopf zeigte auf den Himmel, der dunkelrote Wolken mit sich schob. "Sie kamen von überall", antwortete Devon knapp und schärfte seine Sinne. Die eiskalten Augen durchleuchteten jeden kleinsten Winkel unter ihnen. Izaras Geruch hing in der Luft, der Schrei hatte seinen Ursprung irgendwo hinter den Felsen, er musste einfach nur seinen Instinkten folgen. Dass er so abrupt verklungen war, verhieß nichts Gutes. Devon brauchte seine Gedankengänge nicht weiter fortführen. Eine scharfe Linkskurve und Devon streckte den linken Flügel weit nach oben aus. Er nutzte den Wind und ließ die Kraft durch seine Schuppen fließen. Heiße Luft blies ihm in den Nacken, sein Leibwächter bemühte sich, das Tempo zu halten und nur Trias allein wusste, wie anstrengend es sein konnte, einem Himmelsdrachen zu folgen. "Ich versteh' es nicht[/I", schnaubte Trias, "[style type="italic"]der Angriff auf Dragor war…" Ihm blieb das Wort in der Kehle stecken. "Du wolltest sagen, dumm?", erwiderte Devon und suchte die Umgebung nach möglichen Spuren ab. "Du irrst dich, Trias. Der Großmeister ist vieles, aber kein Narr. Der Angriff auf Dragor war ein gewiefter Schachzug." "Ihr meint, die Paladine wussten, dass ihre Mission zum Scheitern verurteilt war?" "Dragor war nicht die Mission", antwortete Devon, "Dragor war eine falsche Fährte. Wir sollten glauben, dass sie einen Anschlag planen. Die Paladine zu besiegen war Teil des Ablenkungsmanövers, um sich genug Zeit zu verschaffen." Und uns weit genug vom Palast zu haben. Geistig schüttelte er mit dem Kopf. Der Großmeister hatte seinen Charakterzug ausgenutzt - seine Schwäche, wie es der Anführer der Paladine einmal formuliert hatte. Er hatte damit gerechnet, dass Devon einschreiten würde, dass er sein Volk nicht im Stich lassen konnte, selbst wenn die Chancen auf einen Sieg gut standen. Verluste waren für Devon keine Option mehr, das hatte der Großmeister schamlos ausgenutzt und Devon in einen Kampf geschickt, der trotz Sieg nicht gewonnen werden konnte. Fünfzig Paladine hatte der Feind nach Dragor ausgesandt. Fünfzig Männer und Frauen, die für einen größeren Plan geopfert worden waren. Devon hätte es wissen müssen. Der Großmeister war anders als er. Der Verlust seiner Krieger scherte ihn nicht, das hatte er schon oft genug bewiesen. "Ein Selbstmordkommando", der Volan sprach es leise aus, doch in Devon hallte das Wort mehrfach nach. Nicht nur der Großmeister hatte seine Leute in den Tod geschickt. Auch wenn Devon Dragor beschützen konnte, hatte er die Schlossbewohner sich selbst überlassen. Das Ausmaß dessen konnte Devon nur erahnen, doch die Wut steckte tief in ihm. "Trias", sagte Devon, nachdem er endlich eine Spur hatte, "du fliegst weiter zum Schloss. Wenn mich nicht alles täuscht, wurde die Schutzmagie des Schlosses durchbrochen. Kyia wird Hilfe brauchen." "Und was ist mit Euch?" "Trias[]", knurrte Devon, "das Schloss!" Er hatte jetzt keine Zeit, sich mit dem Ehrencodex eines Leibwächters zu befassen. "Wie Ihr wünscht" Der Volan bog ab und Devon sank ein wenig tiefer. Der Hain zeichnete sich ab, die Bäume bewegten sich im Wind und entsandten die letzten Überreste von Izaras feiner Duftnote. Weitere Gerüche breiteten sich aus, doch nur einer fuhr kalt seinen Rücken herunter. Blut. Zu mehreren. Menschen- und Drachenblut. Devon setzte zum Sinkflug an. Die Bäume um ihn herum kümmerten ihn nicht, Zweige brachen, Äste krümmten sich, fielen auf die Knie, sobald der Himmelsdrache den Boden berührte. Eine Kralle auf die Erde gesetzt, verwandelte sich Devon auch schon wieder in seine menschliche Form. Im Hain war es still. Bäume standen so dicht beieinander, dass kaum der Mond zu ihm durchdringen konnte. Die Hand auf einen Stamm gedrückt, versuchte er, Izaras Duftnote etwas einzugrenzen. Die Spur führte eindeutig nach Osten, aber auch im südlichen Teil zog sich ein vager netzartiger Faden durch den Hain. Es war das beste, der ersten Spur zu folgen, dort, wo das Blut seine Sinne benebelte. Mit ausgestreckter rechter Hand entsandte Devon einen Lichtballen, der schwebend vor ihm herflog. Bis auf das Knacksen von Ästen, auf die er von Zeit zu Zeit trat, drang kein Geräusch zu ihm durch. Kein Fiepen der Fledermäuse, kein Rascheln von Wildschweinen. Die Tiere des Hains waren fort. Angst hatten die Hüter der Natur vertrieben. Ob von den Paladinen oder den Drachen, das konnte Devon nicht sagen. Nur die Angst, die war in der Luft spürbar. Er lief weiter, den Instinkten folgend, die eine große Blutlache gesichtet hatten. Devon beschleunigte seinen Schritt. Der Drache lag flach auf dem Boden. Arme und Beine gestreckt wirkte es auf den ersten Blick, als würde er bloß die Sterne bewundern - oder was auch immer man dort oben zu finden hoffte. In Devon reihten sich die Szenarien. Er näherte sich dem Drachen, das Licht flog ihm hinterher. Ein Blitzdrache. Devon erkannte ihn an seinen wilden blonden Haaren - wie hatte ihn Izara doch gleich bezeichnend, als ihren Freund? In die Hocke gegangen, stand er direkt neben dem jungen Drachen, aus dessen Hals eine böse Schnittwunde das Blut in Schüben austreten ließ. Die Hand an die Wunde gepresst, spürte Devon den trägen Puls eines widerspenstigen Drachen. Die meisten hätte es bereits ins dunkle Nebelreich geführt, dort, wo alle Drachen hinkamen, die von den Großen Drachen gerufen worden waren. "Hoheit", die Augen flackerten. Bis eben hatte Devon nicht sagen können, ob der Blitzdrache bei Bewusstsein war oder nicht. "E-es", röchelte er und Devon hätte ihn zum Schweigen verdonnert, wenn er nicht so dringend nach Antworten gesucht hätte. "Es tut mir leid." "Was ist passiert?", fragte Devon. Er hoffte, dass es ihm leichter fiele, in ihrer Sprache zu sprechen. "Sie…sie haben sie mitgenommen." Die Augen des Blitzdrachen bewegten sich flatternd. Leicht neigte er seinen Kopf und zeigte auf eine Stelle, die von weiterer Dunkelheit durchzogen wurde. Also sammelte Devon seine Kräfte, ließ noch einmal die Energie in seine Augen fließen. Ein Kraftakt. Der letzte Kampf war keine halbe Stunde her und die Verletzung an seinem Rücken machte ihm auch noch zu schaffen. Schnaubend ergab er sich seinem Schicksal, gönnte seinem Geist die nötige Ruhe. Hellblaues Licht fegte schwach über ihre Köpfe, als Devon seine Hand bewegte, als werfe er einen Ball. Tänzelnd hielt sie über mehrere aufgeschüttete Gesteinsbrocken inne. Devon kniff die Augen zusammen. Aus dieser Entfernung sah er nicht gut, aber was er sah, hatte nichts mehr mit einem Lebewesen gemein. "Ihr…ihr Stiefvater…Izara, sie…sie war so… unglaublich schnell." Der Blitzdrache stöhnte. Das Sprechen fiel ihm schwer, als Drache in Leibeigenschaft war es schon eine Glanzleistung, überhaupt der Drachensprache mächtig zu sein. Leider nutzte er noch zu viel von seinen Stimmbändern, und das gefiel dem Kehlkopf gar nicht. Devon wusste, er musste sich beeilen. "Wie viele waren es?" "Fünf." "Konntest du ihren Rang ausmachen?" "Es waren alles Drachenreiter, Hoheit. Aber der eine…" "Was ist mit ihm!"[/I Devon beugte sich nach unten, die qualvollen, leisen Laute waren verdächtig ruhig geworden. "Zu…mächtig." "Ich verstehe", entgegnete Devon. Seine Hand drückte sich fester auf den Schnitt. Blut floss langsam, aber stetig seine Finger hinab. "Ich…", mit offenem Mund starrte er zu Devon hinauf, "ich habe…sie nicht…beschützen können. Ich…habe versagt." Die Augenbrauen zusammengezogen blickte Devon hinunter zu dem Sterbenden. Er hatte nicht versagt, er hatte schlichtweg keine Chance gehabt. Nichts, was ein stolzes Männchen hören wollte. Der Geruch von Menschenblut trieb die Wut in Devons Adern. In der Ferne machte er die Umrisse eines toten Paladins aus, und auch in umliegender Umgebung war der Gestank menschlichen Blutes unverkennbar. Der junge Drache hatte gut gekämpft. In Anbetracht der Ausweglosigkeit hatte der Blitzdrache seiner Rasse alle Ehre gemacht. Die Augen geschlossen, stieß Devon einen tiefen Atemzug aus. "Ich werde dich nicht sterben lassen ", seine Stimme war ruhig, wie eine frische Fruhlingsbrise umwehte sie den jungen Drachen. Dann öffnete Devon seine Himmelsmagie. Ein letzter Kraftakt, er spürte, wie seine Kräfte ächzten, sich seinem Willen widersetzen wollten, aber Devon kämpfte dagegen an. Entlang seiner Brust floß sie weiter, direkt durch seine Arme und den Handteller hinaus. Warmes, weißes Licht erstrahlte. Es war ein Tausch von Haut zu Haut. Die Wunde glühte, spürte die Wärme und ließ sie langsam in die Venen des Blitzdrachen fließen. Ein leises Stöhnen drang aus dem Mund des Blitzdrachen, die Regeneration begann zu wirken. Egal wie nahe er dem Tod gekommen war, sobald das Himmelsblut ihm seinen Lebenshauch einatmete, schlug er den Sensenmann nieder. Auch Devon stöhnte leise. Die Himmelsmagie verblasste, ihr letzter Protest hatte Devon nachgeben lassen. Auch wenn er den Burschen noch etwas mehr geheilt hätte, für den Moment musste es genügen. Einen weiteren Zusammenbruch seinerseits konnte sich Devon in dieser Lage nicht leisten. Die Augen zusammengekniffen starrte Devon in den Himmel. Die Lebensjahre, die ihm die Regeneration gekostet hatten, waren kaum von Bedeutung. Zu irgendetwas musste sein Himmelsblut ja gut sein. "Ich werde jemanden schicken lassen ", sagte er - und schon war Devon verschwunden. Kapitel 51: Devon ----------------- Sobald Devon den Palast erreicht hatte, schickte er Sila los, um den Blitzdrachen mit der nötigen Erstversorgung zu behandeln. In solchen Situationen war sie die einzige, der er die nötigen Fähigkeiten zugestand. Lóng waren nicht nur ausgezeichnete Wasserdrachen. Sie beherrschten zudem eine äußerst seltene Heilmagie, die sie aus dem Ursprung ihres Elements zogen und daraus neue Kraft schöpften. Ihr Wasser bedeutete Leben und Überleben zu gleichen Teilen - ein Fluss, der zwei Abzweigungen bereithielt. Soweit Devon es einschätzen konnte, war Sila stabil genug, um sich der Sache anzunehmen und Sila ihrerseits schien froh, eine Hilfe sein zu können. Die linke Hand an die Schläfe gerieben, stiefelte Devon weiter über die verbrannten Überreste seiner Schlosstore. Überall lagen Gesteinsbrocken herum, das Ausmaß der Verwüstungen hatte mit dem hundert Meter tiefen Erdloch inmitten des Platzes seinen Höhepunkt erreicht. Der Gestank von Erdmagie legte sich auf Blut und Gedärme. Soldaten - diejenigen, die nicht im Speisesaal von Bediensteten verarztet wurden - hatten sich um die Leichen gekümmert, dass nur noch die Überreste ihres Lebenssaftes auf den Steinen und Mauern klebte. Die Dienerschaft kümmerte sich um die Drecksarbeit. Lindwürmer hatte sich derweil der verkohlten und verstümmelten Überreste alles Sterblichen angenommen - Drachen wurden separat in ein Leinentuch gewickelt, der Rest wurde auf einen großen Scheiterhaufen geborgen, der zu gegebener Zeit angezündet werden sollte. Immer wieder sah Devon einen Wyvern auf den Boden hocken. Die Aufräumarbeiten waren überschaubar. Nur wenige von ihnen waren unversehrt geblieben, und wenn, dann schienen sie ihre Makellosigkeit wie einen Schandfleck verbergen zu wollen. Ihre Art hatte es am meisten getroffen. Die Zahl der Überlebenden war erschreckend überschaubar. Leise schlurften sie über die Wege, sammelten Gesteinsbrocken vom Boden, um sie später auf Magiespuren zu untersuchen. Zwischen all ihren toten Freunden und Gefährten waren sie diejenigen, die leblos umherirrten. Kaum einer traute sich, Devon in die Augen zu sehen. Ihre Scham versetzte ihm einen Stich in der Brust. Nicht sie waren es, die ihre Gesichter verbergen sollten. "Hoheit", rief Trias. Von der Seite kam er auf seinen König zugeeilt. Das Haar wirr im Gesicht, dass die Augenringe gänzlich im Verborgenen blieben. "Keine Spur von der Prinzessin." "Sag' mir lieber etwas, das ich nicht weiß", entgegnete Devon und folgte seinem Leibwächter in den Hinterhof. Der Volan holte einmal tief Luft. "Sieben Paladine wurden auf dem Schloss gesichtet. Vier wurden eliminiert - drei Paladine ersten Ranges und ein Drachenreiter. Die anderen sind Richtung Osten geflohen. Hyrakonden haben die Bastarde per Untergrund ins Landesinnere geschleust. Ein paar eingestürzte Tunnel wurden in Richtung Dragor gefunden." "Das erklärt nicht, wie die Drachenreiter die Grenze passieren konnten." "Die Untersuchungen laufen, Hoheit", Trias rieb sich übers Gesicht, die Haare klebten ihm an Stirn und Wange, als hätte er den letzten Paladin persönlich erdrosselt. "Wir konnten fünfunddreißig von ihnen festnehmen", sagte Trias, die Arme hinterm Rücken verschränkt, nachdem er seine Frisur unter Kontrolle gebracht hatte. "Larel hat ein paar von ihnen befragt, aber sie scheinen auch nicht viel zu wissen. Die meisten sind einfach nur dem Ruf der einen  Hyrakonda gefolgt." Mit einem Kopfnicken deutete Trias auf die Wände. Fünfunddreißig Hyrakonden reihten sich vor den Schlossmauern. Die Hände hinterm Rücken gefesselt, knieten sie vor drei Soldaten, die ihr Augenmerk auf eine ganz bestimmte Hyrakonda geworfen hatten. Devon steuerte auf sie zu. Die Soldaten verneigten sich, um anschließend Platz für ihren König zu machen. "Sie hat sich ergeben, kurz nachdem die Paladine aufgetaucht sind", erzählte Trias dicht hinter seinem König, "Sie hat die Schutzmauer von innen geschwächt…Immunisierung Nummer zwei, Hoheit." Immunisierung Nummer zwei - Devon legte die Stirn kraus. Eine Sondermischung aus Isven, wenn er sich nicht irrte. Jene Tinktur, die eine ganz bestimmte Pflanze benötigte und nur selten ins Ausland importiert wurde. Wenn die Paladine auch noch Isven auf seine Seite gezogen hatten, kämen bald noch ganz andere Probleme auf sie zu. "Unsere Späher sollen sich den Westen vornehmen", Devon hob den rechten Arm, dass sein Leibwächter stehen blieb.Stumm blickte Devon zu der Hyrakonda herunter. Strähnen fielen Kaia ins Gesicht. Mittlerweile hatte sich jeder von ihnen in seine menschliche Form zurückverwandelt, dass sie wieder halbwegs annehmbar aussahen. "Ich hatte keine Wahl", hauchte Kaia und sah dem Drachenkönig direkt in die Augen. Eiskalte Blicke trafen auf eine übermüdete Kreatur, die alles verloren hatte. Devon atmete tief ein, er beugte sich zu ihr herunter - Auge um Auge. Die Hyrakonda ließ die Schultern hängen. In ihrem Gesicht zeichneten sich Blut und getrocknete Tränen ab. Er sah, wie sie versuchte, den Blick abzuwenden, doch gegen den Sog seiner Seelenspiegel kam sie nicht an. Die meisten Bestien glaubten, dass Himmelsdrachen in die Seelen ihres Gegenübers blicken könnten. Ein törichter Gedanke, der jedoch auch einiges an Vorteilen mit sich brachte. "Sie haben meine Familie bedroht" sagte sie, als lese sie seine Frage von den Augen ab. "Sie haben ihr Versteck ausgemacht, sie haben die Sprösslinge entehrt." Kaia schluckte. "Sie hätten sie getötet. Ich…ich musste meine Familie beschützen." "Ich weiß", entgegnete Devon leise, "und ich muss meine Familie beschützen." Es ging ganz schnell. Das Schwert aus der Scheide gezogen drang die Spitze direkt in ihr Herz ein. Es gab ein kurzes Zucken, die Augen der Hyrakonda weiteten sich, bis der letzte Atem ihre Lunge verließ. Devon schloss die Augen, steckte sein Schwert ein und erhob sich. "Tötet sie alle", sagte er, dass ihn jeder hören konnte. "Wenn sie es nur auf diese Weise verstehen", er öffnete die Augen. Es war genug. All die Jahre hatte er ihnen mehrmals die Gelegenheit gegeben, sich ihnen anzuschließen. Er hatte es friedlich versucht, er hatte Diplomatie angewandt, um die einstigen Verbündeten des Drachenvolkes zurück auf ihre Seite zu bringen. Blut war damals schon genug geflossen. Als Gerüchte eines möglichen Verrats das Volk der Hyrakonden zu Mitverschwörern der Paladine gemacht hatten. Wie viele Drachen hatten die Hyrakonden die Schuld für den Tod ihres Königs gegeben? Wie viele Bergdrachen und Volans hatten nach ihrem Blut getrachtet? Devon war ruhig geblieben, hatte die Diskrepanzen auf andere Weise lösen wollen. Doch Hyrakonden gehorchten nur denjenigen, die sie unterwerfen wollten. Devon war die Diskussionen Leid. Auf Kommando seines Leibwächters wurden die Gefangenen nacheinander hingerichtet. Die Nachricht würde sich wie ein Lauffeuer verbreiten, das Volk der Hyrakonden hätte sich zum letzten Mal auf Drachengebiet herum geschlichen. Ein schwacher Trost für einen König, der sich jetzt nicht mit Politik befassen wollte. "Izaras Vater", sagte Devon, "jemand soll den Menschen aus dem Hain bringen. Findet einen ehrwürdigen Platz und vergrabt die Überreste zusammen mit denen der Hyrakonda." Mehr konnte er nicht tun. "Wie Ihr wünscht, Hoheit." Festen Schrittes verließ Devon die Hinrichtungsstätte. Er hatte Vorbereitungen zu treffen. Unsicher folgte ihm sein Leibwächter. "Wenn Ihr Kyia sprechen wollt-" "Nein", kam es schroff aus seinem Mund. "Hoheit", Trias klang verunsichert, "Kyia hatte keine Wahl. Auf Befehl der Prinzessin-" "[style type="italic"]Ich verstehe schon, Trias",[/style] entgegnete Devon. Er verstand es - wirklich. Das änderte aber nichts daran, dass er wütend war. Gefühle waren eine subjektive Angelegenheit und gerade hätte er liebend gern etwas oder jemanden, an dem er all seine Emotionen ausleben könnte. Als Anführer eine Schande - für einen König keine Option. Es war besser, Kyia für den Rest des Tages aus dem Weg zu gehen. [style type="italic"]"Was habt Ihr nun vor?",[/style] fragte Trias so leise, dass er auch mit sich selbst hätte sprechen können. Dem Volan schien es nicht zu behagen, dass sein König so zielstrebig die königlichen Gärten ansteuerte. Devon seufzte. "[style type="italic"]Sie sind nach Osten geflohen. Die Duftspur zieht sich Richtung Osten…." [/style] "Also glaubt Ihr, dass sie im Hauptsitz der Paladine gefangen gehalten wird." Devon blieb stehen. Trias zuckte zusammen, als die eiskalten Augen seine eigenen Blicke kreuzten. "Du weißt genauso gut wie ich, wo sie sie gefangen halten", sprach der König fast akzentfrei. Trias schluckte. Sie beide waren dort gewesen. In den Kerkern, direkt unter der großen Halle, wo Paladine ihre Feste feierten. "Wann werden wir aufbrechen?", fragte der Volan und straffte sich. "Ich werde gehen - nach Morgengrauen", sagte Devon so trocken, dass Trias der Mund offen stehen blieb. Erst als Devon dabei war, ihm den Rücken zuzukehren, eilte er seinem König hinterher. "Aber Hoheit, Ihr könnt nicht einfach so gehen! Ohne Vorbereitung, ohne Plan." "Doch, Trias. Meine Entscheidung ist gefallen." Devon kannte sein Ziel. "Ich verstehe, dass Ihr schnell handeln wollt. Ich will die Prinzessin auch befreien, glaubt mir. Aber Ihr seid nicht in der Verfassung, Euch gegen einen Großmeister zu duellieren. Wenn wir erst einmal einen Plan erarbeiten-" "Einen Plan", raunte Devon, "wir hatten Pläne. Die Fahrt nach Whalla, die falschen Prinzessinnen…und was hat es uns gebracht? Izara ist fort, ihre Eltern tot." Devon hatte sein Wort nicht halten können. Nicht vor ihr, nicht vor dem Menschen, der ihr alles bedeutet hatte. Knochen knackten, Devon ballte die Hände zur Faust. Er hatte es einfach so satt! "Hoheit!", rief ihm Trias hinterher, "ich werde Euch ganz sicher nicht im Stich lassen. Ich habe es geschworen." "Trias", knurrte Devon. Er drehte sich zu ihm um, eine Hand packte den Volan an der Schulter. "Ich werde dir nicht erlauben, mit mir zu kommen." Kapitel 52: Devon ----------------- Langsam drehte er sich von ihm weg. Der Geruch von fauliger Paladinmagie hing in der Luft. Die Wände waren brüchig, der Schaden innerhalb des Palastes war im Vergleich zu draußen gering und doch hatte das Innere eine große Lücke in ihre Verteidigung gerissen. Es würde Wochen dauern, bis Immunisierung Nummer zwei vollständig aus dem Gestein vertrieben worden wäre. "Ich brauche dich hier", sagte Devon ruhig. "Ich kann nicht zulassen, dass Ihr allein loszieht", schüttelte sein Leibwächter den Kopf, "genau das erwartet er doch von Euch. Das Ganze ist eine Falle, um an Euch heranzukommen und Ihr wollt Euch ihm auch noch vor die Füße werfen?!" "Dann soll er bekommen, wonach es ihm verlangt." Solange Devon die Himmelsgöttin befreite, war es ihm egal, was der Großmeister von ihm wollte. "Hoheit", Trias rang nach Atem, "was, wenn Ihr getötet werdet? Wie soll es denn weitergehen? Was für eine Hoffnung soll es denn dann noch geben?" "Falsch, Trias. Ohne die Prinzessin wird es keine Hoffnung geben." "Umso wichtiger, dass ich Euch begleite." "Als ich dir sagte, du sollst bleiben, war das keine Bitte." Der Ton des Königs verschärfte sich. "Ich bin Euer Leibwächter! Euch bis in den Tod zu folgen, ist meine Pflicht." "Du bist genauso ein Leibwächter wie du ein Untertan meines Volkes bist! Und ich werde nicht zulassen, dass sich einer meiner Leute opfert." Er schaute ihm streng in die Augen. "Das Volk braucht seinen König", beharrte Trias weiter darauf . "Ein König", erwiderte Devon scharf, "was ist ein König ohne sein Volk?" Trias antwortete nicht. Die Lippen fest zusammengepresst, ergab er sich seinem Schicksal - und das seines Königs. Langsam ließ Devon von ihm ab. "Ich will, dass du dich in meiner Abwesenheit um das Schloss kümmerst. Kyia wird Unterstützung beim Wiederaufbau brauchen. Und sorge dafür, dass unsere Verbündeten die Briefe erhalten. Wir müssen uns unsere Freunde nahe halten. Setze sie über die Details in Kenntnis und triff' entsprechende Vorbereitungen für eine Abreise nach Isven." "Ja, Hoheit." Devon seufzte. Der Missmut seines Leibwächters wäre amüsant, wenn sie nicht vor einer derart misslichen Lage stünden. Gerne hätte er ihm ein paar tröstende Worte gesagt. Doch Devon war nicht der Drache für falsche Versprechungen. Davon hatte es zuweilen genug gegeben, und Trias wusste, wie die Chancen standen. Eine tiefe Verbeugung und der Volan machte sich auf dem Weg in Richtung Arbeitszimmer. Die Wege der Drachen trennten sich. Devon öffnete das Tor zum Schlossgarten und ließ die kalte Brise auf sein Gesicht. Den Garten hatten sie verschont, denn es gab hier nichts, was die Paladine interessierte - zumindest nichts, wovon diese Schlächter eine Ahnung hätten. Über die Wiese geschritten, ging es an unzähligen Rosen- und Dahlienfeldern vorbei. Die Beete wurden noch um ein paar rosane Chrysanthemen erweitert - die Lieblingsblumen der Prinzessin, wie er erfahren hatte. Devon beschleunigte seinen Schritt. Efeu führte ihn in den Kern des Gartens, der von einer menschlichen Frauenstatue mit Drachenflügeln ausgeschmückt wurde. Eine Momentaufnahme, welche an die Erweckung der ersten Himmelsgöttin Kizari erinnern sollte. Ihre Geschichte war von den Menschen vollkommen verzerrt worden. Paladine verdrehten gerne einmal die Wahrheiten. Der Mythos des Flügelmenschen war eine Geschichte, die einst die Drachenjagd rechtfertigen sollte. Als Menschen, die von Beginn an mit Flügeln gesegnet und allein von den Drachen herausgerissen worden waren, wäre es doch nur fair, sein natürliches Geburtsrecht zurückzufordern! Dass sie mit ihren Lugenmärchen ganze Völker auf die Drachen hetzen würden, hätte vor neunhundert Jahren niemand geahnt und vielleicht war es töricht gewesen, an eine friedliche Koexistenz geglaubt zu haben. Traurig blickte die Statue zu Devon hinab. Sie hatte schon immer eine bedrückende Wirkung auf ihn ausgeübt. Die Flügel - wie ein Kokon um die zarte menschliche Hülle gewickelt - waren ihre nackten Füße das einzige, das unter den prächtigen Schwingen hervorlugte. Behutsam legte er seine rechte Hand auf den linken Fuß. Der Marmor war warm, unter seiner Berührung begann er wohlwollend zu vibrieren. Ein Zischen und die Flügel breiteten sich aus, die gesamte Statue bewegte sich, die Beine gingen in die Hocke, der Kopf verneigte sich. Dann rückte die Statue zurück, dass der Sockel einen unterirdischen Eingang freigab. In der Dunkelheit waren die Stufen kaum zu erkennen, doch Devon wusste, dass er nur die ersten zwei hinabsteigen musste, bis Lichtkugeln seinen Weg erhellen sollten. Die Himmelsmagie hier war stark, es pulsierte zwischen dem Gang, als Devon seine Hände darüber streichen ließ, sanft und einfühlsam. Himmelsblut rief Himmelsblut. So war es schon immer gewesen und so würde es auch immer sein. Vorausgesetzt es gab Himmelsblut, das sich rufen konnte. Schnell schob er den Gedanken beiseite. Die letzte Stufe führte ihn in die königliche Ruhestätte. Es war ein kleiner Raum, es gab lediglich einen Sarg, der für ein ganzes Königreich stand, welches dabei war, von der Bildfläche zu verschwinden. Drachen hatten dem Tod noch nie eine große Bedeutung beigemessen - Herrscher bildeten keine Ausnahme. So war der Sarg aus einfachem Stein gehauen, vermutlich mithilfe eines Bergdrachen in Form geschnitten. Auf dem Deckel war die Himmelsmagie wild und unbeherrscht. Die Verstorbenen spürten seinen jüngsten Nachfahren, seinen Zorn und die Schuldgefühle, die in eine ungewisse Zukunft mündeten. Zuerst ging Devon auf die Knie. Er beruhigte sich und sein Gemüt. Wenn er die Vorfahren nicht verärgern wollte, musste er das anwenden, was er die Jahre über gelernt hatte - Ruhe bewahren, die Sinne nach innen kehren und den Geist von weltlichem Schmerz befreien. Ein Gurgeln und die Himmelsmagie beruhigte sich. Wie ein Bindfaden wickelte sie sich um Devons Finger, die Hände begannen zu glühen und ein leises, zufriedenes Schmatzen ließ den Deckel zur Seite kippen. Devon erhob sich. Eine dicke Staubschicht flog ihm entgegen, bevor die Sicht auf das Innere freigegeben wurde. Nur einmal hatte er das Schwert betrachten dürfen. Das war noch vor seiner Herrschaft und noch weit vor einem König, der bereit war, die Gesetze für das Allgemeinwohl zu brechen. Ein Summen benetzte seine Ohren, als die Finger das Metall umfassten. Himmelsblut zuckte in der Klinge, die auf dem ersten Blick gewöhnlich wirkte. Der Griff war mit einfachen Bändern versehen. Stofffetzen, die als Opfergabe dargeboten wurden und ein Zeichen der Verbundenheit waren. Alle Könige, die das Drachenreich beim Namen nennen konnte, hatten sich in dem Schwert verewigt und einen Teil ihrer Kräfte auf die Klinge übertragen. Fast schien es als hätte die Waffe eine Persönlichkeit entwickelt. Das Surren wurde still, als lauschte es Devons Gedanken, die von dem letzten, aussichtslosen Hoffnungsschimmmer zerrten. Andächtig hob er die Klinge auf, das Surren wurde ein Murmeln, Devon glaubte, darin eine Art Bestätigung zu sehen. Das schwache Licht reflektierte die stählerne Klinge, die einen mit dem vertrauten eiskalten Blick betrachtete. Den Griff fest umklammert, verneigte er sich, der Sargdeckel schob sich zurück an seinen Platz und auch die Lichter schienen ihn nach draußen geleiten zu wollen. Das Schwert stieß einen Funken Himmelsmagie aus, dann war es wieder still. Kapitel 53: Devon ----------------- "Ihr wollt aufbrechen?" Devon war gerade dabei, die Kartographien in seine Manteltasche zu stopfen, als Sila aus dem Krankenflügel gelaufen kam. Die Hand mit einem weißen Leinentuch abgetrocknet, sah sie zu Devon und seinen zwei Schwertern hinunter. Erschöpfung und Trauer spiegelten sich in ihren hellblauen Augen wider. Die ganze Nacht hatte sich die Lóng um die Verletzten gekümmert. Sie hatte das Blut der Überlebenden getupft, faulige Gebeine abgesägt und entzündete Stellen gesäubert. Die schwer Verletzten, diejenigen, die diese Nacht nicht überstanden hatten, hatte Sila einen angenehmen Tod beschert. Das Mindeste, das diese tapferen Krieger verdient hatten. "Wie geht es dem Blitzdrachen?", fragte er stattdessen und heimste sich ein Augeverdrehen ein, das schnell wieder verblasste. "Er wird es überstehen", antwortete die Lóng und klemmte sich das Tuch unter ihrem Gürtel. "Die Wunde ist nicht so tief, wie sie aussieht… anders als bei Euch, Hoheit", dem letzten Satz schwang ein leichter Unterton mit, den Devon nicht weiter ergründen wollte. "Wenn du mir von einer Reise abraten willst - bemühe dich nicht. Ich habe Trias alles gesagt, und ich möchte mich nicht wiederholen müssen." "Natürlich", die Lóng verbeugte sich, "dann lasst mich wenigstens Eure Nähte betrachten." Als Antwort gab es ein Schnauben. Auf Ausreden, weshalb er die Abreise verzögern sollte, hatte er keine Lust. Seine Dienerschaft wusste das. Dennoch wäre es töricht, Silas Angebot auszuschlagen. Eine Heilerin wie die Lóng wusste, was sie tat. Devon wandte sich Sila zu und gab ihr die stumme Erlaubnis, sich seine Wunde ansehen zu dürfen. Sila nickte, mit der rechten Hand deutete sie in Richtung Ostflügel, der in die Zimmer der Weibchen führte. Die Stirn kraus gezogen, folgte er der Lóng in ihre Gemächer. Gemächlichen Schrittes bewegte sie sich vorwärts. Er war sich sicher, dass sie Zeit schindete; wie die Füße fast andächtig den Boden berührten, hatte sie Ähnlichkeit mit den Priestern von Raj. Meist alte, weise Drachen, die einen ausgeprägten siebten Sinn besaßen, schlichen sie oft über die hiesigen Flure des Himmelspalastes. Sie schmückten sich mit langen, weißen Gewändern, mit kurzen Ärmeln und einer langen Schleppe - genauso wie Sila, wenn auch das Blut anderer Drachen auf ihrem Rock klebte und die Ärmel nicht kurz sondern hoch gekrempelt waren, damit sie nicht von den Tinkturen und Tränken durchnässt wurden. Devon steckte die Hände in die Manteltaschen, damit niemand die Äderchen auf seinen Handrücken auffielen. So viel Wut hatte er seit Langem nicht mehr verspürt. Der Zorn war immer mit einer gewissen Melancholie einhergegangen, doch seit dem Überfall auf das Schloss war seine innere Ruhe abhanden gekommen. Und wenn er noch daran dachte, dass Izara in den dreckigen Händen dieses Sadisten gefangen war- "Halte deine Untersuchungen kurz", brummte Devon, den Schritt beschleunigt, dass Sila keine Wahl blieb, als sich dem anzupassen. "Natürlich", entgegnete Sila, die Hände vor dem Schoß gefaltet, "doch bedenkt, dass ich nur Euer Bestes im Sinn habe. Und das unserer Prinzessin, natürlich", fügte Sila trüben Blickes hinzu. "Hm", brummte Devon zurück. Gegen einen geübten Blick auf seine Wunde konnte Devon nichts sagen, und eine gewisse List konnte er in Silas Absichten auch nicht erkennen. Er konnte es nicht leugnen, der Makel, der ihn einiges an Kraft kostete, könnte ihm noch viel Ärger bereiten. Es war besser, den Schnitt von einer Expertin begutachten zu lassen, bevor sich Devon einer kampferprobten Schar Paladine stellte. Mit einem Wink lud Sila ihn in ihr Zimmer ein. Die Räumlichkeiten der Lòng waren elegant und hell möbliert. Es gab einen kleinen Springbrunnen und einen Arbeitstisch, auf den sie fein säuberlich ihre [style type="italic"]Werkzeuge[/style] gestellt hatte - hauptsächlich medizinische Instrumente und verschiedenste Proben aus den Gewässern Medaniens. Das war natürlich nicht sein erster Besuch. Schon einige Male hatte Sila mehr als nur ein paar Heilkräuter benötigen müssen, um einen Himmelsdrachen wieder auf Vordermann zu bringen. Die Lóng allein wusste, wie viele Schnitte und Stiche bisher nötig gewesen waren, um Devon nicht zu einem filletierten Echsenmann verkümmern zu lassen. Allein die Erinnerung an das letzte Mal bereitete ihm ein Ziehen im Nacken. "Wenn Ihr Mantel und Hemd ausziehen würdet", Sila zeigte auf den Arbeitstisch. Nickend zog sich Devon aus, die Kleider legte er etwas unbeholfen auf den Tisch, dass er beinahe ein Fläschchen Betäubungsmittel umgeworfen hätte. Er spürte ihren tadelnden Blick. Doch die Lóng schwieg. Anschließend setzte sich Devon auf einen der beiden Stühle, die Lóng schob ihren eigenen hinter den Drachenkönig und ließ sich ebenfalls nieder. Er legte die Hände auf die Knie. Für einen Moment schwiegen beide. Wenn Sila in ihrem Element war, konnte sie fürweilen ernst und schweigsam sein - eine Eigenschaft, von der er sich wünschte, sie würde öfter zu Tage treten. "Es heilt besser als ich erwartet hatte", entgegnete Sila und fuhr flüchtig die Konturen des Schnittes nach. Das Ziehen, das sie dabei auslöste, zog sich bis zu seinem Kopf hoch. "Gut. Dann kann ich also gehen", sagte Devon, die Hand nach dem Hemd ausgestreckt. "Nicht so voreilig, Hoheit", erwiderte die Lóng. "Ich sagte, es sieht besser aus. Von gut sind wir noch weit entfernt." Devon schnaubte. "Ich würde Eure Nähte gegen einen verstärkten Faden austauschen", entgegnete Sila und richtete sich auf, "damit sollte die Wunde nicht bei der kleinsten Überlastung sofort aufgehen. Es wird auch nicht lange dauern, versprochen." Ein Seufzen seinerseits und Devon gab endgültig nach. In die Hände geklatscht, machte sich Sila daran, Wasser in eine kleine Schale zu füllen. Die Lóng legte die Fingerspitzen in das Gefäß, atmete tief ein und ließ klares Wasser hinein fließen. Still beobachtete Devon, wie die Lóng eine Nadel aus dem Schubfach unterhalb des Schreibtisches hervorholte, die Spitze begutachtete und vorsichtig mit Daumen und Zeigefingers drauf tippte. Ein hoher Klang, als würde Sila mit einem Löffel auf ein Wasserglas schlagen, ertönte. Der Stamm der Lóng hatte bei Außenstehenden schon immer eine gewisse Faszination ausgeübt, und auch Devon kam nicht umhin, die Leichtigkeit in ihrem Handeln zu bewundern. Er wusste, dass sie seine Blicke spürte.  Früher hatte sie seine stille Bewunderung mit Zuneigung verwechselt. Ein Missverständnis, das er schnell aus dem Weg geräumt hatte. Sila war attraktiv, keine Frage. Schwarzes Haar, das weich wie Seide war, wunderschöne Kurven, die Phantasien erwecken konnten und natürlich eine anmutende Drachengestalt, die mit ihrem Tanz betören und verführen wollte. Ihr einziger Makel - zwei x-förmgie Brandnarben am Nacken. Bleibende Erinnerungen einer Schreckensnacht. Sila war eine gute Schauspielerin, Männchen wie Weibchen konnte sie mit ihrem Charme um den Finger wickeln, aber ihre tiefen seelischen Narben hatte sie vor Devon nicht verstecken können. Mehr als eine taktische Geliebte würde Sila niemals mehr sein, Devon hatte schnell verstanden, welche Absichten die Lóng verfolgte und war mir ihr auf geschäftlicher Ebene verbunden geblieben. Die Lóng begriff schnell, dass er kein sonderlich großes Interesse daran hatte, sich eine Gespielin oder Königinnenfigur anzuschaffen. Dafür lebte Devon viel zu sehr für das Drachenvolk. "Das sollte genügen", murmelte sie und setzte sich wieder hinter ihren König. Die Schale legte sie auf ihren Schoß. Dann begann die Arbeit. "Das wird jetzt etwas ziepen", sagte sie, als auch schon ein brennender Schmerz seine Wirbelsäule entlang lief. Der Himmelsdrache ließ sich nichts anmerken. Drachenmännchen waren zu stolz, um ihre Schwächen oder gar Schmerzen zuzugeben. Ohne sich zu regen ließ sich Devon den Faden herausziehen. "Wieder einmal tapfer die Zähne zusammengebissen, Hoheit." "Für deine Spielchen bin ich nicht aufgelegt, Sila." "Ich weiß", murmelte Sila und stockte in ihrer Arbeit, "bitte verzeiht." Sie zog das Leinentuch aus ihrem Gürtel und tupfte vorsichtig auf die langsam heilende Stelle. Devon seufzte, das Sprechen fing langsam an, ihn anzustrengen. "Du musst dich nicht entschuldigen, Sila." "Doch Hoheit", erwiderte sie und tunkte die Nadel in das Wasser, "nicht wegen dem, was ich gesagt habe", sie seufzte. Das tat sie immer, wenn ihr Worte schwer fielen (und das kam sehr selten vor). "Ihr hattet recht." Ein Wasserfaden zog sich durch das Nadelöhr, Sila legte die Nadel an und begann vorsichtig die Wunde zuzunähen. "Damals sagtet Ihr, ich solle der Prinzessin vertrauen, ihr Zeit geben. Ich dachte, Eure Worte seien nur dahergesagt, damit ich meine Klappe halte und die Himmelsgöttin als Anführerin akzeptiere…ich…ich hätte es besser wissen müssen. Ihr habt Euch bisher noch nie getäuscht und ich…bitte, Hoheit, vergebt mir für meine Torheit, meine Eitelkeit-" "Es ist gut, Sila", sagte Devon, bevor auf den bebenden Lippen die ersten Tränen tropfen würden. "Du hast es eingesehen, das ist alles, was zählt." "Das stimmt", Sila atmete tief ein, "manchmal verlassen wir uns so sehr auf uns selbst, dass wir gar nicht bemerken, dass diejenigen unter uns zu so viel mehr bestimmt sind, als wir ihnen zugestehen wollen." Der Drachenkönig zog die Stirn kraus. "Ich habe den Eindruck als wolltest du auf etwas Bestimmtes hinaus." "Ich denke", sagte Sila und zog einmal an den Faden, dass Devon spürte, wie Millimeter für Millimeter die Haut zusammengedrückt wurde, "ich denke, es ist an der Zeit, dass Ihr Euch nicht nur Euch selbst vertrauen müsst…sondern auch der Prinzessin." Er blickte über seine Schulter, dass er der Lóng direkt in die Augen sehen konnte. Sila erwiderte seinen Blick ohne jegliche Furcht. Dass auch Sila dieses Thema ansprach, verunsicherte ihn ein wenig. Vielleicht hatte er doch einen falschen Eindruck hinterlassen. "Erklär' es mir", forderte Devon sie auf. Jetzt war es an Sila ein tiefes Seufzen auszustoßen. "Die Himmelsgöttin ist…anders. Und damit meine ich nicht, ihre menschliche Seite - obwohl, vielleicht hat es damit zu tun…" "Sila", murrte Devon. "Verzeiht. Worauf ich hinaus will", Sila beugte sich nach vorne, die freie Hand schnappte sich die silberne Schere, "die Prinzessin ist nicht so zart und hilflos wie Ihr glaubt. In ihr steckt viel Energie, die befreit werden will." "Du meinst, so wie in der Vollmondnacht?" Devon dachte nicht gerne daran zurück. Das viele Blut hatte ihm einen Riesenschrecken eingejagt. "Wenn sie ihre Kräfte kontrollieren könnte-" "Aber das tut sie nicht", entgegnete er scharf, "sie ist ein Drachenmensch mit Himmelsblut. Sie kann ihre Kräfte niemals so freisetzen, dass sie sich jemals wieder verwandeln geschweige denn ihre Fähigkeiten einsetzen könnte." "Und doch tut die Prinzessin, was sie tun muss." Sila ließ die Schere über das Ende des Fadens schießen. "Ihr könnt sie nicht ewig verstecken", Silas Ton nahm etwas Flehendes an. Devon wusste genau, woran die Lòng dachte und sein eigener brennender Schmerz füllte seine Seele aus. Die Lippen fest zusammengepresst, unterdrückte Sila ihre Gefühle. "Vergebt mir", hauchte die Lóng, "das war unangemessen…ich weiß, dass Ihr-", sie schüttelte den Kopf, "ich möchte einfach nicht, dass sich die Ereignisse von damals wiederholen." "Das möchte niemand, Sila", antwortete Devon ruhig, "und ich verstehe deine Sorgen." Seit letzter Nacht besser denn je. "Die Zeit ist einfach noch nicht reif." Mehr Antworten konnte er ihr zu dem Zeitpunkt nicht geben. Nicht, solange Izara von jenem Mann gefangen gehalten wurde, der den Untergang Logias mit seinen eigenen Händen eingeläutet hatte. "Eines solltet Ihr wissen, Hoheit", Sila brach das Schweigen, "eigentlich wollte ich es Euch nicht sagen, aber", die Lòng betrachtete das Ende des Fadens, "als Ihr so schwer verwundet in Eurem Zimmer ward, war die Prinzessin an Euer Seite." "Sie war was-?!" Devon erstarrte. "Ja", murmelte die Lóng und zerknüllte das Ende in ihrer Faust. Weißer Rauch trat zwischen die Finger. Sila erhitzte den Faden - nur so weit, wie sie es brauchte. "Hoheit", Sila seufzte, "nachdem sie von Eurem Zustand erfahren hat, war sie unaufhaltsam. Sie hat sogar Trias auf die Knie gezwungen. Ihr Wille ist stark." "Und stur", erwiderte Devon, der sich noch ganz genau an ihren Duft erinnern konnte. Er hatte ihn für eine Einbildung gehalten. Etwas, das sein angeknackster Drachenverstand ihm eingepflanzt hatte. Zu wissen, dass es echt war, dass sie in seinem Zimmer - in seinem Zustand! - bei ihm geblieben war, erschütterte ihn. Kaum auszumalen, was hätte passieren können! Devons Urgestalt hatte vor langer Zeit Vielen das Leben gekostet und selbst erfahrene Drachen wie Trias oder Kyia mussten den nötigen Sicherheitsabstand einhalten, um nicht von ihm zerfleischt zu werden. Ein Zischen und Sila legte den mittlerweile dickflüssigen Faden auf die zugenähte Stelle. Es brannte weniger als dass es ihn von den neuesten Erkenntnissen ablenken konnte. "Sie wollte sich nur erkenntlich zeigen, Hoheit", sagte Sila und drückte mit dem Daumen auf die entsprechenden Stellen. "Ohne ihre Kräfte", Sila ließ die Arme sinken, "wäre Eure Wunde nicht so gut verheilt." "Weißt du, was du da sagt?", knurrte Devon. "Es besteht kein Zweifel, dass sie ihr Licht benutzt hat, um Euch zu heilen. Eure Wunde war tief, Teile des Knochenmarks wurden beschädigt. Ich habe die Teile zusammengehalten, damit nicht noch mehr Flüssigkeit heraustritt. Ich habe getan, was ich konnte, um die Lähmung aufzuhalten. Aber das", ehrfürchtig sah die Lóng zu den Überbleibseln einer hart erkämpften Befreiungsaktion, "das ist Himmelsblut, Hoheit. Ich weiß nicht, wie sie es angestellt hat - und ich bezweifle, dass die Prinzessin eine Ahnung hat, was sie in dieser Nacht geleistet hat -, aber ich sehe das Potenzial ihrer Kräfte, die Hingabe und Entschlossenheit. Wie sonst wäre sie in der Lage gewesen, eine Regeneration in die Wege zu leiten." "So viel Lob aus deinem Mund", kurz ließ sich Devon zu einem Lächeln hinreißen. Gerade fühlte es sich so an, als wäre Izara bloß zwei Räume weiter. Als bräuchte er nur aus dem Zimmer treten, die Tür aufstoßen und in diese leuchtenden, hellen Augen blicken, auf denen so viele Fragen, so viel Sehnsucht und Verzweiflung hausten, dass es ihn manchmal in den Abgrund trieb. "Was soll ich sagen", auch Sila lächelte schwach, "die Prinzessin hat mich einfach in ihren Bann gezogen." Die Lóng stemmte die Hände in die Hüften. "Fertig", sagte sie und nickte ihrem König zu. Devon richtete sich auf. Er sammelte die Kleider zusammen und stülpte sich ein Teil nach dem nächsten über. Zuletzt knöpfte er den Mantel zu. "Hoheit", währenddessen war Sila aufgestanden. Sie verbeugte sich, der Kopf legte sich dabei auf ihre Brust, "ich wünsche Euch viel Glück auf Eurer Reise." Der Wechsel zwischen großer Klappe und Ehrfurcht brachte Devon manchmal ins Straucheln. "Danke, Sila. Aber mit Glück komme ich nicht weit." "Wisst Ihr, was die Menschen in so einer Situation sagen?" Devon drehte sich zu der Lóng um, den Kragen dabei zwischen Daumen und Zeigefinger. "Sie sagen »Hals- und Beinbruch«" Er schüttelte den Kopf. Die Spezies würde er wohl niemals verstehen. Kapitel 54: Izara ----------------- Niemand vergaß den Tag, an dem das Halsband einem seiner Freiheit beraubte. Izara war damals vier Jahre alt gewesen, zwei Männer in dunkelblauen Ledermänteln hatten an ihre Tür geklopft, und zum ersten Mal hatte Levis sie nicht vertreiben können. Das blassbleiche Mädchen mit den zwei hohen Zöpfen hatte gerade seine Kerzen ausgepustet, das Geschenk lag noch mitsamt zerknülltem Geschenkpapier auf dem Essenstisch, als die Kerle einfach hinein gestiefelt waren, sich breit gemacht hatten und einforderten, was ihnen nach medanischen Recht zustand. Die Schreie, die sie an dem Tag losgelassen hatte, hatte das ganze Viertel in Aufruhr versetzt. Nachbarn hatten sich beschwert, die finsteren Blicke der Alten hatten sich regelrecht in Izaras Kopf gepflanzt und niemand, wirklich niemand hatte gefragt, was los gewesen war. Die Knechtschaft war so selbstverständlich wie die Tageszeitung zu lesen oder den Umweg zum Lieblingsbäcker zu machen. In den Schreien steckte nichts als Todesangst. Izara hatte wirklich geglaubt, dass sie sterben müsste. Nachbarskinder hatten ihr den Floh ins Ohr gesetzt, dass Drachenmenschen verbrennen würden, wenn sie mit dem Halsband in Berührung kämen. Keiner hatte ihr das Gegenteil beweisen können und Levis' Optimismus war auch nicht hilfreich gewesen. Dass sich ihr Hals wirklich so angefühlt hatte, als würde er jeden Augenblick in Flammen aufgehen, hatte natürlich für noch mehr Panik gesorgt. Die Stahlhalsbänder waren grausame Mittel, sich die Drachen hörig zu machen. Zuerst kam das Gefühl der Ohnmacht, gefolgt von einem heftigen Druck, der jede Faser ihres Körpers eingenommen hatte. Die meisten zwang es auf die Knie. Gerade die jungen Drachen spürten die Unterwerfung als drückte ihnen jemand die Luftröhre ab. Ausgewachsene Drachen schienen robuster. Sie hatte einmal ein älteres Weibchen gesehen, dem auf öffentlicher Straße das Halsband angelegt worden war. Es gab zwei Arten, wie das Halsband angelegt werden konnte: freiwillig per Hand oder mittels Zauberformel, die Paladine wie ein gurgelndes Wispern aussprachen. In beiden Fällen war Augenkontakt notwendig. Das Drachenweibchen hatte sich für Zweites entschieden. Entweder war sie wirklich tapfer gewesen oder der Druck auf ihrem Hals hatte weniger an Erdrosseln erinnert als viel mehr ein unangenehmes Ziehen im Nacken hinterlassen, das sich durch ein scharfes Zischen ihrerseits bemerkbar gemacht hatte. Das war für die Paladine ein gutes Zeichen - das Metallhalsband mit seiner einzigartigen Legierung funktionierte. Um auf Nummer sicher zu gehen probierten die Herren eine Reihe von Befehlen aus - eine reine Routinemaßnahme, die mit den Jahren an Kreativität und Grausamkeit kaum zu überbieten war. Laute, widerhallende Anweisungen, die das Bewusstsein in Besitz nahmen, waren erst der Anfang. Gliedmaßen gehorchten nicht länger, der Körper tat nur noch, was ihm der Herr befahl. Das Geheimnis der Halsbänder bestand aus falscher Dominanz. Drachen gehorchten eigentlich nur einem - und das war ihr König. Wie es den Paladinen gelungen war, Magie zu formen, die den Befehlen der Himmelsdrachen auf eine verdrehte, perverse Art so ähnlich war, blieb ein Geheimnis, und solange niemand dahinter kam, würden die Unterdrückungen fortbestehen. Izara hatten sie damals gezwungen, der Stoffpuppe - das lang ersehnte Geburtstagsgeschenk - den Kopf abzuschneiden und anschließend im Ofen verbrennen zu lassen. Sobald die Ofenklappe offen stand, war sie sich sicher gewesen, dass man sie gleich hinterher werfen würde. Bis auf ein paar Lacher und einen Klaps auf den Hinterkopf, war Izara verschont geblieben, doch die Bilder der brennenden Puppe hatte sie bis heute nicht vergessen. * Mit einem lauten Klicken verriegelten sie das Halsband. Sie hatten keine fünf Minuten Erde unter ihren Füßen, als Izara weitergeschubst und ins Innere des Paladin-Hauptquartiers gebracht worden war. Es ging tief nach unten. Modrige Erde und faulige Eier waren noch die harmlosesten Eindrücke, als die Tür quietschend aufging und der Kerker von abgebrochenen Kronleuchtern und stummeligen Kerzen erhellt wurde. Nur ein Teil des Verlieses war sichtbar, aber Izara war froh, nicht auch noch mehr von dem sehen zu müssen, was sie da roch. Die erste Kerkertür sollte es auch schon sein. Schwer ließ sich der Eingang der Zelle öffnen. Der Kräftigste unter ihnen - ein Kerl mit großen abstehenden Ohren - hatte seinen Oberarm an die Gitterstäbe gedrückt, bis die Tür mit einem Knarzen aufgegangen war. Mit einem harschen »rein da« wurde Izara in das dreckige Loch geworfen. Izara stützte sich an der Wand ab, bevor die Hand langsam zu ihrem Halsband glitt. Ein Automatismus - früher hatte sie das Halsband regelmäßig auf Beschädigungen kontrolliert. Sobald das Stahl Abnutzungsspuren aufwies oder der Haken einen kleinen Makel besaß, hatten die Drachen das unverzüglich zu melden gehabt. Ansonsten drohten Bestrafungen, die allein vom Hörensagen Schmerzen bereiteten. Das Stahl in ihrer Hand war schwer, der Druck stark, wobei das Gefühl von Außen und nicht von innen zu kommen schien. Ein einfaches Halsband. Nicht das eines Drachen, sondern für Menschen gemacht. Das Stahl passte gut zu der Kette, die an die Wand mittels Stahlring festgemacht worden war. "Eine falsche Bewegung und ich reiß' dir deinen hübschen Kopf vom Hals." Die Leine straff um sein Handgelenk gewickelt, starrte sie der Paladin mit seinen Hass erfüllten Augen an. Izara wusste, der Mann wartete nur darauf, dass sie einen Fehler machte. Seit Solar seinem Kollegen das Schwert ins Herz gebohrt hatte, war der Paladin missmutig und übel gelaunt. Sie hatten mit einem leichten Sieg gerechnet. Dass Solar alles andere als leicht zu besiegen war, hatten die Krieger am eigenen Leib erfahren müssen, und wäre ihr Großmeister nicht zur Stelle gewesen, Izara wäre sich nicht sicher, ob die Paladine gesiegt hätten. Der Blitzdrache hatte seinem frisch erworbenen Titel als Kommandant alle Ehre gemacht, doch Izara sah bloß Solar in einer Blutlache seines eigenen Lebenssaftes liegen und schüttelte sich. "Solar." "Stillhalten!", knurrte der Paladin von vorne. Er stand direkt unter dem Rahmen der Zellentür. Seine wuchtige Statur nahm den gesamten Raum für sich ein. Die Kette vom Handgelenk abgewickelt ließ er Izara keine Sekunde aus den Augen. Blut klebte ihm auf der Wange, das er sich sporadisch mit der Handinnenfläche abgewischt und dabei nur einen noch größeren Fleck hinterlassen hatte. Grob zerrte er an Izaras Leine, der Kopf wirbelte zur Seite, ein Knacken und Izara biss die Zähne zusammen. Ein-, zweimal rüttelte der Paladin an der Leine, suchte Befriedigung an den Schmerzen, die er ihr zufügte, bis sie endlich von ihrem Halsband abging und durch die Kette an der Wand ausgetauscht wurde. Das Festmachen ging einfacher von der Hand, der Paladin schien begriffen zu haben, dass er Izara nicht so leicht brechen würde. Mit einem widerhallenden »Klick« rastete die Kette ein. Der beißende Gestank, der sich durch den gesamten Kerker zog, wurde durch den fauligen Geruch der Ketten übertrumpft. Blut, Innereien und Kadaverreste vereinten sich zu einem bestialischen Gestank, der sich in den Ketten verewigt zu haben schien. Unweigerlich musste sie sich fragen, wie viele Drachen bereits in den Kerkern geworfen worden waren, bevor Folter und Bestrafung die Bestien in den Tod geschickt hatten. Unkontrolliert begann Izara zu würgen, doch bis auf ein wenig Magensäure wollte nichts ihren Körper verlassen. Dafür begann ihr Hals fürchterlich zu brennen, auf ihrer Zunge setzte sich der Geruch fest, dass sie kaum noch Luft bekam. "Wenn du mir auf die Schuhe kotzt, werde ich dich das ablecken lassen, hörst du?" Izara antwortete nicht und wischte sich den Speichel aus dem Gesicht. Drohungen und Beleidigungen war sie gewohnt. In Kandio handhabten es die Paladine genauso. Erst Drohungen, und wenn die nicht genügten, griff man zu härteren Mitteln, bis »das Mitsvieh« gehorchte. Flüchtig ließ Izara ihren Blick über die Paladine wandern. Vielleicht war unter ihnen auch einer von Flatsch' ehemaligen Lehrlingen. Die vier Krieger - drei Männer und eine Frau - waren noch junge Rekruten, Blutdurst blitzte in ihren Augen auf und die Tiefe der Abdrücke an ihren Handgelenken verrieten, wie oft sie einen Drachen bereits abgerichtet hatten. Besonders tiefe Abdrücke - solche, die Narben hinterließen - verdienten sich diejenigen, die sich zum Drachenreiter [style type="italic"]hochgearbeitet[/style] hatten. "...hey! Bist du taub?", sie spürte zwei Finger auf ihren oberen Brustkorb drücken. Die Kraft ließ Izara rückwärts taumeln. "Der Menschendrache hält sich wohl für was Besseres", blaffte der Hühne sie an. "Ach", winkte die einzige Frau unter ihnen ab, "die Kleine heult bestimmt noch wegen Goldlöckchen herum." Ihr Lächeln verbarg sie hinter ihren Händen, die in schwarz glänzende Handschuhe gepackt waren. Scheinbar ein Privileg für diejenigen, die einen Drachen reiten durften. "Dieser räudige Bastard", der Große spuckte Izara vor die Füße, "hielt sich für so clever." "Blitzdrachen sind einfach nur erbärmlich", sagte der Paladin mit den Riesenohren und verschränkte die Arme vor der Brust. Die Kriegerin beugte sich zu Izara vor. "Blondie hat sich für dich geopfert. Für das Schlampen-Mischblut." Sie schmunzelte. "Aber das scheint ja für euch Himmelsdrachen ganz selbstverständlich zu sein." Izara sah auf. "All dieses Blut", lachte sie leise und richtete sich wieder auf. "Blitzdrachen sind so eine schwache Rasse." "Schwache Rasse?", entgegnete Izara mit kratziger Stimme, "ohne euren Aufpasser hätte euch dieser Blitzdrache windelweich geprügelt." "Was sagst du da?!", knurrte der Hühne und packte Izara am Halsband. "Sag' das nochmal, du missratene Hure!" Früher wäre Izara in Kauerstellung gegangen. Aber ihr Drachenblut war mindestens genauso sauer, wie das des Paladins. "Ich sagte", zischte Izara, "ihr seid ein Haufen nutzloser Schwertfuchtler, die keine Ahnung haben, was es heißt, richtig zu kämpfen." "Das reicht!" Er holte mit der Faust aus. Kapitel 55: Izara ----------------- "Kent", meldete sich von hinten eine Stimme. Die Faust hielt schwebend vor Izaras Gesicht inne. Auch Izara regte sich nicht. Auf seltsame Weise war ihr die Stimme des Großmeisters so vertraut, dass in ihrer Brust ein drückender Schmerz entstand. Ein furchtbares Gefühl, bei dem sie sich sofort in ihren Kerker einschließen wollte. Schritte näherten sich der Zellentür. "Was habe ich bezüglich der Drachenprinzessin gesagt?", seine Stimme war ruhig und sanft. Trotzdem fühlte sich Izara zunehmend unbehaglicher. Sie hatte damit gerechnet, den Großmeister bis auf Weiteres nicht mehr zu Gesicht zu bekommen. Nachdem er hinter Dragor allen anderen voraus geflogen war, hatte sie seinen abtrünnigen Blick gut verdrängen können. "Hm?", der Großmeister stand nun direkt hinter seinen Untergebenen. Der Hühne ließ die Faust sinken. "Niemand rührt den Drachenmenschen an", antwortete der Paladin brav.  "Geht doch, Kent", der Großmeister klopfte ihm auf die Schulter, "am besten, Sie alle gehen sich noch einmal ordentlich die Ohren waschen und melden sich dann an der Kommandozentrale zur Wachablösung." Ein »jawohl« und die Paladine traten der Reihe nach ab. Hühne und Riesenohr wackelten als Letzte aus der Zelle, und obwohl nur noch Izara und der Großmeister übrig geblieben waren, war die Zelle noch immer viel zu eng. Und es wurde noch enger, als der Großmeister einen Schritt auf sie zumachte. Izara wäre gerne zurückgewichen, doch hinter ihr gab es nur noch Wand - und der verrottete Geruch des Stahls. "Du bist also Izara aus Kandio", sagte der Großmeister, als er direkt vor Izara stand. Seine mordlüsternen Seelenspiegel sahen zu Izara hinab, die kurz vergaß zu atmen. "Ich habe viel von dir gehört", er legte den Kopf schief, "und noch mehr gelesen", fügte er schmunzelnd hinzu. "Das »ungeliebte« Drachenmädchen aus Kandio. Deine Mutter hat sich deinetwegen erhängt, richtig?" Izara schwieg. Also fuhr der Paladin fort: "Eine ungewollte Tochter. Ein Schandfleck der Menschheit. Jeden Tag in das Gesicht des Kindes zu blicken und die schrecklichen Ereignisse jener Herbstnacht immer und immer wieder durchleben zu müssen…" Izara regte sich nicht, doch in ihrem Inneren fuhr ein brennender Schmerz ihren Brustkorbs hinauf. Der Großmeister hatte Izaras wunden Punkt erwischt. Es fühlte sich so an, als würde jemand mit seinem Daumen in eine frische Fleischwunde pulen. "Sie muss dich wirklich verabscheut haben, und irgendwann wurde es zu viel. Was ist es gewesen? Ist die Kraft durch deine Augen geflossen? Hast du deiner Mama wehgetan?" Izara presste die Lippen zusammen. Sie hatte ihrer Mutter wehgetan, ja. Ein fürchterliches Geheimnis, das Mutter und Tochter miteinander geteilt hatten. Levis dachte immer, Alizja wäre wegen Izaras Augen in den Wahnsinn getrieben worden. Aber das stimmte nicht. Izara hatte helfen wollen. Als ihre Mutter sich das Bein aufgeschürft hatte und Izara weinend auf ihre Mutter zugestürmt war, wollte sie doch bloß, dass sie aufhörte zu bluten. Stattdessen hatten Alizjas Schreie durch die Küche gehallt, nachdem warmes Licht aus Izaras Hand geflossen war. Ihre Mutter hatte sie weggeschlagen, das Licht geriet außer Kontrolle und hatte den Kochtopf vom Herd gerissen. Der Rest bestand nur noch aus verschwommenen Erinnerungen. "Schuldgefühle sind eine mächtige Waffe, Izara", sagte der Großmeister und träufelte noch mehr Gift auf ihre geschundene Seele, "besonders gegen Drachen. Überleg' doch mal. All die Jahre haben sie dich verachtet - und ich spreche nicht von den Menschen. Ich rede von deinen Leidensgenossen, den Drachen Kandios, die sich für deine Existenz geschämt haben. Was glaubst du, wie sie reagiert haben, als sie erfahren mussten, dass dieser Schandfleck von Drachenmensch ihre Prinzessin ist? »Das Menschenweib hatte gar nicht gelogen«", er weitete die Augen, "ihr Drachenkönig hat in Medaniens Mitte eine Himmelsgöttin gezeugt und niemandem ist etwas aufgefallen. Ein grandioser Schachzug, den auch ich nicht vorhergesehen habe - wirklich beachtlich. Jenes Kind, das all die Jahre gemieden und verachtet wurde, ist nun zur heimlichen Retterin der Drachenwelt ernannt worden. Kannst du erahnen, was sie fühlen, Izara? Kannst du ihre Scham und ihren Selbsthass spüren? Wie sie heimlich um Vergebung betteln, um Buße flehen, ja sogar ihren eigenen Tod heraufbeschwören, damit sie nicht länger von der Schuld befallen sind?" Izara war wie erstarrt. Sie hätte sich gerne widersetzt, hätte seine Hand weggeschlagen, die sich ihr Kinn griff und zu sich heranzog. So dicht beieinander war seine Präsenz noch gewaltiger. Der Großmeister war etwas kleiner als König Devon, dennoch überragte er Izara um mindestens einen Kopf, dass sie ihren Hals recken musste, um ihm wenigstens ein wenig entgegenzutreten. Sorgfältig begann er Izara zu mustern. "Du hattest Glück, dass Flatsch nie König Juras zu Gesicht bekommen hat", im Profil betrachtend, neigte er ein wenig ihren Kopf. "Die Ähnlichkeit ist wirklich erstaunlich. Diese Augen-" Izara stieß einen Atemzug aus. "Habt Ihr ihn auch getötet?" Der Großmeister schmunzelte. "Nein. Obwohl ich das sehr bedauere. Der Tod des alten Drachenkönigs ist eine Verstrickung aus Verrat, Zufall und einem unglücklichen Wendepunkt." Endlich ließ er von ihr. "König Juras war wie alle anderen Himmelsdrachen: man bekam sie nie zu Gesicht. Versteckt in ihren Palästen, in Teilen der Welt, die ein Mensch niemals erreichen kann…wirklich seltene Exemplare, diese Himmelsdrachen. Schade, schade. Oh, und scheu. Es brauchte schon eine Armee, um die Himmelsdrachen aus ihren Verstecken zu locken. Hunderte Blitzdrachen haben sie geopfert, bis sich ein Himmelsdrache dazu bequemt hatte, zur Tat zu schreiten. Ihr Volk bedeutet ihnen wohl nur halb so viel, wie die Himmelsdrachen dem Drachenvolk bedeuten." Wie weit er doch von der Wahrheit entfernt war! Der Großmeister konnte sonst etwas erzählen - Izara wusste es besser. Sie kannte die Gefühle des alten Drachenkönigs, spürte die Schuld und den Schmerz, die ihm der nahende Tod nicht hatte nehmen können. All diese seelischen Schmerzen…der Großmeister wusste gar nichts. "Himmelsdrachen mögen stark sein, aber zu kämpfen haben die wenigsten gelernt.", die Stimme des Großmeisters verdunkelte sich, hungrig lächelte er. "Das hat sich nun geändert. Der jetzige König ist anders. Wusstest du, dass der Drachenkönig der erste Himmelsdrache ist, der Drachen in Leibeigenschaft befreit…? Nein?" Spielte er überrascht oder war er es wirklich? Izara hatte keine Ahnung. "Ein wirklich interessanter Genosse, dieser Himmelsdrache", er schaute an Izara vorbei, Gedanken ließen ihn in die Vergangenheit abdriften. "Ich frage mich, wie lange es dauert, bis er wieder vor meinen Toren steht." Jetzt wandte er sich Izara zu. Er hob eine Augenbraue. "Du zweifelst, dass er dich retten kommt?" Der Großmeister kratzte sich an seinem Dreitagebart. "Du darfst mir ruhig antworten." "Warum tötet Ihr mich nicht einfach?", mehr hatte Izara nicht zu sagen. Angst und geladene Wut waren eine Mischung, mit der sie wochenlang zu kämpfen gehabt hatte. Levis' Tod war zu viel - zu viel von allem. Izara spürte, wie ihre Gedärme sich zusammenzogen, wie Schmerzen ihren Oberarm entlang krabbelten und ein Brennen durch ihre Augen schoss. Aber nichts passierte. Tränen gab es keine mehr. Der Drachenschrei im Hain hatte alles genommen, in dem sich ihre menschliche Trauer gesuhlt hatte. Nun resignierte sie und Izara ließ das heraus, was von ihrem Schmerz übrig geblieben war - Frust. "Denkst du", antwortete der Großmeister lächelnd, "ich werde mir den Spaß nehmen lassen, dem Drachenkönig dabei zuzusehen, wie er sein Leben für dich riskiert?" Er schüttelte den Kopf. "Ich weiß zwar nicht, warum du noch Jungfrau bist…" Das Wort ließ Izara zusammenzucken. Nicht einmal Maya oder Sila hatten es bemerkt. Selbstzufrieden schmunzelte ihr Gegenüber in sich hinein. Wenn er nur geraten hatte, dann war er ein verdammt guter Menschen- also Drachenkenner. "Nein, Izara, ich werde dich nicht töten", seine Augen waren unergründlich. Möglich, dass er log - Gier und Mordlust waren stark in den Seelenspiegeln verankert, dass er vielleicht gar nicht mehr anders konnte. "Du hast überhaupt keine Ahnung, wie wertvoll du bist. Nicht nur für deinen Drachenkönig, der alles daran setzen wird, dich zurückzuholen." Er verschränkte die Arme hinter dem Rücken. Dann begann er in der Zelle hin und her zu laufen. Im schwachen Licht war an seinem Handgelenk eine dünne Stahlkette zu erkennen. Das leise Klirren war Izara bis dahin noch gar nicht aufgefallen. Folgte man der Kette, gelangte man an die Wand gleich neben der großen Kerkertür. Von den Schatten geschützt, erkannte Izara nur schwach die Statur eines Drachen in Menschengestalt. "Weißt du, wie ein Begabter zum Paladin - und ich meine, einem richtigen Paladin wird, Izara?", wechselte der Großmeister plötzlich das Thema. Izara wandte den Blick von dem Schatten verzerrten Gesicht ab. Sie kannte die Antwort nicht. Natürlich hatten die Paladine von Begabung und Bestimmung geredet, wenn sie einen Drachen in die Knie zwangen. Begabte waren diejenigen, die in der Lage waren Magie zu wirken, und nur ein Begabter erlangte im Laufe seines Lebens den Status eines Drachenreiters. Paladine konnten sich viele nennen, doch die wahren Unterdrücker waren die Erdgebundenen - Krieger, die Magie aus dem Boden zogen und Drachen durch Zaubersprüche an die Leine ketteten. Warum das so war, wusste Izara nicht, und ehrlich gesagt, hatte sie bei all den Unterdrückern und Grobianen nie einen Unterschied bemerkt. Der Großmeister las in ihrem Gesicht und begann zu erzählen: "Es ist eine Bluttaufe. Man muss in dem Blut des Drachen baden, den man eigenhändig das Herz herausgerissen hat." Er sprach ruhig, so als erzählte er Izara eine Gutenachtgeschichte. Wäre nicht schon genug Galle aus ihrem Mund gekommen, sie wäre jetzt sicherlich zusammengebrochen. Stattdessen verzog sie die Miene, unterdrückte das Bedürfnis, durch die Nase zu atmen. Direkt vor ihr blieb er stehen. "Der Drache muss vollkommen blutleer sein, und das Blut sollte nicht zu lange auf dem Boden schwimmen. Es sollte noch warm und ganz frisch aus der Quelle gezapft werden, damit es von der Haut vollständig aufgenommen werden kann. Und nein, es ist kein Vergnügen, in dieser stinkenden Suppe zu baden. Aber das Ergebnis ist berauschend." Er steckte die Hände in die Manteltaschen. Die Leine wurde eine Spur straffer, ein Klirren und der Kopf des Drachen ging nach vorne. Vordere Partien seines Gesichtes wurden freigelegt. Der Drache hatte helle, filzige Haare, die ihm über die Schultern fielen. Die Augen waren unter einem Gewirr aus Strähnen und getrocknetem Blut versteckt. Das war nicht der Drache, den der Großmeister geritten hatte. Dieser war ein Wyvern gewesen, die sperrigen Flügel - ein unverkennbares Erkennungsmerkmal seiner Art. Der Gefangene vor der Zelle war definitiv ein Blitzdrache. Kapitel 56: Izara ----------------- "Warum erzählt Ihr mir das?", fragte Izara. Sie bemühte sich, gefasst zu klingen, aber die Bilder der Bluttaufe hatte der Großmeister nun einmal beschworen und so schnell verließen sie nicht mehr ihren Kopf. Ruhig lächelnd sah er sie an. "Kleine, unwissende Drachenprinzessin. Ich mag deine widersprüchlichen Gefühle." Izara schreckte ein Stück zurück. "Du hast Angst vor mir, kannst aber deine Wut über mich nicht im Zaun halten. Du willst dich verstecken und mir gleichzeitig die Krallen ins Gesicht schlagen. Ist es das, was einen Drachenmenschen mit Himmelsblut ausmacht", sein Lächeln wurde breiter, "oder sind das neunzehn Jahre Erziehung, die selbst der mächtigste Drache nicht abschütteln kann?" Wieder ging er einen Schritt nach vorne. Izara biss die Zähne in die Unterlippe, zwang sich, nicht zurückzuweichen. Das war ein Test. Der Großmeister prüfte sie. Was genau sein Ziel war, konnte Izara nur erahnen, und etwas sagte ihr, dass sie lieber nicht zu viel darüber nachdenken sollte. Ihre Instinkte schienen sich wegen dieses Mannes erst so richtig zu entfalten. Gefahr drohte von allen Seiten. Die Fähigkeiten des Paladins kribbelten Izara in den Fingerspitzen und seine moosgrünen Augen hatten die Wirkung eines Morasts, das sie immer weiter in die Tiefe zu zerren drohte. "Du hast sicher schon herausgefunden, warum ich dich dieses Halsband tragen lasse." Sie stierten einander an. So langsam gelang es ihr, mit der Furcht umzugehen - wenn der Fluchtinstinkt auch noch überaus mächtig war. "Das andere hätte keine Wirkung", antwortete sie. Der Großmeister lachte leise. "Es hätte seine Wirkung. Vielleicht nicht mehr wie früher", amüsiert musterte er ihr Halsband, "aber abrichten könnte ich dich trotzdem. Denn glaub' mir, Drachenprinzessin, es gibt noch schlimmere Dinge als von einem Halsband dominiert zu werden." "Aber Ihr werdet mir nichts tun." "Voerst nicht", bestätigte der Großmeister. Er wirkte erheitert, scheinbar gefiel ihm, dass Izara den Spieß umgedreht hatte und nun seine Gedanken zu erraten versuchte. "Ich habe Vorkehrungen getroffen. Dieses Halsband ist nur eines von vielen Spielereien. Natürlich ist das Metall nutzlos gegenüber Magie sämtlicher Art. Eine starke Drachenfaust würde schon genügen, um es zu zerstören. Aber ein junges, zerbrechliches Weib", das Blitzen in seinen Augen galt ihr, "in deiner Menschengestalt hast du keine Chance, und ich rate dir, die Füße still zu halten. Immerhin sollst du keinen Schaden nehmen, aber wenn du doch versuchen solltest, dein Himmelsblut zu beschwören…nun", er winkte ab, "wenn es soweit sein sollte, wirst du es schon verstehen. Wie gesagt, du bist von ungeheurem Wert. Wenn erst einmal die Könige des Kontinents von deiner Existenz erfahren", er schüttelte den Kopf, "noch glauben diese Hohlköpfe, dass sie wieder einmal hereingelegt worden sind. Die lästigen Gerüchte, die der Drachenkönig in die Länder gestreut hatte, wurden schon allmählich lächerlich." Izara verstand nicht - wie so vieles, was der Großmeister sagte -, aber nachfragen war keine Option für sie. "Diesmal", fuhr der Großmeister fort, "diesmal ist die Himmelsgöttin echt und ich habe sie in meiner Gewalt. Ich frage mich, wie hoch der Preis sein wird, den sie für dich bieten werden." Er schaute sie an, dann lachte er laut auf. "Sie können mir die Goldmünzen vor die Füße werfen und gleich noch ein paar Ländereien hinterherschmeißen - ich interessiere mich für nichts dergleichen." "Was wollt Ihr dann?", fragte sie. "Was ich will", wiederholte er, als dächte er scharf darüber nach, "das bringt mich zu dem Grund meines Besuches. Wie du festgestellt hast, bin ich ein Mann, der gerne die Wahl lässt." Sie erinnerte sich an Solar - wie er die Zähne gefletscht hatte, als er ihr eine Wahl gelassen hatte. "Es gibt zwei Optionen", sagte er, "die erste betrifft dein Himmelsblut. Als halber Mensch fließen Kräfte in dir, die ein normaler Körper gar nicht aushalten dürfte. Die Sterbensrate eines Mischblutes während der Erweckung beträgt zweiundsiebzig Prozent. Und dennoch stehst du vor mir - quicklebendig. Du hast dich Flatsch' Magie widersetzt, hast die Lóng von ihrem Halsband befreit, und nun bist du hier - unversehrt, menschlich..." Der Großmeister kannte nur die halbe Wahrheit. In Anbetracht der Situation konnte sie froh sein, dass die Wunden so gut verheilt waren. Wer weiß, wie ihre Behandlung sonst ausgesehen hätte, wenn sich herausstellte, dass ihr Wert nicht halb so groß war, wie er sich das dachte. "Normalerweise", setzte der Großmeister fort, "dominiert das Drachengen, sobald die Erweckung vollzogen wurde. Die Menschlichkeit verschwindet mit der Zeit und irgendwann bleibt nur noch die menschliche Hülle übrig. Du aber, du bist noch nicht so weit - das kann ich spüren…das kann ich riechen. Fragt sich für wie lange", wieder lachte er, "ich würde ungern den Zeitpunkt verpassen. So eine Gelegenheit ergibt sich vielleicht nie wieder." Seine Stimme war nur noch ein Raunen. "Wenn sich himmlisches Halbblut mit dem eines Begabten vermischt, wie mächtig würde dieser Paladin wohl werden?" Izara riss die Augen auf. "Ich sehe, du begreifst schnell, Drachenprinzessin." Sein Blick verdunkelte sich. Da war keine Begierde in seinen Augen. Keine Wollust oder Verlangen. Nur Finsternis. "Der Paladin…", Izara konnte nicht mehr klar denken. Die Bilder ihrer Mutter, wie sie vor König Juras davonlief, tauchten immer wieder auf, "warum solltet Ihr-" "Es gibt so vieles, was du nicht weißt", entgegnete er rau, "so vieles, was du nicht verstehst. Die Zeit wird kommen", das leise Lachen war unheimlicher als alles, was Izara bisher gehört hatte, "aber das soll dich fürs Erste nicht kümmern, Izara. Ich bin sicher, du möchtest noch die zweite Option hören." Izara brauchte nicht zu antworten. "Nachdem wir dich von den Drachen befreit haben", sagte er laut, als würde er aus einem Erlass vorlesen, "werde ich dem Medanischen König einen Brief zukommen lassen." Der Großmeister begann von Neuem durch die Zelle zu laufen. Dabei spielte er mit der Kette an seinem Handgelenk, dass der Blitzdrache immer wieder aus seiner Starre gerissen wurde. "In diesem Brief", sagte er weiter, "werde ich darüber berichten, wie ein Mädchen aus Kandio von der Dragonischen Regierung auf unmenschliche Art festgehalten wurde. Wie es der Drachenkönig persönlich wagen konnte, ein unschuldiges Weib mit Menschenblut seiner Heimat zu berauben", er wurde lauter, "es wie einen Schatz zu stehlen und seiner Familie und seinen Freunden zu entreißen. Ich werde den König von Medanien daran erinnern, dass Drachen keinen Anspruch auf Mischblüter haben, die sich für ein menschliches Leben entschieden haben und dem König Medaniens die Treue schworen! Diese nichtsnutzigen Viecher haben nicht nur die menschliche Würde mit Füßen getreten, nein! Sie wagen es tatsächlich, unsere Gesetze zu brechen. Damit beleidigen sie nicht nur die menschliche Rasse, sie beleidigen damit unseren König - die höchste und heiligste Instanz unseres wunderbaren Reiches!" Er schlug auf die Gitterstäbe ein. Izara zuckte zusammen, die Kette des Großmeistes wickelte sich von selbst um seinen Oberarm. Den Drachen schleuderte es auf den Boden - mit dem Gesicht voran. So schnell wie sich die Kette um den Arm legte, so schnell schleifte es den Blitzdrachen über den Boden, bis zu den Füßen des Großmeisters. Vor Schreck stieß Izara einen Laut aus, den sie mit ihren Händen zu ersticken versuchte. "Na", säuselte der Großmeister - sein Haustier kaum beachtend, "klang das überzeugend genug?" "Ich bin ein Drache", keuchte Izara. Ihr Herzschlag kam nur langsam zur Ruhe. "Den Paladinen war es egal, das ich ein Mischblut bin. Warum sollte es den König interessieren? Drachenmenschen haben keine Rechte, das hat man mir nur allzu deutlich gemacht." "Natürlich haben Mischblüter Rechte. Es hat nur keinen gekümmert. Aber wenn erst einmal publik wird, dass die Drachenkönige Vergewaltiger sind und arme, wehrlose Mädchen entführen, wird das Wellen schlagen, die niemand mehr aufhalten kann. Das ganze Reich wird davon erfahren. Die angrenzenden Länder Medaniens werden von der Geschichte hören und sie werden sich zweimal überlegen, ob sie mit einer Bestie zusammenarbeiten wollen. Ich kann dir versichern, Izara, es [style type="italic"]wird[/style] den König interessieren. Und dann bleibt ihm gar nichts anderes übrig als zu handeln." "Was soll das heißen?" "Das heißt, dass er endlich meiner Aufforderung nachkommen muss." Er zeigte seine spitzen Zähne. "Zwanzig Jahre versuche ich schon, den König von Medanien dazu zu bringen, die Drachenhochburg anzugreifen. Bisher wollte er mir keine Armee zur Verfügung stellen. Er ging auf Nummer sicher, aber das ist nun vorbei. Wenn die Menschen Vergeltung fordern, auf die Straßen gehen und der ganze Kontinent von Hass und Zorn geleitet wird, dann werden die Soldaten Medaniens vor den Toren Dragors stehen. Fünfzigtausend Soldaten - und zehntausend meiner Männer, die ich über den ganzen Kontinent verstreut habe. Nicht einmal der Drachenkönig könnte etwas dagegen ausrichten." "Das könnt Ihr nicht tun", erwiderte Izara mit brüchiger Stimme. Ihr Innerstes war wie ausgehöhlt. Die Leere riss sie in die Dunkelheit, direkt in die Tiefen seiner Seelenspiegel. Wenn Dragor fällt… sie musste den Satz nicht zu Ende denken. Ohne die Drachenmetropole fiel die letzte Hochburg. Alles käme zum Einsturz. Das wäre das Ende der Drachen. Voller Entsetzen schaute sie zu dem Großmeister hinauf. Sein breites Grinsen war das Gegenteil von dem, was in ihrem Innersten vor sich ging. Dieser Mann verstand es, ihr eine Wahl zu lassen. Was sollte sie darauf erwidern? Nichts davon war eine Option. Nicht nur, dass er mit jenem Druckmittel arbeitete, das Alizja in den Tod getrieben hatte. Als ob Izara nicht verstehen würde, dass die Pläne des Großmeisters aus mehr bestanden, als nur einer Handvoll Drohungen und Einschüchterungen. Wenn er sich einen Drachenmenschen zu eigen machen wollte, dann gab es Gründe, die womöglich furchtbarer waren, als alles, was sich Izara zusammenreimen konnte. Was auch immer er vorhatte, Izaras Entscheidung spielte dabei keine Rolle, das spürte sie. Auf eine absurde Weise könnte jede Option auf dieselbe Weise enden, und mit seinem siegessicheren Lächeln unterstrich er den Wahnsinn, der ihm Izaras Wahl einbringen würde. "Lass' dir ruhig Zeit bei deiner Entscheidung. Ich bin mir sicher, wenn du lange darüber nachdenkst, wirst du zu dem richtigen Schluss kommen." Kapitel 57: Devon ----------------- Auf der Spitze der letzten Rotbuche hatte er die beste Aussicht. Danach gab es nur ein paar Misch- und Laubbäume, die mit den Jahren zurechtgestutzt worden waren und keinen geeigneten Sichtschutz besaßen. Kein guter Platz für einen Drachen, der eine Prinzessin befreien wollte und ein noch schlechteres Platz für einen Himmelsdrachen in freier Wildbahn. Das Gelände, auf dem sich der Hauptsitz der Paladine befand, war zum Großteil auf medanischem Gebiet. Ein kleiner Teil erstreckte sich östlich der Grenze und gehörte bereits dem König von Korsa - einem weiteren Lehnsherren, der sich dem Schutz der Paladine ausgeliefert hatte. Auf mehreren Meilen erstreckte sich ein wilder Laub- und Mischwald, der irgendwann in die neue Eisenbahnstrecke mündete und dort die beiden Reiche miteinander verband. Ohne Frage war das Gelände gut gewählt. Verstecke und Hinterhalte waren vorprogrammiert, niemand kannte sich in den umliegenden Wäldern besser aus als die medanische Paladinschaft. Devon ging in die Hocke, die linke Hand hielt sich an einem der dünneren Äste fest, während das Bein halb mit dem Stamm verhakt worden war. Es knackte, als er sich weit genug nach vorne lehnte, dass sein Gesicht nur noch knapp hinter den letzten Blättern verborgen war. Von hier hatte er einen guten Überblick auf das Hauptquartier. Mit der freien Hand griff er in die Manteltasche und wühlte aus seinem Sammelsurium an Land- und Städtekarten den Lageplan heraus. Die Zeichnungen waren zum Teil improvisiert. Ein paar Details hatte Trias nach ihrer Reise hinzufügen können, doch es gab noch genug Lücken und verborgene Winkel, die Devon nicht kannte. Ein Abriss sollte genügen - es musste genügen. Das war keine Frage der Organisation oder Vorbereitung. Hier war überhaupt nichts ausgeklügelt worden, weil Devon verdammt nochmal keine Zeit hatte, um Vorkehrungen zu treffen! Zwei Tage hatte ihn die Fahrt nach Osten gekostet. Einmal mit dem Zug quer durch das Reich und dazu noch eine Kutschfahrt, für die er all seine finanziellen Ressourcen ausschöpfen musste. Nicht, dass Devon um eine seiner Münzen trauerte. Das Gold war gut angelegt gewesen, ohne das nötige Schmiergeld wäre er nie unentdeckt durch die Hauptstadt gekommen, und nur weil er den direkten Weg durch Masfor hatte nehmen können, war er noch vor dem nächsten Vollmond angekommen. Medanien wurde immer strenger bewacht, Kontrollen lauerten in den Großstädten und selbst die kleineren Provinzen - jene Städte, die von den Paladinen regiert wurden - passierte man nur noch mit gültigem Ausweis. Devon hatte einen Ausweis. Das hatten alle Drachen, die ihm direkt unterstellt waren, doch hatte man das Pech und erwischte eine Wache, die sich nicht mit Met und Schnaps zugeschüttet hatte, konnte es schnell sehr ungemütlich werden. Es brauchte stets eine Handvoll vertrauenswürdiger Leute - und jene, die den Hals nicht voll bekamen -, wenn man als freier Drache durch die Gegenden spazieren wollte, und da Devon eine Menge solcher Leute kannte und genügend Geld besaß, war er bisher noch nie in Schwierigkeiten geraten. Devon unterdrückte ein Seufzen und widmete sich wieder seiner Karte. Der effektivste Weg war der durch das Haupttor. Von dort führte ein Hof weiter zu den Zeltlagern der Paladine und schließlich gelangte man durch eine breite doppelseitige Flügeltür ins Innere des Gebäudes. Das eine Mal, dass er durch den Saal spaziert war, lag schon etwas zurück. Damals hatten sie sich durch ein freigeschaufeltes Loch gearbeitet und waren direkt im Kerker gelandet. Es war alles so schnell gegangen, dass Devon nur noch verschwommene Erinnerungen an jene Nacht hatte. Zu viel Blut war geflossen, Devon hatte eine Menge Energie aufbrauchen müssen, um eine Rettungsmission nicht in ein Massaker enden zu lassen. Er schüttelte den Gedanken beiseite. Wie er durch das Gebäude kommen sollte, darüber konnte sich Devon Gedanken machen, wenn es soweit war. Die Papiere zurück in den Mantel gesteckt, ließ er seine Kräfte durch seine Augen fließen. Er musste schnell sein. Paladine witterten Drachenmagie auf mehrere Meter Entfernung und wenn unter ihnen auch nur einer mit etwas Grips in der Birne war, konnte er sich warm anziehen. Bisher war er unentdeckt geblieben, und Devon wollte, dass das eine Weile noch so blieb. Der Überraschungsmoment war der wichtigste Teil in seiner Rettungsaktion. Schnell rein und möglichst schnell wieder raus. Er hatte nur diese eine Chance, das wusste er. Izaras Duft lag in der Luft - weit entfernt, in einem abgeriegelten Komplex und doch war da dieser Hauch von Verzweiflung, der ihn alles an Selbstbeherrschung abverlangte. Devon spürte ihr Himmelsblut in der Luft, als würden einzelne Partikel von ihrem Duft umarmt werden. Ein Blick über das Hauptquartier geworfen, sah er einen blauen durchsichtigen Faden über das Gelände schweben, der in Richtung Haupthaus führte. Devon könnte seine Kräfte noch etwas mehr ausreizen, könnte sehen, wie lange sie schon hier war und welche Gefühle ihre Duftnote hinterlassen hatte. Doch das sprengte eindeutig den Rahmen, seine Fähigkeiten waren genug ausgereizt worden und das einzige, was es herauszufinden galt, war Izaras Aufenthaltsort und den hatte er gefunden.Er hatte Recht behalten, die Prinzessin hielt sich in den Kerkern unterhalb des Festsaals auf. Devon schloss die Augen. Das Verlies war ihm noch recht gut in Erinnerung geblieben. Der Gestank nach Tod und Verderben, die Blut verschmierten Wände, die kalten, feuchten Ketten... Nicht mehr lange, sagte er sich und konzentrierte sich weiter auf sein Umfeld. Devons Augen bewegten sich rasant von einer Quelle zur nächsten. Einmal das gesamte Gelände umfasst, zählte Devon ein Dutzend Soldaten vor den Mauern des Haupttores. Sechs Wachtürme mit jeweils zwei Paladinen bewachten von Osten und Westen die umliegende Umgebung. Ein Bogenschütze und ein Speerwerfer gab es für jeden Turm. Darunter marschierten mindestens zwanzig Paladine zwischen Vorhof und Lager hin und her. Patrouillen gab es vergleichsweise wenige. In den Lagern trainierten Paladine untereinander, Speere flogen durch die Gegend und Schwerter kreuzten im späten Nachmittagsschein die Klingen. Die Männer waren teils spärlich bekleidet - Oberkörper waren von Schweißperlen benetzt, kaum einer trug seine Arm- oder Beinschienen. Die Köpfe waren - bis auf ein paar Ausnahmen und den Soldaten, die in ihrer vollen Rüstung Wache schoben - vollkommen schutzlos. Den Blick nach oben gerichtet, sah er zwei Drachen über den Hof kreisen. Seine Miene verdunkelte sich. Die Reiter waren viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, dass sie nicht einmal in seine Richtung sahen, geschweige denn einen näher rückenden Himmelsdrachen erspähten. Zwei Paladine, die ihre Tiere [style type="italic"]ritten[/style] - einen beleidigenderen Ausdruck hatten diese Bastarde wohl nicht finden können. Devon schaute zurück auf den Boden. Die Entfernung zwischen ihm und der Mauer betrug keine hundert Fuß. Sobald die Linie überquert war und die erste Wache die Anwesenheit eines Eindringlings spürte, musste er sämtliches Potential in seine Beine legen. Devon schätzte die Zahl der Gegner auf etwa achtzig. Mindestens die Hälfte waren ausgebildete Krieger, der Rest ein Haufen frisch rekrutierter Neulinge. Magie entdeckte Devon nur bei den Wenigsten und nur ein Bruchteil von ihnen könnte ihm wirklich gefährlich werden. Einmal tief eingeatmet, zog er die Magie zurück in sein Innerstes. Der Schleier aktivierte sich, ein seltsames Gefühl, sobald die Drachenmagie sich in seine Seele zurückzog. Normalerweise spürte er nicht mehr als ein leichtes Kribbeln. Er schob dieses seltsame Gefühl auf seine Anspannung. So gesehen hatte er nur diesen einen Versuch. Wie lange es dauerte, bis die Alarmglocken ertönten, konnte Devon nicht vorhersagen, doch er war sich sicher, dass man ihn bereits erwartete. Ein leichtes Ziehen fuhr seine Wirbelsäule hinauf. Die Schnittwunde hatte er seit Silas Behandlung nicht mehr gespürt und dass sie sich gerade jetzt meldete, passte ihm überhaupt nicht. Die Magie der letzten vierundzwanzig Stunden hatte ihn wohl zu viel Kraft gekostet. Er schwang sich zurück in den Baum, es raschelte, doch der Feind war zu weit weg, als dass er es gehört hätte. Auch wenn der Schleier aktiv war, hatte Devon ausgezeichnete Sinne. Er hörte den leisen Wind von Norden kommen, spürte die Pollen, die durch die Luft wirbelten. Der Wald roch schwül, nur wenige Tiere hatten sich hier eingenistet, er erschnüffelte ihren Unmut gegenüber ihren menschlichen Nachbarn. Nur Menschen nahm er keine wahr. Er nahm einmal kräftig Schwung und sprang auf den nächsten Baum. Natürlich wäre er mit seinen Drachenschwingen schneller gewesen, aber dann könnte er sich gleich ein rotes Schild mit der Aufschrift »friss mich« um den Hals hängen. Weiter ging es über den nächsten Baum. Er war leise und schneller als ein Affe von Liane zu Liane hangelte. Sein Tempo nahm sogar noch weiter zu. Unaufhaltsam steuerte der Himmelsdrache den ersten Wachturm an. Beim nächsten Sprung ging er in die Hocke, wie eine Sprungfeder schoss er von oben auf die erste Wache zu. Er hatte kaum Boden unter den Füßen, als er den Kopf in beide Hände nahm. Ein Knacken und das Genick war gebrochen. Der Mund seines Partners öffnete sich und - Zack!, trat Devon ihm kräftig in den Magen, zog ihn zu sich heran und brach auch ihm das Genick. Ein lautes Horn ertönte, ein Pfeil schoss in Devons Richtung. [I"Jetzt schon?"So hatte er sich das nicht vorgestellt. Ihm blieb keine andere Wahl. Vor dem nächsten Pfeil ausweichend, sprang er vom Wachturm direkt in einen Halbkreis aus Schwertkriegern und Speerwerfern. Etwa zwei Dutzend Paladine umzingelten den Himmelsdrachen. Wie lange hatte es bis zu seiner Entdeckung gedauert? Sechzig Sekunden? Dann also doch wieder auf die übliche Weise. Kapitel 58: Devon ----------------- "Denkst du, wir haben nicht gewusst, dass du kommst?", sprach ein Paladin in schwerer Rüstung - jemand, der hier das Sagen haben musste. "Elendes Drachenpack", fletschte ein Weiterer die Zähne. Die ersten Paladine näherten sich vorsichtig ihrem Ziel. Devon blieb ganz ruhig auf der Stelle stehen. Er zählte die Anzahl der Gegner, Blut und Spucke klebte den meisten in Haaren und Gesicht. Ein reudiger Haufen ungepflegter Rüpel. "Wenn wir dich erledigen", säuselte der Paladin direkt vor Devon, "wie viel zahlt der König für einen dummen, arroganten Feuerspeier?" Feuerspeier? Flüchtig weiteten sich Devons Augen. Dann dachten die Paladine, Devon hätte Trias vorgeschickt? Woran machten die Krieger einen Volan aus? Etwa an der Farbe seiner Haare? Das hätte Devon doch glatt ein Schmunzeln entlockt. Also schön. "Einundzwanzig Paladine", murmelte Devon. "Was hat der Vulkanochse gesagt?" "Zwanzig Sekunden pro Treffer", er griff nach dem Knauf seines Schwertes, "das normale Schwert sollte genügen." Es konnte losgehen. "Auf ihn!", schrie einer der gepanzerten Wachen. Die Krieger stürmten los. Die einen preschten voran, direkt in Devons Klinge, die er mit einer geschmeidigen Bewegung gezogen hatte. Er wirbelte herum, zog das Schwert aus dem Oberbauch, rammte seinem Nebenmann den Ellenbogen in den Magen und parierte hinter sich zwei Speere. So ging es Schlag auf Schlag. Er hatte das Kämpfen im Blut. Seit er die Volljährigkeit erreicht hatte, hatte es nur ein Ziel in seinem Leben gegeben. Zähne knirschten, Knochen knackten, als Devon die Klingen seiner Gegner abblockte. Er hatte Kraft, mehr als ihm die Männer zugesprochen hatten. Ein Tritt von vorne und Devon ging in die Hocke. Ein weiterer Paladin rannte von hinten auf ihn zu, dass er sich mithilfe seiner Fersen drehte und das Schwert durch die Beine der Männer sausen ließ. Erste Schreie ertönten, Devon hatte einem jungen Burschen den Speer aus den Händen gerissen, nun schleuderte er den Rekruten an die nächste Wand. Eine Lücke tat sich aus, Devon nutzte den Moment und rannte weiter. Speere flogen auf ihn zu. Wenig später zogen sich die Männer zurück und jemand gab den Bogenschützen den Befehl zum Angriff. Ein stiller Moment, bevor die Pfeile wie Regenschauer auf ihn niederprasselten. Doch Devon rannte einfach weiter. Parierte mit den Klingen ein paar Pfeile, die ihn von vorne durchlöchern wollten. Einer traf ihn in den Oberschenkel, der Himmelsdrache knirschte mit den Zähnen, riss sich den Pfeil heraus und warf ihn weg. "Er darf nicht das Gebäude erreichen!", brüllte jemand den Befehl heraus. Fest umklammerte Devon sein Schwert. Eine warme Brise ließ ihn nach oben blicken, als auch schon ein roter Blitz auf ihn zugeschossen kam. Devon hechtete zur Seite, rollte sich ab, um gleich wieder auf die Beine zu kommen. Ein weiterer roter Blitz landete neben ihm, Devon stützte sich mit den Händen ab, den Pfeil dabei kaum beachtend. Rote Blitze hatten eine abartige Ähnlichkeit zu den natürlichen Gewittern und kamen denen der Blitzdrachen in Angriffsstärke und Geschwindigkeit in nichts nach. Selbst Devon musste aufpassen, dass die Treffer nicht die Oberhand gewannen. "Du entkommst mir nicht, Echsenmann!" Devon wusste nicht, woher die Stimme kam, aber es hörte sich nach ihrem Kommandanten an. "Ich hab ihn!", rief ein anderer, dem Devon zunächst gar nicht aufgefallen war. Erst als eine dunkle schwere Kette auf ihn zuflog, drehte er den Kopf zur Seite. Der Paladin grinste breit. Die Kette erreichte ihr Ziel, noch bevor Devon sich vollständig aufgerichtet hatte. Als erstes war da der Druck am Hals, das Halsband folgte keinen Augenblick später. Devons Blick verdüsterte sich. Selbstzufrieden stieß der Paladin ein tiefes Lachen aus. "Und jetzt", sagte er, die Kette dabei fest um das Handgelenk gewickelt, "[style type="bold"]auf die Knie!"[/style] Der Befehl donnerte durch die Zeltlager. Ein mächtiger Befehl von einer mickrigen Menschenkreatur. An Devon prallte er einfach ab. Zerschellte wie ein Krug an einer Häuserwand. Der Drachenkönig knirschte mit den Zähnen. "Törichter Mensch", Devon fasste nach den Ketten. Kräftig zog er daran, das Halsband zersprang, und bevor die Ketten in sich zusammenfielen, zerrte er noch einmal so fest er konnte. Große Augen richteten sich auf den widerspenstigen Drachen. Dann verlor der Paladin den Boden unter den Füßen, wild schleuderte ihn Devon durch die Luft und ließ ihn in eine Gruppe Bogenschützen fallen, die ihre gespannten Pfeile unkontrolliert durch die Lüfte sausen ließen. Das Durcheinander genutzt rannte Devon weiter. "Hi-Himmelsdrache", stotterte einer, der mutig aus einem der Zelte gekrochen gekommen kam.  Ruckartig machte er einen Schritt zurück und reckte seinen Kopf Richtung Wachturm. Die Paladine ließen die Glocke läuten. Nicht gut. Wenn noch mehr von diesen Barbaren dazu kämen, würde er noch bis zur Abenddämmerung hier herumdümpeln müssen. Dabei dachte er nur an Izara, die schon bald an einen anderen Ort geschafft werden könnte…Devon sah sein Ziel in weite Ferne schwimmen. Jetzt musste er schnell machen. Rote Blitze tobten am Himmel. Die Erde zu seinen Füßen begann zu beben. Ein Grollen und der Himmel schickte weitere, verfluchte Blitze. Die Geschosse kamen von den Reitern. Die beiden Drachen schwebten über Devon, der einen Entschluss gefasst hatte. Die Zähne gefletscht, sah er die Blitze auf den Boden knallen. Sein Schwert rammte er in die trockene Erde. Tief atmete er ein, sog die Luft in sein Innerstes, dass seine Magie sich wie ein Luftballon aufblähte. Währenddessen kamen weitere Blitze wie Speere hernieder geprasselt. Von Norden dröhnte die Stimme eines Kommandanten, und im nächsten Moment wechselten die Bogenschütze ihre Pfeile. Glühende Spitzen funkelten Devon von der Seite an. Dieser beobachtete die Drachen, denen der Befehl gegeben wurde, tiefer zu sinken. Das war Devons Chance. Er ließ die Blase in seinem Innersten platzen, wie ein Korken löste sich die Himmelsmagie, schoss durch seinen linken Arm, den er weit in den Himmel gestreckt hatte. Weiß-blaue Strahlen vereinten sich im Himmel zu einer undurchdringlichen Einheit, die von Weitem an eine Kette erinnerte. Die Magie brauchte nur die Halsbänder der Gefangenen berühren, als das Licht grell auf das Stahl einschlug. Nacheinander zerbarsten die Ketten und mit ihnen die ergaunerte Knechtschaft. Laut stießen die Bestien ihre Freiheit gen Himmel aus. Ein Kreischen und die Drachen schüttelten sich, flogen wie wild gewordene Bestien, dass es die Reiter aus den Satteln warf. Schlagartig hörte das Blitzlichtgewitter auf. "Flieht!", rief der König der Drachen, dessen Befehl durch keinen Zauber gebrochen werden konnte. "Das ist mein Kampf" Die Drachen stießen ein lautes Kreischen aus, und mit ausholenden Flügelschlägen waren sie inmitten des Waldes verschwunden. Devon hatte keine Zeit, ihnen hinterher zu sehen. Er hoffte einfach, dass sie schnell genug aus dem Grenzgebiet kämen. "Feuer!", Panik schwang in dem Befehl des Paladins mit. Feuerpfeile flogen im hohen Bogen über das leergefegte Feld. Nur Devon stand in der Mitte. Den Arm gesenkt, riss er sein Schwert aus dem Boden und hielt es wie einen Schild vor seinem Gesicht. Grell leuchteten seine Augen, er erfasste jeden einzelnen Pfeil, den er mit seiner Klinge wegzuschlagen wusste. Seine Sinne waren so fein, dass er die Fingerbewegungen der Männer erkennen konnte. Er wusste, wohin die Pfeile flogen; wie in Zeitlupe erschien ihm der Moment des Loslassens, bis der Pfeil schließlich sein Ziel erreichte hatte. Die Trefferquote war gleich Null, auch wenn ihm die Energie wie Peitschenhiebe auf den Rücken knallte. Devon machte einen Seitwärtsschritt, sog die Luft in sich auf und ließ sie als graue Nebelschwaden über den Kampfplatz verteilen. Die Bogenschützen hielten in ihren Bewegungen inne. Sie sahen nichts - anders als Devon, der jeden von ihnen anvisiert hatte. Ein kurzes Aufbäumen seiner Himmelskräfte, dann wirbelte Erde auf, Energie wurde zu Wind und setzte die Anziehungskraft zu Teilen außer Kraft. Die Pfeile - zu mehreren lagen sie auf dem Feld verteilt - richteten sich auf. Devon ließ den linken Zeigefinger rotieren. Die Pfeile postierten sich, Devon zeigte in den Himmel und gleichzeitig fielen die Pfeile dorthin zurück, woher sie gekommen waren. Die Paladine hatten keine Chance. Noch bevor sie die Geschosse auf sich zufliegen sahen, waren sie über ihren Köpfen. Schreie bebten über den Platz. Über die Hälfte hatte es zu Boden gerissen, und diejenigen, die noch übrig waren, wussten nicht was zu tun war. Kapitel 59: Devon ----------------- Schwer stieß Devon den Atem aus. Es war genug. Noch mehr Energie würde ihn nur auslaugen und er war alles andere als bereit, alles aufs Spiel zu setzen. Nicht für diesen unflätigen Trupp. Langsam lichtete sich der Nebel, Devon beeilte sich, aus der Schusslinie zu kommen. Das Tor zum Hauptquartier rückte näher. Er brauchte nur noch an den letzten Zeltlagern vorbei zu huschen. Der Speer, der wie ein Blitz vor seinen Füßen landete, machte ihm einen Strich durch die Rechnung. "Himmelsdrache!" Zwei Paladine kamen hinter den Zelten hervor. Ein Mann und eine Frau. Devon spürte Magie - diese zwei Paladine waren anders als ihre Genossen. Gefährlicher. Der Eine riss sich den Handschuh herunter, lud seine Kräfte auf, die den Speer zurück in seine Hand beförderten. Er zischte, als die Magie schon wieder in sein Innerstes gekehrt wurde. Neben ihm lachte das Weib. "Hast du vergessen, was der Großmeister gesagt hat?", höhnte sie und zog ihr Schwert aus der Scheide. Lächelnd, hungrig - dennoch mit einer gewissen Vorsicht - näherten sich die Krieger dem Drachenkönig. "Der Großmeister hat eine Belohnung für Euch ausgesetzt", raunte der Paladin und drehte den Speer in seiner Hand. "Tod oder lebendig", fügte die Kriegerin hinzu und streckte den Arm mitsamt Klinge vor sich aus. Devon beobachtete ihre Bewegungen. Das Weib war stark, sicher nicht so stark wie Kyia, doch für ein zartes Geschöpf wie sie beachtlich. "Greifen wir an und erledigen ihn gemeinsam", schlug der Krieger vor und leckte sich die Lippen. "Nur, wenn du mir nicht in die Quere kommst", entgegnete die Frau und rannte als erste auf Devon zu. Devon nahm das Schwert an seinen Oberkörper. Nun hatte sich auch ihr Partner in Bewegung gesetzt. Von links griff er an, den Speer locker in seinen Händen liegend. Sie holten gleichzeitig aus. Die beiden Paladine mit ihren Waffen und Devon mit seinem Schwert. Links blockte er den Angriff des Paladins, rechts versuchte die Kriegerin wie eine Irre auf ihn einzuschlagen. Ihre Fähigkeiten waren nicht im Ansatz so geschmeidig, wie er es erwartet hatte. Sie setzte alles auf ihre Kraft. Anders der Paladin. Sein Speer war wie eine Verlängerung seines rechten Armes. Die Bewegungen waren geschmeidig, fast schon rhythmisch. Devon drückte ihn mit der Klinge von sich. Sein Schwert traf die Spitze seines Speeres und mit einer halben Drehung parierte er nur knapp den Schwerthieb seiner Gegnerin. Das Weib fletschte die Zähne. Aus Unzufriedenheit wurde Frustration. Das Schwert von oben ausholend setzte sie alle Kraft in ihre Arme. Ein Fehler. Devon, der den Paladin mit einem ordentlichen Tritt ins Wanken gebracht hatte, drehte sich zu ihr um. Klinge traf auf Klinge. Das Metall vibrierte. Die Kämpfer sahen sich in die Augen. Blutunterlaufene Seelenspiegel kämpften gegen die Tiefen des blauen Ozeans. Ein unachtsamer Moment und Devon schlug ihr die Klinge aus der Hand. "Noch nicht!", kreischte sie, die Augen weit aufgerissen. Ein Lufthauch streifte seinen Nacken, Devon reagierte nur noch, duckte sich und spürte eine scharfe Spitze seinen Hals vorbeiziehen. Der Paladin hatte viel Schwung genommen - zu viel. Das nutzte Devon aus, griff nach dem Speer und zog ihn zu sich heran. Mit der anderen Hand drehte er sein Schwert herum, holte aus und rammte es in den Leib des Kriegers. In Sekunden sickerte das Blut durch seinen Ledermantel. Röchelnd ging der Paladin auf die Knie. Devon zog das Schwert aus seinem Körper, der einfach nach vorne klappte. Devon wartete, dass etwas passierte. Doch nichts geschah. Der Mann raffte dahin. In seiner eigenen Blutlache liegend tat er seine letzten Atemzüge und war tot. "Ihr", fauchte das Weib ihn an. Sie hatte sich zu ihrem Schwert herunter gebeugt. Der Tod ihres Kameraden hatte ihr etwas an Selbstsicherheit genommen. Devon sah es in ihren Augen. Das Aufflammen eines Gefühls. "Ich lasse Euch nicht durch das Tor!", keifte sie. "Du musst das nicht tun", sagte Devon und betrachtete ihre blutende Nase, die aufgeplatzte Lippe und die Schürfwunde an der Stirn. Verächtlich schnaubte sie, wischte die Tropfen mit ihrem Handrücken weg. "Ihr habt keine Ahnung, was ichmuss. Aber wenn Ihr durch das Tor wollt, müsst Ihr mich schon töten." "Ich töte keine Frauen." Sie riss die Augen auf. Brüllend ging sie auf ihn los. Eine ruppige Bewegung folgte der nächsten. Mit aller Brutalität ging sie auf ihn los. Doch mit rauer Gewalt käme sie nicht weit. Devon fragte sich, wann sie endlich ihre Erdmagie einsetzen würde. Sonst gingen sie doch auch nicht so spärlich mit ihren Kräften um. Warum also wollte sich niemand seiner wahren Fähigkeiten bedienen? War es falscher Stolz, der die Paladine in den freien Tod geschickt hatte? Oder waren es die Anweisungen eines amüsierten Sadisten, der seine Leute angestachelt hatte, sich einem Drachen mit bloßer Faust zu nähern? Die Kriegerin steckte all ihre Energie, all ihr Vertrauen in die Klinge und damit hatte sie ihr Schicksal besiegelt. "Nein", schrie sie. Ein Schlag, ein Zweiter und noch einer. Devon parierte, blockte und trieb die Kriegerin weiter Richtung Haupttor. "Ich lass' Euch nicht durch", ihr Keuchen vermischte sich mit dem Klang ihrer Waffen. Die Kriegerin drehte sich, nutzte ihre Körpergröße und schlug von unten nach oben. Devon sah den Angriff kommen. Die Zähne zusammen gebissen ließ er sie sein Gesicht streifen. Blut tropfte auf die Klingenspitze, die Kriegerin rang nach Atem. Ein Augenblick der Überlegenheit, als Devon mit dem Fuß ausholte und das Weib auf dem Boden landete. Eine weitere Bewegung und Devon hatte sie bäuchlinks gedreht. Die Arme hinter dem Rücken, gab es ein einziges, lautes Knacken. Das Weib kreischte, bäumte sich auf, doch es nützte nichts. Devon hatte beide Hände gebrochen und so, wie er sie festhielt, konnte sie ihm nicht entkommen. "Ich werde dich nicht töten", wiederholte Devon seinen Schwur. Und weil er keine Fesseln zur Verfügung hatte, griff er nach ihrem Schwert und stieß es in ihre Hände. "Nein!", plärrte sie über den gesamten Platz, "tötet mich! Tötet mich! TÖTET MICH!!!" Ihre Schreie waren blanke Panik. Noch schlimmer als der Tod war die Entehrung eines Paladins. »Ein Begabter, der als Drachenreiter versagte, war kein richtiger Paladin!« Devon kannte sich gut genug aus, um zu wissen, dass sie nie wieder Hand an sein Volk legen konnte. Wahre Befriedigung verschaffte es ihm nicht. Er sah auf das Eingangstor. Dort drin wartete etwas viel Gefährlicheres auf ihn. Das Schwert zurück in die Scheide gesteckt, schritt er auf das Gebäude zu. Süße Duftnoten umwehten ihn. Devon spannte sich an. Sie war noch hier, dem Himmel sei Dank! Das große, sperrige Eisentor geöffnet, ließ er das Schlachtfeld hinter sich zurück. Bis hierhin verlief alles so einfach. Viel zu einfach. Ihm drehte sich der Magen. Kapitel 60: Devon ----------------- Als Devon über die Schwelle schritt, fuhr ihm ein eiskalter Schauer über den Rücken. Kurz hielt er inne, suchte den Flur nach möglichen Gefahren ab. Zur Bestätigung fasste er nach der heiligen Klinge. Jenes mächtige Schwert begann zu pulsieren, die Vorfahren stimmten ihm zu. Auch sie witterten etwas Mächtiges durch das Metall fahren. Ein Widerstand, den Devon nicht ganz fassen konnte. Noch hatte er nicht alle Fähigkeiten der Menschen erfahren können, und es gefiel ihm überhaupt nicht, von fremden Mächten zurückgedrängt zu werden. Noch dazu von jenen, die an der Oberfläche ruhten und bloß auf eine günstige Gelegenheit zu warten schienen.   Der Geruch von Blut, Schweiß und anderen menschlichen Ausscheidungen ließ ihn bitter aufstoßen. Er schaute in den Flur. Winkel und Verstecke so weit es das bloße Auge zuließ - die Erbauer schienen eine Vorliebe für Hinterhalte gehabt zu haben. Kerzen erleuchteten nur spärlich den Gang, der jeden von Devons Schritten dreimal so laut widerhallen ließ. Ein Rascheln von der Seite und Devon brachte sich in Position. "N-nicht, bitte", das Stottern kam von einem verkümmerten Blumentopfkübel. Obwohl - nicht ganz. Ein schmächtiger, alter Mann hatte beide Arme in den Himmel gestreckt. Humpelnd kam er hinter dem Kübel hervor. Devon ließ von dem Knauf seines Schwertes und richtete sich auf. Er schien nicht die Quelle dieser eigenartigen Magie zu sein. "Tötet mich nicht", sprach der Alte, "i-ich…ich flehe Euch an!" Er neigte sein Haupt. Dünnes, graues Haar fiel ihm über die Stirn. "Der Großmeister", entgegnete Devon knapp. "Oh", der Alte sah ihn ängstlich an. Ein schwaches Lächeln legte sich auf seine schmalen Lippen. "Der Großmeister ist in der Großen Halle…wenn Ihr wollt, dass ich Euch zu ihm bringe-" Eigentlich hatte Devon keine Lust darauf. Aber was blieb ihm anderes übrig? Nur durch den Festsaal führte eine schmale Treppe in die Verliese und genau dort musste er hin. Es brachte ja eh nichts, das Unvermeidliche hinauszuzögern. Der Großmeister erwartete ihn. Seine Delegation hatte ihn bereits gebührend empfangen, jetzt lag es an Devon, den nächsten Zug zu machen. "Zeig' mir den Weg", raunte Devon. Als wäre sein Kopf lose auf den Hals gesteckt worden, nickte der Alte. "Hier lang", er verhakte die Hände ineinander und führte Devon durch den Gang. Der schlauchförmige Flur erwies sich als ausgetüftelter Korridor mit mehreren Abzweigungen. Immer wieder bog der Alte ab, es ging nach links, dann wieder geradeaus, rechts und noch einmal nach links. "Wir sind gleich da", sagte der Mann, als spürte er von hinten Devons Ungeduld. "Mensch", sprach Devon, den Blick dabei nach vorne gerichtet, "du bist kein Paladin." "Ähm, nein, nicht mehr", antwortete der Alte, "ich bin sozusagen im Ruhestand, ja." Ein klägliches Lachen entfuhr seinem Mund. Er hätte auch genauso gut weinen können, Devon wäre es kaum aufgefallen. "Dann müssen deine Tage schon sehr weit zurückliegen", erwiderte der König der Drachen und sog die Luft um sich herum auf. "Äh, wie meinen?" "Du scheinst etwas Entscheidendes vergessen zu haben", Devon ließ den Blick über seine Umgebung schweifen. "Ich weiß leider nicht, wovon Ihr sprecht." "Wenn du dich erinnern könntest, wüsstest du, dass ich die zwei Paladine hinter mir riechen kann. Oder auch die zwei Krieger links außen und rechts über uns." "D-das-" Damit wirbelte Devon herum. Die Klinge des Hintermanns dabei geradeso abwehrend. Wie von einer Biene gestochen, schreckte der Alte zurück, verkroch sich zwischen einer rostigen Rüstung, hinter der ein Paladin gesprungen kam. Devon handelte schnell, nutzte den Improvisationsmoment. Die Männer waren unvorbereitet, klappernde Klingen kreuzten sein Schwert und Devon drückte sie der Reihe nach von sich. So geschmeidig wie Devon ausweichen konnte, hatten die Paladine keine Chance. "Oh", hörte er die Stimme des Alten und schon klatschten die Paladine nacheinander auf die steinernen Dielen. Stoisch schaute Devon zu der mickrigen Gestalt von einem Menschen hinauf. Der Alte kam zitternd aus seinem Versteck hervor. Der kurze Kampf hatte ihn um weitere zehn Jahre altern lassen. Es bedurfte keines weiteren Wortes und stumm führte ihn der Mann bis zum Ende des Ganges. Die Statur des Alten wich immer mehr der eines buckligen Greises, und wüsste Devon nicht, dass er einst ein Paladin gewesen war, er hätte wohl Mitleid mit diesem Tattergreis verspürt. "Hier ist es", krächzte der Alte und Devon glaubte ihm. Trotz Überraschungsangriffs, hatte er ihn näher an sein Ziel gebracht. Izaras Geruch wurde stärker. Eine ruhelose Himmelsgöttin in den Tiefen des Gewölbes. Sein Herzschlag beschleunigte sich. Er sah auf die eiserne Tür. Die Klinke zur Hand riss er die Tür weit auf. Der Saal war…leer? "Ah, der Drachenkönig", säuselte es am anderen Ende, dass Devon die Blicke seines Widersachers suchte. Devon erkannte die Augen wieder, die athletische Figur, sowie Devons kleines Andenken mi oberhalb seines rechten Ohres. Der Großmeister saß auf demselben Stuhl, der auf einer Erhöhung Platz gefunden hatte. Dahinter prangerte das gleiche Bild wie vor einem Jahr. Nicht weit daneben führte eine schmale, dunkle Treppe in das Verlies. Ein Blitzdrache in Menschengestalt stand vor der ersten Stufe. Die Hände umfassten die Brüstung. Man hatte ihn gefesselt - natürlich. Handgelenke und Hals wurden von den Ketten straff gehalten, die eng um die Brüstung gewickelt waren. Kurz huschte dessen Blick auf den Drachenkönig, der Mühe hatte, sich auf sein wahres Ziel zu konzentrieren. Die Lippen zu einem erwartungsvollen Lächeln verzogen, erhob sich der Großmeister. "Warum schließen Sie nicht die Tür, Holsten?" Angesprochener ließ klappernd die Tür ins Schloss fallen. "Großmeister, ich", begann der Alte hektisch zu erzählen, "ich hatte keine Wahl. Der Drache, er hat die Wachen ausgeschaltet, die Paladine der dritten Einheit besiegt, ich…er war unaufhaltsam, Großmeister! Ich schwöre Euch, ich hatte nie die Absicht, ihn bis zur Großen Halle vorzulassen." "Hm, ich verstehe", sagte der Großmeister, nahm den Speer, der an seinem Stuhl lehnte und schleuderte ihn in Devons Richtung. Devon rührte sich nicht. Der Speer schoss in rasender Geschwindigkeit auf sein Ziel zu. Ein Röcheln, und der Alte hatte die Spitze tief in seiner Brust stecken. Der Großmeister hatte genau das Herz getroffen, keine Minute verging, bis das Leben des Alten erloschen war. Kurz blickte Devon zu dem Toten hinab. "Was?", fragte der Großmeister mit aller Unschuld, die ein Mörder aufbringen konnte. "Dachtet Ihr, ich würde seinen Ungehorsam einfach so hinnehmen?" "Ungehorsam", entgegnete Devon, "hat immer seine Gründe. Ein Oberhaupt sollte die Fehler zuerst bei sich selbst suchen, bevor er ein Urteil fällt." Als Reaktion gab es ein amüsiertes Lächeln. "Sieh sich einer das an", raunte der Großmeister. "Eure Aussprache hat sich seit unserer letzten Begegnung verbessert. Wollt Ihr etwa Euer Weibchen beeindrucken?" Devon antwortete nicht. "Nennt mir Euren Preis", entgegnete er stattdessen, "ich bin bereit zu verhandeln." "Das glaube ich Euch, Drachenkönig", der Großmeister zeigte seine Zähne, "und dass Ihr hier seid - alleine! - rechne ich Euch hoch an. Was ist Euer Pfand? Wärd Ihr bereit, Euch selbst zu opfern? Oder das Leben Eurer Untertanen? Verlockend, wirklich." Er legte seinen Mantel ab, das schwere Leder hing er über die Stuhllehne. Ein langes Schwert baumelte an seiner Hüfte, der Mantel hatte es gut verbergen können, aber Devon war darauf gefasst gewesen. "Ich bewundere Eure Entschlossenheit", sagte das Oberhaupt der Paladinschaft, "aber ich fürchte, wir werden nicht zu einer Übereinkunft kommen. Das Mädchen ist wertvoll. Zu wertvoll, als dass Ihr Euer Leben für sie austauschen könntet." Geradeso unterdrückte Devon ein Knurren. "Egal, was Ihr vorhabt, ich werde sie Euch nicht überlassen." "Ich bin mir dessen sehr wohl bewusst." Neugierig beäugte er Devons Schwert. Die Himmelsklinge baumelte an seiner Hüfte, Zeigefinger und Daumen schwebten direkt über dem Knauf - jederzeit bereit, zu zuschnappen. "Ich respektiere Euren Tatendrang, Drachenkönig", sagte der Großmeister, während er die Ärmel seines Hemdes hochkrempelte, "wir beide - wir sind uns ähnlich. Zwei Oberhäupter - geboren, um zu führen…aber nicht zu regieren. Wenn es drauf ankommt, verlassen wir uns nur auf uns selbst. Wir regeln die Angelegenheit alleine, weil wir nun einmal nicht anders können." "Ich bezweifle, dass wir uns ähnlich sind", erwiderte Devon und schaute zu der Leiche hinunter. Der Großmeister lachte auf. "Und genau deshalb ist Eure Rasse dem Untergang geweiht. Und Ihr, Drachenkönig, werdet als erster untergehen." Daraufhin zog Devon sein Schwert aus der Scheide. Die Klinge fiepte, stieß einen Klagelaut aus, dass Devon sich anstrengen musste, um sie ordentlich festzuhalten. Etwas hatte an der Macht des Himmelsblutes gekratzt. Es schien, als würde das Schwert Schmerzen erleiden. Devon spürte es auch. In seinen Knochen drückte sich etwas von innen nach außen, das ihn wahnsinnig machte. "Ein magisches Schwert", stellte der Großmeister fest und betrachtete mit leuchtenden Augen Devons Himmelsklinge. Auch er hatte es in den Ohren klingeln gehört. "Ein Himmlisches, nehme ich an? Die Macht, die von Eurem Schwert ausgeht, lässt sogar den Boden aufseufzen. Ich nehme an, es gehorcht nur Euch? Wie schade, dass es Euch nichts bringen wird." "Was für ein Zauber steckt in diesen Wänden?" "Ihr habt es also bemerkt. Ein überaus Effektiver, will ich sagen", entgegnete der Großmeister amüsiert, "Ihr müsst doch selbst wissen, dass übliche Paladinmagie nicht mehr ausreicht. Nicht bei einer Himmelsgöttin." "Was habt Ihr getan?" Devon fixierte seinen Gegner, der noch breiter zu grinsen anfing. "Ihr seid nicht der einzige, der eine Schutzbarriere errichten kann." Er stampfte auf dem Boden. Es klapperte und schallte. "Es ist ein Schutzwall, der Magie abwehren soll. Als Magie den Kontinent besiedelte, haben die Könige einen Weg finden müssen, diesen Naturgewalten Herr zu werden…und nun, das ist das Ergebnis. Eine Barriere, die selbst Himmelsblut zu Fall bringen kann. Weil meine Halsbänder Eurer Himmelsgöttin nichts anhaben können, musste ich dafür sorgen, dass sie keine Chance bekommt, ihr Himmelsblut überhaupt erst einzusetzen - außer sie will eines qualvollen Todes sterben." Devon versteifte sich. Izara. Wenn der Großmeister ihr etwas angetan hatte- "Dasselbe gilt für Euch", sagte der Großmeister und lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf sich selbst, "sobald Ihr in diesen Mauern Magie anwendet, wird Euch das teuer zu stehen kommen. Der Wall reagiert auf sämtliche Einflüsse, die magischer Herkunft sind und lassen es den Anwender teuer zu stehen kommen. Eure Schmerzen werden so grausam sein, und am Ende werdet Ihr von innen verbluten. Ein grauenvoller Tod, findet Ihr nicht? Wenn Blutgefäße platzen, die Wunde durch Eure Speiseröhre, Euren Magen wandert…ich muss schon zugeben, ich war erstaunt, wie selbstverständlich Ihr Eure Magie vor meinen Untergebenen angewendet habt. Der Schutzwall wirkt zwar erst innerhalb des Gebäudes, aber auch Ihr werdet Veränderungen an Euch bemerkt haben müssen. Selbst meine Männer waren nicht in der Lage gewesen, Magie zu wirken - obwohl sie weit genug entfernt waren." Devon erinnerte sich an das eigenartige Gefühl, an die Erschöpfung und dem Verlangen, seine Kräfte nicht auszureizen. Auch jetzt kribbelten es ihm in den Fingernspitzen. Die Klinge ächzte. Ihre Kräfte konnten nicht unterdrückt werden. Wie lange das Schwert durchhielt, war ungewiss. Ein fester Händedruck und Devon setzte alles Vertrauen, alles an Hoffnung auf das Schwert. Und das Schwert nickte ihm geistig zu. Sie würden es gemeinsam durchstehen - oder zusammen fallen. "Nun, Drachenkönig", raunte der Großmeister, "Ihr seht, ich habe mich auf Eure Ankunft vorbereitet." "Eure Leute sind gestorben, weil Ihr Euch vorbereitet habt." Devon würde diesen Mann niemals verstehen. "Wenn meine Krieger nicht fähig sind, einen Drachenkönig bei Laune zu halten-" Der Großmeister zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf. "Sie sollten es als Übung ansehen. Stattdessen haben sie sich blindlings in Eure Klinge gestürzt. Bei so einem dummen Haufen darf es kein Mitleid geben. Jeder von ihnen wusste, was sie erwartete, wenn sie sich der Gemeinschaft anschließen. Drachenkönig", die Augen des Großmeisters wurden zu kleinen Schlitzen, "auf diese Gelegenheit habe ich schon lange gewartet. Ihr und ich - Mann gegen Drache", sein linker Mundwinkel zuckte, "Ihr habt Glück. Auch ich bin nicht fähig, Magie anzuwenden. Das heißt, nur wir und unsere Schwerter." Daraufhin zog er sein Schwert aus der Scheide. Die Abnutzungsspuren sah Devon sogar von weitem. Das war eine Klinge, die eine Geschichte hatte. Wohl keine erfreuliche - aber welches Schwert konnte das schon von sich behaupten? "Besiegt mich und die Drachenprinzessin ist Euer", sagte der Großmeister und prüfte das Schwert auf sein Gewicht, "verliert Ihr, werde ich überlegen, ob ich Euch gleich töte oder", die Faust umfasste den Knauf, dass das Weiß seiner Knöchel hervorstach, "oder ob ich doch ein paar Experimente an Euch durchführen sollte…»die Geschichte vom ersten Himmelsdrachen, der unterworfen wurde«, ein netter Gedanke." "Dann kommt her, und versucht Euer Glück." "Mit dem größten Vergnügen." Der Kampf war eröffnet. Kapitel 61: Devon ----------------- So stürmte er geradewegs auf Devon zu - unaufhaltsam. Es gab kein Zögern, kein Halten. Wie ein Sprinter näherte er sich dem Himmelsdrachen, preschte voran, als müsste er eine Horde Soldaten überwinden. Ein Mann wie er hätte wohl eine Armee zu Fall gebracht. Sein Tempo war übermenschlich, Jahrzehnte des Trainings trugen in einem einzigen Augenblick Früchte. Ein Hechtsprung und der Großmeister war direkt vor Devon, der ihn und seine Klinge bereits erwartete. Donnergrollen ertönte, als die Klingen dieser beiden mächtigen Oberhäupter aufeinandertrafen. Das Himmelsschwert fiepte, grell erstrahlte es zwischen der rauen Klinge seines Widersachers. Ein kraftvolles Schwert, das in der Geschichte der Drachen schon viele Feinde bezwungen hatte. Seine Vorfahren hatten all ihre Erfahrungen, all ihren Mut und ihre Liebe in die heilige Waffe gelegt.VDoch diesmal kämpfte das Schwert mit all seinen Ressourcen. Ein vorher nie dagewesener Ausnahmezustand. Trotz seines Widerstands, der ihn alles an Kraft raubte, war es nicht fähig, sein gesamtes Potenzial zu entfalten. Die Zähne gefletscht, drückte der Großmeister gegen das Himmelsschwert. Funken sprühten, das einfache Schwert kam an seine Grenzen, auch der Großmeister musste sich neu formieren. Einen Satz nach hinten gemacht, brachte er Platz zwischen sich und seinen Gegner, bevor er in den nächsten Angriff überging. Devon hatte erwartet, dass es nicht leicht werden würde. Der Großmeister war flink, brutal und unglaublich wendig. Seine Figur ließ ihn Bewegungen vollführen und gleichzeitig mit so viel Kraft voranschreiten, dass auch Devon ernst machen musste. Er selbst musste seine ganze Power offenlegen, um mit der Kraft des Großmeisters mitzuhalten. Physisch lagen sie gleichauf. Schlag um Schlag fochten die Anführer einen unerbittlichen Schwertkampf. Training kämpfte gegen angeborenes Talent. Beide waren Strategen - vorausschauend und ständig den jeweils anderen analysierend. "Ihr enttäuscht mich nicht, Drachenkönig", grinste der Großmeister und ließ die Klingen wie zwei Schlagstöcke miteinander verschmelzen. Devon biss die Zähne zusammen. "Genau so habe ich es mir vorgestellt", fügte er lachend hinzu, als Devon ihn mit seinem Schwert wegdrücken konnte und genügend Abstand schuf, um einmal tief durchatmen zu können. Jaulend klingelte ihm das Schwert in die Ohren, es litt Höllenqualen und Devon spürte die Schmerzen als würde er um einen geliebten Menschen trauern. Genug, flüsterte er dem Schwert im Geiste zu. Und es war genug. Noch mehr und die Klinge drohte zu zerbersten. Der antimagische Schutzwall war gnadenlos und forderte seinen Tribut, und das Schwert selbst hatte dem nichts mehr entgegenzusetzen. Das matte Glimmen seiner Spitze glich einer Entschuldigung, als es auch schon sämtlichen Glanz verlor und sich in ein einfaches Königsschwert zurück verwandelte. Nach und nach zogen sich die Himmelsmächte zurück, gaben nach, als zwei weitere Hiebe das Schwert mit voller Wucht erwischten. Devon spürte es deutlich. Seine Vorfahren waren fort, angeschlagen legten sie sich in einen tiefen, dunklen Schlaf, der im innersten Kern des Schwertes stattfand. Dort, so wusste Devon, würden sie solange ruhen, bis sie sich wieder regeneriert hätten. Wie lange das Prozedere dauerte, war nicht ganz klar, aber Devon bezweifelte, dass er noch einmal auf ihre Kräfte zurückgreifen könnte. Er musste ohne Himmelskräfte auskommen. Das erste Mal in seinem Leben. Mit etwas Abstand lauerte ihm der Großmeister auf. "Was nun, Drachenkönig? Ohne Eure Himmelsmagie seid Ihr nur noch eine Kreatur von vielen. Ein Drache in Menschengestalt." Der Großmeister gab ein dunkles Lachen von sich. "Erstaunlich, dass es dafür nicht einmal Eurer Magie bedarf." Er zeigte auf Devon, den menschlichen Körper, den er seit seinem neunten Geburtstag beschwören konnte. "Ihr Drachen nennt eure Erscheinung Verwandlung, aber wenn es so wäre, warum hat Euch der Zauber noch nicht auf die Knie gezwungen?" "Ihr redet zu viel, Großmeister", entgegnete Devon kalt. "Geht es Euch nicht schnell genug, König?", feixte sein Gegenüber und ließ seine Klinge tanzen. Devon blockte den Angriff, dass sich die beiden Anführer Kopf an Kopf in die Augen blickten. "Wie viele Jahrhunderte weilt Ihr schon auf der Erde? Hundert, zweihundert Jahre?", der Großmeister drückte seine Stirn an Devons, "und trotzdem wisst Ihr so wenig über Euch und Eure Spezies." "Und Ihr glaubt, die Wahrheit zu kennen?" Devon schnaubte. "Ich weiß mehr, als Ihr ahnt." "Eure Lugenmärchen und -legenden sind kein Wissen. Ich kenne die Mythen Eurer Vorfahren und ich versichere Euch, alle von ihnen sind erstunken und erlogen." "So, meint Ihr?", der Großmeister riss die Augen auf, dann holte er aus und schlug seine Stirn gegen Devons. Devon geriet ins Taumeln. "Ich sage", keuchte der Paladin und schüttelte sich, "die Legenden sind wahr! Und ich werde nach zweitausend Jahren der erste sein, der es beweisen wird." Er richtete sein Schwert und schlug zu. Devon wich aus. "Es gibt keine magische Drachenperle!", knurrte Devon, "ich weiß nicht, wer Euch diese Flausen in den Kopf gesetzt hat. Aber wir Himmelsdrachen tragen keine Wunderwaffe in uns, die euch ein langes Leben schenkt. Selbst wenn Ihr mein Gehirn verspeist, wird Euch das keine Unsterblichkeit verleihen!" "Oh, Drachenkönig", raunte der Großmeister, schlug wieder zu und prallte mit der Klinge gegen Devons Schwertknauf, "es ist fast schon bedauerlich, dass Ihr nie in den Genuss kommen werdet, die ganze Wahrheit zu erfahren. Mit Eurer Schwerttechnik werdet ihr mich nie besiegen!" "Ihr irrt Euch, Großmeister", erwiderte Devon und zückte seine zweite Klinge - ein Einhandschwert. "Zwei Schwerter?", der Großmeister blickte neugierig drein, bevor er sich mit Freuden in die Klingen stürzte. "Interessant", kommentierte er und musterte die zum x gekreuzten Klingen direkt vor seiner Nase, "aber wenn das schon alles ist-", er drehte sich, ließ die Klinge über seinen Kopf kreisen. Plötzlich, kurz bevor er sich einmal um sich selbst gedreht hatte, hielt er inne, drehte das Schwert und zielte auf Devons Bauch, der die Attacke mit dem Himmelsschwert abblockte, während das zweite Schwert bereits den nächsten Angriff vorbereitete. Wieder grinste der Großmeister. Drehte sich zurück und drückte die zweite Klinge des Drachenkönigs herunter. "Ein Himmelskommandant, der den Zweischwertstil beherrscht....wenn Ihr Eure Himmelskräfte einsetzen könntet, wäre das sicherlich ein hübscher Anblick. Aber so frage ich mich, was Ihr mir auf kurz oder lang zu bieten habt?" Interessiert hob der Großmeister die Brauen. Er duckte sich, schlug zu und drehte sich. Er ließ Devon keinen Moment verschnaufen. Der Himmelsdrache wehrte sich, parierte und griff an. Ein Unentschieden, dass sich viel zu sehr in die Länge zog. "Auch wenn Ihr es nicht wahrhaben wollt-", sprach der Großmeister. Sie hatten begonnen, mit Händen und Füßen zu kämpfen. Ein Tritt und Devon rollte zur Seite, sprang auf und zielte auf die Knie des Großmeisters, der nur haarscharf seiner Klinge entkam. "Meine Männer haben Euch ganz schön zugesetzt", feixte der Paladin weiter. Er musterte Devos Gesicht, den Oberschenkel, aus dem das Blut noch nicht ganz versiegt war. Devon hatte nicht darauf geachtet. Sein Überlebensinstinkt war stärker als die Wunden, die ihm ein paar reudige Paladine zugefügt hatten. "Wie lange könnt Ihr noch kämpfen, bis Euch die Luft ausgeht? Wenn es um Ausdauer geht, habt Ihr keine Chance. Euch muss es doch klar sein. Ihr werdet sie verlieren, noch bevor Ihr Euren Erben zur Welt gebracht habt." In neuer Position schlugen die Anführer gleichzeitig zu. "Was ist los mit Euch, Drachenkönig?", fragte der Großmeisters und zeigte seine Zähne, "ist sie von Eurer Spezies so angewidert, dass sie Euch nicht in Ihr Bett rufen lässt?" "Haltet die Klappe!", knurrte Devon zurück. Der Großmeister lachte laut auf. Wieder schlugen die Krieger gleichzeitig aufeinander ein. "Euer Vorgänger", sagte der Großmeister und verlagerte sein Gewicht nach vorne, dass Devons Beine kaum noch ihren Stand aufrechterhalten konnten, "er war nicht so zimperlich wie Ihr", das Klirren der Schwerter konnte nicht die Stimme des Großmeisters zügeln. "Vielleicht sollte besser ich Eure Prinzessin schwängern-" "Haltet endlich die Klappe!" Devons Augen weiteten sich. Kontrolle war dahin, sein Zorn übermannte ihn, das Himmelsblut kochte. Noch bevor seine Magie ausbrechen konnte, drückte er sie nieder. Dasselbe tat er mit dem Großmeister. Er legte alle Kraft in seine Arme, die Schwerthiebe waren kaum aufzuhalten. Das Einhandschwert kämpfte gegen die Klinge des Paladins, als das Himmelsschwert ebenfalls zum Schlag ausholte. Der Großmeister wich zurück, doch das Schwert hatte bereits seine linke Hüfte gestreift. Ein Zischen kam aus seinem Mund, das Devon nicht bemerkte. Er schlug immer weiter zu, drängte den Großmeister zurück, dass er Richtung Treppe flüchten musste. "Endlich", knurrte der Großmeister, während der nächste Schlag nicht lange auf sich warten ließ. Diesmal setzte Devon alles in sein Einhandschwert. Die Klinge war schmaler und deutlich kürzer, doch dafür konnte er richtig viel Schwung nehmen. Es geschah so schnell. Das Schwert von oben nach unten sausend, zielte es auf den Rumpf des Großmeisters. Stumm lächelte dieser. Die Schwerter berührten sich, Devon spürte wie er die Klinge des Großmeisters zurückdrängte. Die Zähne zusammengebissen rief dieser: "Konter!" Es geschah zu schnell, als dass Devon reagieren konnte. Er sah nur noch, wie die Klinge des Großmeisters nach innen gedreht wurde, als seine eigene Kraft auch schon auf ihn selbst einschlug. Kapitel 62: Devon ----------------- Mit voller Wucht wurde Devon ans andere Ende des Raumes befördert. Mit einem Knall stieß er mit dem Rücken an die Backsteinwand. Der Schmerz setzte verzögert ein. Devon, der die Augen vor Schreck geweitet hatte, spürte etwas Warmes seine Wirbelsäule entlang gleiten. Die Wunde! Sie war am aufreißen. Lange würde Silas Faden nicht mehr halten. "Ein Konterschlag", raunte Devon, der taumelnd auf die Beine kam. "Richtig", bestätigte der Großmeister. Langsam näherte er sich dem Drachenkönig. Wie ein Raubtier, das seine Beute in die Enge getrieben hatte. Derweil tastete Devon nach seinen Schwertern. Die Himmelsklinge war ihm nur aus den Händen gerutscht, aber das Zweihandschwert war verloren. Mehrere Meter hatte es sich von Devon entfernt. "Ihr kennt also die Geheimtechnik meiner Vorfahren?", fragte der Großmeister. "Ich habe davon gehört", antwortete Devon. Konterangriffe waren Techniken, die über das Physische hinausgingen. Es brauchte keinen Funken Magie, aber richtig angewendet, konnte es die Grenzen des Natürlichen überschreiten. Dass der Großmeister dazu in der Lage war, hatte Devon nicht einkalkuliert. Er hatte ihn, trotz Vorbereitung, unterschätzt. Wie viel hatte der Großmeister noch im Petto? Mühselig richtete sich Devon auf. "Oh, ein angeschlagenes Tier", sagte der Großmeister, "scheint als hättet Ihr mehr als ein paar Kratzer davongetragen? Etwa eine alte Kriegsverletzung?" Statt einer Antwort legte Devon sein Schwert in beide Hände. "Ich fürchte, der Spaß ist vorbei", mit einem Schlag hatte er Devon entwaffnet. Klirrend fiel das Himmelsschwert zu Boden. "Wie Schade, dass unser Kampf zu Ende geht. Es hat mir wirklich Freude gemacht." "Es ist nicht vorbei", knirschte Devon mit den Zähnen. Leise lachte der Großmeister. "Ihr wollt unbedingt sterben, was? Wirklich traurig, dass Euch niemand dabei zusehen kann. Was würde wohl Euer Volk dazu sagen, dass Ihr eines sinnlosen und bereitwilligen Todes gestorben seid? Dass Ihr es nicht einmal geschafft habt, die Prinzessin zu befreien…?" Devon schwieg. Im Augenblick kreisten seine Gedanken nur um Izara. Die Himmelsgöttin, die im Verlies unten auf ihn wartete. Aber wenn er nicht einmal fähig war, sein Volk zu retten- Nein! Er musste sich zusammennehmen. Die Himmelsgöttin war die einzige, die er jetzt noch beschützen konnte. Wenn er sich nicht selbst retten konnte, musste er alles daran setzen, Izara aus diesem Verlies zu befreien. Es blieb ihm nur noch eine Möglichkeit. Sein Himmelsblut. Er war sich der Konsequenzen sehr wohl bewusst. Wenn er wenigstens solange durchhalten könnte, bis er Izara in Sicherheit gebracht hatte, wäre er schon zufrieden. Für Devon war es die einzige Option, die ihm jetzt noch blieb. "Nun, Drachenkönig", sprach der Großmeister und stand seinem Feind direkt gegenüber, "irgendwelche letzten Worte?" "Nein." "Schön. Dann sterbt eben so!" Das Schwert sauste auf Devon hernieder. Devon machte sich bereit. "Nein!" Das Brüllen wurde von rasselnden Ketten übertönt. Der Großmeister stockte. Auch Devon hielt inne. "Was zum-", mehr konnte der Großmeister nicht sagen. Ein Blitz schoss auf das Oberhaupt der Paladinschaft zu, der Großmeister ließ die Hände sinken, der Blitz streifte seine Wange. Knurrend wandte er sich seinem Haustier zu. "Verdammter Blitzdrache!", brüllte er, als der Drache auch schon eine zweite Ladung Blitze parat hatte. Die Leine hatte er von der Brüstung gewickelt nun stürmte er auf den Großmeister zu. Wie zwei Ketten schlang er die Blitzmagie um den Hals des Großmeisters. "Aufhören", brüllte er sein Haustier an. Aber er hörte nicht auf. Starr beobachtete Devon, wie der Blitzdrache gegen die Magie des Halsbandes und die des Schutzwalls ankämpfte. Dann begriff Devon. Das Halsband hatte seine Wirkung verloren, vielleicht lag ein Rest Dominanz auf den Ketten, aber davon ließ sich der Blitzdrache nicht aufhalten. "Schnell", keuchte der Blitzdrache in ihrer Sprache. Der Großmeister hatte nach den Blitzen gepackt. Zorn flammte auf, Devon sah es in seinen Augen - er würde länger durchhalten als der Drache. "Die Prinzessin!", rief der Drache eindringlich. Er packte so fest er konnte, während das Blut aus allen Öffnungen austrat. Der antimagische Schutzwall war unaufhaltsam. Wie lange der Drache durchhielt, war nicht abzusehen, doch der Tod würde ihn schnell und grausam ereilen. Das Schicksal seines Volkes. Devon spürte, wie seine Seele entzwei gerissen wurde. "König!" Das Wort ließ Devon aus seinem Traum erwachen. Er schüttelte sich. Schnappte sich die Himmelsklinge. "Schaut nicht zurück!", sein Hals quoll an, "Ihr wisst, es ist meine Aufgabe. Lasst die Mühen nicht umsonst gewesen sein." Keuchend setzte sich Devon in Bewegung. "Nein", brüllte der Großmeister ihm hinterher. Daraufhin rannte Devon los. So sehr ihn der Anblick des Drachen schmerzte umso mehr musste er seinen Worten vertrauen. »Für den König. Für das Drachenvolk«, die Wahrheit dahinter würde Devon niemals akzeptieren, aber vorerst musste er sich fügen. Er rannte die Treppe herunter. Die letzten Stufen brachten ihn zum Stolpern. "Aber-" eine Wache rappelte sich überrascht hoch, Devon stieß ihn an die Wand und stach einfach zu. "König!", die Stimme ließ ihn innehalten. Er zog das Schwert aus dem Körper, der Mann sackte langsam zusammen. "Izara", Devon drehte seinen Kopf. Große, leuchtende Augen blickte ihn hinter den Gitterstäben an. Da war sie, den großen Drachen sei Dank! Wankend näherte er sich der Zelle. Die Himmelsgöttin war unversehrt. Ihre Kleidung war zerschlissen, das Gesicht von Dreck beschmiert. Ihre zarten Finger umfassten die Gitterstäbe, sie richtete sich auf. Ihr Gesicht zeigte so viel Erleichterung, dass sich auch Devon ein Stück davon gönnte. "Die Schlüssel", sagte er schließlich. Sie durften keine Zeit verlieren. Izara nickte und zeigte auf den sterbenden Soldaten. "In seiner linken Hosentasche ist einer für die Tür, glaube ich", stammelte sie und fasste nach dem Halsband. Devon wandte sich dem kauernden Paladin zu. Ihm wurde schwindelig, als er sich herunter beugte und die Taschen des Mannes durchsuchte. Laute Atemstöße drangen in sein Ohr. "Alles in Ordnung?", fragte Izara und erst jetzt bemerkt er, dass es sein eigener schwerer Atem war. "Ja", entgegnete er rau und kehrte zur Zelle der Prinzessin zurück. Der Schlüssel passte, er drehte ihn herum und riss die Tür auf. Sie sah ihn mit großen Augen an. "Und jetzt das Halsband", raunte er. "Den Schlüssel hat- "Verstehe", unterbrach er sie. Er schaute auf sein Schwert. Er würde die Vorfahren noch um einen letzten Gefallen bitten müssen. Das Himmelsschwert spürte Devons Verzweiflung. Zaghaft begann es seine Himmelsmagie auszustrahlen, dass Devon sich beeilte, die Klinge über die Ketten sausen ließ, die Izara mit der Wand verband. Ein kümmerlicher Rest baumelte an ihrem Halsband. Überrascht drehte sich Izara um. Sie lächelte schwach. Auch Devon bewegte die Lippen. Stöhnend senkte er seinen Arm. "König?", Izaras Stimme war voller Sorge. "E-es geht schon-" Seine Umgebung begann zu verschwimmen. Dunkelheit legte sich über seine Augen. "König?", Izaras Stimme entfernte sich von ihm, "König! König…" "So dunkel-" "Devon!" Kapitel 63: Izara ----------------- Weiche Erde spürte sie durch ihre Schuhe sickern. Es war Mitternacht. Die Abenddämmerung hatten sie bereits weit hinter sich gelassen, und Izara merkte, wie ihr die Zeit durch die Finger rann. Wolken bedeckten einen halbrunden Mond, den es nicht scherte, was unter seinem Banner geschah. Das Paladin-Hauptquartier im Rücken peitschte ihnen kalter Wind entgegen. Es wurde so stürmisch, dass die zarte Drachenprinzessin gegen die Böen ankämpfen musste, um überhaupt vorwärts zu kommen. Einen über einsneunzig großen Drachen vor sich her zu schieben, machte es nicht gerade leichter. Izara zog den König hinter sich her, es kostete sie Mühe, den immer schwerer werdenden Körper voranzutreiben, während Gevatter Sturm seinen Schabernack mit ihnen trieb. König Devon wurde von Sekunde zu Sekunde langsamer. Nicht mehr lange und Izara würde einen bewusstlosen Körper hinter sich herschleifen. "Bitte", brachte sie mit zusammengepressten Lippen hervor. Ihr eigener Körper zitterte, panisch fasste sie nach seinem Ärmel. Doch der König reagierte nicht. "Bitte, König Devon, Ihr müsst durchhalten. Noch ein kleines", sie ächzte, "…Stück." Eine Kleiderkommode von links nach rechts zu hieven war eindeutig leichter gewesen. "Die Paladine…sie könnten jeden Augenblick…", Izara versagte die Stimme. Angst schnürte ihr die Worte ab. Hektisch drehte sie ihren Kopf. Sie konnte nicht glauben, dass sie in Sicherheit waren. Noch war das Hauptquartier in erschreckender Nähe, dass nur noch die Glocke ertönen musste, um hunderte Paladine auf die Jagd nach den Himmelsdrachen zu schicken. Ihr Herz verkrampfte sich, sie durfte sich nicht in Sicherheit wiegen. Ganz gleich, wie friedlich die Nacht war, Izara traute ihr nicht. "Nur noch ein wenig", flüsterte sie mehr zu sich als zu dem König. Dass König Devon so lange hatte durchhalten können, grenzte an ein Wunder. Der Drachenkönig war gelaufen, trotz Ohnmacht, die ihn seit Izaras Befreiung ereilt hatte. Sein Körper reagierte auf einen letzten verbliebenen Überlebensinstinkt und der hatte sich und Izara aus dem Gebäude gebracht. Totenstille hatte im gesamten Hauptquartier geherrscht. Eine unerträgliche Stille, als wären die vergangenen zwei Tage nichts als ein schlechter Scherz gewesen. Als würde sie das alles nur träumen und gleich wieder in ihrem gemütlichen Federbett erwachen. Izara war gelaufen und gelaufen, ohne auch nur einmal zurückzublicken. Dass niemand in der großen Halle wartete, schien wie die Spitze des Hohns zu sein. Der Großmeister, die Paladine, der gefangene Drache...alle fort. Sie würden doch nicht geflohen sein, oder? Was war mit den Geräuschen, die sie von unten gehört hatte? Das Lachen, Krächzen und Schreien. Hatte Devon sie alle erledigt? Der Flur gab kein besseres Bild ab. Auf dem Boden sammelten sich die Leichen von Paladinen, die Zahl der Toten war auf den ersten Blick kaum zu bemessen gewesen. Izara stolperte über leblose Arme und klebriges Blut. Abgebrochene Speere und stumpfe Schwerter lagen verstreut auf dem Boden. Von Zeit zu Zeit glaubte Izara, ein Röcheln oder Wimmern gehört zu haben. Aber vielleicht war das nur der Wind, der pfeifend durch die Backsteinmauern heulte. Izara wollte es so gerne glauben. Der Tod war zu etwas Abstraktem geworden. Er war ihr binnen weniger Tage so vertraut geworden, dass der Anblick eine abgeklärte Abneigung hervorrief, die jegliches Mitleid zu einer Farce erklärte. Der Gestank von Vergänglichem hatte sich in ihrer Nase festgesetzt, während sie mit dem Drachenkönig aus dem Gebäude gelaufen war - mehr getorkelt als gelaufen. Draußen hatte ein ebenso seltsames Schweigen geherrscht. Izara hatte erwartet, jeden Moment überrumpelt zu werden. Die drückende Stille machte sie wahnsinnig, und als die ersten Vögel zu kreischen anfingen, wäre Izara fast das Herz stehengeblieben. Die Hände um den Ärmel seines Mantels geschlungen, zerrte sie ihn weiter durch den Wald. Der König war riesig und schwer, und es wurde nicht besser, als die Arme schlaff vor seinem Körper baumelten und die gesamte Statur ins Wanken brachten. "Ihr müsst weiterlaufen, Devon", sie zerrte und zerrte, doch nichts passierte. Der König gab kein Zeichen von sich, und dass er immer leiser atmete, brachte sie beinahe um den Verstand. Izara biss sich auf die Lippen. Sie biss so fest zu, bis die Tränen zurück in ihre Augen flossen. Wenn König Devon nicht auf sie reagierte, musste sie halt selbst zur Tat schreiten. Kräftig drückte sie ihre Hand auf seinen Rücken. Wenn sie ihn von hinten anschieben könnte - bloß so lange, bis sie einen Unterschlupf fand. Sofort spürte sie etwas Warmes, Feuchtes durch ihre Finger gleiten. Izara zuckte zusammen. Den Blick auf den Boden gerichtet, kämpfte sie mit ihrer eigenen Ohnmacht. Blut tropfte seinen Mantel herunter. Die Wunde kam von seinem Rücken und hatte eine zähe Blutspur hinter ihnen her getrieben. Auch am Oberschenkel entdeckte sie einen großen runden Fleck. Keuchend wandte sie sich ab. Es war zu viel. Die plötzliche Befreiung, die Ungewissheit der Nacht. Was hatte sie sich dabei gedacht, einfach so blind durch den Wald zu rennen? Die Paladine witterten Drachenblut wie Wölfe ihre Beute. Die hart erkämpften Meilen waren nutzlos, wenn das Blut wie eine Spur durch die Bäume direkt in ihre Arme führte. Verzweifelt sah sie sich um. Die Nacht war nicht ihr Freund, ihr wollte nichts einfallen und in einem letzten verzweifelten Versuch, etwas zu unternehmen, griff sie nach dem Saum ihres Kleides, riss ein großes Stück Stoff ab und wickelte es um Devons verletzten Oberschenkel. "Ich werde uns hier rausholen", wimmerte sie leise vor sich hin, band einen doppelten Knoten und richtete sich auf. Unruhig wanderten ihre Blicke zu König Devons Seelenspiegeln. Seine Augen hatten ihr immer Gewissheit gegeben. Sie hatte sich beschützt und behütet gefühlt, ganz gleich, was zwischen ihnen gestanden hatte, in seinen Augen lag so viel Vertrauen und Wissen, dass sie seine Integrität nie in Frage gestellt hatte. Jetzt war der Blick des Königs trüb und leer. Zwei Augen, die alles Leben verloren hatten. Die eiskalten, tiefgründigen Seelenspiegel waren nur noch kalt. Er schien so kraftlos, dass er sich wohl nicht einmal in seine ursprüngliche Form zurück verwandeln könnte. Izara spürte es einfach - diesen Hauch des Todes, der vor König Devons Schwelle stand und dazwischen Izara, die nichts davon verstand, was es bedeutete, ums Überleben zu kämpfen. Vorsichtig ging ihre Hand zurück zu seinem Mantel. "Eure Wunde", die Erkenntnis fühlte sich wie ein Peitschenhieb an. Wie dumm war sie gewesen, nicht daran gedacht zu haben. An jene Nacht im Palast, als sie seine wahre Drachengestalt gesehen hatte. Die Wunde, die der Himmelsdrache auf seinem Rücken getragen hatte, war grausam und tief gewesen. Und nun schien sie ihm alles an Blut zu rauben. "Bitte…Devon", fiepte sie, die Angst kaum mehr unterdrückend, "halte durch." Schniefend legte sie seinen Arm um ihre Schulter, mit der einen Hand fasste sie nach seinem Handgelenk, während sie die andere weiterhin auf den blutenden Rücken presste. Mit zusammengebissenen Zähnen lief sie mit ihm durch den Wald. Selbst wenn es kein Entkommen gab, würde sie sich hüten aufzugeben. Der König hatte sein Leben für sie riskiert und jetzt würde Izara alles tun, um ihn zu retten. Wie ein veirrtes, kleines Kind lief sie im Wald umher. Die Umgebung war so fremd, jeder Laut, jedes Rascheln, jedes Kreischen ließ ihr Herz schneller schlagen. Izara lief weiter. Immer weiter. Mit einem kraftlosen König im Schlepptau, der nur träge seine Füße bewegte. Doch er bewegte sich noch und das war im Moment alles, was zählte. "Nur noch ein Stück", keuchte sie. Die Worte sollten ihr Mut machen, doch Izara spürte nur, wie das leise Wimmern vom Wald verschluckt wurde. "Ich…werde", sein Körper wurde so schwer, dass sie selbst drohte, zusammenzubrechen, "ich werde uns retten!", sagte sie so fest sie konnte. Ganz gleich wie viel Flüssigkeit aus ihren Augen und der Nase floss, sie würde ihn und sich in Sicherheit bringen, bei dem Großen Drachen, und sie würde ihn nicht sterben lassen! Die Bäume rückten dichter zusammen und die Dunkelheit drohte alles zu verschlingen. Ein Hauch von Devons Atem streifte ihren Hals und mit aller Mühe hievte sie ihn durch den großen, fremden Wald. Kapitel 64: Izara ----------------- Irgendwann - Izara konnte es selbst kaum glauben - fand sie eine Höhle. Zwischen Felsen und Gesteinsbrocken war der Eingang kaum zu erkennen gewesen, aber Izara war ein Drache und als Drache war es ein natürlicher Instinkt, jeden noch so versteckten Unterschlupf zu finden. Die Höhle war so verlockend und Izara war zu erschöpft, um das Angebot des Waldes abzulehnen. Zusammen mit dem König wagte sie sich ins Innere. Es tropfte feuchtes, warmes Wasser von der Decke, ein modriger Gestank zog sich durch das Innere. Izara hatte schon Schlimmeres gerochen und so lief sie noch ein Stück weiter hinein. Licht gab es keines, weshalb sie immer wieder stolperte oder sich die Knie an spitzen, herausragenden Steinen aufschürfte. Erst das unheimliche Grollen ließ sie innehalten. Weil es in der Höhle schallte, konnte sie zunächst nicht lokalisieren, woher das Geräusch kam und wie weit sie davon entfernt war. Noch hatten sich ihre Augen nur spärlich an die Umgebung gewöhnt, dass sie das Tier erst bemerkte, als es seinen modrigen Atem in ihre Haare blies. Ein tiefes Knurren und Izara war sich sicher, einem Bären gegenüber zu stehen. "Bitte", hauchte Izara, "ich weiß sonst nicht, wohin." Vermutlich verstand sie der Bär nicht, aber vielleicht spürte er ihre Verzweiflung. Der Bär knurrte weiter. Sie sah seine gewaltige Statur, die sie um das doppelte überragte. Das Tier hatte sich auf seine zwei Beine gestellt, sein Oberkörper beugte sich nach vorne, dass die Nase ihr Gesicht beschnupperte. Izara hielt den Atem an. Dann drehte der Bär seinen Kopf zu dem Drachenkönig, er schnaubte, wandte sich langsam ab und kehrte ihnen den Rücken zu. "Danke", rief sie dem Bären hinterher, der wieder in den Tiefen der Höhle abgetaucht war.   Stöhnend sank sie auf den Boden. Devon hielt sie dabei an den Schultern fest. Ihre Hände zitterten und ihr Atem hörte sich wie die Dampflok an, mit welcher sie vor drei Monden gereist waren. Es dauerte ewig, bis sie dem Drachenkönig seinen Mantel ausgezogen hatte und noch länger, um ihn sicher auf ihren Schoß zu befördern. Sie drehte ihn leicht auf die Seite, obwohl leicht eine Untertreibung war. Der Drachenmann war schwerer als er aussah. Als sie fertig war, fühlte sich ihr Körper schweißnass an. Aber nicht nur Izara. Auch König Devons Stirn war heiß und feucht geworden. Womöglich hatte er Fieber bekommen. Ein weiteres Übel, denn Izara hatte nichts, womit sie seine Beschwerden hätte lindern können. Ganz zu schweigen von den Verletzungen, die sie noch gar nicht zu Gesicht bekommen hatte. Izara kannte sich einfach überhaupt nicht aus. Sie hatte nie gelernt, jemanden zu verarzten. Niemand hatte ihr gezeigt, was sie zu tun hatte, wenn ein Drachenkönig im… Sterben? lag. Vor Schreck drückte sie die Hand vor dem Mund, als könnte sie ihre Gedanken vom Tod zurücknehmen. "Was mach' ich denn nur?", jammerte sie, die Unterlippe halb zerbeißend. Behutsam schob sie Devons Hemd hoch. Es klebte und leistete mehr Widerstand als sie erwartet hatte. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte Izara etwas zu erkennen, aber die Höhle war unerbittlich. Kein Licht drang irgendwo zwischen Felsspalten hervor, es gab keine Löcher, rein gar nichts, in das Strahlen hätten hinein kriechen können.NWimmernd legte sie den Kopf in den Nacken. Ein unnützes Drachenweib war sie - genau. Das sich in ihrem Selbstmitleid verlor, während ihr Retter auf sie angewiesen war. Sie tat einen tiefen, kräftigen Atemzug. Ich darf nicht weinen, sagte sie sich, schniefte und atmete dreimal tief ein. Ihr Herzschlag wummerte gegen ihre Brust, sie versuchte, sich nur noch auf das Atmen zu konzentrieren. Eine weinerliche Himmelsgöttin würde den Drachenkönig nicht retten können. Allmählich spürte sie, wie Wärme durch ihren Körper schoss, Izara versuchte, diese Wärme in ihre Augen fließen zu lassen - genauso wie sie es immer tat, wenn sie ihren Willen durchzusetzen versuchte -, und tatsächlich: zum ersten Mal gehorchte das Drachenblut. Womöglich spürte es die Dringlichkeit. Leuchtend hell glühten ihre Augen, und das Leuchten wurde noch intensiver. Zunächst brannte es, als hätte sie Seifenschaum in die Augen bekommen, doch allmählich klarte sich die Umgebung auf. Die Höhle war geräumiger als sie erwartet hatte. Kein so ungemütlicher Abstellraum wie in Kandio. Auch das Brennen wurde weniger, es juckte lediglich ein wenig, dass sie sich ganz auf Devon konzentrieren konnte. Den nächsten Schreckensschrei unterdrückend, starrte sie auf den blutigen Rücken. Die Schnittwunde sah auf seinem menschlichen Körper noch zerstörerischer aus. Etwas hielt die Wunde zusammen, ein dünner Faden, der elastisch genug schien, den Rücken nicht auseinander zu reißen und das Fleisch nicht wie zwei labberige Reste raushängen zu lassen. Izara schüttelte sich, die Panik übermannte sie von Neuem und mit pfeifenden Atemzügen und schwitzigen Fingern machte sie weiter. Sachte berührte sie die Stellen, die nur von Blutflecken überzogen waren. Weitere Verletzungen schien er zumindest nicht zu haben. Das war beruhigend - ein klein wenig. Die Blutung war auch nicht mehr so schlimm, aber was hieß das schon? Würde der Drachenkönig in ihren Armen sterben? Ein blutleerer Menschenkörper und eine nutzlose Drachenprinzessin in den Tiefen des Feindgebiets? "Nein!", ihre Handinnenfläche schnellte über ihre linke Wange. Die Haut prickelte, doch es erfüllte seinen Zweck. Nur nicht die Nerven verlieren! Ihre Unwissenheit würde sie nicht vor die Hunde gehen lassen! Sie sah zu ihren viel zu weiten Ärmeln - das einzige Stück Stoff, das nicht von Dreck und Schlamm überzogen war. Sie riss sich ein großes Stück von jeder Seite ab. Wenn sie die Wunde wenigstens ein wenig abbinden könnte, würde das dem Drachenkönig vielleicht schon helfen. Sie überlegte nicht lange, zog an den Ärmeln und machte daraus zwei lange, dicke Bänder. Unweigerlich dachte Izara an die Verbände, die Levis für sie gemacht hatte, als Izara am Kochtopf herumgespielt und sich die Hand vebrannt hatte. Ihr Ziehvater hatte behutsam die Hand ergriffen, das Blut abgewischt und- "Ach, Levis…" Fest zog sie die beiden Enden zusammen. Es dauerte nicht lang, da wurden die Stoffe in rote, dicke Farbe getunkt. Also löste sie den Knoten und wickelte ihn von Neuem. Diesmal noch fester. Erschöpft rieb sie sich die Augen. Das Jucken war unerträglich geworden, noch dazu fingen sie auch noch an zu tränen und das führte dazu, dass sie wieder fürchterlich brannten. Mit tränenden, rot-blau-weißen Augen tastete sie sich weiter voran. Sie dachte an Kyia. Der Bergdrache hätte sicher gewusst, was zu tun gewesen wäre. Sie war es auch immer, die ein, zwei Fläschchen Betäubungs- und Heilmittel parat hatte.Und wenn der König auch-, sie dachte ihren Satz nicht zu Ende, sondern packte sich den Mantel und durchsuchte ihn. Bis auf ein paar Papiere fand sie nichts. Darum versuchte sie es mit seinen Hosentaschen und, siehe da, ein Fläschchen mit einer dicken Flüssigkeit! Mit den Zähnen entkorkte sie das Fläschchen. Egal, was es war, es musste helfen! Sie schob ihre Hand unter Devons Kopf und träufelte die stinkende Flüssigkeit in seinen Mund. Der Geruch kam ihr vage bekannt vor. Ihre zitternden Hände machten es schwierig, sie wollte so wenig wie möglich verschütten. Wenn jeder Tropfen nötig war, würde sie das flüssige Heilmittel nicht verschwenden. Sie hob den Kopf noch ein Stück mehr an, ließ die Flüssigkeit zwischen seine Lippen fließen. Bis auf ein paar Tropfen blieb der Inhalt in seinem Mund, sie hatte nicht gesehen wann, aber Devon musste sie herunter geschluckt haben. Izara legte seinen Kopf zurück auf ihren Schoß. Der Herzschlag war unter dem Hemd, das sie wieder heruntergeschoben hatte, kaum zu spüren. Der König atmete ungleichmäßig und leise. Zumindest schien das Fieber nicht weiter anzusteigen (oder Izara war bereits so durchgeschwitzt, dass sie es gar nicht mehr bemerkte). Mit den Fingerspitzen strich sie über seine schwarzen Haare. Die Strähnen hatten sich auf ihren ganzen Schoß verteilt, der Pony hing ihm wirr ins Gesicht, ein paar Haare klebte ihm an der Stirn. Die strenge Gelassenheit, die ihn bei ihrer ersten Begegnung ausgemacht hatte, war völlig verblasst. Izara strich ihm die Haare aus der Stirn, dass seine Augen wieder frei lagen. "Alles wird gut", flüsterte Izara. Sie berührte seine Wange. Ein langer, gerader Schnitt zog sich bis zu seinem Kinn. Die Wunde war verdreckt, und wenn sie nicht aufpasste, würde er noch eine Blutvergiftung bekommen. Izara fasste sich an die Lippen. Sie kannte die Fähigkeiten ihres Speichels. Richtig eingesetzt, hatte er eine reinigende Wirkung. Mayabes Mutter hatte ihnen einmal gezeigt wie es ging. Zusammen hatten die beiden jungen Drachen am Tisch gesessen, während Mayabes Mutter ihnen alles Wichtige vermittelt hatte. Als Weibchen war es unablässig, die antiseptische Wirkung seiner Spucke zu kennen. Wenn sie eines Tages Kinder zur Welt brachte und einen männlichen Erben großzog, dann musste sie ihm während seiner Verwandlung zur Seite stehen. Männchen wurden früh erwachsen. Mit fünfzehn war der Körper für seine Erweckung bereit. Im Gegensatz zu den Weibchen lag es an der Mutter, den Sohn während seiner ersten Verwandlung zu begleiten und seine Wunden zu pflegen. Die jungen, männlichen Drachen waren meist wilder als ihre weiblichen Artgenossen. Ihre Verwandlung verlief rauer und zügelloser. Der junge Drache war wild und kaum zu zähmen, dass er gerne einmal um sich schlug - für einen frisch entpuppten Drachenkörper unvorteilhaft. Damals hatte Izara nicht viel dafür übrig gehabt. Sie war sich wie ein Hund vorgekommen, der seine Kinder über das Gesicht lecken sollte. Mittlerweile wusste sie, dass ihre Abneigung ein Resultat aus Erniedrigung und Vorurteilen war. Erziehung und Knechtschaft hatten sie blind für das gemacht, was einen Drachen wirklich ausmachte und langsam begann sie sich für ihre Gedanken zu schämen. Vielleicht waren sie wie Tiere. Das machte sie aber noch lange nicht zu Wesen niederer Art. Schamlos, denn Scham hatte hier keinen Platz, beugte sie sich nach vorne und begann in langsamen Bewegungen ihre Zunge über das Gesicht zu rollen. Gleichmäßig von oben nach unten - so, wie Maya und sie es spaßeshalber an einer aufgeplatzten Tomate geübt hatten. Ob die Technik richtig war, würde sich noch zeigen. Und wenn das nicht half, dann hatte der Speichel wenigstens Devons Temperatur gesenkt. Wie viel seines Zustandes der Fürsorge geschuldet war, wusste sie nicht und es war ihr egal. Hauptsache sie kam sich nicht so nutzlos vor. Noch war Devon nicht über den Berg, sie musste warten und hoffen, dass der König stark genug war, den Kampf gegen den Tod zu überstehen. Tief atmete sie ein. Das Blut war warm und gar nicht so widerlich, wie sie es sich immer vorgestellt hatte. Wenn man das Metallische außer Acht ließ, schmeckte sie eine nussige Note heraus - vielleicht Mandeln? Drachenblut bestand aus mehr als nur Blutkörperchen und -plasma. Eine dritte Eigenschaft, die sie zu den langlebigen, magischen Geschöpfen machte, ruhte irgendwo dazwischen, doch Izara hatte nie erfahren, was. Die Lippen geschlossen ließ sie von ihm ab. Zwar drang keine Drachenmagie durch ihre Augen, aber Devons Gesicht hatte sie sich so gut eingeprägt, dass sie seine Gesichtszüge sehr genau vor sich sah. Da oben waren die breiten, geschwungenen Brauen, das markante Kinn, die schmeichelhaften Lippen... Ein friedlicher Anblick, wenn sie nicht gerade um sein Leben bangen müsste. Summend richtete sie ihren Oberkörper auf. Die Melodie beruhigte sie. Izara meinte, das Lied vor langer Zeit von ihrer Mutter gehört zu haben. Eine leise, gebrechliche Stimme, die in der Nacht ein Schlaflied summte. Izara hatte ganz verdrängt, wie schön die Stimme ihrer Mutter gewesen war. Alizja, sie hatte so viel geweint, dass die Erinnerungen fast verloren gegangen waren. Izaras eigene Stimme war nicht so lieblich, ganz leise hauchte sie ihm die Melodie eines alten, volkstümlichen Schlafliedes vor, weil ihr Gesang immer noch besser war als die Stille ertragen zu müssen. Das Lied handelte von einem Rehkitz, wie es im Schnee durch den Wald spazierte und Futter für seine kranke Mutter sammelte. Wie das Lied ausging, hatte Izara nie erfahren, sie summte einfach die ersten beiden Strophen und fing dann wieder von vorne an. Das wiederholte sie einige Male, während sie sich auf ihren Duft konzentrierte. Der Himmelsdrache hatte an jenem Abend friedlich geschlafen, als Izara ihren ganz besonderen Geruch verströmt hatte. Sie konzentrierte sich darauf, so wie sie es beim letzten Mal getan hatte. Nach und nach spürte Izara, wie etwas Warmes von ihrem Körper losging. Kurz fürchtete sie sich. Es kam so überraschend, dass ihre Augen wieder zu leuchten begonnen hatten. Der Duft trat schubweise ein und jeder Schub wurde heftiger. Izara wurde mutiger. Das Drachenblut in ihr lockte sie, ermutigte Izara geradezu, weiterzumachen. Also machte sie weiter. Ein heftiger Druck entstand in ihrer Brust, sie erschreckte. Ohne Vorwarnung stieß sich die Magie von ihr ab. Ihr Herz flatterte. Der gesamte Körper begann zu leuchten. Ein warmes, helles Leuchten. Fasziniert sah sie zu sich hinab. Das war also ihre Kraft, ihr Himmelsblut. Die Freude währte nur kurz. Mit einem weiteren Stoß drängte sich die Magie nach außen. Ein Kribbeln setzte ein, dann sah sie ihre Hände, die rau und rissig wurden. Noch einmal schreckte sie zurück, als Äderchen platzten und dunkles, frisches Blut über die Fingerkuppen wanderte. Izara kniff die Augen zu und beförderte die Magie zurück an ihren Platz. Außer Atem, öffnete sie die Augen. Das Leuchten war noch nicht ganz verblasst, und zu allem Übel schien Devon etwas davon abbekommen zu haben. Weiße, leuchtende Flecken bedeckten sein Gesicht - genau dort, wo sie ihn mit der Hand festgehalten hatte. Aus Angst, den Drachenkönig zu verletzen, hatte sie die Hände von ihm genommen. Doch ihre Magie schien etwas anderes vor zu haben. Ein Stück herunter gebeugt, sah sie in den Flecken kleine leuchtende Kügelchen, die Izara an einen Schwarm Glühwürmchen erinnerten. Die Kügelchen streiften einen Teil des Schnitts, den König Devon an der Wange erlitten hatte, schob sich zwischen die offene Stelle und floss in die Haut des Drachenkönigs ein. Devon stieß einen tiefen Atemzug aus. Es kam so plötzlich, dass ihr das Herz stehen blieb. Wie erstarrt schaute sie auf den Drachenkönig herunter. Aber Devon blieb ganz ruhig. Auch Izara beruhigte sich langsam. Sie fasste einen Entschluss. Den Duft zurück nach außen getragen, sammelte sie von Neuem ihre Energie. Diesmal gab sie dem Drachenblut nicht nach, holte tief Luft und begann sich allein auf ihre Atmung zu konzentrieren. Ein- und ausatmen. Ein-... und wieder ausatmen. Gleißendes Licht drang aus ihrem Körper, folgte ihrem leisen Atem, der seinen Rhythmus gefunden hatte. Schließlich harmonierten beide so perfekt miteinander, dass ihr gesamter Körper vibrierte. Das Licht umhüllte die beiden Himmelsdrachen, färbte Izaras Haut fast durchsichtig. Izara selbst konzentrierte sich nur auf den Drachenkönig - wie das Licht durch seinen Körper floss, wohlwollend von ihm aufgesogen wurde, als hätte er nur auf Izara gewartet. Das Licht war so entspannend, dass Izara die Augen schloss und irgendwann von ihrer eigenen Stimme in den Schlaf gesungen wurde. Kapitel 65: Izara ----------------- Die Augen aufgeschlagen, eröffnete sich ihm der eindrucksvollste Sternenhimmel, den er je zu Gesicht bekommen hatte. Kleine Sterne - orange, gold, rot… - tanzten über seinem Gesicht, leuchteten, als würde jeder einzelne von ihnen in einen Wettstreit mit dem Abendstern gehen. Polarlichter erblassten neben dem Farbspektakel, das sich vor seinen trüben Augen abspielte. So musste der Abendhimmel des Nebelreichs aussehen; wenn die Vorfahren durch das Tor des Vergessens schritten, Perm und Dios ihm die Hand gereichten und durch den Schleier des Totenreiches geleiteten. Er war sich sicher, er war tot, und für einen Augenblick war der Tod etwas Schönes und Leichtes. Wie der Nebel selbst verblasste der Gedanke, die Wirklichkeit schleuderte ihn ins Leben zurück und mit einem Ruck fühlte er die kalten Steine in seinen Rücken drücken. Der Blick wurde klarer und die Erkenntnis traf ihn bitter: Das über ihm waren keine Sterne. Es waren winzige Blitze, so fein, dass nur ein Meister seines Fachs am Werk gewesen sein musste. Mehrere Meter schwebten sie über dem Boden, knisterten leise vor sich hin, während die letzten Stunden an seinem geistigen Auge vorüber zogen. Hatten ihn seine Leute gefunden? Wenn ja, waren sie am Leben, und dass sie am Leben sein könnten, war so beruhigend wie furchtbar. Dass dies das Werk eines Blitzdrachen war, war so gewiss, wie der Tag in die Nacht wechselte, und es wurde ihm schwer ums Herz. Der Schmerz übermannte ihn. Körperlich wie seelisch, und er begriff, die Gewissheit, noch nicht aus dem Leben geschieden worden zu sein, war eine Strafe für denjenigen, der ihn von den Toten fernhielt. Vorerst zumindest. Auch der letzte Schleier löste sich vor seinen Augen. Er hatte all seine Kraft verloren, selbst seine Sinne waren nur noch auf das Mindeste beschränkt. Magie war nur noch ein Klumpen, ein zusammengestauchtes Etwas, mit dem sich nichts mehr anzufangen ließe. Er spürte es. Die Endgültigkeit. Ein nahendes Ende. Die Lebensjahre waren verbraucht. Eine Regeneration war aussichtlos und selbst wenn es Rettung gäbe, wäre sie nur vorübergehend. Sein Tod stand in Stein gemeißelt. Er hatte es akzeptiert, auch wenn es schwer fiel. Die Wunde schmerzte, er fasste nach der Stelle, wartete auf das faule Fleisch, das er berührte. Was er zu fassen bekam, war weder Fleisch noch Blut. Die Wunde war abgebunden worden, ein dicker Verband presste sich mit aller Macht gegen den verwesenden Körper. Stöhnend neigte er den Kopf zur Seite. Die Höhle war ihm fremd. Der modrige Geruch von hunderten Drachen und dazu die beißende Note, die die Paladine hinterlassen hatten - einen passenderen Ort zum Sterben hatten ihm die Großen Drachen nicht gewähren wollen, doch er wollte nicht wählerisch sein. Nach den jüngsten Ereignissen standen ihm sowieso nur noch Dreck und Schlamm zu. Er ließ die Gedanken der letzten Stunden - oder wie lange war er bewusstlos gewesen? - zu. Sich zu verstecken brachte nichts und zum Verdrängen fehlte ihm die Zeit. Reue erwartete er nicht und um Vergebung würde er nicht bitten. Er war nich anmaßend, er wusste genau, was er getan hatte und das Geschehene war nicht mehr rückgängig zu machen. Er schloss die Augen. Dass er sich zum Schluss noch mehr hassen könnte, als er es ohnehin schon getan hatte- Doch wenigstens hatte er seinem Nachfolger die Wahl erspart. Ein leises Plätschern riss ihn aus seinen Gedanken. Das Geräusch war so fein, und sein Gehör so geschwächt, dass er ziellos durch die Höhle blickte. Sein Kopf knackte, als er ihn auf die andere Seite neigte. Das Männchen hockte mit dem Rücken zu ihm. Eine Schale Wasser lag zu seinen Füßen. In gleichmäßigen Bewegungen ließ er ein Tuch in die klare Flüssigkeit eintauchen, schwenkte es vor und zurück und zog es sachte aus der Schale, das ja kein Tropfen verschwendet wurde. Blondes, wildes Haar gereichte ihm bis zu den Schultern, wippte auf und ab, sobald er den Kopf ein wenig senkte. Kräftig wrang er den Lappen aus, wobei er kaum einen Mucks von sich gab. Weil er dachte, dass er schlief? Also nicht nur ein starker Drache, sondern auch ein freundlicher. Den Kopf zurück auf den Steinboden gelegt, ergab er sich der Kraftlosigkeit. Das Gesicht des Männchens hatte sich zur Seite geneigt. Das leise Geräusch hatte ihn hellhörig gemacht, jetzt hielt er in seiner Bewegung inne. "Du-", hauchte er mit kratziger Stimme. Der Blitzdrache entspannte, das Gesicht im Profil, drehte er sich um… Erschrocken riss Izara die Augen auf. Etwas bewegte sich auf ihrem Schoß, und Izara war noch nicht aus ihrem Traum zurückgekehrt, dass sie nicht verstand, was gerade vor sich ging. Die Dunkelheit machte es auch nicht besser und dass sie nicht wusste, warum ihre Augen nichts sehen konnten, versetzte sie in einen Schockzustand. Panisch stieß Izara einen Atemzug aus, als ein leises Keuchen ihre Aufmerksamkeit zurück auf ihren Schoß richtete. Stimmt. Sie war in einer Höhle. Mit dem König... Moment!  Der König- Stöhnend richtete sich der Kopf des Königs auf. Die Information rieselte wie in Zeitlupe durch Izaras Kopf. Erst als sich der Oberkörper aufzurichten versuchte, erwachte Izara aus ihrer Starre. "Devon?" "Hm…ja", kam es kratzig aus seiner Stimme. Ihr Herz begann wie wild zu hämmern. "Devon!", rief sie, "du bist aufgewacht." Sie beugte sich hinunter und drückte sich an den Körper des Königs. Ein Zischen durch zusammengebissene Zähne ließ sie die Arme etwas lockerer um seinen Körper schlingen. "Danke", hauchte es direkt unter ihr. König Devon entspannte sich und langsam ließ sie von ihm. "Tut mir leid, Devon ich wollte dich nicht…ich meine, ich wollte Euch nicht…", Izara hielt inne. Sie hatte den König beim Vornamen genannt - ihr stieg die Hitze ins Gesicht. Im Eifer der Freude hatte sie die Etiketten völlig vergessen! "Ich bin so froh, dass Ihr…dass Ihr-", hickste sie und neigte den Kopf. Auch wenn sie ihn nicht sehen konnte, war sie sich nicht sicher, ob es nicht der König konnte. Ihre Augen fühlten sich feucht an, aber weinen konnte sie auch nicht.   "Schon gut", entgegnete König Devon und Izara meinte, ein Lächeln in seiner Stimme herausgehört zu haben. Während er sich aufrichtete, rückte Izara ein Stück zurück. Sie hätte ihm gerne geholfen, doch zum einen konnte sie ihn immer noch nicht sehen und zum anderen bezweifelte sie, dass er von ihr gestützt werden wollte. Die Schmerzen unterdrückend, schaffte es König Devon, seinen Körper in eine aufrechte Position zu bringen. Izara hörte seinen angestrengten Atem an ihrem Ohr. Er saß nicht, aber als Liegen konnte man seine Position auch nicht bezeichnen. Sie lächelte, wischte eine verirrte Träne aus dem Gesicht und legte die Hände sittsam auf ihren Schoß. König Devon war wach - endlich. "Wie lange war ich…weg?", fragte der König mit kratziger Stimme. "Ich weiß nicht genau", gestand Izara, "anderthalb Tage vielleicht. Es war dunkel, als ich das letzte Mal draußen war." Und seitdem war sie nicht noch einmal ins Freie gelangt. Einmal hatte sie sich bewegt, und auch nur ins tiefste Innere, als sie feststellen musste, dass der König völlig ausgedörrt war. Da war sie tiefer in die Höhle gelaufen, hatte etwas Wasser von der Decke auf ihre Hände tropfen lassen, bis ihr das leere Fläschchen wieder eingefallen war und Izara die Zeit damit verbracht hatte, das Wasser in den Behälter tropfen zu lassen. Bei dieser winzigen Öffnung hatte sich die Angelegenheit zu einem komplizierten Spiel entwickelt. "Verstehe", entgegnete König Devon. Er atmete tief ein. Es raschelte, der König versuchte, sich noch ein Stück weiter aufzurichten. Sofort dachte Izara an die Wunde an seinem Rücken. "Bitte", Izara tastete sich vorsichtig nach vorne. Sie fand seinen Arm. Wie Izara vermutete, hatte der König versucht sich aufzusetzen. Sie berührte seinen Ellenbogen, mit dem er sich mühsam abstützte.   "Ihr müsst Euch schonen, König." "Izara?" "Ja?", sie nahm die Hand von seinem Arm. Vielleicht mochte er die Nähe nicht. Schließlich war er es nicht gewohnt, stundenlang von ihr berührt zu werden. Nicht so wie sie. "Weißt du, wo wir sind?", fragte er. "In einer Höhle", antwortete Izara. Und weil ihr die Antwort so peinlich war, fügte sie hastig hinzu: "Wir sind nach Westen gelaufen, bis Ihr…nun ja, ich habe keine sonderlich gute Orientierung. Ich bin einfach… gelaufen. Aber ich glaube, wir sind nicht mehr im Wald der Paladine." "Deine Orientierung ist ausgezeichnet, Izara", sagte der König, "auch wenn wir eher Richtung Südwesten gelaufen sein müssten. Großhöhlen gibt es nur in Medaniens Mitte. Das heißt, du hast es aus dem Feindgebiet geschafft. Hier- ", er stockte, hustete trocken, "ein Bär muss hier leben, richtig? Das bedeutet, die nächste menschliche Siedlung liegt mindestens dreißig Meilen zurück." Izara machte große Augen. Das alles erkannte der König im tiefsten Dunkel einer Höhle? Und überhaupt - so weit waren sie gelaufen? "Aber ich bin überrascht, dass wir Zuflucht finden durften", fügte der König hinzu, "der Bär scheint eine Abneigung gegenüber Eindringlingen zu haben. Bestimmt haben ihn Paladine aus seinem alten Zuhause vertrieben." "Vielleicht hat er uns deshalb geholfen", schlussfolgerte Izara, "Ihr ward voll mit ihrem Blut-" und das Eurem, dachte Izara den Satz zu Ende. "Hm, ja", erwiderte König Devon nach einer kurzen Pause. Es hatte wieder zu Rascheln begonnen, Izara war sich ziemlich sicher, dass er wieder versuchte, auf die Beine zu kommen. "Wirklich, König, Ihr seid noch nicht soweit, aufzustehen", Izara versuchte eindringlich zu klingen, aber in ihren Ohren hörte es sich nur jämmerlich an. Ein leises Lachen folgte. "Es geht schon... Dank deiner Regeneration." "Meiner…Regeneration?", fragte sie überrascht. Sie kannte das Wort. Kyia hatte es erwähnt. Durch die Regeneration hatte sie sich so schnell von den Ereignissen in der Schlucht erholen können. Soweit sie sich erinnerte, hatte es der König bei ihr angewandt. "Sila hatte recht", murmelte der König, "das war sehr riskant von dir, Izara." "Ich…ich habe nur", sie dachte an den intensiven Duft, den sie verströmt hatte, und wandte sich ab, "ich habe nur helfen wollen." "Das hast du", entgegnete der König sanft, "aber ich bitte dich - tu das nie wieder." "Warum?", stieß sie lauter hervor, als sie wollte. Wieso sagte er das, während Izara an seinem Leid fast erstickt wäre? Hatte er eine Ahnung, wie nahe er dem Tod gewesen war?! "Eine Regeneration", erklärte König Devon, "ist die Fähigkeit eines Himmelsdrachen, anderer Leben im Austausch für das eigene zu heilen. Sobald deine Kräfte auf mich übergegangen sind, hast du wertvolle Lebensjahre an mich verschwendet." "Ich würde es nicht als Verschwendung ansehen, dem Drachenkönig das Leben gerettet zu haben", erwiderte Izara etwas trotzig. Er stieß einen tiefen Atemzug aus. "Nein", entgegnete er leise, "aber du bist ein Drachenmensch. Die Lebensspanne von Mischblütern ist nur ein Drittel von dem, was ein Drache eigentlich besitzt. Und keiner weiß, wie es bei einem Mischling mit Himmelsblut aussieht. Das Risiko war viel zu groß." "Wie alt werden denn Himmelsdrachen?" "Etwas neunhundert Jahre." Die Antwort brachte Izara zum Kichern. "Ihr macht euch definitiv zu viele Sorgen, König", sagte sie mit vorgehaltener Hand. "Selbst wenn ich nur dreihundert Jahre werde, ist das mehr, als die meisten Lebewesen zu erwarten haben." "Du unterschätzt die Wirkung der Regeneration, Izara", entgegnete der König streng, "ich weiß, wie es um mich stand, und du", er stieß einen tiefen Atemzug aus, ob vor Schmerzen oder wegen dem Gesagten, wusste Izara nicht. "Ich möchte nicht, dass du dich wegen mir in Gefahr begibst. Ich weiß nicht, wie ich das je wieder gut machen soll." "Ihr habt schon so viel für mich getan, König", entgegnete Izara verlegen, "wir sind quitt." Sein letzter Satz hatte ihren Ärger etwas verfliegen lassen. "Ich weiß, dass Ihr mich bei meiner Erweckung beschützt habt, und auch erst neulich, als ich die Kontrolle über meine Kräfte verloren habe. Ich…ich wollte es Euch nur ein wenig leichter machen, sonst nichts." "Du bist zu so viel mehr fähig, Izara", sagte der König traurig, "es tut mir leid, dass ich dich unterschätzt habe. Ich bin es nicht gewohnt, Hilfe zu bekommen." "Ihr meint, Hilfe anzunehmen", korrigierte sie ihn. Das brachte den König zum Lachen. "Da hast du recht", erwiderte er. Auch Izara konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Es war schön, seine Stimme zu hören. Selbst wenn sie noch schwach und kratzig klang. "Und, Izara?", sie spürte die Wärme seines Körpers, nicht weit von ihrem und ein Teil von ihr sehnte sich danach, dass er noch näher an sich herantrat. "Ja?", fragte sie und puhlte in dem kleinen Loch, das ihr Kleid bekommen hatte, herum. "Du brauchst mich nicht mit König anreden. Du kannst mich ruhig wieder bei meinem Namen nennen. Devon klang sehr hübsch aus deinem Mund." Vor Schreck hatte sie ihre Fingernägel in den Stoff gekrallt und ein faustgroßes Loch in Höhe ihrer Knie gerissen. Kapitel 66: Izara ----------------- "Darf ich das denn überhaupt?", sie dachte an die vielen Regeln und Gesetze. Drachen liebten Vorschriften, an die sie sich Zeit ihres Lebens halten wollten. "Wer, wenn nicht du?", entgegnete er belustigt, "es ist schon so lange her, dass mich jemand bei meinem Namen genannt hat. Also, so richtig. Nicht, dass ich ihn noch vergesse." "Gibt es denn keinen-", Izara hielt selbst inne. Natürlich gab es keinen, der ihn nicht mit seinem Titel anredete. Bedienstete und Leibwächter, das gesamte Volk kannte ihn nur als Drachenkönig, und weil er nun mal der König war, war es ihnen nicht gestattet, seinen Geburtsnamen zu verwenden. Eine dämliche Regel, wie Izara fand. Sie selbst störte sich daran, seit sie im Schloss angekommen war. Der Titel Prinzessin war allgemein und unpersönlich. Sie hatte jetzt schon die Nase voll davon - dabei waren es keine drei Monde, seit sie lernen musste, damit umzugehen, und der König musste schon so viel länger damit leben. "In Ordnung…Devon", hauchte Izara. Ein wenig peinlich war es ihr schon. Es war etwas anderes, ihn mit du anzureden, wenn er bei Bewusstsein war. Sie hatte ihn bei seinem Namen genannt, weil es sich realer angefühlt hatte, als einem König übers Haar zu streichen oder seiner Hoheit die Wunden zu versorgen. "Und jetzt", sagte der König - also Devon - und brachte sich in Position, "sollten wir unser weiteres Vorgehen planen." Izara versteifte sich. "Stimmt", murmelte sie, "die Paladine werden sicher nach uns suchen." "Ich weiß nicht", antwortete Devon, "wenn sie nach uns suchen würden, hätten sie uns gefunden. So weit sind wir von ihrem Lager nicht entfernt - ein Ritt von ein paar Stunden, vielleicht einem halben Tag mehr nicht. Und selbst zu Fuß hätten sie uns einholen können... Trotzdem sollten wir uns beeilen, weiterzukommen." "Meinst du, dass du bereits so weit bist?" Izara bezweifelte es stark. Im Gegensatz zu Devon hatte sie seine Wunde gesehen. "Wir werden bis morgen warten müssen", antwortete Devon fast schon seufzend, "meine Kräfte brauchen noch einen Tag Ruhe. Bis dahin sollten wir uns um unser Lager kümmern. Wenn du mir beim Aufstehen helfen könntest…" "Natürlich." Izara tastete nach seinem Handgelenk. "Was hast du vor?" Der Drachenkönig war bereits in die Hocke gegangen, und Izara stützte ihn ein wenig, damit er wieder auf die Beine kam. "Wir müssen eine Schutzbarriere errichten. Und etwas Licht wäre auch nicht schlecht. Um das erste muss ich dich leider bitten, Izara." "Mich?", sie hatte nicht erwartet, dass er ihre Hilfe in Anspruch nehmen würde - und das gleich zweimal! "Du weißt, was eine Schutzbarriere ist, oder?" "Ich denke schon." Izara spürte seine Hand auf ihrer Schulter ruhen. Es lag viel weniger Gegengewicht als beim letzten Mal. Vielleicht würde der König wieder vollends genesen. Nach den Schrecken der vergangenen Tage war der Gedanke wie Balsam für ihre Seele. "Selbst, wenn ich weiß, was eine Schutzbarriere ist…ich habe doch keine Ahnung, wie das geht", Izara hatte schon Schwierigkeiten, sich eine Barriere vorzustellen. "Ich werde es dir zeigen", entgegnete Devon ruhig, "ich würde es selbst tun, aber mein Zustand erlaubt es mir nicht, Magie anzuwenden." "Ich weiß wirklich nicht, ob ich das kann", dass er plötzlich Vertrauen in sie hatte, war zu viel für Izara. Sie selbst vertraute sich ja nicht einmal genug, dass sie einfach so ihre Himmelskräfte freisetzen könnte. Was, wenn sie einen Fehler machte, alles nur noch schlimmer wurde und überhaupt- "Das Wichtigste ist, dass du die Kontrolle behältst", entgegnete Devon, der mit der anderen Hand an die Steinwand fasste und sich damit abdrückte. Leicht humpelte er. Izara bewunderte die Gelassenheit, die er ausstrahlte. Er musste Nerven aus Stahl haben, dass er die Schmerzen einfach so ignorieren konnte. Sie konnte sich noch nicht vorstellen, wie Devon bis morgen wieder fit werden sollte. "Du bist nur unsicher, weil du nicht gelernt hast, es zu beherrschen", sprach er weiter, "ich weiß, dass es meine Schuld ist. Ich hätte dir zeigen müssen, mit deinem Himmelsblut umzugehen." Er stockte, im Dunkeln stellte sie sich seinen zerknirschten Gesichtsausdruck vor. Leicht angesäuert fuhr er fort: "Ich dachte, es wäre zu gefährlich. Da du ohnehin genügend Schutz durch Kyia hattest, hielt ich es nicht für nötig, dich auszubilden. Ich verspreche dir, wenn wir zurück sind, werde ich das nachholen." Izara brachte nur ein Nicken hervor. Ihr Gesicht glühte, und dass sie ausgerechnet jetzt das Ende der Höhle erreicht hatten, war blanker Hohn. Ein kleiner weißer Fleck tauchte vor ihren Augen auf, bevor das Licht heller und der Fleck immer größer wurde. Es war Tag. Mittagszeit, wie Izara am Stand der Sonne vermutete. Ein paar dicke, graue Wolken bedeckten den Himmel. Die Nacht musste es geregnet haben, noch immer war der Boden weich und matschig. Zuerst steckte Devon den Kopf aus der Höhle. Dabei wies er Izara an, ein Stück hinter ihm zu bleiben, während er die Gegend nach dem Feind absuchte. "Nichts", sagte er schließlich, "entweder hat der Regen unsere Spuren verwischt oder sie suchen wirklich nicht nach uns." "Das ergibt keinen Sinn", sagte Izara mehr zu sich selbst. "Im Hauptquartier war es auch so still gewesen." Nur daran zurückzudenken, ließ sie frösteln. Sie wollte nie wieder an diesen Ort zurückkehren. "Hm", machte Devon, "erzähl' mir, wie du aus dem Gebäude geflohen bist." Und Izara schilderte ihm in allen Einzelheiten von ihrer Flucht. Devon schien wirklich wie ein Schlafwandler hinter ihr her getrottet zu sein, er hatte überhaupt keine Erinnerungen daran und hörte aufmerksam zu. Als Izara fertig erzählt hatte, trat Devon ein paar Schritte aus der Höhle. Er schaute auf den Boden, als inspizierte er jedes braun gewordene Blatt, das von den Bäumen gefallen war. "Ich verstehe", raunte er, "das erklärt, warum sie nicht nach uns suchen." "Du sprichst in Rätseln", entgegnete Izara, dass er seine Spurensuche fürs erste beendete. "Er hat die Plätze getauscht." Devons Antwort ließ Izara die Augenbrauen zusammenziehen. "Der Großmeister", erklärte Devon sich und kratzte sich an den Kopf. Erst jetzt bemerkte Izara, dass er Schwierigkeiten mit dem Sprechen hatte. "Er hat das Hauptquartier mit einer anti-magischen Barriere belegt." Devon schaute nach Osten. Der Wind blies sanft und mild. Für heute war wohl kein Regen zu erwarten. "Das hattest du erwähnt", bestätigte Izara und nickte. Sie fasste sich an den Hals. Selbst jetzt spürte sie den Abdruck des Halsbandes wie eine Mahnung an alte Zeiten. Izara hatte es während ihrer Flucht geschafft, es abzubekommen. Unter zahllosen Flüchen und zusammengebissenen Zähnen. Als Devon von der Schutzmauer erzählt hatte, war ihr übel geworden. Wenn Izara tatsächlich versucht hätte, ihre Himmelsmagie anzuwenden, wäre sie niemals lebend aus dem Verlies gekommen und Devon hätte sich vergeblich geopfert. "Was hat die Barriere damit zu tun, dass niemand auf dem Hauptsitz war?", Izara musste schnell auf andere Gedanken kommen - egal, wie. "Zumindest niemand Lebendiges", fügte sie hinzu und schüttelte sich. "Der Platztausch", antwortete Devon, "ist eine Form der Teleportation. Ich denke, dass ihm keine Wahl blieb und er die Barriere deshalb auf diese Weise verlassen musste." "Dafür hätte er doch Magie anwenden müssen, oder?" "Richtig", antwortete Devon, "ich habe keine Ahnung, wohin er sich und die Überlebenden hingebracht haben könnte. Dafür kenne ich mich zu wenig mit  Erdmagie aus. Sicher ist, dass die Paladine erst einmal andere Sorgen haben werden, als zwei entflohenen Himmelsdrachen hinterher zu jagen." "Meinst du, der Großmeister ist tot?"   "Nein", Devon schloss die Augen. Sie sah, wie er mit dem Gleichgewicht zu kämpfen hatte. Vorsichtig trat sie an ihn heran. "So schnell stirbt er nicht. Er hat einen Schutzwall errichtet, obwohl er sich damit selbst geschadet hat. Das macht nur jemand, der vollkommen irre ist…oder ein Ass im Ärmel hat." Er öffnete die Augen und sah zu Izara herunter. Seine Seelenspiegel begannen wieder an Tiefe zu gewinnen. Izara spürte diesen Sog und senkte die Lider, als der König sie sanft anlächelte. "Wir sollten mit der Arbeit beginnen", mit einem Kopfnicken zeigte er auf den Eingang der Höhle. Stimmt, das stand ja auch noch offen. Unsicher nickte sie. Devon trat ein paar Schritte näher an die Höhle, dass seine rechte Hand die Steinwand berührte. Izara folgte ihm. Kapitel 67: Izara ----------------- "Du musst die Schutzmauer in der Höhle errichten. Sonst können andere sie sehen", sagte er, dass Izara mit zwei Sprüngen zurück in der Höhle war. Er nahm ihre Hand, Izara sah dabei zu, wie er ihren Handteller auf die Steine legte. "Egal, was du tust", er schaute sie an, dass sie nicht anders konnte, als seinen Blick zu erwidern, "denk' daran, die Kontrolle zu behalten. Kontrolle ist der Schlüssel zum Erfolg. Es ist deine Kraft, Izara. Lass' nicht zu, dass das Himmelsblut über dich bestimmt. Glaub' mir, ich weiß, wovon ich rede." Sie hätte gerne mehr darüber erfahren, doch Devon ließ ihre Hand los und fuhr fort: "Sobald du deine Kräfte spürst, musst du dich konzentrieren. Lass' die Magie nicht sofort aus dir heraus. Sie gehört dir, lass' sie das spüren." "In Ordnung", hauchte Izara zurück. Sie wandte sich ab und richtete ihre Augen auf das kalte, feuchte Gestein. "Angeborene Magie ist intuitiv", erklärte Devon, "stell dir deine Kraft als Luftballon in deinem Bauch vor. Je mehr Luft hineingedrückt wird, umso größer wird er. Dasselbe passiert mit deiner Magie. Du musst sie wachsen lassen…kontinuierlich, in gleichmäßigen Schüben. Dafür brauchst du nur deine Atmung kontrollieren." Sie spürte seinen Blick, dicht neben sich. Er war eindringlich, so intensiv, dass sie schlucken musste. Gut, dann mal los! Izara versuchte, sich aufs Atmen zu konzentrieren. Das Himmelsblut regte sich. Schneller als sie erwartet hatte. Die Magie fühlte sich einfacher und leichter an. Sie kitzelte Izara, ließ sie eine Mischung aus Vorfreude und Misstrauen empfinden. Wie ein fremdes Bewusstsein, schien es Izaras Gedanken zu kennen und die Stellen anzuregen, mit denen sie sich nie groß herumschlagen wollte. Sie kniff die Augen zusammen, verstaute ihre Kräfte mitsamt der Angst in ihr Innerstes. "Halt die Augen geöffnet", sagte Devon sanft, aber bestimmt. Konnte es sein, dass auch er ihre Unsicherheit spürte? "Ich glaube nicht, dass ich das kann", entgegnete Izara. Ihre Finger wurden rutschig, sie begann an den Händen zu schwitzen. Schon jetzt war sie vollkommen aus der Puste, und das nur, weil sie ihre Kräfte unter Verschluss halten wollte. Sie fragte sich, wie sie die letzten neunzehn Jahre damit das Himmelsblut unterdrücken konnte. "Konzentriere dich, Izara", seine Stimme drang wie ein Echo in sie ein. Izara öffnete zaghaft ihre Augen. Sie atmete ruhig, obwohl ihr Herz wie ein Hammer auf sie einschlug. "Du brauchst keine Angst haben", versicherte Devon, "ich bin da. Ich pass' auf, dass dir nichts passiert." Sie spürte, wie seine Worte wie Sirup durch ihr Innerstes rutschten. Izara probierte es auf ein Neues. Ja, Devon war hier. Er würde auf sie aufpassen, und Izara würde im Gegenzug alles dafür tun, um auf ihn aufzupassen. Die Magie formte sich in ihrem Bauch. Sie spürte ein heißes Kribbeln unterhalb ihres Nabels. Hitze stieg in ihre Augen. "Versuch' die Magie durch deine Hände fließen zu lassen", Devons Stimme dicht hinter ihr war Ruhe und Aufregung in einem. Er war erst der Grund, weshalb ihr Himmelsblut so aufgeregt war. Mit aller Macht verdrängte sie ihre Hormone. Sie atmete tief ein, stellte sich vor, wie ihre Kräfte durch ihren Arm direkt in ihre Hand flossen. Aus Vorstellungskraft wurde Realität. Ein warmes, einladendes Leuchten umhüllte ihren Oberarm, wanderte als Schlange weiter ihren Ellenbogen entlang, bis es in ihrer linken Hand innehielt. "Sehr gut", lobte Devon, und Izara konnte ein triumphierendes Grinsen nicht unterdrücken. "Jetzt", sagte der Drachenkönig und lenkte ihre Aufmerksamkeit zurück auf das Wesentliche, "versuche dir mithilfe deiner Magie die Höhle vorzustellen." "Wie meinst du das?", Izara sah ihn fragend an. "Größe und Struktur, ihr Aussehen, die Form… Wenn du dich auf deine Kräfte konzentrierst, werden sie dir alles sagen, was du wissen musst." Sollte sie etwa die Steinmauern befragen? Izara hatte keine bildliche Vorstellung von dem, was Devon von ihr erwartete. Aus seinem Mund klang es so unglaublich einfach. Als müsste man nur seine Kräfte anzapfen, damit sie ihm sagten, was man wissen wollte. Aber für Izara war das alles viel zu abstrakt. Sie spürte, wie die Unsicherheit an ihren Fähigkeiten nagte. Das Leuchten wurde blasser, dass Izara die Zähne zusammenbiss und die Kräfte zurück in ihre Hände beorderte. Erkenntnis traf sie. Vielleicht hatte Devon recht und es war so einfach. Wenn sie ihren Kräften sagen konnte, dass sie sich zurückziehen sollten, würden sie vielleicht auch Antworten geben, wenn sie danach verlangte. In ihrem Kopf entstand die Frage - oder eher eine Bitte. Izara spürte, wie ihre Worte wie Rauch verpufften, an der Wand zerschepperten als hätte sie mit Seifenblasen um sich geworfen. Also probierte sie es von Neuem. Die Luft eingeatmet, ließ sie sich auf die Wärme in ihrer Hand ein. Der Handteller begann zu pulsieren, und wenn sie sich noch stärker darauf fokussierte, spürte sie auch das Pulsieren des Gesteins. Es erinnerte Izara an einen Herzschlag. Ein wildes Pochen, ein Sprinter auf seinen letzten Metern gleichgesetzt. Sie konnte es sogar hören. Das stetige Hämmern einer zum Leben erwachten Höhle. Auf einmal roch sie Dinge, die sie vorher noch nicht bemerkt hatte. Den abgestandenen Atem des Bären, der mehrere Meter von ihnen eine Maus verspeiste. Eine Quelle irgendwo in der Mitte und ein paar Sträucher wilder leeren, die sie nicht kannte. In der Höhle gab es so viel mehr als Feuchtigkeit und einen grummeligen Zottelbären. Sie war gewaltig, beeindruckend. Allein schon, dass sie ihn fühlte, ließ sie Dinge sehen, die ein Auge nicht wahrnehmen konnte. Ehrfürchtig stieß Izara den Atem aus. Natur hatte sich noch nie so echt, so…lebendig angefühlt. "Es ist unglaublich", flüsterte sie. "Das ist dein Himmelsblut", sagte Devon. Er war so dicht hinter ihr, dass er seine Worte in ihren Haaransatz raunte. Gänsehaut breitete sich auf ihrem ganzen Körper aus. "Jetzt musst du nur noch die Barriere errichten." "Was muss ich tun?", wollte Izara wissen. Gerade fühlte es sich an, als könnte sie alles schaffen. "Alles hängt mit deinem Willen zusammen", meinte Devon, "wenn du ganz genau weißt, was du willst und warum du es willst, kannst du fast alles erreichen." "Was ich will und warum", wiederholte Izara leise und nickte. Sie wollte eine Barriere errichten. Einen Schutzwall durch die Kraft ihrer Himmelsmagie. Das Leuchten in ihrer Hand flackerte wie eine Kerze im Wind. Ungehalten und doch genügte ein falscher Lufthauch, dass sie erlöschte. Izara atmete weiter. Sie dachte daran, wie ihre Magie durch Devon geflossen war, als er sie so dringend benötigt hatte. Ihr Innerstes begann, weitere Magie zu formen. Der Luftballon zerteilte sich. Viele kleine Blasen schwebten in ihr, sie spürte das Kribbeln und den Druck. Sie begriff, dass ihre Magie leichter heraufbeschworen wurde, wenn sie dabei an Devon dachte. Ihn wollte sie beschützen, und wenn sie dafür die gewaltigste Barriere der Welt errichten musste. In ungleichmäßigen Schüben traten die Blasen aus ihrer Handfläche. Weiß-blaue Leuchtkugeln, die sich an den Wänden verteilten. Es wurden immer mehr. Die Blasen klebten sich an dem Gestein fest, leuchteten greller und greller- "Izara", Devons Stimme gebot ihr Einhalt. Sie starrte auf ihre Hand. Blut quoll aus ihren Nägeln. "Denk' daran - du hast die Kontrolle." Seine Worte zwangen Izara dazu, sich zu konzentrieren. Das Leuchten wurde schwächer. Die Blasen verteilten sich nach und nach. Ein letztes Schimmern, dann waren die Blasen verschwunden. "Es hat geklappt?!", sagte Izara und konnte es selbst kaum glauben. Die Höhle sah aus wie immer, aber Izara spürte ihre Magie durch die Wände fließen. Izara wandte sich an Devon. "Das hat es", bestätigte er. Izara lächelte, bevor sie sich eine Strähne hinters Ohr klemmte und ganz schnell ihren Blick zur Seite drehte. Kapitel 68: Izara ----------------- Für den restlichen Tag war es genug Magie gewesen. Izara hatte sich leicht überzeugen lassen. Die Barriere hatte sie an ihre Grenzen gebracht, sie spürte die Erschöpfung, spürte, wie das Himmelsblut sich zur Ruhe bettete. Es war wohl das Beste, darauf zu hören. Nach ihrer ersten erfolgreichen Unterrichtsstunde wollte sie nicht gleich übermütig werden. Dass Devon dennoch ein Feuer entzünden konnte, hatte Izara überrascht. Sie hatte sich kurz frisch machen wollen und war etwas tiefer in die Höhle vorgedrungen. Nachdem ihr die Magie gezeigt hatte, dass es hier sogar eine Quelle gab, hatte sie sich von Devon überreden lassen, sich eine Auszeit zu gönnen. Das Wasser war überraschend angenehm. Sie war kühle Temperaturen, wie die des königlichen Badehauses gewohnt, dass sie das milde Wasser überhaupt nicht störte. Fast schien es ein ruhiger und entspannter Ort zu sein. Nur, dass sie es nicht wirklich genießen konnte. Viel zu sehr dachte sie an Devon und dass sie ihn zu lange allein gelassen haben könnte. Izara wusste nicht, woher die plötzliche Überfürsorge kam, aber es behagte ihr nicht, einen verwundeten Himmelsdrachen sich selbst zu überlassen. Kein Wunder, dass Trias ständig am Durchdrehen war! Wenn sie sich vorstellte, jede Woche dieselben Strapazen mit ihm durchmachen zu müssen, wäre sie vielleicht auch so eine Glucke. Eilig hatte sie das Fläschchen mit Wasser gefüllt und war zurück zu Devon gelaufen. Dieser hockte vor dem frisch entzündeten Feuer und Izara starrte ganz verblüfft in die Flammen, die sich in der Mitte eines Steinkreises eingefunden hatten. "Ich wusste gar nicht, dass Himmelsdrachen auch das Element Feuer beherrschen", sagte sie und beobachtete, wie das Feuer friedlich vor sich hin knisterte. "Als [style type="italic"]beherrschen[/style] würde ich es nicht bezeichnen", sagte er und hielt einen Feuerstein in die Höhe, "aber ja, ich kann Feuer machen." Izara glotzte den Stein an. "Oh", mehr schaffte sie nicht zu sagen. Devon lachte auf - ein kurzes, freundliches Lachen. Izara hatte es noch nie bei ihm gehört und es klang erfrischend ungezwungen. "Auch Drachen greifen manchmal auf einfache Tricks zurück", fügte Devon hinzu. Trias darf das nie erfahren", sagte sie gespielt empört. Sie setzte sich neben ihn. "Dass ihm ein Stein seinen Titel abspenstig gemacht hat…" "Manchmal habe ich darüber nachgedacht." "Bringt er dich wirklich so auf die Palme?" "Er ist…überfürsorglich. Aber am Ende des Tages weiß ich, dass er der Richtige für diese Arbeit ist. Ich vertraue ihm wie niemandem sonst." Das Geständnis verblüffte Izara. Sie senkte den Blick. "Er wird sich große Sorgen machen, wenn wir so lange wegbleiben", sagte sie leise. "Trias weiß, was zu tun ist", entgegnete Devon und war wieder der ruhige, beherrschte Himmelsdrache, "auch wenn es ihm schwer fällt, die Füße still zu halten", er seufzte. "Eine Woche plant er mindestens ein. Er kennt die Gegenden besser als jeder andere Drache. Er weiß, dass wir einen Umweg nehmen müssen." "Sind die Zeichnungen von Trias?", Izara deutete auf den Mantel, der zusammengefaltet neben dem König ruhte. Devon nickte. "Das habe ich ihm gar nicht zugetraut", Izara zog die Knie zu sich heran, ihre Arme schlang sie um ihre Beine. "Trias ist nicht nur mein Leibwächter", entgegnete Devon, der sich auch hingesetzt hatte, "er ist auch mein Kartograph und Navigator." Er nahm einen Stock und schürte in dem Feuer herum. "Das Holz ist vom Regen durchweicht", sagte er nach einer Weile, "wenn wir Glück haben, wird es noch die halbe Nacht brennen." Sie hatten kein Glück. Das Feuer erlöschte, noch bevor sie sich zur Ruhe legten, und es wurde bitter kalt. Izaras erste richtige Nacht in der Höhle, und ihrem Körper schien es gar nicht zu gefallen. Die Angst um Devon, die Himmelsmagie, die sie umhüllt hatte - das alles hatte die Temperatur im Inneren unterdrücken können. Nun kühlte sie aus, obwohl sie nahe an der Feuerstelle lag und die letzten Holzstücke am Verrauchen waren. Sie zog die Beine bis an die Brust heran und schlang die Arme fest um den Oberkörper. Doch es nützte nichts. Ihre Kleider zogen die Feuchtigkeit des Bodens auf. Izara schüttelte sich, zog sich wie ein Embryo zusammen und kniff die Augen zu. Hinter ihr hörte sie es Rascheln. Devon hatte bis zuletzt alles unternommen, um das Feuer am Laufen zu halten. Doch auch ein Himmelsdrache musste sich den Naturgesetzen beugen. "Ist dir kalt?", fragte er und Izara hätte fast die Augen verdreht, als ihr bewusst wurde, dass seine Haut weniger darunter litt als ihre. Drachen hatten von Geburt an eine höhere Körpertemperatur. Warum das ihr eigener Körper noch nicht kapiert hatte, konnte wohl nur an dem Menschenblut liegen und zornig biss sie die Zähne zusammen. "Es geht schon", murmelte sie in ihren Arm und versuchte, sich an die Wärme der Flammen zu erinnern. Es dauerte nicht lang und sie spürte ein schweres Stück Stoff auf ihrem Körper liegen. Es war Devons Mantel. Kurz darauf trat der Drachenkönig selbst an sie heran. Dicht hinter ihr bemerkte sie, wie er einen Arm um sie legte und sie zu sich heranzog. Eine schnelle, kräftige Bewegung und Izara war an Devons Statur gepresst. Ihr Herz setzte kurz aus, bevor ihr Körper wohlwollend seine Wärme in sich aufnahm. Seinen Oberkörper an ihrem Rücken spürend, während sein Kinn an ihrem Kopf ruhte, schloss Izara die Augen und genoss für einen Moment die daraus entstandene Zweisamkeit. "Besser?", fragte er. "Besser", antwortete Izara. Sie spürte sein Lächeln, dass ihr Kopf zu glühen begann. Die Kälte war wie weggeblasen.Sie erinnerte sich an die Nacht in seinem Zimmer. Wie der Drache Izara umschlungen hatte. Doch diese Nähe war noch viel intensiver, denn sie wusste, Devon tat es im vollen Bewusstsein. Auch wenn er sie bloß zu wärmen versuchte, fühlten sich seine Arme kraftvoll und beschützend an. Sein Herzschlag beruhigte Izara, sein Atem streifte ihre Haare und beinahe seufzend kuschelte sie sich tiefer in ihre Kuhle hinein. Sie neigte den Kopf, ließ es zu, dass ihre Nasenspitze an seinem Unterarm ruhte. Sobald die erste Aufregung vorüber war, entspannte sie sich. Die Ruhe und Geborgenheit übermannte sie und die Erschöpfung der letzten Tage prasselten auf sie ein. An Schlaf war trotzdem nicht zu denken. Sobald ihr Geist die nötige Ruhe hatte, kreisten Izaras Gedanken um den Kampf im Schloss. Levis Gesicht erschien ihr immer wieder. Die entstellten Körperteile, das Lachen des Paladins, als er ihn einfach vom Drachen gestoßen hatte. Izara kniff die Augen zusammen. Sie sah Kaia, deren Schicksal mit dem Tod von Levis besiegelt worden war. Selbst wenn sie überlebt hatte, würde die Hyrakonda ihrem Leben selbst ein Ende bereiten. So waren diese unterschätzten Kreaturen nun einmal. Sobald ihr Liebster verstarb, hatten auch sie keinen Grund mehr zu leben. Izara wollte nicht wissen, was aus ihr geworden war, bliebe das Ergebnis doch dasselbe, und gerade jetzt wollte sie die Wahrheit nicht hören. Sie war sich sicher, dass sie ihr mehr Qualen bereiteten als die Ungewissheit. Izara brannten noch so viele andere Fragen auf den Lippen. Was war mit Dragor? Wer hatte überlebt, wer nicht? Und was war mit Solar? Die letzte Frage nistete sich tief in ihr ein. Der Bruder ihrer besten Freundin hatte sich für sie geopfert. Als sie ihn zuletzt gesehen hatte, hatte er sich kaum bewegen können. Vielleicht könnte sie Devon fragen. Wenn er im Schloss gewesen war, könnte er wissen, was mit dem Blitzdrachen passiert war. "Devon", hauchte sie, unsicher, ob er nicht schon schlief. "Ja", nuschelte er kurze Zeit später in ihr Haar. "Darf ich dich etwas fragen?" "Was du möchtest", antwortete er und schien sich mit dem Gesicht ein Stück von ihr entfernt zu haben. Sie tat einen tiefen Atemzug. Die Wahrheit war - sie hatte Angst. Angst vor der Realität, die in der Höhle, mit dem König im Arm, so weit in die Ferne gerückt worden war, dass sie die furchtbaren Ereignisse beiseite schieben konnte. Verdrängen war etwas Schönes, gerade jetzt, wo ein Hauch von Hoffnung bestand. Die letzten Tage hatten nur Tod und Verzweiflung mit sich gebracht und Izara wusste nicht, wie sie noch mehr schlechte Nachrichten verkraften sollte. Kapitel 69: Izara ----------------- Devon wartete auf ihre Frage und weil sie ihn nicht anschweigen wollte, sagte sie das Erstbeste, das ihr einfiel: "Dein Akzent - ich habe mich immer gefragt, woher er kommt", sie machte eine kurze Pause. Der plötzliche Themensprung war vielleicht nicht die beste Idee, doch Izara plapperte einfach weiter, damit sie der Finsternis in ihrem Herzen entkam. "Du stammst nicht aus Medanien, oder?" Für einen Moment war es sehr still in der Höhle und Izara wollte ihre Frage schon zurücknehmen, als Devon antwortete: "Das liegt daran, dass ich in Raj groß geworden bin. In der Himmelsstadt wird sich nur durch Schallwellen verständigt. Ich habe die Menschensprache erst vor fünfundzwanzig Jahren lernen müssen." "Du wurdest in Raj geboren?", fragte Izara ehrfürchtig. Hinter ihr schüttelte Devon den Kopf. "Ich habe dort die meiste Zeit gelebt. Ich habe den großen Drachen als Kommandant gedient, aber geboren bin ich in einer Siedlung in der Nähe von Logia." Logia. Die ehemalige Residenz der Himmelsgöttinnen. In einer ruhigen Nacht hatte sie von Linnora alles erfahren, was die Bedienstete aus Erzählungen wusste. Das einstige Schloss, das die Drachenkönigin und ihre Weibchen bewohnten, war zu Hochzeiten die Geburtsstätte vieler bedeutender Drachen gewesen. Eine sichere Festung für junge Mütter, die von der Himmelsgöttin behütet und beschützt worden waren. Aus dem malerischen Schloss und der bedeutenden Stadt Logia, war Logia die zerstörte Stadt geworden. Ein Tabuthema für viele Drachen. Izara erinnerte sich, dass auch der König lieber geschwiegen hatte. "Dann wurdest du als Drache geboren", hakte Izara vorsichtig nach. "Ja." "Kyia hat mir erzählt, dass die meisten Drachen, die aus einem Ei geschlüpft sind, gar nicht ihre Eltern kennen." Izara fand es traurig, selbst wenn ihre eigene Mutter kaum etwas für sie übrig gehabt hatte, war sie froh gewesen, sie wenigstens gekannt zu haben. "Das trifft aber nur auf die zu, die aus bevölkerungspolitischen Gründen Nachkommen zeugen", erwiderte Devon. Seine rechte Hand lag auf ihrem Bauch, es fiel Izara immer schwerer, sich zusammenzunehmen. Den halben Tag hatte sie schon damit zu kämpfen gehabt, ihren Duft in Schach zu halten. Mit ihren außer Kontrolle geratenen Hormonen kam sie sich wie ein läufige Hündin vor. Wie machten das bloß die anderen Weibchen? "Die Eier in der Schlucht", fragte sie weiter nach, "sind sie auch aus politischem Gründen...?" "Ja", raunte er zurück, dann folgte ein leises Schnauben, gefolgt von einem…Lächeln? "So war das bei mir nicht. Ich kannte meine Eltern recht gut. Ich bin mir sicher, sie haben sich geliebt." "Ich wollte nicht-", versuchte sich Izara zu entschuldigen, doch Devon winkte ab. "Schon gut. Du kannst es ja nicht wissen. Für meine Eltern war diese Art der Zeugung einfach sicherer. Nicht alle Drachen, die Eier legen, tun das, um Distanz zueinander zu wahren. Meine Eltern waren Soldaten. Sie haben der Himmelsgöttin gedient. Es war einfach zu gefährlich, einen Drachen neun Monate im Bauch herumzutragen." Das konnte sich Izara sehr gut vorstellen. Wer konnte einem Himmelsdrachen dienen, der sein eigenes Leben wie einen Augapfel hüten musste? "Ich wusste nicht, dass Himmelsdrachen anderen Himmelsdrachen dienen." "Meine Eltern waren auch keine Himmelsdrachen." Sie stockte. "Was?!", rief Izara dann aus und drehte ihren Kopf. Sie konnte Devon nicht sehen, aber sein Atem war knapp über ihrer Nasenspitze. "Das ist unmöglich", sagte sie und starrte in die Dunkelheit hinein, "ich meine, nur zwei Himmelsdrachen können einen Nachfahren ihrer Art zur Welt bringen. Darum sind sie doch auch so selten." "Das ist richtig", antwortete Devon ruhig, "aber Ausnahmen bestätigen die Regel. Meine Eltern sind Blitzdrachen. Du weißt, dass sie direkte Nachfahren der Himmelsdrachen sind? Alle paar hundert Jahre geschieht es, dass ein Blitzdrache ein Junges mit Himmelsblut gebärt. Niemand weiß, wieso, aber die Großen Drachen werden schon irgendeinen Zweck darin sehen." Izara kannte diesen Zweck und sie war sich sicher, Devon kannte ihn auch - selbst wenn er es nicht ansprach. "Deine Eltern", murmelte Izara und dachte an ihre eigene Kindheit zurück, "sie haben dir viel bedeutet, nicht wahr?" Eine leichte Bewegung und Devon hielt sie noch fester im Arm. Wenn es nach ihr ginge, hätte er sie noch enger umschlungen halten können. Diese Art von Schmerz könnte sie gerade gut gebrauchen. "Ich habe nicht viel Zeit mit ihnen verbracht", antwortete er und drückte seine Lippen auf ihren Haaransatz. Selbst unter einer Schicht von Haaren fühlten sie sich weich und voll an. "Meine Eltern dienten der Himmelsgöttin in Logia, während man mich in die Himmelsstadt brachte." "Wieso?" "König Juras entschied, dass es so am sichersten sei." "Mein…Vater hat das entschieden?", Izara dachte an den Traum von letzter Nacht (oder war es schon Tag gewesen?). An den sterbenden König, dem nichts geblieben war. "Himmelsdrachen spazieren nicht einfach durch die Gegend", sagte Devon, "zumindest war das früher so. Schon immer fürchtete man um das Überleben unserer Art. »Der Untergang der Himmelsdrachen ist der Untergang der Drachen.« Es klingt dramatisch, aber die Wahrheit ist, dass unsere Rasse ausstirbt, wenn nicht genug starke Drachen geboren werden, die von den Himmelsdrachen ihren Segen erhalten. Für die Sicherheit der Himmelsdrachen wurde seit Anbeginn der Zeit gesorgt. Ihre Pflichten geschahen immer im Verborgenen - als Kommandant der Himmelsstadt, als König in Dragor und als Himmelsgöttin in Logia. In Raj hatte ich die Chance, ausgebildet und unterrichtet zu werden. Meine Eltern hätten dem Drachenkönig niemals widersprochen und deshalb schickten sie mich fort." "Wie alt warst du?" "Das war kurz nachdem ich mich der Gestaltwandlung bedienen konnte. Also muss ich ungefähr neun gewesen sein." "Himmelsblut hin oder her - es ist trotzdem schrecklich, ein Kind seinen Eltern zu entreißen und es in einer fremden, weit entfernten Stadt aufwachsen zu lassen." Izara wusste nicht, auf wen sie wütender war. Auf König Juras, Devons Eltern oder doch auf Devon selbst, der das einfach hinzunehmen schien. Als ob der Befehl eines Himmelsdrachen einem den eigenen Willen beraubte. "Hattest du denn keine Angst?", fragte sie und stellte sich einen kleinen, verängstigten Himmelsdrachen vor. Es fiel ihr schwer, sich Devon als unsicheren und schüchternen Jungen vorzustellen. Einem süßen kleinen Drachenjungen mit durchscheinenden Schuppen und leuchtend blauen Augen- "Izara", entgegnete er. Sobald er ihren Namen sagte, brodelte es in ihrem Bauch, "du brauchst dir keine Gedanken machen. Das liegt viele Jahre zurück, und ich habe es nie bereut, der Himmelsstadt gedient zu haben." "Was bedeutet es, der Himmelsstadt zu dienen?", fragte Izara weit weniger angesäuert als noch vor ein paar Minuten. "Ich war Kommandant der ersten Einheit der Himmelsarmee. Wir haben die Flugrouten zwischen den Bodenstädten und Raj gesichert." "Du hast den Himmel beschützt?", fragte sie überrascht und hob ihren Kopf. Dabei lag sie gefährlich nahe an seinem Gesicht. Sein Atem war nun so dicht an ihren Lippen, dass sie sich schüchtern abwandte und den Kopf zurück auf die andere Seite drehte. Langsam beruhigte sich ihr Herzschlag. Sie dachte über das Gesagte nach und gelangte schließlich zu der furchtbaren Erkenntnis: "Können die anderen Drachen deshalb nicht nach Raj fliehen? Weil du nicht mehr da bist, um den Himmel zu beschützen?" "Seitdem der alte König fort ist", entgegnete Devon kühl, "haben die Paladine viele der Himmelsstrecken in und um Medanien eingenommen. Es war schon immer schwierig, die Route unter Kontrolle zu halten. Vor allem nachdem Logia zerstört wurde und die Paladine ihren Machtanspruch in Medanien eingefordert hatten." Izara hatte kein Verständnis für den König von Medanien. Dass er sich wie eine Marionette lenken ließ und gar nicht merkte, wie sein Einfluss innerhalb des Volkes schwand. Die Leute hatten kein Vertrauen in die Medanische Monarchie, sie verließen sich auf die Paladine, die für »Ruhe und Ordnung« gesorgt hatten. Die den rüpelhaften Studenten und Langzeitstreunern einen Job und den Alten einen Grund, sich zu beschweren gegeben hatten. Die Einführung des Halsbandes war ein »Verdienst der Medanischen Paladinschaft«, so hatten es die Leute aus Kandio immer stolz verkündet. In ihren Augen war die Knechtschaft eine Befreiung. Sie stand für Kontrolle, Wohlstand und Frieden. Izara kannte die Allegorien aus Schultagen in- und auswendig. Das Gesicht verzogen, stieg Zorn in ihr hoch. Die vielen Gefühle, die sich in ihrer kleinen Seele eingenistet hatten, brodelten stark an der Oberfläche. Ein leises, aus dem tiefsten ihres Innersten hervor geholtes Grollen donnerte durch die Höhle. "Es ist alles gut", flüsterte ihr diese einnehmende Stimme ins Ohr. "Devon", hauchte Izara, krallte sich fest an den Ärmel seines Hemdes, "ich will, dass das aufhört." Ihr Satz war kindisch, aber das einzig Ehrliche, das sie über die Lippen bringen konnte. "Ich weiß", entgegnete er. Egal, wie ruhig er klang, Izara spürte seine Anspannung, die Trauer und die Ratlosigkeit. Sie waren ein Spiegelbild des alten Königs. Izara hatte seine Gefühle am eigenen Leib erfahren und auch jetzt vibrierte Königs Juras Schmerz in ihrer Brust. Es war eine Bürde, die von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Izara war sich nicht sicher, ob sie das akzeptieren wollte. Kapitel 70: Izara ----------------- Zwei stechend grüne Augen begegneten seinem kraftlosen Blick. Die blonden Haare fielen über seine Schultern, bedeckten ein Stück seines Nackens und doch leuchtete ihm das Halsband wie eine Warnung entgegen. "Du bist-" "Ihr solltet lieber nicht sprechen, Hoheit", sagte der Blitzdrache in ihrer Sprache und richtete sich auf. Seine Bewegungen waren geschmeidig, das Halsband trug er mit einer Selbstverständlichkeit, dass ein starker Stich von seinem Herz ausging. "Woher hast du so zu sprechen gelernt?", fragte er und spürte, wie die eigene Sprache wie dumpfer Schall durch sein Innerstes rauschte. Trotzdem war es allemal besser, als die Stimmbänder zu benutzen. Den Lappen in der Faust, kam sein Retter auf ihn zu. Seine grünen, kühlen Augen wanderten über die Bandagen. Ein prüfender Blick. Er tat das nicht zum ersten Mal, das verriet die Art, wie er ihn verbunden hatte. Wenn der Blitzdrache so versiert war, wusste er auch, dass er nicht mehr viel für ihn tun konnte. Er fasste nach der Hand seines Retters, die Seelenspiegel trafen auf das langsam verblassende Blau seiner eigenen zwei Augen. "Du musst schleunigst von hier verschwinden", seiner Bitte fehlte die nötige Kraft und doch war es der einzige Gedanke, der ihm durch den Kopf ging. "Hoheit", sprach der Blitzdrache, schüttelte seine Hand ab und tupfte ihm den Schweiß von der Stirn, "ich tue, was ich tun muss. Und das wisst Ihr." "Du musst gar nichts", erwiderte er rau und hustete, dass er es bis in die Eingeweide spürte. "Ich habe dich im Stich gelassen. Ich habe euch alle im Stich gelassen", traurig sah er auf das Halsband. Auf den ersten Blick schien es so gewöhnlich, doch er kannte ihre Macht und er hatte einfach nur zusehen können, wie sie sein Volk nach und nach unterdrückt hatte. "Es war meine Entscheidung", sagte der Blitzdrache, wischte ihm die Wangen sauber und legte den Lappen beiseite, "genauso, wie es meine Entscheidung ist, Euch zu helfen." "Wenn du entdeckt wirst", raunte er, "wenn sie uns entdecken", er wollte sich die Szenarien gar nicht ausmalen. "Niemand wird kommen", entgegnete der Blitzdrache mit fester Stimme, "wir sind in einer offiziellen Höhle, Hoheit - nur wenige Meilen von Kandio, einer Provinzstadt im Südosten, entfernt." So weit hatte er sich also entfernt. Wenigstens etwas, das ihm ein wenig Linderung verschaffte. Er hatte genügend Abstand zu den Lagern geschaffen. "Deshalb dieser Geruch", er neigte den Kopf. Die spitzen Steine, das stetige Tropfen feuchter, miefiger Flüssigkeit - hier durften sich die Drachen also zurückziehen. Ihre Verwandlung vollziehen, wenn es den Paladinen in den Kram passte. Was war in den letzten fünfzig Jahren bloß geschehen? Die Zeit war wie ein Wasserfall abgestürzt, die Monde hatte er nicht mitgezählt und jetzt sah er die Konsequenzen seiner Lethargie und Trauer, in die er sich - feige, wie er gewesen war - zurückgezogen hatte. Mutlos sah er zu seinem Retter hinauf. Der blonde Blitzdrache hatte eine weitere Schale mit klarem Wasser vorbereitet. Zumindest klar genug, dass er es als solches erkennen konnte. Zaghaft nahm er einen Schluck. Seine Kehle war trocken, das Wasser tat gut, änderte jedoch nichts daran, dass er am Ausdörren war und er am Ende zu Staub zerfallen würde. "Ich danke dir", sagte er und bemühte sich um ein Lächeln - ein abgemühtes, freudloses Lächeln, "es tut mir leid, dass deine Mühen vergeblich sein werden. Schaff' mich fort, solange du noch kannst." "Ich kann nicht, Hoheit", sagte er und legte die halbleere Schale Wasser direkt neben sein Gesicht, "ich könnte mir niemals mehr unter die Augen treten. Oder meiner Familie. Dieses Halsband", er fasste danach, schob seinen Daumen unter dem scharfen Stahl, "ich habe mich dafür entschieden, Hoheit. Meine Entscheidung hat dafür gesorgt, dass ich Euch im Stich gelassen habe und ich werde diesen Fehler wieder bereinigen." "Du warst Soldat?" "Einst diente ich Euch als Späher im Süden. Ich liebte meine Arbeit, liebte es, Euch zu dienen, Euch zu beschützen. Als ich nach Kandio kam, hatte ich mich blind unter das menschliche Volk gemischt. Niemand kannte meine Identität, ich hätte aus den Toren spazieren und den Paladinen den Rücken kehren können." "Was ist passiert?" "Es war Schicksal, Hoheit", der Blitzdrache schloss die Augen. Der Schmerz, seine Leute zurückgelassen zu haben, konnte auch ein ausgebildeter Späher nicht verbergen. "Es geschah ganz in der Nähe. Zwischen der Stadt und dieser Höhle." Er öffnete die Augen. Der Schmerz war verflogen. Dafür dominierte Entschlossenheit seinen Blick. "Sie war ein Drache in Knechtschaft, Hoheit. Doch ich wusste vom ersten Moment an, dass ich sie nicht verlassen konnte." "Deine Gefährtin", sprach er es aus. Er verstand ihn nur allzu gut. Als er Feodora das erste Mal begegnet war, hatte ihn dasselbe Bedürfnis übermannt. Die Anziehungskraft zwischen Gefährten war vorherbestimmt. Sobald die großen Drachen ihre Hand über sie beide gelegt hatten, war es unmöglich diesem Band zu entkommen. Die Pläne seiner Vorfahren und Schöpfer waren unergründlich, doch früher oder später würden sie einem Zweck dienen. "Du hast deine Freiheit aufgegeben - für sie", er sprach die Worte voller Ehrfurcht aus. Er hätte diese Wahl auch gerne gehabt. Eine gefangene Himmelsgöttin wäre wenigstens eine Lebende. Aber was wusste er schon? Er schloss die Augen. Vertrieb die Gedanken an seine Liebste, die irgendwo in den Tiefen des Nebelreiches wartete. "Was ist mit Euch passiert, Hoheit?", der Blitzdrache sprach eindringlich. Er öffnete die Augen. Es schien, als wäre er kurz weggetreten gewesen. Wo war er doch gleich stehengeblieben? "Das spielt keine Rolle mehr", erwiderte er knapp. "Ihr dürft noch nicht sterben", sagte sein Gegenüber, den Verband nach möglichen Lecks abtastend. "Es gibt nichts, das du tun kannst. Die Wunde hat sich entzündet, die inneren Blutungen sind nicht mehr rückgängig zu machen…vielleicht ist es besser so. Ich verdiene deine Hilfe nicht…und Feodora - wenn wir uns im Nebelbereich finden, wie sie mich bis zum Ende aller Zeiten verfluchen." "Was redet Ihr denn da?!", der Blitzdrache fasste nach seiner Stirn. Die Hand war kalt, wie ein Eiszapfen. "Schont Euch-" "Ein Gesetzesbrecher wie ich einer bin…sie wird mich hassen. Mich als Monster beschimpften. Sie hat absolut recht." "Ihr redet im Fieber." Ein Lachen drang aus seiner Kehle - rau und bitter. "Du weißt, Drachen können kein Fieber bekommen. Bloß Temperatur." Er verschluckte sich an seiner Spucke und hustete. Zwei Blutstropfen landeten auf seiner Wange. "Ich habe etwas Furchtbares getan, ich habe das erste Gebot gebrochen und jetzt mache ich mich erneut schuldig, indem ich dir die Wahrheit aufbürde und mich bei euch versteckt halte. Und dabei weiß ich nicht einmal, was aus dem Kind wird-" "Welches Kind?", der Blitzdrache beugte sich vor. "Das Kind in ihrem Bauch. Ich habe ihre Erinnerungen gelöscht, ihr Bewusstsein manipuliert, aber", wieder musste er husten und jeder weitere Krampf war wie ein Boxhieb in seinem Magen. "Meine Kräfte werden nicht ausreichen. Sie wird sich erinnern, und wenn es so weit ist, wird sie sie vielleicht töten." "Sie", murmelte der Blitzdrache. Sein Blick wanderte zu seinem König. Vielleicht dachte er, er hätte den Verstand verloren. Halluzinationen kurz vor dem Tod waren keine Seltenheit und selbst wenn er kein Fieber hatte, konnte die hohe Temperatur seinen Geist benebeln. "Seid Ihr sicher, dass-", er stockte. "Ich bin mir sicher. Die Zeichen standen günstig, außerdem hab ich-" Nein, seine Vision würde er niemandem anvertrauen! "Eine Himmelsgöttin", murmelte der Blitzdrache. In seinem Kopf begann es zu arbeiten, "wenn rauskommt, wer sie ist", er schüttelte den Kopf. "Hoheit! Wenn der Großmeister erfährt, was sie ist….wer sie ist. Nein", er fasste sich durchs Haar. Sein grüner, stechender Blick verwandelte sich in etwas Undurchdringliches. "Ich werde die Verantwortung übernehmen." Verantwortung. Verantwortung? Hatte er sich gerade verhört? "Hoheit", sein Retter schüttelte sachte an seinem Oberkörper. Doch er fühlte nur noch Taubheit, "ich werde sie beschützen, Hoheit. So wahr ich hier stehe." "Das kann ich nicht von dir verlangen", erwiderte er träge. "Ihr müsst!", entgegnete der Blitzdrache, "für das Drachenvolk. Für den künftigen König. Für uns alle." Seine Lider flatterten. Der Blitzdrache hatte wahr gesprochen. "Ich werde fliehen und ich werde den Großmeister aufsuchen", sprach sein Retter so sicher, als wüsste er, was ihn am Ende seiner Reise erwartete. "Du wirst sterben", sagte er. "Ich werde sie angreifen, ich werde seine Aufmerksamkeit auf mich ziehen und ich werde mich mit aller Kraft wehren." Die Augen seines Retters strahlten jenes Bestreben aus, das er in den Tiefen seines Kummers verloren hatte. Seine Worte waren wie ein Weckruf. "Der Großmeister ist stark", entgegnete er und stieß einen tiefen Atemzug aus. "Das bin ich auch", erwiderte der Blitzdrache, "stark genug, um mich fangen zu lassen." Er riss die Augen auf. "Nein!" "Doch, Hoheit. Es ist die einzige Möglichkeit, das Himmelsblut zu bewahren. Wenn er glaubt, dass ich Euch beschützen will - dass ich Euch als Ablenkungsmanöver diene. Glaubt mir, er wird darauf hereinfallen. Er wird mich töten wollen und wenn ich ihm lange genug trotze, wird er auf eine viel bessere Idee kommen." "Einen freien Blitzdrachen fangen und ihn gefügig machen", murmelte er, "er hasst eure Spezies." "Wenn ich in seiner Nähe bin, kann ich mehr ausrichten." "Und was ist mit deiner Gefährtin?" "Sie wird es verstehen", sagte er knapp, doch sein unruhiger Herzschlag verriet ihn, "eines Tages", fügte er leise hinzu. "Hoheit", er beugte sich zu seinem sterbenden König hinunter, "wenn ich aus Kandio fliehe, werden sie denken, dass es mein Kind ist. Und Kandio ist eine zu unbedeutende Stadt, dass der Bürgermeister sich nicht trauen wird, dem Großmeister von meiner Flucht zu erzählen. Was macht schon ein Drache weniger?" "Das", er röchelte, "das kann ich nicht von dir verlangen." "Bitte, Hoheit", sagte er flehend, "wollt Ihr, dass alles vergebens war?" Nein, das wollte er nicht. Sein Kopf hatte die Idee aufgenommen, sein Herz wollte nur nicht so ganz mitmachen. Dafür wusste er ganz genau, was dem Blitzdrachen blühte. "Hoheit", rief er ihn fast. Er resignierte. Gegenüber dem Leben und seinem Retter, der ihn ein zweites Mal beschützen sollte. Den rechten Arm ausgesteckt, griff er nach dem Halsband. Der Stahl war hart und kalt - genauso wie ihre Schaffer. Ein letztes Mal konzentrierte er sich, sammelte den kleinen Funken Kraft, der ihm geblieben war. Dann packte er zu, das Halsband zersprang in tausend Einzelteile. Du bist frei, hätte er gerne gesagt, doch er wusste, dass es eine Lüge war. "Ich werde nicht zulassen, dass man Euch findet", versprach er, seine Hand ergreifend, die seinen Händedruck kaum erwidern konnte. "Ich werde Eure Spuren vernichten, ich werde weit genug fliehen und den Himmelssoldaten das Signal schicken. Sie werden nicht wissen, dass Ihr tot seid, aber sie werden verstehen. Ich schwöre Euch, Hoheit. Die Himmelsgöttin wird leben!" Kapitel 71: Izara ----------------- "Nein!", schrie sie und strampelte mit den Beinen. Das Gefühl der Leere drohte sie von innen zu zerfressen, die Panik rüttelte an ihrem Verstand, der in den Tiefen ihres Bewusstseins - und darüber hinaus - unterzugehen drohte.   "Izara." Sie wurde von hinten gepackt. Zwei starke Hände und ein Oberkörper, der sie wie eine Mauer eingezäunt hatte. Ihr Herzschlag wummerte gegen ihre Brust. "Es ist alles gut", wisperte Devons Stimme dicht hinter ihr. Wärme hüllte sie ein, die ruhige, feste Stimme des Drachenkönigs gab ihr die nötige Kraft, und langsam kehrte ihr Geist zurück an seinen Platz. Außer Atem starrte sie in die winzig kleinen Kügelchen, die an der Decke schwebten und die Höhle sanft erhellten. Sie fühlte sich an den Traum zurückerinnert, der überhaupt kein Traum war, wie ihr schmerzlich bewusst wurde. Sie schluckte, aber die Erinnerungen waren präsent. So präsent, dass der Blick des Blitzdrachen wie eine Anschuldigung über ihr baumelte. "Hattest du wieder eine Vision?", nuschelte er in ihr Haar. Izara nickte. "Möchtest du darüber reden?" Sie schüttelte den Kopf, sie war eindeutig noch nicht bereit dazu. Izara hatte den Tod gesehen, hatte gespürt, wie seine kahlen, schmalen Finger nach ihr gegriffen hatten. Es war ein Tod, der nicht ihrer war. Die Augen auf die Decke gerichtet, ließ sie sich von Devons Nähe besänftigen. Sie starrte auf die Kügelchen. Scheinbar hatte Devon seine Kräfte zurückerlangt. Das Licht war warm und hell, nicht so grell und flackernd wie das in ihrem Traum. Langsam schloss sie die Lider. Izara begriff es endlich. Aber der Preis der Wahrheit war teuer. * Kaum war die Sonne aufgegangen, brachen die zwei Himmelsdrachen auf. Izara war verblüfft, wie viel eine Nacht bewirken konnte. Devon hatte aufgehört zu humpeln, seine eiskalten Augen hatten jene Tiefe, die Izara in ihren Bann zogen und ein klein wenig blühte ihr Herz auf. Er lächelte sanft, und auch Izara raffte sich zu einem Lächeln auf. Ihre Reise führte sie tiefer in den Westen. Izara musste feststellen, dass die Papiere in Devons Mantel mehr als ein paar Kritzeleien eines hektischen Volans waren. Die Karten waren detailliert und so wusste Devon ganz genau, wohin sie als nächstes zu gehen hatten. Die Orientierung des Königs war bewundernswert. Ein Blick in den Himmel genügte, um nicht nur die Himmelsrichtung zu bestimmen. Anhand der Blätter, des Bodens und der Tiere, die sie im Wald erblickten, konnte er ihren Standpunkt auf einige Meilen einschränken. Und die Reise bewies, dass er sich nicht irrte. Schon bald waren sie in Medaniens Mitte. Weit genug von ihrem alten Zuhause, und doch zu nahe, um sich in Sicherheit zu wiegen. Das Tempo der beiden Himmelsdrachen war ganz dem König angepasst. Wäre dieser nicht so verletzt, wäre Izara wohl kaum hinterhergekommen. "Du bestimmst, wenn wir eine Pause einlegen sollen", sagte er und schaute sie von der Seite aus an. Izara schüttelte den Kopf. Sie wollte möglichst schnell aus dem Wald. Das Rascheln aus den Gebüschen behagte ihr nicht. Ihre Instinkte waren zu scheu, dass jedes Geräusch als gefährlich eingestuft wurde. Noch immer glaubte sie, dass jeden Moment ein Paladin oder vielleicht sogar der Großmeister selbst aus den Büschen herausspringen könnte. "Zwei Tage", versicherte Devon, "wenn wir das Elbsgebirge erreicht haben, sollte es sicher genug sein, nach Dragor zu fliegen." Der Gedanke an einen Flug munterte Izara auf. Sie war lange nicht mehr in der Luft gewesen - und den letzten Flug mit dem Anführer der Paladinschaft zählte sie nicht mit. Sehnsuchtsvoll starrte sie in den Himmel. Ihr Rücken begann zu kribbeln und Izara fragte sich, wie es sich wohl anfühlte, die eigenen Flügel durch den Wind gleiten zu lassen. "Ich werde fliegen", erriet Devon ihre Gedanken. Schnaubend verschränkte sie die Arme vor der Brust. Als ob sich der Drachenkönig davon beirren ließe. "Eine Verwandlung-" "Ist zu gefährlich, ich weiß", beendete sie seinen Satz und seufzte. "Wird es jemals anders sein?", fragte sie, obwohl sie keine Antwort hören wollte. "Ich fürchte nicht", entgegnete Devon und beendete das Thema. * Der Wald lichtete sich. Die Spätnachmittagssonne versteckte sich unter einer dicken, grauen Wand. Izaras Füße begangen zu schmerzen, doch sie traute sich nicht, etwas zu sagen. Wenn Devon nicht schlapp machte, würde sie sich nicht beschweren. Der König war ein angenehmer Begleiter. Er war so ganz anders als noch vor einigen Wochen, als sie mit der Kutsche nach Whalla unterwegs gewesen waren. Die Stille zwischen ihnen fühlte sich richtig an, und wenn sie doch ein paar Worte wechselten, war es nicht als spräche eine kleine, naive Drachenprinzessin bei dem großen Drachenkönig vor. * Sie hatten eine kurze Pause eingelegt und Izara nutzte die wenigen Minuten, um ihrem Körper Ruhe zu gönnen. Auf einem abgebrochenen Stamm gesetzt, hatte sie die Beine ausgestreckt. Neugierig beobachtete sie Devon bei der Jagd. Er hatte die Spur eines Hasen aufgenommen. Flink war das lange sehnige Fellknäuel durch das hohe Gras gehoppelt, dass es Izara gar nicht aufgefallen war. Er war schnell, aber die Augen eines Himmelsdrachen konnten jeden seiner Schritte vorhersehen. Devon hatte es schnell beendet und irgendwie glaubte sie, Schuldgefühle in seinen Augen aufblitzen zu sehen. Nun brutzelte das Tier über einer offenen Feuerstelle, nachdem Izara dem König dabei geholfen hatte, es zu enthäuten und die Gedärme herauszunehmen. Ein paar Mal hatte sie einem Metzger dabei zusehen können. Es selbst in die Hand zu nehmen war eindeutig eine andere Sache. Izara hätte wohl keinen Bissen angerührt, wenn ihr Hunger nicht so übermächtig gewesen wäre. * Wenn sich Tage wie zäher Schleim anfühlen konnten, waren die Abende wie Gummi im Mund. An Schlaf war in dieser Nacht kaum zu denken gewesen. Erholung wurde ein seltenes Gut. Es gab keine Höhle oder Unterschlupf, in dem Izara und Devon hätten unterkommen können. Zu unsicher war die Gegend, um friedlich sein Nest zu bauen oder sonst wo eine Herberge zu finden. Stattdessen hatte sie ihre Kräfte unter dem Schleier verbergen müssen und auch Devon hielt sich äußerst bedeckt. Izara traute sich nicht, ihn anzusprechen. Devon war angespannt. Unter dem Deckmantel eines ruhigen und konzentrierten Geistes überblickte er die gesamte Umgebung und - bei den Großen Drachen - war die Umgebung riesig! Erst als Izaras Schritte langsamer wurden und ihr Kopf immer wieder seinen Oberarm streifte, schlug er eine vorübergehende Rast vor. Izara nutzte die Zeit für einen kurzen, brüchigen Schlaf, während Devon kein Auge zutat. Und auf den Vorschlag, sie könnten sich doch mit der Wache abwechseln, wollte er erst gar nicht eingehen. * "Siehst du die Felsen südlich von hier?", Devon zeigte darauf. Die Felsspitzen waren zwischen den hohen Laubbäumen kaum zu erkennen. Izara kniff die Augen zusammen und erspähte die kantigen Felsen, die wie drei spitze Türme Richtung Himmel hinausragten. "Dahinter befindet sich neutrales Gebiet." Der Gedanke an das Drachenschloss ließ sie leise aufseufzen. "Warum laufen wir nicht direkt darauf zu?", fragte Izara, als Devon einen Schwenker nach rechts machte. "Hinter dem Hain", antwortete Devon nach einer Weile, "befindet sich die ehemalige Stadt Logia." Izara drehte sich zu ihm um. Sein Blick war unergründlich, die Seelenspiegel so tief, dass sie Izara an die Tiefen des Ozeans erinnerten. Auch Izara sah in die Richtung. Ihr Herz wurde schwer. Sie ballte die Hände zur Faust, spürte den Druck ihrer Knochen, bis sie endlich nachgab. "Zeig' sie mir", ihre Worte waren klar und Devon richtete seine Seelenspiegel auf ihre Lippen, die zu einem dünnen geraden Strich geformt waren. Stumm nickte er und führte sie durch den Wald. Kapitel 72: Izara ----------------- Devons Schritte waren zielstrebig und unweigerlich fragte sich Izara, ob genau hier der Ort war, an dem er geboren worden war. Die kleine Siedlung, in der Drachen von Kriegern und Soldaten aufgezogen wurden, direkt vor den wachsamen Blicken der Himmelsgöttin. Sofort glaubte sie, einen vertrauten, süßen Geruch wahrzunehmen. Izara stellte sich vor, wie Drachenkinder über die Wiese tippelten, zwischen die Beine ihrer Eltern kletterten und auf Bäume sprangen. Ihre ersten Flugversuche wagten, wie Vögel, die Pflüge geworden waren. Hatten die Drachen in Zelten gewohnt, wie Soldaten, die ihre Lager aufschlugen? Izara war neugierig, aber Devon lief vor ihr und sie glaubte nicht, dass er Lust hatte, einen Plausch über alte Zeitenabzuhalten. Izara entschied sich, schneller zu werden. Der Abstand behagte ihr nicht, diese fremde Umgebung ohne Devon, fühlte sich nicht richtig an. Sie hatte ihn eingeholt, als der Wald ein abruptes Ende fand. Der Hain lag weit hinter ihnen. Das zu Izaras Füßen war kein verlassener Fleck natürlichen Ursprungs. Ihr Atem setzte aus. Sie hatte an eine Gedenkstätte gedacht oder vielleicht an einen Stein inmitten des Waldes. Wenn die Natur einfach ihren Lauf genommen hätte - das hätte Izara verstanden. Fünfzig Jahre lag die Zerstörung Logias zurück, doch hier hatte sich nichts verändert. Die Trümmer der Stadt hatten Hügel und Berge aus Schutt und Asche geschaffen. Das, was nicht vom Feuer vollständig verschluckt worden war, stapelte sich zu mehreren Haufen. Izara unterdrückte den Schmerz, der wie eine Lawine auf sie zu stürmte. Vorsichtig schaute sie zu Devon herüber, dessen Blick kalt und leblos war. "Warum?", hauchte Izara verzweifelt. "Nachdem alles niedergebrannt worden war, hat der Medanische König das Land für sich beansprucht. Sie konnten nicht wissen, dass dieser Ort unfruchtbar würde, sobald es keine Himmelsgöttin gibt, die ihn nährt. Als es ihnen klar wurde, haben sie es aufgegeben und haben das zurückgelassen." "Die Himmelsgöttin hat den Boden fruchtbar gemacht?" Sie sah zu den kahlen Stellen, den Orten, die nicht von Überresten einer Drachenstadt erdrückt worden waren. Keine Pflanze, kein Grashalm, nicht einmal Unkraut ließ sich hier nieder. "Es gibt viele Arten der Regeneration", antwortete Devon, "und die besondere Fähigkeit einer Himmelsgöttin ist es, der Natur Leben zu schenken. Logia war über ein Jahrttausend im Besitz der Himmelsgöttinnen. Es würde mich nicht wundern, wenn ihre Magie noch immer in den Wäldern nachhallt und das hier erst der Anfang eines Waldsterbens ist." "Was ist mit ihr passiert?" Feodora, hauchte ihr jemand den Namen zu. Izara lief es eiskalt den Rücken herunter. Devon zog die Stirn kraus. "Sag' es mir bitte." Sie erwiderte seinen Blick. Schließlich gab er nach - wenn es ihm auch nicht zu behagen schien. Devon deutete auf einen der Trümmerberge. "Die Königin befand sich auf dem höchsten Punkt des Palastes. Ihre Sicherheit übertraf den Schutz in Dragor um Weitem. Es gab fünf Tore, die der Feind durchbrechen musste. Fünf Vorhöfe, bevor das letzte Tor in den Palast führte. Fünfhundert Drachen bewachten den Eingang der Königin. Schwer bewaffnete, ausgebildete Krieger, die nur dazu geboren worden waren, die Himmelsgöttin mit ihrem Leben zu beschützen." In seinen Augen spiegelte sich die unausweichliche Wahrheit wider. "Sie haben sie alle abgemetzelt. Fünfhundert Paladine und fünftausend Medanische Soldaten haben die Mauern gesprengt, die neun Jahrhunderte Geschichte trugen. Innerhalb von achtundvierzig Stunden war Logia ausgelöscht worden. Der Großmeister persönlich hat sich um die Königin gekümmert. Damals war er noch kein Großmeister, aber danach sollte er es werden. Er hat der Himmelsgöttin das Herz herausgerissen, dann hat er die Königin auf einen Pfahl aufgespießt und in die Mitte des Platzes gestellt." Sie merkte, wie Übelkeit in ihr aufsteigen wollte. Die Widerwärtigkeit und Perversion dieser Tat waren kaum zu überbieten. Izara presste die Lippen zusammen. Hatte der Großmeister deshalb dieses Massaker verrichtet, um einen Himmelsdrachen aus der Reserve zu locken? Eine Stadt dem Erdboden gleich machen, seine Bewohner töten, um sich dann als Retter der Menschheit aufzuspielen? Um was genau ging es diesem Mann nur?! "Es tut mir so leid, Devon", sagte Izara. Als Mensch fühlte sie sich schuldig. Zum ersten Mal verabscheute sie die Seite an ihr, die ihr immer ein Gefühl von heiler Welt und Normalität gegeben hatte. Doch das hier war nicht normal. "Dieselben Worte habe ich mir auch immer wieder sagen müssen", entgegnete Devon und schaute in den düsteren Himmel. "Als die Nachricht über einen Angriff auf Logia eintraf, war es bereits zu spät. Die Stadt hat gebrannt, von den Drachen blieben nur die Todesschreie zurück." "Niemand hat überlebt?", Izara wusste, wie unnötig die Frage war und biss sich auf die Lippen. "Doch", ein flüchtiges Lächeln huschte über sein Gesicht, "Kyia und Sila zum Beispiel." "Die beiden waren auch-", Izara stockte der Atem. "Kyia war die erste Leibwächterin der Königin. Sie hat die Himmelsgöttin bis aufs Blut verteidigt, und sie wäre auch für sie gestorben, wenn sie vorher nicht ohnmächtig geworden wäre." Devon machte ein paar Schritte nach vorne. In jedem Schritt war der Unmut spürbar. "Ich fand Kyia unter den Trümmern des Palastes. Man muss sie wohl für tot gehalten haben." Er hob einen Stein auf, betrachtete die scharfen Kanten. "Ein Bergdrache kann nicht nur so hart wie Stein sein. Er kann auch zu Stein werden. Das war ihre Rettung." "Und Sila?", wollte Izara wissen. "Sie war eine Bewohnerin auf Zeit. Ein Weibchen, wie du es vielleicht sagen würdest. In Logia blieben viele Weibchen, um ihre Kinder auf die Welt zu bringen. Das, was du in der Schlucht im Palast gesehen hast, hat es hier zuhauf gegeben." "Dann hat Sila schon einmal ihre Eier verloren", die Übelkeit war kaum aufzuhalten. "Und ihren Gefährten", fügte Devon mit tiefer Stimme hinzu. Izara schüttelte sich. Kein Wunder, dass Sila so sehr auf die Sicherheit der Eier beharrt hatte. Den Schmerz, den die Lòng gleich zweimal ertragen musste, war unvorstellbar. Izara konnte nicht mehr. Alles begann sich zu drehen und in letzter Sekunde wandte sie sich von Devon ab und würgte - sinnlos. Ihr Innerstes war leer. Es war ihr weniger peinlich, als dass sie die Heftigkeit ihrer Gefühle überrumpelte. Sie spürte eine warme Hand auf ihrer Schulter. Als Izara auf dem Boden hockte, hielt Devon ihre Haare fest und stützte mit der anderen Hand ihren wackeligen Oberkörper. "Geht schon wieder", murmelte Izara, die von Devon das Fläschchen mit Wasser hingehalten bekommen hatte. Es war nicht viel, doch es reichte, um wieder auf die Beine zu kommen. "Wir sollten gehen", meinte Devon. Er sah besorgt aus, seine Augenbrauen zogen sich zusammen, während er Izaras weißes Gesicht betrachtete. Er bereute, das konnte sie förmlich spüren. "Warte noch!", sie drückte eine Hand auf seine Brust. Skeptisch sah er zu ihr hinunter. "Nur noch einen Moment, ich bitte dich. Es wird nicht lange dauern." Sie flehte ihn geradezu an. Die Stirn in Furchen geschlagen, nickte er. Dann machte sich Izara auf den Weg. Etwas unbeholfen, weil sich ihre Gliedmaßen noch etwas weich anfühlten. Langsam beruhigte sich ihr Körper. Sie bestieg Steine, die einst einem Haus gehört haben mussten, kletterte über Berge aus Verkohltem und Verbranntem. Blut gab es keines mehr. Das hatte die Zeit längst fort gespült. Auf dem höchsten Punkt blieb sie stehen. Scherben von Marmor und Mosaik lagen zu ihren Füßen. Izara bückte sich. Hob zwei Teile einer Scheibe auf. Die Teile zusammengefügt, erkannte Izara eine Sonne. Eine Weile betrachtete sie das zerkratzte Bildnis. So durfte es nicht enden. Sie legte die Scherben zurück auf den Boden. Eines Tages würde sie wiederkommen und sie würde die Versäumnisse ihrer Vorfahren nachholen. Das war ein Versprechen an sich selbst. Kapitel 73: Izara ----------------- Sie erreichten die Felsen bei Einbruch der Dunkelheit. Von Nahem wirkten sie noch spitzer und gewaltiger. "Kannst du klettern?", fragte Devon und blickte auf die steile Felswand hinauf. Izara nickte. "Auf etwa zwei Drittel befindet sich eine Höhle. König Juras' Bruder hat sich dort viel aufgehalten, wenn er eine Auszeit von Raj benötigte. Glaubst du, du schaffst es, so weit zu klettern?" "Mir bleibt wohl keine andere Wahl", Izara lächelte gequält. Devon verlor keine Zeit und machte den Anfang, Izara folgte seinem Beispiel. Sie hielt sich an den König. Immer wieder machte dieser eine Pause, sah zu Izara hinunter, fragte sie nach ihrem Befinden und nahm so viel Rücksicht wie man beim Klettern nehmen konnte. Izara konnte ihm nur schwer folgen. Die Dunkelheit war nicht gerade ihr Freund und die vielen eckigen Steine, die lose im Felsen steckten, machten die Bergsteigertour zu einer gefährlichen Angelegenheit. Frustriert kniff sie die Augen zusammen. Ihre Arme taten weh, sie atmete schwer und fragte sich, wann endlich diese verdammte Höhle auftauchte. "Wenn ich dich tragen soll-" "Nein, nein", rief Izara und zog sich ein Stück nach oben, "ich schaff das!" In Wahrheit bezweifelte sie, bis zum Ende durchzuhalten. Doch wie sah die Alternative aus? Dass Devon sie auf seinem Rücken weiterzog? Ein angeschlagener Drachen mit einer mehr als besorgniserregenden Rückenverletzung? Nie im Leben würde sie sich auf seinen geschundenen Rücken stützen und einen auf schwache, weinerliche Drachenprinzessin machen. Sie biss die Zähne zusammen, schmeckte das Blut auf ihren Lippen und kletterte weiter. Etwas Nasses klatschte auf ihre Nase. Izara sah in den schwarzen Himmel. Ein zweiter Tropfen folgte, und auf einmal prasselte der Regen über ihre Gesichter als müsste er all seine Reserven auf einmal verbrauchen. Schnaubend krallte sich Izara an der nächsten Kante fest. Das Gestein wurde matschiger, ihre Beine begannen zu rutschen und am liebsten hätte Izara einen lauten Fluch ausgestoßen. Ihre zittrigen Arme waren auch keine Hilfe, sie geriet immer weiter aus dem Rhythmus, und zu allem Übel ging es jetzt auch noch seitwärts weiter.   "Wir sind gleich da", hörte sie Devon über sich rufen. Izara hatte keine Ahnung, wie weit er von ihr entfernt war, aber seine Stimme klang zwischen dem Regen dumpf und Meilen entfernt. Izara antworte nicht. Vermutlich wollte er sie nur aufbauen, aber Izara war nicht in Stimmung für Halbwahrheiten. Sie schaute nach oben, erblickte ein paar Stiefel, oder zumindest etwas, das nach Devons Schuhen aussah. So weit weg, dachte sie und hasste ihren Körper, der überhaupt keine Ahnung hatte, was es hieß, wirklich zu klettern. Das Drachenschloss zu erklimmen war dagegen ein Klacks. Warum hatte man sie auch in Watte einpacken müssen?! Die nächste Kante gegriffen, spürte sie etwas Glitschiges. Der Stein entglitt ihren Fingern, sie rutschte aus und riss die Augen auf. Eine feste Hand packte sie am Handgelenk, Izara schaute zu ihrem Retter. Ihre Beine baumelten in der Luft, als Devon sie nach oben hievte. Er war jetzt auf ihrer Höhe, er musste zurückgeklettert sein, anders konnte sie sich nicht erklären, dass er wieder neben ihr war.   "D-danke", keuchte sie, den Schrecken noch nicht ganz überwunden. »Ein Drache, der Angst zu fallen hat« - das durfte sie keinem erzählen. Devon sah sie fest an. Gleich würde er sie wieder fragen, ob er sie nicht doch tragen sollte, da war sich Izara sicher.   "Ich schaff' das", sagte sie. Der König sah sie streng an. Izara meinte, ein Seufzen gehört zu haben. Zumindest wandte er sich ab und begann weiter zu klettern. Langsam, damit Izara ihm folgen konnte.   "Dort", er zeigte auf eine Erhöhung, nur wenige Kletterzüge von ihnen entfernt. Das Ziel vor Augen sammelte Izara all ihre Kräfte und zog sich nach oben. Devon hockte als erster am Höhleneingang, er streckte die Hand aus und half Izara, hineinzuklettern. Izara selbst musste erst einmal tief Luft holen. Schweißperlen vermischten sich mit dem kalten, rauen Regen, dass Devon sie weiter ins Innere lotste. "Ich werde mich um das Feuer kümmern", sagte er und richtete sich auf. Izara musste ein Schmunzeln unterdrücken. Sie wusste nicht, wieso, aber dass er Feuer machte, wirkte auf sie so surreal und...menschlich, dass es schon wieder lustig war. "Wir müssen unsere Kleider trocken bekommen, eine Lungenentzündung können wir uns nicht leisten." Er schnippte mit den Fingern und entließ ein Dutzend kleine, leuchtende Bälle, die sich an der Decke verteilten und für das nötige Licht sorgten. "Ja", murmelte Izara, die sich neugierig umschaute. Sie hatte nicht viele Höhlen gesehen - eigentlich war das sogar erst ihre dritte -, aber dieser Unterschlupf hatte weder mit dem miefenden Loch aus Kandio noch mit der Behausung eines Bären etwas gemein. Es war warm und gemütlich. Ein Teil der Höhle war mit Moos bedeckt und Izara war sich sicher, dass es dort mit Absicht wuchs und regelmäßig gepflegt wurde. Es gab einen aus Steinen gehauenen Springbrunnen, der mit den Wänden verbunden war und per Hebel frisches Regenwasser in einer Schale plätschern ließ. Feuerholz stapelte sich zu genüge neben einer Feuerstelle, die mehr einem Kamin glich und der Höhle einen Hauch von Zuhause verlieh. "Die Höhle ist einer unserer Stützpunkte", sagte Devon, als er Izaras leuchtenden Augen verfolgte. Geschickt entzündete er ein Feuer, nachdem er das Holz ordentlich drapiert hatte, und tauchte die Höhle in noch mehr Wärme und Gemütlichkeit ein.   "Späher kümmern sich regelmäßig um die Instandhaltung - für Notfälle wie diese."   Sie nickte und schaute dem Springbrunnen beim Plätschern zu. So etwas kannte sie nur aus den Nachbarhäusern ihrer Heimatstadt. Einige wohlhabende Familien hatten sich diese Spielerei in ihre Vorgärten gestellt. Izara gefiel, wie aus den steinernen Fischmündern das Wasser schoss und rhythmisch in die Schale floss, während die Schale das Ganze durch eine Art Rohr weiterfließen ließ. Sie folgte dem Rohr, das letztendlich in der Steinwand auf der gegenüberliegenden Seite endete und von dort das Wasser zurück nach draußen beorderte. "Wir müssen die Kleider zum Trocknen aufhängen", sagte Devon. "Hm, ja", entgegnete Izara. Kleider aufhängen - natürlich. Moment... Was?! Sie wirbelte herum. Der Drachenkönig war gerade dabei, seinen triefenden Mantel abzustreifen. Izara rutschte das Herz bis in ihre Unterkleider. Das Hemd über den Kopf gestülpt erwiderte er ihren irritierten und scheuen - besonders scheuen! - Blick. Er schien zu begreifen, atmete tief ein und ließ die Hände in der Luft kreisen. "Warte kurz." Weißes Licht entstand dort, wo Devon mit den Händen herum wirbelte. Das Licht nahm Gestalt an, wurde dunkler, dichter. Am Ende sah es wie eine blau-weiß schimmernde Tagesdecke aus, und genau das sollte es wohl auch sein. "Kann ich mich darin einwickeln?", fragte Izara und zeigte auf das Ding, das Devon wie ein kostbares Stück Stoff in den Händen hielt. "Das ist das einzige, das ich anzubieten habe", entgegnete er fast schon entschuldigend. Langsam kam sie auf ihn zu. Skeptisch beäugte sie das Kunstwerk. "Und das ist auch...blickdicht genug?"   "Für einen Himmelsdrachen, ja." Na, dann konnte sie ja nur hoffen, dass ihr Menschenblut nicht dazwischenfunkte. Sie nahm die Decke entgegen. Tatsächlich fühlte es sich wie eine Seidendecke an und wärmte, sobald es ihre Fingerspitzen berührte. Das Licht übertrug sich auf Izaras Haut, dass das Leuchten wie eine zweite Schicht darüber lag. Und überhaupt nicht so transparent, wie Izara befürchtet hatte. So funktionierte das also. Izara zog sich zurück, während Devon mit dem Rücken zu ihr gewandt am Feuer hockte und Izaras improvisierte Verbände von seinem Rücken entfernte. Ihr Blick huschte zu dem Drachenkönig, seinem breiten Kreuz und der tiefen Narbe, die von einem eisblauen Faden zusammengehalten wurde. Die Wunde sah furchtbar aus. Nicht mehr lebensbedrohlich, aber furchtbar. Sie sah auf die blasse Haut, auf denen weitere, deutlich ältere Narben wie böse Erinnerungen ruhten. Gerade empfand sie eine Mischung aus Schmerz und Bewunderung. Devons Narben zeugten von einem unausweichlichen Schicksal. Jede Wunde stand für ein Opfer, das er für sein Volk geleistet hatte. Abrupt wandte sie sich ab. Devons Augen konnte sie nicht sehen, und doch spürte sie seinen Blick, als durchbohrte er sie bis zum Kern ihrer Seele. Sie fühlte sich ertappt. Schnell begann Izara, ihre Kleider abzustreifen. Sie waren vollkommen durchnässt und kalt, überall war sie mit Gänsehaut übersät. Mit einem Schwung legte sie sich die Decke um, wickelte sich einmal in die leuchtende Kraft des Drachenkönigs ein, die sie wie einen Mantel einhüllte. Tapsig (die Schuhe hatte sie sorgfältig neben das Moosbett gelegt) kehrte sie zur Feuerstelle zurück. Die Kleider hing sie über die Steine, dessen Spitzen aus der Wand wie Haken herausragten. Dann setzte sie sich hin. Ihr Gesicht war überreif. Die Beine angewinkelt, zog sie die Knie dicht an ihr Kinn und konzentrierte sich auf das Flackern zu ihrer Linken. Sie wusste, der König hatte sie schon einmal so gesehen - vermutlich hatte er sogar noch mehr gesehen -, aber allein daran zu denken, war zu viel für das junge Weibchen. Den Kopf auf die Knie gestützt, fiel das feuchte Haar über ihren Körper, bedeckte das Gesicht so weit, dass er ihre Hitze nicht sehen konnte. Mit aller Macht unterdrückte sie die innersten Gedanken, die Triebe, die sie seit ihrer Erweckung nicht einen Tag in Ruhe gelassen und durch seine Präsenz für noch mehr Wirbel gesorgt hatten. Devons Anwesenheit machte es nicht besser. Sein nackter Rücken machte es nicht besser, und dass er die Arme vor der Brust verschränkte und jeder Muskel seines Oberarmes angespannt wurde...nein, das machte es überhaupt nicht besser! Es machte etwas mit ihr. Machte etwas mit ihrem Körper, das sie so nicht von sich kannte. Reiß dich zusammen, zischte sie sich an. Kapitel 74: Izara ----------------- Den König aus dem Sichtfeld bekommen, versuchte sie ihre Gedanken in eine andere Richtung zu lenken. Tatsächlich gehorchte ihr Geist. Als hätte er nur darauf gewartet, kehrten die Bilder des Traumes zu ihr zurück. Wie ein Paukenschlag donnerte er und brachte das schwankende Gemüt zum Einsturz. Die Gedanken waren grausiger und erdrückender denn je und schufen ein kaum zu verdrängendes Bedürfnis - nämlich das der Wahrheit. Die Last wurde schwer, so schwer, dass sie die Finger in die Knie krallte und tiefe Kratzer auf ihrer bleichen Haut hinterließ. Erst eine weitere Wärmequelle ließ Izara aufschauen. "Vielleicht fühlst du dich darin wohler." Es war Devon. Er hatte Izara sein Hemd übergelegt. Es war das erste Kleidungsstück, das trocken geworden war und mit einem flüchtigen »Danke« griff sie nach danach und zog es sich hastig drüber. Devon meinte es nur gut, er konnte nicht ahnen, dass ihre Gedanken um Schlimmeres kreisten als halbnackt neben einem Drachenkönig zu sitzen. "Devon", ihre Stimme war brüchig. Sie wollte es nicht hören, wollte nicht fragen, und doch hatte sie keine andere Wahl.   "Fühlst du dich nicht gut?", fragte Devon, der sich direkt neben Izara postierte, kurz nachdem sie seine Zauberdecke abgelegt hatte. Izara wusste nicht, was sie darauf antworten sollte, nichts, was sie hätte sagen können, schien die Wahrheit zu sein. Der Drachenkönig seufzte. "Es war zu viel", sagte er und legte noch ein Stück Holz ins Feuer, "Logias Geschichte...ich hätte dich nicht damit konfrontieren dürfen." "Das ist es nicht, warum ich -", Izara stockte. Nein! Sie musste da jetzt durch! Noch ein Rückzieher und sie würde wahnsinnig werden. "Als die Paladine das Schloss angriffen, als sie mich in den Wald lockten-", Izara schluckte. Devon drängte sie nicht. Er wartete, bis sie soweit war. "Ich habe Solar zurückgelassen! Ich weiß nicht-", sie sah dem König direkt in die Augen, "ich habe nicht rechtzeitig-" Noch bevor Izara in Tränen ausbrechen konnte, hatte der König sie zum Schweigen gebracht. "Dein Freund lebt", sagte er so sicher, wie man sich nur sein konnte. Nur langsam drangen die Worte zu Izara durch. "Er ist schwer verletzt, aber er wird es überstehen." "Wirklich?!", erleichtert stieß sie den Atem aus, den sie viel zu lange zurückgehalten hatte. "Ich hätte mir niemals verziehen, wenn er meinetwegen...", sie schüttelte den Kopf, "wenn er gestorben wäre, bevor er die Wahrheit kennt...Devon", sie sah ihn eindringlich an, "der Blitzdrache, den der Großmeister gefangen hielt. Hast du ihn gesehen?" Der Blick des Drachenkönigs war unergründlich. Izara lief ein Schauer über den Rücken. "Er ist sein Vater!", stieß sie so heftig hervor, dass ihre Augen zu glühen begannen. Devon schaute sie noch immer mit seinem kühlen, alles durchdringenden Blick an. "Bist du sicher?", fragte er ohne eine Miene zu verziehen. Izara nickte. "Er war in meinem Traum. Du hast gesagt, Drachen besitzen diese Gabe - den weißen Blick. Ich habe ihn gesehen, Devon! Als mein Vater im Sterben lag...er hat das nur für mich getan. Solars Vaters hat seine Familie wegen mir verlassen - weil er mich beschützen wollte, weil er wusste, dass es eines Tages so kommen würde..." Sie konnte nicht mehr. Gedanken und Gefühle überschlugen sich. Trauer und Wut bäumten sich auf. Die Augen wurden rot, sie spürte, wie das Verlangen nach Linderung so groß wurde, dass sie sich einfach nur in eine Ecke verkriechen und weinen wollte. Die Finger über die Wangen gefahren, spürte sie nichts. Keine Träne wurde vergossen, so als hätte sie ihren Vorrat an Mitgefühl und Trauer verloren. Es war dasselbe resignierte Gefühl, das sie nach Levis' Tod verspürt hatte. "Izara", raunte Devon ihren Namen. Derweil hatte sie der Drachenkönig anvisiert, nicht einen Augenblick ließ er von ihren flackernden Seelenspiegeln. "Ich bin ihm begegnet", sagte er, "und du hast recht - er hat dich beschützt... bis zum Schluss." Devon brauchte nichts weiter sagen. Sein resignierter Blick sprach Bände. Izara ließ die Schultern hängen. In ihrem tiefsten Inneren hatte sie gewusst, dass es nur auf diese Weise enden konnte. Wieder einmal war ein Blitzdrache für das Wohl der Himmelsdrachen gestorben. Es fühlte sich nicht richtig an. Aber was wusste sie schon über die Bestimmung der nähsten Nachfahren? Izara konnte nur noch eines tun: seiner Tat einen Sinn verleihen. Wenn sie schon nicht fähig war, das Schicksal abzuwenden, so würde sie wenigstens dafür sorgen, dass sein Heldenmut nicht vergessen wurde. "Wir müssen es ihnen sagen", sprach sie ihre Gedanken laut aus. "Wir müssen Solar die Wahrheit sagen. Wer sein Vater war und was er für uns getan hat." "Ich werde deinem Freund alles sagen, was ich weiß", nickte ihr Devon zu. Es war ein Versprechen, das sah sie an seinem Blick. "Dein Freund wird sicherlich Zuhause bei seiner Familie sein. Wenn du möchtest, können wir sie aufsuchen, sobald wir nach Dragor zurückgekehrt sind." Die Stirn kraus gezogen, nickte sie ihm zu. "Wieso nennst du Solar eigentlich meinen Freund? So wie du es ausspricht, klingt es so...zweideutig." Das hatte sie schon von Anfang an gestört, aber sie hatte es bis dahin auf seinen Akzent geschoben. Devon schaute sie irritiert an. "Zweideutig?" Izara überlegte, wie sie es ihm erklären sollte. "Naja, so wie du es sagst, hört es sich an, als wäre Solar mein...Partner." "Heißt es das nicht?" Er zog die Augenbrauen zusammen und Izara wäre fast im Erdboden versunken. "Nein, natürlich nicht!", entgegnete sie aufgebracht und spürte wie jeder Zentimeter ihres Körpers zu Glühen anfing. "Solar ist doch nicht...", wie kam er nur auf die Idee?! "Denkst du, ich würde dir meinen Duft schicken, wenn ich bereits vergeben wäre?! Glaubst du, ich mache das bei jedem?" Sie spürte, wie sie richtig auffuhr. Das konnte doch nicht sein Ernst sein. Devon machte große Augen. Ihre Reaktion hatte ihn erwischt, er drehte sich Richtung Feuer und legte die Arme auf seinen Knien ab. "Nein", sagte er leise. Es folgte ein bedrückendes Schweigen. Izaras Zorn hatte sich in Scham gewandelt. Eine Strähne hinters Ohr geklemmt, nuschelte sie: "Und keine Sorge, ich werde dich nie wieder damit belästigen." Jetzt wandte sich der Drachenkönig wieder Izara zu. "Wie kommst du darauf, dass du mich damit belästigen würdest?" Das war doch... Dieser....dieser- "Ich bin vielleicht nicht in Freiheit aufgewachsen, aber ich weiß, wenn mich jemand abblitzen lässt." So, jetzt hatte sie es gesagt. Sie dachte, sie würde sich damit besser fühlen. Falsch gedacht! Es war einfach nur peinlich. Vermutlich könnte sie ihm danach nie wieder unter die Augen treten. Devons überraschter Gesichtsausdruck wich einem besorgten, und dann einem gequälten. Er schnaubte, schloss für mehr als einen Wimpernschlag die Augen und wandte sich fast schon entschuldigend Izara zu, die ihn noch immer nicht anschauen wollte. "Du hast natürlich recht", sagte er. Eigentlich sollte es sich gut anfühlen, im Recht zu sein, aber das hier war alles andere als befriedigend. "Normalerweise läuft es so, aber-" "Aber was?!", keifte sie ihn an, sie konnte nicht anders. Das Weibchen in ihr brodelte und ließ sich nicht bändigen. Ihr trauriger, beschämter und wütender (ja, das alles war zur selben Zeit möglich) Blick traf den des Drachenkönigs. Dieser schaffte es, binnen eines Augenblicks ihr Chaos in sich aufzunehmen. So schnell wie er seine Arme um sie schlang und an sich drückte, konnte sich Izara gar nicht wehren. Ihr wilder Herzschlag hämmerte gegen den des Königs. Sie war so dicht an ihm, dass sie fast miteinander verschmelzen könnten. "Izara", raunte er, "merkst du es nicht?" Sie merkte, dass sie an seine Brust gedrückt war, und nur das Hemd, das er ihr gegeben hatte, zwischen ihnen stand. Weil Izara nicht reagierte, sagte er: "Riechst du etwas?" "Nein", grummelte sie, "ich rieche nichts. Ich rieche überhaupt nichts." Das Gesicht in seiner Brust vergraben, wiederholte sie die Worte: "Ich rieche... nichts..." Wieso war es ihr nicht vorher aufgefallen? Erschrocken drehte sie ihren Kopf, schnupperte an Devon, der es stumm über sich ergehen ließ. Sie roch auch an seinem Hemd, das bloß ihre Wärme aufgenommen hatte. "Das geht doch gar nicht", sagte sie fassungslos. "Wieso kann ich nichts riechen?" "Weil ich keinen Duft mehr habe", sagte er mit rauer Stimme. "Schon...immer?" "Nein", seine Stimme wurde noch eine Spur tiefer, "das ist Paladinmagie." "Wie-?!", sie sah auf. Devon starrte geradeaus, in seinen Augen spiegelten sich die ruhelosen Flammen wider. "Es war vor etwa einem Jahr", begann er zu erzählen, "ein Gefangenenaustauch ist gründlich schief gelaufen. Ein paar Lindwürmer und Volans sind übermütig geworden. Letzten Endes blieb uns keine andere Wahl als sich ins Paladin-Hauptquartier zu schleichen und unsere Leute zu befreien. Es kam natürlich alles anders. Das Ganze endete in einem Kampf zwischen mir und dem Großmeister. Bevor der Kampf entschieden werden konnte, bin ich geflohen. Die Sicherheit meiner Leute hatte Vorrang. Aber der Großmeister hat noch ein Andenken hinterlassen." "Wieso? Was hat er davon?" "Mehr als du glaubst. Als Himmelsdrache ist der Duft mehr als ein Mittel, um einen Partner zu bezirzen." Sie fühlte sich angesprochen und wurde rot um die Nase. Vorsichtshalber schmiegte sie sich enger an seine Brust, legte den Kopf schief und versicherte sich, nicht doch eine Duftnote zu erhaschen. "Wir können unseren Duft wie eine Spur hinter uns herziehen, Izara. Wir können unsere Verbündeten wissen lassen, wenn wir in Gefahr schweben, verwundet oder gefangen genommen worden sind. Wir können Markierungen setzen, das Drachenvolk warnen, wenn sie in Gefahr sind." Es gab noch mehr, aber der König hörte auf, all das aufzuzählen, dessen er sich niemals wieder bedienen konnte, und Izara ihrerseits wusste nicht, ob sie wirklich noch mehr hören wollte. Auf einmal kam sie sich wieder schwach und kindisch vor. "Wieso hast du nichts gesagt?", wollte sie wissen. "Niemand weiß es", brummte er in ihr Haar, "ich möchte Trias und die anderen nicht unnötig belasten. Es würde zu viel Panik schüren." Dann wusste nur Izara davon? "Meinst du nicht, dass sie es wissen und nur nichts sagen wollen?" Kaum vorstellbar, dass niemandem aufgefallen war, dass der Drachenkönig keinen Geruch besaß. Wenigstens Sila sollte doch bemerkt haben, dass etwas nicht stimmte. "Sie wissen es nicht", entgegnete Devon stoisch, "ein Vorteil, mit Himmelsblut gesegnet zu sein - so sehr ich meinen Geruch manipulieren kann, genauso kann ich ihn unterdrücken." Izara wünschte, sie könnte es auch. Vielleicht sollte sie sich zukünftig von ihm zeigen lassen, wie es ging. Dann hätte sie eine Sorge weniger. "Trotzdem", murmelte Izara in seine Brust hinein, "du hättest irgendwas sagen können. Ich habe mich furchtbar gefühlt. Du hast einfach so getan, als wäre nichts passiert und ich kam mir wie ein Idiot vor." Sie fühlte sich auch jetzt noch wie ein Idiot, aber das sagte sie ihm nicht. Irgendwie war sie ja mit Schuld an diesem Schlamassel. Wenn sie schon vorher offen zu ihm gewesen wäre, wie wären wohl die letzten Wochen für sie gewesen? "Das wollte ich nicht", raunte er, "ich dachte, du wüsstest nicht, was du tust. Dass du dein Drachenblut nicht unter Kontrolle hättest. Du wärst nicht das erste Weibchen, und du kanntest dich überhaupt nicht mit unseren Gepflogenheiten aus." "In Whalla wusste ich sehr genau, was ich tat", erwiderte sie, "in Kandio haben sie uns Vieles verboten, aber so etwas kriegt man mit den Jahren schon mit." "Es tut mir leid." Seine Worte entließen eine Wärme in ihrem Körper, die sehr stark ihrem Drachenblut ähnelte und doch um so vieles intensiver war. "Izara", seine tiefe Stimme vibrierte, Izara spürte es in jeder Faser ihres Körpers. Vorsichtig hob er ihr Kinn an. Die Geste war voller Ehrfurcht und Zuneigung, dass sie scheu zu ihm hinaufschaute. Eine Ecke ihres Verstandes fürchtete sich. Fürchtete die Gefühle zuzulassen, die sie schon mehr als ein paar Mal verletzt hatten. Doch der Sog war zu groß. Das Verlangen, sich diesen Augen, diesen Blicken anzuvertrauen, war unaufhaltsam. Izara traute sich nicht zu atmen, geschweige denn einen Gedanken zuzulassen, der alles zerstören könnte. Sein Blick war so ungewiss wie der Grund des Ozeans, seine Augen so kalt wie das Eis auf den Gipfeln des höchsten Berges. Izara liebte den Anblick seiner Seelenspiegel, die sie durch Höhen und Tiefen treiben, die sie an den ersten Ritt auf den Schwingen eines Drachen denken ließen. An die grenzenlose Freiheit und die Bürde, die damit einherging. Izara war bereit, den Preis zu zahlen. Bereit, wie man nur sein konnte.   "Es gibt einiges nachzuholen", sein Atem streichelte ihre Nase, "aber zuallererst-" Damit legte er seine Lippen auf ihre. Kapitel 75: Izara ----------------- Ein flüchtiger Kuss, der den Mund liebevoll streifte, fast neckend umgarnte. Ein Zeugnis der Zuneigung, das ihr bisher verwehrt worden war. Izaras Lider begannen zu flattern. Seine Lippen waren so weich, wie sie es sich immer vorgestellt hatte. Sie verstand nicht viel davon, aber Izara lernte schnell und ihr gefiel, was sie spürte. Seufzend schloss Izara ganz die Augen, reckte ihren Hals, als ihre Lippen nach mehr flehten, sehnsuchtsvoll ihr Verlangen bekundeten. Sie wollten mehr. Mehr von diesem süßen Geschmack, den der Kuss mit sich brachte, mehr von dem Kribbeln, das von ihrem Bauch abwärts wanderte und irgendwo in ihrer Mitte zu etwas Heißem und Brennendem wurde. Die Eindrücke schlugen wie Hagelkörner auf sie hernieder - jedes Korn ließ die Erde zittern und ihren Körper beben. Die Neugier war größer als die Unsicherheit. Sie spürte den Sog, die Kraft dieses unsichtbaren Bandes, das sie enger an den König drückte, seine Nähe einforderte - und noch so vieles mehr. Izara schlang die Arme um seinen Hals, sie wollte ihn spüren lassen, was es mit ihr machte, was er mit ihr machte. Wollte, dass er begriff, was in ihr vorging. Er sollte wissen, wie lange sie schon darauf gewartet hatte. Ein leises Raunen, dann hatte er eine Hand in ihren Nacken gelegt und forderte seinerseits ein, was Izara ihm nur allzu gerne geben wollte. Der Wandel von Unschuld zu gierigem Verlangen brachte sie ins Taumeln. Er küsste sie, als würde es ihr letzter Kuss sein. Ein brennender Kuss, der von Jahren und Monden erzählte, dass es Izara in einen Trance ähnlichen Zustand versetzte. Wild und ungestüm pressten sich ihre Körper aneinander. Die Hitze hatte auch Devon völlig vereinnahmt, die Wärme, die er ausstrahlte traf Izara in wohligen Schüben. Mit den Fingerspitzen umfasste er ihr seidenes Haar. Die ganze Kopfhaut begann zu prickeln, als Devon daran zog - sanft, aber bestimmend - und Izara noch weitere Laute entlockte, die sie sich selbst nicht zuschreiben konnte. Nichts war von dem ruhigen und kontrollierten König übrig geblieben und auch Izara streifte den letzten Schleier der Unsicherheit ab. Sein Kuss war fordernd und einnehmend, dass alles andere bedeutungslos war. Izara ließ sich vollends fallen, tauchte ein in diese vollen Lippen und deren ungezügelten Gebieter. Sie genoss seine Dominanz, genoss es, wie unbeherrscht seine Zunge über ihre Lippen fuhr, wie sie ihren Willen einforderte und Izara einfach nicht aufhören konnte, diesem Willen nachzugeben und seine Zunge willkommen zu heißen. Weil es sich aber auch so gut anfühlte, nachzugeben! Denn das war es, was ihr eigener Körper verlangte, was er schon seit Längerem begehrte und ihr Herz erst jetzt verstand. Ein weiterer Seufzer und schon saß sie rittlings auf seinem Schoß, knabberte an seiner Unterlippe, dass es ihm ein wildes Knurren entlockte und Izara ein triumphierendes Grinsen bescherte. Sie schlang die Beine um ihn und ließ sich um den Verstand küssen, während die Hitze zwischen ihren Beinen unerträglich wurde. Aber nicht nur Izaras Körper regte sich. Sie spürte sein eigenes wildes Verlangen, den ungezügelten Trieb, dem sich selbst ein Drachenkönig nicht entziehen konnte. Leise flehend nannte sie ihn beim Namen, ihr Körper glühte, während sich ihr Duft in alle Himmelsrichtungen verstreute. Ein animalischer Laut und zwei starke Hände hatten sie am Hintern gepackt. Unvorbereitet, wie sie war, schreckte Izara auf. Abrupt riss Devon die Augen auf, zog sich zurück und hob Izara von seinem Schoß. Izara verstand nichts. Ihr Atem ging flach und mit feurigen Wangen blickte sie zu dem Drachenkönig hinauf. Dieser raufte sich durch seinen dunklen Schopf. Eine Geste, die so gar nicht zu ihm passte. Das Haar war von der Feuchtigkeit wild und ungezähmt geworden - genauso wie Devon es gewesen war. Doch jetzt- "Es - es tut mir leid", stieß er schwer atmend hervor, "als ich sagte, wir hätten einiges nachzuholen, wollte ich nicht-" Er stockte. War es ihm etwa unangenehm? Izara spürte, wie die Distanz zwischen ihnen wuchs. Kräftig zog das Band in ihrem Inneren, befahl Izara näher zu rücken. Zu dem zurückzukehren, was es eigentlich wollte. "Nein!", stieß sie keuchend hervor. Sie beugte sich zu Devon vor, legte eine Hand auf seinen Unterarm. Gerade wollte sie sich ihren Gesichtsausdrück nicht vorstellen. Sie fühlte sich zerstreut, ausgehungert und verzweifelt. "Ich…deine Hände", murmelte sie und starrte zu Boden, "sie waren so kalt und da hab' ich mich kurz erschreckt. Bitte, Devon", ihre strahlenden Augen blickten scheu zu ihm auf, "ich möchte diese Nacht…nicht alleine sein." Wie dämlich sie sich gerade angehört haben musste, aber noch direkter konnte sie nicht werden, ohne in Flammen aufzugehen. Wenn der Drachenkönig nicht viel von ihrer Sprache begriff, aber ihre Augen sprachen nur allzu deutlich - und von ihrem Duft wollte sie erst gar nicht anfangen. Es verging genau ein Augenblick, in dem Devon seinen Atem ausstieß. Dann packte er Izara, griff mit den Händen nach ihrer Taille. Seine eiskalten Seelenspiegel fixierten sie, wogen jede ihrer Regungen genau ab. Izara erwiderte seinen Blick so sicher sie nur konnte. "Du hast die Kontrolle," sagte er mit fester Stimme und eiserem Blick. Izara verstand. Sie nickte, ließ sich von dem mächtigsten Drachen hochheben und über den weichen Moosteppich tragen. "Ich kann für nichts garantieren", stieß er fast schon seufzend aus. Dabei legte er Izara auf den Boden als würde er eine zerbrechliche Vase in den Händen halten. Er selbst kniete vor ihr, mit dem linken Knie an ihrem Oberschenkel, die Arme links und rechts neben ihrem Gesicht, dass sie von allen Seiten eingekesselt war. Ein Schauer jagte den nächsten. Sie sah ihn an, das Blau seiner Iriden wurde so durchdringend, dass sie sich darin verlieren könnte. "Ich vertraue dir", hauchte Izara und spürte, wie das Wort bei ihnen beiden etwas bewirkte. Er schnaubte, fast schien er Lächeln zu wollen. Doch stattdessen beugte er sich herunter, küsste sie von Neuem, dass sie sich zurück in diesen Zustand der absoluten Schwerelosigkeit treiben ließ. Diesmal gab es kein Zögern, kein vorsichtiges Annähern. Er schien genau da weitermachen zu wollen, wo sie aufgehört hatten. So stürmisch wie er sie küsste, konnte sich Izara nicht vorstellen, dass es noch mehr gäbe. Aber Devon belehrte sie eines Besseren. Izara hatte ihre Emotionen kaum mehr unter Kontrolle. Die Blase in ihrem Innersten war bereit zu platzen, Magie pulsierte unter ihrer Haut, wollte sich nach außen drängen, mit aller Macht ausbrechen. Jede Berührung des Drachenkönigs brachte ihr Himmelsblut an die Grenze der Vernunft. Als seine Lippen dann noch zu ihrem Hals wanderten, zaghaft daran saugten und knabberten, und fremde Laute ihren Mund verließen, war die Magie kaum mehr aufzuhalten. "Unterdrück es nicht", raunte er, als wüsste er um den Kampf, den sie in ihrem Innersten ausfocht, "du hast keine Ahnung, wie berauschend dein Duft ist." Seine Lippen an ihrem Ohr, die knurrenden Laute - es brachte sie um den Verstand und mit einem einzigen Atemzug verströmte sie ihren Duft, als würde ein Tsunami über sie einbrechen. Ein Schnauben und Devons Lippen wanderten weiter. Er küsste sie entlang der Halsbeuge, vom Schlüsselbein weiter Richtung Brustkorb. Dann hielt er inne und Izara dachte, er hätte es sich wieder anders überlegt, als seine Hände sich unter das Hemd stahlen, der Stoff nach oben geschoben wurde, dass er ihre Brüste streifte, die sich ihm wohlwollend entgegen reckten. Kurz gab er einen flüchtigen Kuss auf die weiche, zarte Haut, die zum ersten Mal von solchen Berührungen zehrte. Ihre Brustwarzen wurden hart, ihr ganzer Körper schien nur darauf zu warten, dass er weiter machte. In einer geschmeidigen Bewegung zog er ihr das Hemd über den Kopf. Sie begriff es zunächst gar nicht. Erst als er seine Augen zu ihren Rundungen schweifen ließ, wurde sie sich ihrer Nacktheit gewahr. Ein leises Knurren - Izara war sich nicht sicher, ob es wirklich aus seinen Stimmbändern kam -, und bevor Izara weiter darüber nachdenken konnte, hatte er sich schon wieder zu ihr herunter gebeugt. Mit dem Mund erkundete er ihren Körper. Jeder Kuss, den er auf ihre bleiche Haut drückte, hinterließ eine Spur seines magischen Himmelsblutes. Weiß-blaue Flecken, die aus durchscheinenden Drachenschuppen bestanden, bedeckten ihren Körper. Es war zu Teilen seine Magie, die ihr Himmelsblut dazu antrieb, sich fallen und ihre Magie für sich sprechen zu lassen. Izara sah von all dem nichts, sie hatte die Augen geschlossen, fühlte die Hitze, die keuschen und weniger keuschen Küsse, die ihren ganzen Körper erkundeten. Izara wand sich unter seinen Berührungen. Es schien, als könnte der König nicht aufhören, als könnte er nicht von ihrer Taille, ihren Hüften, ihren Oberschenkeln, ihren - oh…Wieder bäumte er sich auf, mit gesenkten Lidern beobachtete Izara, wie er sich erneut ihren Brüsten widmete, seine Zunge über ihre Knospen kreisen ließ und Izaras Kopf zurück ins Moos bettete. Ein leises Quietschen, nach und nach streifte Devon seine Stiefel ab. Und dann seine Hose. Ihr Herz begann wie wild zu hämmern, sie keuchte und traute sich kaum, ihm in die Augen zu sehen. Devons eigenen Seelenspiegel leuchteten wild und doch wirkten sie im Schein der Flammen dunkel und gefährlich. Ein Saphir, der von Feuer umgeben war. Izara hielt den Atem an. Der Sog seiner Augen war übermächtig, selbst jetzt, wo sie Scham und Erregung verspürte, konnte sie sich ihm nicht entziehen und etwas sagte ihr, dass er genau das wollte. Seine Statur über ihr, das Knie zwischen ihren Beinen, ließ er eine Hand über ihren Oberschenkel streichen. Er streichelte sie und wanderte quälend langsam die Innenseite entlang. Ohne es zu merken, reckte sich Izara seiner Hand entgegen, die ihre empfindlichste Stelle fand, einen Finger über ihre feuchte Mitte streichen ließ und ihr Blut zum Kochen brachte. Maya hatte damals recht - ihr Körper wusste ganz genau, was zu tun war. Seine Hände wanderten zurück zu ihren Oberschenkeln, er spreizte sie und legte sich schließlich auf Izara. Die erste Berührung war überwältigend. Der stählerne Körper, der mit Izaras zarter Gestalt verschmolz, dazu das ungewohnte Gefühl zwischen ihren Beinen. Die Erregung des Drachenkönigs, der vorsichtig in sie eindrang, dass Izara glaubte, zu implodieren. Ein kurzer Schmerz, ein flüchtiges Ziehen, bevor Izara wieder entspannte, das Ziehen zu etwas Angenehmem wurde, dass ihren Kopf ausschalten ließ. Kurz zog er sich zurück, nur um sich tief in ihr zu versenken, genussvoll, langsam. Izara stöhnte leise auf, krallte ihre Nägel in den Nacken des Königs, die mehr und mehr den Klauen einer Himmelsgöttin ähnelten. Sie packte einen Schopf Haare, Devon stieß ein Knurren aus. Sein letzter Versuch, sich zurückzunehmen, hatte sie ihm genommen. Zügellos wurden seine Stöße, trieben Izara weiter und immer weiter in die völlige Besinnungslosigkeit. Ihr Innerstes loderte nicht, es stand in Flammen und mit ihm die brennende Mitte, die er mit seiner Männlichkeit vollends auszufüllen wusste. Mit aller Macht kämpfte sie gegen das Gefühl, sie wollte noch so viel mehr, noch so viel weiter gehen, doch als er sich in ihr bewegte, sie ausdehnte, bis zum Anschlag ausfüllte, hielt sie es nicht länger aus. In einem einzigen Moment brach ein Gefühl über sie ein, dass zwischen ihren Beinen wie ein immer wiederkehrendes Echo nach hallte. Sie klammerte sich an Devon, der jede Regung ihres Körpers zu spüren bekam. Ein tiefes, wildes Knurren ließ Izaras Körper von neuem vibrieren. Sie spürte seine Energie. Wie ein Blitzeinschlag überwältigte es Izara, traf sie irgendwo zwischen Bauchnabel und Unterleib und ließ sie keuchend am Boden liegen. Immer wieder schoss die Kraft des Himmelsblutes durch ihren Körper, als wollte es ihre Vereinigung bekräftigen. Im Schein der langsam erlöschenden Flammen strahlte das Himmelsblut von König und Prinzessin im schützenden Kreis der Höhle und nichts und niemand konnte diesen Augenblick aufhalten. "Himmelsblut ruft Himmelsblut - so war es immer und so wird es immer sein." Kapitel 76: Epilog ------------------ "Das war der Letzte", stöhnte Linnora und hievte den zwanzig Pfund schweren Koffer auf das Bett. Izara half ihr dabei, schob von unten einmal kräftig, dass die Matratze ein unsanftes Quietschen von sich gab. Zufrieden griff die Dienerin nach dem Leinentuch, das sie sich über die Schultern geworfen hatte, und wischte sich den Schweiß von der Stirn. "Ich weiß wirklich nicht, ob das alles nötig ist", sagte Izara und beäugte den großen, braunen Lederkoffer. "Keine Widerworte, Prinzessin. Es ist besser, zu viel als zu wenig bei sich zu haben", meinte Linnora, wie jedes Mal, wenn Izara Einspruch erheben wollte. Die Bedienstete klopfte auf den Koffer, in dem sich zwanzig neue Kleider, fünf Mäntel aus Pelz und Seide und natürlich ein paar frische Handtücher und Bettlaken stapelten. Alles sorgfältig drapiert und sortiert. Die gute Linnora hatte die Stoffe einmal Dampf gereinigt und mit einer besonderen Falttechnik zusammengelegt, dass alles hineingepasst hatte. Izara konnte nur staunend zusehen. "Ich glaube nicht, dass ich groß unter Leute kommen werde", sagte Izara. Der Zipfel eines rotgoldenen Gewandes lugte eingeklemmt zwischen dem Reisegepäck hervor. Izara bezweifelte, dass die Kleider lange passen würden. "Ich kann Euch doch nicht mit Lumpen herumlaufen lassen!", entgegnete die Dienerin entrüstet. Diese Lumpen waren der Umhang, den Izara von Trias erhalten hatte, sowie eine Reihe schlichter Gewänder für den Heimgebrauch. Aber bei Linnora redete sie gegen Wände. Lächelnd stemmte Izara die Hände in die Hüften. Es war ein trauriges Lächeln, von Melancholie begleitet. "Ich werde dich vermissen, Linnora", sagte Izara und sah zu ihrer fleißigen Dienerin, die das Kleid ordentlich verstaut und den Koffer noch einmal gründlich verschlossen hatte. Angesprochene hob den Kopf. "Prinzessin", hauchte Linnora und verneigte sich. "Ich danke dir für alles", Izaras Augen wanderten zu den Habseligkeiten, die im Zimmer geblieben waren. Viel war es nicht. Bett und Schrank hatte Linnora nicht verstauen können, aber sonst erinnerte kaum etwas an die Monde, die sie in dem Zimmer verbracht hatte. Rückblickend war doch nicht alles schlecht gewesen und sie bedauerte, nicht mehr Zeit gehabt zu haben. "Es war mir eine Freude, Euch zu dienen", sagte Linnora, den Tränen nahe. "Hoffentlich sehen wir uns bald wieder", Izara kämpfte mit ihren eigenen Gefühlen. Zur Zeit fiel es ihr noch schwerer, sie zu verbergen. "So lange es dauert", erwiderte Linnora. Izara machte eine Geste mit der Hand und die Dienerin richtete sich auf. Es war ihr noch immer unangenehm, die Rolle der Prinzessin einzunehmen, doch sie hatte begriffen, dass es nötig war. "Trotzdem", seufzte Izara und setzte sich kurz aufs Bett, "fünf Koffer sind zu viel des Guten." Das Bild eines Drachen, der mit fünf Koffern durch die Gegend flog, wollte ihr einfach nicht in den Kopf gehen. "Der arme Solar wird noch einen Hexenschuss bekommen." "Lass das mal meine Sorge sein", grummelte es am Türrahmen. Erschrocken drehten sich Linnora und Izara um. Grimmig starrte Solar auf das Gepäck. "Man darf sich doch noch Sorgen machen dürfen", Izara verschränkte die Arme vor der Brust, was Solar mit einem Schnauben kommentierte. "Ich bin kein Krüppel", meinte er und lief auf das Bett zu. Das Abzeichen blitzte an seiner Hüfte auf. Nachdem der Blitzdrache das Leben der Prinzessin aufs Blut verteidigt hatte, hatte Devon ihn umgehend zum zweiten Leibwächter ernannt. Die Beförderung hatte den noch schwer verletzen Solar völlig unvorbereitet getroffen und zum ersten Mal hatte Izara so etwas wie Ergriffenheit in seinen Augen gesehen. "Du wärst fast gestorben", erwiderte Izara streng und deutete auf die Wunde an seinem Hals. Sila hatte wirklich gute Arbeit geleistet, aber das bedeutete noch lange nicht, dass sie sich keine Sorgen zu machen hatte. Man hatte Izara vorgewarnt. Die Flugstrecke war nicht ganz ungefährlich, sie würden einen Weg von über fünfhundert Meilen zurücklegen müssen und ob Solar sagen würde, wenn er eine Pause bräuchte, bezweifelte Izara. Mit zusammengekniffenen Augen beobachtete sie den Blitzdrachen, wie er sich den Koffer schnappte und provokant über die Schultern warf. Dass Devon ihm bereitwillig den Posten des zweiten Leibschwächters auferlegt hatte, war für viele eine Überraschung gewesen. Ein Frischling, der kaum etwas von der Welt gesehen hatte. Für Außenstehende war der Beschluss des Königs nicht nachvollziehbar. Nur Izara, sie wusste ganz genau, was den Drachenkönig zu so einer einschneidenden Entscheidung bewogen hatte und sie hätte ihm nicht dankbarer dafür sein können (auch wenn das hieß, dass Solar weiterhin sein Leben für die Prinzessin opfern würde; ein Punkt über den noch diskutiert werden musste). "Du solltest die Zeit nutzen und dich ausruhen," sagte sie und klang dabei wie Levis. "Ich kann mich ausruhen, wenn ich tot bin", meinte er nur und flüchtete, bevor Izara ihm wieder eine Predigt halten konnte. Kopfschüttelnd sah sie ihm hinterher. Sie würden schon bald genug Zeit zusammen haben. Izara konnte ihm noch viele Predigten halten, und - bei dem Großen Drachen - er würde seine Standpauke noch bekommen! "Ein wirklich grummeliger Blitzdrache", bemerkte Linnora, die nur noch Solars Silhouette an der Flurwand vorbei huschen sah. "Aber der Beste", entgegnete Izara schmunzelnd und gab sich einen Ruck. Zusammen mit ihrer Zofe half sie der Dienerin bei den letzten Vorbereitungen. Das gesamte Küchenpersonal hatte Lunchpakete zusammengestellt, die sich an Aufwand und Dekoration kaum überbieten ließen. Izara hatte sie nach dem Frühstück abgeholt, das Staunen war groß, als die Prinzessin auf einmal in der Küche stand und beim Verpacken mithelfen wollte. Zu guter Letzt gab es ein paar letzte, schniefende Ratschläge von Linnora. Mit glasigen Augen belehrte sie die Prinzessin über die zugigen Bedingungen während des Fluges und dass Izara auch ja ihren gefütterten Mantel anbehalten sollte. Eine Hand auf ihrer Schulter ruhend, versicherte Izara, gut auf sich acht zu geben. Gerne hätte sie die Dienerin umarmt, aber nicht nur die Stellung verbot eine derartige Zurschaustellung der Gefühle. Izara befürchtete auch, dass eine Umarmung in einem Schwall von Tränen enden könnte - für sie beide. "Wenn Ihr noch etwas wünschen solltet", sagte Linnora noch einmal, bevor sie das abgezogene Laken unter den Arm klemmte und die Kissenbezüge zu einem Haufen übereinander legte. "Ich weiß", lächelte Izara und schüttelte den Kopf, "geh' und mach eine Pause." "Aber Ihr-" "Linnora", erwiderte Izara tadelnd, "geh' und frühstücke etwas. Ich möchte nicht, dass du noch meinetwegen in Ohnmacht fällst." Der Dienerin stieg die Röte ins Gesicht und mit einem Knicks verabschiedete sie sich. Sobald Izara eine Minute für sich hatte, lief sie auf die Fenster zu. Eines davon hatte Linnora auf Kipp gestellt, dass ein paar welke Blätter auf die Brüstung geflattert waren. Tief atmete Izara die kühle Mittagsluft ein. Gegen Ende war ihr doch etwas übel geworden, dass eine kurze Auszeit vor dem Flug guttat. Ein stilles Lächeln, ein Hauch von Rosa zierte ihre Wangen. Sie atmete tief aus, fühlte ihren Bauch, dessen Rundungen noch nicht weit fortgeschritten waren. Das Wissen war noch frisch und Izara fürchtete, es könnte schneller verrauchen, als sie bis drei zählen konnte. Als in ihrem Innersten ein Gefühl auftrat, etwas Fremdartiges, außerhalb ihrer eigenen Magie und doch nahe genug, um es als einen Teil von sich zu betrachten, da war es ihr klar geworden. Schwangerschaften waren eine seltsame Sache, wie Izara fand. Sie war noch dieselbe, aber ihr Geist sagte ihr etwas anderes. Warm und wohlig sammelte sich die Magie unter ihrem Herzen. Seitdem sie Gewissheit hatte, ließ sie das Himmelsblut in Ruhe. Stattdessen konzentrierte es seine Macht auf das kleine Etwas in ihrem Bauch, hütete es in einer aus Himmelsblut geschaffenen Blase und tat seine Pflicht. Sie strich über die kaum sichtbaren Wölbungen, die sich unter der Kluft noch gut verstecken ließen und ließ die kalte Brise durch ihre Haare wehen. Anfangs hatte sie große Angst, dass die Symptome denen der Erweckung ähnelten. Nur zu gut erinnerte sie sich an die vielen Stunden, die sie im Bad zugebracht hatte. Übel war ihr, ja - aber nur manchmal und auch nur, wenn die Köchin diesen eigenartigen Fisch servierte oder die Feuerdrachen einen Schwefelgeruch in den Badeanstalten hinterließen.Unsicher wanderte ihr Blick zu den schweren Vorhängen. Es war Izaras kleines Geheimnis. Seit aus einem Gefühl Klarheit geworden war, musste sie sich regelrecht dazu zwingen, es für sich zu behalten. Den Bauch zu fühlen, eine Bestätigung zu suchen, dass alles in Ordnung war, hatte sich zu einer Routine entwickelt, die sie vor den anderen nur schwer zurückhalten konnte. Auch wenn es noch zu früh war, und noch keine Tritte oder Fäuste von sich gab, gab ihr die Berührung ein Gefühl von Sicherheit. Das Klopfen riss Izara aus ihren Träumereien. Hastig ließ sie die Hand sinken, fühlte sich ertappt, obwohl die Tür verschlossen war. "Prinzessin?", hörte sie dumpf die Stimme ihrer Leibwächterin. "Komm rein, Kyia", Izara raffte das Kleid und schloss das Fenster. "Prinzessin", hörte sie es im Chor von Kyia und Sila sagen. Die beiden Weibchen knieten im Zimmer, die Hand auf der Brust und den Blick nach unten gerichtet. Izara konnte nicht anders und verdrehte die Augen. "Erhebt Euch", sagte Izara, bemüht, ihrer Stimme Erhabenheit zu verleihen. Doch die Ironie wollte nicht verschwinden. "Wir wären dann soweit", Kyia erhob sich als erste, "Trias und Solar besprechen noch die Route, danach sollten wir aufbrechen können." "Vorausgesetzt, Trias hält nicht wieder einen Vortrag über Wolken und ihre Bedeutungen", wandte die Lóng ein und fuchtelte mit den Armen. "Wenn ich mir noch einmal den Unterschied zwischen Cumulus und Cumulonimbus anhören muss...", Sila verdrehte die Augen. "Nach deiner letzten Aktion sicher nicht mehr", entgegnete Kyia so trocken wie eh. Die gebürtige Lóng zuckte mit den Schultern. "Wenn mir ein rauchender Vulkankopf etwas über den Wasserkreislauf erzählen will, muss er auch mit den Konsequenzen leben." "Was hast du getan?", Izara konnte nicht anders als zu fragen. "Nichts Schlimmes", winkte Sila ab, "er wollte mir weißmachen, dass Schleierwolken erst nach sechsundddreißig Stunden Regen erzeugen. Ich habe ihm nur das Gegenteil beweisen wollen." "Indem du den ganzen Wald geflutet hast", erwiderte Kyia mit verschränkten Armen. Izara konnte sich geradeso das Lachen verkneifen. Bei dieser Auseinandersetzung wäre sie gerne dabei gewesen. Sila echauffierte sich noch eine Weile, und Izara hörte wehmütig zu. Vielleicht war der Aufbruch doch zu überstürzt. Gerade kamen ihr Zweifel, ob sie all die neu gewonnenen Freunde zurücklassen wollte. "Mit Eurer Zustimmung würden wir in einer halben Stunden abfliegen", Kyias Stimme hatte etwas Endgültiges. Stumm nickte Izara. "Wenn du Solar siehst", Izara verschränkte die Hände hinter dem Rücken, "könntest du aufpassen, dass er nicht...naja, du weißt schon", Izara seufzte, "er soll sich einfach nicht überanstrengen. Wenn du die Koffer nehmen könntest-" "Natürlich. Wie Ihr wünscht", mit einer Verbeugung verabschiedete sich Kyia. Hoffnungsvoll sah sie ihrer Leibwächterin hinterher. Wenn Solar ein Sturkopf war - auf eine Diskussion mit dem Bergdrachen würde auch er nicht eingehen. "Schön, dass die beiden miteinander auskommen", sagte Sila und schaute ihrer langjährigen Freundin hinterher. "Kyia scheint ihn wirklich zu mögen." "So siehst es aus, wenn Kyia jemanden...mag?" Verdutzt hob Izara die Augenbrauen. Als sich die Nachricht des zweiten Leibwächters herumgesprochen hatte, hatte sich Kyia zurückgenommen. Dass sie die Entscheidung zunächst als Versagen ihrerseits aufgefasst hatte, hatte für keinen keinen guten Start innerhalb der neuen Gruppe gesorgt. Der Bergdrache war wütend. Weniger auf Solar als auf sich und ihr Versagen. "Wie sieht es dann aus, wenn Kyia jemanden...nicht mag?!" Die Lòng lachte auf. "Ich weiß, Kyia ist nicht gerade der aktive Part, wenn es um Freundschaften oder ähnliches geht. Aber sie hat ihr Herz am rechten Fleck. Wenn sie den Blitzdrachen nicht leiden könnte, hätte sie ihn mit purer Ignoranz totgeschwiegen." "Dann muss sie Trias ja richtig mögen - so viel wie die beiden sich streiten." "Wer weiß", schmunzelte die Lòng und ging nicht weiter darauf ein. Ihr Blick wurde geradezu ernst, dass Izara das Herz in die Hose rutschte. "Im Moment frage ich mich", setzte Sila an, "wie es um Euren Gemütszustand steht." Bedächtigen Schrittes näherte sich Sila ihrer Prinzessin, die scheu ihre Hände vor dem Schoß gefaltet hatte. Die Lóng stand nun direkt vor Izara. Auf Augenhöhe blickten sie einander an. Izara stieß ein leises Seufzen auf, sie ließ den Blick schweifen. "Ich bin etwas aufgeregt", gestand sie. "Wegen der langen Reise?", die Lóng hob ihre rechte Hand und fühlte Izaras Temperatur, mit der anderen berührte sie ihren Unterleib. Der Lóng konnte sie nichts vormachen. Schon als Izara nervös und unruhig geworden war, hatte Silas feines Gespür eine Veränderung wahrgenommen. Sie war es auch, die ihrem Zustand einen Namen gegeben hatte. Als die Brüste zu schmerzen anfingen und die Blutungen ausfielen... "Es ist eher der Flug, der mir ein wenig Angst macht", antwortete Izara, "ich weiß, es klingt blöd, aber ich mache mir einfach Sorgen." "Das braucht Ihr nicht", entgegnete die Lóng mit einem sanften Lächeln. Langsam ließ sie die Arme sinken. "Dem Kind geht es gut. Euch geht es gut - das ist die Hauptsache. Und als Himmelsdrache wird es die Luft dort oben lieben." "Meinst du?", sie sah zu sich herunter. Auf ihren menschlichen Körper, der nicht zum ersten Mal für Ärger gesorgt hatte. Wer garantierte, dass er das nicht wieder tun würde? "Vertraut mir, Prinzessin", Silas Stimme wurde eine Spur ernster. Die letzten Tage schien sie die Mutterrolle für Izara einzunehmen, während Izara selbst das Gefühl hatte, vollkommen neben sich zu stehen. "Ich...ich weiß auch nicht", Izara ließ die Schultern hängen, "ich habe Angst, dass mein Menschenblut-" "Prinzessin", entgegnete Sila mahnend, bevor sich Izaras Worte noch überschlugen, "auch Eure menschliche Seite wird nichts daran ändern, wer Euer Kind ist. Die Großen Drachen haben eine Entscheidung getroffen, sie werden auf Euch und Euer Kind aufpassen." Izara machte große Augen. "Du hast recht", entgegnete sie, wobei das zarte Rosa ihrer Wangen eine Nuance dunkler wurde. "Ist...ist der König eigentlich in seinem Arbeitszimmer?" "Ja", antwortete Sila und legte die Stirn kraus. "Und Ihr seid Euch sicher, dass Ihr ihm nichts sagen wollt?", fragte sie vorsichtig nach. Izara schüttelte den Kopf. "Es ist besser so", sagte sie und rieb sich über den Bauch, "es ist noch zu früh, ich möchte nicht-" Izara schüttelte den Kopf. Die ersten zwölf Wochen gingen immer mit einer gewissen Vorsicht einher, Izara wusste das, und solange würde sie niemandem von ihrem Geheimnis erzählen. Schon gar nicht dem König - Devon. "Ich verstehe", entgegnete Sila und verneigte sich. Noch einmal strich sie Izara behutsam über die Schulter. Es war tröstend, die Lòng auf ihrer Seite zu wissen und gerne hätte sie Sila bei ihrer Reise dabei gehabt. Soweit von ihrem Zuhause entfernt zu sein und noch weiter vom Schloss, war ein unerträglicher Gedanke, der erst jetzt klare Formen annahm. "Wenn Ihr erlaubt", sagte Sila, griff in ihr feines hoch gestecktes Haar, das mit einer spitzen, goldenen Haarnadel geschmückt war. Sie zog die Haarnadel heraus und schnitt eine dicke Strähne damit ab. Die hellblauen Augen darauf gerichtet, entließ sie einen Hauch ihrer Wassermagie, die Strähne begann zu leuchten und mit geübten Fingergriffen arbeitete sie das Haar in Izaras Kopfschmuck ein, der aus einem typisch, traditionellen Haarreif mit Stoffbändern bestand. "Verabschieden wir uns nicht", sagte die Lòng verschwörerisch und ließ von Izaras Haar, "ich glaube fest daran, dass wir uns bald wiedersehen...meine Himmelsgöttin." "Ich verspreche es", raunte Izara und nickte. "Und jetzt geht zu Eurem König", mit einem Schmunzeln zeigte Sila auf die Tür. Ein letzter Blick, ein flüchtiger Abschied, der nur vorübergehend sein sollte, und Izara huschte aus dem Zimmer. Ihre Schritte waren holprig. Mal langsam, mal schnell konnte sie sich nicht entscheiden, was sie eigentlich wollte. Nur eines war gewiss. "Izara", vor der Tür zum Arbeitszimmer stand Trias. Der gewohnte Blick trieb Izara die Tränen in die Augen, die sie sich eiligst wegwischte, bevor der Volan sie sehen konnte. "Ich dachte, du hälst Solar eine Rede über das Wetter." Trias schnaubte. "Hat dir das der alte Wasserdrache erzählt?" "Ziemlich gefährlich, die Lòng als alt zu bezeichnen, oder?", erwiderte Izara mit einem breiten Grinsen. Amüsiert hob Trias die Augenbrauen. "Das Wort Wasserdrache hätte sie weit mehr verärgert." "Du liebst es, die Damenwelt zu erzürnen, was?" "Ich tue mein bestes, um sie bei Laune zu halten", erwiderte er mit einer gespielten Verbeugung, die Izara zum Lachen brachte. "Ich nehme an, du möchtest zum König?", fragte der Volan noch während er sich aufrichtete. "Wenn er nicht all zu beschäftigt ist", antwortete Izara, obwohl ihr Innerstes laut »ja« schrie. "Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass er das immer ist, aber für dich wird er sich sicher die Zeit nehmen." Hitze stieg ihr ins Gesicht. Seit sie und Devon zurückgekehrt waren, hatte Izara das Gefühl, als würden sich die Männchen komisch aufführen. Als wüssten sie ganz genau, was sie und der König in der Höhle getrieben hatten. Izara wollte gar nicht darüber nachdenken. Mit einem kaum merklichen Nicken ließ Izara den Blick zur Tür schweifen. Wie üblich klopfte Trias, bevor er der Prinzessin die Tür aufhielt. Über einen Stapel voll Bücher hinweg, blickten sie die eiskalten Seelenspiel des Drachenkönigs an. Vorsichtig schloss Izara die Tür, ohne den Blickkontakt abzubrechen. "Ich hoffe, ich störe nicht", sagte Izara und musste sich zusammennehmen, sich nicht zu räuspern. Devon erhob sich von seinem Stuhl, der ein Stück nach hinten gerückt wurde und ein lautes Knarzen in dieser absoluten Stille ausstieß. "Natürlich nicht", entgegnete Devon hastig. Er richtete sich zur vollen Größe auf, dann lächelte er. Innerlich atmete Izara auf. Die letzten Wochen war Devon so beschäftigt gewesen, dass sie kaum ein Wort miteinander gewechselt hatten. Die Abendessen hatten sie meist im Stillen verbracht und wenn, dann waren die Gespräche auf die aktuelle Situation beschränkt. Der Überfall auf Dragor hatte dem Drachenkönig noch mehr Arbeit aufgebürdet. Treffen wurden organisiert, Briefe in alle Herrenländer verteilt - und wie es um die Sicherheit des Schlosses stand, blieb ungewiss. Vielleicht deshalb hatte sie einem Klimawechsel zugestimmt. Ein Haus in den Bergen. Ein wenig Ruhe und Zurückgezogenheit. Aber vielleicht hatte sie auch einfach nur Angst, dass er ihrem Geheimnis auf die Schliche käme und dass es alles verändern würde. Wie zwei Drachen, die sich erst zu beschnuppern hatten, wagte keiner von ihnen, die Distanz zu brechen. Izara war angespannt und auch Devon wirkte aus dieser Entfernung wie ein schüchterner Junge. Ungewollt begann sie an ihrem Gürtel herumzuspielen. "Bist du bereit?", fragte Devon. Nein, das war sie nicht. Aber Devons Sprachkenntnisse reichten nicht aus, die Tragweite seiner Frage zu erahnen. Darum nickte Izara, bemüht, nicht in Tränen auszubrechen. "Izara", Devons Augen drohten sie zu verschlingen. Drohten, ihr kleines Geheimnis auffliegen zu lassen. Ihr Herz drückte sich schmerzlich an ihre Brust. Langsam senkte er den Blick, der alles zerreißende Sog endete und ließ eine bittere Note des schlechten Gewissens zurück. "Wenn du es dir anders überlegst", sagte er, und Izara konnte förmlich spüren, wie er nach den richtigen Worten griff, "du bist keine Gefangene. Du kannst gehen, wohin du willst." Die Lippen zusammengepresst, wandte sie den Blick ab. Die harschen Worte, die sie ihm eines Abends an den Kopf geworfen hatte -  genau wie Izara, schien er sie nicht vergessen zu haben. "Ich weiß", entgegnete sie leise, "und wenn die Zeit reif ist, werde ich", sie ballte die Hände zur Faust. Ihre Lippen formten ein Lächeln. Sie konnte nicht bestimmen, ob sie sich freute oder doch alles hinschmeißen sollte, damit sie bei ihm bleiben konnte. Aber, nein! Sie musste gehen. In Dragor war sie keine Hilfe. Und wenn Devon auch noch im Schloss auf sie acht geben musste, könnte sie sich nicht mehr im Spiegel betrachten. "Ich möchte wiederkommen", sagte sie schließlich und drückte die Faust so fest zusammen, dass kleine, rosane Halbmonde auf ihrem Handteller entstanden, "wenn ich dann noch darf." "Immer." Sein Lächeln war sanft und Izara prägte es sich so gut sie konnte ein. "Ich habe mein Versprechen nicht vergessen", fügte er rasch hinzu, "ich werde dir noch alles zeigen. Deine Magie. Unsere." Sie nickte steif. Es war wohl besser zu gehen, bevor sie sich noch verplapperte. Ihr Gewissen war harsch, zwickte sie an Stellen, die richtig wehtaten. Sie drehte sich um, die Hand fest auf der Klinke "Devon", ihr Stimme war ein Hauchen. Wenn sie etwas sagen wollte, dann jetzt. Die Aufregung war groß, ihr Herz rauschte ihr in den Ohren. Dann hörte sie es sich sagen: "Ich liebe dich." Die Worte trug der Wind davon. Devons Augen weiteten sich und Izara zählte die Sekunden. Eins    . Zwei.    . Sie lächelte, drückte die Klinke herunter und wandte sich ab. Izara war nicht bereit für seine Antwort. Also ging sie. Draußen wartete ein perplexer Volan. Trias Gesicht färbte sich dunkelrot, als Izara zu ihm aufschaute. "Und dich hab ich auch lieb", sie klopfte ihm auf die Schulter. Trias begann zu Husten, dann nickte er. "Wie- wie du meinst", sagte er und hüstelte noch ein wenig weiter. Ihr Geständnis schien ihm weniger auszumachen, als dass Izara glauben könnte, er hätte die beiden absichtlich belauscht. "Ich glaube, ich werde dich vermissen", sagte sie und erstickte das Geständnis im Keim. "Du wirst mir auch fehlen", er lächelte, "ich wünsche eine gute Reise, meine Prinzessin." Trias verschränkte die Arme hinter der Brust und nickte Izara zu. Es war Zeit, aufzubrechen und mit einem letzten Wink verabschiedete sich Izara. Der Gang durch den Flur war zäh und lang. Aber sie spürte, dass es richtig war. Draußen wartete ihre Leibwache - Solar, der ein paar Worte an die Wache richtete. Und Kyia, die alle fünf Koffer auf einmal über den Rücken wuchtete. "Ich weiß, was du getan hast", murrte Trias, als Izara ihren Mantel zuknöpfte und in den wolkenlosen Himmel starrte. "Sieh' es als einen Befehl an", entgegnete Izara, "ein Befehl von deiner Prinzessin." Der Blitzdrache schnaubte. "Haben Prinzessin noch einen Wunsch?" "Ach, Solar", Izara schüttelte den Kopf, dann lächelte sie. "Reicht es denn nicht, dass ich auf deinem Rücken sitzen werde?" Angesprochener blickte sie starr an. Das war nicht ausgemacht, aber was hielt Izara schon von Vorschriften? "Na schön", murmelte Solar, "aber wehe, du machst das aus Mitleid." Er drehte sich mit dem Rücken zu ihr. Im Gegensatz zu Trias musste Solar sein Hemd nicht ausziehen, und das war gut so. Bei den Temperaturen. "Wo denkst du hin?!", entgegnete Izara, fasste vorsichtig um seinen Hals, dass sie die Wunde nicht berührte. Tief atmete sie ein. Es war Zeit. Der Rücken brach auf, Flügel platzten aus dem menschlichen Körper, bevor die gesamte Gestalt zu einem goldenen Drachen erwachte. Die Schwingen ausgebreitet, stieß sich der Blitzdrache vom Boden ab. Auf seinem Rücken - die letzte Himmelsgöttin. Fest umklammerte sie die Schuppen, das panzerförmige Gewand, das höher und höher flog. Wind peitschte Izara ins Gesicht. Es war Schmerz und Wonne zugleich. Sie spürte, ihre Zeit war gekommen. Kapitel 77: ... --------------- Kalter Wind wirbelte am höchsten Punkt des Greifgebirges die zarten Blätter von den Bäumen. Feiner Schnee hatte sich auf die ersten Wiesenfelder und Berggipfel gelegt. Es war Abend und das Krächzen der Vögel war schon fast erloschen, als das grelle Licht aus dem Nichts erschien und die Tiere aus ihren Schlaf hoch schrecken ließ. Ein großer runder Ballen Energie. Eine Druckwelle löste sich, die Berge begannen zu Grollen und mit einem dumpfen Aufprall landeten die zwei Kämpfer im einsamsten  Landstrich dieses Kontinents. Den einen schleuderte es auf den kalten, feuchten Boden. Sein zotteliges Haar drückte sich in die matschige Erde. Er hatte die Arme um den Hals des anderen und selbst die Teleporation hatte ihn nicht aus seinen Griffen befreien können. Unnachgiebige Biester! Er fletschte die Zähne. Eitriges Blut quoll aus seinen aufgerissenen Augen, er packte mit den Händen nach seinem Widersacher, versuchte sich aus dessen Griff zu befreien. Röchelnde Laute drangen in sein Ohr, Blut tropfte auf sein Gesicht. Drachenblut. Die Körper ineinander verschlungen, rollten der Paladin und sein Haustier auf dem Boden, kämpften mit den letzten Reserven, die das Leben ihnen zu bieten hatte. Langsam wurde es eng für ihn. Für beide. Mit den Füßen aufgestampft, drückte er sich dem Blitzdrachen entgegen. Die menschliche Gestalt war zäh. Der Drache ließ einfach nicht locker. Er wollte und wollte nicht sterben. Wegen ihnen. Kräftig drückte er dem Tier die Ellenbogen in die Seite. Ein Stöhnen. Der Blitzdrache lockerte seinen Griff, also rammte er ihm den zweiten Arm in die Rippen und rutschte herum, bis er ihn abgewimmelt hatte. Die Bestie keuchte, während ihm das Blut wie Spucke über die Lippen rann. Ein Sieg? Wohl kaum. Stand es nicht besser um ihn. Große grüne Augen starrten ihn an. »Für den Drachenkönig. Für das Drachenvolk« Keuchend setzt er sich auf ihn, verpasste dem Drachen eine mit der Faust, die so stark zitterte, dass er kaum mehr richtig ausholen konnte. Scheiße! Wahllos griff er ins Leere. Ein Stein fand sich und in rasender Wut schlug er damit auf seinen Schädel ein. Und auf seine Schläfe. Links. Rechts. Links. Rechts. Es klingelte in den Ohren. Er stöhnte noch lauter, spürte das Blut in seinen Adern rauschen. Blut, dass seinen Körper verließ. Der Platztausch hatte ihm mehr Schaden zugefügt als er erwartet hatte. Nichts lief, wie es laufen sollte, und wo seine Männer abgeblieben waren, wussten nur die Götter. Vermutlich durch den geschwächten Zauber durch die Landen geschleudert. Zerfleischt oder zerfetzt, was kümmerte es ihn? Er hatte weit andere Probleme. Er schlug noch einmal richtig zu. Der Körper regte sich schon gar nicht mehr, aber das war ihm egal. Sein Hass auf diese Gattung ging über das Greifbare hinaus. Das Blut von der Nase abgewischt, warf er den Stein irgendwo zwischen das Gras. Er musste sich beeilen. Seine Hände begannen zu schrumpeln, seine Nägel zu brechen. Er spürte den rauen Atem, den kalten Lufthauch, der aus seiner Speiseröhre drang. Der Alterungsprozess verlief schnell und grausam. Fast so grausam wie die Nebenwirkungen des Anti-magischen Walls. Die Wirklichkeit holte ihn ein. Er tastete nach seinem Schwert, das während der Teleportation abhanden gekommen war. Eine Unachtsamkeit seinerseits, die ihm noch das Leben kostete. Krabbelnd griff er nach der Klinge, die zwischen Blut und Schnee zugedeckt worden war. Mit beiden Händen umklammerte er das Schwert - ein Rettungsanker in der Einsamkeit der Nacht -, er rammte es in den Leib des Blitzdrachen, der mehr und mehr seiner wahren Natur entsprach. Der Körper wuchs, die menschliche Hülle wich einem robusten Drachengerüst. Der Schnitt war unpräzise, er verlief einmal quer, dass das Blut aus dem Oberkörper gedrückt wurde. Unkontrolliert, aber gerade gut genug, um sich mit ihm zu verbinden. Der Gestank nach Elektrizität und Verkohlten stieg zusammen mit dem metallischen Geruch auf. Es gab keinen große Vorbereitungszeit, er beugte sich vor, tunkte die Hände in den Leib und ließ das Blut durch seine Kleider sickern. Er hustete, spuckte sein eigenes Blut auf den durch gesifften Boden. Auf die Bluttaufe musste er verzichten, und seinem Urvater würde er später Respekt zollen. Wie ein übervolles Weinglas schwappte der Lebenssaft auf seinen Oberkörper. Wärme breitete sich aus, zunächst waren es nur die Fingerspitzen, doch als das Blut durch die Haut hindurchbrach, ging alles ganz schnell. Seine Haut war ein Schwamm, der das Drachenblut aufsaugte, bis es sich mit seinem menschlichen Blut verband. Ein Stromschlag durchzuckte ihn. Dann schoss das Blut durch seine Adern, Hitze ließ den Körper erschaudern. Drachenmächte zirkulierten um seine eigenen Kräfte, verschmolzen zu einer Einheit, die ihn die Augen verdrehen ließ. Der Rausch war kurz, das Glücksgefühl, wie er es beim ersten Mal verspürt hatte, hielt nicht lang. Das Drachenblut würde ihn nicht mächtiger machen, es würde sein Leben retten, wenn es überhaupt noch Rettung gab. Die Arme aus dem Leib des Tieres gezogen starrte er in den schwarzen Himmel. Er konzentrierte seine Kräfte. Ein letztes Mal die Mächte bündeln, hoffen, dass es genügte. Damit entließ er die Kräfte. Der nächste Platztausch war ungefährlicher, die Entfernung kaum nennenswert. Trotzdem stöhnte er auf, als er mit den Knien auf den harten Dielen aufschlug. Ein spitzer Schrei ertönte. Vermutlich eine Dienerin, die nicht wusste, wie ihr geschah. Welchen armseligen Trottel er damals gezeichnet hatte, wusste er beim besten Willen nicht mehr. Mühsam richtete er sich auf, ungeachtet der Blicke, die er von allen Seiten spürte. Torkelnd schritt er durch das Kellergewölbe, die Treppe hoch ins Erdgeschoss. Der Schwindel übermannte ihn, er stützte sich an der Wand ab und blieb stehen. Die Sicht verschwamm vor seinen glasigen Augen, dass die Gestalt vor ihm kaum zu erkennen war. Nur das Lächeln, das stach deutlich hervor. "Welch unerwarteter Besuch", hörte er die vertraute Stimme säuseln, "keine Sorge, ich werde mich gut um Euch kümmern. Großmeister." ____ Ende Band 1 Drachenjagd - die Himmelsgöttin Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)