Love against all Reason von Ukiyo1 (Liebe gegen jede Vernunft) ================================================================================ Kapitel 7: ----------- Mimi Während ich vor Joes Tür warte, sehe ich mich im Krankenhaus ein wenig um. Es ist ein ganz klassisches Krankenhaus. Weiße Wände, weiße Decken. Steril eben. Ein paar Schwestern laufen von Tür zu Tür und ich Frage mich, was die Beiden da so lange zu bereden haben. Ich ziehe an meinem Rock, der ungewohnt lang ist und muss daran denken, was Joe vorhin gesagt hat: „Tai, deine Schwester ist da.“ Aha, eine Info, die ich bisher noch nicht wusste. Tai ist also schon mal kein Einzelkind. Warum seine Schwester wohl extra ins Krankenhaus zu einer Untersuchung muss? Hoffentlich ist sie nicht schlimm krank. Die Tür öffnet sich und die beiden Männer gehen an mir vorbei, während sie sich angeregt über den kürzlich veröffentlichten Artikel austauschen. Okay, das ist etwas eigenartig. Joe hat gar nicht den Blickkontakt zu mir gesucht oder mich irgendwie wahrgenommen. Wortlos folge ich den Beiden und höre gespannt zu. "Und glaubst du, die Presse ist positiv auf Mimi zu sprechen?", hakt Joe bei Tai nach. Sie wissen schon, dass ich direkt hinter ihnen her latsche? "Auf jeden Fall sind sie Feuer und Flamme und werden sich sicher auf euch konzentrieren." "Ich fand es nie so schlimm, dass sie sich bisher nicht so für mich interessiert haben. So kann ich wenigstens ungestört meiner Arbeit nachgehen." "Jetzt werdet ihr die Titelblätter sicher öfter schmücken." Wie unverschämt, sie reden die ganze Zeit so als wäre ich gar nicht da. Über was haben die vorhin nur gesprochen? Über mich? Hat Tai Joe gesagt, dass ich mich nicht genügend anstrenge? Ich mach doch alles, was ich kann. Sie bleiben stehen und fast wäre ich geradewegs in Joe reingerannt, aber im letzten Moment kann ich mich noch halten. "Hallo Dr. Kido, die Untersuchungen von Ms. Yagami sind alle eingetragen. Hier sind noch die Ergebnisse vom Labor", teilt eine Krankenschwester mit und überreicht Joe eine Akte. Er nimmt sie entgegen und schaut sich irgendwas an. "Ich danke Ihnen." Er betritt ein Untersuchungszimmer und auch Tai folgt ihm. Ich weiß nicht so recht was ich machen soll und bleibe unschlüssig vor dem Untersuchungsraum stehen. "Brauchst du wieder eine extra Einladung?", stellt Tai die Frage direkt an mich. Ich schüttle den Kopf, folge ihm leise und stelle mich unauffällig in die Ecke. Irgendwie fühle ich mich deplatziert. "Hallo Kari, schön dich wiederzusehen. Wie fühlst du dich?", richtet Joe die Frage an die Schwester von Tai. Ich schau sie mir neugierig an. Sie sieht Tai tatsächlich sehr ähnlich. Sie scheint auf jeden Fall etwas jünger zu sein. Sie hat braune Schulterlange Haare und ebenso dunkelbraune Augen wie die von Tai, aber ihre Hautfarbe ist um einiges heller, blasser. "Momentan fühle ich mich sehr gut", erklärt sie mit einem Lächeln. "Das ist schön, die Laborergebnisse sind auch alle stabil. Wie ist es denn mit deinem Husten?" Kari verdreht die Augen. "Ach, da gewöhnt man sich irgendwann dran, aber es ist trotzdem nervig." "Ja, das kann ich mir vorstellen. Hattest du denn in den letzten drei Monaten Atemnot oder Atembeschwerden?" Kari schüttelt ihren Kopf. "Nein, das nicht, aber ich hatte vor einem Monat einen Anfall", erklärt sie. "Was? Davon hast du mir gar nichts gesagt?" Tai plustert seine Wangen auf und wirkt beleidigt. Irgendwie süß. "Ich will ja auch nicht, dass du dir ständig Sorgen um mich machst. Es reicht schon, dass T.K. dann zum persönlichen Wachhund wird. Ich brauche nicht zwei davon", rechtfertigt sie sich und sieht ihren Bruder versöhnlich an. "Ich will es trotzdem wissen." "Wie auch immer", unterbricht Joe die beiden Geschwister und richtet seine Aufmerksamkeit wieder auf Kari. "Wie lange hielt der Hustenanfall an?" "Hmm, ich würde sagen etwa zwischen fünf und zehn Minuten." "Das ist lange. Wir machen nochmal eben einen Lungenfunktionstest." Joe bittet Kari auf einem Stuhl Platz zu nehmen und setzt sich selber gegenüber auf einen Stuhl, wo auf einem kleinen Tisch ein Monitor steht. "Den Ablauf muss ich dir ja nicht mehr erklären", sagt er und holt aus der Schublade eine Klammer mit dem Karis Nase zugehalten wird, heraus. "Ein paar ruhige Atemzüge, Kari, und wenn ich die Hand hebe, holst du ganz tief Luft und atmest solange wie du kannst aus. Hier ist dein Mundstück." Kari scheint das alles nicht zum ersten Mal zu machen. Sie schiebt sich das Mundstück in ihren Mund und atmet ruhig ein und aus, auf dem Monitor sieht man jetzt eine Kurve. Keine Ahnung was sie zu bedeuten hat, aber es sieht interessant aus. Joe hebt seine Hand und Kari versucht sehr lange auszuatmen, als sie das Mundstück entfernt fängt sie kräftig zu husten an. Tai schaltet sofort, findet einen Wasserbehälter mit weißen Plastikbechern, füllt diesen auf und reicht einen Becher an Kari weiter. Sie nimmt ihn an, während sich durch das Husten kleine Tränen in ihren Augen sammeln. Kari trinkt einen Schluck, muss danach aber wieder leicht husten. Tai schlägt zwischen ihre Schulterblätter und sieht sie sehr besorgt an. "Geht es Kari?" Kari nickt und winkt ab. "Ja alles gut, ihr kennt das doch von mir." Sie trinkt ihren Becher leer und lächelt. Wie tapfer sie ist. "Und Joe, was sagt der Test?", erkundigt sich Tai bei Joe. "Deine Werte sind zwar alle im unteren Normbereich, aber sehr grenzwertig und da du dazu noch ein sehr junger Mensch bist, macht mir das etwas Sorgen. Ich wäre dafür dir wieder Physiotherapie aufzuschreiben und vielleicht wäre eine Kur am Meer auch nochmal gut für dich. Das solltest du jährlich in Anspruch nehmen. Ich möchte um jeden Preis verhindern, dass die Werte sinken. Ich schreibe dir auch nochmal die Peak Flow Messung für Zuhause auf", erklärt Joe. Ich finde es wahnsinnig beeindruckend wie er das macht. Ärzte haben wirklich was anziehendes an sich. Kari nickt verstehend. "Okay, also wieder tägliches messen?" "Ja, bis zu unserer nächsten Untersuchung in drei Monaten, aber wenn es dir schlechter geht oder Atemgeräusche auftauchen, meldest du dich sofort. Die Physiotherapie kannst du auch gerne wieder hier im Krankenhaus machen, so kann ich direkt für nächste Woche einen Termin für dich ausmachen." "Ja gerne, die Physiotherapie hilft mir wirklich immer sehr gut." "Schon echt praktisch einen Freund zu haben, der hier das sagen hat", grinst Tai. "Ich hab hier nicht das sagen", erklärt Joe. Wie bescheiden er ist. "Aber in Zukunft schon und widersprechen wird dir hier auch nie jemand." Joe schüttelt lachend seinen Kopf und richtet seine Aufmerksamkeit von Kari auf mich. Er hat wohl jetzt erst wieder Notiz von mir genommen. "Kari, das ist Mimi, sie ist meine …" "Verlobte. Ich habe es heute schon in der Zeitung gelesen. Mein Handy hat die Schlagzeilen gleich groß auf meinem Bildschirm angezeigt. Hi Mimi, ich bin Kari, Tais Schwester." "Hallo Kari, es freut mich sehr dich kennenzulernen." Ich verbeuge mich auch leicht vor ihr und weiß immer noch nicht so Recht wie ich mich verhalten soll. "Darf ich Mimi sagen, was dir fehlt?", fragt Joe Kari, als seine Patientin. Sie nickt und willigt somit ein. "Kari hatte vor einigen Jahren eine schwere Lungenentzündung und hat dadurch eine Lungenfibrose zurückbehalten, deshalb kommt sie regelmäßig zur Kontrolle", erklärt Joe mir und ich bin dankbar, dass er mich mit einbezieht und sich die Zeit dafür nimmt. "Ach Joe, brich dir keinen ab, sie hat eh keinen Schimmer wovon du sprichst", funkt Tai dazwischen und am liebsten würde ich ihn würgen, aber unter den Umständen, dass hier jemand wirklich schlecht Luft bekommt, kommt mir das äußerst unhöflich vor. "Tzz, natürlich weiß ich was eine Lungenfibrose ist. Bei einer Lungenfibrose bildet sich überflüssiges Bindegewebe in der Lunge, zwischen den Lungenbläßchen und rund um die Blutgefässe", erkläre ich total selbstsicher. Google sei Dank und nachdem ich gestern Pneumologie gegoogelt habe, habe ich auch direkt die häufigsten Lungenkrankheiten gegoogelt und auch wenn ich keine Ahnung habe, so konnte ich schon immer gut auswendig lernen. "Wow, sehr gut Mimi, das musste ich Tai früher immer sehr genau erklären." "Ach, wusstest du das nicht? Ich finde sowas gehört zur Allgemeinbildung einfach dazu." Tai. Will. Mich. Töten! Aber das ist mir egal. Ich muss bei Joe punkten und nicht bei Tai. "Wirklich beeindruckend, Mimi." Joe lächelt mich an und ich bin gerade richtig froh darüber. "Ich wollte Mimi noch das Krankenhaus zeigen. Kari, möchtest du uns noch begleiten?" "Sehr gerne." Wir verlassen das Untersuchungszimmer und Joe und Tai gehen wieder voran. Tai scheint wohl noch ein paar Fragen wegen Karis Befund zu haben und so hab ich die Möglichkeit Kari ein wenig näher kennenzulernen. "Mein Bruder, er kann es einfach nicht lassen", spricht Kari los und auch wenn ich nicht weiß, ob sie es zu mir gesagt hat, antworte ich ihr. "Ich finde es schön, wie er sich um dich sorgt." "Ja, er ist wirklich der beste Bruder, den man sich nur wünschen kann." "Ich habe keine Geschwister, daher weiß ich nicht, wie es ist einen großen Bruder zu haben." Ich habe nicht das Gefühl, dass mir deswegen was im Leben gefehlt hat, was man nicht kennt, kann man ja schließlich auch nicht vermissen. "Als Kinder waren wir immer ein Herz und eine Seele. Wir haben uns tatsächlich selten gestritten, obwohl das unter Geschwistern ja auch normal ist. Er hat mich immer schon vor allem und jedem beschützt. In meiner Jugend ist mir das aber dann ein bisschen zu viel geworden. Die Jungs hatten alle Angst vor ihm", erinnert sich Kari zurück und es fällt mir nicht schwer das zu glauben. "Schlussendlich hat er immerhin Takeru abgesegnet, aber vielleicht auch nur, weil der Bruder von Takeru auch ein Freund von ihm ist. Schlimm wurde es erst, als ich krank wurde. Er konnte nichts für mich tun, mich nicht davor beschützen oder die Krankheit auf sich nehmen. Ohne die Kidos wüsste ich auch nicht, ob ich noch hier wäre." Karis Stimme wird ein wenig leiser, auch wenn sie versucht tapfer zu sein, so scheint ihre Krankheit ein sehr dunkles Kapitel bei allen gewesen zu sein. "Das muss sehr schwer für euch alle gewesen sein. Wie alt warst du damals?" "19 Jahre." Wow, 19 Jahre. So unglaublich jung und doch hing ihr Leben an einem einzigen Faden. Das ist nicht richtig. Das sollte so nicht sein. "Ich bin froh, dass du hier in so guten Händen warst und bist. Jetzt kannst du anderen mit deiner Geschichte Mut machen." Kari sieht mich erstaunt an. "Mut machen?" "Na klar, ich will mir gar nicht vorstellen, wie viele Menschen das durchmachen, was du durchmachen musstest und eine echte Überlebende ist doch die beste Inspiration." "So habe ich das noch gar nicht gesehen", murmelt Kari nachdenklich. "Dann wird es höchste Zeit." "Dabei ist es bisher immer Tai gewesen der allen Mut zuspricht, aber als Trainer ja auch irgendwie normal." "Trainer?", hake ich überrascht nach. "Ach, weißt du das gar nicht? Tai ist Fußballtrainer für eine Bambini Mannschaft." Sofort geht mein Blick zu Tai. Ist der Typ ein Chamäleon? "Ich dachte, er ist Stuntman", frage ich irritiert. "Rede nur nicht davon, wenn ihm jemals was passiert, bringe ich ihn um." Irgendwie scheint niemand darüber glücklich zu sein, dass er Stuntman ist. "Tai hat immer gerne Fußball gespielt. Natürlich wäre er auch am allerliebsten Fußballprofi geworden, aber dafür hat es nicht gereicht. Irgendwann begann er die Kleinen zu trainieren, aber durch seine zwei Jobs hat er dafür keine Zeit mehr gehabt. Um den Job als Fußballtrainer nicht ganz aufzugeben, hat er dann eine Stiftung gegründet: Jedes Kind sollte Fußballspielen dürfen. Seit zwei Jahren finden in den Sommerferien für zwei Wochen ein Fußballcamp für alle Kinder von fünf bis zehn Jahren statt. Dieses Projekt kostet die Eltern nichts, damit alle Kinder, egal aus welcher sozialen Schicht sie kommen, daran teilnehmen dürfen. Dafür hat es natürlich Sponsoren gebraucht." "Lass mich raten, die Familie Kido hat das übernommen?" Kari nickt lachend. "Oh ja und sie sind immer ein voller Erfolg." "Glaub ich sofort." Tai. Tai. Tai. Heute habe ich eine Menge interessanter Dinge über dich erfahren. Ich kenne nicht viele Männer, die Stuntmänner sind und gleichzeitig eine Assistentenstelle besitzen, der dann wiederum mit Kindern ins Fußballcamp fährt. Was ist das für ein Typ? Ich glaube sogar, er ist der Einzige, der all diese Dinge gleichzeitig tut. Joe hält an und dreht sich zu uns um. "Wir erreichen jetzt die Kinderstation, da müssen wir einmal durch und kommen so auch direkt auf die große Terrasse mit Park und Spielplatz. Das war uns besonders wichtig, damit die Kinder auch die Möglichkeit haben zu spielen", erklärt Joe. Ich finde es wirklich toll, dass sich die Familie Kido über so etwas Gedanken gemacht hat. Ich schaue mir die einzelnen Zimmer an. Jedes Zimmer ist belegt. In jedem Zimmer auf der Station ist ein krankes Kind. Mal offensichtlich ein Gips, aber bei manchen weiß ich nicht, was ihnen fehlt. In einem Zimmer sitzen drei Kinder auf großen Stühlen, sie bekommen irgendeine Infusion und zwei von ihnen haben keine Haare mehr, sondern eine Glatze. Bei diesem Anblick werde ich direkt traurig. Es sind doch nur Kinder, warum werden Kinder überhaupt krank? So krank, dass sie an ihrer Erkrankung sterben könnten? Das ist einfach nicht fair. Ob Joe schon oft ein Kind hat sterben sehen? Wie hält man sowas nur aus? Ich bekomme nicht Mal mit, wie die anderen die Station verlassen. Mein Blick haftet sich auf einen kleinen Jungen, an dessen Zimmer ich gerade vorbei gehen wollte. Er kann nicht älter als fünf Jahre sein. Ich weiß nicht warum er hier ist. Er sitzt an seinem Tisch und malt verträumt. Ich betrete das Zimmer und klopfe vorsichtig an die Tür. "Ja, musst du mich wieder pieken?" Sofort schüttle ich den Kopf. "Nein, ich wollte nur dein Kunstwerk bewundern", behaupte ich und schaue es mir genau an. Er hat eine Art Superheld gemalt. "Uhhh, ein Superheld. Welche Superkraft hat er denn?", frage ich den kleinen Jungen. "Er kann alle Krankheiten heilen, sogar die, die man nicht kennt", antwortet der Junge und malt mit seinem großen grünen Stift weiter. "So ein Superheld braucht aber auch einen Umhang", äußere ich und deute auf den roten Stift. "Möchtest du den malen?" "Wenn ich darf." "Na klar." Ich zeichne einen roten Umhang und bin ganz zufrieden mit unserem krankheitsvernichtenden Superhelden. "Jetzt braucht er nur noch einen Namen." "Stimmt, mir fällt aber keiner ein", murmelt der kleine Junge und legt seinen Kopf schief. "Wie ist denn dein Name?", frage ich den kleinen Jungen."Yuto und deiner?" "Ich heiße Mimi, was hälst du von Atomic Yuto?" "Aber Yuto ist doch schon mein Name." "Ja genau deswegen, ich finde du bist der stärkste Junge, den ich kenne. Du wirst nämlich auch jede Krankheit besiegen, allen Nadeln trotzen und jedes Pflaster in Glitzer verwandeln." "Ja, Glitzer find ich toll und den Namen auch. Darf ich vorstellen, das ist Atomic Yuto", lacht der kleine Junge. "Oh, es freut mich sehr, dich kennenzulernen, Atomic Yuto", sage ich und verbeuge mich selbstverständlich auch vor ihm. "Mimi, was machst du denn hier? Wir warten alle auf dich." Tai steht plötzlich im Zimmer und sieht wie immer genervt aus, wenn er mich sieht. "Ich hab mich nur mit meinem neuen Freund Yuto unterhalten." Ich sehe zu Yuto runter und lege meine Hand auf seinen Kopf, die Stirn fühlt sich sehr warm an. "Ich muss jetzt leider los, aber ich hoffe, wir sehen uns bald wieder." "Ja, das fänd ich schön Mimi, bis dahin hab ich auch noch ganz viele Atomic Yutos gemalt", sagt der Junge ganz euphorisch. "Die lass ich mir unter keinen Umständen entgehen." "Mimi! Joe wartet und er hat nicht ewig Zeit." Ich verdrehe genervt die Augen. "Weißt du Tai, wenn es Kari wäre, die hier liegen würde, würdest du auch nicht so einen Aufstand machen. Er ist ein kleiner Junge, der hier liegt und dem ich eine kleine Freude bereitet habe. Ich rette vielleicht kein Leben, aber ich konnte wenigstens einem kleinen Jungen etwas Freude bringen und das ist auch etwas Wert." Ich dampfe an ihm vorbei und Joe steht vor mir. Ich zucke nicht zurück und werde mich für meinen Satz auch nicht entschuldigen. "Komm mit, ich möchte dir etwas zeigen", spricht Joe weiter und nimmt meine Hand. Was ist denn jetzt los? Er führt mich zur großen Dachterrasse. Soviel grün, so hoch, auf einem Krankenhausdach, mitten in Tokyo. Wahnsinn. "Ich finde auch, dass strahlende und lachende Kinderaugen ganz wichtig für die Genesung sind. Es war nicht so einfach, meinen Vater von diesem Projekt zu überzeugen, denn schließlich bringt es kein Geld rein, aber die Beiden da hinten." Joe zeigt auf Tai und Kari "haben mir geholfen meinen Vater zu überzeugen." Ich bin beeindruckt. Ich finde es toll, dass sie das auf die Beine gestellt haben. "Sowas sollte es überall geben, auch wenn ich weiß, dass das nicht möglich ist." "Nein, wir sind schon froh, wenn wir Ehrenamtler finden, die für die Kinder vorlesen oder Gesellschaftsspiele spielen." "Ich würde es so gerne machen, aber leider darf ich nicht", sagt Kari geknickt. "Nein, das wäre für dich wirklich zu gefährlich", spricht der Arzt direkt an Kari gerichtet. "Ich würde es gerne machen", platzt es aus mir heraus. Aber irgendwie kommt mir das noch zu wenig vor. Nur vorlesen und Spiele spielen. Da muss noch mehr her. "Du Joe, ich habe da eine Idee. Ich würde hier gerne ein kleines Benefiz Konzert geben. Nichts großes, was die Kinder überanstrengt. Ein kleines Akustik Ensamble mit Kaffee und Kuchen. Die Einnahmen können wir doch direkt für die Station ausgeben oder für Ausflüge." Oh, das möchte ich machen. Ich liebe es einfach zu planen, zu organisieren und dann das Endprodukt zu bestaunen. "Mimi, das geht nicht, wir können hier keine Künstler ins Haus holen und Konzerte geben." "Nein, ich spreche auch nicht von fremden Künstlern, sondern von mir." Joe sieht mich neugierig an. "Ich kann zufälligerweise Klavier spielen und singen. Ich möchte den Kindern gerne eine Freude bereiten. Ich kann übrigens auch echt gut backen. Du musst niemanden engagieren, ich kann das alles alleine machen. Ich brauche nur deine Erlaubnis." Tai räuspert sich und Joe sieht ihn an. "Also, ich finde die Idee nicht schlecht. Zu einem, weil die Kinder es grundsätzlich verdienen und zum anderen, weil wir das sehr gut nutzen können, um Mimi in der Öffentlichkeit in ein sehr positives Licht zu rücken und wir brauchen soviel positive Presse wie nur möglich." Joe sieht nachdenklich aus, aber Tais Meinung genießt einen hohen Stellenwert bei ihm. "Oh, bei den Vorbereitungen würde ich auch gerne helfen und beim Fest. Ich meine, ich kann ja Kaffee ausschenken, oder?" Auch Kari scheint von meinem Vorschlag begeistert zu sein. Joe sieht noch ein wenig zweifelnd aus, aber dies hält nicht lange an und er nickt. "Okay, ich meine, ich muss natürlich meinen Vater um Erlaubnis bitten, aber wenn keine großen Kosten entstehen, wir dafür aber viel positive Presse bekommen, wird er es sicher absegnen." Ich beginne zu strahlen. Okay, es wird mich jetzt schon nerven, dass die Presse dabei sein wird, aber das muss ich einfach zur Seite schieben und mich auf das Wesentliche konzentrieren. Die Kinder. Unsere Mittagspause geht zu Ende. In der Zeit haben Kari und ich uns einen kleinen Plan erstellt, wie wir dieses Benefiz Konzert am besten planen können. Das macht wirklich Spaß. Schon beim ersten Meeting haben wir tolle Ideen gesammelt. Zum einen werde ich nach dem Konzert noch Kinderschminken anbieten und Kari wollte gerne ein kleines, lustiges Shooting veranstalten. Alles natürlich durch den Arzt ihres Vertrauens abgesegnet. Tai und ich haben ebenfalls unseren nächsten Termin. Ich freue mich schon auf langweilige, Anzug tragende Männer, denen ich Honig ums Maul schmieren muss - nicht. Kari begleitet noch kurz Joe, um noch zwei Rezepte von ihm zu erhalten, sodass sie noch nicht gleich mit zum Ausgang geht. "Die Idee mit dem Benefiz Konzert find ich wirklich gut", gesteht Tai mir. Ich sehe ihn belustigt an, war das etwa ein Kompliment? "Weil es sich gut vermarkten lässt?" Er schüttelt den Kopf. "Nein, weil Kinder unsere Zukunft sind und Kinder nicht in ein Krankenhaus gehören. Manche sehen nie was anderes und andere kommen hier nicht mehr raus." Traurig und absolut nicht richtig. Ich nicke daher nur betrübt. "Ein paar schöne Stunden, um sie von all ihrem Kummer, den Sorgen und Ängsten abzulenken ist einfach schön." Abgesehen davon, dass Tai gerade einmal ganz normal mit mir geredet hat, ist auch seine Stimmfarbe diesmal sanft und weich. Sonst wirkt sie mir gegenüber hart und kantig. Ich wollte mich gerade bei ihm bedanken, als die Türen des Krankenhauses sich öffnen und das übelste Blitzlichtgewitter losgeht, was ich jemals gesehen habe. Ich höre nur ein "Fuck" aus Tais Mund, doch dafür ist es zu spät. Ich weiß gar nicht wie mir geschieht, da reißt jemand an meiner Hand und hält mir die Kamera direkt vor mein Gesicht. "Mimi? Mimi? Was genau haben Sie vor ihrem Japanaufenthalt in L.A. gemacht?" Ein anderer Reporter, ähnliche Frage. "Wie kam ihr Entschluss Joe Kido zu heiraten?" Wieder ein anderer Reporter, der seine Kamera direkt in mein Gesicht hält. "Kennen Sie sich schon länger?" Ich werde durch die Paparazzi geschoben, von allen Seiten werden Fotos geschossen und Fragen gestellt. Ich bekomme Angst Warum hört das denn nicht auf? "Ist die Familie Kido gut zu Ihnen?" Foto. "Wie viele Sprachen sprechen Sie?" Foto. "Werden Sie öfters hier im Krankenhaus ihres Verlobten sein?" Foto. Ich weiß nicht, wo ich hingehen soll. Ich kann nichts sehen, mir wird schon ganz schwindelig von den ganzen hellen Lichtern. Plötzlich ergreift mich eine Hand, dann ein Arm und ich werde an einen Körper herangezogen, erst will ich mich dagegen wehren, dann sehe ich, dass es Tai ist, der mir mit einem Mal noch größer erscheint als er eh schon ist. Mit der anderen Hand schiebt er die Reporter zur Seite. "Gehen Sie alle sofort aus dem Weg!", spricht er bedrohlich aus und schiebt einem Reporter die Kamera ins eigene Gesicht zurück. Er hebt seine Arme ergeben nach oben und lässt uns durch. Auf den Arztparkplätzen steht Joes Auto. Tai öffnet mir die Autotür, steigt selber schnell ein und tritt hastig aufs Gaspedal. Ich habe die Augen geschlossen. Was ist das eben gewesen? Sieht so meine Zukunft aus? Ich will das nicht, wie können sie so grob vorgehen? Jetzt verstehe ich Tai besser. Vielleicht sind sie wirklich seelenlose Monster. Ich öffne meine Augen und sehe Tai an. Seine Hände umfassen das Lenkrad fest und er sieht wütend aus. "Danke", zittert meine Stimme und ich merke erst jetzt wie sehr mein ganzer Körper bebt. "Wofür? Dass ich dich den Wölfen zum Fraß vorgeworfen hab?“ "Aber das war doch nicht deine Schuld." "Ich hätte aber wissen müssen, dass sie auf uns warten und dass sich mittlerweile rumgesprochen hat, wo du bist. Ich mache den Beruf schließlich nicht erst seit gestern." Ich möchte nicht, dass Tai sich deswegen schlecht fühlt. Er kann auch nicht ständig an alles denken. Ich lege meine Hand auf seine, die immer noch das Lenkrad fest umklammert. Seine Körperanspannung lässt nach und er sieht kurz zu mir rüber. "Tai, es ist nicht deine Schuld, du hast mich von Anfang an gewarnt, dass sowas passieren wird. In Zukunft werden wir besser vorbereitet sein." Ich lächle ihn an, um ihm zu zeigen, dass es mir gut geht, obwohl ich mir gerade nicht sicher bin, ob ich mir selber etwas vor mache. "Das wird sicher nicht mehr vorkommen. Ich würde sagen, wir lassen die VIP Lektion für heute ausfallen, holen uns was zu Essen und fahren erstmal zur Villa zurück. Morgen ist auch noch ein Tag." Ich nicke. Ich würde ihm jetzt sowieso nicht widersprechen und so heiß bin ich auf diese VIP Lektion eh nicht. "Darf ich mir das Essen wenigstens selber aussuchen?", frage ich Tai und ich sehe, dass er ein wenig schmunzeln muss. "Ja, natürlich." Auch ich lächle und auch wenn das vorhin mehr als gruselig gewesen ist, so ist es jetzt umso schöner, dass Tai und ich mal etwas ungezwungener miteinander umgehen können. Da werde ich heute Abend für mein Tagebuch ja eine ganze Menge Stoff haben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)