Love against all Reason von Ukiyo1 (Liebe gegen jede Vernunft) ================================================================================ Kapitel 8: Kapitel 8 -------------------- Mimi „Musst du wirklich gehen?“ „Du schaffst das schon. Ich bin nur drei Tage weg“, sagt Joe und sieht mich mitfühlend an, wohingegen ich mir vorkomme wie ein Hündchen, dass von seinem Herrchen verlassen wird. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich auch genauso gucke. Mit hängenden Schultern stehe ich auf der Eingangstreppe des Kido Anwesens und sehe dabei zu, wie Joes Koffer von Ansgar in einen Wagen verfrachtet wird. Würde mich am liebsten direkt mit dazu legen. Ein dunkler, enger Kofferraum, wo mich niemand findet. „Kann ich nicht doch mit dir kommen?“, frage ich zum dritten Mal an diesem Tag und versuche dabei nicht all zu verzweifelt zu klingen. Joe lächelt und greift nach meiner Hand. „Du weißt, dass es besser für dich ist hier zu bleiben.“ Seine warmherzige Stimme versichert mir, dass er gerade nur mein Bestes will. Ich nicke. Seit der Sache im Krankenhaus sind fünf Tage vergangen und es gab keinen einzigen davon, an dem die Presse nichts über mich geschrieben und Fragen gestellt hat. Unfassbar wie doch eine scheinbar unbedeutende Person plötzlich zum Gespräch der ganzen Stadt wird. Seither haben wir alles in die Villa verlagert und ich bin nicht mehr vor die Tür gegangen – wenn man von dem riesigen Garten mal absieht, in dem ich jeden Tag spazieren gehe. Es war mir ganz recht so, da auch für mich diese neue Berühmtheit ein Schock war. Wenn ich schon an dieses Blitzlichtgewitter und an Tai denke, der mich förmlich da raus zerren musste, wird mir ganz schlecht. Deshalb war ich froh, als Tai und Joe sich nach dem Vorfall einig waren, mich erst mal nicht unnötig der Öffentlichkeit auszusetzen. Mein goldener Käfig ist nun also perfekt. Aber jetzt, wo Joe drei Tage zu diesem Ärztekongress muss, fühle ich mich in diesem riesigen Haus irgendwie verloren. Wir haben uns zwar immer nur morgens und abends gesehen, wenn wir zusammen gegessen haben, aber Joe gibt mir die Sicherheit, dass ich in diesem Anwesen nicht mutterseelenallein bin. Denn auch, wenn ich permanent von Bediensteten umgeben bin, fühlt es sich doch manchmal so an. „Du kannst mich jederzeit anrufen“, sagt Joe und drückt mir zum Abschied einen kurzen Kuss auf die Wange. Ich kann diese liebe Geste leider nicht erwidern. „Tai wird nach dir sehen. Er kümmert sich um dich, wenn ich nicht da bin.“ Innerlich verdrehe ich die Augen. Das klingt als wäre ich ein Haustier, mit dem man ein paar mal am Tag Gassi gehen muss. Ehrlich gesagt habe ich Tai seit dem Vorfall im Krankenhaus nicht mehr gesehen. Und ich habe keine Ahnung, warum. Joe meinte nur, er hätte andere Dinge zu erledigen und ich habe nicht weiter nachgefragt. Dabei müsste ich doch mit meinen Lektionen in japanischer Kultur schon meilenweit hinterher hinken. Ich nicke wieder und zwinge mich zu einem Lächeln, was Joe zwar nicht so richtig beruhigt, aber einfach genügen muss. Er steigt in den Wagen ein und lässt noch mal das Fenster runter. „Wir sehen uns in drei Tagen. Tschüss, Mimi.“ „Ja, bis dann. Ich wünsche dir viel Spaß auf dem Kongress.“ Wörter wie „Spaß“ und „Kongress“ in einem Satz zu benutzen erscheint mir absolut kurios. Als er vom Grundstück fährt, stehe ich noch einige Minuten regungslos da und starre ihm hinterher, unschlüssig, was ich jetzt tun soll. Die letzten Tage habe ich mich viel in der hauseigenen Bibliothek der Kidos ausgetobt. Ich habe viele Gedichte gelesen und auch selbst geschrieben, vor allem Tagebuch. Ich habe hier niemanden, mit dem ich offen sprechen kann und wenn ich mein Innerstes aufschreibe, drehe ich zumindest nicht komplett durch. „Es ist ein wunderschöner Tag, Miss Tachikawa“, spricht Ansgar mich nun an, weil ich mich immer noch nicht rühre. „Haben Sie schon den Pool ausprobiert? Frau Kido schwimmt dort jeden Morgen ihre Bahnen und schwört darauf, dass es ihr unglaublich gut tut.“ Ich drehe den Kopf zur Seite und lächle ihn verkrampft an. „Versuchen Sie etwa, mich aufzumuntern, Ansgar?“ „Nun, so ein trauriges Gesicht sehe ich nun mal nicht gerne an Ihnen, Miss Tachikawa. Lenken Sie sich ein wenig ab. Man kann es sich hier durchaus gut gehen lassen.“ Klingt ja sehr spaßig – wenn man den ganzen Tag allein ist. Dr. Kido ist anscheinend mit seiner Arbeit verheiratet und so gut wie nie zu Hause und Joes Mutter … ich habe keine Ahnung, was sie den ganzen Tag so macht. Angeblich ist sie heute zu Hause, aber das Anwesen ist so groß, dass wir es schaffen uns regelmäßig zu verpassen. Ich habe soeben beschlossen, Ansgars Rat zu befolgen und den Pool endlich mal auszuprobieren, also gehe ich hoch auf mein Zimmer und ziehe mich um. Als ich mich in meinem lila Bikini im Spiegel betrachte, muss ich ein wenig schmunzeln. Es ist eine Schande, was diese langen Röcke und Blusen ständig verbergen. Ich hoffe, Joe weiß das. Vielleicht sollte ich den Bikini noch mal anziehen, wenn er wieder da ist. Unten am Pool liegen bereits mehrere Handtücher bereit, von denen ich mir eins nehme und auf eine Liege lege. Dann gehe ich zum Poolhaus und schaue, ob ich da eine Luftmatratze oder etwas ähnliches finde und tatsächlich, sie ist sogar schon aufgeblasen. Perfekt! Das Wasser ist angenehm und nachdem ich ein paar Bahnen geschwommen bin, lege ich mich auf die Luftmatratze und lasse mir die Sonne auf den Körper scheinen. Gott, tut das gut. Es erinnert mich sofort an L.A., obwohl es in Japan zur Zeit nicht ansatzweise so heiß ist wie dort. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass meine Poren gerade jeden einzelnen Sonnenstrahl aufsaugen. Ich seufze erleichtert und freue mich über diese Entspannung so sehr, dass ich sogar kurz weg döse. Bis mich eine inzwischen vertraute Stimme unsanft wach rüttelt. „Was machst du da?“ Ich brauche die Augen gar nicht erst öffnen, weil ich schon höre, dass es Tai ist, der offenbar am Rand des Pools steht und beschlossen hat mich zu nerven. „Geh weg“, knurre ich nur. „Ich meditiere.“ „Ja, das sieht man.“ Er klingt belustigt, aber ich habe die Augen trotzdem immer noch geschlossen, in der Hoffnung, er würde einfach wieder gehen. „Ich habe gehört, dass meditieren traditionell japanisch ist. Also lass mich in Ruhe meine Übung machen.“ Kurz antwortet Tai nicht und ich wage zu hoffen, dass er vielleicht wirklich gegangen ist. Aber das müsste ich ja inzwischen besser wissen. Als ob dieser Typ mich jemals in Ruhe lässt. „Du weißt schon, dass du nicht für immer hier drin bleiben kannst? Irgendwann musst du wieder vor die Tür und dich den Medien stellen“, sagt er plötzlich nach einer Weile. Sofort zieht sich mein Magen krampfartig zusammen. Mir wird schon schlecht, wenn ich nur daran denke. „Ja, aber nicht heute“, antworte ich. Ich habe mit meinen Eltern telefoniert. Sie meinten, so langsam werden auch in New York Stimmen laut, die sich fragen, warum mein Vater so plötzlich nicht mehr arbeitet. Es ist eine Frage der Zeit, bis irgendjemand einen Fehler macht. Aber wir waren uns alle einig, dass es für uns alle das Beste ist, den Ball flach zu halten und so wenig Aufsehen wie möglich zu erregen. Zumindest bis nach der Verlobungsfeier in zwei Monaten. „Die Presse hat ein Interview angefragt“, redet Tai jedoch nichtsahnend weiter. „Und ich habe zugesagt.“ „Du hast was?“ Mit einem mal reiße ich die Augen auf und setze mich hin. Ich sehe Tai am Poolrand stehen, er trägt heute nur ein Shirt und eine Jeans und nicht wie sonst einen Anzug. Würde ich nicht gerade völlig in Panik ausbrechen, würde ich ihn sogar ziemlich attraktiv finden. Tai zuckt mit den Schultern, die Hände in den Hosentaschen vergraben. „Früher oder später müsst ihr ein offizielles Statement abgeben und ein Interview erschien mir der sicherste Weg. Ich bekomme die Fragen vorab zugeschickt. Keine Überraschungen, kein Überfall von Kameras in ungünstigen Momenten. Wir können dich ins richtige Licht rücken. Ich dachte, das wäre auch in deinem Interesse.“ Ich beiße mir auf die Unterlippe. Verdammt, er hat recht. Was habe ich erwartet? Dass ich mich für immer und ewig hier einsperren kann? Ich bin die Verlobte eines Arztes, dessen Familie viel Einfluss hat. Ich kann mich den Medien nicht einfach so entziehen. Ich muss ihnen irgendetwas geben. Und wie lenkt man einen hungrigen Hund ab, vor dessen Nase ein saftiger Knochen liegt? Genau, mit einem anderen Knochen – einen, an den er viel leichter ran kommt. Wenigstens kann ich so bestimmen, was sie fressen. Das war vermutlich auch Tai’s Gedanke, also kann ich ihm unmöglich einen Vorwurf machen. Er macht nur seinen Job. Ich rutsche von der Luftmatratze und lasse mich ins Wasser gleiten, um zum Beckenrand zu tauchen. Als ich auftauche, schaue ich zu Tai auf. „Du hast recht. Danke“, sage ich und Tai nickt. Warum sieht er heute so ernst aus? Ich stemme mich am Beckenrand hoch und als ich aufstehe, hält Tai mir bereits ein Handtuch hin. Ich Wickel mich darin ein und sehe ihn fragend an. „Wo warst du die letzten Tage?“ „Ich hatte einiges zu erledigen“, antwortet er knapp, was alles mögliche bedeuten kann. „Tja, ganz im Gegensatz zu mir“, entgegne ich gelangweilt und Tai huscht ein Grinsen übers Gesicht. „Hast du mich etwa vermisst?“ Nein, ich sterbe hier nur vor Langeweile. Ich zische verächtlich, während mein nasser Körper den Boden voll tropft. „Ich habe mich nur gefragt, wann wir mit unseren Lektionen weiter machen. Ich dachte, Joe wäre das wichtig und plötzlich lasst ihr es so schleifen?“ „Es gab eben Wichtigeres“, gibt Tai nur knapp als Antwort. Gut, offenbar will er mich nicht einweihen, aber das ist mir auch egal. „Aber da Joe nun erst mal weg ist, hat er mich darum gebeten, dass wir die Zeit intensiv nutzen und mit unseren Lektionen weiter machen. Du hast also Glück. Ich werde dir drei ganze Tage nicht von der Pelle rücken.“ Ich lege den Kopf schief und kaufe ihm sein viel zu breites Grinsen nicht ab. Kaum ist Joe außer Haus, klebt er an mir wie eine Klette? Warum habe ich das komische Gefühl, dass ich hier überwacht werden soll? „Ich Glückspilz“, antworte ich wenig begeistert und lasse ihn stehen, um zurück ins Haus zu gehen und mich umzuziehen. Doch stattdessen verharre ich mitten in der Tür und betrachte das Spektakel, dass sich mir bietet. „Wo … wo kommen die ganzen Leute her?“, frage ich überrascht und beobachte wildfremde Menschen dabei, wie sie reihenweise Kleiderständer im ganzen Wohnbereich aufbauen und gefühlt hunderte von Kleidern, eingehüllt in Plastiküberzügen, reinschleppen. Tai tritt hinter mich und sieht nicht weniger verwirrt aus. Ich gehe zu einem der Kleiderständer, der schon reichlich gefüllt ist. Weiß. Weiß. Weiß, weiß, weiß, weiß. Wo ich auch hinsehe, überall weiße Kleider. Oh. Mein. Gott. Hilfesuchend sehe ich zu Tai und reiße die Augen auf. „Tai, sind das etwa alles …?“ Doch weiter komme ich nicht, da Frau Kido durch den Eingangsbereich auf mich zugeeilt kommt. „Liebes, ich habe schon überall nach dir gesucht.“ Sie greift nach meinen Händen und mir rutscht das Handtuch vom Körper. Ich stehe hier allen Ernstes, halb nackt, in mitten von hunderten von Brautkleidern. Frau Kido strahlt übers ganze Gesicht. „Nur eine kleine Auswahl an Brautkleidern von mir.“ Dann rümpft sie die Nase, während sie mich und meinen Körper betrachtet wie ein Stück teures Fleisch. „Nehmt diese wieder mit“, ordnet sie an und deutet auf einen Ständer neben uns. „Der Meerjungfrauenschnitt steht ihr nicht.“ Der was? Ich bin völlig überfordert und weiß gar nicht, was ich sagen soll. Frau Kido wendet sich wieder mir zu, während sie immer noch meine Hände festhält. „Ich dachte, wir nutzen die Zeit, wenn Joe nicht da ist und machen eine kleine Anprobe.“ Klein? Das nennt sie klein? „Er soll dich ja schließlich nicht im Brautkleid sehen. Er weiß gar nichts davon. Außerdem können wir unmöglich zur Anprobe in ein Brautmodengeschäft gehen. Stell dir das mal vor, Liebes. Die Presse würde sich ja auf dich stürzen.“ Ich schlucke schwer. Was für ein furchtbarer Gedanke. „Deshalb habe ich alles kurzerhand hierhin verlegen lassen. Das ist dir doch sicher recht so, Mimi?“ Ich nicke schwach und sehe hilfesuchend zu Tai, der nun auf uns zukommt. „Aber, wir wollten heute mit unseren Lektionen weiter machen“, versuche ich mich verzweifelt aus dieser Lage zu manövrieren. „Ach, das kann doch noch bis Morgen warten“, trällert Frau Kido vor sich hin und ist anscheinend hellauf begeistert von ihrer Idee. „Nun, ich denke, das hier …“, sagt Tai gedehnt und deutet mit dem Finger um sich. „ … was auch immer das werden soll, ist wichtiger.“ Ich schnaufe innerlich und würde ihm am liebsten an den Hals springen. War so klar, dass er mich hängen lässt. Und sein verräterisches Grinsen sagt mir, dass er es mal wieder genießt, mich leiden zu sehen. „Sag ich doch“, stimmt Frau Kido ihm zu und klopft ihm auf die Schulter. „Guter Junge.“ Dann widmet sie sich wieder dem Personal, um die letzten Anweisungen zu geben. Ich funkle Tai wütend an. „Danke, dass du mir in den Rücken fällst.“ Tai lacht amüsiert auf. „Was erwartest du? Du willst eine Kido werden. Egal, was sie mit dir machen, du musst es über dich ergehen lassen.“ Ich verziehe das Gesicht. Wie gut, dass er mich daran erinnert, dass ich ab jetzt keinen freien Willen mehr habe. Hätte ich ja fast vergessen. „Ich komme später wieder. Viel Spaß bei der Anprobe“, säuselt er belustigt zum Abschied und ich hätte ihm für seine selbstgefällige Art am liebsten in den Hintern getreten. Aber das hätte auch nichts genützt. Er hat ja recht. Augen zu und durch. Wenn ich mich ganz sehr anstrenge, kann ich vielleicht sogar so tun, als ob es mir Spaß macht. Leider ist es genauso, wie ich es mir vorgestellt habe. Zwei Frauen, die extra zur Anprobe mitgekommen sind, helfen mir beim Einkleiden und stecken mich in ein Brautkleid nach dem anderen. Und auch wenn die Prozedur nervenzehrend ist und bereits seit Stunden geht, muss ich doch zugeben, dass die Kleider alle wunderschön sind. Noch schöner wäre es, wenn ich mir selbst eins aussuchen könnte, aber das ist in diesem ganzen Brautmoden-Plan nicht vorgesehen. „Hmm“, macht Frau Kido nachdenklich, als ich in dem zehnten Kleid vor ihr stehe und legt den Kopf schief. „Sehr hübsch, aber irgendetwas stört mich daran.“ Ach was. Manche Kleider waren ihr zu kurz, andere zu lang, einige hatten zu viel Glitzer, andere zu wenig Spitze. Zu viel dies, zu wenig das, immer das selbe. Es kostet mich alle Geduld die ich aufbringen kann, nicht schreiend wegzurennen. Wer hätte gedacht, dass sich Joes Mutter als Brautmoden-Monster entpuppt? „Kann ich etwas trinken?“, frage ich, weil ich nach 4 Stunden wirklich mal eine Pause brauche. „Natürlich, Liebes.“ Frau Kido schickt eine Bedienstete los und sieht dann die beiden Damen an, die mir bei der Anprobe geholfen haben. „Würden Sie uns bitte alleine lassen?“ Die beiden Frauen nicken und verbeugen sich höflich, ehe sie den Wohnbereich, der über und über mit Kleidern übersäht ist, verlassen. Ich frage mich, warum Frau Kido mit mir allein sein möchte. „Komm her, Liebes“, sagt sie und klopft auf den freien Platz neben sich. Eine der Bediensteten bringt mir ein Glas Wasser und ich trinke es sofort aus wie eine Verdurstende. Dann legt Frau Kido eine Hand auf meine Hände, die in meinem Schoß ruhen. „Du bist sicher aufgeregt“, meint sie und sieht mich mitfühlend an. Ich nicke schwach. „Na ja, man heiratet nicht jeden Tag.“ „Das stimmt“, kichert sie. „Vor allem nicht einen Kido. Das kann eine schwere Bürde sein.“ Ich bin mir nicht sicher, was sie genau meint, nicke jedoch wieder. „Das ist mir klar. Ich weiß, worauf ich mich einlasse und ich schaffe das.“ „Das bezweifle ich nicht“, stimmt sie mir überraschenderweise zu. „Ich wusste von Anfang an, dass du sehr zielstrebig bist. Trotzdem, es ist nicht leicht, wenn ständig alle Augen auf die Frau eines einflussreichen Mannes gerichtet sind. Glaub mir, ich weiß, wovon ich rede.“ Stillschweigend frage ich mich, ob sie das alles auch durchgemacht hat, als sie jung war. Aus welchen Verhältnissen kommt sie? Wie hat sie sich damals gefühlt, als sie einen völlig Unbekannten heiraten musste? „Als Kaori damals meinen Jim geheiratet hat, war ich erstaunt, wie gut sie mit der Situation umgehen konnte. Als hätte sie nie etwas anderes gemacht. Aber Kaori wurde auch ihr Leben lang darauf vorbereitet. Du vermutlich nicht, nehme ich an.“ Ich schüttle den Kopf. Meine Eltern wollten immer, dass ich selbstbestimmt aufwachse. Was mir das letztendlich gebracht hat, weiß ich auch. „Keine Sorge, Mimi. Ich bin mir sicher, dass du in deine Rolle reinwächst, wenn du dich genügend anstrengst“, versucht sie mich nun zu ermutigen, was ich ihr hoch anrechne. „Außerdem, was meinen Mann angeht, um den musst du dir keine Sorgen machen. Den hast du dir bereits zum Freund gemacht, wie auch immer du das geschafft hast.“ Jetzt müssen wir beide lachen, als wir an das erste Aufeinandertreffen denken und wie herzhaft der alte Kido über meine Geschichte gelacht hat. „Und bei Joe ist es genauso.“ Nun sehe ich sie fragend an. „Wie meinen Sie das?“ „Komm schon, Mimi, du bist so jung. Willst du mir allen Ernstes erzählen, du merkst nicht, wie er dich ansieht? Er ist sofort wieder hier eingezogen, als er gehört hat, dass du hier wohnen wirst. Ich denke, das sagt alles.“ Oh, tut es das? Nun, dann stand ich wohl bisher auf dem Schlauch. Ich dachte, Joe wäre einfach nur überdurchschnittlich höflich, weil er so erzogen wurde. Aber das rückt das Ganze in ein anderes Licht. Wenn ich so darüber nachdenke … die vielen Aufmerksamkeiten, sein Lächeln, die kleinen Küsschen … wow. Der Typ steht total auf mich. Und ich habe es nicht bemerkt. Mimi, du bist echt aus der Übung. Verlegen streiche ich mir eine Haarsträhne hinters Ohr, als Frau Kido plötzlich aufsteht und die Hände in die Hüften stemmt. „So, was machen wir jetzt mit diesem Berg an Brautkleidern?“ „Gute Frage“, kichere ich. „Möchtest du dir mal eins aussuchen, Mimi?“ Was? Wie? Meint sie mich? Ungläubig schaue ich sie an, doch sie lächelt nur zustimmend. „Nur zu, such dir eins aus. Bei denen, die ich ausgesucht habe, war ja irgendwie noch nicht das Richtige dabei.“ Ich springe von meinem Platz auf. Ich weiß sofort, welches Kleid ich anprobieren möchte. Ich habe schon vor einer ganzen Weile ein Auge drauf geworfen. Ich hole es von der Stange und halte es in die Höhe, damit Frau Kido es sehen kann. „Hmm“, macht sie wieder und mustert das Kleid. „Das könnte funktionieren. Komm, wir probieren es an. Ich helfe dir dabei.“ Wir ziehen das alte Kleid aus, was ziemlich schlicht und elegant war, mir aber überhaupt nicht steht. Frau Kido hilft mir in das neue Kleid und ich fühle sofort, dass es mir wie eine zweite Haut passt. Als ich vor den großen Spiegel trete, der extra für die Anprobe im Wohnbereich aufgebaut wurde, stockt mir der Atem. Es sieht umwerfend aus. Eine schöne A-Linie mit leichter Schleppe, V-Ausschnitt, bestickten Ärmeln mit Spitze. Das Rückenteil ist aus durchsichtigem Stoff, am Rand ebenfalls mit Spitze verziert und mit eleganten Knöpfen entlang der Wirbelsäule zugeknöpft. Ich drehe mich darin und bin total begeistert. „Es sieht traumhaft aus“, schwärme ich, doch als ich mich umdrehe, um Frau Kidos Meinung zu hören, sehe ich, wie jemand hinter ihr auftaucht. Tai steht plötzlich mitten im Raum und betrachtet mich eingehend. Ich halte in meiner Bewegung inne. Mein Blick trifft auf seinen und hält ihn einen Moment zu lange fest. Er sagt nichts, sondern sieht mich einfach nur an, als würde er mich nicht kennen. Warum sieht er mich so an? „Du siehst fantastisch aus!“, klatscht Frau Kido plötzlich in die Hände und reißt mich somit aus meinen Gedanken. „Äh, danke“, stammle ich verlegen und versuche meine Aufmerksamkeit von Tai auf sie zu lenken. „Stimmt“, höre ich ihn plötzlich sagen und er kommt die wenigen Schritte zu uns rüber. „Joe wird hin und weg sein, wenn er dich darin sieht.“ Hitze steigt in mir auf und ich glaube, mein Gesicht glüht. Warum ist es mir unangenehm, wenn ausgerechnet er mir ein Kompliment macht? Weil er das sonst nicht tut? „Tai hat recht. Es ist perfekt für dich, wir nehmen es“, jubelt Joes Mutter und wirkt auf mich wie ein kleines Kind, dass gerade ein Weihnachtsgeschenk bekommen hat. Wow. In diesem Kleid werde ich also zum Altar schreiten. Ein Telefon klingelt in einen der anderen Räume und kurz darauf kommt Ansgar zu uns. „Frau Kido, Ihr Mann ist am Telefon und will Sie sprechen.“ „Ich komme“, sagt sie sofort und macht sich auf den Weg. „Oh Taichi, mein Lieber, wärst du wohl so nett und würdest Mimi aus dem Kleid helfen?“ Dann ist sie auch schon weg. Aus dem Kleid helfen? Geht’s noch? „Na, schön. Dreh dich um.“ „Wie bitte?“ Etwas unbeholfen stehe ich rum und weiß nicht so recht, wie ich mich verhalten soll. „Du sollst dich umdrehen“, wiederholt Tai leicht ungeduldig. „Die Knöpfe sind doch hinten, oder?“ „Oh … ähm … ja“, stammle ich, drehe mich wieder zum Spiegel rum und nehme meine Haare nach vorne, damit Tai an den Verschluss kommt. Tai tritt einen Schritt näher, so dass er nun dicht hinter mir steht. Ich schaue durch den Spiegel in sein Gesicht, dass leicht angespannt aussieht. „Ist alles in Ordnung mit dir?“, frage ich, als er beginnt, das Kleid zu öffnen. Ein leichter Schauer durchfährt mich, aber ich versuche es mir nicht anmerken zu lassen. „Was meinst du?“, entgegnet er, während er sich Knopf für Knopf nach unten arbeitet. Mit jedem weiteren Knopf, den er öffnet, schlägt mein Herz unerwartet schneller. „Du siehst aus, als hättest du was auf dem Herzen“, stelle ich fest. „Ist etwas mit Kari?“ „Mit Kari ist alles in Ordnung.“ „Was ist es dann?“ Schweigen. Na gut, besonders gesprächig war er ja noch nie. Jedenfalls nicht mir gegenüber. „Das Kleid sieht wirklich schön an dir aus“, sagt er plötzlich nach einer Weile des Schweigens. Ungläubig und mit gerunzelter Stirn schaue ich ihn durch den Spiegel hindurch an. Sagt er das jetzt nur, um von sich selbst abzulenken? „Was?“, meint er, als er meinen irritierten Blick sieht. „Guck nicht so! Ich habe schließlich keine Tomaten auf den Augen. Oder hat dir noch nie jemand gesagt, dass du hübsch bist?“ Doch, schon. Aber das ist es nicht. Es ist etwas anderes. Es ist die Tatsache, wie er mich berührt. Wie er sich für jeden verdammten Knopf so unfassbar viel Zeit lässt und mir mit jeder Berührung eine Gänsehaut beschert. „Wie auch immer. Gut, dass du ein Kleid gefunden hast“, räuspert er sich nun und wirkt mit einem mal wieder ganz distanziert. Als er endlich fertig ist, tritt er gleich mehrere Schritte zurück. „Wir haben noch einiges zu tun. Geh dich umziehen. Ich treffe dich in einer Stunde auf der Terrasse.“ Und zack, ist er verschwunden. Zweifelnd sehe ich ihm nach, während er zur Tür hinausmarschiert. Was war das bitte? Tai Ich hätte nicht so schnell zum Kido Anwesen zurückkehren sollen. Ich hätte gar nicht zurückkehren sollen. Warum musste sie gerade ausgerechnet in diesem Brautkleid vor mir stehen? Irgendwie hat mich das alles verwirrt. Ich habe die letzten Tage damit verbracht, Mimis Vergangenheit genauer unter die Lupe zu nehmen. Es war gar nicht so leicht, etwas über sie in Erfahrung zu bringen. Privatschulen und Unis geben einem völlig Fremden nicht gerne irgendeine Auskunft über ihre ehemaligen Schüler. Vor allem nicht, wenn ihre Vergangenheit mit Dreck behaftet ist. Ich musste einige Kontakte spielen lassen und habe selbst dann nur das Nötigste erfahren. Überdurchschnittlich gute Schülerin, die ab und zu mal geschwänzt hat, aus gutem Hause kommt, auf einer privaten Mädchenschule war, fängt an zu studieren und geht nach L.A. Bis dahin ziemlich unspektakulär. Als ich aber erfahren habe, dass sie nur 11 Monate dort war, wurde ich hellhörig. Wer gibt seinen Traum, dort zu arbeiten und sich einen Namen zu machen, schon nach 11 Monaten auf? Nicht Mimi. Ich kenne sie zwar noch nicht so gut, aber eins weiß ich jetzt schon – sie ist ehrgeizig und zielstrebig. Sie hätte nicht so schnell das Handtuch geworfen. Also habe ich tiefer gegraben … und was ich da fand, gefiel mir so gar nicht. Als Stuntman bekommt man verschiedene Aufträge, von verschiedenen Firmen, aus verschiedenen Ländern. Aber besonders oft aus Hollywood. Ich habe bereits einige Kontakte dort knüpfen können und es kostete mich zwar ein paar Anrufe und E-Mails, aber letztendlich meldete sich ein Produzent, mit dem ich schon mal zusammengearbeitet habe, bei mir zurück. Und siehe da: der Name Mimi Tachikawa war ihm bereits bekannt. Er erzählte mir eine wilde Geschichte von einer jungen Visagistin, die nach L.A. kam, um groß raus zu kommen und um für die ganz großen Fische zu arbeiten. Doch es lief nicht so wie erwartet. Angeblich traf er sie bei einer After-Show-Party, als sie gerade dabei war öffentlich Drogen zu konsumieren. Ein anderer Produzent bot ihr Sex gegen Geld an und sie ging mit ihm mit. Danach sah er sie noch ein paar Mal, doch sie verschwand ziemlich schnell von der Bildfläche. Aus der Traum von Hollywood. Was für eine dreckige Geschichte. Partys. Drogen. Sex gegen Geld. Die Medien würden sich wie Haie auf diese Story stürzen, wenn sie es erfahren würden. Selbst ich war davon mehr als schockiert. So tief sollte sie gesunken sein, um an ihr Ziel zu gelangen? Das wäre ein ziemlich düsterer Abgrund ihrer Persönlichkeit. Aber als ich sie eben gesehen habe, wie wunderschön, rein und unschuldig sie in diesem Brautkleid aussah, kam mir alles, was ich über sie in Erfahrung gebracht habe plötzlich so … absurd vor. Alles erstunken und erlogen. Niemals könnte ein so schönes Wesen eine derart dunkle Seite an sich haben, das kann ich einfach nicht glauben. Und ehrlichgesagt habe ich nun gar keine Ahnung mehr, wie ich all das Joe berichten soll. Wird er der Geschichte glauben? Ich kann es jedenfalls nicht. Oder steckt der Teufel im Detail? Übersehe ich etwas? Aber was? Mimi Tachikawa ist immer noch ein Buch mit sieben Siegeln für mich. Trotzdem muss ich endlich einen Weg finden, um an sie heran zu kommen. Sonst droht der Familie Kido ein echter Skandal. Als ich eine Stunde zu spät auf die Terrasse der Kidos komme, ist es bereits dunkel. Mimi sitzt an einen der Pooltische und schreibt etwas in einem Buch. Neben ihr steht ein Glas Rotwein. „Du bist zu spät“, stellt sie nüchtern fest, als ich mich ihr gegenübersetze. „Ich weiß, tut mir leid.“ Sie klappt ihr Buch zu und legt den Stift zur Seite. Neugierig schaue ich darauf. „Was ist das?“ „Nichts, was dich etwas angeht“, antwortet sie schnippisch. Ich grinse. „Schreibst du etwa Tagebuch?“ Ihr Erröten ist Antwort genug. Nun muss ich ernsthaft lachen. „Wie alt bist du? 13?“ „Vollidiot“, wirft sie mir an den Kopf und verschränkt beleidigt die Arme vor der Brust. „Ich schreibe eben manchmal, was mir so durch den Kopf geht, meine Gedanken und … und ab und zu ein paar Gedichte. Was ist so schlimm daran?“ Amüsiert schaue ich sie an. Zum einen, weil ich es tatsächlich etwas süß finde und zum anderen, weil ich sie damit aufziehen kann. „Du bist also kreativ?“, sage ich und lege ihr ein paar Seiten Papier vor die Nase. „Dann sollte das ja für dich kein Problem sein.“ „Was ist das?“ „Die Fragen zum Interview.“ Sofort greift Mimi danach, als wäre es eine Rarität und liest sich die Fragen durch. „Das ist …“, stammelt sie, als sie fertig ist und sich seufzend zurücklehnt. „… ziemlich detailreich. Das wollen sie alles wissen?“ Ich nicke. „Was hast du erwartet? Du bist das Gespräch der Stadt. Niemand kennt dich, was dich umso interessanter macht. Ich möchte sogar behaupten, dass du mehr Aufsehen erregst, als Kaori damals, als sie sich mit Jim verlobt hat. Du bist die schöne Unbekannte – das Puzzle, was sie zusammensetzen wollen.“ Genauso wie ich. Mimi antwortet nicht. Stattdessen starrt sie nur wie gebannt auf die vielen Fragen, die ich ihr gegeben habe. „Mimi?“ Sie sieht zu mir auf. Verzweiflung zeichnet sich in ihren warmen Augen ab. „Wenn da irgendetwas ist … egal was … wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, es mir zu sagen.“ Ich sehe, wie sie sich kurz auf die Unterlippe beißt und angespannt ins Leere starrt. Okay, Zeit ein bisschen mit offenen Karten zu spielen. „Mimi, ich muss dir was sagen“, gestehe ich ihr, rutsche näher an den Tisch ran und senke die Stimme, damit uns niemand hören kann. „Ich habe einen Freund in L.A. und …“ Mimis Augen weiten sich erschrocken, als wolle sie sagen: sprich bitte nicht weiter! Ich tue es trotzdem. „Der hat mir eine ziemlich wilde Story über dich erzählt und ich frage mich, ob an der ganzen Sache was dran ist. Denn falls ja, müssen wir handeln. Wir können das nicht unkommentiert lassen. Wenn die Presse das herausfindet, kannst du Joe und seine Familie gleich den Wölfen zum Fraß vorwerfen.“ Erst glaube ich, sie streitet wieder alles ab, aber dann … „Es stimmt nicht.“ „Wie?“ Überrascht sehe ich sie an. „Egal, was du gehört hast, es stimmt nicht“, sagt sie mit fester Stimme und irgendwie würde ich ihr das gerne glauben. „Kannst du mich davon überzeugen?“, frage ich vorsichtig und habe das Gefühl, ich bewege mich hier auf dünnem Eis. Entweder sie vertraut sich mir nun an oder sie macht wieder dicht und alles droht den Bach runter zu gehen – einschließlich Joe. Ich sehe, wie Mimi mit sich kämpft, doch schließlich seufzt sie. „Na, schön“, sagt sie und nimmt noch mal einen großen Schluck von ihrem Rotwein. „Ich habe dir ja bereits erzählt, dass ich nach L.A. gegangen bin, um meinen Traum als erfolgreiche Visagistin wahrwerden zu lassen. Du weißt auch, dass das nicht geklappt hat und dass es schwierig war an Aufträge zu kommen. Es war so schwer für mich, dass eine Freundin, die ich schon länger kannte, vorgeschlagen hat, mich auf eine After-Show-Party mitzunehmen.“ Okay, nun kommen wir der Sache näher. „Sie meinte, dort kann ich wertvolle Kontakte knüpfen und alles was Rang und Namen hat in Hollywood treibt sich dort rum. Ich wollte so dringend bekannter werden, dass ich sofort mitgegangen bin und am Anfang lief es auch ganz gut für mich. Ich tauschte Nummern aus, stellte mich bei ein paar Leuten vor, vorwiegend andere Visagisten, die sich bereits in der Branche einen Namen gemacht hatten. Ich hatte an dem Abend einen richtigen Lauf, Tai. Du kannst es dir nicht vorstellen. Ich war wie beflügelt. Und plötzlich traf ich ihn … Er war ein bekannter Produzent und drehte mit großen Hollywood Schauspielern zusammen. Er meinte, ihm würde eine fähige Visagistin in seinem Team fehlen und irgendwie schien ich ihm zu gefallen. Er meinte nur, ich wäre viel zu verkrampft, also bot er mir Drogen an. Und ja, ich habe sie genommen.“ Na, wunderbar. Da haben wir ja die Leiche, nach der ich so lange gesucht habe – und die ich eigentlich lieber doch nicht finden wollte, wie mir soeben klar wird. „In L.A. tun das einfach alle und ich habe mich hinreißen lassen, um dazu zu gehören. Heute weiß ich, wie dumm und naiv das war. Der Typ hörte einfach nicht auf, an mir rum zu baggern und ehe ich mich versah, war ich in irgendeinem Hotelzimmer und lag halb nackt auf seinem Bett. Ich wusste nicht mal genau, wie ich dort hingekommen war. Er versprach mir, er würde mich gleich morgen früh genau den richtigen Leuten vorstellen und warf mir allen Ernstes ein paar Scheine aufs Bett. Als wäre ich eine billige Schlampe. Du kannst dir nicht vorstellen, wie ich ausgerastet bin.“ Mimi stützt ihre Unterarme auf ihren Beinen ab und vergräbt kurz das Gesicht in beide Hände. Sie atmet tief durch, ehe sie weiterspricht. „Als der Kerl gemerkt hat, dass er den Sex nicht kaufen kann, ist er durchgedreht und hat mich mitten ins Gesicht geschlagen.“ Meine Hand ballt sich zur Faust. Was für ein widerlicher, kleiner Scheißer. „Er hat gesagt, meine Karriere wäre zu Ende, ehe sie begonnen hat und er würde dafür sorgen, dass ich morgen in der Zeitung stehe. Irgendwoher wusste er, wie reich und einflussreich mein Vater ist und ihm war klar, dass das ein Skandal für meine Familie wäre.“ „Und … und hast du …?“, traue ich mich kaum nachzufragen, aber Mimi schüttelt vehement den Kopf. „Nein, ich habe nicht mit ihm geschlafen. Egal, womit er mir gedroht hat. Ich wollte lieber meinen Traum in Hollywood aufgeben, als mich missbrauchen zu lassen.“ Ich atme erleichtert aus. Also ist rein gar nichts an dieser Geschichte dran. Außer das mit den Drogen, aber das bekommen wir definitiv irgendwie vertuscht, sollte es jemals zur Sprache kommen. „Tai, das ist alles, was in L.A. passiert ist. Das musst du mir glauben“, meint Mimi und sieht mich flehend an. Keine Ahnung, warum, aber das tue ich. Ich glaube ihr. „Danke, dass du es mir erzählt hast. Und es tut mir leid, dass dir das passiert ist“, sage ich mit rauer Stimme und bin innerlich immer noch ganz aufgewühlt von dieser Geschichte. So etwas geht auch an mir nicht spurlos vorbei. Außerdem arbeite ich selbst für die Filmbranche und weiß nur zu gut, welche schwarzen Lichter sich dort rum treiben. „Jetzt bist du schockiert, was?“ Ein trauriges Lächeln umspielt Mimi‘s Lippen. „Wirst du es Joe sagen?“ „Er ist mein Boss. Und mein Freund“, sage ich, als wüsste sie das nicht. „Aber nein, ich werde ihm nichts erzählen.“ Mimi runzelt überrascht die Stirn. „Wieso nicht?“ „Weil, wie du selbst sagst, an der ganzen Geschichte nichts dran ist. Warum soll ich ihn damit belasten? Wenn du möchtest, kannst du es ihm irgendwann selbst erzählen. Das ist deine Entscheidung.“ Mimi scheint völlig fassungslos über meine Antwort zu sein und ich muss zugeben, ich bin es auch. Da sitze ich tagelang an meinem Laptop und hänge am Telefon, nur, um bei Joe dann mit leeren Händen anzukommen? Aber hey, das ist doch eigentlich was Gutes. Keine Neuigkeiten sind gute Neuigkeiten. „Es sei denn da ist noch mehr, was du mir erzählen möchtest?“, frage ich sicherheitshalber noch mal nach, doch Mimi schüttelt schnell den Kopf. „Nein, das ist alles. Tut mir leid, dass ich nichts gesagt habe. Es ist mir unangenehm, darüber zu sprechen und eigentlich würde ich es gern vergessen.“ „Das kann ich mir vorstellen.“ Mimi lächelt sanft und steht seufzend auf, um ein paar Schritte zu gehen, am Beckenrand des Pools bleibt sie stehen und sieht ins blaue Wasser. Ich stehe auf und stelle mich neben sie. Der Pool ist beleuchtet und das gebrochene Licht der Wasseroberfläche spiegelt sich in unseren Gesichtern. „Jetzt weißt du so viel von mir, was ich dir nie erzählen wollte“, meint Mimi und streicht sich eine Haarsträhne hinters Ohr. „Und im Grunde weiß ich kaum was über dich.“ Ja, und das kann auch so bleiben. Ich habe das Gefühl, dass, obwohl ich Mimi rein gar nichts von mir erzählt habe, sie trotzdem weiß, wer ich bin. Oder liegt es daran, dass ich mich in ihrer Nähe nicht verstellen muss? „Erzähl mir was von dir, Tai.“ „Hmm“, mache ich nachdenklich und grinse dann. „Ich bin ein ziemlich guter Tänzer“, sage ich und leite damit direkt das Thema ein, weswegen ich eigentlich heute Morgen hergekommen war. „Wieso habe ich die Vermutung, dass du das jetzt nicht ohne Grund sagst?“, entgegnet Mimi vorausahnend. „Erwischt“, lache ich und fahre mir mit der Hand durchs Haar. „Joe hat mich gebeten, dir in seiner Abwesenheit Tanzunterricht zu geben. Nach eurer Verlobungsfeier findet ein Wohltätigkeitsball statt und es versteht sich von selbst, dass du dort tanzen musst. Das ist euer erster Auftritt als Paar auf dem roten Teppich. Die Leute müssen verzaubert von euch sein.“ Doch schon während meiner Erklärung macht Mimi nur „Pah!“, weshalb ich sie fragend ansehe. „Was heißt hier Pah?“ „Ich brauche deinen komischen Tanzunterricht nicht. Ich kann das.“ „Ach ja?“ Vorsichtig ziehe ich eine Augenbraue in die Höhe. „So wie du angeblich mit Stäbchen essen kannst?“ Mimi macht einen Schmollmund. „Du vergisst, dass ich aus gutem Hause komme. Natürlich hatte ich schon als Kind Tanzunterricht.“ Sie hebt die Arme und will sich auf der Stelle im Kreis drehen, wie eine Ballerina, sieht aber eher aus wie ein sterbender Schwan, weil der Poolrand total nass ist und sie direkt einen Abgang macht. Ihr Schrei durchzieht die ruhige Nacht und ehe ich mich versehe, habe ich die Hand nach ihr ausgestreckt und sie an der Taille gepackt. Ich drehe mich ein Stück mit ihr, bis wir beide zum Stehen kommen und ich nun mit dem Rücken zum Pool stehe, sie in meinen Armen. Erschrocken über ihren Beinahe-Sturz sieht sie zu mir auf und das erste mal treffen sich unsere Blicke wirklich. Nein, das stimmt nicht. Vorhin, als sie im Brautkleid vor mir stand, gab es auch so einen kurzen Moment. Wieso verwirrt mich das alles plötzlich so? Ihre Finger krallen sich in meine Arme, während unsere Blicke einander festhalten. Ihre Augen leuchten und ich verliere mich für einen Moment darin. Ich vergesse völlig, wo wir sind, während ihre Hände über meine Oberarme gleiten und sich auf meine Brust legen. Ich kann ihre Finger durch den Stoff meines Shirts spüren. Ich sollte mich von ihr losreißen, aber ich schaffe es nicht und bin wie erstarrt. Doch im nächsten Augenblick werde ich erlöst, denn Mimi schubst mich und ich falle rückwärts in den Pool. Das kühle Wasser durchdringt meine Klamotten und jagt mir einen Schreck ein. Als ich auftauche, funkle ich sie wütend an. „Was sollte das?“ Mimi steht regungslos am Beckenrand und sieht mir dabei zu, wie ich vor ihr im Wasser schwimme. Dann schleicht sich ein diabolisches Grinsen auf ihre Lippen. „Das war die Rache dafür, dass du mir vorgemacht hast, du wärst Joe.“ Ich presse die Kiefer aufeinander, während Mimi herzhaft lachend weg geht. Ich rufe ihr noch hinterher, dass sie das bereuen wird, aber sie ist schon längst weg. Diese freche Göre! Pitschnass und triefend ziehe ich mich aus dem Wasser und schnappe mir ein Handtuch, um meine Haare trocken zu rubbeln, als mein Blick auf etwas fällt, dass sie auf dem Tisch liegen gelassen hat – ihr Tagebuch. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)