Love against all Reason von Ukiyo1 (Liebe gegen jede Vernunft) ================================================================================ Kapitel 10: Kapitel 10 ---------------------- Mimi Als ich den Trainingsraum betrete, wartet Tai bereits auf mich. Komisch, ich kann mich gar nicht daran erinnern, dass er auch hier sein wollte. Hat er auf mich gewartet? Es scheint so, denn er kommt bereits mit großen Schritten auf mich zu. „Noch eine Tanzstunde? Ich dachte, ich hätte jetzt alles drauf“, sage ich, doch er schnappt sich einfach meine Hand und zieht mich an sich. „Ein bisschen mehr Übung kann nicht schaden“, lächelt er. Ich stutze. Warum sieht er mich so an? So hat er mich noch nie angesehen. Die Musik setzt ein und er beginnt mich zu führen. Wir tanzen den Walzer und bewegen uns geschmeidig im Kreis. „Auch wenn es ganz schön ist mit dir zu tanzen“, sage ich nach der Hälfte des Liedes. „Sollten wir unsere Zeit nicht sinnvoller nutzen?“ „Zum Beispiel mit …?“ „Mit … keine Ahnung. Gibt es nicht irgendwelche Benimmregeln, die du mir dringend beibringen musst?“ „Da gibt es noch so einige.“ Tai grinst verwegen. „Aber ich hatte einfach Lust, mit dir zu tanzen.“ Was? Noch ehe ich den Gedanken zu Ende denken kann, springt das Lied plötzlich weiter und Tai fängt an Salsa zu tanzen. Wie verrückt. „Du hast ziemlich schnell gelernt“, staune ich über seine perfekte Haltung. Jeder Schritt sitzt. „Ich hatte eine gute Lehrerin.“ Ich schaue zu ihm auf und die Röte steigt mir ins Gesicht. Was ist los mit ihm? Er macht mich total nervös. Das Lied springt wieder und jetzt dringt plötzlich ein dramatisches Orchester aus den Lautsprechern. Ich halte in meiner Bewegung inne und schaue verwundert um mich. „Was soll das?“ Wir hören auf zu tanzen. Stattdessen drängt Tai mich zurück. Ich stoße mit dem Rücken an die Wand der Trainingshalle und sehe erschrocken zu ihm auf. Was hat er vor? Er steht ganz dicht vor mir, unsere Körper berühren sich und seine Augen lodern vor Erregung. Seine Hände landen auf meiner Taille und rutschen wie selbstverständlich nach unten, bis sie auf meinem Po liegen und mich an ihn ziehen. Meine Hände drücken gegen seine Brust. „Was machst du da?“ „Meinst du, ich sehe nicht, wie du mich anschaust?“, flüstert er und sein Atem streift meine Wange. Genauso wie seine Lippen, die sanft meine Haut berühren. Er haucht mir einen Kuss in die Halsbeuge und ich schließe seufzend die Augen. „Nein … ich bin mit Joe verlobt.“ „Aber ich will dich.“ „Sag das nicht!“ Ich winde mich unter seinen Berührungen, seinen Küssen, aber ich habe keine Chance. Alles, was meine Finger tun, ist, sich noch fester an seinen starken Armen festzuhalten und sich in seine Haare zu graben. Oh nein, wir dürfen das nicht. Aber warum fühlt es sich so gut an? Ein Stöhnen entfährt mir, als er mich noch dichter an sich zieht und mich endlich küsst. Der Kuss schmeckt nach Verzweiflung, nach Verlangen. Seine Hände wandern weiter, erkunden jeden Zentimeter meines Körpers. Als seine Hand unter mein Shirt gleitet und seine Fingerspitzen meine nackte Haut berühren, stöhne ich erneut auf und schlinge ein Bein um seine Hüfte. Ich presse mich ihm entgegen, als würde mein Körper ganz von alleine handeln. Ich will das hier nicht. Doch ich will es, ich will ihn. Nein, ich will Joe heiraten. Das ist alles, was ich will. Was sind das für wirre Gedanken? Und dieses ohrenbetäubende Orchester? Kann das mal jemand abstellen? Tai’s Stöhnen, als mein Mund seinen erkundet, geht in diesem Lärm völlig unter, genauso wie meine Zweifel. Seine Hände wandern in meine Trainingshose, während er mit jedem Kuss meine Lust nur noch weiter steigert. Begierig zerre ich an seinem Shirt. Ich will es ihm ausziehen, als plötzlich … „Aaah!“ Kaltes Wasser klatscht in mein Gesicht und mein Schrei durchbohrt die Wände. Ich reiße meine Augen auf und schaue in dasselbe Gesicht wie eben, nur, dass er einfach dumm grinst. „Das macht einfach zu viel Spaß.“ Ich knurre Tai an und oh ja, wenn Blicke töten könnten, wäre er jetzt tot umgefallen. „Ich hasse dich!“, würge ich hervor, schlage die Bettdecke zurück und wische mir meine klitschnassen Haare aus dem Gesicht. Tai steht breit grinsend mit einem leeren Glas vor meinem Bett. Natürlich ist er angezogen, während ich mal wieder im Nachthemd vor ihm sitze. Ich schwöre, wenn er mir jetzt wieder auf die Titten glotzt, bringe ich ihn um! Ein falscher Blick und er ist fällig. „Ich dachte, deinen Jetlag hättest du inzwischen überwunden.“ „Habe ich, du Vollidiot. Deshalb musst du mir auch kein Wasser ins Gesicht schütten. Kannst du mich nicht mal sanfter wecken?“, fauche ich ihn an, doch er zuckt nur mit den Schultern. „Habe ich versucht. Du warst mal wieder nicht wach zu kriegen. Du schläfst echt wie ein Stein, unglaublich. Und dann sabberst und stöhnst du auch noch dabei.“ Sofort spüre ich die Hitze meine Wangen hochsteigen. „Ich habe was …?“ „War’s ein schöner Traum?“, fragt Tai ohne Umschweife und setzt sich auf meine Bettkante, als hätte ihn irgendjemand dazu eingeladen. „Hast du einen Sex-Traum gehabt? Mit Joe?“ Dieses provokante Grinsen. Nein, mit dir, du Idiot. Und eben wird mir klar, dass es eher ein Albtraum war. Was ist da nur in mich gefahren? Ich muss verrückt sein. „Das reicht“, sage ich nur und schubse ihn von meinem Bett, ehe ich selbst aufstehe. „Ab morgen schließe ich die Zimmertür ab.“ Tai lacht, weil er es mal wieder geschafft hat, mich auf den Arm zu nehmen, während ich einfach nur sauer und verwirrt bin. Was für ein beschissener Traum. „Beeil dich, wir sind spät dran“, meint er dann, als ich bereits beginne, mir mein Kleid für heute aus dem Schrank zu suchen. Ich frage gar nicht erst, was wir heute vorhaben, ich bin viel zu durcheinander. Mein Puls rast immer noch und mein Kopf fährt Achterbahn. „Ich warte unten auf dich.“ „Ja ja, verzieh dich einfach.“ Deutlich amüsiert verlässt er den Raum und schließt die Tür hinter sich, während mir gar nicht zu lachen zu Mute ist. Ich brauche dringend eine Dusche. Zugegeben, ich brauchte eine ziemlich lange Dusche. Jetzt ist mein Kopf befreit, meine Gedanken sind rein wie die eines Babys und meine Augen sehen wieder klar. Dieser Tanz gestern war ziemlich … intim. Tai und ich waren uns körperlich sehr nahe und er sieht nicht gerade schlecht aus. Wen würde so was kalt lassen? Dieser Traum war gar nichts. Nichts! Nada! Eine irre Fantasie, die ich schon längst vergessen habe. Wichtig ist, dass ich mich fokussiere – und zwar auf Joe. Während ich die Treppen nach unten steige, bleibe ich stehe und krame mein Handy aus meiner Tasche. Ich wähle Joes Nummer. Es dauert nicht lange, bis er abhebt. „Hallo?“ „Guten Morgen, mein Verlobter“, grinse ich ins Telefon. „Ich hoffe, du hast gut geschlafen.“ „Guten Morgen, Mimi. Ja, es geht so. Das Bett ist schon ziemlich bequem, aber dafür sind die Zimmernachbarn sehr laut oder besser gesagt ihr Fernseher“, sagt Joe und klingt tatsächlich ziemlich müde. „Oh, das tut mir leid für dich. Ist der Kongress anstrengend?“ Joe lacht. „Für andere vermutlich, ja. Für mich fühlt es sich wie Freizeit an. Es macht einfach so Spaß hier. Schade, dass er nur 3 Tage geht.“ Ich grinse unsicher. Meint er das ernst? „Oh, ähm, das soll natürlich nicht heißen, dass ich mich nicht auf zu Hause freue“, ergänzt er schnell noch. „Ich freue mich, dass wir uns morgen wieder sehen. Und ich habe eine gute Nachricht für dich, Mimi. Ich habe es tatsächlich geschafft, mir zwei Tage frei zu nehmen. Dann hätten wir endlich Zeit, etwas schönes zusammen zu unternehmen und uns besser kennenzulernen. Ich habe schon ein ganz schlechtes Gewissen, weil du deine Zeit mehr mit Tai verbringst als mit mir.“ „Nicht doch“, winke ich schnell ab. „Es ist nicht halb so schlimm wie du es dir vorstellst.“ Es ist doppelt so schlimm! „Wirklich? Kommt ihr gut mit den Lektionen voran? Wie lief die Tanzstunde? Kannst du den Walzer?“ Bei der Erinnerung an die Tanzstunde gestern keimt ein flaues Gefühl in meinem Magen auf. Warum bin ich so verunsichert? Es ist doch im Grunde gar nichts passiert. Wir haben nur getanzt, das ist alles. Mehr war da nicht. „Ja, Tai ist ein guter Tänzer. Ich hatte den Walzer ziemlich schnell drauf“, sage ich und versuche meine Gedanken wieder auf Joe zu lenken. „Das stimmt“, lacht Joe auf. „Tai konnte schon immer besser tanzen als ich. Ich hoffe, du hältst es auf dem Wohltätigkeitsball trotzdem mit mir aus, auch wenn ich zwei linke Füße habe.“ Bei der Vorstellung, wie Joe über die Tanzfläche stolpert, muss ich kichern. „Ich werde es schon überstehen.“ „Das ist gut“, sagt er amüsiert. „Wir müssen einen guten Eindruck hinterlassen, Mimi. Das ist meinem Vater sehr wichtig. Es werden viele Freunde von ihm anwesend sein.“ Ich schlucke schwer. „Ich weiß, ich werde das packen.“ Danke für noch mehr Druck. Ich spüre jetzt schon, wie alle Augen auf mich gerichtet sein werden. „Da bin ich mir sicher“, stimmt Joe mir zu. Es wundert mich, wie viel Vertrauen er in mich setzt, obwohl er mich ja gar nicht kennt. „Dann sehen wir uns morgen?“, frage ich. „Wir sehen uns morgen. Bis dann, Mimi.“ „Bis dann“. Ich lege auf und atme tief durch. Ich muss mich einfach noch mehr anstrengen. Nichts darf schief gehen. Und meine Gedanken für Tai dürfen mir auf keinen Fall im Weg stehen. Ich gehe weiter nach unten und finde ihn im Wohnbereich. Er sitzt dort und liest etwas auf seinem Handy, während er auf mich wartet und mich gar nicht bemerkt. Ich stehe da und sehe ihn an. Seine gebräunte Haut. Seine starken Arme. Sein braunes Haar. Mir wird warm. Warum kann er nicht einfach unattraktiv sein? Das würde so vieles leichter machen. Dieser Tanz gestern … hat er das auch gespürt oder war das nur ich? War da nicht irgendeine Verbindung? Tai hebt den Kopf und sieht, wie ich da stehe und ihn anstarre. „Wird auch Zeit“, begrüßt er mich deutlich genervt. „Ich warte seit einer Ewigkeit.“ Meine Augen verengen sich zu Schlitzen. Danke, dass du es mir so leicht machst, dich nicht zu mögen, Tai. Kaum sitzen wir in der Limousine und fahren zu unserem ersten Termin, beginnt Tai zu reden wie ein Wasserfall. „Wir haben heute viel vor und einen straffen Zeitplan“, beginnt er und scrollt geschäftig durch sein Handy. „Zuerst hast du eine Kimono Anprobe, du brauchst dringend einen, für traditionelle Feste. Davon gibt es im Jahr einige, ein paar davon finden auf dem Anwesen der Kidos statt. Danach fahren wir zu einer Teezeremonie.“ „Wow, klingt ja spannend“, witzle ich, aber Tai hört mir gar nicht zu und macht weiter mit seinem Programm. „Die Familie Kido zelebriert das regelmäßig, häufig auch alleine oder zu zweit, aber als Schwiegertochter wird von dir erwartet, bei so etwas anwesend zu sein. Danach fahren wir was essen, natürlich in einem traditionell japanischen Restaurant. Auf dem Weg dorthin lernst du bitte das auswendig.“ Er streckt seinen Arm zur Seite aus und hält mir irgendeine Akte unter die Nase. „Das ist der Stammbaum der Familie Kido, du solltest ihn kennen. Zudem sind dort die Steckbriefe aller wichtigen Geschäftspartner, Freunde und Bekannter drin, die bei der Familie Kido großes Ansehen genießen. Spätestens auf der Gala wist du sie kennenlernen. Wir haben es neulich nach dem Krankenhaus ja leider verpasst, das zu tun, also musst du diese Lektion jetzt nachholen.“ Ich puste die Luft aus. „Klar, sonst noch was?“, frage ich eigentliche eher zum Scherz, aber Tai ist noch nicht fertig. „Danach steht Sport auf dem Programm. Unter anderem Golf.“ „Golf?“ „Ja, das ist Joes Lieblingssport. Aber ich werde auch deine allgemeine Fitness testen. Als Frau eines Kido, wirst du einen personal Trainer und einen strickten Trainingsplan haben. Dr. Kido ist, als Arzt, die Gesundheit seiner Familie sehr wichtig, also halte dich besser daran.“ Wie bitte? Und das wollen wir ALLES heute machen? „Du weißt aber schon, dass der Tag nur 24 Stunden hat?“, entgegne ich und sehe Tai zweifelnd an. Hat er den Verstand verloren? Tai seufzt, als würde ich ihm auf die Nerven gehen. „Ich könnte mir auch Besseres vorstellen. Aber ich muss bald für ein paar Tage ans Filmset, weil ich da einen …“ „Ein Filmset? Wow! Kann ich mitkommen?“ „Auf keinen Fall.“ Ich verschränke die Arme vor der Brust und starre schmollend aus dem Fenster. Spielverderber. Das wäre endlich mal was gewesen, was mich interessiert hätte. Aber nein, ich gehe gerne stattdessen zu langweiligen Teezeremonien. „Ich wollte damit nur sagen, dass wir uns ranhalten müssen. Eure Verlobungsfeier ist nicht mehr weit und ich habe auch noch andere Verpflichtungen, wie zum Beispiel meinen Job als Stuntman. Ich kann nicht ewig viel Zeit damit zubringen, dich zu unterrichten. Also tu uns beiden einen Gefallen und streng dich an. Umso schneller bist du mich los.“ Ich beiße mir auf die Unterlippe. Ja, vermutlich hat er recht. Ich sollte diese ganzen dummen Gedanken an ihn einfach vergessen. So distanziert wie er sich mir gegenüber verhält, hatte das gestern sowieso nichts zu bedeuten, genauso wenig wie diese Blicke zuvor. Alles Einbildung. Und so wie Tai klingt ist er nur mehr als froh, wenn er bald keine Zeit mehr mit mir verbringen muss. Also sollte ich einfach seine Bitte erfüllen und mich bemühen. Aber warum fühle ich mich dann trotzdem so gekränkt? Die Kimono Anprobe ist die reinste Tortur. Natürlich kann es auch nicht irgendein Kimono sein. Ich komme mir vor wie eine Geisha. „Ist das wirklich notwendig?“, rufe ich aus der Ankleide, als mir die Verkäuferin die gefühlt zehnte Lage Stoff umlegt. „Ich kann nicht fassen, dass du mir diese Frage stellst“, höre ich Tai von draußen zurückrufen. Ich seufze. „Und ich kann nicht fassen, dass du mir das antust“, flüstere ich augenrollend, während mir der Obi angelegt wird. Irgendwann sagt die Verkäuferin „Fertig“ und bestaunt ihr Werk, während ich mich sichtlich unwohl fühle. „Wollen Sie Ihrem Freund das Ergebnis zeigen?“ „Er ist nicht mein Freund“, antworte ich grummelnd. Als ich aus der Kabine trete, hebt Tai den Kopf und sieht von seinem Handy zu mir auf. „Hmm, nicht schlecht“, sagt er jedoch nur und schaut dann wieder auf sein Smartphone. Wie bitte? Nicht schlecht? Das ist alles? Und dafür quäle ich mich 20 Minuten bei der Anprobe? „Was ist?“, fragt er nun, als er bemerkt, dass ich mich nicht rege. „Los, probier den Nächsten an.“ „Was? Aber warum? Der ist doch super.“ Er ist rosa und hat ein schönes Rosenmuster im Stoff. Was hat er nur dagegen? „Glaub mir, du wirst mehr als einen brauchen.“ Ich stöhne genervt auf. „Super, Tai. Ich hoffe, ich darf einen davon nachher bei der Teezeremonie tragen.“ Der pure Sarkasmus trieft aus meiner Stimme, aber das scheint Tai zu ignorieren. „Gute Idee, dann kannst du gleich üben darin zu sitzen.“ Ich presse die Zähne aufeinander und schließe die Augen. Ganz ruhig, Mimi. Ganz ruhig. Sonst bringst du ihn heute noch um. Eine Autofahrt und fünf Kimonos später sitze ich in einem davon bei der Teezeremonie und könnte vor Langeweile sterben. Warum tun Menschen sich so was freiwillig an? Ja ja, ich weiß schon, es geht um die innere Ruhe und darum, den Geist frei zu machen. Aber ich bin doch schon ruhig, genauso wie Tai, der einfach seinen Tagesplan abarbeitet und kaum mit mir spricht. Unauffällig schiele ich zu ihm rüber. Er sieht total hochkonzentriert aus, während er der Dame dabei zusieht, wie sie den Tee anrührt. Interessiert ihn das wirklich oder ist er innerlich tot? Puh, also meine Beine sind es jedenfalls gleich. Ich habe das Gefühl, ich kann keine Sekunde länger auf meinen Fersen sitzen. So sieht jetzt also mein Leben aus. Teezeremonien, hübsche Kleider, brav und stumm herumsitzen und all das tun, was die Familie sagt. Schreck lass nach. Und Tai interessiert das nicht die Bohne. War da gestern echt nichts zwischen uns? Nachdem die Teezeremonie vorbei ist, meine Beine nicht mehr durchblutet werden und Tai mich keines Blickes gewürdigt hat, geht es wie geplant weiter zum Essen. Tai ist damit beschäftigt an mir rum zu nörgeln und mir zum zehnten Mal zu erklären, wie man die Stäbchen richtig hält und hinlegt. Wie schnell oder langsam ich essen soll, wie ich sitzen soll, ja sogar in welcher Phase des Essens man am besten die Toilette aufsucht und selbst dabei gibt es noch einiges zu beachten. Mir ist quasi jeder Bissen im Hals stecken geblieben und nachdem wir das Restaurant verlassen haben, schwirrt mir der Kopf. „Als Nächstes steht Sport auf dem Programm“, klärt Tai mich noch mal auf. Als wäre das nötig gewesen. „Wir fahren kurz zum Anwesen zurück, du ziehst dich um und von dort aus joggen wir zur Golfanlage.“ „Klar doch. Willst du mir auch noch vorschreiben, in welcher Reihenfolge ich meine Klamotten auszuziehen habe?“ Inzwischen bin ich so gereizt von seinem ganzen Getue, dass ich gar nicht anders kann als zickig zu reagieren. „Du tust so, als würde mir das Freude bereiten“, entgegnet Tai tonlos, aber sieht dabei wie immer aus dem Fenster. Natürlich sieht er mich nicht an. Wieso auch? Ich bin ja nur die nervige, kleine Verlobte seines Freundes. „Keine Ahnung, tut es das?“, antworte ich gereizt, aber Tai zischt nur, als wäre diese Frage keine Antwort wert. Innerlich platze ich fast, wegen seiner arroganten Art, die er heute an den Tag legt und plötzlich finde ich es richtig gut, dass wir joggen gehen. Ich werde den ganzen Frust einfach weglaufen. In der Villa angekommen, pelle ich mich aus diesem Kimono und schmeiße ihn achtlos auf mein Bett, was er definitiv nicht verdient hat. Aber ich bin einfach so sauer. Und das ist noch gar kein Ausdruck. Ich koche vor Wut! Tai ist echt das Letzte. Erst haben wir da gestern so etwas wie eine Verbindung, tanzen uns die Seele aus dem Leib, ich vertraue ihm meine Geheimnisse an und beginne, mich ihm zu öffnen und er? Er behandelt mich wie Luft? Na, schön. Wenn er es so will, diese Spielchen kann ich auch spielen. Ich ziehe mir meine Sportsachen an und gehe wieder nach unten. Tai steht selbstverständlich schon draußen und macht sich warm. Am liebsten würde ich einen Moment länger auf der Treppe stehen bleiben und seine Muskeln bewundern. Er hat wirklich einen durchtrainierten Körper, das muss man ihm lassen. Aber vermutlich braucht er den als Stuntman auch. „Da bist du ja“, stellt er fest, als er mit ein paar Liegestütz fertig ist. „Ja, können wir es dann hinter uns bringen?“ Ich verzichte auf das Warm Up und laufe einfach los, dicht gefolgt von Tai. „Du solltest dich wirklich zuerst aufwärmen.“ „Danke, aber mir ist warm genug.“ Und das nicht, weil ich dich schwitzend gesehen habe. „Gut, deine Sache. Wir machen unterwegs ein paar Boxenstopps und bauen leichte Muskelaufbauübungen mit ein. Dr. Kido will heute Abend einen Bericht von mir über deine momentane Fitness.“ Ich schnaufe verächtlich. „Sehr schön, kann er gleich auf seinem Anamnesebogen hinzufügen.“ Wir laufen eine ganze Weile, erst einfach die Straße entlang, dann biegen wir in einen Park ein. Zwischendurch halten wir immer wieder an und ich muss dämliche Liegestütz, Kniebeugen und Sit-up’s machen. „Dafür schmorst du in der Hölle, Yagami“, keuche ich, nachdem Tai endlich den fünfzigsten Sit-up gezählt hat und ich halbtot im Gras zusammenbreche. „Hey, ich könnte mir auch besseres vorstellen“, antwortet er, während ich mit dem Rücken im Gras liege und nach Luft schnappe. Böse funkle ich ihn an. Er ist natürlich überhaupt nicht aus der Puste. Für ihn muss das hier ein Spaziergang sein. „Ja, das hast du heute mehr als deutlich gezeigt.“ „Was meinst du?“ Stellt er sich jetzt dumm? Ich stütze mich auf beide Unterarme ab und schaue zu ihm hoch. „Warum bist du heute so ein Kotzbrocken, Tai?“ „Ich bin ein was?“, fragt er irritiert und verschränkt die Arme vor der Brust. Sein Bizeps spannt sich an, was ich ziemlich heiß finde, mir aber grad total egal ist. Mit Sexyness kann er heute nicht mehr punkten. „Ein Kotzbrocken!“, wiederhole ich. „Du bist distanziert, du schaust mich nicht an, du wiederholst ständig, dass du das hier eigentlich alles nicht willst, nörgelst nur an mir rum, Mimi tu dies, Mimi tu das …“ Ich könnte die Liste noch fortsetzen, aber stattdessen springe ich auf die Beine und stemme die Hände in die Seite. „Was habe ich dir getan?“ „Wieso solltest du mir was getan haben?“ „Denkst du, du kannst mich aus der Villa ekeln?“ „Was?“ Verwirrt sieht Tai mich an. „Ach, komm schon“, sage ich provokant. „Ich weiß genau, dass du was gegen diese Heirat hast. Aber wenn du glaubst, ich verschwinde, nur weil du ein bisschen eklig zu mir bist, hast du dich geschnitten. Nur zu deiner Info: ich kenne weitaus schlimmere Typen als dich, also streng dich etwas mehr an, wenn du mich loswerden willst.“ Ich lasse ihn stehen und jogge weiter. Tai folgt mir. „Wie kommst du darauf, dass ich dich loswerden will?“ „Oh bitte“, schnaufe ich, während ich immer schneller laufe, als würde ich vor ihm weglaufen wollen. „Du warst von Anfang an gegen mich.“ „Nicht gegen dich“, höre ich Tai sagen, der mich inzwischen eingeholt hat. „Nur gegen diese arrangierte Ehe. Ich habe nichts gegen dich.“ Fast hätte ich aufgelacht. „Erzähl das deiner Oma.“ „Hey Mimi“, meint Tai plötzlich und kommt mir gefährlich nahe. „Wie schnell kannst du rennen?“ „Warum? Soll das etwa auch auf den Anamnesebogen?“ Ich bin echt genervt davon. „Nein, aber wir werden verfolgt.“ „Was?“ Erschrocken schaue ich mich zu allen Seiten um, während Tai mich nur weiter antreibt. „Lauf einfach weiter. Der Kerl hinter uns folgt uns schon seit einer ganzen Weile und hat eben sein Handy rausgeholt und auf uns gerichtet.“ „Meinst du, er ist ein Paparazzo?“ Super, da gehe ich das erste mal seit Tagen wieder aus dem Haus und schon kleben sie an mir wie die Fliegen. „Oder ein Zivilist, der etwas Kohle verdienen will. Wie auch immer, er wird uns nicht in Ruhe lassen, also müssen wir ihn abhängen.“ Ich lache gequält auf. „Ich denke, das gibt meine Kondition nicht her.“ Vor allem nicht, seit du mich durch dieses harte Training gejagt hast. „Streng dich an, Prinzessin, oder du siehst dein Bild heute Abend in den Nachrichten“, sagt Tai nur und beschleunigt bereits sein Tempo. Ich komme kaum hinterher. Inzwischen joggen wir nicht mehr, wir rennen. Und ein Blick nach hinten verrät mir, dass unser Verfolger nun auch drauf los sprintet, das Handy immer noch in der Hand. Scheiße! Tai ist super schnell und so langsam geht mir die Puste aus, obwohl ich förmlich über den Boden fliege. Meine Lunge schmerzt und ich weiß nicht, was Tai’s Plan ist, wenn dieser Kerl nicht aufgibt. Lange halte ich das nicht mehr durch. Der Park ist riesig, aber wir schaffen es einfach nicht ihn loszuwerden. Plötzlich legt Tai noch einen Zahn zu und hängt mich locker ab. Was soll das? Ich versuche mit ihm mitzuhalten, aber zwecklos. Er ist viel zu schnell. Allerdings geht unserem Verfolger auch allmählich die Puste aus. Inzwischen ist er ziemlich weit zurück gefallen und ich nutze die Chance und sammle noch mal alle Kräfte. Tai ist um die nächste Ecke gebogen und ich habe ihn aus den Augen verloren. Trotzdem folge ich seinem Weg und als auch ich um die Ecke springe, packt mich plötzlich ein Arm von der Seite und reißt mich vom Weg. Ich werde hinter einen Baum gezerrt und starke Arme legen sich um meinen Körper, um mich festzuhalten, eine Hand auf meinen Mund gepresst. Ich will aufschreien, aber es geht nicht. Erst, als ich mich winde, merke ich, dass es Tai ist. „Psst!“, macht er und deutet somit an, ruhig zu sein. Ich stehe mit dem Rücken zu ihm, dicht an seine Brust gepresst. Mein Brustkorb hebt und senkt sich viel zu schnell und ich habe das Gefühl kaum noch Luft zu bekommen. Tai nimmt die Hand von meinem Mund, als er sich sicher ist, dass ich nicht losschreie und legt sie stattdessen auf die Stelle, wo mein Herz ist – das rast wie verrückt. Genau in diesem Moment rennt der Kerl an uns vorbei, der uns verfolgt hat und rennt einfach immer weiter und weiter. Er hat uns nicht entdeckt. Ich atme erleichtert aus und sacke in mich zusammen. Würde Tai mich nicht immer noch festhalten, würde ich wohl auf der Stelle zusammenbrechen. Daher bin ich froh, dass er es tut. Wir bleiben einfach noch einen Moment so stehen – reglos. Auch ich kann in meinem Rücken Tai’s Herzschlag spüren, welcher viel zu schnell geht. Seine Arme sind immer noch um meinen Körper geschlungen. Und plötzlich ist es wieder da – dieses Gefühl. Diese … Verbindung. Diese Anziehung. Es fühlt sich genau wie gestern an, als wir uns so nah waren. Tai lockert seinen Griff und will mich loslassen, doch ich greife schnell nach seiner Hand und halte sie fest. Ich muss das jetzt spüren. Ich muss wissen, ob ich mir das alles nur eingebildet habe. Tai hält in seiner Bewegung inne und so verharren wir einen Moment zu lange. Spüren den Herzschlag des jeweils anderen. Spüren die Anziehung. Es kostet mich alle Kraft, mich jetzt nicht umzudrehen, aber ich bin mir der Gefahr durchaus bewusst. Diese Nähe verwirrt mich. Und würde ich ihm jetzt in die Augen sehen, dann … „Mimi?“ Ich schlucke schwer. „Ja?“, hauche ich. „Lass mich los, okay?“ Ich erschrecke vor mir selbst, weil ich seine Hand immer noch festhalte und springe förmlich aus seiner Umklammerung. Oh Gott. Was war das? Hat ihn diese Nähe genauso berührt wie mich? Doch als ich mich zu ihm umdrehe, erkenne ich … nichts. Da ist nicht die geringste Emotion in seinem Gesicht, nichts, was mich glauben lassen könnte, er hätte das selbe gespürt wie ich. „Verdammt, wir müssen besser aufpassen“, sagt er stattdessen nur, als wäre nichts gewesen. „Das war haarscharf. Ich hoffe, er hat kein brauchbares Foto hinbekommen.“ Ist das alles worum es ihm geht? Dass wir eben eng umschlungen hinter einem Baum standen, interessiert ihn gar nicht? Mit einem Mal packt mich die Wut. „Wäre es nicht deine Aufgabe gewesen, darauf zu achten, dass uns niemand verfolgt?“, fahre ich ihn an. „Wie soll ich das bitte anstellen? Ich bin nicht dein Bodyguard. Wir haben Glück, dass uns nicht schon viel eher jemand gefolgt ist.“ Er ist gereizt. Genau wie ich. Aber warum sind wir so wütend aufeinander? „Mir egal“, fauche ich. „Ich habe so die Nase voll von all dem hier.“ Und damit meine ich nicht nur die Paparazzi und die Presse. Tai verzieht das Gesicht. „Hey, du musst nicht so kratzbürstig sein. Du wolltest das hier! Du bist freiwillig hergekommen, um Joe zu heiraten. Du hättest wissen müssen, was dich erwartet.“ Ja, hätte ich. Aber hätte ich auch erwarten müssen, ausgerechnet hier in Japan dir zu begegnen? „Ich wollte das hier?“, wiederhole ich ungläubig. „Du hast keine Ahnung!“ Damit lasse ich ihn stehen. Ich drehe mich um und gehe einfach. „Wo willst du hin? Wir müssen noch Golfen“, höre ich Tai mir hinterher rufen, aber da kann er lange warten. „Steck dir deinen Golfschläger sonst wo hin“, rufe ich zurück und stampfe davon in Richtung Kido Anwesen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)