Love against all Reason von Ukiyo1 (Liebe gegen jede Vernunft) ================================================================================ Kapitel 14: Kapitel 14 ---------------------- Tai Ich stürze mindestens 30 Meter in die Tiefe, ehe das Sicherheitsseil mich mit einem Ruck zum stoppen bringt. Verdammte scheiße! Das Adrenalin pumpt immer noch durch meine Venen und ich brauche einen Moment, um zu realisieren, was eben passiert ist. War das eben …? Jedoch, spätestens, als der Regisseur mich anbrüllt, kapiere auch ich, dass ich es grad richtig vergeigt hab. „Sag mal Yagami, willst du mich verarschen?“ „Sorry Boss“, rufe ich nach unten, während ich immer noch an dem Seil baumle, was inzwischen langsam nach unten gelassen wird. „Was sollte das?“, keift er mich an, als ich endlich wieder festen Boden unter den Füßen habe. „Bin abgerutscht“, entgegne ich und öffne den Gurt an meiner Hüfte, um mich vom Seil zu befreien. „Wohl eher abgelenkt“, widerspricht er und zeigt hinter sich. „Wer ist diese Tussi und was macht sie hier?“ „Hey!“, fauche ich ihn sofort an. „Sie ist keine Tussi.“ „Von mir aus. Aber schaff sie hier weg. Und dann drehen wir die Szene noch mal.“ Er dreht sich um und geht zum Team zurück. „Zehn Minuten Pause für alle.“ Alles klar. Ich muss das schleunigst klären. Was zur Hölle macht sie hier? Schnellen Schrittes gehe ich auf Mimi zu, als sie mir auch schon ein „Es tut mir leid“ entgegen schleudert und sich die Hände vor den Mund hält. „Wolltest mich wohl sterben sehen.“ Ich bleibe vor ihr stehen und Mimi fängt sofort an hastig meine Arme und meinen Oberkörper abzutasten. Ich schüttle ihre Hände von mir ab. „Hör auf! Was soll das?“ „Oh Gott Tai, bist du verletzt?“ Sie sieht ernsthaft besorgt aus. Ja, sogar richtig panisch. „Ich stehe doch vor dir, oder?“ „Aber du bist so tief gefallen“, stellt sie schockiert fest und jetzt sehe ich die Angst, die sich tatsächlich in ihrem Gesicht abzeichnet. „Machst du dir etwa Sorgen um mich?“, grinse ich und zeige dann auf meinen Hüftgurt. „Ich war an einem Sicherheitsseil befestigt, mir ist nichts passiert.“ „Oh … okay …“ Mimi richtet sich nun wieder etwas auf und lässt von mir ab, aber wirklich entspannt sieht sie nicht aus. „Mimi“, sage ich daher eindringlich und packe sie an den Schultern, damit sie mir in die Augen sieht. „Es. Geht. Mir. Gut. Und jetzt krieg dich wieder ein.“ Nun verzieht sie das Gesicht und wischt meine Hände von ihren Schultern. „Du bist ganz schön unhöflich. Ich bin extra hergekommen, um dich …“ Um mich, was? Zu sehen? Mein Herz beginnt für einen Moment aufgeregt zu schlagen. „Ich meine, um dich an deinem Set zu besuchen. Ist ja tierisch aufregend hier.“ Ja, na klar. Was sonst? Ich kann gar nicht anders, ich muss einfach grinsen. „Hätte nicht gedacht, dass du mich mal vermisst“, ärgere ich sie. „Ich vermisse dich nicht, kein Stück.“ Mimi verschränkt die Arme vor der Brust und sieht dabei aus wie ein kleines Kind. Wieso empfinde ich gerade so was wie Genugtuung? „Hatte ich nicht gesagt, du sollst nicht kommen?“ „So was in der Art hast du wohl gesagt, ja.“ Diese sture Frau. Wieso kann sie sich nie an die Regeln halten? „Joe sagte, es wäre in Ordnung, wenn ich mich hier mal ein wenig umsehe“, meint Mimi ganz unschuldig. „Ich habe das Filmset echt vermisst.“ Ihr Blick wandert sehnsuchtsvoll über die Kulisse und die Requisiten, bis er schließlich an der Maske hängen bleibt. Plötzlich komme ich mir super mies vor – wie der Arsch, für den sie mich immer hält. Ich bin gerade an einem Filmset und tue das, was ich liebe. Und Mimi liebt es mindestens genauso wie ich. Nur sie darf ihren Traum nicht mehr leben, nie wieder. Sie wird eine Kido und damit war’s das in diesem Business. Irgendwie tut sie mir leid. „Na schön“, sage ich versöhnlich. „Wenn du schon mal hier bist, ich könnte eine Maske gebrauchen. Interesse?“ Überrascht sieht Mimi zu mir auf. „Aber du hast doch Leute, die das für dich tun.“ Himmel, sie kapiert aber auch gar nichts. „Schon klar, aber ich will, dass du das machst. Mach dich wenigstens nützlich, wenn ich wegen dir schon fast in den Tod gestürzt wäre.“ Ich gehe in den Bereich, wo die Maske aufgebaut ist und lasse mich auf einen der Stühle nieder. Mimi folgt mir und schaut sich etwas unsicher um. „Das geht schon in Ordnung“, versichere ich ihr, als sie ein paar Pinsel und das Make Up begutachtet. „Hey, die Sachen sind gar nicht so schlecht“, gesteht sie und beginnt, mir zunächst die Stirn mit einem Tuch abzutupfen. „Was dreht ihr denn für einen Film?“ „Einen Actionfilm“, sage ich und halte ganz still, damit sie ihre Arbeit machen kann. Jetzt nimmt sie das Make Up in die Hand und prüft, welcher Farbton am besten zu meiner Hautfarbe passt. „Ich spiele einen Gangster, der aus dem Knast ausgebrochen ist und sich gerade auf der Flucht befindet. Na ja, zumindest sein Double. Man sieht mich im Film ja meist nur von hinten.“ „Du spielst also den Bösen in der Geschichte“, stellt Mimi fest. „Passt ja irgendwie.“ Ich atme schwerfällig aus. Ich finde es furchtbar, dass sie so von mir denkt. „Im Grunde bin ich nicht so“, sage ich, weiß aber eigentlich gar nicht so richtig, was ich damit bezwecken will. Wollte ich nicht genau das mit meinem Verhalten erreichen? Warum ist es mir so wichtig, was sie von mir denkt? „Hmm“, schnaubt Mimi lachend. „Komisch, genau das hat deine Schwester auch gesagt.“ „Du hast dich mit Kari getroffen?“, entgegne ich überrascht. „Ja, wir haben das Fest für die Kinder im Krankenhaus geplant. Von ihr habe ich auch deine Adresse bekommen.“ So so, meine kleine Schwester war mal wieder viel zu gesprächig. Sie nimmt einen Pinsel und Puder in die Hand und beginnt, mir das Gesicht abzupudern, als mir förmlich etwas ins Auge springt. Ich schnappe ihr Handgelenk und halte es fest. „Was ist das?“ Ein wenig ungläubig starre ich auf das funkelnde Ding an ihrem Ringfinger. Mein Herz setzt einen Schlag lang aus, als Mimi mir auch schon ihre Hand entreißt. „Ein Verlobungsring?“, knurre ich, obwohl das ja auf der Hand liegt. Ich spüre, wie etwas in mir aufsteigt, was mich selbst überrascht – Eifersucht. „Joe hat ihn mir geschenkt“, sagt sie und macht unbeirrt mit ihrer Arbeit weiter. Sie sagt das so beiläufig. Als wäre es keine große Sache. Als hätte es nichts zu bedeuten. Aber ich kenne meinen Freund Joe – wenn er einer Frau einen Verlobungsring schenkt, dann hat das definitiv was zu bedeuten. Zum Teufel noch mal, so was hat einfach IMMER was zu bedeuten, es ist schließlich ein verdammter Verlobungsring! „Dann gehe ich davon aus, dass eure Dates gut liefen“, entgegne ich viel zu bissig. Mimi hält kurz inne und sieht mich stirnrunzelnd an, vermutlich weil ich so gereizt darauf reagiere. Ich wünschte, ich hätte mich mehr unter Kontrolle. Aber bei dieser Frau habe ich irgendwie nie etwas unter Kontrolle. Alles, an was ich gerade denken kann ist, ob sie sich näher gekommen sind. Allein die Vorstellung davon missfällt mir. Aber warum ist das so? Es sollte mir egal sein, ob Mimi und Joe tatsächlich was miteinander haben. „Ja, es war sehr schön“, bestätigt Mimi meine Vermutung und macht mit ihrer Maske weiter. „Joe ist wirklich nett und hat ein gutes Herz. Ich kann mich glücklich schätzen, ihn heiraten zu dürfen.“ Irgendwo habe ich das schon mal gehört. Wie schafft es die Familie Kido nur jedesmal ihre Frauen derart gefügig zu machen? Nur mit Macht und Geld? Nein, das kann ich mir nicht vorstellen – so eine ist Mimi nicht. Auch wenn ich das anfangs von ihr erwartet habe. Worum geht es ihr wirklich? „Ich würde das anders sehen“, entgegne ich. „So, und wie?“ „Die Pause ist vorbei, zurück ans Set!“, ruft der Regisseur plötzlich durch die Reihen und um uns herum wird es ganz wuselig. Alle eilen zurück hinter die Kamera und nehmen ihre Positionen ein. „Wir machen weiter mit Szene 105, Take 21.“ Ich rutsche vom Stuhl und bin dankbar für die Unterbrechung. „Ich muss wieder zurück“, sage ich, ohne Mimi eine Antwort zu geben. Denn im Grunde ist es doch so, dass nicht sie sich glücklich schätzen kann, in die Familie Kido einzuheiraten. Im Gegenteil – die Kidos haben Glück eine Frau wie Mimi gefunden zu haben, die bereit ist, ihre ganze Freiheit aufzugeben, um Ehefrau zu sein. Wobei ich mir immer noch nicht vorstellen kann, dass sie das wirklich alles freiwillig tut. Sie ist keine zweite Kaori. „Darf ich zusehen?“, fragt Mimi und tritt ganz unruhig von einem Bein aufs andere. Es bedeutet ihr anscheinend echt viel hier zu sein. Plötzlich fühle ich mich schlecht, weil ich ihr verboten hatte herzukommen. Ein leichtes Grinsen schleicht sich auf meine Lippen. „Klar, aber nur, wenn du keinen Herzinfarkt kriegst. Und du solltest diesmal wirklich die Klappe halten, sonst stürze ich wirklich noch in den Tod.“ Mimis Augen beginnen vor Freude zu strahlen und erwärmen mein Herz. Wenn wir zusammen ihre Lektionen abgearbeitet haben, sah sie immer so ernst aus. Außer beim Tanzen, da war sie ganz bei sich selbst. Völlig losgelöst von jedem Druck, den diese Familie tagtäglich auf sie ausübt. Das hier, das Filmset, ist ihre Welt. Hier fühlt sie sich wohl. Hier strahlt sie übers ganze Gesicht. Und ich weiß jetzt schon, dass ich sie so viel lieber mag. „Oh, danke Tai“, meint sie und hüpft aufgeregt auf der Stelle. „Ich verspreche auch ganz ruhig zu sein.“ „Ja, ja schon gut. Komm einfach mit.“ „Das kommt definitiv auf die Pro Liste“, höre ich sie hinter mir flüstern, als sie mir unauffällig folgt. „Was?“ „Ach, nichts.“ Sie strahlt mich glücklich an und erneut trifft mich ihr Lächeln mitten ins Herz – was inzwischen gefährlich weh tut, jedes Mal, wenn ich an sie denke. Und leider habe ich das in den letzten Tagen viel zu oft gemacht. Wahrscheinlich war ich deshalb beim Dreh auch nicht ganz bei der Sache. Ich glaube, jetzt kann ich mich besser fokussieren. Ob das an ihr liegt? Ich spüre, wie das Adrenalin zurück kehrt, als ich für die nächste Szene fertig gemacht werde. Das ist immer so, kurz vor einer Actionszene. Genau dieses gefährliche Prickeln liebe ich. Hier bin ich genau in meinem Element. Ein letztes Mal suche ich Mimis Blick, die mich die ganze Zeit zu fixieren scheint. Dann werde ich mit dem Seil hochgezogen. „Und Action!“, ruft der Regisseur durch ein Megaphone und ich schalte von der einen auf die andere Sekunde um. Ich schwinge mich an die Wand des Gebäudes und halte mich daran fest. Es besteht komplett aus Glas und ich habe spezielle Handschuhe an, mit denen es mir möglich ist, mich Stück für Stück an der Wand hochzuziehen. Ein Schauspieler erscheint am Fenster und streckt mir seine Hand entgegen. Ich greife nach ihr, aber rutsche ab und stürze beinahe in die Tiefe – natürlich alles nach Drehbuch. Als ich es geschafft habe, geht die Verfolgungsjagd weiter und ich muss noch einige Szenen als Double drehen. Für die Nahaufnahmen brauchen sie mich natürlich nicht, aber da ein Großteil des Films aus gefährlichen Actionszenen besteht, muss ich ziemlich oft ran. Die letzte Szene für heute, in der ich von einem Hochhaus springe und gleichzeitig hinter mir eine Bombe explodiert, gibt mir den ultimativen Kick. Ich bin immer noch ganz aufgeregt, als ich unten von der Matte rolle und der Regisseur „Cut! Das war’s für heute“ ruft. Während ich mich von den Gurten und Seilen befreie, kommt er sogar persönlich zu mir und klopft mir auf die Schulter. „Gut gemacht, Yagami. Das ist die Leistung, die ich von dir gewohnt bin.“ „Danke“, kriege ich jedoch nur keuchend heraus. Ich bin ganz schön erledigt. Trotzdem suchen meine Augen bereits die eine Person, für die ich mich eben so ins Zeug gelegt habe. Keine Ahnung, warum, aber irgendwie wollte ich Mimi beeindrucken. Und so wie sie aussieht, habe ich das geschafft, denn sie kommt mit großen, ungläubigen Augen auf mich zugerannt. „Tai“, ruft sie begeistert. „Das war ja fantastisch! Unfassbar, dass du da wirklich runter gesprungen bist, das ist echt der blanke Wahnsinn.“ Ich lächle verlegen. „Was soll ich sagen? Ich bin eben echt cool.“ Breit grinsend stemmt sie die Hände in die Hüfte. „Angeber.“ Mein Grinsen wird noch breiter. „Wann musst du wieder zurück? Ich dachte, wir könnten noch etwas essen und ich zeige dir den Rest vom Set. Aber vorher muss ich duschen.“ Ich bin komplett verdreckt. Schweiß und Ruß klebt an mir und mein Körper muss dringend warmes Wasser sehen. Mimi sieht unsicher auf die Uhr ihres Handys. Ich weiß, es ist schon spät und ich weiß, ich wollte sie anfangs gar nicht hier haben. Aber jetzt, wo sie da ist, kann ich sie nicht einfach so gehen lassen. „Ich habe Joe zwar gesagt, dass ich zum Abendessen zurück bin, aber das dürfte ich inzwischen ohnehin verpasst haben.“ „Gut, dann hol mich einfach in einer Stunde bei meinem Trailer ab, es ist der mit der Nummer 52.“ Mimi nickt. „Okay, bis dann.“ Nach einer ausgiebigen Dusche fühle ich mich schon fast wieder wie ein Mensch. Der Drehtag war extrem anstrengend und jeder Muskel in meinem Körper schmerzt. Dennoch hätte es besser nicht laufen können. Ich liebe diesen Job einfach. Pünktlich um 20 Uhr klopft es an die Tür meines Trailers. Ich öffne sie und ihr umwerfendes Lächeln trifft mich ganz unerwartet. Ich muss kurz schlucken, bis ich sie reinbitten kann, weil ich die letzten Tage sehr mit mir gerungen habe, mir immer wieder eingeredet habe, dass da nichts zwischen uns ist. Aber die Wahrheit sieht gerade so aus, dass sie mein Herz klopfen lässt – und das ist nicht gut, auch wenn es sich so anfühlt. Ich muss verdammt aufpassen. Aber hey, wir essen nur zusammen, wie wir es schon so oft getan haben. Was soll schief gehen? „Wow, das ist ja richtig gemütlich hier drin“, sagt Mimi lachend, als sie meinen winzigen Trailer betritt und sich umsieht. Außer einer kleinen Kochnische, einer Sitzbank mit Tisch und einem Bett mit angrenzender Dusche findet man hier nicht viel. „Ich weiß, du bist besseres gewöhnt“, sage ich und spiele damit auf die Villa an, in der sie momentan lebt. „Ach was, mich stört das kein bisschen. Im Gegenteil“, sagt sie und macht es sich auf der Sitzbank bequem. „Ich liebe das Filmset-Feeling. Und ich liebe es, hinter den Kulissen zu sein, das ist einfach immer eine besondere Atmosphäre.“ In Mimis Augen tritt schon wieder dieses Funkeln, dass sie immer hat, wenn sie darüber spricht. Ich muss grinsen. „Dann ist ja gut“, sage ich, gehe zur Küche und fange an den Kühlschrank leer zu räumen. „Ich hoffe, du hast Hunger mitgebracht. Für dich habe ich keine Mühen gescheut und vorhin heimlich das halbe Buffet der Schauspieler leergeräumt.“ Mimi lacht. „Du hast das Essen geklaut? Sehr originell, Tai.“ Ich zucke mit den Schultern. „Die essen das eh nicht alles, also warum etwas verschwenden?“ Lachend schüttelt Mimi den Kopf, während ich uns auftische. „Du bist echt unmöglich.“ Ich stelle alles auf den Tisch, hole zwei Teller und Besteck aus den Schränken und setze mich ihr gegenüber. „Bedien dich. Hier musst du auch nicht mit Stäbchen essen.“ „Wie gut für mich.“ Wir essen und ich erzähle Mimi währenddessen von den ganzen Actionszenen, die ich schon gedreht habe. Sie fragt mir Löcher in den Bauch und ich finde es irgendwie süß, dass sie sich so dafür begeistern kann. Man könnte meinen, sie lebt mehr für das alles hier, als ich es je tun könnte. „Was hast du eigentlich alles mit meiner Schwester besprochen, als ihr euch getroffen habt?“, frage ich neugierig und schiebe mir dabei ein Sandwich in den Mund. Mimi stochert nachdenklich in ihrem Essen rum. „Ach, eigentlich haben wir fast nur über das Fest im Krankenhaus gesprochen. Kari ist eine wertvolle Hilfe. Und sie ist unfassbar nett und liebenswert. Du hast Glück eine so tolle Schwester zu haben.“ „Ja, da hast du recht“, stimme ich ihr zu. „Kari hat einfach ein gutes Herz.“ „Hmm“, macht Mimi und macht plötzlich ein Gesicht, als würde sie angestrengt nachdenken. Dann legt sie ihre Gabel ab und es platzt förmlich aus ihr raus. „Wer war deine Ex-Freundin, Tai?“ Ich runzle die Stirn. „Was? Wie kommst du denn jetzt darauf?“ Warum interessiert sie das überhaupt? „Ich … Kari hat da so was angedeutet“, stammelt sie fast schon verlegen. „Dass du dich nach deiner letzten Freundin verändert hast und nicht mehr bereit wärst, dein Herz zu verschenken.“ Na super! Kari war wirklich viel zu gesprächig. „Das geht dich nichts an, Mimi“, sage ich deutlich härter als beabsichtig. Aber was soll ich machen? Sie hat gerade eine alte Wunde aufgerissen. „Ach, komm schon, Tai“, sagt sie gekränkt. „Sind wir nicht über diesen Punkt hinaus? Denkst du immer noch, du könntest mir nicht vertrauen, nachdem ich dir von der Sache in L.A. erzählt habe?“ Ich presse die Kiefer aufeinander. „Das ist was anderes.“ „Warum?“ „Weil es …“ Ich finde nicht mal die richtigen Worte dafür. Es ist zu kompliziert. Sie würde es nicht verstehen. „Es ist eben ziemlich brisant.“ „Ich denke, ich kann es verkraften.“ Diese Frau ist so stur. Ich puste hörbar die Luft aus. „Willst du das wirklich wissen?“ Sie zuckt leicht mit den Schultern und ihre Gesichtszüge werden mit einem Mal ganz weich, beinahe mitfühlend. „Ich will einfach nur wissen, was Schlimmes passiert ist, dass du denkst, du dürftest nicht mehr lieben.“ Sie tut es schon wieder. Ihr Blick durchbohrt mich wie ein Schwert und geht mir direkt unter die Haut. Warum ist das nur so? „Okay“, sagt Mimi, streckt ihren Arm über den Tisch aus und hält mir ihren kleinen Finger hin. „Äh, was soll das werden?“, frage ich verwirrt, während sie mich todernst ansieht. „Kleiner Fingerschwur.“ „Bitte?“ Fast muss ich lachen. „Kleiner Fingerschwur. Kennst du das etwa nicht? Ich verspreche dir hoch und heilig, dass ich es niemanden sagen werde. Dieser Schwur ist bindend.“ Ein amüsiertes Grinsen schleicht sich auf meine Lippen, weil sie so unfassbar süß ist. „Du sagst das, als würden wir einen geheimen Pakt eingehen und beide tot umfallen, wenn wir ihn brechen.“ „Oh, wenn du wüsstest.“ Ich lache und verhake meinen kleinen Finger kopfschüttelnd mit ihrem. „Na schön.“ „Also, wer ist es?“, fragt Mimi neugierig. „Kaori.“ Stille. „Schockiert?“ „Nein, ich habe mir bereits so was in der Art gedacht“, antwortet Mimi. Tatsächlich? War es so offensichtlich? Wie kann es sein, dass sie es wusste, obwohl sie mich überhaupt nicht kennt und Menschen, die tagtäglich um mich herum sind, nichts gemerkt haben? Weil sie mich sieht, wie ich wirklich bin? Ist das der Grund? Keine Ahnung, wie sie das macht, aber ich habe gerade das erste Mal das Gefühl, mich jemanden anvertrauen zu können, der nicht Kari ist. „Wir waren nur ein halbes Jahr zusammen, aber es war ziemlich intensiv. Ich dachte, sie wäre die eine. Ich dachte, es wäre endlich etwas Festes“, beginne ich zu erzählen, stehe jedoch auf und beginne schon mal abzuräumen, da wir beide fertig sind. „Ich meine, ich wusste schon, wer sie ist und welchen gesellschaftlichen Status sie hat. Ich wusste, welche Verpflichtungen das alles für sie mitbringt. Aber naja, du kennst das … man denkt immer, man wäre der eine Mensch, der den anderen ändern kann. Ich dachte, ich wäre ihr genauso wichtig gewesen wie sie mir.“ Mimi nickt verständnisvoll. „Und dann hat sie Jim geheiratet. Das muss hart für dich gewesen sein.“ Ich schnaufe und lege nachdenklich den Kopf schief, während ich mich gegen die Küchenzeile lehne. „Im ersten Moment schon. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, es wäre kein Schock gewesen. Allerdings habe ich ziemlich schnell verstanden, dass ich rein gar nichts daran ändern kann und ich sie ziehen lassen muss. Ich habe nur gedacht, dass sie sich mir gegenüber rechtfertigen würde, aber das hat sie nie getan. Sie hat mich hinter sich gelassen, als wäre es das einfachste von der Welt einfach einen fremden Mann zu heiraten.“ Kurz versinke ich in der Erinnerung daran, die längst nicht mehr so weh tut wie damals. Dennoch ist diese Geschichte ein Teil von mir und der Grund für all das hier – warum ich nicht an die Liebe glaube. Warum ich nicht daran glaube, sein Herz einer einzigen Person zu schenken. Und vor allem, warum ich nicht an diese arrangierte Ehe zwischen Mimi und Joe glaube. Das ist doch absurd. Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, als Mimi plötzlich aufsteht und zu mir kommt. Sie stellt sich direkt vor mich und nimmt meine Hände in ihre, während sie mit mitfühlenden Augen zu mir aufschaut. „Es tut mir leid, dass dir das passiert ist“, sagt sie sanft und erwischt mich damit eiskalt. Mein Herz beginnt schneller zu schlagen, trotzdem grinse ich nur und sage: „Schwamm drüber.“ „Ich habe gerade das erste Mal das Gefühl dich zu verstehen, Tai. Warum du mir gegenüber manchmal so schroff bist.“ Beschämt sehe ich zur Seite. Im Grunde will ich das doch auch alles nicht. „Das tut mir leid.“ Mein schlechtes Gewissen ihr gegenüber frisst mich gerade echt auf. Ich war wirklich ein Arsch und habe mein Verhalten damit gerechtfertigt, dass es so das Beste ist. Doch als ich sie wieder ansehe, sehe ich kein Stück Bitterkeit in ihrem Gesicht. Stattdessen lächelt sie mich einfach nur an. „Schwamm drüber“, wiederholt sie meine Worte von eben und entlockt mir damit ebenfalls ein Lächeln. „Du könntest ja ab jetzt einfach versuchen, nicht ganz so mies zu mir zu sein, denn anscheinend hast du ja durchaus auch eine nette Seite.“ „Du bist echt unglaublich, weißt du das?“, entgegne ich nur kopfschüttelnd, weil ich nicht fassen kann, dass sie wirklich kein Stück nachtragend ist. Mimi schweigt und erst jetzt fällt mir auf, dass sie immer noch meine Hände festhält. Erst jetzt realisiere ich, wie verdammt nah wir uns schon wieder sind. Liegt das nur daran, dass es in diesem Trailer so schrecklich eng ist oder … „Tai“, flüstert Mimi und durchbricht diese unerträgliche Stille, die sich wie ein Stein auf meine Brust gelegt hat. „Ja?“ „Du sagtest kurz bevor du abgereist bist, dass du … dass du etwas spürst, wenn wir uns nah sind.“ Ich schlucke schwer. „Ja.“ Mimi hebt unsere Hände in die Höhe und verschränkt unsere Finger miteinander. Es ist so eine kleine winzige Geste, die nichts bedeuten sollte und trotzdem treibt sie meinen Puls in die Höhe. „Und jetzt? Geht es dir jetzt auch so? In diesem Moment?“ Sie sieht mich nicht an, stattdessen betrachtet sie unsere Hände, die einander festhalten. Mein Mund wird staubtrocken und trotzdem formen meine Lippen dieses Wort. „Ja.“ „Mir auch“, sagt sie so leise, als hätte sie Angst, uns könnte jemand belauschen. Als wäre es ein weiteres Geheimnis, dass wir nun miteinander teilen. Ich spüre das Verlangen in mir, sie an mich zu ziehen, die wenigen Zentimeter, die unsere Körper noch voneinander trennen auch noch zu überbrücken, bis da einfach keine Lücke mehr ist. Aber ich tue es nicht. Stattdessen entziehe ich mich ihrem Griff und umfasse ihre Hand. Wir sehen beide auf den Ring, der an ihrem Finger glitzert und uns mehr als deutlich macht, dass diese Gefühle nicht von Bedeutung sind. Es sei denn sie würde … „Sag mal, willst du das alles wirklich?“, frage ich leise, während ich immer noch ihre Hand festhalte und wie gebannt auf diesen verdammten Ring starre. „Was meinst du?“ „Willst du ihn wirklich heiraten?“ Mit einem Mal entreißt sie mir ihre Hand, als hätte sie sich an etwas verbrannt. „Natürlich will ich das. Das weißt du doch.“ Was? Das kann unmöglich ihr Ernst sein. Niemals, das kaufe ich ihr nicht ab. „Ist dir bewusst, was du alles aufgeben müsstest?“, frage ich sie. „Ich habe dich heute gesehen. Du warst hier das erste Mal seit deiner Ankunft du selbst. Du liebst das Filmset und deine Arbeit, sie macht dich aus, sie ist ein Teil von dir. Und du gibst das alles auf, ohne mit der Wimper zu zucken? Deine ganze Freiheit? Tut mir leid, wenn ich das sage, aber das passt einfach nicht zu dir, Mimi. Ich glaube dir kein Stück, dass du das hier alles willst.“ Mimi schnaubt über meine Antwort und sieht trotzig zu mir auf. Als hätte sie sich an dieser Idee, Joe Kido zu heiraten so sehr festgebissen, dass es kein Zurück gibt. „Was weißt du schon?“ Aber du irrst dich, Mimi. Es gibt immer ein Zurück. Blanke Wut packt mich, weil ich das alles nicht glauben kann. Ich packe ihre Hand. „Komm mit!“ „Hey, was soll das?“, entgegnet sie und stemmt sich mit aller Kraft gegen mich, als ich sie aus dem Trailer und hinter mir her ziehe. Aber ich lasse sie nicht los, ich ziehe sie einfach immer weiter. Sie muss begreifen, dass sie eine Wahl hat, verdammt. Kaoris Zukunft war längst in Stein gemeißelt, als ich sie kennenlernte, aber Mimis ist es nicht. „Tai, was soll das?“, faucht Mimi mich an, während ich mit ihr in ein Gebäude am Set gehe. „Jetzt lass endlich los!“, fordert sie, aber ich ziehe sie die Stufen hoch, bis ganz nach oben. Ich stoße die Metalltür zum Dach auf und der kühle Wind pfeift uns um die Ohren. „Tai, jetzt hör auf.“ Mimi klingt verängstigt und hysterisch, aber ich lasse sie erst los, als ich sie bis zum Rande des Daches geschliffen habe. Völlig aufgewühlt sieht sie mich an, während ihre Haare wild im Wind wehen. „Was hast du vor? Du machst mir echt Angst, Tai.“ „Spring!“ „Was?“ „Du sollst springen“, sage ich bestimmt, doch sie lacht nur ungläubig auf und versucht sich erfolglos die Haare aus dem Gesicht zu wischen. „Sag mal, drehst du jetzt völlig durch?“ „Wieso?“, entgegne ich verbissen und balle die Hände zu Fäusten, weil ich so wütend bin. „Du bist diejenige die durchdreht. Denn genau so wird dein Leben ab jetzt aussehen.“ Ich zeige auf den Abgrund vor uns und die mindestens 50 Meter, die uns vom Fußboden trennen. Mimi riskiert einen Blick in den Abgrund, zieht jedoch ihren Kopf sofort wieder zurück. „Du verstehst es noch nicht, Mimi“, schreie ich sie förmlich an. „Genau so wird es ab jetzt für dich ablaufen, jeden einzelnen Tag. Wenn die Familie Kido sagt: Spring! Dann springst du! Und du stellst keine Fragen. Du tust es einfach. Du wirst schnell aufhören, darüber nachzudenken, warum du das tun sollst, denn das spielt keine Rolle. Du springst einfach.“ Ich sehe, wie Mimi nachdenklich die Stirn runzelt. Wahrscheinlich denkt sie gerade, ich hätte den Verstand verloren. Aber ich versuche nur, ihr vor Augen zu führen, wie ihr Leben ab jetzt aussehen wird. Wieso versteht sie nicht, dass sie einfach alles verliert, was sie ausmacht, wenn sie diesen Schritt wirklich geht? „Tai, wirklich, du verstehst das nicht“, entgegnet sie verbissen. Ich kann nicht fassen, dass sie es einfach nicht begreifen will. „Bitte, Mimi“, sage ich und klinge vermutlich genauso verzweifelt, wie ich mich fühle. „Überleg es dir noch mal. Du kannst das unmöglich für dich wollen.“ Niemand würde das wollen, der eine Wahl hat. Ich sehe, wie Mimi mit sich kämpft, wie sie sich verbissen gegen meine Worte wehrt. Sie muss doch wissen, dass ich recht habe … Sie weiß es und doch … „Doch, Tai, genau das will ich“, sagt sie so bestimmt, als hätte sie nie etwas ernster gemeint in ihrem Leben. „Ich will Joe heiraten und es gibt nichts, was mich davon abbringen könnte.“ Fassungslos starre ich sie an. Habe ich mich so in ihr getäuscht? Es fällt mir zwar schwer, aber schließlich gebe ich mich geschlagen und nicke nur noch. „Okay, wenn das dein Wunsch ist.“ Mimi presst die Hand mit dem Verlobungsring an sich, als könnte er ihr jeden Moment davonfliegen. Oder als müsste sie sich mit aller Macht daran festkrallen, um sich selbst davon zu überzeugen, was sie eben gesagt hat. „Das ist es“, antwortet sie und ich nicke wieder. „Du solltest jetzt nach Hause fahren“, sage ich schweren Herzens. „Dein Verlobter wartet sicher schon auf dich.“ Ich drehe mich um und gehe. Sie findet sicher auch alleine hier raus. Ich kann nicht glauben, was da gerade passiert ist. Ich habe ihr eben einen Ausweg geboten und sie hat ihn abgelehnt. Stattdessen rennt sie lieber geradewegs in den Käfig zurück, der sie umgibt. Ich dachte, Mimi wäre anders als Kaori. Aber warum fühlt es sich dann wie ein verdammtes Déjà-vu an? Und was viel schlimmer ist: warum trifft es mich mitten ins Herz? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)