Love against all Reason von Ukiyo1 (Liebe gegen jede Vernunft) ================================================================================ Kapitel 16: Kapitel 16 ---------------------- Mimi „Wie konntest du nur?“ Haruiko schreit mich an und ich zucke zusammen. Ich schaue ihn an, völlig erstarrt. Ich fühle mich wie ein Reh, das gerade den Wölfen zum Fraß vorgeworfen wird. Ich sitze mit zerrissener Bluse vor ihnen und komme mir völlig entblößt vor. „Ich kann nicht fassen, dass ich diesen Mist aus den Medien erfahren muss“, wütet er weiter und hält anklagend sein Smartphone in die Höhe, ehe er es in die nächste Ecke schleudert. „So ein Dreck!“ Erneut zucke ich zusammen, niemand traut sich etwas zu sagen. „Hast du davon gewusst?“ Nun richtet sich sein wütender Blick auf Joe, dieser schüttelt nur den Kopf. „Natürlich nicht. Meinst du, ich hätte jemals eingewilligt sie zu heiraten, wenn ich davon etwas gewusst hätte?“ Sie? Er meint mich. Und er spricht über mich, als wäre ich gar nicht da. Als wäre ich Abschaum. „Und du?“ Nun richtet sich seine Wut auch noch gegen Tai und er macht einige bedrohliche Schritte auf ihn zu. Er packt Tai am Kragen, doch dieser rührt sich nicht und weicht keinen Zentimeter zur Seite. „Wozu bist du nütze, wenn du deinen Job nicht anständig machst? Ich sollte dich auf der Stelle feuern!“ „Vater!“, ruft Joe aufgebracht und versucht, dazwischen zu gehen. „Tai kann nichts dafür. Lass ihn los!“ Haruiko lässt tatsächlich von Tai ab und beginnt stattdessen, wie ein Wahnsinniger im Raum auf und ab zu gehen. Er lockert seine Krawatte und Schweißperlen glitzern auf seiner Stirn. Wenn er jetzt auch noch einen Herzinfarkt bekommt, habe ich diese Schuld auch noch auf meinem Gewissen. Ich wage einen Blick zu Tai, der sich immer noch nicht rührt. Er sieht mich nicht an. Er ist gegen mich. Er muss gegen mich sein. So wie alle anderen. Ich habe alles verraten, alles kaputt gemacht. Diese Lüge hätte es niemals geben dürfen. Ich fühle mich so schrecklich. Alle bekommen es ab, es ist alles meine Schuld. „Verdammter Keisuke!“, verflucht Haruiko meinen Vater lauthals und stampft nun wieder auf mich zu. Sein Blick trifft mich so hart, dass ich glaube, gleich wieder in Ohnmacht zu fallen. „Hat er dich hierher geschickt, um uns in diesen Skandal zu verwickeln?“ „Nein, das war ganz allein meine Idee.“ „Dachtest du ernsthaft, du könntest herkommen, meinen Sohn heiraten und uns mit in den Abgrund reißen?“ „Nein, ich wollte nie …“ Doch er hört nicht auf verbal auf mich einzuprügeln. „Niemals werde ich zulassen, dass mein Sohn eine wie dich heiratet. Keisuke muss den Verstand verloren haben, wenn er glaubt, dass ich mich von ihm hinters Licht führen lasse. Schickt mir seine einzige Tochter und wozu? Damit sie uns in den gesellschaftlichen Ruin stürzen kann.“ Er schreit die Worte heraus, dreht sich um und greift im Affekt nach einer großen Marmorvase. Ich halte die Luft an, als er auch schon ausholt und die Vase durch das nächste Fenster schleudert. Der Knall lässt uns alle erschrocken zusammenfahren, Frau Kido beginnt zu wimmern und hält sich die Ohren zu, während klirrend die Glasscherben zu Boden fallen. Blut rauscht in meinen Ohren und mein Puls rast. Oh mein Gott. Ich habe noch nie in meinem Leben jemanden so durchdrehen sehen. Er ist völlig außer sich vor Wut. In dem Moment stürmen Jim und Kaori ins Zimmer, aber ich sehe nur noch rot. Ich kann ihre Gesichter kaum mehr richtig erkennen, weil die Tränen, die mir erneut über die Wange strömen, meinen Blick verschleiern. „Vater, ist das wahr, was in den Medien steht?“, platzt es aus Jim heraus und ich höre, wie aufgewühlt auch er ist. Ich sehe auf meine zitternden Hände hinab. Wie konnte ich das nur tun? Joe … Frau Kido … Kaori … sie waren alle so gut zu mir und ich habe ihr Vertrauen missbraucht. Tai … Ich hebe den Kopf, sehe ihn an, sehe, wie er mit Jim, Joe und Dr. Kido in eine hitzige Diskussion verfallen ist, während Frau Kido und Kaori hilflos daneben stehen. „Wir müssen das sofort beenden! Das ist der einzige Weg. Lös die Verlobung mit Mimi sofort auf“, kommt es von Jim. „Jetzt sofort? Direkt nach der Schlagzeile?“, meint Joe verwirrt. „Wir sollten vor allem jetzt keine voreiligen, unüberlegten Schritte tun“, fällt Tai ihm ins Wort. „Von mir aus können sie und ihr verfluchter Vater gemeinsam in den Knast einfahren, ich will sie hier nicht mehr sehen.“ „Aber Vater, du kannst doch nicht …“ Joe. „Es ist der einzige Weg. Sie muss sofort von hier verschwinden.“ Jim. „Wir müssen überlegen, was wir tun können, was wir für Optionen haben.“ Tai. „Es ist eine neue Meldung rausgekommen.“ Frau Kido, die ihr Smartphone in die Höhe hält. „Mimi wird beschuldigt, mit der Geldwäsche ihres Vaters in Verbindung zu stehen. Sie hätte Amerika angeblich nur verlassen, um vor der Polizei und den rechtlichen Konsequenzen zu fliehen. Sie schreiben, sie ist eine Flüchtige. Und wir hätten ihr Unterschlupf gewährt und würden nun eine Kriminelle verstecken.“ Ich sacke in mich zusammen. Oh. Mein. Gott. Was …? Wieso tun sie das? Wieso schreiben sie Dinge über mich, an denen nicht ein Funken Wahrheit dran ist? Das darf alles nicht sein, das ist … „Das ist Rufmord!“, brüllt Haruiko erneut los und ist drauf und dran das nächste Fenster zu zerschlagen. Die Diskussion geht weiter. Jim, der mich der Polizei ausliefern will. Joe, der nicht weiß, was er tun soll. Tai, der versucht mich und diese unheilvolle Situation zu retten. Dr. Kido, der außer sich ist vor Hass gegen mich und meinen Vater. Ich kann nicht mehr. Das Blut in meinen Ohren rauscht inzwischen so heftig, dass ich kein einziges Wort mehr verstehe, was sie sagen. Aber das muss ich auch nicht. Ich weiß auch so, was jetzt noch zu tun ist. Tai Ich kann nicht fassen, dass sie das wirklich verlangen. Was sind das für Menschen? Dr. Kido würde Mimi am liebsten sofort ins Gefängnis bringen und Jim würde sie auf die Straße jagen und sie ihrem Schicksal überlassen. Und Joe? Der tut nichts, um das zu verhindern. Mimi ist seine Verlobte und er verteidigt sie kein Stück. Was ist denn jetzt mit diesem scheiß Ring und der Bindung, die sie damit eingegangen sind? Alle sind so furchtbar wütend und schreien sich an, keiner kann mehr klar denken. „Könnten wir jetzt bitte alle mal fünf Gänge zurück schalten und überlegen, was für eure Familie das Beste wäre?“, fahre ich dazwischen. „In unserer Familie gab es noch nie einen Skandal“, brüllt Haruiko uns alle an. „Und jetzt soll Joe die Tochter eines Kriminellen heiraten? Das wird uns gesellschaftlich ruinieren. Vielleicht hat Jim recht und wir sollten die Verlobung sofort auflösen.“ Die Verlobung lösen? JA! Nein! Verdammt, was will ich eigentlich? Ich will Mimi beschützen, das ist im Moment alles, was mich interessieren sollte. „Wir sollten das kurz überdenken“, sage ich und versuche einen professionellen Ton anzuschlagen, obwohl mir eher danach wäre, hier alles kurz und klein zu schlagen, weil sie Mimi so mies behandeln. „Ihr könnt ihr nicht einfach den Rücken zuwenden und behaupten, ihr wusstet von alledem nichts.“ „Aber es stimmt doch, wir wussten nichts davon“, fährt Joe aufgeregt dazwischen. „Und wie würdet ihr dann in der Öffentlichkeit dastehen? Wie die letzten Idioten, weil ihr den Hintergrund ihrer Familie nicht überprüft habt?“ „Keisuke ist ein alter Freund von mir, natürlich habe ich ihm vertraut“, keift mich Haruiko an. „Wer konnte denn ahnen, dass er Gelder veruntreut hat und seine Tochter nun benutzt, um seine Weste reinzuwaschen? Es ging ihm die ganze Zeit nur um unser Vermögen.“ Guten Morgen. Das merkt ihr erst jetzt? Trotzdem, ich glaube nicht, dass Keisuke seine Tochter benutzt hat, viel mehr bin ich der festen Überzeugung, dass Mimi eigenständig gehandelt hat, um ihren Vater zu retten. Doch das weiß nur sie selbst. Richtig, das ist es! Nur sie selbst weiß es. Was weiß die Presse schon über die Hintergründe? Alles, was sie wissen, ist, dass Keisuke Gelder veruntreut hat und verhaftet wurde – mehr nicht. Alles andere ist reine Spekulation und hat nichts mit der Wahrheit zu tun. Wir müssen ihnen etwas geben, dass sie gefahrlos schlucken können, ohne die Familie Kido gesellschaftlich zu diskreditieren. „Das ist es! Wir sagen, ihr wusstet über alles Bescheid“, werfe ich ein und ernte dafür fassungslose Blicke. „Hast du den Verstand verloren, du Bengel?“ „Überlegt doch mal: wollt ihr wirklich, dass alle euch für unfähig halten, den Hintergrund eurer zukünftigen Schwiegertochter zu überprüfen? Sie hat euch hinters Licht geführt und ihr seid darauf reingefallen. Es wäre besser zu behaupten, ihr hättet es gewusst. Ihr wolltet eurem Freund helfen und seid felsenfest von seiner Unschuld überzeugt. Wir sagen, die Familie Tachikawa hat von Anfang an mit offenen Karten gespielt und ihr seid in alles eingeweiht. Lasst es uns so aussehen, als würdet ihr hinter Mimi und ihrer Familie stehen. Glaubt mir, die andere Option wäre, alles abzustreiten und euch wie Idioten da stehen zu lassen.“ Alle senken den Blick und denken angestrengt nach. Innerlich könnte ich explodieren über diesen Schwachsinn, aber es ist die einzige Chance, Mimi zu beschützen und gleichzeitig die Kidos zu retten und ihnen eine reine Weste zu bescheren. „Es wäre das Beste, wenn die Verlobung bestehen bleibt“, höre ich mich selbst sagen und kann gleichzeitig nicht fassen, dass ich das tue. Dabei wäre es so einfach gewesen. Schon in wenigen Stunden hätte ich eine Pressemitteilung rausgeben können, dass die Verlobung zwischen Mimi und Joe gelöst ist. Sie wäre frei und ich müsste meine Gefühle nicht mehr zurückhalten. Aber zu welchem Preis? Nein, das ist es nicht wert. Was ich fühle spielt jetzt gerade keine Rolle. „Das Interview soll heute Nachmittag stattfinden, da könntet ihr alles wieder ins richtige Licht rücken“, sage ich nun an Joe gewandt. „Wir verkaufen es als einen Akt der Großzügigkeit und der Nächstenliebe. Du sagst, Mimi hat sich dir von Anfang an anvertraut und du wolltest ihr unbedingt helfen.“ Genau, das ist der perfekte Plan. Sie müssen einfach zustimmen. „Hmm, Tai hat vielleicht gar nicht so unrecht. Auch schlechte Presse kann gute Presse sein, wenn man die richtigen Fäden zieht“, stimmt nun auch Jim mir zu. „Wir könnten als Wohltäter dastehen.“ Ich mustere ihn mit einem abfälligen Blick. Du kleine Ratte. Eben wolltest du Mimi noch zum Teufel jagen und jetzt könnte sie euch nützlich sein, um euren Status reinzuwaschen. Ihr seid alle so durchtrieben. Aber egal, Hauptsache Mimi ist damit geholfen. „Ich weiß nur nicht, ob sie so ein Interview heute noch durchsteht, sie ist vorhin in Ohnmacht gefallen und ich musste sie …“ Ich drehe mich zu ihr um und schaue auf den Platz, auf dem sie eben noch gesessen hat – doch sie ist nicht mehr da. Panisch sehe ich mich um. „Verdammt, wo ist sie?“, fährt Dr. Kido sofort herum und rastet erneut aus. „Los, findet sie!“ Ich stürme aus dem Raum. Scheiße! Sie muss verschwunden sein, als wir uns alle angeschrien haben. Wieso habe ich nicht besser auf sie geachtet? Verflucht, Mimi, wo bist du? Mimi Vor genau einer Stunde habe ich das Anwesen der Kidos verlassen. Meine Sachen habe ich zurückgelassen. Stattdessen habe ich mir nur die zerrissene Bluse ausgezogen und sie gegen ein einfaches Shirt mit Jeans eingetauscht. Dann habe ich noch eine Jacke angezogen, die Haare zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden und mir ein Cap aufgesetzt, damit man mich nicht erkennt. Nun irre ich völlig planlos durch die Straßen und gehe in der Menge als irgendeine Person unter, die nicht gerade einen Skandal heraufbeschworen hat. Ich fühle mich so unfassbar schlecht und das nicht nur, weil meine Rippe schmerzt. Inzwischen bin ich mir ziemlich sicher, dass Tai sie gebrochen hat. Tai … was wird er nur von mir denken? Dass er von Anfang an recht hatte? Dass ich ein hinterhältiges Miststück bin, das seinen Freund ausnehmen will? Genau so komme ich mir vor, wie der letzte Abschaum. Aber das ist egal. Es spielt einfach alles keine Rolle mehr. Inzwischen weiß ich wirklich nicht mehr, was ich mir gedacht habe. Irgendwie dachte ich wohl, ich könnte Joe heiraten und bis zur Hochzeit würde schon niemand merken, dass meine Familie vor dem finanziellen Ruin steht und wir dringend Geld brauchen, um meinen Vater frei zu kaufen. Ich war ja so, so naiv. Tränen laufen mir übers Gesicht, während ich einfach immer weiter gehe, keine Ahnung wo ich jetzt hin soll … Tai Ich reiße die Tür zu ihrem Zimmer auf und stürze förmlich hinein. Ich spare es mir, ihren Namen zu rufen, denn ich gehe nicht davon aus, dass sie noch hier ist. Ich will nur sehen, ob es hier irgendeinen Hinweis darauf geben könnte, wo sie sich aufhält. Suchend sehe ich mich um, sehe die zerrissene Bluse auf dem Fußboden liegen, die ich ihr vorhin aufgerissen habe. Alle ihre Sachen hat sie hier gelassen. Egal, wo sie jetzt hin ist, es sieht so aus, als würde sie zurückkommen – oder es soll so aussehen! Denn ehrlich gesagt habe ich Angst, sie könnte für immer weg sein. Dieser Gedanke schnürt mir die Kehle zu und die Schuld nagt an mir. Verdammt, ich hätte sie besser beschützen müssen. Ich hätte nicht locker lassen dürfen. Wieso habe ich gestern nicht mehr nachgebohrt? Wir standen zusammen auf diesem verflixten Dach und sie hat mir weis gemacht, dass sie das alles freiwillig tut, dass es keinen Grund dafür gibt. Und ich habe es ihr geglaubt, einfach so. Ich hasse mich dafür. Ich müsste sie inzwischen besser kennen. Eine Frau wie Mimi würde niemals ihre Freiheit aufgeben und sich blindlings in eine arrangierte Ehe stürzen. Ich bin so was von bescheuert! Ich beiße die Zähne fest aufeinander und will gerade aus dem Zimmer stürmen, als ich ihr Tagebuch auf dem Nachttisch liegen sehe. Selbst das hat sie zurückgelassen, dabei weiß ich ganz genau, wie viel es ihr bedeutet. Ich stürze darauf zu und reiße es an mich, schlage die erste Seite auf und beginne zu lesen. Mir ist egal, ob sie mich dafür hassen wird, aber ich muss es endlich wissen, die ganze Wahrheit – damit ich sie beschützen kann. Ich beginne zu lesen, schnell, Seite für Seite, Zeile für Zeile. Dort drin steht einfach alles! Sie hat alle ihre Gefühle und Gedanken aufgeschrieben, über ihren Vater, über ihre Familie, über Joe, über die bevorstehende Hochzeit und über … Über mich. Sie schreibt, ich bin ein Idiot. Sie schreibt, sie mag mein Lächeln und meine Stärke. Sie schreibt, dass sie von mir geträumt hat. Sie schreibt, dass ich sie mit meiner kühlen Art verletze. Und dann … Da ist sie Die Stecknadel Sie fällt und ich falle mit ihr Lautlos Wie ein dünnes Blatt Papier Ich habe darauf gewartet, dass das passiert Dass mich dein Blick ein mal so fixiert Zwei Körper Erstarrt In Zeit und Raum Es fühlt sich so an Als ständen wir immer noch hinter diesem Baum Deine Hände halten mich fest Ich fühle was du fühlst Auch wenn du es nicht zulässt Und erneut die Gefühle mit einem Glas voller Zweifel runterspülst Könnt ich gut lügen würd ich sagen: Du interessierst mich nicht Und ich erfülle hier nur meine Pflicht Aber du stellst zu viele Fragen Zu viele Fragen Bis meine Lüge an deinen Lippen zerbricht Es liegen nur noch Sekunden Zwischen ja und nein Zwischen: bitte tu es und Lass es sein! Zwischen hoffen und flehen Zwischen Zögern und Verlangen Zwischen: ich will dich und Du solltest jetzt gehen Da ist sie Die Stecknadel Sie fällt und ich falle mit ihr Lautlos Wie ein dünnes Blatt Papier Du tust das Richtige Lässt mich fallen und gehst Trotzdem tut es weh, dass du dich nicht mehr umdrehst Es ist nichts passiert und doch war’s zu viel Ich wollt dich nicht lieben Das war nie das Ziel Der Kuss bleibt ein Traum, nur Fantasie Und einen Tag später brechen wir Entschuldigungen übers Knie Du willst das hier alles nicht Sagst einfach: Los! Geh! Und erfüll deine Pflicht! Wie’s mir dabei geht, ist dir völlig egal Aber ich tue es Denn ich hab keine Wahl Du willst es so Also trete ich zurück Mit viel Arroganz Was bleibt ist unerfüllte Sehnsucht Und professionelle Distanz Ich fasse es nicht, dass sie ein Gedicht über uns geschrieben hat. Ich kann gar nicht sagen, wie sehr das gerade mein Herz berührt. Und wie sehr es mir leid tut, dass ich sie so behandelt habe. Unfassbar wie viel sie über mich geschrieben hat, wie viel ich ihr offenbar bedeute. Ich halte kurz inne. Ich möchte diese Worte so gerne aus ihrem Mund hören. Aber ich weiß selbst am besten, dass diese Zeilen niemals dieses Buch verlassen werden. Ich schüttle den Kopf. Egal, das alles ist jetzt nicht wichtig. Wichtig ist, dass ich Mimi finde und zurückhole. Ich schlage das Buch zu und eile aus dem Zimmer. Mimi, ich finde dich! Und wenn es die ganze Nacht dauern wird. Mimi Keine Ahnung wie viele Stunden ich umhergeirrt bin, bis meine Tränen endlich getrocknet sind. Ich weiß, dass es inzwischen dunkel ist und ich weiß, dass ich mich verlaufen habe. Was soll’s. Niemand wird mich vermissen oder nach mir suchen. Wahrscheinlich waren sie alle mehr als erleichtert, als sie festgestellt haben, dass ich weg bin. Es tut mir leid, Papa. Ich habe versagt. Ich habe dir versprochen, dass ich dir helfen werde. Und jetzt? Jetzt sitzt du im Gefängnis und ich kann nichts mehr für dich tun. Ich habe mich noch nie in meinem Leben so machtlos gefühlt. Verbissen umklammere ich das Glas Whiskey, was ich mir bestellt habe. Vor zwei Stunden, als es dunkel wurde, bin ich in eine Bar gegangen. Mit tief ins Gesicht gezogenem Cap sitze ich nun hier, keine Ahnung, wo ich bin und keine Ahnung, wo ich hin soll. Ich habe quasi mit einem Schlag alles verloren, wofür ich die letzten Wochen so hart gekämpft habe. Ich war bereit, alles für meine Familie aufzugeben und jetzt ist alles ruiniert – mein Vater, ich, der Ruf der Kidos … es ist ein Drama. Ich leere mein Glas in einem Zug und bestelle gleich noch eins. Der starke Alkohol brennt in meiner Kehle, aber wenigstens hält es mich davon ab, durchzudrehen. Eine Panikattacke reicht mir für heute. Meine Hand wandert hoch zu meiner Brust, die immer noch schmerzt, aber ich rede mir ein, dass ich es nicht anders verdient habe. Keine Ahnung, wo ich jetzt wäre, wenn Tai mich nicht wiederbelebt hätte. Oh, Tai … es tut mir so, so leid, dass ich euch enttäuscht habe. Ich wollte dich nie anlügen. „Guten Abend“, höre ich plötzlich eine Stimme sagen und eine Person lässt sich auf dem Barhocker neben mir nieder. „Ich nehme dasselbe wie sie.“ Mein Blick wandert zur Seite, während ich überlege, ob ich flüchten oder einfach sitzen bleiben soll. Es ist Tai und er sieht deutlich angespannt aus. „War nicht leicht dich zu finden“, sagt er, als der Barkeeper ihm seinen Whiskey hinstellt. „Woher wusstest du, wo ich bin?“ „Du wurdest erkannt. Glücklicherweise von einem Bediensteten aus dem Kido Anwesen, der dich zufällig hier in der Nähe gesehen hat. Trotzdem musste ich zwölf verschiedene Geschäfte und Bars abklappern, bis ich dich gefunden habe.“ Tai nimmt einen Schluck, sieht jedoch weiter stur geradeaus. Er hat mich noch nicht angesehen. Ich trinke ebenfalls und verziehe das Gesicht dabei. „Ich wusste nicht, dass du gerne Whisky trinkst“, sagt Tai beiläufig. „Tue ich auch nicht. Ich hasse es. Egal … warum bist du hier?“ Tai schwenkt sein Glas in seiner Hand hin und her, als würde er darüber nachdenken. „Wolltest du abhauen?“, fragt er, anstatt meine Frage zu beantworten. „Ja“, sage ich wahrheitsgemäß. „Daher hättest du dir die Mühe nicht machen brauchen, nach mir zu suchen.“ Ich beginne an meinem Verlobungsring rum zu spielen und ihn an meinem Finger hin und her zu drehen, bis ich ihn schließlich abnehme und eingehend betrachte. „Da ich ja kein Geld habe, habe ich überlegt, ob ich ihn versetzen soll, um mir von dem Geld ein Flugticket nach New York zu kaufen. Aber dann erschien mir das doch nicht richtig, also …“ Ich lege Tai den Ring vor die Nase. „Gib ihn bitte Joe zurück. Ich habe nicht das Recht ihn zu besitzen.“ Tai starrt den Ring ausdruckslos an, rührt ihn jedoch nicht an. „Wenn du nicht nach New York kannst, wo willst du dann hin?“, fragt er stattdessen und sieht mich endlich das erste Mal seit dem Vorfall in der Villa an. Wie gerne würde ich mich gerade einfach in seine Arme werfen. Ich zucke mit den Schultern. „Keine Ahnung, vielleicht kannst du mir etwas Geld leihen? Aber du bekommst es nicht zurück, denn ich bin eine Kriminelle.“ Hass und Wut, gepaart mit Verzweiflung steigt meine Kehle hoch und ich spüle die Gefühle schnell mit Alkohol runter. Ich habe keine Kraft mehr, mich ihnen hinzugeben. So muss sich Aufgeben anfühlen. „Das ist Bullshit und das weißt du“, entgegnet Tai schnaufend und wendet sich mir nun ganz zu. Dann greift er nach meiner Hand. „So bist du nicht und das weißt du. Lass sie schreiben, was sie wollen, es stimmt nicht. Du hast versucht, deinen Vater zu retten, mehr kann man dir nicht vorwerfen.“ Nun rollt mir doch eine einzelne Träne über die Wange, die ich schnell weg wische. „Ja, aber es reicht, um mich wegzuschicken. Ich habe es nicht verdient, in diese Familie einzuheiraten. Warum sollten sie mir jetzt noch helfen, nachdem ich sie so hintergangen habe?“ „Mimi, hör zu …“ „Nein, Tai“, sage ich und die pure Hilflosigkeit schwingt in meiner Stimme mit. Ich war noch nie in meinem ganzen Leben so verzweifelt wie jetzt. „Ich habe ihr Vertrauen missbraucht. Sie werden mir nicht vergeben. Es ist, wie wenn man ein Blatt Papier zerknüllt. Man kann versuchen es wieder zu glätten, aber es wird nie wieder so aussehen wie vorher. Für mich gibt es kein Zurück.“ Tai antwortet nicht, während ich nun doch angefangen habe zu weinen, obwohl ich es nicht wollte. Er hält einfach meine Hand. Mit gesenktem Blick starre ich auf unsere Finger, die sich schon wieder so verboten nah sind. Aber nein, so ist es nicht mehr. „Etwas Gutes hat es doch“, sage ich und lächle schwach. „Ich muss dich nicht mehr belügen. Ich kann dir sagen, was ich fühle.“ „Oh, Mimi.“ Tai drückt meine Hand und führt sie an seine Lippen. Er presst die Augen zusammen, als würde ihm mein Geständnis Schmerzen bereiten. „Ich wollte es die ganze Zeit nicht wahrhaben, es mir nicht eingestehen. Aber du hattest recht. Da ist etwas zwischen uns. Ich weiß noch nicht genau, was es ist, aber … aber ich fühle was, wenn ich in deiner Nähe bin“, offenbare ich ihm und das erste Mal heute fühle ich mich befreit. Befreit von dieser Schuld und von den Lügen, den Ausreden und Rechtfertigungen. Ich habe keinen Grund mehr irgendetwas zu verdrängen. „Ich dachte immer, dass ich nicht dazu fähig wäre“, lache ich plötzlich auf. „Und dann platzt du in mein Leben und stellst alles in Frage, wovon ich die ganze Zeit überzeugt war. Ich habe nicht an die Liebe geglaubt und jetzt denke ich, vielleicht ist es ja doch möglich. Vielleicht gibt es so etwas wie Seelenverwandtschaft ja doch.“ Tai öffnet die Augen und sieht mich an. In seinem Blick liegt so viel Wärme. Zuneigung, die ich eindeutig nicht verdient habe. „Es tut mir leid, dass ich dich die ganze Zeit wegen meiner Familie belogen habe, Tai. Es tut mir leid, dass du so schlecht von mir gedacht hast.“ Ich entziehe ihm meine Hand und stehe auf. Ich lege eine Hand an seine Wange, lege den Kopf schief und schenke ihm ein letztes, aufrichtiges Lächeln. „Und es tut mir leid, dass wir uns nicht unter anderen Umständen begegnet sind. Vielleicht wäre dann alles anders gekommen.“ Ich beuge mich vor und gebe ihm einen Kuss auf die Wange. „Mach’s gut, Tai. Ich werde dich vermissen.“ Dann verlasse ich die Bar, ohne mich noch mal umzudrehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)