Hidden Away von SamAzo ================================================================================ Miran ----- Das Versteck war perfekt. Die Heuballen verbargen ihn vor neugierigen Augen, oder auch denen die ihn wieder bei der Arbeit sehen wollten, und es war sogar recht angenehm warm in seiner kleinen Höhle. Irgendwann, wenn der Winter sich dem Ende neigte, würde es sicher auffallen, aber bis dahin war es noch lange hin. Miran verschob einen Ballen, um ein wenig mehr Licht zu haben. Ohne eine Lampe konnte er hier nur schlecht lesen, aber die vorhandenen Möglichkeiten waren ihm zu unsicher. Er hatte einmal einen Stall abbrennen sehen, das hatte gereicht, und er wollte auch nicht mitten drin sitzen, wenn es passierte. Draußen prasselte der Regen gegen das Holz des Gebäudes und machte es nicht leichter die Buchstaben auf dem Papier in seiner Hand zu erkennen. Es war ein Brief seiner Schwester, die wissen wollte wie es ihm ging und ob er sich bereits gut eingelebt hatte. Alles danach schien eine lange und zähe Erklärung darüber zu sein, wie ihre Eltern ihr die scheußlichsten Aufgaben auftrugen und ihr kleinster Bruder nicht einen Finger rühren musste. Im Grunde also alles beim alten. Einer der Gründe, warum er nicht länger dort hatte bleiben können. Ein kalter Schauer durchzog Miran, der seine Aufmerksamkeit auf seine Umgebung lenkte. Im ersten Moment war er sich nicht sicher, ob der Gedanke an seine Familie der Auslöser gewesen war, oder einfach nur ein Windzug, der durch irgendwelche Ritzen im Dachstuhl gezogen kam. Doch während er seine Jacke fester um sich schloss, spürte Miran es erneut. Ein eisiger Hauch zog zwischen den Ballen in seine Richtung. Von den Möglichkeiten die er jetzt hatte, entschied er sich für die, aus seiner Sicht, interessanteste. Miran steckte den Brief sorgsam in seine Brusttasche und tastete schließlich nach der Quelle der Brise. Er räumte Heuballen aus seinem Weg und baute sich so einen kleinen Gang durch das Lager. Erst als es tiefer ging entschied er sich dafür einfach zu versuchen sich zwischen den Ballen hindurch zu quetschen. Zu seinem erstaunen klappte das auch den größten Teil des Weges, bis er von einer steinernen Wand aufgehalten wurde. Das Gebäude war aus Holz, genauso wie die Zwischenwände. Wieso diese Wand also anders war, verwunderte Miran. Er war auch inzwischen unter zu vielen Heuballen, um zu erkennen, wo genau er sich eigentlich grade innerhalb des Stalles befand. Seine Neugierde war allerdings zu groß, um jetzt einfach aufzugeben und so folgte er der Wand, indem er sich zwischen ihr und den Ballen hindurch quetschte. Nach nur wenigen Metern fand er eine offenere Stelle. Sie erinnerte Miran an seine eigene kleine Höhle, nur das hier der Boden aus gefestigter Erde bestand und ein Teil eine tatsächliche Wand war. Eigentlich sollte es hier zu dunkel sein, doch ein paar Ritzen zwischen den Steinen zeigten deutlich, das es auf der anderen Seite Licht gab. Das Flackern ließ auf ein Feuer schließen, doch roch Miran keinen Rauch. Es fühlte sich auch nicht heiß an. Im Gegenteil war jeder Luftzug aus den Rillen und Ritzen eiskalt. Durch die Größe der Heuballen-Höhle konnte Miran ein paar Schritte Abstand zur Wand gewinnen und erkannte so, das die Ritzen ein Muster ergaben. Sie wirkten so, als habe jemand, mehr schlecht als recht, versucht eine Tür oder einen Durchgang dauerhaft zu verschließen. Es war zu frisch, um sich zu lange Gedanken darüber zu machen, was er nun tun wollte. Also blieb nur zurück zu gehen und zu hoffen das er die kühle Luft aus seinem Versteck aussperren konnte, oder aber dem Weg weiter folgen. Das hieße allerdings auch, das er irgendwie versuchen musste dort hinein zu kommen und er hatte keinerlei Werkzeug, das ihm helfen könnte. Miran verspürte keinerlei Drang zurück zu gehen. Das hier war zu interessant. Suchend strich er die einzelnen Ritzen ab und versuchte durch sie hindurch zu schauen. Wenn sie groß genug waren, um etwas zu sehen und drum herum genug andere Risse lichtdurchlässig waren, dann bestand doch sicherlich die Möglichkeit den Stein hinein zu drücken und mit ihm vielleicht noch ein paar andere. Es dauerte eine ganze Weile, bis genug Steine beiseite geräumt waren, damit Miran durch den bis dahin zugemauerten Durchgang klettern konnte. Der Gang dahinter war hell erleuchtet. Das Feuer der Fackeln kam nicht gegen die Kälte an, die ihm jetzt wie im tiefsten Winter entgegen wehte. Seine Jacke war zu dünn, um ihn davor zu schützen, doch seine Neugierde war zu groß. Außerdem hatte er sich bis hierhin durchgeschlagen, da würde er jetzt nicht umdrehen. Der Weg vor ihm schlängelte sich ein Stück weit und wurde dann zu einer Wendeltreppe. Seine Schritte hallten auf den metallenen Stufen und Miran musste sich sehr am Geländer festhalten, um nicht auf den Stufen auszurutschen. Die Treppe wand sich immer tiefer hinab und es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, bis Miran endlich wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Links und rechts hatte sich Reif an den Wänden gebildet und kleine Eiszapfen zierten die Decke des schmalen Ganges, der nur kurz war, bis der Weg durch eine geschlossene Tür versperrt war. Sie sah alt aus. Wesentlich älter als der Stall, in dem sein Versteck war. Was auch immer dieser Bereich des Gebäudes war, normal schien er nicht zu sein. Miran lauschte vor der Tür stehend. Er hörte seinen Atem, der vor seinen Lippen zu kleinen Dunstwölkchen wurde. Das Feuer der Fackeln knisterte hin und wieder und manchmal loderte, durch einen Windhauch, lauter auf. Ansonsten war alles still. Hin und her gerissen stand Miran da und wusste nicht was er tun sollte. Er wollte wissen was hinter der Tür war, aber gleichzeitig hatte ihn eine verschlossene Tür noch nie so abgeschreckt. „Du bist kein Feigling“, sagte er mehrmals leise zu sich selbst, um sich dazu zu bringen endlich seine Hand an die Türklinke zu legen. Er wollte wenigstens testen, ob sie verschlossen war. Zu seinem erstaunen öffnete sich die Tür ohne Probleme. Sie quietschte nicht einmal in ihren Angeln, als wäre sie frisch geölt und nicht halb so alt wie sie aussah. Der Raum hinter der Tür war dunkler. Keine einzige Fackel war zu sehen, aber ein bläulicher Schimmer erhellte den Saal, der sich vor ihm auftat. Säulen säumten die gewölbten Wände. In der Mitte war ein rundes Becken von dem das schwache Licht ausging. Miran ging langsam näher an das kniehohe Bassin. Im Innern war eine Schicht Eis durch das Pflanzen zu erkennen waren. Eingefrorene Wasserlilien, die allerdings nicht das waren, woran Mirans Blick hängen blieb. Die Umrisse einer Person schimmerten durch das Eis. Sein erster Instinkt sagte ‚renn weg‘ der erste Gedanke konterte mit ‚du musst helfen‘ und ein leises Stimmchen versicherte ihm, das hier alles vollkommen normal war und er keine Angst haben musste. Würde es Sinn machen da jetzt rein zu springen, um zu versuchen die Gestalt zu retten? Er wusste ja nicht einmal wie lange sie bereits dort drinnen war. Trotzdem meldete sich auch jetzt seine Neugierde. Anders konnte er den Drang nicht beschreiben, der ihn näher kommen ließ, bis er sich selbst auf dem Eis wiederfand. Miran war überrascht das es ihn hielt und das er unter dem Eis kleine Blasen erkennen konnte. Das war alles so unwirklich. Aber das leise Stimmchen beharrte darauf, das alles okay sein würde. Er konnte sich selbst nicht erklären was er eigentlich erreichen wollte. Und trotzdem versucht er mit bloßer Hand das Eis zu durchbrechen, schlug mit der Faust zu, in der Hoffnung Risse zu erzeugen oder zumindest erkennen zu können, das er etwas erreichte. Immer und immer wieder schlug er auf das Eis, bis sich das Blut seiner Knöchel mit dem Wasser, das durch einige Ritzen quoll mischte. Im einen Moment prügelte er noch auf das Eis ein, im Nächsten erstarrte er. Da war eine Bewegung. Unter dem Eis… Miran starrte auf die Umrisse unter sich, hoffend das er sich die Bewegung nur eingebildet hatte. Aber nein, da war es wieder. Und wieder… Die Gestalt bewegte sich! Miran war plötzlich wie aus seiner Starre gerissen. Panisch versuchte er aus dem Becken zu kommen. Rutschte auf der glatten Oberfläche aus. Versuchte auf die Beine zu kommen. Auf allen Vieren das Becken zu verlassen und scheiterte doch bei jedem Versuch. Er glaubte grade einen festen stand erreicht zu haben, als sein rechter Fuß wegrutschte und er fiel. Sein Kopf traf die Mauer und das letzte was er mitbekam war die Wärme an seiner Schläfe. ~ Es klopfte. Nicht so, als würde jemand um Einlass bitten, sondern fester, schneller und mit angestauter Wut. Das Klopfen wurde mehr und mehr zu einem Hämmern und es dröhnte in Mirans Ohren. Der Boden war grober Stein, seine Kleidung nass und steif vor Kälte. Der Raum war bläulich schimmernd, aber er befand sich nicht mehr auf dem Eis im Becken, was wohl das positivste in seiner Situation war. Als er versuchte aufzustehen wehrte sich sein Körper gegen jegliche Bewegung. Seine Gelenke waren schwergängig, alles drehte sich und die Welt schien einen Rechtsdrall zu haben. Dennoch schaffte er es sich soweit aufzurichten, das er sich auf dem Beckenrand abstützen konnte. Das Eis war in kleine Inseln zerbrochen und sein Blut schwamm in kleinen Wölkchen im Wasser. Die Person war nicht zu sehen, dafür schienen die Wasserlilien sich quicklebendig zu fühlen, denn sie ragten frisch duftend aus dem Wasser heraus als wäre es das normalste der Welt. Mirans Blick glitt über den gegenüberliegenden Beckenrand und erblickte dort endlich die Quelle des Lärms. Jemand versuchte eine Holzkiste zu öffnen, indem er auf sie einschlug. Das es die Gestalt aus dem Becken war, konnte Miran nur annehmen, aber viele andere Möglichkeiten sah er nicht. Lange nasse Haare verhinderten die Sicht auf das Gesicht, aber die dunkle Kutte erinnerte ihn an ein Kultgewand aus einem der Bücher, die er mal gelesen hatte. Miran musste ein Geräusch von sich gegeben haben, denn das Hämmern stoppte und die Aufmerksamkeit der Person richtete sich auf ihn. Schweigend sahen sie sich an. Sekunden verstrichen und entweder vergingen sie nur sehr langsam oder der Moment streckte sich viel zu lange, denn selbst nach mehreren Atemzügen machte keiner der Beiden den Anschein als erstes etwas von sich geben zu wollen. Miran hatte so einige Fragen. Angefangen damit wie jemand eine unbestimmte Zeit unter Eis überleben konnte. Was das für ein Ort war, woher das Licht kam und warum war es so kalt? Etwas sagte ihm, das er keine Antwort bekommen würde, selbst wenn er die Fragen aussprach. Trotzdem bahnte sich schließlich eine Frage ihren Weg hinaus. „Wer bist du?“ Als hätte er damit endgültig den Moment zerstört, blinzelte der Fremde einige male, bevor er anfing breit zu lächeln. Es war so kalt wie die Umgebung. „Das brauchst du nicht wissen.“ Die Stimme löste einen kalten Schauer in Miran aus und automatisch ging sein Blick in Richtung der Wendeltreppe, über die er hier herunter gekommen war. Er hatte das Gefühl hier so schnell wie möglich raus zu müssen, aber allein der Gedanke daran sich der Treppe stellen zu müssen war zu anstrengend. Der Lärm begann erneut und dieses mal knarzte das Holz, als die ersten Bretter aufgaben. Das Geräusch, das der Fremde von sich gab, als er den Inhalt der Kiste endlich erreichte, klang nach nichts was Miran jemals gehört hatte. Während der Fremde abgelenkt war, stand Miran langsam auf und versuchte durch die Bewegung Wärme in sich zu bekommen. Nach nur ein paar Schritten spürte er jedoch einen weiteren kalten Schauer, der ihm jede Bewegung nahm, und im nächsten Moment einen Körper hinter sich und eine Klinge an seinem Hals. „Wohin des Weges?“ Der Kopf des Fremden lehnte sich an Mirans. „Du bist mein Weg hier heraus und den werde ich mir nicht nehmen lassen.“ Miran war sich nicht sicher was als nächstes passierte. Ob er sich den Schmerz einbildete oder er tatsächlich das Messer spürte. Die Klinge war warm. Oder war es sein Blut das er spürte? Langsam sank er zu Boden, gehalten von dem Fremden. Die Steine waren gar nicht mehr so kalt, als er sich auf ihnen wiederfand. Sein Kopf wurde fast schon sanft abgelegt. Das Gesicht des Fremden erschien über seinem. Das erste Mal, das er ihn genau sehen konnte. Vollkommen schwarze Augen in einem jugendlichen Gesicht. Links und Rechts die langen Haare und kein einziges Gefühl spiegelte sich in seinen Zügen. So gleichgültig. Miran schloss die Augen und dachte an den Brief in seiner Jackentasche. Der war jetzt sicher verlaufen und unleserlich. Seine Schwester würde sich sicher Sorgen machen, wenn er nicht schnell zurück schrieb. Bei dem Rest seiner Familie war er sich nicht so sicher, aber selbst bei dem Gedanken an sie spürte er ein ziehen in seiner Brust. „Keine Sorge“, hörte er leise. „Ich werde ihnen einen Besuch abstatten.“ Der Schmerz blieb. Pulsierte durch ihn als hätte er ein eigenes Leben. Er hörte die Bewegung über sich mehr als das er sie spürte. Als er die Augen öffnete war der Fremde nicht mehr zu sehen. Es war das erste Mal, das Miran bewusst an die Decke des Gewölbes sah. Die Steine endeten in einem Kreis. Die Fläche, die dieser Kreis ergab, war bemalt mit einem Spiegelbild des Beckens. Wasserlilien und eine Figur, die an ihrem Rand saß. Miran erinnerte sich an eine Geschichte, die er mal als kleiner Junge gehört hatte. Über einen Bauernjungen, der es geschafft hatte beim größten Magier des Landes als Lehrling angenommen zu werden, nur um zu erfahren, das der Magier regelmäßig seine Lehrlinge für Rituale opferte. Um dem zuvor zu kommen ging der Junge einen Deal mit einem mächtigen Fae ein und dann… Mirans Gedanken verschwammen. Tanzten zusammen mit Erinnerungen an an seine Freunde, seine Familie. Von irgendwo kam ein Stück der Geschichte zurück, in Form eines eisigen Gefängnisses. Der Rache des Magiers, der Verrat des Fae. Aber genauer wollte es ihm nicht mehr einfallen. „Nur noch eines“, surrte der Fremde. Er trug Kleidung die der von Miran ähnelte und war dabei seine Haare mit dem Messer abzuschneiden. „Und dann sind wir bereit hier zu verschwinden.“ Miran fühlte sich verwirrte als jemals zuvor. Wir? „Natürlich wir, Dummerchen. Ich brauche dein Blut.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)