366 Tage - 366 Geschichten von Gedankenchaotin (366 Tage Challenge 2024) ================================================================================ Kapitel 21: 21.01.2024 - Sinn ----------------------------- Ich verstehe den Sinn hinter dieser Chemie - Aufgabe einfach nicht. Ich will in diesem Bereich nicht einmal arbeiten, wozu muss ich dann wissen, welche chemische Formel man braucht, um Gold oder Silber herzustellen?” Mit einem frustrierten Seufzen ließ sich Noah nach hinten auf das Bett sinken und warf einen flüchtigen Blick auf seinen besten Freund Liam. Seit über einer Stunde versuchte er zu verstehen, was Liam ihm erklärte, aber sein Kopf war vollkommen leergefegt. “In welchem Bereich willst du denn arbeiten?”, wollte Liam wissen, ohne von dem Buch aufzusehen, in dem er gerade blätterte. Bislang hatten sie nie darüber gesprochen, aber da sie sich inzwischen schon in ihrem vorletzten Jahr vor den Abiturprüfungen, mussten sie sich beide langsam Gedanken darüber machen, wie es weitergehen sollte. “Ich möchte Sozialpädagogik studieren und mit Kindern und Jugendlichen zusammenarbeiten, die von ihren Eltern nicht das Leben bekommen können, was sie verdienen”, erwiderte er, woraufhin Liam seinen Kopf jetzt doch überrascht hob. “Du hast mir nie gesagt, dass du in diesem Bereich arbeiten willst”, entgegnete er und legte seinen Kopf schief, während Noah kurz mit den Schultern zuckte und sich wieder aufrichtete. Er kannte Liam erst seit diesem Schuljahr, aber sie hatten trotzdem sofort auf einer Wellenlänge gelegen. Trotzdem wusste Liam noch nichts davon, dass Noahs Eltern nicht seine richtigen Eltern waren oder dass er eine Kindheit gehabt hatte, die er anderen Kindern und Jugendlichen ersparen wollte. “Ich finde einfach, dass Kinder und Jugendliche, die in ihren Familien nicht die Liebe und Fürsorge erfahren, die sie verdienen, auch ein Recht darauf haben, dass man sie unterstützt. Oder die Kinder, deren Kinder längst nicht mehr am Leben sind”, erwiderte er und schluckte kurz, um den Kloß in seinem Hals zu unterdrücken. “Das klingt, als hättest du dort Erfahrungen gesammelt?” Als er die Frage Liams hörte, zögerte er kurz, bevor er nickte. Vielleicht war es nach über einem Jahr endlich einmal Zeit darüber zu reden. “Meine Eltern .. sind nicht meine leiblichen Eltern”, fing er an, woraufhin Liam seinen Kopf schief legte, wobei sich aber trotzdem ein Lächeln auf seinen Lippen bildete. “Das dachte ich mir alleine schon deswegen, weil du sie beim Vornamen nennst”, antwortete er und Noah biss sich kurz auf die Lippen. Es fühlte sich für ihn einfach falsch an, Mama und Papa zu ihnen zu sagen, aber Gott sei Dank hatte das Ehepaar von Anfang an kein Problem damit gehabt. “Was ist mit deinen leiblichen Eltern?”, fragte Liam erneut nach und diesmal senkte Noah seinen Blick. “Sie sind tot.” Durch diese drei einfachen Worte schnappte Liam hörbar nach Luft und er wusste im ersten Moment gar nicht, was er antworten sollte. “Das tut mir leid?”, murmelte er und legte Noah eine Hand auf die Schulter. Langsam schüttelte Noah den Kopf und sah seinen besten Freund auch wieder an. “Das muss es nicht. Ich war noch viel zu klein, um zu begreifen, was passiert ist. Ich weiss auch nur durch Erzählungen, was wirklich geschehen ist, aber ich möchte anderen Kindern und Jugendlichen ersparen, was mir widerfahren ist”, entgegnete er und lächelte kaum merklich. Er wollte und konnte Liam in diesem Moment noch nicht erzählen, was wirklich passiert war und wodurch seine Eltern gestorben waren, was er Liam auch auf Nachfrage so übermittelte. “Es ist okay. Ich bin da, wenn du bereit bist, mir mehr zu erzählen. Aber jetzt verstehe ich auch, warum es für dich keinen Sinn ergibt, dich chemischen Formeln zu widmen”, antwortete Liam schmunzelnd und wuschelte seinem besten Freund kurz durch die Haare. Noah konnte sich ein leises Lachen nicht verkneifen. “Genau deswegen”, grinste er lediglich, wusste aber auch, dass er sich trotzdem noch mit den Formeln beschäftigen musste, um sein Abitur überhaupt zu bekommen, damit er studieren konnte. Und egal, was das Leben noch für sie bereithalten würde, Liam und seine Adoptiveltern würden ihn bei all seinen Entscheidungen unterstützen und den Sinn dahinter verstehen. Davon war er überzeugt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)