River under a soiled Sky von Elnaro ================================================================================ Kapitel 1: Die Einladung ------------------------ Es ist der 12. Juni anno 99 zur Mittagszeit und wie jedes Jahr verstecke ich mich vor einem aufdringlichen Boten, der versucht, einen Geburtstagsgruß meines zweiten Vaters an mich auszurichten. Diesmal habe ich mich in das abgetragenste Kleid geschmissen, das ich im Saustall meiner Freundin Shine finden konnte und tue so, als ob ich mich mit den anderen um die jungen Kartoffelpflanzen auf unserem Acker kümmern würde. Der immerwährende Dunst ist heute nicht so dicht wie sonst, für Nahrung verdauende Menschen, für die wir uns auf dem Feld abschuften, wohl aber immer noch giftig. Ich kann weit genug sehen, um Silhouetten der Häuserruinen der fünf Kilometer entfernten Stadt erkennen zu können. Die hier so verbreiteten niedrigen, vielastigen Bäume mit kleinen Blättern wachsen bereits aus den Dächern der Gebäude heraus. Fast hundert Jahre Verfall haben den Ruinen ganz schön zugesetzt. Mike und Nicky grüßen mich, wohl wegen meines Aufzugs, verdutzt, aber freundlich. Ich grinse die beiden an und erkenne unter ihren locker übergezogenen Kapuzen erheiterte Gesichter. So, wie sie diesen Kopfschutz tragen, taugt er kaum noch als Sonnenschutz, den ich ohnehin als Übervorsicht interpretiere. Es könnte sein, dass die beiden besonders lichtempfindlich sind, wahrscheinlicher ist, dass sie sich als Vampis, wie ich Unsereins gern nenne, damit wohl fühlen. Die beiden sind bereits vor der Zeitenwende geboren worden und wissen deshalb sehr genau, was die Strahlen der Sonne mit uns anrichten können. Ich sag nur brösel, brösel. Ich dagegen habe weder ein Problem mit Sonnenstrahlung, noch habe ich diesen angeblich so hübschen Stern überhaupt je zu Gesicht bekommen. Der verheerende Zusammenprall mit einem extrasolaren Zwergplaneten und die darauffolgenden Vulkanausbrüche waren schließlich vor meiner Zeit. Jetzt ist die Luft verpestet, bla bla. Das ist langweiler Kram, der auf trockenste Weise in der Schule runter gelabert wird. Über die Zeit, in der so unglaublich viele Leute gestorben sind, redet keine Sau, nicht einmal die Augenzeugen, oder besser insbesondere nicht die Augenzeugen. Wahrscheinlich kann ich froh sein, in diese entspannte Zeit hineingeboren worden zu sein. Das Dumme an der Sache ist, dass ich auch das Funkeln des nächtlichen Sternenhimmels nur noch aus Schulbüchern und Erzählungen der Älteren kenne. Das hätte ich wirklich gerne mal gesehen. Ich habe kaum zwei Reihen gepflegt, da bemerke ich schon die Annäherung des Grauens. Eine Botin in Anzug und Krawatte, ebenfalls ohne Lichtschutz, weil die feine Hauptstädterin Medikamente gegen UV-Strahlung erhält, marschiert geradewegs quer übers Feld auf mich zu. Na spitze! Eigentlich bin ich ein nachsichtiger Typ, aber dass sie einfach rücksichtslos über die Pflanzen trampelt, geht ja mal gar nicht. Sie versinkt mit ihren Schickimicki Absätzen im lockeren Erdboden und schaufelt damit einige Jungpflanzen heraus. Argh! Mike und Nicky starren erst sie und dann mich an. “River Lucard?!”, brüllt die Botin schon fast in meine Richtung. Ach, Kacke! Fehlende Kapuze und Glotzparade hin oder her! Wie kommt die Gute darauf, einen Vampirprinzen bei der Feldarbeit in Frauenkleidern antreffen zu können, Bitteschön? Hab ich ‘nen Tracker, oder sowas? “Jo”, antworte ich mit gekräuselten Lippen. “Und jetzt, runter vom Feld, aber dalli!” Sie ignoriert meinen Rüffel, streckt ihr Patschehändchen in meine Richtung aus, in der sie einen versiegelten Brief hält. “Herzlichen Glückwunsch zum 20. Geburtstag, Hoheit. Der hier ist für Euch, mit den allerbesten Grüßen.” “Meine Antwort ist und bleibt Nein”, blaffe ich der businessmäßig gekleideten Tante entgegen. “Nein, verdammt nocheins.” Sie zwingt sich ein eklig gekünsteltes Lächeln heraus. Bäh! “Bitte, River. Euer Vater ist untröstlich, wenn Ihr erneut ablehnt. Überlegt es Euch. Lasst Euch gern von Eurem Ziehvater begleiten.” Von meinem was?! Geht's noch? “Alter Verwalter! Wenn einer den Titel Vater nicht verdient hat, dann der Absender dieses Papierfetzens. Euer Despot von einem König hat mich ja nicht mal gezeugt, sondern nur konvertiert. Wie verblendet seid ihr blind über einen bestellten Acker pflügenden Loyalisten eigentlich?” Sie verbeugt sich tief. “Verzeiht, Hoheit. Er ist dennoch ebenfalls Euer leiblicher Vater.” “Tss”, blaffe ich ihr entgegen und reiße ihr den Brief aus der Hand, damit sie sich endlich vom Acker macht, im doppelten Sinne. “Sag mal, spinnst du?!”, keift es vom Feldweg aus. Ich sehe langes, weißblondes Haar und erkenne Shines liebliches Gekreische. Ich lasse die ignorante Botin stehen und laufe vorsichtig zwischen den Jungpflanzen zu meiner Freundin, die ein übellauniges Gesicht zieht. Merkwürdigerweise fixiert sie mich, anstatt die fleischgewordene Dystopie hinter mir. “Shine, meine Hübsche! Hast du nach mir gesucht, um mir zum Geburtstag zu gratulieren?”, strahle ich sie an. Bei ihr angekommen, greift sie sich einen meiner rosa Rüschenärmel mit ihren rauhen Arbeiterhänden, dabei ist sie in Wahrheit eine ausgebüchste Prinzessin, der man eine reine Schreibtischtätigkeit nicht übelnehmen würde. Die Gute packt aber viel lieber ordentlich mit an. “Ursprünglich mal, aber, Schnucki, was stimmt nur mit dir nicht? Hast du ‘ne Ahnung, was du da anhast?” Ich schaue an mir herab. Meine stramme Männerbrust wird eingeschnürt von einem etwas zu engen Gummizug am Ausschnitt des altrosa farbenen Kleides. Die Falten des Rockes hängen hübsch bis über meine athletischen Beine. Alles schick. Kaum Schmutz dran. “River, das ist Tears altes Ausgeh-Kleid. Eine der wenigen Sachen, die sie noch von ihrer Mutter hat." Meine Augen weiten sich. “Scheiße, dein Ernst? Was hatte das dann in deinem Saustall zu suchen!? Wenn sie das sieht, dann…! Sie wird mich hassen! Meine Welt geht unter!” “Hoffentlich”, blafft mir Shine, vielleicht ein bisschen eifersüchtig, entgegen und läuft schnellen Schrittes in Richtung Bunker. Ich folge ihr schuldbewusst. Shine ist meine beste Freundin, aber Tear … oh, meine Tear ist eine ganz besondere Frau. Sie ist ultra süß, lieb, hat durchdachte Meinungen, die sie aber leider nur zurückhaltend von sich gibt, eigentlich sogar scheu. Ein bisschen depressiv ist sie vielleicht auch, gebeutelt von ihrer Vergangenheit als Mensch, oder treffender, als Sklavin. Außerdem ist sie ängstlicher, als eine Augenweide wie sie sein sollte und, naja, ein bisschen Schizophren ist sie wohl auch. Aber das macht nichts. Sie ist einfach toll, Punkt, aus. Und wie sie duftet … hmm. “... dann wird sie es gar nicht bemerken, wenn du Glück hast”, führt Shine ihre Erklärung zu Ende, von der ich, wegen meiner gedanklichen Schwärmerei, nicht wirklich etwas mitbekommen habe. Sie bleibt mitten auf dem Feldweg stehen und schnippt laut direkt vor meinen Augen mit ihren Fingern. “Huhu, jemand zu Hause bei dir? Hat mir das winzige Äffchen in deinem Köpfchen zugehört?” Eine warme Sommerbrise fährt mir erfrischend durch den Rock. Das ist angenehmer, als ich dachte. Shine stöhnt genervt auf. “Du kriegst ohne mich sowieso nichts auf die Kette. Hör jetzt zu! Du wartest draußen, ich hol dir Klamotten und einen Rucksack aus deinem Zimmer, klar!?” “Hmhm”, bestätige ich. Sie stöhnt erneut und erhöht das Tempo. Es dauert keine Minute, bis wir am teils über-, teils unterirdischen Hauptbunker angekommen sind. Er ist von Feldern umrahmt, die als Nahrungsquelle für unsere Nahrungsquellen dienen. Weitere Bunker sind von hier aus in Sichtweite. Menschen und Vampire leben gemeinsam darin. Wir brauchen sie, so wie sie uns brauchen. Ein symbiotisches Beisammensein - solange die Luft giftig für Menschen ist, tauschen wir quasi Lebensmittel aus. Das läuft halbwegs friedlich ab. In unserem Refugium zumindest, und das ganz ohne Erpresser-Methoden. Shine öffnet die erste stählerne Schleusentür, verschwindet dahinter und lässt mich mit diesem blöden versiegelten Brief meines in Anführungszeichen Vaters allein zurück. Ich lehne mich gegen den Stahlbeton neben der Metalltür und breche das unsauber gestempelte rote Wachssiegel, auf dem mit Mühe ein Drachen erkennbar ist. Ich hole den gefalteten Brief aus dem dicken Papier heraus, der eine krakelig handgeschriebene Schreibschrift trägt. Ich bin mir fast sicher, dass mein Vater das analoge Schreiben hasst. Pech für ihn, dass ich seine digitale Spionage-Technik ablehne. Technik mag ich nur, wenn sie rein mechanisch ist, wenn sie also keinen Mikrochip enthält. Dann mag ich sie zugegebenermaßen sogar sehr. Wie jedes Jahr klebt einer dieser blöden digitalen Computer-Chips unten auf dem Brief, eingeschweißt in ein durchsichtiges Tütchen. Ich ignoriere ihn und lese. “Mein Sohn,” startet der Brief und mir kommt die Galle hoch. Ich überfliege den zwei Seiten langen Text voller Gelaber darüber, wie sich das letzte Jahr für die Loyalisten entwickelt hat. Es liest sich wie eine öffentliche Erklärung an seine Untertanen. Dabei spart er natürlich nicht an Lob für sich selbst und seine Taten. Er schreibt, er hätte in meinem Alter bereits die Loyalisten angeführt. Schön für ihn. “Fühl dich nicht schuldig am Schicksal deiner Mutter, bla bla …” Das schreibt er jedes Mal, dabei empfinde ich gar kein Schuldgefühl. Wiederholt er es vielleicht nur deshalb immer wieder, um mir welches einzureden? Ich werde nicht schlau daraus. Die letzten Zeilen lese ich mehrmals. “Du sollst die ganze Wahrheit erfahren, über deine Mutter. Eine Wahrheit, die Alexander und Magna dir nicht erzählen können.” Das ist neu. Was soll es schon sein, das Papa und Mag nicht über meine Mutter wissen sollen? Immerhin hat Mag meine Mutter konvertiert und sie als eigenes Kind angenommen. Hm, Moment. Wieso sollte das bedeuten, dass sie viel über meine Mutter weiß? Mein Konvertierer bezeichnet sich auch als mein Vater und kennt mich quasi überhaupt nicht. Mit ist klar, dass die Verwandlung vom Menschen in einen Vampir genetisch nachweisbar ist. Außerdem verfügen nur reine Lucards über diese Fähigkeit. Zum Vater sein gehört aber trotzdem mehr, als nur ein paar Gene weiterzugeben. Ach, ist doch auch egal! Wichtige Dinge hätten mir Papa und Mag sowieso nicht verheimlicht. Blöd ist nur, dass ich jetzt trotzdem ins Grübeln gekommen bin. Ich kenne meinen Konvertierer. Mir wurde alles über ihn erzählt, was es zu wissen gibt. Sein voller Name lautet Robert-Valentin Lucard. Er ist das jüngste von vier Kindern des Urvampirs. Er ist Mags kleiner Bruder und war schon vor der neuen Zeitrechnung König über das loyale Volk der Vampire. Einfache Menschen zwingt er, uns als Arbeiter und Nahrungsquelle unter pyramidenförmigen Kuppeln zu dienen, die sie weder verlassen können noch dürfen. Er ist ein einsamer und, meiner Meinung nach, total verbitterter Tyrann, der seine Macht skrupellos auskostet. Er ist ein Schurke durch und durch. Wenn ich zu ihm gehe, sperrt er mich womöglich ein, oder tut sonst was. Nein, danke, da bleibe ich lieber hier im autonomen Refugium, wo die Welt noch in Ordnung ist. Ich schrecke zusammen, als vor mir ein blauer Rucksack auf dem schmalen Betonstreifen auftaucht. Shine grinst mich an. “Happy Birthday, River.” Ich versuche mich hinzuhocken, ohne den Rock schmutzig zu machen. Gar nicht so einfach. Dann öffne ich den Rucksack. Darin finde ich ein weißes Shirt und eine graue Hose von mir und, ich glaube, ich sehe falsch, einen Kondensator. Aber nicht irgendeinen, genau den, den ich für die Reparatur meines kaputten Motorrads brauchte und der nicht aufzutreiben war. Das gibt’s nicht. Der absolute Hammer! “Mein Sonnen-Shine”, rufe ich, springe auf und falle meiner Gönnerin um den Hals. “Licht meines Lebens!” “Jaja”, wimmelt sie mich ab und dreht seitlich von mir weg. “Als ob ich nicht wüsste, was du noch brauchst. Zieh dich jetzt um!” “Dich brauche ich, mein Traum von einer schillernden Gorilla-Dame”, trällere ich. Sie verkneift sich ein Lächeln. “Klappe jetzt, Nichtskönner! Nicht mal verstecken kannst du dich ordentlich.” Ich ziehe mich so um, dass sie mich beobachten könnte, aber sie tut es nicht. Bedauerlich. “Du weißt doch genau, wie ich aussehe”, spiele ich auf unsere kurze Zeit als Pärchen an. “Mein drei Jahre altes Trauma”, kontert sie. “Ich versuche, es verzweifelt aus meinem Gedächtnis zu löschen.” “Oooder wir frischen es auf”, entgegne ich und erhalte dafür einen saftigen Klaps auf den Hinterkopf von ihr. 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