Lüge von Vanillaspirit ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Die braunen Augen wichen immer wieder aus. Es war so schwer für sie, diesen Anblick zu ertragen. Jede Faser des Herzens zog sich einzeln zusammen. Die kalten Finger schlossen sich um die Türkante. Der Atem stockte und setzte schließlich ganz aus. Wärme wurde in die Wohnung getragen, als der zierliche Körper eintrat. Der kalte Geruch von Zigaretten wehte dem Eindringling entgegen. Es war nichts Ungewöhnliches. Irgendwo im Hintergrund lief ein Song. Einer jener herzzerreißenden, melancholischen Lovesongs, die einem Tränen und Einsamkeit in die Seele pflanzten und gespielt wurden, um dem Suizid mehr Dramatik zu verleihen. Auch wenn es für Außenstehende schwer nachzuvollziehen war, es passte zum Bewohner der Wohnung. Langsam setzte der Eindringling seine Besichtung fort, beobachtet von Augen voller Traurigkeit und unerfüllbarer Sehnsucht. Er versuchte diesem Blick so gut wie möglich auszuweichen und sich einzureden, dass die Schuld nicht ihn traf. Nervös strichen schlanke, blasse Finger durch glänzendes, schwarzes Haar. Jede Spur von Selbstsicherheit, all die zurechgelegten Worte, waren verschwunden. "Ich weiß schon, warum du gekommen bist, aber es war nicht nötig, dafür den weiten Weg zu machen." Der Eindringling zuckte zusammen und blickte zu dem jungen Mann, dessen lange, braune Mähne wirr um sein angenehmes, attraktives Gesicht lag. Langsam schloss er die Tür der kleinen Wohnung und trat näher. Immer noch wichen seine warmen Augen einem direkten Blickkontakt aus. Die zittrigen Hände verbarg er in den Taschen seiner Jeans. Es gab Tausende von Mädchen, die ihn gern besessen würden. Nur ein Blick von ihm, ein warmes Lächeln genügte, um ganze Säle in Hysterie zu versetzten. Warum musste er ausgerechnet sein Herz an jemanden verlieren, der ihn nie erhören würde? "Du hättest es mir auch am Telefon sagen können." Ayaka öffnete den Mund und schloss ihn sofort wieder. Sie war extra den weiten Weg von Kyoto gekommen, um es ihm zu sagen, doch nun schien ihr Kopf völlig leer. Hiroshi ging an ihr vorbei ins Wohnzimmer. Ihre Anwesenheit war ihm unangenehm. Sollte sie doch zu Yuki Eiri gehen - dorthin, wo es sie eigentlich hinzog, aber vermutlich steckte unter diesem unschuldigen, engelsgleichen Antlitz ein Teufel, der sich an seinem Leid labte. Der junge Mann schüttelte knapp mit dem Kopf. Nein, so war sie nicht. So konnte sie nicht sein. Es war einfach ihre Höflichkeit, die sie dazu trieb, es ihm persönlich zu sagen. Ganz gleich, wie schmerzlich es war. "Ich denke, du kannst jetzt aufhören weitere Versprechungen zu machen. Ich kann einfach nicht mehr." Ayaka zuckte zusammen. Ihr war schon klar, dass ihr Zögern, die ständig verschobenen Verabredungen und die Distanz, die sie zu Hiroshi bewahrte den jungen Mann verärgern musste, aber nicht, dass es ihn so verletzte. Seine Augen bohrten sich in ihr Gesicht. Da war kein Hass, nur tiefer Schmerz. "Hör auf mit mir zu spielen. Ich kann und will nicht länger Ersatz für Yuki sein." Ayaka biss sich auf die Unterlippe. Sie wusste längst, dass dieses Gespräch irgendwann nicht mehr zu umgehen war. Zu lange war sie Hiroshi unfair gegenüber gewesen und hatte mit seinen Gefühlen gespielt. In dieser Hinsicht schien sie nicht viel besser als Yuki. Hiroshi stieß einen ernüchterten Ton aus, als das Mädchen nur nickte. Konnte sie nicht wenigstens sagen, dass es ihr Leid tat? Konnte sie nicht erklären, dass alles nur ein Missverständnis war? "Könntest du jetzt bitte gehen?", fragte er dumpf. Ayaka blickte überrascht auf. Sie wusste nur zu genau, dass dies der Wendepunkt war, vor dem sie sich so lang gefürchtete hatte. Hiroshi war ihre Art gewesen, mit Yuki zu brechen. Er war eine Flucht, eine Möglichkeit, sich abzulenken. Doch nun ging auch dies verloren. Irgendwann musste es ja vorbei sein und sie musste allein versuchen von Yuki los zukommen, ohne die Gefühle anderer dafür zu benutzen. Ayaka war feige gewesen und es war nur Hiros Recht es jetzt zu beenden und sich weiteren Schmerz zu ersparen. Sie hatte ihn nur benutzt. Erwartungsvoll waren Hiroshis Augen auf sie gerichtet. Sie konnte die Trauer darin sehen und fühlte sich schuldig. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, seine Gefühle so auszunutzen? Wann war sie nur so kalt geworden? Ayaka rührte sich nicht. Sie öffnete den Mund und wollte etwas erwidern, schloss ihn aber sofort wieder. Jedes weitere Wort wäre nur wie Hohn und Spott gewesen. Ihr Herz zog sich zusammen. Ihr war klar, dass alles vorbei war, wenn sie jetzt gehen würde. Warum tat es nur so weh? Mit hängendem Kopf schlich sie zur Tür. Es war besser so. Es war ehrlicher und sie hatte ohnehin genug davon mit Hiroshi zu spielen. Er hatte es nicht verdient, dass jemand so mit seinen Gefühlen spielte. Vor der Tür blieb sie stehen und drehte sich noch einmal zu ihm um. Er sah sie nicht an. Seine schönen, braunen Augen, die so voller Liebe ihr gegenüber waren, starrten ins Leere. Es tat so schrecklich weh, ihn zu sehen und zu wissen, dass es das letzte Mal sein würde. Ihr Magen zog sich krampfhaft zusammen. Es war Lüge, alles Lüge. "Ich..." Ayaka verstummte einen Moment, erreichte aber, das Hiroshi sie ansah. "... ich wollte mit dir ausgehen, all die vielen Male, aber... aber ich hatte solche Angst, dass das passiert, was nie sein darf." Fragend, hob der junge Mann eine Braue. "Ich wollte mich nicht in dich verlieben. Wie könnte ich? Ich liebe doch Eiri-san." Sie sagte es schon wieder. Wollte sie ihn um jeden Preis quälen? "Sei still!", befahl Hiroshi dumpf. "Sag kein Wort mehr! Nicht eins." Er hatte genug gehört. Endgültig genug. So sehr er sich auch einzureden versuchte, es würde nicht funktionieren, er konnte nicht mehr für sie da sein, während ihr Herz einem anderen gehörte. Er hasste Yuki in diesem Moment sehr. Dieser Mann zerstörte sein Leben. Er verletzte seinen besten Freund immer und immer wieder und gab das Herz der Frau, die er selbst so sehr liebte, nicht frei. "Hör mir doch zu!" Ayakas Körper spannte sich an, sie kniff die Augen zusammen und versuchte ihre Gedanken zu ordnen. Nur dieses eine Mal sollte er vergessen ihr die Schuld zu geben und ihr zuhören. Verblüfft von ihrem Gefühlsausbruch schwieg der junge Mann tatsächlich. Fassungslos starrte er auf ihre Lippen, als diese sich bewegten und Worte entließen, die er nicht glauben konnte. "Es war alles so vergeblich. Deine Güte und Herzenswärme. Warum musst du auch so nett und lieb und zärtlich sein? Warum musst du für mich da sein? Warum musste ich mich trotz allem in dich verlieben?" Ihre Augen öffneten sich. Es stand Entschlossenheit darin und ein Feuer, das ihrem Naturell widersprach. "Es ist dein Recht, mich zu hassen, aber... aber es ändert nun auch nichts mehr." Unglaube stand in Hiros Gesicht. Er konnte oder wollte es nicht glauben. All die Zeit, in der er nicht mehr als eine Zerstreuung war, ein Mittel zum Zweck und nun das. Er hatte es sich immer erhofft, aber war es nicht wieder mehr als eine Lüge? Ein Schatten huschte auf ihn zu. Etwas prallte gegen seinen Körper und ließ ihn das Gleichgewicht verlieren. Dumpf fiel er mit dem Hintern auf den Boden und versuchte den Schmerz zu ignorieren. Er spürte warmen, weichen Druck auf seinen Lippen und riss überrascht die Augen auf. Verschwommen erkannte er blaue Augen voller Ernsthaftigkeit. Ayaka löste sich. Sie kniete nun zwischen seinen Beinen und blickte ihn entschlossen an. Er reagierte nicht. Dafür war er viel zu überrascht. Sein Hirn brauchte noch, um all das Geschehene zu verarbeiten. "Bitte, schick mich nicht weg." Ayakas Stimme war liebevoll und weich. Verzweifelt klammerte sie sich an ihn, schlang ihre Arme um seinen Hals und presste sich gegen seinen Körper. "Bitte, lass mich bei dir bleiben! Ich brauche dich nicht mehr, um von Eiri-san loszukommen. Ich brauche dich, weil ich dich liebe." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)