Training im Schnee 3 oder Wenn Beyblader erwachsen werden... von Venka (Der längste Teil und gleichzeitig das Ende der TiS Trilogie) ================================================================================ Kapitel 16: Verteufelte Erinnerungen ------------------------------------ Wieder Sonntag und ein neues Kapitel erwartet euch! Viel Spass!!! Lillie und Venka ________________________________________________________________________ Am Sonntag saßen die Freunde alle gemeinsam in den Kirchenbänken und lauschten den Worten und Gesängen. Für die Meisten von ihnen war es ein völlig neues Erlebnis und sie waren ihm gespannt entgegen getreten. Ian, Spencer, Bryan und Tala sangen hier und da einen Vers mit oder sprachen ein paar Worte gemeinsam mit der Gemeinde, aber in Gedanken waren sie um sechs Jahre zurück versetzt. Damals hatten sie diesen prächtigen Bau zum letzten Mal betreten, denn auch Ian und Spencer hatten es vermieden hier her zu kommen. Ebenfalls in Gedanken versunken waren Kai und Ray. ,Das einzig Positive ist, dass wir hier vor sechs Jahren zusammen gekommen sind...' dachte Ray und zwischen dem düsteren Ausdruck in seinem Gesicht huschte ein Lächeln über seine Mundwinkel. "Ich musste auch gerade daran denken." flüsterte Kai seinem Geliebten zu und legte seine Hand auf die des Chinesen. Er hatte ihn genau beobachtet und das flüchtige Lächeln war ihm nicht entgangen. Ray blickte ihn überrascht an und begann dann zu lächeln als er in das Gesicht des jungen Mannes sah, den er über alle Maßen liebte. Hand in Hand verbrachten sie den Rest des Gottesdienstes, jeder wieder in seiner Gedankenwelt versunken. Nachdem der Gottesdienst zu Ende war, kam Sarah aufgeregt auf ihre beiden Papas zugelaufen, die inmitten der Freunde standen, die über das eben Erlebte plauderten. Sie war die Zeit über bei Judy geblieben und hatte sie mit Fragen gelöchert. Geduldig hatte die blonde Frau dem Kind Auskunft gegeben. Nun musste Sarah ihr neu erworbenes Wissen unbedingt erzählen. "Ich weiß was!" selbstbewusst blickte sie Kai an, der sie an seine freie Hand nahm.. "Was denn, Sonnenschein?" interessiert wandte er sich dem Kind zu. "Hier sind Katznbombm!" sagte sie im vollen Ernst. "Was sind hier?" Kai sah sie ungläubig an. "Katzenbomben!" wiederholte sie deutlicher. "Was sind denn Katzenbomben?" Kai konnte sich nicht erklären, was Sarah ihm versuchte zu erzählen. "Na, hier drunter!" zu ihrer Erklärung deutete sie unmissverständlich auf den Boden. Bevor Kai etwas darauf erwidern konnte, brach Ray in schallendes Gelächter aus. Sofort lenkte er die Aufmerksamkeit der Freunde auf sich. Es war schließlich das erste Mal, seit sie hier waren, dass Ray so herzhaft lachte. "Ach so, du meinst die Katakomben unter der Kathedrale." sagte er grinsend zu dem Kind. Doch im selben Moment wurde ihm klar, worüber er gelacht hatte und schlagartig verfinsterte sich seine Miene wieder. "Sag ich doch! Katzenbomben!" meinte Sarah mit ihrer kindlichen Überzeugung das Richtige Wort gebraucht zu haben. "Sie heißen Katakomben." verbesserte Tyson nun das Kind, wobei er das Wort stark gedehnt und betont aussprach. "Hier gibt es Katakomben?" fragte Jessica neugierig. "Ja." bestätigte ihr Tala und als er ihr Interesse sah, fuhr er fort: "Unter vielen alten Gebäuden gibt es unterirdische Gruften und diese hier sind sogar recht gut erhalten." "Ehrlich?" mischte sich jetzt auch Akiko ein. "Können wir die uns vielleicht mal ansehen?" "Au ja, das wär' super!" fand die Idee auch bei Rogue ihre Zustimmung. "Ich weiß nicht, ob sie noch zugänglich sind. Vielleicht sollten wir das besser verschieben." sagte Kai. Er hatte bemerkt, dass Rays Miene bei dem Interesse für die unterirdischen Räume noch düsterer wurde. "Will sehen! Bitte, bitte!" begann Sarah zu betteln. "Vielleicht später!" versuchte Kai sie umzustimmen. "Das muss gut geplant werden, denn es ist ein großes Labyrinth und ohne den richtigen Führer können wir uns da unten mächtig verirren." Mit dieser Erklärung wollte er auch die anderen von ihrem Vorhaben ablenken, aber es kam anders. Herr Ljubow hatte das Gespräch mitbekommen und war nun der festen Überzeugung den jungen Leuten eine Freude zu machen, wenn er eine Besichtigung organisierte. "Natürlich ist es möglich sich die Katakomben anzusehen!" sagte er. "Der hiesige Hausmeister kennt die Räume wie seine eigene Westentasche." "Warst du nicht auch schon da unten, Ray?" erinnerte sich Tyson. "Ja." antwortete dieser knapp. "Dann kennst du dich ja auch ein bisschen aus!" vergnügt klopfte er ihm auf die Schulter. "Es kann also gar nichts schief gehen." "Tyson, du könntest etwas feinfühliger sein!" forderte Kenny seinen Teamkameraden auf, denn ihm war der verwünschende Blick seitens Ray nicht entgangen. "Kennen sie denn den Hausmeister?" fragte Rogue Herrn Ljubow. "Ein bisschen, ja! Wenn ihr wollt, kann ich ihn suchen gehen!" schlug er sofort vor. Dieses Angebot stieß bei den jungen Frauen sofort auf Begeisterung und auch Sarah drückte ihr Vergnügen lautstark aus. Ihre gute Laune färbte augenblicklich auf die anderen ab. Selbst Tala, Bryan, Ian und Spencer ließen sich anstecken und so wurde die Besichtigung beschlossen. "Während ich den Hausmeister suche, könnt ihr euch schon mal die Jacken anziehen. Es ist ganz schön kalt da unten." sagte Herr Ljubow und entfernte sich von der Gruppe. "Was sagst du dazu?" fragte Kai leise an Ray gewandt. "Das scheint keine Rolle zu spielen!" erwiderte dieser knurrig. "Für mich spielt es eine Rolle." offen blickte der Russe ihm in die Augen. Doch Ray schwieg und wich seinem Blick aus. "Vielleicht ist es besser, wenn ich mit Sarah hier bleibe. Diese Kellerräume sind nichts für ein kleines Kind!" brach Ray zwanzig Minuten später sein Schweigen als sie gemeinsam mit dem Hausmeister vor der Treppe standen, die sie nach unten führen würde. "Nein, will auch!" widersprach Sarah energisch. "Was soll denn schon passieren, Ray?" meinte Yuri aufmunternd. "Lass sie doch ruhig mitkommen!" Ray gab stillschweigend durch ein Kopfnicken seine Einwilligung und der Hausmeister ging voran die Treppen nach unten. Als er am Ende angekommen war, holte er ein paar Laternen aus einer Nische und verteilte sie unter den jungen Leuten. "Für mich ist das nichts mehr." meinte Judy plötzlich und trat beiseite. "Mir ist es hier unten zu schaurig zwischen all den Särgen und was weiß ich noch. Ich werde mir ein wenig die Kathedrale ansehen!" "Ray, willst du nicht lieber bei Judy bleiben?" fragte Kai leise, worauf dieser liebend gern Zugestimmt hätte. Doch Sarah kam seiner Antwort zuvor. Sie hatte die Frage genau gehört und teilte nun Papa Ray unmissverständlich mit, dass sie ihn unbedingt dabei haben wollte. Ray war darüber nicht glücklich, aber seinem Bienchen konnte er einfach nichts abschlagen und so betrat er als Letzter die unterirdischen Gewölbe, die er seid sechs Jahren zu vergessen versuchte... Schon kurz nach Beginn der Besichtigung hatte sich Sarah auf Kais Arm zurückgezogen und forderte nun seine gesamte Aufmerksamkeit. Sie wurde es nicht müde Fragen über Fragen zu stellen und Kai versuchte sie alle kindgerecht zu beantworten. Kai mit Sarah auf dem Arm, Akiko und Oliver, Rogue und Tala, Yuri und Bryan sowie Jessica und Tyson liefen direkt hinter dem Hausmeister her. Sie ließen sich alles genau zeigen und erklären, was Herr Ljubow als Dolmetscher so genau wie möglich für die Gruppe übersetzte. Josie, Lee und Alex gingen hinter ihnen, gefolgt von Michael, Mariah, Eddi und Steve. Ian und Spencer bildeten mit Gary, Kevin, Emily, Max und Kenny ein Grüppchen, an das sich Enrique, Robert, Jonny und Ray anschlossen. "Ist dir schlecht? Du siehst so blass aus!" stellte Jonny bei einem Seitenblick auf Ray fest. "Geht schon." antwortete der Chinese knapp, womit er andeutete, dass das Gespräch hier bereits für ihn beendet war. Innerlich hatte wieder ein Kampf der Erinnerungen begonnen. Und je näher sie der Grabkammer kamen, in der Kai vor sechs Jahren sein Spielchen mit ihm getrieben hatte, desto realer kamen ihm die alten Bilder vor, die sich bereits wieder über ihn gestürzt hatten. Bewundernd stand die Gruppe wenig später in einer größeren Grabkammer mit mehreren Sarkophagen, die kunstvoll aus Stein gehauen waren und kleine Figuren und Blumen zeigten. Ray war leichenblass unter dem Torbogen, der den Eingang zu der Gruft zierte, stehen geblieben. Entsetzen starrte aus seinen Augen. ,Das ist es...' drang es in seine Gedanken. ,Hier ist es gewesen!' Langsam und ohne dass er es eigentlich wollte, setzte er einen Fuß vor den anderen bis er zwischen zwei Särgen stand. Gebannt starrte er auf die vor ihm befindliche Wand. Fünf Ringe, die in die Mauer eingelassen waren, blitzten im Licht der Laternen auf. Als der Hausmeister diesen Blick wahrnahm, erzählte er auch sofort etwas dazu, was Herr Ljubow pflichtbewusst für die Gruppe übersetzte. "Diese Ringe..." begann er "...wurden früher vermutlich dazu benutzt, Feinde der hier zur Ruhe gelegten Familie anzuketten, damit die Seelen der Toten sie quälen konnten bis sie freiwillig das Tor zur Hölle betraten." "Das klingt ja grausam!" flüsterte Akiko Oliver zu und klammerte sich an seinen Arm. "Also ich möchte da nicht angekettet sein." stellte Rogue fest. "Ich auch nicht." versicherten Yuri und Jessica dem zustimmend. Auch Sarah wurde ängstlich, aber auf Kais Arm fühlte sie sich recht gut beschützt und kuschelte sich zur eigenen Bestätigung an seine Schulter. "Wir gehen weiter!" meldete Herr Ljubow der Gruppe und die Ersten begannen bereits durch den Torbogen wieder in den Gang zu treten. Ray starrte noch immer auf die Wand mit den fünf Ringen. Plötzlich sah er sich selber dort zusammengekrümmt sitzen. Er konnte beobachten wie Kai ihn gerade ankettete, dann wie er, Ray, ihn anflehte er solle zur Vernunft kommen. Und schließlich wie Kai zu ihm zurück kam mit diesem zärtlichen und liebevollen Ausdruck im Gesicht. Nun küssten sie sich... Ray zuckte zusammen als er eine Hand auf der Schulter spürte. "Wir gehen weiter!" hörte er Jonny sagen. Doch anstatt etwas zu erwidern, stieß Ray unsanft die Hand des Freundes beiseite und starrte ihn an. Jonny starrte verstört zurück. Mit dieser Reaktion hatte er nicht gerechnet und mit dem entsetzten Ausdruck in den Augen des Chinesen schon gar nicht. "Mir ist schlecht..." murmelte Ray und rannte dann an Jonny vorbei. Ganz automatisch lenkte er seine schnellen Schritte in Richtung Ausgang des Labyrinths. Er konnte nicht erklären, woher er den Weg kannte, er wollte und konnte auch gar nicht darüber nachdenken. Ray rannte einfach nur vorwärts, die Treppe nach oben, an Judy vorbei, die sich gerade den geschmückten und verzierten Altar anschaute und zum Eingansportal hinaus. Trotz der kalten Luft, die ihm entgegen schlug, rannte er noch ein Stück weiter. Plötzlich wurde ihm schwindlig und ohne dass er etwas daran hätte ändern können, musste er sich übergeben. Vollkommen erschöpft taumelte er einige Schritte rückwärts, dann setzte er sich in den nassen Schnee und lehnte seinen Oberkörper gegen einen Baum. Kraftlos schloss er die Augen. "Ray! Ray!" Wie aus weiter Ferne hörte er ein energisches Rufen seines Namens und spürte kurz darauf ein unangenehmes Rütteln an den Schultern. "Lass mich..." nörgelte er, die Augen immer noch geschlossen haltend. "Ray, komm schon! Wach auf!" forderte die Stimme jedoch weiter. Es war Judy. Sie hatte Ray natürlich bemerkt, wie er leichenblass durch die Kathedrale nach draußen gerannt war und war ihm gefolgt. Nun versuchte sie mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln den Chinesen wieder wach zu kriegen. Als dieser jedoch auch auf eine wiederholte Aufforderung keine Reaktion zeigte, gab sie ihm ein paar Ohrfeigen. Durch das plötzlich auftretende Brennen in seinem Gesicht, entschloss sich Ray endlich die Augen aufzumachen. "Judy..." stammelte er. "Es war so... - Sein Gesicht... - Und das Lächeln..." "Um Himmels Willen, Ray! Was ist den passiert?" besorgt versuchte sie den abgehackten Wörtern einen Sinn zu geben. Aber ihre Mühen waren vergebens und aus Ray war kein weiteres Wort mehr herauszubekommen. Sie schaffte es nicht einmal ihn zum Aufstehen zu bewegen. "Judy, was ist mit ihm?" Die Frau drehte sich überrascht um. "Jonny! Du hast mich vielleicht erschreckt!" sagte sie aufatmend. "'Tschuldigung, war keine Absicht!" entschuldigte sich der junge Mann. "Schon gut! Hilf mir lieber!" forderte sie Jonny nun auf. "Der glüht ja förmlich!" stellte Jonny fest als er ihn berührte um ihn auf die Beine zu ziehen. Sogleich legte Judy dem Chinesen eine Hand auf die Stirn. "Du hast Recht! Wir sollten ihn schnell ins Herrenhaus zurückbringen. Hoffentlich hat er sich nichts Ernstes eingefangen..." Mit vereinten Kräften brachten sie Ray zu einem der Pferdeschlitten, mit denen sie gekommen waren. "Ich fahre mit Ray voraus und versuche unterwegs einen Arzt zu organisieren. Es wird das Beste sein, wenn du hier bleibst und den anderen Bescheid gibst, wenn sie mit der Besichtigung fertig sind." Judy wartete erst gar keine Antwort ab, sondern gab dem Kutscher das Zeichen zum Losfahren. Judy stand eine Stunde später hilflos vor der Tür zu Rays und Kais Zimmer. Der Arzt war kurze Zeit nach ihrem Eintreffen angekommen und untersuchte Ray gerade. Es dauerte nicht mehr lange, bis sich endlich die Tür öffnete. Judy stürzte sofort auf den Arzt zu. "Wie geht es ihm?" fragte sie besorgt. "Ich habe Beruhigungsspritze gegeben und Junge jetzt schlafen." berichtete er in gebrochenem Englisch. "Ist es sehr schlimm?" erkundigte sich die blonde Frau weiter. "Nein, nein. Morgen sein wieder gut." beruhigte der Arzt. "Was hat er denn?" "Nur klitzekleines Nervenzusammenbruch!" aufmunternd sah der Arzt sie an. "Ist nichts Schlimmer, wirklich. Ich müssen weiter, noch andere Patienten!" sagte er und reichte ihr die Hand. "Danke, Herr Doktor, dass sie so schnell da waren!" etwas beruhigt ergriff sie dankend die Hand des Arztes. "Ich begleite sie noch zur Tür!" fügte sie hinzu und ging dann voran. Sie hatte den Arzt gerade verabschiedet als sie in einiger Entfernung mehrere Pferdeschlitten entdeckte, die auf das Herrenhaus zu fuhren. Weil es ihr aber draußen zu kalt war, ging sie wieder in das Haus und erwartete im Kaminzimmer die Ankunft der Freunde. Es war bereits dunkel geworden als Ray aus seinem Schlaf erwachte. Vorsichtig setzte er sich im Bett auf. In seinem Kopf begann es zu hämmern und ein unangenehmer Schwindel trat erneut auf. Ray setzte sich an den Bettrand und stützte den Kopf auf die Hände. In dieser Stellung verharrte er eine Weile, bis sich das Hämmern und der Schwindel etwas gelegt hatten. Dann stand er langsam auf und zog sich eine Trainingshose an und einen Pullover über das T-Shirt. Während er sich vorsichtig nach unten in das Kaminzimmer begab, musste er immer wieder gegen auftretende Schwindelattacken ankämpfen. "Ray! Was machst du denn hier!" Emilys überraschte Stimme ließ Ray herumfahren. Ein erneuter Schwindel ging durch seinen Kopf und er musste sich an der Wand abstützen, damit er nicht stürzte. Besorgt kam die junge Frau auf ihn zugelaufen. "Judy hat uns erzählt, dass es dir nicht so gut geht und du bis morgen im Bett bleiben solltest!" "Geht schon wieder..." murmelte der Chinese auf den Boden blickend. "Vielleicht solltest du dich doch lieber wieder hinlegen!" Es war nicht zu überhören, dass sie sich um den Freund Sorgen machte. "Ich sagte doch, dass es mir wieder gut geht!" sagte Ray gereizt. "Wenn du meinst!" Überrascht macht Emily einen Schritt nach hinten. "Tut mir leid. Ich hab nur wahnsinnige Kopfschmerzen..." versuchte Ray seine Gereiztheit zu rechtfertigen. "Ist schon ok." Die junge Frau spürte, dass es Ray peinlich war, wie er sie angegangen war und wechselte nun das Thema. "Die anderen sind im Kaminzimmer. Sarah wird froh sein dich zu sehen. Sie hat richtig geweint als Judy erzählte, dass es dir nicht so gut gehen würde." "Mein kleines Bienchen..." er musst unwillkürlich über die Naivität des Kindes schmunzeln. "Soll ich dich begleiten?" fragte Emily vorsichtig. "Danke, Emily!" "Hier!" hilfreich bot sie ihm ihren Arm. "Stütz dich ab!" Ray stützte sich dankbar auf Emilys Arm, denn seine Knie waren ungewöhnlich weich und so wackelig hatte er sich noch nie gefühlt. Auf dem Weg zum Kaminzimmer ermahnte er sich selbst immer wieder, sich zusammen zu reißen. Und es schien zu wirken. Mit fast jedem Schritt festigte sich sein Gang und als sie die Tür erreicht hatten, konnte er sogar Emilys Arm los lassen. "Seht mal, wen ich aufgegabelt habe!" rief Emily in den Raum hinein, kurz nachdem sie die Tür geöffnet hatte. "Papa!" mit diesem glücklichen Schrei warf sich Sarah dem Chinesen sofort entgegen. "Hey, Bienchen!" mit etwas Mühe das Gleichgewicht nicht zu verlieren bückte sich Ray zu seiner Tochter hinunter und nahm sie in die Arme. Judy hatte wohlweislich die richtige Diagnose des Arztes verschwiegen und statt dessen erzählt, dass Ray etwas Schlechtes gegessen haben musste, worauf ihm schlecht geworden war. So ahnte niemand, nicht einmal Kai, was in Wirklichkeit die Ursache gewesen war und da Ray Montag betonte, dass es ihm wieder gut geht, hinterfragte es auch keiner. Allerdings fiel Kai am Montag Abend auf, dass sich Ray den ganzen Tag kaum hatte blicken lassen und wenn er sich etwas länger in der Gegenwart der anderen aufgehalten hatte, hatte er sich entweder um Sarah gekümmert oder still grübelnd in einer Ecke gesessen. "So geht das nicht weiter!" sagte Kai vor dem Schlafengehen lieb, aber bestimmt zu Ray. "Was meinst du?" war die leicht gelangweilte Antwort des Chinesen, der bereits im Bett lag und die Augen geschlossen hielt. "Ich meine, dass du dich ständig zurückziehst!" sagte der Grauhaarige und da Ray keine Antwort gab, fuhr er fort. "Du bist schon die ganze letzte Woche so abweisend und still gewesen. Ich dachte wir machen uns hier drei schöne Wochen zusammen mit Sarah und unseren Freunden!" "Du dachtest..." murmelte Ray leise. "Was gefällt dir hier bloß nicht?" Kai setzte sich auf die Bettkante und schaute Ray an. "Es ist doch sehr schön hier!" antwortete dieser sarkastisch. "Ist es, weil wir schon mehr hier waren als in deiner Heimat?" "Nein, natürlich nicht." "Was ist es dann?" Ray schwieg auf diese Frage. Konnte er es wagen, Kai die Wahrheit zu sagen. Er wusste genau, was das letzte Mal passiert war, wo sie das Problem mit Sarah gehabt hatten. Aber er wusste ebenso, dass er Kai mit der Wahrheit sehr verletzen würde... Und dann kamen ihm die Worte über die Lippen, die er nie hatte sagen wollen. "Ich hasse diesen Ort!" Er flüsterte die Worte nur, doch Kai reichte das aus um Rays tiefste Verachtung spüren zu können. Kai fühlte sich wie vor den Kopf gestoßen. Er war so geschockt, dass er nichts darauf erwidern konnte, was Ray als Gesprächsende auffasste und sich mit dem Rücken zu Kai drehte. Ray hatte gesagt, er hasse diesen Ort, an dem er, Kai, aufgewachsen war, der seine Heimat war. Was immer auch er hier erlebt hatte, dieser Ort gehörte zu ihm. Nach dieser Überlegung gab es für Kai nur ein Fazit: ,Ray hasst also einen Teil von mir!' schlussfolgerte er niedergeschlagen, worauf sich ihm sofort neue Fragen aufdrängte. ,Aber welchen? Hat das was mit der Sache von vor sechs Jahren zu tun?' Nach längerem Hin- und Herüberlegen blieb schließlich nur eine Frage in Kais Gedanken haften: Was ist da unten vor sechs Jahren passiert? Die Antwort auf diese eine Frage erhielt Kai zwei Tage später, allerdings nicht von Ray, sondern von Sarah. Da es draußen schon vor dem Aufstehen angefangen hatte zu schneien und der Wind noch während des Frühstücks enorm zunahm, beschlossen die Freunde lieber drin zu bleiben. Sie kramten alle Spiele heraus, die sie finden konnten und machten es sich im Kaminzimmer bequem, außer Ray, der sich mal wieder zurückgezogen hatte und nicht auffindbar war. Sarah nutzte diese Gelegenheit um in einer Seelenruhe und voller kindlicher Neugier das Herrenhaus zu erforschen. Schließlich gab es hier noch so viele Räume, in denen sie noch nie gewesen war und so viele Schreibtische mit Fächern, sogar solche, die man nur durch viel Suchen und mit Glück entdecken konnte. Ihre Neugier trieb sie Treppe für Treppe und Raum für Raum weiter. Überall wo sie für ihre Finger etwas Verlockendes fand, drückte sie drauf oder versuchte es anderweitig zu bewegen. Wie groß war da ihre Freude, als sie einen Knopf entdeckte, bei dessen Betätigung sich ein kleines Schubfach in der Wand öffnete. "Ein Satz..." flüsterte sie mit großen Augen als sie in das Schubfach hineinschaute. Vorsichtig griff sie in das Fach und holte die Schachtel heraus, die darin gelegen hatte. Mit aller Sorgfalt verschloss sie das Geheimfach wieder und trug dann die Schachtel wie ein rohes Ei aus dem Raum. Sie war noch nicht sehr lange auf dem Weg zurück in den Kaminraum als sie auf Kai traf. "Guck mal!" forderte sie ihn glücklich strahlend auf und hielt ihm ihren Schatz entgegen. "Was hast du denn da?" interessiert nahm er Sarah die Schachtel ab und betrachtete sie. "Weiß nich." "Und woher hast du das?" "Gefunden!" "Und wo?" "Da!" sagte sie mit unterstützendem Fingerzeig in die Richtung, aus der sie gerade gekommen war. Kai hatte die Schachtel hin- und hergedreht und dabei eine kleine Lasche entdeckt, mit der er sie öffnen konnte. Er staunte nicht schlecht als ein Videoband zum Vorschein kam. Nachdem er die Kassette vom Staub befreit hatte, konnte er drei eingeprägte Wörter lesen: Projekt: Black Dranzer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)