Interitus von Daedun (Schatten der Vergangenheit) ================================================================================ Kapitel 37: Veritas ------------------- London 1992 Er konnte sie hören, wie sie barfuss über den weichen Teppich ihres Zimmers ging. Leise vor sich hin summend. Wie ihre Mutter, dachte er. Die hatte auch immer gesungen, als wenn ihre eigene, melodische Stimme, die Stille aus den dunklen Zimmern vertreiben konnte. Sie ging jetzt zu ihrem Kleiderschrank hinüber um sich einen neuen Rock und eine gestärkte Bluse zu holen, die ihren noch immer kindhaften Körper verhüllen sollten. Er zog die Luft ein. Kein Parfüm, nur der süße Duft der Seife, mit der sie geduscht hatte. Sie war fast fertig mit ihrer Garderobe, es fehlte nur noch die Schleife, die sie mühsam um ihren schlanken Hals knotete. Sie sah dabei in den Spiegel, der vor ihr auf der Kommode stand, sah ihm direkt in die Augen, ohne zu wissen das er da war. Als sie die Brille auf die Nase setzte und sich noch einmal vom tadellosen Sitz ihrer Kleider überzeugt hatte, drehte sie sich um und verließ den Raum. Ließ ihn im Spiegel zurück. „Beeil dich!“ flüsterte er ohne Stimme. „Er hasst es, wenn du zu spät kommst. Du sollst doch lernen dich gegen mich zu verteidigen. Sollst alles lernen, was nötig ist um gegen mich zu bestehen.“ Paris Seras Finger versuchten vergeblich die Schneide aus ihrem Hals zu ziehen. Sie röchelte und schmeckte Blut in ihrem Mund, das sie vor sich auf das Pflaster spie. Hinter ihr loderten die Flammen und das Geräusch von brechendem Holz vermischte sich mit dem Geschrei von herbei eilenden Menschen. Jemand packte sie auf einmal von hinten, hob sie hoch und warf sie auf die Ladefläche der Kutsche. Noch bevor Seras sich von der Überraschung erholen konnte preschten die Pferde davon und sie wurde hart gegen die Planken der Kuschte geschleudert. Noch immer brannte die Klinge in ihrem Fleisch, wie Feuer. Mühsam hob sie den Kopf und erkannte Anderson breiten Rücken auf dem Bock. Seine schwarze Robe war zum größten Teil zerlöchert und wehte wie die Flügel einer riesigen Fledermaus hinter ihm her, während sie durch die Nacht fuhren. Colle bedeutete den Vampiren ihm weiter durch die Gänge zwischen den Regalen zu folgen, bis sie auf eine gemütlich wirkende Sitzgruppe aus rotledernden Stühlen stießen auf die er deutete. „Bitte nehmen sie Platz, das was wir ihnen zu erzählen haben, wird eine Weile dauern.“ Migel wechselte einen raschen Blick mit Alucard. „Verzeihen sie uns unsere Unhöflichkeit Pater, aber unsere Zeit ist begrenzt, deshalb...“ „Ich werde so schnell wie möglich zum Punkt kommen.“ Versprach der Geistliche. Er winkte dem kleinen Mönch, der sie begleitet hatte heran und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Die Augen des alten Mannes weitet sich erstaunt, bevor er mit eiligen Schritten verschwand. Colle ließ sich danach ebenfalls mit einem leisen Seufzer auf einen der Stühle nieder. „Ich habe Pater Linus gebeten rasch die Schriftstücke zusammen zu tragen, die wie ich finde, Antworten auf ihre Fragen geben werden.“ Sie brauchten nicht lange zu warten, bis der kahle Kopf des Mönchs wieder hinter den Büchern auftauchte. Unter seinen Armen waren ein paar Rollen Pergament geklemmt, die er vorsichtig vor ihnen entrollte. Alucard und Integra beugten sich neugierig nach vorn. Vor Seras Augen begannen bunte Sterne zu tanzen und sie merkte wie ihr langsam die Kräfte ausgingen. Wieder hielt die Kutsche und Anderson drehte sich langsam zu ihr um. In den Gläsern seiner Brille spiegelte sich der Mond, so das sie seine Augen nicht erkennen konnte. „ „Gar nicht schlecht von dir Miststück, aber vielleicht hättest du mir vorher erzählen sollen, was du vorhast.“ Seras schüttelte ein Hustenkrampf „Das war eine spontane Idee“ presste sie hervor. Anderson schwieg und beugte sich dann zu ihr hinunter. Mit einem schnellen Ruck riss er die Klinge nach hinten und Seras schrie auf. „Du musst dir schon mehr einfallen lassen um mich los zu werden.“ Integras Augen erkannten Zeilen die aus lateinischen und griechischen Wörtern bestanden. Mühsam versuchte ihr Gehirn die Sätze zu Sinnvollem Inhalt zu formen. „Am Anfang war nur die Stille und die Dunkelheit aus der es kein Entrinnen gab,“ las sie leise, „ der Hunger schien ihn zu zerreißen, doch er wusste das kein Saat und kein Vieh ihn jemals stillen konnten. Nur der reine Quell des Lebens vermochte sein seelenloses Fleisch noch zu erfüllen, doch dafür musste er seine Sünde immer und immer wieder erneut begehen, auf das es niemals Gnade für ihn gebe.“ Sie sah Colle an. „Was, ist das etwa...?“ „Die Geschichte unseres Schöpfers.“ Antwortete Alucard mit schneidender Stimme. „Nur aus einer anderen Perspektive.“ In seinem Gesicht war ein Ausdruck getreten, den Integra noch nie bei ihm gesehen hatte. „Lesen sie weiter.“ Hörte sie Colle sagen und nach einem Moment des Zögerns, richtete sie ihren Blick wieder auf das vergilbte Papier. „So begann er die Nächte wie ein wildes Tier zu durchstreifen, auf der suche nach der Beute, die seine Gier stillen konnte. Doch schlimmer als der Hunger war die Einsamkeit, die ihn wie eine Welle überrollte, sobald er die Augen aufschlug.“ Sie sah noch einmal hoch. „Das ist wirklich interessant, wenn man die Geschichte schon einmal aus einer anderen Sichtweise erzählt bekommen hat.“ Colle lächelte wieder. „Geschichte wird nicht von den Ereignissen gemacht, sondern von denen die sie aufschreiben. Aber sie haben auf der zweiten Seite angefangen, dass worum es mir geht, steht auf der anderen. Und er langte nach unten um das Blatt umzudrehen. Seine knubbeligen Finger deuteten auf den dritten Absatz. „Hier lesen sie uns das vor.“ „Das können wir uns sparen Hochwürden, ich glaube den Inhalt kennen wir schon.“ Alucard lehnte sich zurück und sagte noch einmal den Text auf, den Anderson in einst im Schiff präsentiert hatte. Colle zog überrascht die Augenbrauen hoch. "Deshalb verfolgen wir diese Spur Pater. Wir glauben das in der Welt der Dunkelheit die Rettung Sterblichen liegt.“ Integra sah Alucard an „Wir?“ Doch Colles ruckhaftes Aufstehen lenkte sie ab. Der Abt schien auf einmal nervös. „Ich verstehe nicht ganz..“ Plötzlich schien sich die Atmosphäre schlagartig zu verändern. Jabsend stütze sich Seras auf ihren Unterarmen ab, der Schwindel wurde nun immer stärker, obwohl die gesegnete Klinge ihren Körper nicht mehr quälte. Der Oberkörper des Priesters tauchte vor ihr auf. „Na was ist? Fehlt es dir an etwa an Kraft um dich von der kleinen Stichverletzung zu erholen?“ Etwas an seiner Stimme ließ sie hellhörig werden. Blinzelnd sah sie ihn an. Jetzt konnte sie seine grünen Augen sehen, in der ein merkwürdiger Glanz getreten war. Er hob die Klinge „Wäre es nicht schön, wenn diese gottlose Schwäche endlich vorbei wäre?“ Seras spürte wie die Angst in ihr hoch kroch. Sie war außerstande sich zu bewegen und rechnete jede Sekunde damit das Anderson sie mit einem Schlag in die Hölle beförderte. Doch er ließ das Silber nicht auf sie nieder fahren, sonder zog sich die Scheide mit einer einzigen Bewegung durch die Innenfläche der anderen Hand. Es gab ein schmatzendes Geräusch, als das Metal das Fleisch aufschlitzte. Seras konnte nicht glauben was sie sah. Der Priester streckte ihr nun die blutende Handfläche entgegen und das Tier in ihr lechzte nach den roten Tropfen. Sie hörte seine raue Stimme in ihren Ohren, als sie zitternd nach seinem Handgelenk griff und ihre Lippen die Flüssigkeit auffingen „Nichts ist so beschämend wie das Eingeständnis das eine niedrige Sehnsucht wie die Fleischeslust einen beherrscht.“ Murmelte er und stöhnte dann leise, als Seras immer heftiger anfing zu saugen. Als die Schwäche langsam von den roten Strahlen davon gespült wurde, blinzelte die Vampirin unter ihren Haaren hervor. Anderson hatte mit einem verzückten Gesichtsausdruck die Augen geschlossen. Er genoss es! Er genoss es in vollen Zügen, dass sie von ihm trank. Integra sah aus den Augenwinkeln, wie Alucard die Fingerspitzen aneinander legte. „Oh doch, sie wissen was ich meine. Schließlich ist doch dieses Schriftstück und ihr Orden der Grund dafür warum uns die Iscariot überhaupt jagt, nicht war?“ Colles Gesicht war wie versteinert, während Alucard ungerührt weiter sprach „Ich muss zu geben, dass ich am Anfang das gesamte Netz nicht durch schaut habe, dass sie in all den Jahrhunderten gesponnen haben bzw. noch spinnen werden, aber als ich sie heute Abend sah, wusste ich es. Hier liegt der Anfang der Geschehnisse, welche die alte Welt zu zerstören drohen.“ Integra sah zu Migel hinüber, der seinen alten Freund mit ebenso vielen Erstaunen anstarrte wie sie und Colle. „Wovon redest du da?“ Der Vampir grinste amüsiert. „Die Rose der Weisheit, hat durch ihre Forschung schon früh erkannt, das die alte Religion die Welt nicht vor der Habgier der Menschen retten kann und das ihre Fessel des Glaubens nicht ewig die Menschen bannen kann. Darum hat sie beschlossen einen Neuanfang zu planen, nach ihren eigenen Vorstellungen und ihren eigenen Regeln.“ „Aber was hat die Iscariot mit all dem zu tun? Ich denke sie sind selbst gegen diesen Bund hier?“ ereiferte sich Integra fassungslos. „Oh sicher, doch sie arbeiten genau aus diesem Grund für die Rose. Sie hat die 13 Inquisition absichtlich auf sich selbst und uns aufmerksam gemacht und dafür gesorgt, dass sie wissen wie man uns beseitigt. Das sie dafür selbst im Verborgenen leben müssen, ist ein Preis den man für das große Ziel in Kauf nehmen muss.“ „Genug jetzt!“ Anderson versuchte seinen Arm zurück zu ziehen, doch Seras Fangzähne ließen ihre Beute nicht los. Erst als er mit der freien Hand ihren Kopf unsanft nach oben drückte ließ die Vampirin mit einem giftigen Knurren von ihm ab. Von ihren Lippen perlte ein letzter Tropfen Blut. Der Priester schaute sie eine Sekunde mit einem unergründbaren Blick an, dann wischte er ihn mit einer ungewohnt sanften Geste fort. Noch immer sagte keiner von ihnen ein Wort, bis ein lauter Schuss aus der Ferne, sie aus ihrer Erstarrung riss. Sie wandten sich dem Gebäude zu, vor dem die Kutsche stand. Anderson nickte zu dem rot Gemauerten Gebäude hinüber, dass wie ein Fels in der Brandung zwischen den spärlichen Häusern vor ihnen aufragte. „Los wir müssen uns beeilen!“ Colle starrte Alucard immer noch bewegungslos an. Dann hörten sie ihn leise murmeln. „Was für eine wundervolle Sache die Menschheit ist. Leidenschaft, Intelligenz, voller Hoffnung und Genialität, sprühender Geister und...“ „Schrecklich köstlich im Geschmack“ Alucard stand auf. „ Im Grunde kann man ihn ihren Gedanken nicht verübeln. Die Menschen sind tatsächlich nicht in der Lage sich selbst in Frieden zu verwalten. Doch glauben sie wirklich, dass ihre Welt es besser kann?“ „Eines verstehe ich dabei immer noch nicht? Wenn er doch alle Fäden in der Hand hat, warum hat er es zugelassen, dass wir bis hier her gekommen sind?“ fragte Migel, der wie Integra immer noch völlig verwirrt auf dem Stuhl saß. „Tja das war ein Fehler im großen Plan des erhabenen Meisters. Eigentlich sollten wir alle schon eingeäschert sein. Das war auf jeden Fall der Auftrag unseres Schweinepriesters, doch leider ist der Gute auf der Reise durch die Zeit vom rechten Weg abgekommen.“ Die Augen des schwarzhaarigen Vampirs blitzen amüsiert. „Ich war selbst überrascht, aber manchmal sind die einfachsten Leidenschaften die effektivsten.“ „Genug jetzt!“ die Heftigkeit der alten Stimme ließ die drei Vampire kurz zusammen fahren. In das Gesicht des Abts war bei Alucards Worten ein neuer Ausdruck getreten. Seine hellen Augen verfinsterten sich vor Zorn. „Ihr habt keine Ahnung um was es hier geht. Wie großartig und bedeutend unsere Aufgabe ist, die wir zu erfüllen haben. Gewiss, ihr habt recht. Es wird eine neue Welt mit einer neuen Ordnung entstehen. Die reiner und herrlicher sein wird, als es diese alte je war. Begreift ihr nicht die Chance die sich auch euch dadurch bietet? Ihr werdet erlöst sein. Es wird in unserer neuen Welt keine Verdammnis mehr geben. Kein Leid, kein Schmerz.“ Integra stand nun ebenfalls auf und stellte sich neben Alucard „Erst durch die Kälte, weiß ich was Wärme ist. Erst durch die Dunkelheit weiß ich was Licht ist. Erst durch die Armut, weiß ich was Wohlstand ist. Erst durch die Traurigkeit, weiß ich was Freude ist.“ Sie schüttelte langsam den Kopf „Keine noch so schöne Welt kann ohne Gegensätze leben Pater. Auch ihre nicht!“ Auf Colles Gesicht breitete sich ein merkwürdiges Lächeln aus. „Ihr irrt euch Madam, ihr irrt euch und ich werde es euch beweisen!“ Damit drehte er sich plötzlich um und verschwand hinter einem der Regale. „Hey Moment mal!“ rief Migel und sprang auf um ihn nach zu setzten, als Bruder Linus wie aus dem Nichts auftauchte und sich ihm mit einer brennenden Kerze in den Weg stellte. Migel wollte ihn bei Seite schubsen, als er unerwartet gegen eine unsichtbare Wand prallte, die ihn zurück warf. Alucard sah den Mönch verblüfft an. „Was zum Teufel?“ Bruder Linus deutete auf den Boden zu seinen Füßen. „Ein Kreis aus gesegnetem Weihwasser. Ich habe ihn nach dem sie ihn betreten haben unbemerkt verschlossen.Verzeihen sie mir, ich hätte gern die Gunst der Stunde genutzt um an ihnen meine Neugierde zu stillen, doch die Zeit lässt es nicht zu. Darum....“ Er wollte noch etwas sagen, doch plötzlich fingen die Wände um sie herum an zu zittern, der Boden unter ihren Füssen schwankte und bevor der Mönch wusste was geschah, stürzten die beiden Regale neben ihm, wie gefällte Bäume auf ihn nieder. Anderson uns Seras wollten gerade den nächsten Sack abladen, als die Stimme Alucards in Seras Ohren dröhnte. „Schnell kommt sofort zur Saint- Sulpice!! Ihr dürft keine Zeit verlieren!!!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)