Liebe, Leid und Leben von theDraco (Mamorus Jugend) ================================================================================ Kapitel 40: ------------ Nach stundenlanger Debatte und einer immensen Überzeugungskraft, die eher seinen magischen als seinen rhetorischen Fähigkeiten zu verdanken waren, hatte es endlich bekommen, was es wollte. Seigi Chiba würde nach Amerika reisen, und wenn es sich jetzt noch geschickt anstellte, dann würde er auch den Herrn der Erde mitnehmen. Der Geist des Ziels allerdings wurde vom Wächter der Träume, dem legendären Goldenen Kristall, beschützt. Dieser Umstand machte es unmöglich, das Bewusstsein des Herrn der Erde direkt anzugreifen. Das Ziel war also nicht ohne weiteres manipulierbar. Doch es wusste inzwischen die Barrieren zu knacken. Zwar konnte es dem Herrn der Erde nicht seinen Willen aufzwingen, wie das bei vielen gewöhnlichen Menschen möglich war, doch es musste nur kräftig im Unterbewusstsein des Ziels wühlen, um überzeugend zu sein. Wenn es den Herrn der Erde nur auf die rechte Fährte brachte, dann würde dieser den Weg von selbst beschreiten. Daran hatte es sich noch nie schwer getan. Nachdem es sich stillschweigend wieder aus dem Geist des Dicken entfernt hatte und dabei penibel darauf achtete, keine unerwünschten Erinnerungen zurück zu lassen, zog es sich wieder in die Dimension der zeitlosen Finsternis zurück. Das Tier war noch nicht vollkommen aus seinem langen Schlaf erwacht. Doch immer öfter durchfuhr ein Zucken seinen Körper, und seine Atmung ging nun regelmäßiger. Bald würde es dazu in der Lage sein, mit ihm zusammen in die Welt der Menschen zu treten. Hoffentlich war das Tier rechtzeitig wach. Vorsichtig kniete es neben dem Tier nieder und beobachtete es eingehend, während seine krallenbewährten Finger über das schwere Fell strichen. "Gerne würde ich Dir jetzt helfen", flüsterte es dem schlafenden Wesen zu. Die Düsternis saugte jedes einzelne Wort auf. "Doch ich brauche jetzt Kraft. Ich muss den Herrn der Erde lenken. Erst am nächsten Morgen kann ich mich wieder aufmachen und neue Energien für Dich beschaffen. Sei ohne Sorge, mein Kampfgefährte. Ich werde unseren Herrn und Meister kontaktieren. Wenn unsere Mission weiterhin gut verläuft, können wir vielleicht bald auf große Energien von ihm hoffen." Das Tier rührte sich nicht. Dennoch hatte es das Gefühl, das Tier habe die Worte gehört und verstanden. Denn trotz der Jahrhunderte des todesähnlichen Tiefschlafes besaß das Tier in dieser Dimension annährend die selben Fähigkeiten wie es. Irgendwo im tiefsten Unterbewusstsein war das Tier wach und lauerte auf sein neues Leben jenseits der Finsternis. Doch nun musste es seine Aufmerksamkeit wieder vom Tier ablenken. Denn es benötigte jetzt seine gesamte Konzentration für den Herrn der Erde. "Amerika", murmelte Mamoru vor sich hin, als er sich nun endlich auch seine Jeans auszog. Er konnte es immer noch nicht fassen. Sein Onkel wollte ihn doch tatsächlich nach Amerika schleppen! Amerika! Die Überraschung - oder konnte man das schon als Schock bezeichnen? - saß tief in Mamorus Knochen. Doch wer würde anders reagieren, wenn er gerade erfahren hätte, dass urplötzlich etwas völlig Unerwartetes auf ihn zukam? Tausend Gedanken jagten ihm durch den Kopf während er sich seinen Pyjama anzog. Die Entscheidung würde ihm schwer fallen, doch er musste sich bald darüber im Klaren sein, was er tun wollte. Schon sehr bald! Endlich im weichen Bett angekommen gähnte er erst mal müde. Er fühlte sich so abgekämpft wie selten zuvor in seinem Leben. Er musste sich auch nur ein paar Mal hin und her drehen, bis er eine gemütliche Position gefunden hatte und dann schlief er sofort ein. In seinem Traum hatte er den Eindruck, als würde er laufen. Oder eher noch: er rannte. Er wusste selbst nicht genau, wohin. Er wusste nur, was er an diesem dort finden würde: den Heiligen Silberkristall. Er fühlte sich, als würde die Zeit vollkommen stehen bleiben. Sein Weg führte ihn durch absolute Dunkelheit. Alles, was er wahrnahm, war der schnelle Rhythmus seines jagenden Herzens. Ihm schien, als sei er schon seit Ewigkeiten gerannt. Und irgendwann blieb er stehen. Obwohl er sich nun nicht mehr bewegte, hatte es den Anschein, als verändere sich die Welt um ihn herum. Vor ihm, hinter ihm, neben ihm, unter und über ihm fuhr eine sonderbare Welt vorbei, die wie aus dem Mittelalter gerissen wirkte. In kürzester Zeit flogen Bilder an Mamorus Auge vorüber, als wäre er selbst der Wind, der durch dieses eigenartige, alte Land strich. Er sah einen Schmied, der gerade ein rot glühendes Hufeisen mit einem gewaltigen Hammer bearbeitete. Nur Sekundenbruchteile später schien es, als flöge Mamoru über eine gewaltige Wiese; eine von Menschenhand unberührte Natur. Und nur einen Augenblick danach sah er ein prunkvolles Schloss auf sich zurasen, vor dem eine handvoll Gaukler beeindruckende Kunststücke zeigten und von einigen mittelalterlich gewandeten Leuten bejubelt wurden. All diese Eindrücke - und noch viele mehr - stürmten auf Mamoru ein. Er hatte nie genug Zeit, sich wirklich auf das zu konzentrieren, was er da sah. Und dennoch beschlich ihn das leise Gefühl, als habe er das alles schon einmal gesehen ... vor langer, langer Zeit... Diese ungewöhnliche Reise nahm in einem gigantischen Ballsaal ein Ende. Die gesamte Halle bestand aus weißem Marmor. Sie war bestimmt dreimal so groß wie ein Fußballplatz. Etliche Leute befanden sich in diesem Raum. Sie alle waren festlich gekleidet und trugen Masken über den Augen. Die meisten dieser Menschen tanzten zu einer langsamen Walzermusik. Es herrschte eine angenehme, friedliche Atmosphäre. Die Leute sahen sehr glücklich aus. Plötzlich ging ein leises Raunen durch die Menge und alle drehten sich zu der gewaltigen Treppe am anderen Ende des Raumes um. Mamoru verstand nur einige getuschelte Wortfetzen. "Seht nur!" "Die Erbin des..." "Das ist sie!" "...wunderschön!" "Dort! Dort kommt sie!" "...des Mondes..." "...wahrlich edel!" "Ich habe gehört..." "...Thronfolgerin des Silver Millennium..." "Sie ist..." "...angeblich soll sie..." "...traumhaft schön!" "...die Mondprinzessin..." Mamoru traute seinen Ohren kaum. "Eine Mondprinzessin?", äffte er ungläubig nach, während der Ausdruck purer Skepsis sein Gesicht zierte. Er fühlte sich irgendwie auf den Arm genommen. Das musste er sich aus der Nähe ansehen! Er drängelte und quetschte sich durch die Menge, was einige Zeit in Anspruch nahm, und als er diese Mondprinzessin dann endlich sah, da blieb ihm schier die Spucke weg. Das war doch die Frau, die ihm Nacht für Nacht sagte, er solle nach dem Silberkristall suchen! Sie war also eine Mondprinzessin! , staunte er. Er konnte sie auf die Entfernung immer noch nicht so gut sehen, wie er das gerne getan hätte. Er bekam nur eine Ahnung davon, wie wunderschön sie wohl sein musste. Sie drehte ihm den Rücken zu, doch ihre langen Haare, die zu zwei goldenen Zöpfen zusammengebunden waren, blieben unverkennbar. Sie war es definitiv! Doch leichter gedacht als getan, denn die Menschen um ihn herum schienen ganz ähnliches im Sinn zu haben. Alle hatten sie nur Augen für die wunderschöne Prinzessin. Zwischen den Armen und Schultern der anderen Menschen konnte Mamoru sehen, wie sich jemand der Prinzessin näherte. Dieser Jemand schien ein junger Mann zu sein, doch mehr als einen schwarzen Smoking konnte Mamoru nicht erkennen. Der Mann machte einen ehrfurchtsvollen Knicks vor der Prinzessin, ergriff vorsichtig ihre Hand, hauchte ihr einen zärtlichen Handkuss auf und trotz dem Gemurmel der Leute hörte Mamoru sein Flüstern: "Prinzessin, darf ich um diesen Tanz bitten?" "Aber gerne doch", wisperte sie zurück. Allmählich ließ der Menschenandrang wieder nach und die Leute fuhren damit fort, zu tanzen und das Fest zu genießen. Die Prinzessin verschwand mit dem Mann auf der Tanzfläche. , fluchte Mamoru lautlos, während er sich auf die Zehenspitzen stellte, um über die anderen hinweg sehen zu können. Dennoch hatte er Mühe, die beiden Tanzenden im Auge zu behalten. Das sollte sich jedoch bald ändern. Mamoru blinzelte. Und als er seine Augen nur den Bruchteil einer Sekunde später wieder öffnete, war er selbst dieser Mann, der mit der Prinzessin tanzte. Zu seiner eigenen Überraschung konnte er das sogar ziemlich gut. Als hätte er das schon seit Ewigkeiten getan. "Pri ... Prinzessin...", stammelte er etwas hilflos. Wie war er da nur schon wieder hinein geraten? "Herr der Erde", wisperte die Mondprinzessin so leise, dass niemand sonst sie zu hören vermocht hätte. "Suche den Heiligen Silberkristall." "Bin gerade dabei", kam es wie aus der Pistole geschossen. Und dann erst wurde ihm klar, was er da sagte. Er war doch gerade mit tanzen beschäftigt ... aber irgendwie war es zur gleichen Zeit die Wahrheit, dass er gerade am suchen war... Mamoru war verwirrt. Urplötzlich wusste er nicht mehr, was um ihn herum geschah. Der Ballsaal, die Menschen, die Musik ... das alles verblasste. Zurück blieben nur er, die Mondprinzessin und tiefe Schwärze. Die Mondprinzessin wirkte irgendwie geschockt. Sie stand einfach nur da und starrte ihn an. So, als wäre mit dem Ballsaal auch das Licht verblasst, sah Mamoru die Mondprinzessin nur noch als kaum erkennbaren Schatten. Sonderbarerweise konnte er sich plötzlich nicht mehr an ihr Gesicht erinnern, das er gerade eben beim tanzen noch gesehen hatte. Es war wie aus seinem Bewusstsein gelöscht. Ganz so, als habe diese Prinzessin niemals ein Gesicht besessen. "Prinzessin", begann Mamoru zögerlich. Seine Verwirrung stieg ins Unermessliche. "Was ist auf einmal los? Warum ... Wie kann es sein, dass ich das Gefühl habe, zur gleichen Zeit an zwei verschiedenen Orten zu sein?" Die Prinzessin war zunächst reglos. Sie schien zur Salzsäule erstarrt zu sein, als ob sie sich vor irgendetwas fürchten würde. Dann begann sie ganz leicht den Kopf zu schütteln. Und dann wisperte sie leise: "Nein. ...Nein, das kann nicht sein. Das darfst Du nicht ... nicht jetzt, bitte!" "Was darf ich nicht?", fragte Mamoru, nun vollkommen perplex. "Wovon..." "Nein!", kreischte die Prinzessin, "Du darfst jetzt um Himmels Willen nicht aufwachen!" "Was?", flüsterte er hilflos. "Aufwachen?" Als er sich nun umsah, hatte sich seine Umgebung schlagartig geändert. Er stand in einem relativ weiten Raum. Das erste, was ihm auffiel, waren die glitzernden Glassplitter, die überall auf dem silbergrauen Teppichboden verteilt lagen. Glaskästen und Vitrinen waren aufgebrochen. Ohrringe, Halsketten, Perlen und Ringe lagen zusammen mit ihren Preisschildchen zwischen den Glassplittern. Von den Wänden hingen etwa ein halbes Dutzend völlig zerstörter Kameras. Und Mamorus Hand fühlte sich so schwer an. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er eine ganze Reihe von Anhängern, Broschen und Ringen auf seinem weißen Handschuh liegen hatte. Des weiteren stellte er fest, dass er wieder diesen schwarzen Anzug mit dem weiten Umhang und der Maske trug. Der Zylinder stand auf dem Boden, die offene Seite nach oben, randvoll mit teurem Schmuck befüllt. Mamoru fand das alles sehr eigenartig. "Cool", meinte er darauf. "Okay. Das ist der mit Abstand abgefahrenste Traum, den ich je hatte. Respekt." Dann sah er auf seine Handfläche runder, die vor Kristallen und Edelsteinen nur so funkelte. "Aber der Silberkristall scheint hier nicht dabei zu sein", murmelte er. Er verstand zwar selbst nicht so recht, wie er jetzt so cool bleiben konnte, aber es war ihm auch ziemlich egal. War ja nur ein Traum. Er stand noch einige Sekunden unschlüssig mitten in diesem Juweliergeschäft herum, bis er einen leichten, angenehmen Druck auf seinem Kopf spürte. Es fühlte sich fast so an, als würde sich eine warme Hand über sein Gehirn legen und ganz sanft eine Nervenbahn nach der anderen zudrücken, bis er das Gefühl für seinen Körper völlig verlor. Er taumelte auf seinen tauben Beinen einige Schritte vorwärts. Nahtlos vollzog sich der Übergang in die nächste eigenartige Welt seines Unterbewusstseins. Diesmal landete er in einem Albtraum. Er fand sich in einem Raum wieder, der von vollkommen schwarzer Farbe war. Der Fußboden war quadratisch, an jeder Seite etwa fünf Meter lang. Es gab keine Fenster, keine Tür, auch kein Mobiliar. Mamoru rannte zu einer der Wände hin und hämmerte mit den Fäusten dagegen, doch die Mauer gab noch nicht einmal das dumpfe Pochen wider, das man von den Schlägen erwartet hätte. Als gäbe es hier keine Geräusche. Mamoru schrie nach Leibeskräften, doch es war ihm, als höre er seine Stimme nur leise in seinem Kopf, nicht aber in seinen Ohren. Dann warf er sich mit aller Wucht gegen die Wände, doch das brachte ihn nicht weiter. Dann fiel Mamoru ein winziger Rinnsal auf, der sich in einer oberen Ecke des Raumes gebildet hatte und nun langsam an der Wand entlang floss. Die Flüssigkeit stellte sich beim näheren Hinsehen als relativ zähflüssig heraus und war von roter Farbe. Blut! Und es beließ sich nicht bei einem einzigen Rinnsal. Plötzlich quoll aus allen vier Kanten, die Decke und Wände mit einander verbanden, roter Saft. Wasserfällen gleich glitten sie an den Wänden herab und bildeten auf dem Boden immer größer werdende Pfützen, bis schließlich der ganze Boden bedeckt war. Und der Pegel stieg weiter an. Entsetzt wich Mamoru zurück. Er presste seinen Rücken gegen eine der vier Wände, und das Blut ergoss sich über seine Schultern und über seinen Körper hinweg. Die Angst schnürte ihm die Kehle zu. Mehr und mehr dunkles, rotes Blut strömte aus den Wänden hervor und die ekelhaft warme Brühe reichte Mamoru schon bis an die Knie. Er spürte plötzlich einen leichten Ruck in seinem Rücken. Und dann wurde er vorwärts geschoben. Die Wände bewegten sich langsam auf einander zu. Das Blut stieg schneller und höher an, je mehr die Wände sich einander näherten. , dachte Mamoru entsetzt. Die wilde Verzweiflung packte ihn. Der Raum war derweil schon merklich geschrumpft und hatte dabei den Pegel der roten Flüssigkeit um einiges angehoben. "Was geschieht hier bloß für eine Scheiße?", fluchte er wild herum während er seinen Rücken fest gegen die Wand presste und dabei versuchte, sich ihr entgegen zu stemmen. Doch die geheimnisvolle Kraft, die den Raum schrumpfen ließ, war viel stärker als er. Dann schien es, als würde auf der ihm gegenüber liegenden Wand der Blutstrom allmählich abreißen. Es sah fast aus, als würde man einen roten Vorhang öffnen, um den Blick auf eine Theaterbühne freizugeben. Zum Vorschein kam wieder die Schwärze, die zuvor schon auf der Wand geherrscht hatte, doch nun schien es nicht nur eine flache Wand zu sein, sondern da war eine gewisse Tiefe zu erkennen; als würde man durch ein schwarzes Loch in eine Welt hinter der Mauer blicken. Zwei weiße Lichter hüpften auf der schwarzen Kulisse hin und her. Sie strahlten Mamoru direkt an. Geblendet und überrascht von diesem eigenartigen Schauspiel starrte er die Lichter fasziniert an; wie sie sich hin- und her bewegten und dabei immer schön im selben Abstand neben einander blieben. Er vergaß dabei sogar das Blut und den Raum um sich herum völlig. Es schien fast, als gäbe es das alles auf einmal gar nicht mehr; als sei es absolut unwichtig geworden. Die Lichter wurden allmählich etwas größer, sie kamen offensichtlich auf Mamoru zu. Staunend blieb er einfach reglos stehen und richtete seinen Blick auch weiterhin starr auf das Leuchten. Und dann begriff er endlich, was er da vor sich hatte. Er machte einen gewaltigen Satz zur Seite und brachte sich gerade noch in Sicherheit, wobei er sich an der Bordsteinkante den Ellenbogen aufstieß. Ein lautes "Hey, pass doch auf, Du Idiot!" erklang noch, dann war das Auto auch schon wieder vorbei gebraust. Mamoru sah sich verwirrt um. Er kannte diese Gegend, er war nicht weit von zu Hause weg. Er besah sich seinen Ellenbogen. Dieser schmerzte leicht und blutete etwas. Der schwarze Anzug war am Ärmel weit auseinander gerissen. Mamoru hätte seine Wunde heilen können, doch irgendwie war er zu verwirrt dazu. Was zum Teufel war denn diese Nacht bloß los? Er kratzte sich verständnislos am Kopf und lief los. Er wollte erst mal nach Hause und sich gründlich ausruhen. Er war so was von müde. Er wischte sich über die Augen und dabei verlor er aus Versehen die weiße Maske, die er im Gesicht trug. Er drehte sich um und bückte sich danach. "Doofes Ding", murmelte er. "Gehst mir auf die Nerven." Er warf die Maske in die nächstbeste Mülltonne. Nur wenige Schritte später war ihm wieder, als griffen warme Finger nach seinem Kopf. "Ich will nicht", stöhnte er und presste seine Hände gegen seinen Schädel. Er achtete gar nicht auf den Schmerz, den sein aufgeschürfter Ellenbogen aussandte. "Lass mich doch in Ruhe..." Doch auch dieses Mal obsiegten die warmen Finger, die ihn zurück ins Traumreich führten. Doch in diesem Fall umgab ihn die Schwärze der Besinnungslosigkeit. Wenn Mamoru tatsächlich einen Traum hatte, so würde er sich später nicht mehr daran erinnern können. "Wieso? Wieso nur?", fluchte es vor sich hin und hämmerte mit der Faust gegen den Boden. "Es hätte nicht passieren dürfen! Verdammt! Wieso? Warum muss der Herr der Erde gerade jetzt die Kraft finden, sich meinen geistigen Fähigkeiten zu widersetzen? Verdammt, er hat sein Leben aufs Spiel gesetzt! Er hätte fast die ganze Mission gefährdet!" Dann kniete es sich aufrecht hin und beruhigte sich allmählich. Sich jetzt aufzuregen würde die Sache nicht besser machen. "Der Morgen graut bereits in der Menschenwelt", stellte es fest. Es war betrübt. Es durfte dem Herrn der Erde nicht die Schuld zuschieben, sondern musste sie bei sich selbst suchen. Das Ziel war absolut unschuldig. Die ganze Zeit über hatte es die Mächte des Herrn der Erde unterschätzt. Aber eigentlich hätte es wissen müssen, welche Kräfte der Goldene Kristall zu entfachen wusste. Wo es normal dessen Kräfte für sich nutzte, indem es sie dem Herrn der Erde stahl, da war nun die Macht des Goldenen Kristalls eher fehl am Platze und somit kontraproduktiv für die gesamte Mission. Nun musste es herausfinden, welcher Schaden entstanden war. Eigentlich war es seine Idee gewesen, den Herrn der Erde in einem wunderschönen Traum davon zu überzeugen, dass es das Beste sei, diese Reise nach Amerika anzutreten. Nun konnte unter Umständen genau das Gegenteil eingetreten sein. Der Herr der Erde war sehr sensibel. Auf keinen Fall durfte man ihm zu sehr zusetzen. Es hoffte nur, dass es noch nicht zu spät war, und dass man - falls es nötig sein sollte - den Herrn der Erde doch noch umstimmen konnte. Doch zuerst musste es für sich und seinen Kampfgefährten neue Energie besorgen. Erschrocken riss Mamoru die Augen auf. Mit einem Ruck schnellte sein Oberkörper in die Senkrechte, während ein erstickter Schrei über seine Lippen fuhr. "Kurzer, es ist alles in Ordnung!", meinte Kioku und legte beruhigend die Hand auf seine Schulter. Sie sah ihn mit sorgenvollem Blick an. "Es ist alles okay, Kleiner. Es war nur ein Albtraum. Jetzt bist Du wach." "Tante Kioku...", krächzte er. Seine Stimme war rau und er hatte leichte Halsschmerzen. "Was... was ist..." Er lag in seinem Bett. Sein Pyjama war schweißnass. Die Haare klebten ihm widerlich auf der Stirn. Er war verwirrt und wusste nicht recht, wo er war. Er hatte Schwierigkeiten, Realität und Traum auseinander zu halten. Er fuhr sich über die Augen und versuchte, die Schrecken der Nacht fortzuwischen. "Du musst anscheinend sehr schlecht geträumt haben", erklärte Kioku. "Ich hab Dich plötzlich schreien gehört. Ich hab versucht, Dich zu wecken, aber Du bist einfach nicht zu Dir gekommen. Du hast mir richtig Angst gemacht. Wie fühlst Du Dich?" "Unendlich müde...", murmelte er leise. Sein Kopf dröhnte, sein Herz jagte, sein Körper fühlte sich heiß an, als wollte er von innen verglühen. "Mamoru...", wisperte Kioku und sah ihm besorgt in die Augen. "Dieser Albtraum ... war das wegen Amerika? Hast Du vielleicht Angst vor der großen Reise?" "Amerika...", echote Mamoru leise. "Weiß nicht... Angst... Ich glaube eher nicht..." "Wenn Dich irgend etwas bedrückt, Mamoru, dann sag es mir bitte!", flehte sie. "Nein", murmelte er und schüttelte leicht den Kopf. "Nein, es ist glaube ich nichts. Ich bin nur so wahnsinnig müde... Als ob..." "...als ob ich die ganze Nacht kein Auge zugetan hätte...", beendete er seinen Satz. "Hmmm...", machte seine Tante und dachte nach. Dann schenkte sie ihm ein trostspendendes Lächeln, wenn ihre Augen dabei auch irgendwie traurig blieben. "Geh erst mal duschen. Ich bereite solange das Frühstück vor. Beeil Dich, es wird Dir gut tun." "Ja...", flüsterte er. "Ist vielleicht das Beste ... nach diesem eigenartigen Traum..." Unter der Decke fuhr er sachte mit der Hand über seinen aufgeschürften Ellenbogen, wo sich inzwischen eine dickliche Kruste gebildet hatte... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)