Liebe, Leid und Leben von theDraco (Mamorus Jugend) ================================================================================ Kapitel 46: ------------ Es entstand eine schwarze Wolke, die sich nur schwerlich vom Dunkel des riesigen Thronsaales abhob, und aus dieser Wolke trat ein Mann mit dunkelbraunen, leicht gewellten Haaren, die ihm locker über die Schultern fielen. Der Mann trat noch einige Schritte vor, wobei seine schweren Stiefel auf dem steinernen Boden klackernde Geräusche machten, die laut in der Stille des Raumes nachhallten. Dann kniete er nieder. Die schwarze Wolke hinter ihm war längst wieder verschwunden. "Königin Perilia", sagte der Mann in die Stille hinein, "Ihr habt nach mir gerufen?" "So ist es, Neflyte", bestätigte die Königin. Ihr finsterer Blick war auf das Zepter gerichtet, das vor ihr mitten in der Luft schwebte. Die violetten Nebel in der Kugel oben auf diesem silbernen Stab waberten unstet umher in ihrem gläsernen Gefängnis. Königin Perilia richtete ihre Aufmerksamkeit in erster Linie auf die Kugel; dennoch sprach sie weiter zu Neflyte: "Du hast mir schon lange keine menschliche Energie mehr gebracht, Neflyte. Unsere große Herrscherin wartet auf ihr erneutes Erwachen, und Du trödelst nur herum!" Ihre Stimme war bitterkalt und schneidend wie der Wind, der an der Erdoberfläche weit über dem Thronsaal über den Nordpol pfiff. Eingeschüchtert und mit gesenktem Haupt zog sich Neflyte einige Zentimeter auf Knien rutschend zurück, ehe er antwortete: "Vergebt mir, meine Königin, doch ich war damit beschäftigt, Jedyte zur Seite zu stehen. Dieser unbekannte Krieger, der ihn vor nicht allzu langer Zeit angegriffen hat..." "NEFLYTE!", donnerte die zornige Stimme der ungeduldigen Königin über den düsteren Saal hinweg. "Mei... M... Meine Königin?" "Es ist nicht Deine Aufgabe, Dich um Jedyte zu kümmern!", brüllte Königin Perilia. Zum ersten Mal seit Beginn des Gesprächs hob sie ihre Augen von der Kugel auf ihrem Zepter. "Jedyte kann sich alleine mit diesen Krieger beschäftigen! Du, Neflyte ... Du sorgst in erster Linie dafür, dass unserer großen Herrscherin auch weiterhin unbegrenzte Mengen an Energie zufließen, HAST DU MICH VERSTANDEN?" "Ja, meine Königin." "Das will ich für Dich hoffen. Sag mir, Neflyte, Du hast mir vor wenigen Tagen berichtet, Du hättest einen neuen Plan geschmiedet, um den Menschen ihre Energie rauben zu können. Ist alles vorbereitet?" "So ist es, meine Königin." Neflyte traute sich endlich wieder, seinen Blick vom Boden zu heben und ihn auf seine Herrin zu richten. Diese hatte ihre Augen schon wieder auf die Kugel gebannt. "Ich habe meinen treuen Diener Amethysyte losgeschickt, der sich um die Sache kümmern wird", fuhr Neflyte fort. "Wir haben gemeinsam einen Ort gefunden, der für unser Vorhaben wie geschaffen ist. Ein kleines Städtchen namens Orendaham, das in meinem Einflussgebiet, den Vereinigten Staaten von Amerika, liegt. Diese Stadt ist uns besonders wegen ihrem Namen aufgefallen. Das Wort stammt aus einem indianischen Dialekt und bedeutet soviel wie . Und tatsächlich haben wir in unmittelbarer Nähe der Umgebung ein ungewöhnlich hohes Maß an Energie orten können. Doch wir brauchen Zeit, um die genaue Position bestimmen zu können. Bis dahin kann ich Euch, Königin Perilia, aber schon die Energie der gewöhnlichen Menschen des Ortes zusichern. Die Leute dort leben einfach. Sie sind harte Arbeit gewöhnt und besitzen somit viel Lebenskraft, die ich ihnen durch einen Trick entziehen werde. Ich verspreche Euch, Ihr werdet hoch zufrieden sein, meine Königin." "Ausgezeichnet, Neflyte", antwortete die Herrin des Königreichs des Dunklen. Ihre Finger glitten in gleichmäßigem Takt an der Kugel ihres Zepters vorbei, das vor ihr schwebte. Ein kleines Lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus. "Geh jetzt. Und kümmere Dich in Zukunft gefälligst nur noch um die Aufgaben, die Dir auch zugeteilt wurden." "Natürlich, seid dessen versichert. Ich bin Neflyte, der zweite Prinz der vier Himmel. Ich repräsentiere die Vereinigten Staaten von Amerika in unsrem Dunklen Königreich. Ich bin Euer treuester Diener, und ewig dazu bereit, für Euch und für unsere Mission mein Leben zu lassen." "Es wäre das Beste für Dich, wenn Du Dich auch wirklich an Deine Worte hältst, Neflyte", riet ihm Königin Perilia. "Denn unzuverlässige Diener kann ich nicht brauchen. Doch die, die mir treu ergeben sind, werden reich von unserer großen Herrscherin belohnt werden, dessen sei Dir gewiss. Du darfst jetzt gehen, Neflyte." "Ergebens, meine Königin." Damit machte Neflyte noch einmal eine tiefe Verbeugung. Daraufhin drehte er sich um und verschwand wieder in einer schwarzen Wolke. "Hab Hunger! Will Frühstück!", meldete Mamoru, als er das Haupthaus betrat, quer durch das Wohnzimmer lief und in der riesigen Küche landete. "Und diesmal werde ich mich nicht nur mit etwas Brot und Käse zufrieden geben!" Seigi, der am Tisch saß, stellte seine Kaffeetasse ab, lächelte seinen Neffen an und meinte: "Guten Morgen, Mamoru. Endlich ausgeschlafen?" "Guten Morgen. Kein Stück." Der Herr der Erde ließ sich auf einen der Stühle plumpsen und seufzte schwer. "Hab fast die ganze Nacht kein Auge zugetan, und jetzt bin ich toter als todmüde." Er gähnte und rieb sich die Augen. "Verständlich", nickte Seigi und sah auf seine Armbanduhr. "Zuhause wären wir jetzt erst ins Bett gegangen. In ein paar Tagen hast Du Dich umgewöhnt." Mamoru blickte ihn aus kleinen Augen schweigend an, ehe er fragte: "Und wie könnt ihr Beiden so putzmunter sein?" Kioku trug gerade Geschirr für Mamoru auf den Tisch, zwinkerte ihm zu und antwortete: "Kaffee kann Wunder bewirken! Guten Morgen, Kurzer!" "Guten Morgen, Tante Kioku. Was steht heute auf dem Programm?" "Wir fahren nach Orendaham", erklärte Seigi und schlürfte wieder an seiner Tasse herum. "Orendaham?" Mamoru griff nach seinem Glas, füllte es mit Orangensaft und trank. Kioku nickte. "Wir haben nur noch wenige Lebensmittel, die wir von zu Hause mitgebracht haben. Praktisch die letzten Reste, die wir in Japan nicht mehr schnell genug verbrauchen konnten vor dem Umzug. Tja ... jetzt ist es an der Zeit, dass wir uns an unser neues Zuhause gewöhnen. Das bedeutet für uns eine gewaltige Umstellung, besonders was die Lebensmittel betrifft. Aber ich hab gehört, von Bohnen, Speck und T-Bone-Steaks soll man auch wunderbar leben können." "Hier wird es ja wohl auch andere Sachen geben, oder?", meinte Mamoru. "Klar doch", antwortete Seigi. "Du kannst Dir selbstverständlich selbst aussuchen, was Du für Dich alles brauchst. Von nun an sollst Du über ein festgelegtes monatliches Budget verfügen, von dem Du Deinen Haushalt finanzierst. Überleg Dir also gut, wofür Du das Geld ausgibst." "Ja, ja", winkte Mamoru ab. "Lass uns das nachher klären." Nun stand ihm erst mal ein ausgiebiges Frühstück bevor. Alles andere war vorerst zweitrangig. Und während er wie ein ausgehungerter Bär alles in sich reinstopfte, was er kriegen konnte, erzählte er davon, was er am gestrigen Abend auf der benachbarten Mustang-Ranch alles gesehen hatte. Gesenkten Hauptes und mit langsamen, leisen Schritten betrat Jaspisyte den kleinen Raum mit den nachtschwarzen Wänden. "Meister Jedyte, Ihr habt nach mir verlangt?" "Das habe ich durchaus", antwortete Jedyte verbissen, während er nicht einen Blick von den Landkarten hob, die in wildem Chaos auf dem steinernen Schreibtisch ausgebreitet waren. "Meister, ich erwarte Eure Befehle", meinte Jaspisyte, und obwohl sein Herr ihm den Rücken zukehrte, machte der Soldat einen demütigen Knicks, weil die Etikette dies von ihm verlangte. "Ich bin jederzeit bereit, abzureisen, und diesen Krieger ausfindig zu machen, der Euch..." "SCHWEIG!", herrschte Jedyte ihn an, ohne ihn indes eines Blickes zu würdigen. "Ja, Meister", machte Jaspisyte kleinlaut. Er wartete. Jedyte ließ sich Zeit damit, die Karten vor ihm zu studieren. Er setzte seinen Zeigefinger auf einige Punkte, und an diesen Stellen erschienen rote Kreuze auf den Karten. Die Papiere waren jetzt schon übersät von roten und schwarzen Kreuzen oder Kreisen. Leise murmelte Jedyte einige Worte vor sich hin, und der Soldat hinter ihm verstand nur wenige Fetzen. "Hier ... oder hier ... werd den Mistkerl schon finden! Wo hat der sich nur verkrochen ... kann nicht wahr sein ... wenn ich den erwische! ... wie kann der es wagen ... büßen..." Dann ließ er mit einem Seufzer von seinen Karten ab und wandte sich endlich Jaspisyte zu, der geduldig gewartet hatte. "Jaspisyte, ich habe Dich rufen lassen, weil ich einen Auftrag für Dich habe. Die Situation ist folgende: Zum einen ist es für unser Königreich momentan das Wichtigste, neue Energie ranzuschaffen. Doch zum anderen werden wir überall auf der Welt mit unseren alten Feinden konfrontiert, die allmählich aus ihrem langen Schlaf erwachen. Die Königin wünscht, dass ich mich mit letzterem Problem befasse. Zumindest vorerst. Doch solange ich damit beschäftigt bin, gegen die Sailorkrieger vorzugehen, kann ich mich nicht auch um meine anderen Pflichten kümmern. Deshalb wirst Du eine zeitlang Neflyte unterstellt werden. Du wirst ihm und Amethysyte ebenso treu ergeben sein, wie Du es mir gegenüber bist, hast Du verstanden?" "Ich bitte um Vergebung, Meister, aber wäre es nicht effizienter, wenn ich Euch zur Seite stehen würde? Ich könnte..." "Du wagst es, meine Befehle zu übergehen, meine Befehlsgewalt in Frage zu stellen und meine Strategien zu kritisieren???", brüllte ihn Jedyte mit voller Lautstärke an. "Meister ... Nein, natürlich nicht. Ich bitte um Vergebung...", hauchte Jaspisyte. Zu mehr war er nicht mehr in der Lage. Verstört richtete er seinen Blick auf den Boden und wandte das Gesicht ab. "Das will ich auch hoffen!", fauchte Jedyte. "Ich schätze, Du weißt, was Einem bei Hochverrat blüht!" Lange Zeit maß er seinen Untergebenen mit finsterem Blick. Er konnte auch jetzt, nach langer, langer Zeit, noch nicht glauben, dass jemand wie dieser junge Mann, der da vor ihm stand, Soldat werden konnte. Alles an Jaspisyte war weich und sanft. Man konnte sein Gesicht schon als makellos bezeichnen. Fast wie bei einem Mädchen. Nur eine lange, dicke Strähne des sonst so kurzgeschnittenen, tiefschwarzen Haares auf seinem Schädel hing vorne herab und verdeckte beinahe seine gesamte linke Gesichtshälfte. "Ich würde vorschlagen, Du machst Dich jetzt an Deine Arbeit. Melde Dich bei Neflyte und mach mir keine Schande. Arbeite hart für unsere Mission. Wir werden viel Energie benötigen, um die Macht unseres Königreichs zu festigen und unsere große Herrscherin wieder zu erwecken. Wir werden nicht eher ruhen, bis wir diese Welt in Dunkelheit gehüllt haben." Für Jedyte war das Thema nun beendet. Er drehte sich herum und widmete seine Konzentration wieder seinen Karten. Jaspisyte allerdings zögerte. Unsicher wandte er den Kopf zur Tür, zu seinem Meister, zur Tür und wieder zu seinem Meister zurück. "Was gibt es denn noch?", fragte Jedyte unwirsch. "Verzeiht, Meister, aber erlaubt Ihr mir, eine Frage zu stellen?" Jedyte machte einen Wink mit der Hand und bedeutete so seinem Adjutanten zu sprechen. "Meister, ich verstehe nicht, warum es unser Ziel ist, die Erde in Dunkelheit zu versetzen..." Mit einem Ruck wandte sich Jedyte seinem Untertanen wieder zu und starrte ihn verblüfft an. "Du zweifelst an unseren Zielen?" "Nein, Meister, ehrlich nicht!", rechtfertigte sich Jaspisyte. "Das ist es nicht. Zweifeln ist nicht das richtige Wort. Es ist nur ... ich verstehe es nicht. Was ist Sinn und Zweck des Ganzen? Das Leben auf dieser Erde braucht Licht und Luft, damit es gedeihen kann. Nimmt man ihm das Licht, so verdorrt es, gleich einer Blume ohne Wasser und ohne Sonne. Was sollen wir mit einem kalten, harten Planeten ohne Leben? Weswegen sollten wir über das Nichts herrschen? ...Wie kann man herrschen ... wenn es nichts gibt ... über das man herrschen könnte?" Mit fragendem Blick aus den hübschen, grünen Augen schaute Jaspisyte seinen Meister an und wartete auf eine Antwort. Und nach eben dieser suchte Jedyte nun fieberhaft. Er wusste, ein falsches Wort zu diesem zarten Persönchen konnte alles zunichte machen. "Nun ja ... ja, Du hast natürlich Recht. Ohne das Licht vergeht das Leben auf diesem Planeten. Es ist nur so, dass ... schau, Jaspisyte. Das Leben dort draußen ist hart und von Gewalt beherrscht. Der Starke frisst den Schwachen. Die Tiere bringen sich gegenseitig um. Was dort draußen existiert sind nichts weiter als stupide Lebensformen, deren Sinn und Zweck es ist, Tod und Vernichtung zu säen. Wir hingegen streben nach Perfektion. Die Dunkelheit wird sich über die Welt legen und das Leben vernichten, um so eine neue Evolution in Gang zu bringen. Das Dunkle Königreich wird dann die perfekten Lebewesen erschaffen ... mächtige Kreaturen, denen nichts und niemand etwas anhaben kann. Die Krone der Schöpfung, verstehst Du? Wir werden die Welt besser machen, als sie je gewesen ist!" "Aber ... aber ... ich finde die Welt schön ... so wie sie jetzt ist...", stammelte der Adjutant verwirrt. "Jaspisyte...", meinte Jedyte in versöhnlichem Ton und legte seine Hand auf die tiefschwarze Mauer seines Zimmers. "Was fühlst Du, wenn Du diese Wände siehst?" "Meister ... ich verstehe nicht ... was soll ich fühlen?" "Fühlst Du Dich nicht ... zu Hause?", fragte Jedyte. Der Soldat nickte. "Oh, doch! Natürlich fühle ich mich zu Hause! Aber ich verstehe immer noch nicht..." "Die Dunkelheit ist Deine Heimat", erklärte der Meister. "Seit einer Ewigkeit lebst Du hier, und es geht Dir doch gut! Oder fehlt es Dir an irgend etwas?" Jaspisyte zögerte lange. Sehr lange. Und dann traute er sich doch, seine Gedanken laut auszusprechen: "Meister ... ich bitte Euch, mich jetzt nicht für einen Narren zu halten, aber ... ich habe ... Geschichten gehört ... bei den Menschen ... Geschichten über ... Liebe..." "Liebe! Papperlapapp! Vergiss das Gesülze sofort wieder!", zischte Jedyte erbost. "Aber..." "Kein Aber! Die Liebe der Menschen wird absolut überbewertet. Sie ist sinnlos! Sie ist nutzlos! Sie ist überflüssig! Sie macht aus einem Soldaten ein Weichei! Wenn die Dunkelheit erst mal ein neues Zeitalter hereingebracht hat, dann ist Schluss mit diesem Gewäsch! Ein für alle Mal!" "...Jawohl, Meister. Ich habe verstanden." "Gut." Jedyte seufzte auf. Vorerst hatte er es geschafft, seinen Adjutanten zum Schweigen zu bringen. Die Frage war nur, wie lange dieser Zustand bleiben würde. Jaspisyte war anders, als alle Anderen. Irgend etwas an seiner Denkweise unterschied ihn von all den anderen Soldaten des Dunklen Königreichs, und es machte Jedyte halb wahnsinnig, dass er dies regelmäßig ausbaden durfte. "Jedyte, Du solltest nicht zu grob mit Deinem Schützling umgehen, finde ich", so erklang eine Stimme im kleinen Raum. Kurz darauf erschien ein Mann, der auch eine Generalsuniform wie Jedyte trug. Die langen, weißen Haare fielen locker über den ebenso weißen Umhang, der sich um seine Schultern zog. "Seid gegrüßt, Lord Kunzyte." Mit diesen Worten verneigte sich Adjutant Jaspisyte. "Kunzyte ... was willst Du denn hier?", meinte Jedyte in gelangweiltem Ton. "Es gibt einige Dinge, die ich mit Dir besprechen muss, Jedyte", erwiderte Kunzyte mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen. Mit seinem Blick auf Jaspisyte gewandt meinte er: "Es gibt aber einen Punkt, den Du vorhin angesprochen hast, bei dem ich Dir widersprechen muss, Jedyte, mein Bester. Liebe ist nicht überflüssig. Im Gegenteil. Liebe ist etwas, das man an sich reißt. Sie kann einem das Gefühl von Macht verleihen. Man muss die Liebe richtig einzusetzen wissen, dann kann man Vieles erreichen. Besonders, wenn Dein Gegner die Menschen sind. Zwinge die Liebe. Nutze sie aus und mach Dir diejenigen, die Liebe empfinden, gefügig. Sie werden Dir aus der Hand fressen. Das solltest Du Dir merken, Adjutant." "Ja, Lord Kunzyte. Ich danke Euch für Euren Rat." "Jaspisyte", meinte Jedyte und wedelte mit seiner Hand vor sich hin und her. "Du darfst jetzt gehen. Na, los, verschwinde. Wir haben hier jetzt wichtige Sachen zu tun!" "Danke sehr", antwortete Jaspisyte. Er machte eine verabschiedende Verbeugung vor dem obersten General. "Lord Kunzyte." Dann verbeugte er sich zum Abschiedsgruß vor Jedyte. "Meister Jedyte..." Und leise fügte er noch hinzu: "...Vater..." Jedytes Blick verfinsterte sich von einer Sekunde auf die andere. Er holte aus und verpasste dem Adjutanten eine schallende Ohrfeige mit dem Handrücken. Ein leises Stöhnen glitt über Jaspisytes Lippen, als er rückwärts torkelte und sich die Wange hielt. "Maße Dich nicht noch einmal an, mich so zu nennen!", donnerte Jedyte wutentbrannt. "Du bist immer noch ein Soldat im Dienst, und so lange das der Fall ist, hast Du mich mit meinem Rang zu titulieren, IST DAS KLAR???" Jaspisytes Lippen zitterten unkontrolliert und seine Augen füllten sich mit Tränen, während er einen verzweifelten Blick auf seinen Vater warf. "ICH HABE GEFRAGT, OB DAS KLAR IST! ANTWORTE, ADJUTANT!", brüllte Jedyte. "...Ja...", wisperte Jaspisyte. "Verzeihung, Meister..." "GEH MIR AUS DEN AUGEN!" "Ich bitte um Vergebung, Meister...", krächzte Jaspisyte mit brechender Stimme. Dann verschwand er durch ein schwarzes Loch, das kurzzeitig in der Wand erschien. "Ich habe gehört, Du hast ihn zu Neflyte und seiner Mission abkommandiert...?", meinte Kunzyte, während er noch auf den Punkt an der Wand starrte, wo bis gerade eben noch ein Raum-Tor gewesen war. "Ja, und???", herrschte ihn Jedyte an. Sein Zorn hatte sich längst noch nicht gelegt. "Jedyte, ich hoffe, Dir ist klar, Du kannst zwar eine räumliche Barriere zwischen euch aufbauen. Doch was Du auch tust, er wird immer Dein Sohn bleiben. Mag ja sein, dass Du das nicht so empfindest. Ich schätze, für die Frau, die ihn geboren hat, empfindest Du auch nicht anders. Sie war für Dich ein Stück Fleisch, ein Abenteuer, eine einmalige Sache. Dein persönliches Spielzeug. Vielleicht erklärt das auch Deine eigenartige Einstellung zum Thema Liebe. Aber ich sage Dir, Du solltest ... oder Du kannst Deinen Jungen nicht leugnen. ...Er hat Deine Augen..." "Ich weiß, dass er meine Augen hat!", regte sich Jedyte auf. "Aber das ist auch alles, was er von mir bekam! Es gibt nichts, nichts und wieder nichts, was uns verbindet, außer unserer Treue zu unserem Königreich. Und selbst da scheint es, als ob mein wertes Fleisch und Blut mir in den Rücken fallen wolle!" Kunzyte schüttelte den Kopf. "Der Knabe hat Potential. Er besteht aus rohem Ton, den Du zu einer großartigen Form machen könntest, wenn Du nur die Geduld dazu hättest." "Willst Du Dich vielleicht mit töpfern beschäftigen?", giftete Jedyte. Dann atmete er tief durch. "Ich kann nur hoffen, dass Neflyte ihn eine Weile beschäftigen kann. Ich will ihn loswerden. Wenn er mir nur nicht andauernd in die Quere käme! Wie eine lästige Klette oder ein Blutegel. Und dann auch noch mein Adjutant..." "Ach, Jedyte...", seufzte Kunzyte kopfschüttelnd. "Deswegen kannst Du morgen auch noch Zeter und Mordio schreien. Doch jetzt haben wir erst mal Wichtigeres zu tun..." Orendaham erwies sich als ein - wie Kioku es nannte - schnuckeliges, kleines Städtchen; noch nicht mal groß genug, um sich darin verlaufen zu können. Im Prinzip war jeder zweite Laden ein Pub, ein Laden für Reiterzubehör oder ein Geschäft für Cowboyhüte und -stiefel. Dazwischen drängelten sich diverse Drugstores, Lebensmittelläden, eine Tankstelle am Rande der Stadt, ein kleiner Bahnhof, eine Post, zwei Kirchen, eine ganze Reihe von Wohnhäusern und eine Apotheke. Es gab durchaus noch andere Gebäude, aber die waren kaum nennenswert. Die Straßen waren staubig und qualitativ nur minderwertig asphaltiert; zudem noch durchsetzt von Schlaglöchern. Selbst jetzt am Vormittag, wo die Sonne noch nicht im Zenit stand, war es bereits tierisch heiß. Mamoru sah nur eine einzige, streunende Katze, die in Windeseile über die Straße rannte, um auf der anderen Seite ein schattiges Plätzchen zu finden. Es waren auch kaum Menschen zu sehen. Hier und da standen einige zerbeulte und angerostete Chevrolets herum, man sah das eine oder andere völlig verschwitzte Pferd, das an eisernen oder hölzernen Gestängen festgebunden dastand und sich in jedes noch so kleine Stückchen Schatten quetschte. Nur wenige, recht karge Bäume standen am Straßenrand des sonst so trocknen und staubigen Ortes. Krähen hockten in den Ästen oder flogen über die Dächer der Häuser hinweg. "Ich schlage vor, zu aller erst kümmern wir uns um Proviant, was?", meinte Seigi und parkte den Wagen vor einem der Geschäfte. Mamoru stieg aus, sah sich misstrauisch um und meinte: "Krieg ich da auch nen Colt, nen Gaul, Stiefel und nen Hut?" "Sei nicht albern", mahnte ihn seine Tante. "Ich meine das ernst", grinste Mamoru sie an, "schließlich ist die Welt da draußen groß und gemein und gefährlich, oder etwa nicht?" Er bekam darauf keine Antwort. Es vergingen Stunden ehe die Drei alles zusammen hatten, was sie brauchten. Es ging dabei ja nicht nur um die Lebensmittel, sondern insgesamt um die diversen, kleinen Dinge, die der Alltag so brauchte. Und außerdem mit eingerechnet war die Zeit, die man zum Mittagessen in einem der kleinen Lokale der Stadt brauchte. Schlussendlich - der Wagen war inzwischen vollgeladen mit Einkäufen und der Nachmittag war bereits in vollem Gange - hatten Seigi und Kioku noch etwas auf dem Rathaus zu tun. Klärung irgendwelcher Formalitäten - bla, bla, bla. Dem Herrn der Erde war das zu langweilig. Mamoru setzte sich draußen in den Schatten eines Baumes und sah der flirrenden, heißen Luft zu, wie sie alles, was nur ein paar Meter weiter weg war, zu einem unförmigen, wabernden Farbklecks machte. Gelegentlich zog er ein Taschentuch aus der Hosentasche und fuhr sich über die Stirn, damit der Schweiß nicht seine Augen verklebte. Seine Lippen waren bereits trocken und spröde, und allmählich spürte er ein leichtes Kratzen im Hals; fast so, als hätte er eine Menge Sand verschluckt. Er warf einen kurzen, prüfenden Blick auf das Rathaus. Dort rührte sich einfach nichts. , fragte er sich zum hundertsten Mal. Er konnte sich nicht vorstellen, dass es in dieser kleinen Stadt so viele Leute gab, dass der Betrieb im Rathaus zum Stocken kommen könnte. Die meisten Leute waren um diese Uhrzeit sowieso am Arbeiten, wahrscheinlich zum größten Teil außerhalb der Stadt in irgendwelchen Farms und Ranches. Oder sie saßen zu Hause vor dem Ventilator und würden sich erst wieder nach draußen trauen, wenn es Abend war und die Temperatur auf ein annehmbares Maß gesunken wäre. Mamoru kramte seine Halskette unter seinem Hemd hervor und öffnete den Deckel der Spieluhr. Ihre sanfte Melodie schaffte es wieder einmal, auf fast schon magische Weise sofort ein Lächeln auf die Lippen des Herrn der Erde zu zaubern. In sanftem, blauem Licht drehte sich der kleine, goldene Sichelmond im Inneren der Spieluhr. Einen Moment lang schloss Mamoru seine Augen und lauschte dem sanften Klang der Melodie. So lange, bis ihn eine Stimme aus seinen Gedanken riss: "Hey, das ist wunderschön." Mit einem erschreckten Keuchen sprang er auf, drehte sich herum und sah in das Gesicht einer Jugendlichen, das von einem großen Cowboyhut umrahmt wurde. Dieses Gesicht wirkte schon im ersten Moment freundlich, wenn es jetzt auch einen etwas besorgten Ausdruck annahm. "Hab ich Dich arg erschreckt? Entschuldige bitte, das wollte ich nicht. Ich hab nur noch nie etwas so Schönes gehört wie die Melodie gerade eben, und mich hat brennend interessiert, wo sie herkam." Kurz nahm sie ihren Hut ab, um sich Luft zuzufächern. Die dunkelblonden, nicht ganz schulterlangen Haare mit den leichten Wellen klebten ihr an der Stirn fest. Sie musterte Mamoru kurz von oben bis unten und stellte dann fest: "Du bist neu hier, was? Ich bin Dir noch nie begegnet." Mamoru hatte inzwischen die Spieluhr wieder zugeklappt und unter seinem Hemd verstaut. Jetzt nickte er dem Mädchen zu. "Ja, ich bin gestern auf die SilverStar-Ranch gezogen. Mein Name is Mamoru." "Freut mich", antwortete sie, "ich bin Elyzabeth." Sie sprach ihren Namen auf eine etwas eigenwillige Art und Weise aus. Bei ihr klang es wie , wobei sie die beiden Silben besonders betonte, und das Wort mit stimmhaftem und dem typisch englischen hinten dran aussprach. Wahrscheinlich war sie sehr stolz darauf, dass ihr Name ein wenig aus der Rolle fiel, und Mamoru hatte den Eindruck, dass es wohl das Beste sei, ihren Namen nach ihren Wünschen auszusprechen. Ihr Name... Und da kam es Mamoru auf einen Schlag in den Sinn. "Moment mal ... bist Du Elly von der Mustang-Ranch?" "Jep, genau richtig", bestätigte sie verblüfft. "Woher weißt Du das?" Mamoru grinste breit. "Ich hab gestern Rick, Tony und Fala kennen gelernt. Rick hat mir von Dir erzählt. Na ja ... nicht wirklich erzählt ... er sprach einfach von Deiner Existenz. Tja ... ich schätze, er hatte Recht, als er sagte, ich würde nicht drum rum kommen, Dich kennen zu lernen." Nun nahm Mamoru sich auch mal etwas Zeit, Elly einer genaueren Betrachtung zu unterziehen. Sie war ein paar Zentimeter kleiner als er, doch höchstwahrscheinlich waren beide so ziemlich gleich alt. Sie hatte intensive, dunkelgrüne Augen. Doch manchmal war es Mamoru, als würden sie ab und zu ganz leicht bläulich schimmern; je nachdem, wie die Sonnenstrahlen einfielen. Sie hatte recht kräftige Wangen, die ihr Gesicht etwas breit wirken ließen. Doch sie hatte auf Mamoru irgendwie eine gute Ausstrahlung. Ihm war, als würde er in ihren Augen eine besondere Freude lesen und ihr freundliches Lächeln war absolut echt und wirkte auf natürliche Weise richtig glücklich. Dem Herrn der Erde fiel das Halstuch auf, das sie trug. Es war weiß mit schwarzen Karos. Es sah schon ein wenig staubig, angerissen und mitgenommen aus, aber es erweckte irgendwie einen leicht kindlichen Eindruck an ihr. "Hey, Mamoru", meinte Elyzabeth da gerade, "soll ich Dir meine beiden Kerls vorstellen?" "Deine ... Kerls?", fragte der Angesprochene erstaunt nach. "Yau. Meine Kerls." Damit steckte sie Zeigefinger und Daumen ihrer rechten Hand in den Mund und stieß einen schrillen Pfiff aus. Mamoru wusste weder, was er erwarten sollte, noch aus welcher Richtung die kommen würden. Und so erschrak er doch auf recht derbe Weise, als er plötzlich schräg hinter sich im Augenwinkel eine schnelle Bewegung sah. Noch ehe er seinen Kopf wirklich in die Richtung hätte drehen können, spürte er schon einen derben Stoß in seiner Magengegend. Und kurz darauf sah er nur noch einen großen, dunklen, dreieckigen Kopf mit langen Zähnen vor sich. Und noch bevor der Herr der Erde hätte Luft holen können, um einen Schreckensschrei auszustoßen, da schleckte auch schon eine lange, gut feuchte Zunge über sein Gesicht. Irgendwie schaffte es Mamoru, seine Arme hochzureißen, um sich des unsanften Gewaschenwerdens zu erwehren. Und als er dann endlich das Etwas halbwegs von sich herunterbugsiert hatte, sah er erst wirklich, was das denn genau war: Ein ausgewachsener Wolf von schwarzer und silberner Fellfarbe stand mit seinen riesigen Pfoten halbwegs auf ihm und hechelte und sabberte was das Zeug hielt. Elly lachte amüsiert. "Darf ich vorstellen: Das ist mein guter Terra. Keine Angst. Der beißt zwar manchmal, aber meistens nur in sein Futter." "Solange er nicht glaubt, dass ich sein Futter bin...", brummte Mamoru und arbeitete sich wieder auf die Beine. Noch als er sich den Staub aus den Klamotten klopfte bemerkte er, dass sich neben ihm ein weiteres Tier aufgestellt hatte; diesmal ein ziemlich stattliches Pferd von brauner Farbe. Die Beine waren sehr dunkel, ebenso wie Mähne und Schweif. Das einzig Helle war ein weißes, sternförmiges Abzeichen auf seiner Stirn. "Und das hier", so fuhr das Mädchen mit der Vorstellung fort, "ist mein Gabriel, ein Peruanischer Paso. Ganz ein Hübscher, nicht wahr?" Sie klopfte liebevoll den Hals des Pferdes und strahlte Mamoru dann an. "Sind die Beiden nicht ne Wucht?" "Im wahrsten Sinne des Wortes", grummelte Mamoru und wischte sich mit dem Ärmel seines Hemdes den Sabber aus dem Gesicht. "Ich habe ja schon mitbekommen, dass es auf der Mustang-Ranch so einige Tiere gibt, aber mit einem zahmen Wolf hätte ich nun wirklich nicht gerechnet. ...Na ja ... mit einer zahmen Krähe aber auch nicht..." "Ach, Du kennst Apollo schon?", meinte Elyzabeth mit schnippischem Grinsen. Anscheinend konnte sie sich gut vorstellen, wie der erste Kontakt mit dem Vogel verlaufen war. Und sie traf mit ihrem Gedankengang mitten ins Schwarze. "Ja", antwortete der Herr der Erde, "ich habe tatsächlich schon mit ihm ... Bekanntschaft gemacht. Gibt es bei euch noch ein paar Tiere, denen ich noch über den Weg laufen werde? Nur, damit ich schon mal vorgewarnt bin. Vielleicht ein paar Pinguine? Affen? Flamingos? Oder Haifische?" Sein Gegenüber lachte vergnügt und erklärte dann: "Abgesehen von einigen Pferden und Ponys, den Rindern, der Krähe und dem Wolf gibt es da nur noch die beiden Katzen. Eine weiße Kätzin namens Laura und ein schwarzer Kater mit Namen Arthur. Aber die beiden sind meistens unterwegs. Mäusejagd. Ich schätze, denen wirst Du eher selten begegnen. ...Ach, übrigens, was tust Du eigentlich hier? Siehst nicht unbedingt schwer beschäftigt aus..." Mamoru drehte sich um und wies auf das Rathaus. "Mein Onkel Seigi und meine Tante Kioku sind seit ner Ewigkeit da drin und tun weiß-der-Teufel-was. Ich wundere mich auch schon, wo die bleiben. Und was ist mit Dir? Rick hat sich gestern aufgeregt, dass Du Dich anscheinend nicht früh genug zu Hause gemeldet hast. Was treibst Du denn hier so?" Elyzabeth nahm ihren Hut ab, strich sich eine dunkelblonde Haarsträhne aus dem Gesicht, setzte den Hut wieder auf und antwortete erst dann: "Ich hab mich nur ein wenig kundig gemacht. Hier in Orendaham hat ein neuer Laden aufgemacht. Eine Bar, wie's aussieht. Ich hab die Sache aber bisher nur von weitem betrachtet. Von außen. War noch nicht drinnen." Sie kniete sich nieder und streichelte dem Wolf über den Kopf. Terra gab daraufhin einige hohe, fiepende Laute von sich und schaute andauernd zwischen seiner Herrin und Mamoru hin und her. "Wieso bist Du nicht rein gegangen?", erkundigte sich Mamoru, während er sich im Stillen fragte, wieso der Wolf in diesem dicken Fell nicht schon längstens in dieser Hitze eingegangen war. "Ich weiß nicht", antwortete sie und zuckte mit den Schultern. "Ich komm mir blöd vor, wenn ich alleine da rein gehen sollte. Aber ... wieso kommst Du nicht einfach mit?" Der Raum war klein, weiß und absolut leer. Ein Unwissender hätte sich gefragt, welchen Sinn es denn überhaupt hätte, außen an der Tür das kleine, goldfarbene Schild mit der Aufschrift zu befestigen. Aber so leer dieser Raum auch war, so nützlich und sogar notwendig war er auch. Genau in diesem Moment, zum Beispiel, tauchten der General Neflyte und der junge Adjutant Jaspisyte darin auf wie aus dem Nichts. Beide hatten ihre Uniformen abgelegt und waren wie Zivilisten aus der Welt der Menschen gekleidet. Sie verließen den kleinen, weißen Raum, der nur dazu da war, unerkannt zwischen Orendaham und dem Basislager des Königreichs des Dunklen hin und her zu reisen. Die beiden durchschritten eine riesige Küche, wo emsig etliche Dämonen und Teufel arbeiteten, die sich als Menschen getarnt hatten. Natürlich erkannten sie ihre Meister und verneigten sich vor ihnen, ehe sie mit ihrem arbeitsamen Treiben fortfuhren. Neflyte bedeutete dem Adjutanten mit einer unwilligen Handbewegung, er solle stehen bleiben und hier auf ihn warten. Dann stapfte er allein weiter. Er betrat das eigentliche Lokal, das in einer sehr angenehmen Atmosphäre gehalten war. Irgendwie düster - und zugleich durch geschickt gesetzte Lichtpunkte sehr interessant. Der Boden war mit schwarzem Obsidian ausgelegt. Gläserne, hohle Säulen waren gleichmäßig im großen Raum verteilt, gefüllt mit winzigen, lapislazulifarbenen Kieseln, die von unten beleuchtet waren und einen gedämpften, blauen Schimmer durch den Raum wabern ließen. Auf den türkisfarbenen Tischen brannten Kerzen mit grünem oder blauem Wachs. Stark heruntergedimmte Lampen an den silberfarbenen, matt glänzenden Wänden strahlten sanftes, bläuliches Licht aus, ohne indes den Raum wirklich zu erhellen. Im Großen und Ganzen reichte die Beleuchtung aus, um noch genug zu erkennen und doch gleichzeitig ein Gefühl von Behaglichkeit zu verleihen. Nach Neflytes Geschmack war dies die perfekte Kombination aus der Dunkelheit, die sein Königreich repräsentierte, und dem verhassten Licht, das die Menschen so anhimmelten. Doch ohne dieses Licht würde wohl oder übel jegliche Kundschaft ausbleiben. Zumindest der Name der Bar drückte das aus, was hier allgegenwärtig zu finden war und dieses Lokal zu einem besonderen Lokal machen sollte: . Die Dunkelheit. Neflyte richtete seine Schritte gezielt auf den jungen Mann, der hinter der Theke stand und sich ganz offensichtlich zu Tode langweilte. Momentan war absolut nichts los. Erst jetzt hob der Soldat aus dem Königreich des Dunklen müde seinen Blick und realisierte Neflyte. Daraufhin straffte sich der Mann sofort, machte einen schnellen Knicks und grüßte mit den Worten: "Meister Neflyte..." "Schon gut, Amethysyte. Läuft alles nach Plan?" "Bis jetzt, ja, mein Meister. Ganz abgesehen von der Tatsache, dass es noch ein wenig an Kundschaft mangelt. Doch um dieses Problem will ich mich so bald als möglich kümmern", versicherte der Herr von Australien. "Das willst Du wirklich?", fragte Neflyte amüsiert nach. "Und dafür auf Dein faules Herumsitzen verzichten?" "Vergebung, mein Meister..." Neflyte winkte ab. "Lass es gut sein. Ich weiß, dass aller Anfang schwer ist. Ich hab da was für Dich. Eine neue ... Aushilfskraft, wenn man so haben will. Komm mit." Wortlos folgte Amethysyte seinem Herren und sofort wurde sein Platz von einem der Dämonen in Menschengestalt eingenommen. Für den doch eher unwahrscheinlichen Fall, dass sich ein menschliches Wesen hierher verlaufen könnte, um nach dem Weg zur Tankstelle zu fragen oder weil er dringend mal musste. Eigentlich rechnete Amethysyte nicht wirklich damit, dass Kundschaft im eigentlichen Sinne so schnell hier auftauchen würde. Leider. Gerade, als die beiden die Küche betraten, sahen sie Jaspisyte, der sich ein Glas, gefüllt mit einer weißen Flüssigkeit, von einem Tablett runternahm, das ihm von einem der Teufel entgegengehalten wurde. "Vielen herzlichen Dank! Das ist sehr nett von Dir." Und noch während er trank meinte der Teufel ein untertäniges "Ich stehe gern zu Diensten." Neflyte und Amethysyte standen eigentlich nur in der Tür und beglotzten sich die Szene. "Vielen ... herzlichen ... Dank?", echote Amethysyte ungläubig. "Sehr ... nett?" Neflyte seufzte und fasste sich an die Stirn. "Gehört der echt zu uns?" "Ist das da ... Milch?", stellte Amethysyte fest. "So ist es", nickte ihm Jaspisyte zu. "Wer will noch?" "Nein, wirklich nicht", kam es von Neflyte und Amethysyte wie aus einem Munde. "Meister", so wandte sich der Herr von Australien Neflyte zu, "soll ... der da ... etwa meine rechte Hand werden?" "Du hast es erfasst", antwortete der Herr der Vereinigten Staaten grinsend. "Ich wünsche euch beiden noch viel Spaß. Man sieht sich." Neflyte hatte den Raum schon durchquert und seine Hand auf die Klinke der Tür zum kleinen gelegt, als Amethysyte noch ein letztes, aufbäumendes "Aber... aber..." von sich gab. "Wird schon schief gehen", meinte Neflyte. Amethysyte stand nur offenen Mundes da, während Jaspisyte einen Knicks andeutete und zum Abschied "General Neflyte..." sagte. Und dann war der zweite der Prinzen der vier Winde auch schon verschwunden. Gut gelaunt wandte sich Jaspisyte seinem neuen Partner zu und meinte: "Was tun wir als erstes?" "Als erstes wirst Du mal dieses Grinsen aus Deinem Gesicht radieren, SONST TU ICH ES!", giftete Amethysyte und seufzte schwer. Er ließ sich auf einem Hocker nieder und schüttelte den Kopf. "Hey, hey, so miesepetrig drauf heute?", meinte der Herr der Antarktis. "Welche Laus ist Dir denn über die Leber gelaufen?" "Frag nicht so blöd, Du natürlich!", keifte Amethysyte. "Womit hab ich das nur verdient? An meiner Seite kämpft ein milchtrinkendes Weichei für das Wohlergehen unseres gesamten Königreiches! Nur, dass Du es weißt: Erwarte keine Nettigkeiten von mir!" Dann stutzte er und sah sich Jaspisyte etwas genauer an. "Ist Deine Lippe geschwollen?" Automatisch fuhr sich Jaspisyte über sein Kinn und schlagartig war seine gute Laune wie weggeblasen. Er zupfte etwas an der langen Haarsträhne in seinem Gesicht herum, bis sie seinen Mund einigermaßen verdeckte und sagte dann leise: "Ich habe nur... Es gab ... eine Meinungsverschiedenheit. Wirklich absolut nichts von Bedeutung." Amethysyte konnte nur den Kopf schütteln. "Sag mal, wie alt bist Du eigentlich? Man sollte ja erwarten können, dass Du Dich wie ein Erwachsener zur Wehr setzt. Gerade als Adjutant! Aber nicht mal das schaffst Du, Milchbubi." "Ich sage doch, es tut nicht zur Sache", murmelte Jaspisyte. Er konnte immer noch nicht verstehen, wie sein Vater nur so kaltherzig zu ihm sein konnte. Alles, was er verlangte, war ein wenig Zuneigung. Jedytes Worte gingen ihm durch den Kopf. "Du bist immer noch ein Soldat im Dienst, und so lange das der Fall ist, hast Du mich mit meinem Rang zu titulieren, IST DAS KLAR???" Das Dumme war nur ... im Königreich des Dunklen Soldat zu sein, das war ein Full-Time-Job. Jaspisyte hatte demnach nie die Möglichkeit, mit Jedyte umzugehen wie mit einem Vater. Er seufzte schwer und nippte wieder an seinem Glas Milch. "Hallo! Hörst Du mir überhaupt noch zu?" Mit diesen Worten piekste Amethysyte ihn in die Seite. "Was?", machte er erschrocken und fuhr herum. "Tut mir ehrlich Leid, Amethysyte, ich hab Dir gerade nicht zugehört. Bitte, verzeih..." Der andere Adjutant winkte ab. "Von Dir kann ich wohl nichts Besseres erwarten, was? Also noch mal: Wir müssen uns in die Welt der Menschen integrieren. Das heißt, wir brauchen auch menschliche Namen. Du wirst Jan heißen, und ich bin Adam. Kapiert?" "Kapiert", antwortete Jaspisyte ... oder Jan ... und fragte daraufhin: "Und wie sieht es mit dem Nachnamen aus?" "Nachnamen?" "Ja, die Menschen haben auch Nachnamen." "Öhm..." Der Herr von Australien dachte kurz nach. "Smith." "Smith?" "Smith. Ist glaube ich ein häufiger Name. Ja, Smith", antwortete Amethysyte. "Wir beide?" "Wie meinst Du das denn?" "Na ja", führte Jaspisyte aus, "entweder wir haben verschiedene Nachnamen oder wir gehören zu einer Familie." "Ach... verflucht", schimpfte Amethysyte, "dann bist Du einfach ausnahmsweise mein jüngerer Bruder. Wir wollen den Menschen nur die Energie nehmen. Wir müssen ihnen nicht gleich eine ganze Lebensgeschichte auftischen. Es sind nur Menschen, verdammt. Wenn sie zu aufdringlich werden, nutze Deine dunklen Fähigkeiten, um sie abzuwimmeln." "Ich ... manipuliere nicht gerne ... in anderer Leute Gedanken herum...", stammelte Jaspisyte. "Dann komme ich mir so schäbig vor ... als würde ich in Privatsachen herumschnüffeln..." Der Herr von Australien grinste ihn nur an und meinte herausfordernd: "Du kannst natürlich auch einfach die ganze Angelegenheit sausen lassen und vor die Bar ein großes Schild stellen mit der Aufschrift: " Jaspisyte senkte betreten den Kopf. "Du hast ja Recht." "Na also, geht doch", seufzte Amethysyte. "Und in Zukunft überlässt Du das Denken lieber mir, verstanden?" Der jüngere Adjutant nickte. Amethysyte fuhr sich mit der Hand durch das kurze, blonde Haar. Dann zwang er sich zu einem Grinsen und meinte: "Wir sollten uns nun um unsere Arbeit kümmern ... Jan." Darauf zog er eine Schublade in einem der niedrigen Schränkchen auf, und einige Dutzend durchsichtiger, kleiner Kristalle kamen zum Vorschein. "Diese Kristalle entziehen den Menschen ihre Energie, sobald sie berührt werden. Wir müssen jedes Glas und überhaupt jedes Stück Geschirr mit diesen Kristallen versehen. Na los, hilf mir." "Also gut", meinte Jaspisyte. Er griff mit der einen Hand nach einem Glas und mit der anderen nach einem Kristall. Er fügte die beiden Gegenstände zusammen, und sowie sie sich berührten, wurde der Kristall vom Glas aufgenommen, als wäre das Glas plötzlich flüssig geworden. Dann verschmolzen die beiden Dinge untrennbar mit einander und das Glas rund um den Kristall wurde wieder fest. "Legen wir los ... Adam", grinste Jaspisyte. "Aber ... wieso kommst Du nicht einfach mit?" Elyzabeth sah ihn mit einem begeisterten Strahlen in den Augen an. "Hmmm", machte Mamoru. "Ich weiß nicht..." Er warf einen Blick über die Schulter und sah das Rathaus an. Er grübelte kurz und kratzte sich nachdenklich an der Stirn. "Weißt Du ... irgendwie würde ich ja schon gerne ... aber ... ich glaube, es wäre nicht fair von mir, wenn ich jetzt einfach ohne ein Wort verschwinden würde. Mein Onkel und meine Tante werden bestimmt bald wieder da raus kommen ... das hoffe ich doch ... und wenn ich dann spurlos verschwunden bin, machen sie sich bestimmt Sorgen." "Na und?", antwortete Elly. Sie grinste ihn spitzbübisch an. "Die beiden haben Dich ja auch schon eine ganze Weile allein hier hängen lassen. Wir gehen nur grad was trinken und kommen direkt wieder hier her. Was sagst Du?" Mamoru lächelte und schüttelte den Kopf. "Später vielleicht." Das Mädchen seufzte und zuckte mit den Schultern. "Da kann man nichts machen." Sie stieg in ihren Sattel und wendete das Pferd. Dann wandte sie sich Mamoru noch einmal zu. "Kommst Du heute noch auf die Mustang-Ranch? Ich würd mich freuen!" "Ja", meinte Mamoru, noch immer lächelnd. "Das würd ich sehr gern. Wenn ich nicht vorher hier verrotte." Elly lachte. "Also, bis dann!" Darauf trieb sie ihren Peruanischen Paso an. Gabriel sprengte im Galopp davon und der Wolf Terra jagte in atemberaubendem Tempo hinterher. "Ein einmaliges Gespann", murmelte Mamoru. Er konnte es sich nicht wirklich erklären, aber jetzt, nach diesem etwas eigenartigen Treffen, fühlte er sich schlicht und ergreifend glücklich und zufrieden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)