Such dich in mir... von Stiffy ================================================================================ Kapitel 8: Weil ich dich liebe... --------------------------------- An diesem Abend in seinem Kinderzimmer bin ich zu einem Entschluss gekommen: Ich werde zu ihm stehen, es ihnen allen sagen. Als ich wieder zu Hause war, rief ich allererst Tom an. Seit mindestens acht Jahren verbringen wir jedes Sylvester zusammen, Tom, Frank, Martin und ich. Jedes Jahr woanders, meist an irgendeinem Küstenort oder einem See in der Nähe. Immer wird eine riesige Party daraus, da wir nie nur zu viert waren, sondern jeder seine aktuelle Freundin mitbrachte, dazu noch ein paar andere Bekannte. Jahr für Jahr war es eines der besten Ereignisse des Jahres und so gut wie jedes Mal hatte auch ich eine Freundin dabei, selbst wenn alle wussten, dass es nicht lange halten würde... Dies Jahr ist es anders, dies Jahr werde ich einen Menschen mitbringen, der mir wichtig ist, den ich liebe, und es wird kein Mädchen sein. Ich fragte Tom über die diesjährigen Pläne aus und erwähnte fast beiläufig, dass ich wieder jemanden mitbringen würde... und dass es die Person sein wird, die ich auch in den nächsten Jahren immer dabei haben will. Ich nannte wieder den Namen Julie und sagte, er solle sich einfach überraschen lassen. Wir verabredeten, dass ich am Sylvesterabend erst zu ihm kommen würde. Ich will erst mit ihm reden, bevor ich auf die anderen treffe, will erst seine Zustimmung oder Ablehnung, denn sie ist mir viel wichtiger als die der anderen. Sollte er mich verurteilen, brauche ich erst gar nicht zu der Party zu gehen. Julian ist einverstanden und ich glaube er ist auch neugierig auf meine Freunde, die ich ihm so lange vorenthalten habe. Als ich nun also diesen Punkt geplant und somit fürs erste abgehakt hatte, hielt mich nichts mehr davon ab, über meine Eltern nachzudenken... Meiner Mutter hatte ich versprochen, spätestens am zweiten Weihnachtsfeiertag vorbeizuschauen, und nun, da ich mich entschlossen hatte, es allen zu sagen, dachte ich gar nicht erst daran, alleine hinzufahren. Sie sollen endlich wissen, wer ich wirklich bin, mich als diese Person lieben oder hassen. Meine Mutter hat mich erst spät bekommen, genauer gesagt erst mit 34... und mein Vater ist noch fünf Jahre älter als sie. Vielleicht bereitet mir gerade das die meiste Sorge, denn, wenn man es genau nimmt, sind sie nicht nur aus einer ganz anderen Generation wie Julian und ich, sondern auch wie seine Eltern. Sie sind in der Zeit aufgewachsen, wo Homosexualität ein Tabuthema war und als abstoßend galt. Wohl nicht zuletzt deshalb wurde ich meine gesamte Kindheit über nicht einmal mit dem Thema konfrontiert. Eigentlich weiß ich überhaupt nicht wie meine Eltern darüber denken. Vielleicht haben sie ja auch gar nichts dagegen und ich mache mir umsonst Sorgen... Als ich Julian von meinem Entschluss erzählte, wollte er erst nicht mitkommen. Er sagte, er wolle mich nicht drängen und ohne ihn könne ich mich entweder doch noch dagegen entscheiden oder es ihnen mit mehr Ruhe erklären. Doch das will ich nicht. Ich weiß, dass ich ohne ihn wieder einen Rückzieher machen, wieder den Schwanz einziehen würde... und das will ich nicht. Ich habe mich dazu entschlossen, es ihnen zu sagen, also werde ich es tun, und bei der Gelegenheit sollen sie auch gleich meinen Freund kennenlernen, wer weiß, ob sie es danach überhaupt noch wollen... ~ * ~ Trotz meines feststehenden Entschlusses werde ich nun, da wir meinem Elternhaus immer näher kommen, zunehmend nervöser... und als wir schließlich die Autobahn verlassen und in das kleine Dorf abbiegen, in dem ich 19 Jahre lang gelebt habe, würde ich am liebsten wieder umdrehen. Was soll ich denn bitte sagen? „Mum, Dad, ich bin schwul“? Oder besser „Das ist mein Freund, nein, nicht so Freund, wie ihr denkt... ich habe Sex mit ihm.“? Seufzend lasse ich den Kopf sinken. Sowohl das eine, als auch das andere kann ich doch nie im Leben sagen... Aber gibt es überhaupt Worte, die es ihnen unmissverständlich klar machen und sie dem Herzinfarkt nicht etwas näher bringen? Ich sehe Julian an, der still neben mir sitzt und interessiert all die kleinen Häuser ansieht, die mir so vertraut sind... 26 Jahre lang habe ich mich nie wirklich mit dem Gedanken beschäftigt, vielleicht schwul zu sein. Dabei bin ich es wohl schon immer gewesen. Im Nachhinein ist das so leicht zu erkennen... war ich also wirklich so blind? Wieso habe ich nie darüber nachgedacht, dass ich einen männlichen Körper viel anziehender fand als den blanken Busen einer Frau... oder dass ich in meiner Schulzeit lieber den Jungen nachsah, als den beliebtesten Mädchen? Wieso hat es mich nie gewundert, wieso hat es mich nie zu einer so offenliegenden Tatsache gebracht? Hatte ich einfach Angst? Habe ich mich deshalb vor mir selbst verleugnet und bin wieder und wieder Beziehungen eingegangen, die von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen waren? Es hat mich ja noch nicht mal gewundert, dass mich der Sex mit einer Frau nie wirklich befriedigte... Vielleicht dachte ich auch so sei es normal und habe deshalb den Gedanken einfach verdrängt, die Worte, die immer in meinem Kopf hätten sein müssen: Ich bin schwul! 26 Jahre lang habe ich es einfach nicht gesehen. Ich greife nach Julians Hand, genieße ihren erwidernden Druck einen Moment lang. Für ein paar Sekunden sehe ich in seine Augen, sehe sie lächeln. Wie habe ich nur so lange ohne ihn leben können? An einer roten Ampel beuge mich kurzentschlossen zu ihm hinüber, küsse ihn. Als ich mich wieder von ihm löse, erkenne ich im Auto auf dem Nebenstreifen zwei jüngere Frauen. Sie sehen uns breitgrinsend an. Ich erwidere das Grinsen, küsse Julian provokant noch ein zweites Mal und fühle mich gut dabei. Muss es nicht genau so sein? ~ * ~ Ich habe in den sieben Jahren, die ich nicht mehr zu Hause wohne, weil ich aufgrund meines Studiums weggezogen bin, nicht ein Mal eine Freundin mit nach Hause gebracht. Ab und zu, wenn ich mit meiner Mutter telefonierte oder sie alle paar Wochen mal besuchen fuhr, habe ich ihr von irgendeinem Mädchen erzählt. Meist war es beim nächsten Mal schon wieder eine ganz andere. Anne war die Letzte, von der ich ihr erzählt habe... von „Julie“ habe ich nichts gesagt. Mein Vater hat sich nie für mein Liebesleben interessiert. Arbeit war ihm schon immer viel wichtiger, denn Beziehungen seien in meinem Alter reinste Zeitverschwendung. Jahrelang habe ich seine Ansicht sogar irgendwie geteilt, doch jetzt tue ich es nicht mehr. Wie könnte ich auch die Zeit mit Julian, die ich so sehr genieße, als Zeitverschwendung ansehen? Ich schließe die Tür zu dem großen Haus auf, das nun, da mein Bruder Daniel und ich nicht mehr hier wohnen, eigentlich viel zu groß für zwei Personen ist. Aus der Küche hört man leise die Musik des Radios... seit Jahr und Tag immer der gleiche Sender. Alles ist so vertraut und doch weiß ich, dass ab heute wohl alles anders sein wird. Am liebsten würde ich auch jetzt noch umdrehen und gehen, doch was würde es bringen, wieder zu flüchten, weiter zu lügen? Julian bleibt einige Schritte hinter mir. Auch er scheint jetzt nervös zu sein. „Hi Ma...“ Ich betrete die Küche, und bleibe mitten im Raum stehen. Sofort dreht sich die kleine, rundliche Frau um und strahlt mich mit ihren Lachfältchen an. „Hallo mein Junge!“ Sie kommt auf mich zu und umarmt mich, doch im nächsten Moment versteift sich ihr Körper in meinen Armen. Ich schließe die Augen und atme einmal tief durch. „Oh...“ Sie befreit sich aus meinem Griff und es bleibt mir keine andere Wahl als sie anzusehen. „Du hast einen Freund mitgebracht!?“ Sie klingt nicht mal misstrauisch, nur überrascht. „Das ist Julian“, antworte ich knapp. „Wo ist Dad?“ „Im Arbeitszimmer...“ Sie sieht Julian an, mustert ihn von oben bis unten ohne ihn zu begrüßen. Julian selbst ist blass und kein Wort scheint seine sonst so gesprächigen Lippen verlassen zu wollen. Er sieht mich an und ich spüre wie hilflos er sich fühlt. So habe ich ihn noch nie gesehen. Zögernd gehe ich an ihm vorbei, greife dabei nach seiner Hand und ziehe ihn mit mir. Auch wenn ich es nicht sehen kann, weiß ich um den erschrockenen Blick im Gesicht meiner Mutter, weiß ich, dass sie uns bis zu Vaters Arbeitszimmer hinterher dackelt und dabei die ganze Zeit auf unsere Hände starrt. Immer mehr Angst steigt in mir auf. Ich lasse Julians Hand wieder los, klopfe an die alte Eichentür und drücke die Klinke hinunter. Sofort steigt mir der bekannte Geruch von Staub und Zigaretten in die Nase. Als kleiner Junge habe ich es geliebt, hier bei meinem Vater zu sein und ihm bei der Arbeit zuzusehen, nun wünsche ich mir plötzlich es könnte noch immer so sein... doch wir haben uns schon vor Jahren voneinander entfremdet. „Hallo...“, sage ich verkrampft, als ich auf den mittlerweile ergrauten Hinterkopf sehe. Er hebt kurz die Hand, als wolle er sagen ‚Einen Moment bitte’... eine oft von ihm verwendete Geste. Ich erkenne Julian neben mir, wie er verstohlen den Blick durch das mit Büchern und Ordnern vollgestellte Zimmer schweifen lässt... Noch könnte ich meine Gefühle und damit mich selbst verleugnen, noch könnte ich ihn verleugnen und sagen, der Handgriff war nur eine unüberlegte Geste, noch könnte ich ihnen Julian als einen Freund vorstellen, so wie es Tom immer war. Ihn haben sie geliebt wie ihren eigenen Sohn. Theoretisch könnte ich es, doch praktisch? Kann ich wirklich meine Gefühle noch weiterhin zurückstellen... seine Gefühle, nur um meinen Eltern das Gefühl zu geben, einen normalen Sohn zu haben? Aber bin ich denn nicht normal? Mein Vater dreht sich zu uns herum und auf seinen Lippen liegt ein leichtes Lächeln. Dies ist die Sekunde der Entscheidung. Wahrheit oder Lüge, Alles oder Nichts... Ich greife nach Julians Hand und halte sie fest. Wie auch meine Mutter zuvor sieht mein Vater mich und Julian überrascht an als würde oder wolle er einfach nicht verstehen. Vielleicht tun sie es auch wirklich nicht... In den Stunden Fahrt hatte ich viele verschiedene Möglichkeiten um ihnen es zu erklären, doch nun verlässt kein Wort meine Lippen. „Was hat das zu bedeuten?“ Mein Vater sieht mich direkt an, misstrauisch. „Das...“ Ich schlucke, suche die richtigen Worte, drücke Julians Hand noch etwas fester, als bräuchte ich einen Beweis, dass er wirklich bei mir ist. Mein Kopf ist leer. „Vater... das ist Julian...“, spreche ich, weil mir nichts anderes einfällt. „Mich interessiert nicht wer das ist, ich will wissen, wieso du...“ Er deutet auf unsere Hände. Julians Hand ist eisig und feucht. Gerne würde ich ihn ansehen, um zu wissen was er denkt, doch ich wage nicht, den Blick von meinem Vater zu lösen. „Er... er ist mein Freund... und...“ Ich krame in meinem Kopf nach den richtigen Worten. Sie und diese Situation scheinen mir aus den Fingern zu gleiten. „...und wir lieben uns.“ Damit ist es heraus, doch ich fühle mich kein bisschen besser. Wahrscheinlich sollte ich das, doch der sich verändernde Blick meines Vaters lässt es nicht zu. Er springt auf und knallt mir eine. Mein Kopf fliegt gegen den Türrahmen, alles scheint sich zu drehen. Julians erschrockene Stimme hallt in meinem Kopf wie ein Echo, ganz weit weg... Ich klammere mich an seine Hand, kämpfe gegen den Drang an, meinen zitternden Knien nachzugeben und zu Boden zu sinken. Vor mir steht mein Vater. Er war schon immer etwas größer als ich, doch nun wirkt er riesig und bedrohlich. Seine Augenbrauen sind zusammengezogen, seine Augen nur noch Schlitze. Alles was ich je als Wut oder Hass in ihm gedeutet hätte, verschwindet aus meinen Erinnerungen. „Johann... bitte...“ Es ist die zitternde Stimme meiner Mutter hinter mir. „Was?“ Er schreit nicht, klingt nur, als wolle er am liebsten ein weiteres Mal zuschlagen. Plötzlich frage ich mich, ob er jemals Hand an meine Mutter gelegt hat. Hatte sie schon mal Angst vor ihm? Ich habe sie jetzt! „Bitte... wir... wir können doch darüber reden...“ Ich höre, dass sie weint. „Er kommt bestimmt wieder zur Vernunft...“ In dem Moment, als ich diese Worte höre, hätte am liebsten ich sie geschlagen. Wieder zur Vernunft kommen? Darüber reden? „Scheiße, es ist mir verdammt ernst damit!“, schreie ich, selbst überrascht über die Härte in meiner Stimme. Ich spüre die Hand meiner Mutter an meinem Arm, schüttle sie sofort wieder ab. „Ihr glaubt das doch selbst nicht! Verdammt, ich bin 26, ich weiß, was ich fühle!“ „Das weißt du nicht! Dieser Kerl hat dir das eingeredet!“ „War doch klar, dass so was kommt! Das ist doch immer so! Immer sind andere Schuld! In eurer heilen Familie kann so was natürlich nicht passieren! Was wenn ich aber wirklich so fühle!?“ Ich spüre Tränen wie Säure in meinen Augen, spüre sie meine Wangen hinunter fließen. Ich wusste doch, dass es so kommen würde! „Du bist ganz bestimmt nicht so! Du wirst bald ein Mädchen finden!“ Mein Vater spricht, als wolle er mich hypnotisieren. Seine Stimme ist kalt und ganz ruhig, treibt mich schier in den Wahnsinn. Ich sehe zu Julian, der mich erschrocken ansieht, sehe auch in seinen Augen Tränen. „Nein!“, schreie ich, sehe dabei ihn an, weil ich seinen Blick als einzigen ertrage... „Ich liebe ihn und das ist verdammt gut so! Oder wollt ihr, dass ich unglücklich werde?“ „Du kannst das alles nicht ernst meinen!“ Meine Mutter, ihre Stimme ist fast hysterisch. Ich habe das Gefühl in einem Brunnen zu sitzen, in den alle möglichen Leute hineinschreien, einem mit aller Kraft etwas einreden wollen, und man hat gar keine anderer Wahl, als ihnen zuzuhören egal wie sehr der Kopf dröhnt. „Doch, das meine ich! Akzeptiert es, verdammt noch mal!“ „Aber was haben wir denn falsch gemacht?“ Durch all die Tränen versagt ihr fast die Stimme. Ich traue mich noch immer nicht, sie anzusehen. „Du bist keine Schwuchtel! Mein Sohn ist so was nicht!“ Nun schreit er wieder, verzweifelt, als habe er wirklich Angst, mich zu verlieren. Warum stellt er mich dann vor so eine Wahl, die er nur verlieren kann? „Wie kann man nur so verkorkst sein?“ Ich drehe mich um und ziehe Julian hinter mir her. Kurz scheint er mich aufhalten zu wollen, dann tut er es nicht. Ich höre meinen Vater etwas schreien, doch ignoriere seine Worte. Tränen fließen meine Wangen hinunter, als ich in der Tür meines Elternhauses stehe und mir nichts sehnliche wünsche, als dass mir einer von ihnen nachkommt, um mich aufzuhalten, mich doch so zu akzeptieren. Keiner von beiden kommt, nur Julian ist da und im Hintergrund das Geschreie meiner Eltern. Ich sehe ihn durch Tränenschleier an. „Bring mich weg von hier!“ ~ * ~ Ich liege in meinem Bett, fest in eine Decke vergraben. Immer noch kann ich die Tränen nicht stoppen, so sehr ich es auch versuche. Immer wieder hallen ihre Worte in meinen Ohren, immer wieder dieser Hass, diese Wut. Wieso muss gerade ich Eltern haben, die es nicht akzeptieren, damit nicht umgehen können? Seit wir wieder hier sind, wünsche ich mir, das Telefon würde klingeln und Mutter würde am anderen Ende darauf warten, dass ich abnehme... doch der Apparat bleibt tot. Die ganze Fahrt über habe ich geschwiegen, aus dem Fenster hinaus in die verschneite Landschaft gestarrt und mir gewünscht, es wäre alles nie passiert. Ich habe mich zurück in unser Ferienhaus an der Ostseeküste gewünscht, in dem wir so oft Sommer als auch Winter verbracht haben. Damals war ich ein kleiner Junge, damals habe ich noch nicht an Jungen oder Mädchen gedacht, damals war ich unschuldig, ohne diese abscheulichen Gedanken. Mein Vater hat mich geliebt, meine Mutter mit mir und Daniel gespielt, und die Welt war in Ordnung. Nun, mehr als fünfzehn Jahre später hat sich alles verändert. Daniel ist in Australien, ich bin schwul und meine Eltern hassen mich... Wieso geht es so leicht eine völlig normale Familie zu zerstören? Es sind drei Worte, es ist ein Gefühl, es ist eigentlich nur ein kleiner Gedanke, den meine Eltern meinetwegen ganz hinten in ihrem Kopf vergraben können. Ich habe nicht vor, ständig bei ihnen knutschend mit Julian zu sitzen oder ihnen von meinen Sexspielchen zu erzählen, nichts von alledem käme mir je in den Sinn, wieso also machen sie so ein Drama daraus? Ist Schwulsein denn wirklich so schlimm? Es kann ja auch nicht wegen Enkeln sein. Daniel ist seit fünf Jahren mit einer Australierin verheiratet und sie haben einen gemeinsamen Sohn. Es kann also nicht an dem verständlichen Grund, Oma und Opa werden zu wollen, liegen. Wieso also dann? Wieso können sie nicht damit leben, dass ich schwul bin? Eine Tür fällt leise ins Schloss. Schritte. „Alex...“ Julian hat mich ins Bett gebracht und hat mich dann für einige Minuten alleine gelassen. Fast habe ich vergessen, dass er überhaupt da ist, fast habe ich es verdrängt. Nun ist seine Stimme ruhig und zärtlich wie immer. In mir zieht sich alles zusammen, als ich sein Gesicht vor meinem geistigen Auge sehe. „Darf ich zu dir kommen?“ Es ist das erste Mal, dass er mich dies fragt... und es ist das erste Mal, dass ich daran denke, es nicht zuzulassen. Er hebt die Decke etwas an, um darunter zu krabbeln. Ich kneife meine Augen noch mehr zusammen, versteife meinen Körper. Obwohl ich mir im Moment nichts sehnlicher wünsche als seine Nähe, stößt mich der Gedanke gleichzeitig ab. Ich will alleine sein, alleine nachdenken und weinen, und ich will ihn bei mir spüren, festhalten und mit ihm schlafen, um zu wissen, dass ich noch lebe. Doch das darf nicht sein. Er ist ein Mann, und ich bin einer. Sex zu haben ist dreckig und pervers! Diese Worte schreiben sich förmlich mit der Stimme meines Vaters in meinen Kopf. Dreckig! Pervers! Schwuchtel! „Geh weg!“, schreie ich halblaut unter der Decke hervor, gerade als sich die Matratze etwas senkt. Er ist ekelhaft, er darf dich nicht anfassen, nicht weiter beschmutzen! „Lass mich in Ruhe!“ Ich spüre, wie er stockt, sich nicht zu bewegen wagt. Ich zittere am ganzen Körper, kann kaum einen klaren Gedanken fassen. Einerseits hasse ich mich dafür, dass ich ihn nun abweise, andererseits muss es doch genauso sein, wenn man normal ist! Er hat dich nur verführt! Er hat dich nur verzaubert! Wach endlich auf!! Ich schlinge die Decke enger um mich, eine abwehrende Geste. „Alex... bitte... ich will dir doch helfen...“ Lügner! Bleib weg von mir, fass mich nicht an! „Ich brauche dich nicht!“ Ich bin ungerecht, ich bin gemein, ich darf so nicht sein... Nein, verdammt, es ist genau richtig so! „Lass mich in Ruhe!“, wiederhole ich mit Nachdruck, Tränen verzogener Stimme. Ich spüre zwei Hände, die mich packen, schütteln. Ich habe die Augen zusammengekniffen, schlage mit beiden Händen um mich. Perverses Schwein, nimm deine dreckigen Pfoten von mir! Ich hasse dich!! „Pack mich nicht an, du Schwuchtel!!“ Meine eigene Stimme ist es, die ich da höre, die diese Worte spricht, aber ich begreife es kaum. Im nächsten Moment spüre ich einen knallenden Druck auf meiner Wange. Mein Kopf wird in die Kissen geschleudert... dann liege ich ganz still da. Meine Augen sind geweitet, starren vor sich hin, ohne bestimmten Punkt. Was war das gerade? Was ist da gerade mit mir passiert? Ich habe ihn angeschrieen, von mir geschickt, beschimpft. Ich habe den Menschen, den ich am meisten liebe, versucht, mit aller Kraft auf Abstand zu halten, ich hätte ihn in meinem Wahn wahrscheinlich sogar geschlagen. Ich... ich... Immer noch rinnen Tränen meine Wangen hinab, doch nun sind sie anders als zuvor... Ich drehe den Kopf ein wenig, sehe Julian an, der auf mir sitzt. Seine Augen blicken zurück, und anders als ich erwartet hätte, sehe ich nicht Wut oder gar Hass darin, sondern nur Sorge und Liebe. Ich kämpfe mich aus den Kissen hoch, schlinge meine Arme um seinen Körper. Zugleich habe ich Angst, dass er mich nun wegstößt. Diese Angst ist größer als alle Enttäuschung wegen meiner Eltern. „Es tut mir leid...“ Ich schluchze an seiner nackten Schulter, vergrabe mein Gesicht daran. „Es tut mir so leid!“ Seine Arme legen sich um mich und er drückt mich gegen sich. Unendliche Erleichterung steigt in mir auf. „Es ist okay...“, flüstert er in mein Ohr, seine Stimme nicht wütend, sondern beruhigend, wenn auch ein wenig zittrig. „Ich liebe dich doch...“ „Ich liebe dich auch... verdammt, und wie ich dich liebe...“ Zum ersten Mal spreche ich es aus. Ich presse meine Lippen gegen seine und er geht auf den verlangenden Kuss ein. Es scheint als nehme er diese Last von meinen Schultern, lässt diese Stimmen aus meinem Kopf verschwinden. Ich gehöre zu ihm, mehr nicht. Als der Kuss vorüber ist, sehen wir uns tief in die Augen. Er lächelt schief und sein Blick ist so klar und warm, zeigt mir immer wieder diese tiefen Gefühle, die auch ich verspüre. Er ist es, der jetzt bei mir ist, der mich tröstet und mich mit all meinen Macken als den akzeptiert und liebt, der ich bin. Er sollte mir wichtiger sein, als alles andere, und eigentlich ist er es auch. Wie konnte ich auch nur eine Sekunde daran zweifeln? Er zieht die Decke unter uns hervor, drückt mich auf die Matratze zurück und deckt uns zu. Ich umschlinge seinen heißen Körper als sei er ein Rettungsanker und ich kurz vor dem Ertrinken. Halt mich fest, beschütze mich, lass mich nie wieder los! ENDE Kapitel 8 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)