Fatal Frame Gaiden von Zuckerfee (the chosen ones) ================================================================================ Prolog: ~Prologue~ (talk with kin) ---------------------------------- Ihr habt doch sicher schon von Geschichten gehört, die sich mit übersinnlichen Ereignissen befassen, zum Beispiel mit Geistern oder... Wie? Ihr glaubt nicht an so was?... Na ja, das hab ich früher eigentlich auch nicht, aber manchmal können Dinge geschehen, die deine Welt und alles, an das du bisher geglaubt hast, auf den Kopf stellen. Nach solchen Ereignissen sieht man alles aus einem ganz anderen Blickwinkel... Aber ich sollte wohl von Anfang an erzählen. Alles begann damit, dass mein älterer Halbbruder eine Tages nicht zu einem Treffen kam. Für Manche mag sich das ja ganz harmlos anhören, aber zwischen uns war das äußerst ungewöhnlich... Wir sind praktisch miteinander aufgewachsen und als wir uns aufgrund der Distanz und Schulstress nicht mehr so oft sehen konnten, machten wir uns eben Treffen an den Wochenenden aus. Bis zu jenem Tag hat das eigentlich auch immer geklappt, aber na ja... wie gesagt, es gibt Tage da ist plötzlich alles, aber auch ALLES anders. Als er dann nicht kam, habe ich mir natürlich Sorgen gemacht, doch meine Mutter meinte es sei ihm vermutlich ein Mädchen dazwischen gekommen. Zwei Tage später rief dann seine Mutter an und fragte, ob wir ihn gesehen hatten. Es stellte sich heraus dass er am Tag vor unserem Treffen nicht von der Schule heim gekommen ist und seither auch nichts von sich hören lassen hat. Die Polizei wurde informiert und so kam auch mein Vater dahinter, dass sich die zwei kannten, das Gesicht werde ich auch nie vergessen... Zwei volle Wochen vergingen ohne Resultate und ich begann an den ,Bemühungen' der Polizei zu zweifeln. Mit der Erlaubnis seiner Mutter lieh ich mir den Laptop meines Halbbruders aus und versuchte, mich darin einzuhacken. Ich weiß, das ist illegal und außerdem gehört es sich nicht, seinem großen Bruder nachzuschnüffeln. Aber sag niemals nie... Es war mir zu dem Zeitpunkt ziemlich egal und das war auch gut so! Die ziemlich abnormen Resultate und weitere Nachforschungen brachten mich schließlich nach Kyoto, oder besser gesagt, zum Tofukuji-Tempel in Uiji. Dies ist auch der Ort, wo ich zwei Mädchen kennen lernte, deren Erzählungen mindestens so unglaublich wie meine Entdeckungen über den Tempel waren. Miyako und Jin. Auf bizarre Weise waren wir alle an dem selben magischen Ort und auf bizarre Weise sollte unser Schicksal bald miteinander verknüpft sein.... Ich frage mich noch immer, wie ich da heil wieder rausgekommen bin. Gut, dass ich dort nur kurzzeitig war. An einem Ort an dem der Aberglaube so groß war, und der Einfluss eines Dorfes so mächtig, dass viele Kinder ihr Leben lassen mussten. Grausam und doch interessant... Obskur... ja Obscure... Schade, dass ihr mein Gesicht jetzt nicht sehen könnt... Es würde euch eine Gänsehaut verpassen, die sehenswert wäre... aber ich schweife schon wieder ab...Beginnen wir damit, was einem passieren kann, wenn man mit grünen Augen geboren wird....Nichts Schlimmes denkt ihr? Nach den nächsten Seiten werdet ihr eure Meinung schon noch ändern... das schwöre ich, so wahr ich hier stehe. Wir schreiben das Jahr 2005, es ist Mitte Mai. In Kyoto ist die Kirschblüte soeben zu Ende gegangen und der Sommer ist zum Greifen nahe. Kyoto mit seiner Geschichte ist wirklich ein faszinierender Flecken auf der Insel Japan. Eine Millionen-Stadt. Ein summender Bienenstock, eine Metropole die niemals aufhört zu wachsen. Viele alte Tempel reihen sich an große Glaskuben, die unaufhaltsam aus der Erde wachsen wie Shitakepilze über Nacht. Mitten in dieser riesenhaften Stadt liegt eine kleine Schule, in der Nähe einer der großen Stadtparks. Die Seishin-Cho Universität. Eine angesehene Schule, nur die fleißigsten Schüler und Schülerinnen werden aufgenommen, um hinter ihren dicken dunklen Mauern zu lernen... für das Leben selbstverständlich. Die Schule liegt ziemlich in der Nähe meiner Uni und trotzdem ist sie so weit von dem, was um mich herum passiert, entfernt. Eine Geschichte von zwei jungen Frauen, die sich begegnen beginnt genau dort. Beide könnten nicht unterschiedlicher sein - auf den ersten Blick versteht sich. Nichts ist hier wie es scheint. Auch der dunkle Fleck in euren Zimmern, den ihr als Schatten abtut... er könnte doch in Wirklichkeit gar kein Schatten sein, sondern viel mehr... findet ihr nicht auch? Fangen wir also an, uns zu fragen: Ist alles so wie es scheint? Was ist Wirklichkeit, was Fiktion? Was ist Gegenwart, was Vergangenheit? Grade in Kyoto ist das schwer zu sagen, Vergangenheit und Gegenwart prallen hier immer noch aufeinander. So wie jetzt gerade, als wieder einmal ein Tag an der Seishin-Cho zu Ende geht... Chapter 1|| the chosen ones (1 von 3) ------------------------------------- == "Makoto? Makoto, wo bist du?" Ah, meine Schwester hat schon bemerkt, dass ich mich davon geschlichen habe, aber sie wird vermutlich glauben, ich sei noch spielen gegangen. Dieses Mal nicht, Schwesterlein. Beinahe wäre mir ein Kichern entschlüpft, aber ich muss ja leise sein! Ich will heute nämlich bei der Zeremonie zugucken. Normalerweise dürfen dass nur die Priester und das auserwählte Kind, aber das ist voll unfair! Ich kann nie das Kind sein, weil ich keine grünen Augen habe... Gleich hab ich's geschafft, bin schon durchs Tor durch und muss es jetzt nur noch unbemerkt in den Tempel schaffen. Und dann warte ich ab bis es los geht. Gestern Nacht hab ich beim Baden zugesehen. Ich frage mich nur, warum die so ein riesen Spektakel aus einem heißen Bad machen. Ich meine, ist doch nichts besonderes, wenn das Kind sich badet. Eine heiße Quelle am Rande des Dorfes, die Alten nennen sie "Quelle der Götter" ist der Schauplatz meiner nächtlichen Aktion. Niemand darf da hingehen, find ich aber voll gemein, denn die Quelle wäre soo schön, um darin zu Plantschen. Morgen frage ich mal Toshia und Makie, ob sie nicht mitgehen wollen, das wird sicher ein Spaß! Ich habe zufällig mitgehört, wie sich zwei alte Weiber unterhalten haben. Die beiden saßen in der Nähe des Dorfplatzes und machten gerade eine Pause von der vielen Schlepperei der Steine für den neuen Garten, der gebaut werden soll. "Heute wird das Kind gereinigt...", meinte die Eine. "Ja, ich hab es schon gehört... Sie gehen wieder zur Quelle nicht?" Die eine Alte sah sich um bevor sie weitersprach... "Ja...die Armen...für was dieses Reinigen, wenn sie danach..." Sie schwieg. Ich riss die Augen auf, als ich das hörte, und war weg bevor mich jemand erwischen konnte. Jetzt hocke ich im Gebüsch nahe des Tempels. Nur noch ein paar Meter und... Huch! Jetzt hätte mich doch fast der Priester erwischt, aber zum Glück bin ich so klein, da kann man sich schnell verstecken. So.... Ah! Er ist weg... Und schon bin ich durch das Tor durch. Dort vorne ist auch schon der Tempel... Mann, die werden ja staunen wenn ich ihnen morgen davon erzähle. Was machen die denn jetzt? Sieht aus, als würden sie irgendwas in eine Wand stecken. Oh...oh! Jetzt geht sie auf! Und die gehen da alle durch... Wow, das ist ja cool! Ich wusste gar nicht, dass der Tempel so einen Raum hat. Mal sehen.....schnell schneeeell... Puh...fast wäre die Tür wieder zugegangen. Ich bin drin. Oh... hier ist es voll dunkel. Na hoffentlich kann mich keiner sehen. Da steht ja eine Kiste, oder so was ähnliches zumindest. Dahinter kann ich mich perfekt verstecken! Wirklich gut, dass ich alleine gegangen bin. So findet man mich wenigstens nicht so schnell. Oh, jetzt wird's gruselig... die Priester murmeln allesamt irgendwelche komischen Gebete. Jeder hat einen Stein in der Hand. Was wollen die mit so öden Steinen? Da tropft auch andauernd so seltsame Flüssigkeit von der Decke. Mal sehen was da... Aaaaaaaah!!!! Da...da...da... Da hängt ein Mann an der Decke!? Igitt....iiieeeeh!!! Der ist ja voller Blut! Oh ihr Götter, gleich muss ich mich übergeben... mir ist schon schwindelig. Jetzt legen die Männer die Steine auf den Boden. Der Mann oben verblutet doch! Wieso helfen ihm die Priester nicht?! War es ein böser Mann? Oh... da ist der Dorfälteste....der hat sich ja mächtig in Schale geworfen, so eine Kutte trägt er sonst nie. Oh....und da ist...da ist Miharu! Sie sieht soo schön aus! Mit ihren schwarzen Haaren und ihren grünen klaren Augen. Und dieser weiße Kimono! Aber irgendwie sieht sie etwas ängstlich aus. Die Priester stehen dicht bei ihr und halten sie an den Schultern. Was wird denn das wenn es fertig ist? Ich hab irgendwie Angst. Oh Mama....ich will zu meiner Mami! Die Priester murmeln weiter. Und jetzt leuchten die Steine so komisch. Und... und.... Ist das... ein Kreuz? Wozu brauchen sie das denn? Oh, jetzt bringen sie Miharu hin und machen irgendwas... Das hört sich an wie Ket-ten rascheln. Hä??! Sie haben... Sie haben Miharu angekettet?! Ans Kreuz?! Hat sie etwa was Schlimmes angestellt?... Aber... Aber sie ist doch eine der Auserwählten!!! Oh nein! Irgendwas ist hier....ich kann nicht hinschaun! Da ist so eine komische Wolke, die kommt aus den Steinen... Sie nähert sich Miharu und die Priester helfen ihr nicht! Helft ihr doch, helft Miharu!! Irgendwas scheint von Miharu Besitz zu ergreifen. Miharu hat Angst. Oh Mama....!! "Nehmt das Kind an als das Eure, ihr erhabenen großen Götter. Wir sind Eurer nicht würdig und geben Euch das Kind zurück!" Die Priester weichen zurück. In dem Moment macht es einen großen Knall. Ich halte mir die Ohren zu.... und traue meinen Augen nicht. Miharu ist weg! Sie ist verschwunden. Sie ist.... Üäääähh!!! Da ist ja alles voll mit Blut!! Um Himmels Willen! Was ist passiert??? Versehentlich steige ich beim Zurückweichen auf ein paar Steine, welche nun ein lautes zermürbendes Geräusch machen. "Hm? Ist da jemand?" Der Dorfälteste blickt sich unsicher um. Ich ergreife die Flucht. Miharu ist verschwunden, einfach so... "Greift den Eindringling, niemals darf jemand Außenstehendes sehen, was hier drin geschieht!" "Ja Meister!" Die Priester schwärmen aus und folgen mir ziemlich schnell... Noch ein paar Meter, dann hab ich es geschafft...Oh nein!!!! "Da ist er! Jetzt haben wir dich, du neugieriger Bengel!" Hilfe! Warum hilft mir niemand! Hilfeeeeeeeee!! Chapter 1 || Der Zusammenstoß ~the hanged man~ (2 von 3) -------------------------------------------------------- Gerade war der Unterricht in der Seishin-Cho Uni zu Ende. Viele junge Leute strömten aus dem großen Baukomplex ins Freie. Nur eine fiel immer weiter von der Menge zurück. Miyako Suzuhara. Miyako war kein wirklich attraktives Mädchen, so beurteilte sie sich zumindest selbst. Lange schwarze, ziemlich störrische Haare, die nie länger als eine halbe Stunde ihre Form behielten, erbsengrüne Augen (fand sie) und furchtbar ekelige Sommersprossen. Das Mädchen drückte die Riemen ihrer Schultasche zusammen als sie von hinten jemanden rufen hörte. "Hey Shinto-Mädchen!! Mal wieder Lust mir die Zukunft vorauszusagen? Ich wette, ich werde reich und berühmt!", tönte es hinter Miyako. Ein Junge, der mit ihr in der Klasse war beugte sich neckisch vor und blinzelte sie an. "Hey, du Zombie, ein bisschen Sonne würde dir gut tun!", meinte er dann in einem ziemlich protzigen Ton. "Wa...Waaas?!" Miyako riss ihre hinter ihren langen Stirnfransen verborgenen Augen auf. "Ich kenne deine Zukunft, Shota, du wirst an zwei der sieben Todsünden sterben: Maßlosigkeit und Angeberei!" Sie wischte sich über ihre Stirn und machte am Absatz kehrt, um ungerührt von Shota's Flüchen und wütenden Lauten das Schulgelände zu verlassen. Am anderen Ende der Stadt bereitete Jin Lien Fen eine köstliche Glasnudelsuppe für sich und ihren Vater vor. "Wie lange dauert es denn noch?" "Gleich, Dad...ich mach ja schon!" Jin schnaufte entnervt und rührte noch einmal kräftig um, ehe sie die Suppe in zwei vorgewärmte Schüsseln goss. Yi Liang Li-Sun, von Beruf Grafiker und Programmierer, rieb sich hungrig den runden Bauch. "Na endlich! Ich dachte, ich müsste verhungern!" Jin schnaufte noch mal. "Das nächste mal kannst du mir ja auch HELFEN, dann geht es schneller!" Yi Liang lachte. "Du wirst deiner Tante immer ähnlicher...die ist nämlich genau so kratzbürstig." Er schlürfte genüsslich seine Suppe. "Papaaa!" Jin ließ sich auf den Boden fallen....dann aß auch sie und es kehrte wieder Ruhe in die große Wohnung ein, die im 13. Stock eines wuchtigen Hochhauses lag. Eine feine Eigentumswohnung, wunderbare Stoffe und Hölzer waren darin verarbeitet. Ihr Vater verdiente gut... sonst könnte er sich auch nicht die Kosten für die neue Schule leisten, auf die Jin ging. "Hör zu, mein kleiner Lotus." Ihr Vater benutzte den Kosenamen nur selten, aber meist um sie aufzustacheln. "Ab morgen früh beginnt für dich das Leben auf der Seishin-Cho Universität im Westviertel. Ich hoffe, du hast alles beisammen. Und benimm dich! Immerhin ist dies eine sehr gute Schule und ich will dass du dich erkenntlich zeigst und fleißig lernst!" Er schlürfte weiter. "Natürlich, das werde ich, Vater...." Jin's Blick schweifte über die großen Fenster an der Ost-Seite der Wohnung. Die Sonne ging gerade unter und ließ ihr goldenes Licht über die dunkel glänzenden Möbel der Li-Sun Familie streifen. Oh Mama, dachte Jin. Ob es bei dir auch grad so schön ist, dieser Sonnenuntergang? Jin stellte das Geschirr in die Küche und ihr Vater folgte ihr, um ihr wenigstens beim Abwaschen zu helfen. "Ich trockne." verkündete die junge Frau schnell und grinste ihren Vater an. "Schon gut...gewonnen!" Er lachte leise und ließ heißes Wasser ins Spülbecken laufen. Miyako schlüpfte aus ihren Schuhen und betrat das große Herrenhaus neben dem Schrein. Eine alte Dame verbeugte sich vor ihr. Wohl eine Besucherin von Großmutter, dachte Miyako. "Mein Schmetterling! Willkommen!" Eine Frau in einem zart orangefarbenen Kimono kam wie eine Wolke auf Miyako zugeschwebt und drückte sie herzlich. "Hallo Tante Michiko....äh...warum bist du so angezogen?" Miyako beäugte ihre Tante etwas ungläubig, denn sonst war Michiko immer nur im traditionellen Schrein-Gewand zu sehen, außer sie verließ für ein paar Stunden das Haus, für Einkäufe oder andere Dinge, die sie zu erledigen hatte. "Oh, wir haben Besuch! Herr Onoda aus Fukuoka ist mit seiner Frau hier um nach seiner Zukunft zu fragen. Die beiden möchten diesen Herbst heiraten weißt du...." Miyakos Gehör schweifte ab. Sie nickte nur stumm. "Ich werde mich schnell umziehen gehen. In Ordnung?" Sie lächelte etwas unbeholfen. "Natürlich, mein Schmetterling, aber komm dann nachher mal herunter, sag guten Tag. Das gehört sich so, mein Schatz!" Miyako verbeugte sich leicht und stieg dann die Stufen zum Obergeschoss hinauf. "Miyakooo....deine Haltung!", zwitscherte ihre Tante. "Vergiss nicht, eine Priesterin muss Reinheit und Autorität ausstrahlen." Miyako lächelte mit zusammengepressten Zähnen. "Ja Tante!" Sie seufzte lautlos und stieg dann die Stufen weiter hinauf, würdevoll und graziös, so sehr, wie es nur ging. Oh Mama...Papa, ich frage mich ob ihr auch manchmal solche Tage habt, wo ihr wohl lieber in eurem Zimmer geblieben wärt, weil ihr WUSSTET, es wird ein schlimmer Tag. Sie seufzte und löste ihre Zöpfe. Die Sonne schien in ihr Fenster und ließ ihre goldenen Strahlen über das geräumige Zimmer der 17-Jährigen schweifen. "Ich frage mich, ob ihr das sehen könnt....es ist so schön!" Miyako wischte sich ein paar Tränen aus den Augen, seufzte noch mal und schlüpfte aus ihrer Schuluniform... =*= Der nächste Morgen verlief für Jin Lien Fen nicht so wie sie es geplant hatte. Sie schmiss ihren Wecker beim Versuch, ihn auszumachen, von ihrer Kommode, das Glas Wasser landete gleich darauf auf dem Holzboden. Jin knurrte nicht nur beim Anblick der verursachten Sauerei. Ein Blick auf den am Boden liegenden Wecker brachte ihr erneute Hiobsbotschaft: Sie hatte verschlafen! In der Küche roch es ziemlich... seltsam. Sie stand auf und schlurfte Richtung Bad. "Igitt! Papaaa!!" Die Eier waren angebrannt, der Tee pechschwarz und das Brot beinahe schon in Butter ertrunken - wie sie bei einem Seitenblick in die Küche feststellen musste. "Was soll ich denn tun, wenn du nicht aufstehen willst?" Yi Liang verzerrte sein Gesicht zu einer entschuldigenden Grimasse. Jin stürmte ohne ein weiteres Wort ins Bad um sich zu waschen und anzuziehen und kurz darauf stand sie wieder in der Küche, knabberte an einer Brotecke und packte währenddessen ihre Lunchbox. Dann schnappte sie sich ihre Schultasche, gab ihrem Dad einen kurzen Kuss auf die Wange und verließ eiligst die Wohnung. Mit dem Lift ging es dann rasch nach unten. Ein kurzer Blick auf die Uhr informierte sie, dass sie die verlorene Zeit wieder aufgeholt hatte und sogar noch fünf Minuten übrig hätte. Jetzt schon wieder besser gelaunt, begann sie in Richtung Seishin-Cho-Uni zu wandern. Der Wecker klingelte. Miyako drückte ihn mühselig aus und rappelte sich auf, um langsam wach zu werden. "Mein Schmetterling! Guten Morgen!" Sie lächelte, als sie die Stimme ihrer Tante hörte. Nachdem sie ihre störrischen Haare einigermaßen gebändigt hatte, einer Morgentoilette und einem schnellen Frühstück, gab sie ihrer Großmutter einen Kuss auf die Stirn. "Auf wiedersehn, Oma." "Mögen die Geister dir wohlgesonnen sein.", murmelte die alte Frau auf ihrem Kissen. Miyako lächelte und zog ihre Schwester hoch, diese war heute ziemlich spät dran. "Kotoko! Frau Hinasaki kommt in 10 Minuten um dich abzuholen, und du bist noch nicht mal gekämmt!" Frau Hinasaki hatte sich selbst zur Chauffeurin ernannt, um ihre Tochter und noch ein paar andere Mädchen zur weiter gelegenen Mädchenschule im Südviertel von Kyoto zu fahren. Sie drückte ihrer Schwester einen Schmatz auf die Wange und verließ eilig das Herrenhaus in Richtung Seishin-Cho Uni... Wie immer um diese Zeit ging es in Kyoto bereits rund. Tausende von Menschen waren auf dem Weg zu ihrem Arbeitsplatz, sei es per Auto, U-Bahn, Rad oder - wie Jin - zu Fuß. Einige Straßenstände hatten ebenfalls schon offen und an einem dieser besorgte sich die hübsche und deshalb auch sehr auffallende Schwarzhaarige rasch ein Reisbällchen um zumindest etwas verdauliches in ihrem Magen zu haben. In wenigen Minuten würde sie ihre neue Schule erreichen und sie fühlte ein Kribbeln im Bauch, eine Mischung aus Neugier und Nervosität. Automatisch schob sie ihre Brille zurück auf die Nase und strich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ein paar bewundernde Blicke folgten ihren anmutigen Gesten, doch sie merkte so was schon lange nicht mehr. Miyako schwang sich auf ihr Fahrrad. Vielleicht hilft mir das beim Abnehmen, dachte sie. In Kyoto war mal wieder die Hölle los. Gott sei Dank gibt es Radwege! Miyako schnaufte. "Mögen die Geister dir wohlgesonnen sein..." Miyako lächelte über die Worte ihrer Großmutter. "Sie meint das nicht so...", sagte sie zu sich selber. Zum Glück war die Uni nicht weit vom Schrein entfernt und so war Miyako in 10 Minuten vor dem Schulhof um ihr Fahrrad dort abzustellen und abzuschließen. "Hey, du Schreinjungfer!" Miyako seufzte. Nicht mal am frühen Morgen war man sicher vor diesen Idioten, die sich so toll vorkamen, nur weil sie irgendwann mal in einem Büro versauern würden... "Verschwindet!", flüsterte Miyako. "Was hast du gesagt?" Miyako drehte sich um. Und wurde blass. Hinter ihr stand Sawako und ihre Gang. Diese Mädchen waren die beliebtesten der Schule, jeder Junge hing an ihren Lippen... oder war es zwischen ihren Beinen? Miyako lächelte unwillkürlich bei dem Gedanken. "Is was Zombie?" Sie schubste Miyako so, dass diese um ein Haar umgefallen wäre. "Hast du das Geld?" Sawako ballte die Fäuste und Miyako wurde immer heißer in ihrer Uniform. "N...nein....ich.." "Sag mal HÖRST DU SCHLECHT??!" Sawako brüllte Miyako an. "Wenn ich sage ich will das Geld heute, dann krieg ich es auch heute kapiert?" Sie ging auf Miyako zu, die wie ein verschrecktes Kaninchen immer weiter zurück wich. Irgendwann war aber leider eine Wand. Oh, jetzt bin ich geliefert, dachte das Mädchen und kniff die Augen zusammen, während Sawako schon ihre Hand erhoben hatte um zum Angriff überzugehen. Jin Lien Fen betrat gerade das Schulgelände und bog um die Ecke Richtung Eingang. Doch irgendwas war seltsam. Mehrere Schüler tuschelten miteinander und alle schauten in eine Richtung. Auch Jin sah nach links und traute ihren Augen kaum: Da war eine Schlägerei im Gange und keiner tat etwas! "Oh wie ich das hasse.", fauchte sie und näherte sich der Gruppe ziemlich aufgetakelter Mädchen, die sich um eine kleinere schwarzhaarige Schülerin versammelt hatten. Die Anführerin war grad dabei zum Schlag auszuholen. Das war Jin's Moment. Sie schnappte sich die erhobene Faust und drehte sie geschickt auf den Rücken. Wenn man das mittlere von drei Kindern ist, weiß man sich eben zu wehren, dachte sie und drehte die Hand fest gegen den Rücken des Mädchens. Denn wenn es was gab, das sie überhaupt nicht ausstehen konnte, war das Mobbing! "Kommst dir wohl mächtig stark vor, mit deinen Groupies, was?", meinte sie herablassend und stieß das blonde Mädchen von sich um dann schnell die Seite zu wechseln. Nun baute sie sich schützend vor der knieenden Schülerin auf und verschränkte herausfordernd ihre Arme vor der Brust. "Pah, was soll das heißen 'Groupies'? Die Kleine da schuldet mir Geld, das ist alles! Und überhaupt, was geht dich das an?", funkelte Sawako. Jedoch merkte sie, dass sie dieser aufmüpfigen Chinesin damit keine Angst machen konnte. "Ist wohl dein erster Tag hier, oder?" Sawako lächelte süß. "Also, falls du es nicht weißt, ich bin hier das beliebteste Mädchen auf der Seishin-Cho und ich rate dir, mach dir nicht gleich am ersten Tag Feinde." "Bist wohl mächtig stolz darauf, dass du für alle die Beine breit machst.", gab sie gelassen zurück. "Da kannst du dir übrigens auch deine Ratschläge hinschieben." Ihre Wortwahl nahm der Anderen buchstäblich den Wind aus den Segeln, die daraufhin den Mund mehrere Male öffnete und schloss, wie ein Fisch auf dem Trockenen. Offensichtlich war das nicht nur Jin's Meinung, Umstehende begannen zu kichern. Miyako kroch währenddessen unbemerkt um die Ecke und blieb dort hocken. Sie konnte nicht begreifen was gerade passiert war. Ihr hatte jemand geholfen! Das kam selten vor, denn irgendwie war sie hier der Außenseiter Nr. 1! Wow, ist die tough! Aber gut, sie kennt mich noch nicht, wahrscheinlich ist sie bald auch so wie Sawako drauf. Miyako schauderte. Sie hörte die Beiden noch eine Weile diskutieren, dann war es ruhig. Sawako hatte das Gelände verlassen, mehr noch, sie war mit rotem Kopf geflüchtet, denn auch sie hatte ihren Stolz. Die Chinesin lugte um die Ecke, wo sie Miyako im Staub sitzen sah. "Du kannst wieder rauskommen, die haben wohl für heute genug!" Sie kicherte und Miyako schaute traurig in die Ferne. "Mag sein, aber Morgen ist ein neuer Tag....und dann bin ich wieder dran!" die Japanerin verschränkte die Arme vor der Brust. Die Antwort der Anderen überraschte Jin kein bisschen. "Nicht wenn ich dich zuerst erwische!", lachte Jin. Ein freundliches Lachen. Miyako lächelte unsicher, doch dann rappelte sie sich hoch und wollte sich gerade bedanken, doch dann prüfte die andere die Uhr auf ihrem Handgelenk und fand, dass es an der Zeit war ebenfalls hineinzugehen. In 10 Minuten begann schließlich der Unterricht. "Man sieht sich!", verabschiedete sie sich rasch und eilte in das Gebäude. Miyako klappte den Mund auf und wieder zu. Gerade hätte sie sich bedanken wollen! Dann setzte sie sich ebenfalls in Bewegung. Sie klopfte ihre Uniform ab und atmete tief durch. "Also Geister,", meinte sie mehr zu sich selbst als zu jemand anderes "ich hoffe ihr SEID mir auch wohlgesonnen, denn das war grad nicht wirklich das, was mir als wohlgesonnen bekannt ist." Sie kicherte über ihre Selbstgespräche. Wahrscheinlich halten die mich für verrückt... okay für verrückt halten die mich eh schon. Aber vielleicht für noch verrückter, wenn die mich so reden hören. Sie ging auf das Gebäude der Uni zu und machte sich auf einen laaangen Schultag gefasst. 10 Uhr Vormittags: Jin Lien Fen stand im Zimmer des Direktors. Der Direktor war ein etwas festerer, doch eigentlich ganz freundlicher älterer Mann. Obwohl es ihr auf der Zunge lag, sagte sie nichts über den Vorfall am Schultor, immerhin wollte sie einen guten Eindruck hinterlassen. "So, ich bringe dich jetzt in deine Klasse.", verkündete Herr Ishizawa gerade in diesem Moment. "Dein Klassenlehrer müsste deine Mitschüler bereits über deine Ankunft unterrichtet haben. Hier entlang bitte." Der Weg war kurz und eigentlich sehr interessant, da sie der Direktor gleich über Schulgebräuche und -feste, sowie über die Clubmöglichkeiten informierte. "Ah, da sind wir auch schon.", lächelte der Mann sie an. "Ich hoffe du hast ein angenehmes Schuljahr. Solltest du irgendwelche Anliegen haben, die du nicht mit deinem Klassenlehrer besprechen kannst, steht dir meine Tür jederzeit offen." Sie verbeugte sich und sagte: "Vielen Dank für Ihre Hilfe, Herr Direktor." Dieser lächelte ihr noch einmal freundlich zu, bevor er sich auf den Rückweg machte, während Jin an die Schiebetür trat, tief einatmete und dann die Hand zum Klopfen hob. "Herein.", ertönte es kurz darauf und sie schob die Tür auf, betrat die Klasse und schloss sie wieder. "Ah, Sie müssen die neue Schülerin sein. Ich habe gerade Ihren Kollegen von Ihnen erzählt.", wurde sie begrüßt. "Guten Tag. Ich heiße Jin Lien Fen Li-Sun.", stellte sich das Mädchen vor, während sie sich erneut verbeugte und einige in der Klasse hörten plötzlich auf zu tuscheln. "Hey, das ist die aus dem Magazin vorhin!", flüsterte Shota schräg hinter Miyako. Magazin?? Miyako runzelte die Stirn. "Such dir einen freien Platz aus." Der Lehrer deutete Jin sich zu setzen. Jin Lien Fen ging gelassen nach hinten zu den Sitzplätzen und ignorierte das Rufen der beiden Jungs... Shota mal wieder, dieser alte Angeber, dachte Miyako. Jin ließ sich neben der Schwarzhaarigen von vorhin fallen. Miyako wagte erst nicht nach rechts zu sehen, doch dann tat sie es doch. Es ist kein Traum. Die sitzt wirklich neben mir. Miyako kratzte sich kurz am Hinterkopf. "Ha...Hallo....danke noch mal für vorhin....dass du mich gerettet hast. Also ich bin Miyako Suzuhara. Freut mich dass wir Nachbarn sind!", versuchte sie mit einem netten Lächeln die andere auf sich aufmerksam zu machen. Jin lächelte freundlich. "Nett dich kennen zu lernen, Miyako-san.", antwortete sie stoppte aber dann. "Oh, oder ist dir Suzuhara-san lieber?" "Sag ruhig Miyako", meinte Miyako flüsternd. Der Lehrer beobachtete die Beiden eine Weile bevor er ihren Dialog unterbrach. "Wir werden jetzt weiter mit dem Unterricht machen. Schlagt alle das Buch auf Seite...." Miyako schaute immer noch Jin an. Sie fand die Chinesin bildhübsch. Viel hübscher als ich es bin, mich wundert es nicht warum die Typen hier durchdrehen. Ich würde es auch, wenn ich einer wäre. Aber zum Glück bin ich keiner. "Gott sei Dank...", seufzte sie. "Was 'Gott sei Dank'?" hörte Miyako es von Jin kommen. "Äh...Gott sei Dank hab ich meine Bücher heute alle mit!" Sie grinste und ließ ihre Zähne aufblitzen und schlug dann voller Enthusiasmus das Buch auf und begann dem Unterricht zu folgen. Endlich läutete es zur Pause und Miyako lehnte sich zurück. "Hey Miyako! Magst du mir die Karten lesen?" Ein junges Mädchen mit runder Brille und einem geflochtenen Zopf trat an Miyako's und Jin's Tisch. Ihr Name war Rie Surugawa und sie war 3 Stufen unter Miyako. Doch sie schätzte Miyako sehr und sie liebte es, wenn ihr die ältere Freundin die Zukunft voraussagte. "Äh..." Miyako wurde rot. Gott was denkt die, mich hier vor der Neuen so zu blamieren! Jetzt bin ich für die auch nur noch ein Shinto-Zombie. Miyako krampfte ihre Hände zusammen. "Hallo Rie! Natürlich, warte einen Moment...." Stirb Miyako, jetzt... bitte! Oh ihr Geister, warum holt ihr mich nicht?!! Miyako fluchte dieses Gebet in Gedanken, ehe sie die Karten auf den Tisch legte und Rie sich einen Sessel heranzog, während sie Miyako beim Mischen der Karten zusah. Jin war hellhörig geworden, als Miyako auf das Karten legen angesprochen wurde. "Du legst Tarot Karten?", fragte sie erstaunt. "Kann ich zusehen?" Jin rückte ebenfalls näher an den Tisch heran. "Äh..äh....." Miyako war etwas durcheinander. "Du willst da zusehen?" "Ja klar, warum nicht, es interessiert mich!" antwortete Jin. Miyako schluckte. Sie mochte Tarot Karten lesen? Wow... Das sah man dem Mädchen gar nicht an. "Also... dann bist du herzlich dazu eingeladen!" Miyako genoss diesen Moment, an dem sich jemand für SIE ganz alleine interessierte. "Also..." Miyako war mit dem Mischen der Karten fertig und teilte den Stapel. "Nimm dir 3 Karten und leg sie mit dem Gesicht nach unten vor dich hin.", kommandierte sie. Rie tat, wie ihr geheißen und Miyako deckte die erste Karte auf. "Die Karte sagt mir, dass du nächste Woche jemanden kennen lernst, der dich in weiterer Zukunft sehr beschäftigen wird." Miyako schielte nach rechts, dort wo Jin ihre Augen auf die Karten geheftet hatte. Aufmerksam beobachtete diese das Ganze. Es war äußerst faszinierend und erforderte große Konzentration. Offensichtlich hatte Miyako eine Gabe dafür. Im Hintergrund hörte man die Anderen tuscheln und blättern. Ah richtig, jemand hatte etwas von einem Magazin erwähnt in dem Jin anscheinend abgebildet war. Miyako schüttelte diese Gedanken fort und konzentrierte sich. "Also..." Sie drehte die nächste Karte um und dann die Letzte. Sie stockte. "Oh." Etwas hilflos sah sie Rie an. "Was liest du?", fragte diese. Miyako schluckte. "Da steht in den Karten, dass dieser Jemand, den du kennen lernst, na ja...er...." Er wird dich umbringen. Miyako runzelte die Stirn. Nein, das ist Unfug, ich hab mich getäuscht. Sie schaute Rie an. "Er wird dir ein besonderes Geschenk machen. Ja..." Sie kratzte sich am Kopf. "Mehr sagen mir die Karten heute nicht... sorry Rie." Rie lächelte. "Schon okay, ich finds cool, ein Unbekannter...wow...ein super heißer Typ vielleicht?" Rie war schon wieder verschwunden, sie lief aus dem Klassenzimmer zu ihren Freundinnen, sie musste ihnen unbedingt von dieser Neuigkeit erzählen. Miyako war noch immer perplex. "Ist was?", fragte Jin sie. "Oh...nein...nichts, ich hab mich anscheinend zu sehr aufs Kartenlegen konzentriert. Außerdem ist die Kleine für ihre 13 Jahre schon etwas frühreif" Miyako kicherte und packte den Stoß wieder in ihre Tasche. "Soll ich dir die Schulmensa zeigen? Da können wir uns was zu Essen holen." Miyako lächelte Jin an. Vielleicht wird sie ja meine Freundin. Eine richtige Freundin, nicht so wie diese anderen scheinheiligen, die immer dann weg sind, wenn man sie wirklich braucht. "Und...? Magst du mitgehen? Ich hab nämlich Hunger!" meinte Miyako. Jin sah Miyako perplex an. Konnte sie etwa auch Gedanken lesen? Gerade hatte sie an ihr 'Frühstück' gedacht! "Oh, sorry, sicher. Ich nämlich auch.", antwortete sie etwas verlegen. Es war selten, dass sie einfach so in Gedanken abtauchte. Als sie sich in Bewegung setzen wollte, bemerkte sie eine Karte am Boden. "Warte, du hast eine Karte verloren.", meinte sie und griff nach der Karte. Es war 'der hängende Mann'. "Hier.", meinte Jin und gab sie der Anderen zurück. Dieses Mädchen war ihr sympathisch. Vielleicht konnten sie Freunde werden. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. "D...Danke!" Der hängende Mann... Oh Mann... Miyako versuchte zu lächeln. Du hast ja keine Ahnung was du da grade gezogen hast. Innerlich schauderte sie, denn sie wusste über ihre Karten genauestens Bescheid. ===== Der hängende Mann: Dieses außergewöhnliche Symbol ist nahezu undeutbar. Der Mann hängt kopfüber mit einem Bein am Balken während die Hände hinter dem Rücken gebunden sind. Man sagt, bei dieser Darstellung dreht sich die Verfassung um 180 Grad, fehlende Puzzelstücke läuten einen Neuanfang ein. Weitere Bedeutung: Das Opfer, Schicksalhafte Begegnung, traumatisches Erlebnis; ===== "Dann mal los, ich sterbe vor Hunger!" Miyako trottete voran und wischte sich mit ihrem Ärmel immer wieder die Stirn. Es war nicht so leicht, etwas zu sehen, wenn einem die Haare ständig ins Gesicht fielen. Nach einem kurzen Fußmarsch hatten sie die Mensa erreicht. "Also ich nehme...." Jin suchte sich nach Herzenslust zu Essen aus, so viel dass die Dame hinter dem Tresen anfing zu schwitzen, und zwar nicht, weil überall heiße Dämpfe aus dem Essen und der Mensaküche traten. Miyako staunte. "Wenn ich soviel esse, dann seh ich aus wie ein Kugelfisch.", meinte sie und blähte ihre Backen auf. Die beiden suchten sich einen Tisch und setzten sich. "Erzähl mal, Jin Lien Fen...woher kommst du und was machst du so?" Miyako zog sich mit ihren Stäbchen einen Strang Nudeln nach oben zu ihren rissigen Lippen und schlürfte genüsslich die gebratenen Nudeln mit Gemüse. "Also ursprünglich stamme ich aus China, daher auch mein ungewöhnlicher Name... Einer meiner Vornamen reicht übrigens...", begann Jin, gefolgt von einem Reisbällchen das in ihren Mund verschwand. "Als ich fünf war sind mein Vater und ich nach Japan gekommen. Wir sind aber nie lange an einem Ort geblieben, weil mein Vater ziemlich erfolgreich war und bessere Angebote bekommen hat... Diesmal bleiben wir aber. Oder zumindest ich. Wenn mein Vater wieder den Arbeitsplatz wechselt, dann darf ich hier bleiben." Während sie erzählte verschwand das Essen relativ schnell von ihrem Tablett. "Hört sich sehr interessant an.", murmelte Miyako. "Und was interessiert dich am Tarot legen so? Ich meine das ist was für Pseudo-Hexen oder nicht?" Miyako schlürfte an ihrer Cola und nahm ein Stück Hühnerfleisch zwischen ihre Stäbchen um es in den Mund zu befördern. "Ist das so?", grinste Jin. "Dann muss ich das wohl auch erlernen... Aber Scherz bei Seite. Ich fand solche Sachen immer schon anregend... Übersinnliches... Unerklärliches... Ist doch interessant? Dinge, die die Wissenschaft nicht erklären kann...", zählte sie mit glänzenden Augen auf. Es war offensichtlich, dass sie in dieser Hinsicht völlig ehrlich war. "Wo hast du das eigentlich gelernt? So schnell und professionell wie du das gemacht hast..." fragte Jin nun. "Ähm....ich wohne bei meiner Tante. Und die besitzt ein großes Anwesen mit einem Schrein. Ziemlich in der Nähe von hier....na ja, und sie bildet mich zur Shinto-Priesterin aus. Darum kann ich das..." Miyako lächelte etwas verloren. "Aber die meisten hier denken ich bin ein Freak...na ja und ich bin nicht wirklich beliebt dadurch, hast du ja gesehen bei Sawako und ihren Gefolgsleuten." Sawako... So heißt diese dämliche Tussi also. Jin legte die Stäbchen beiseite und stand auf. Beide brachten ihre leeren Tabletts zurück in den Tresen und verließen die Mensa. Auf dem Weg zum Klassenzimmer machte Miyako in einer Ecke plötzlich halt, zog Jin zu sich und flüsterte: "Hast du das vorhin beim Kartenlesen gesehen? Die Karten die ich gezogen habe, die haben eine ziemlich abscheuliche Bedeutung gehabt....aber ich war mir nicht sicher." Sie kam noch näher an Jin's Ohr heran und fast lautlos hörte die Chinesin "Sie wird sterben...Rie wird getötet werden." Miyako sah entsetzt aus, nachdem sie ausgesprochen hatte, was sie befürchtete... "Also doch...", rutschte es Jin heraus, dann kratzte sie sich etwas verlegen am Hinterkopf. "Ich dachte schon ich hätte die Bedeutungen schon wieder verwechselt... Bist du sicher, dass sie... Ich meine, normalerweise kann man Karten doch verschieden deuten..." Miyako's Magen verkrampfte sich. "Nein, ausgeschlossen. Leider ist die Deutung eben diese. Ich hab auch versucht was anderes rauszulesen, aber es war unmöglich, das anders zu deuten." Sie war mittlerweile noch blasser als sonst. "Oh Mann....Ich hab keine Ahnung, was ich dagegen tun soll... ich kann noch mal meine Tante fragen, die kann das ja noch besser als ich. Aber sonst..." Sie schüttelte den Kopf, als wolle sie diesen schrecklichen Gedanken loswerden. "Jedenfalls... lass uns wieder in die Klasse gehen, ich frage meine Tante, es kann ja wirklich sein, dass ich zu vorschnell war mit meiner Diagnose." Mit diesen Worten schüttelte sie ihre schwarzen Haare, wischte sich über die Stirn und ging, etwas geknickt, zurück ins Klassenzimmer. Jin nickte nur zustimmend und folgte ihr ebenso schweigend. Die kommenden Stunden erwiesen sich eher als langweilig, jedoch versuchte sie so gut es ging dem Unterricht zu folgen um einen halbwegs guten Eindruck zu hinterlassen. Es war gegen Ende der letzten Stunde, Mathematik mit Herrn Aoda, einem Lehrer der es anscheinend genoss Schüler immer mal wieder bloßzustellen: In den vorderen Reihen rutschte plötzlich ein Heft zu Boden. Zum Pech des Schülers stand der Lehrer direkt daneben und hob es auf. "Mal sehen was deine Aufmerksamkeit so fesselt, dass du meinem Unterricht nicht folgen kannst, Aotami...", meinte er mit einem fiesen Lächeln und beäugte die offene Seite. "Ach... Sieh einer an. Wenn das nicht unsere neue Schülerin ist..." Miyako, die gerade emsig am Lösen einer Aufgabe war, fuhr herum als der Lehrer dies aussprach. Sie stupste Jin von der Seite an: "Sag mal, ist das eigentlich wahr? Mit dem Magazin?" Sie sah unsicher zum Lehrer, der mit höchstem Wohlgefallen die Zeitschrift durchblätterte und immer wieder zu Jin blickte. Sie zuckte mit den Schultern. "Ich bin mal im Hallenbad fotografiert worden... Allerdings ist das schon Monate her...", gab sie leise zurück, als der Lehrer gerade wesah. "Man hat mir aber nicht gesagt, dass die von der Zeitung sind, sonst hätte ich niemals ja gesagt." "Dir gefällt wohl unsere Neue, was? Besonders da sie sich ja offensichtlich gern fast nackt abbilden lässt.", höhnte der Lehrer den armen Schüler weiter. "Na, macht dich das an, wenn du sowas siehst? Du bist ja ein richtiger Glückspilz, immerhin musst du dich nicht mehr weiter mit einem Bild begnügen, du hasst sie hier in Fleisch und Blut... Was sagst du eigentlich dazu, Jin?" Jin's grüne Augen bohrten sich in den Kopf des Lehrers. "Dass Sie eine ziemlich obszöne Ausdrucksweise haben.", rutschte es ihr heraus. Da ging ihr guter Eindruck den Bach hinunter. Miyako fiel der Kinnladen runter. Jin nahm wohl offensichtlich kein Blatt vor den Mund. "Die Art und Weise wie sie über ein paar harmlose Bilder im Bikini reden könnte man meinen, ich sei in einem Pornomagazin abgebildet..." Miyako selber hätte sich wohl am liebsten fort gewünscht, doch Jin starrte den Lehrer eisern an und gab ihm dieses leicht verachtende Lächeln mit auf dem Weg, dass auch schon Sawako zu spüren bekommen hatte. Der Hals des Lehrers färbte sich rot und er machte auf dem Absatz kehrt, zurück zu seinem Pult. "Ich werde dieses.... Blatt erst mal behalten. Du kannst es dir nach dem Unterricht holen, Glückspilz!" Der Schüler Aotami versank fast in seinem Stuhl vor Scham, während der Lehrer ungerührt die nächste Aufgabe an die Tafel schrieb. Miyako flüsterte: "Hoffentlich ist diese Stunde bald aus, ich kann ihn nicht ausstehen." Mit diesem Satz brütete sie weiter über der noch nicht gelösten Aufgabe (Mathematik war nicht gerade Miyako's Lieblingsfach, auch wenn der Aoda sie offenbar als Klassenliebling abgestempelt hatte). "Wollen wir nach der Schule noch wohin gehen?" flüsterte sie nach ein paar Minuten von der Seite. "Ich dachte, weil du dich noch nicht so auskennst hier, vielleicht möchtest du dir ein paar Sachen ansehen, Shops, oder wo man weggehen kann..." Miyako kritzelte eifrig das Ergebnis in ihr Heft und schrieb die nächste Aufgabe von der Tafel ab. "Gerne, wenn du Zeit hast...", flüsterte sie zurück, während sie der Reihe nach alle Aufgaben abschrieb und dann begann, sie langsam aber sicher zu lösen. Mathematik. Ihr meist gehasstes Fach. Sie zog eine Grimasse als sie bei einer besonders schweren Aufgabe steckte. "Blödes Mathe.", murmelte sie, während sie gedanklich noch einmal den Vorgang durchging und dann bemerkte, das der Fehler schon ziemlich am Anfang lag. Einen chinesischen Fluch unterdrückend begann sie noch einmal von vorne und schaffte das richtige Ergebnis genau zum Läuten der Schulglocke. "Den Göttern sei Dank!", stieß sie halblaut aus, woraufhin die Umgebung kicherte, während der Lehrer noch eine Hausaufgabe diktierte und schließlich schnellen Schrittes das Klassenzimmer verließ. Nach dem Unterricht verließ Miyako gemeinsam mit Jin die Seishin-Cho in Richtung der großen Einkaufszentren. Der späte Nachmittag verging schnell, sie bummelten durch viele Läden, kauften sich Eis, beobachteten Leute... Miyako war glücklich, endlich jemand mit dem sie was unternehmen konnte. Auf ihrer Schule jemanden dafür zu finden, war schier unmöglich. Abends um 8 trennten sich die Beiden schließlich. "Gute Nacht, bis Morgen!" Miyako winkte und schwang sich auf ihr Fahrrad, dass sie die ganze Zeit geschoben hatte, um endlich nach Hause zu kehren. Aber mulmig war ihr bei dem Gedanken schon, ihrer Tante so spät entgegen zu treten, aber sie hatte vielleicht endlich eine Freundin! Das müsste Tante Michiko dann hoffentlich einleuchten. Als Jin endlich zu Hause ankam, ließ sie die Tür hinter sich zu fallen und schlüpfte im Gehen aus ihren Schuhen, die sie mit einem Fuß zur Seite schob bevor sie die Wohnung ganz betrat. Durch die vorherrschende Stille wusste sie, dass ihr Vater noch nicht von der Arbeit zurück war - was sie allerdings nicht sonderlich wunderte. Immerhin kam es sehr selten vor, dass er vor 11 Uhr abends Heim kam, dafür musste er erst um 10 in der Arbeit sein. Trotzdem in guter Laune, schaltete sie den Herd ein und füllte Wasser in den Reiskocher. Während das Wasser erhitzt wurde, tänzelte sie zum CD-Player und schaltete diesen ein. Zu ihrer Freude lief gerade "STEP you" von einer ihrer Lieblingssängerinnen. "One, Two, Three, Four, YOU AND ME...", sang sie mit, während sie ihre Hausaufgaben auf dem Tisch ausbreitete und begann sie zu machen. Die Hausaufgaben waren glücklicherweise nicht viel oder schwer und so war sie eine halbe Stunde später fertig und streckte sich am Boden aus. Wenig später war der Reis gar und Jin sah genussvoll zu, wie dieser in einer Soja-Sauce ertrank. "Lecker.", murmelte sie bevor sie auch schon begann die Portion mit den Stäbchen in ihren Mund zu schaufeln. Es war ein toller erster Tag gewesen! Und sie hatte schon eine Freundin! Abrupt setzte sie sich auf. "Ach, richtig." Jin stand auf und lief in ihr Zimmer, wo sie den Wecker eine Viertelstunde früher setzte. Damit müsste sie rechtzeitig an der Schule sein um auf Miyako warten zu können. Immer noch summend schlüpfte sie aus ihrer Uniform, die sie aufs Bett warf und schnappte ihr Nachthemd, bevor sie ins Badezimmer verschwand um eine lange und heiße Dusche zu nehmen. Als sie schließlich ins Bett sank, hatte sie das Gefühl, etwas Wichtiges vergessen zu haben. Doch sie konnte sich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern... Chapter 1 || Die Nachricht ~the tower~ (3 von 3) ------------------------------------------------ Die Tage vergingen. Jin wartete jetzt immer auf Miyako, damit sie nicht mehr von Sawako belästigt wurde. Die hat sich sicher schon ein neues Opfer auserkoren, dachte Miyako auf dem Hinweg zur Schule. Wie an jedem Schultag stand Jin schon am Hof und wartete auf sie. Jungs, die sich an sie heranmachen wollten, wehrte sie tapfer ab und wartete geduldig auf ihre neue Freundin. "Hier für dich!" Jin ließ ein kleines Päckchen in Miyako's Hände fallen. "Was ist das?" "Ein Geschenk?", grinste Jin. "Mach es auf, ich dachte das wär ganz gut für dich." Die Zwei spazierten gerade in Richtung ihrer Klasse. Miyako löste im Gehen das bunte Papier von dem Päckchen und brachte ein in einem schwarzen Satin-ähnlichen Stoff gebundenes Buch zum Vorschein. Schwarz....wie meine Seele. Miyako entdeckte am unteren Rand zwei kleine Schmetterlinge, der eine in einem saftigen Kirschrot, der andere in einem fast Safranorange. "Oh...." Sie staunte und schlug das Buch auf. Es war leer. "Ein Tagebuch, oder so was ähnliches. Damit kannst du ja in Zukunft Deutungen aufschreiben oder was du auch immer festhalten willst." Jin klopfte Miyako auf die Schulter. Miyako und Jin bogen um die Ecke und gerade als Jin die Schiebetür zum Klassenzimmer öffnen wollte, spazierten zwei wesentlich jüngere Mädchen an ihnen vorbei und unterhielten sich. "Hey Aiko! Sag mal, weißt du wo Rie steckt? Ich hab sie gestern schon nicht mehr in der Schule gesehen." "Ach, die ist wohl krank," meinte die Andere und fuhr sich prüfend durch die Haare. "Ich konnt sie gestern nicht am Handy erreichen, also hab ich ihr eine SMS geschickt. Vielleicht hat sie geschlafen." Aiko drehte sich zu dem anderen Mädchen um. "Die wird schon wieder auftauchen! Jetzt mal nicht den Teufel an die Wand." Miyako ließ in diesem Moment das Buch fallen. Oh Nein!.....Sie wird doch nicht?! Jin bückte sich schnell um das Buch aufzuheben. "Was ist denn in dich gefahren? Seit wann bedan....." Jin beobachtete Miyako. Diese zitterte und ihre Augen waren weit aufgerissen, soweit man es unter den dichten Stirnfransen sehen konnte. "Ich hab es vergessen..." Miyako sank am Türrahmen zusammen. "Was vergessen?" Jin setzte sich neben sie und hielt das Buch in ihren verschränkten Armen. "Meine Tante zu fragen..." In dem Moment fiel es auch Jin wieder ein. "... Du glaubst also, sie...", meinte die Chinesin vage und gerade so laut, dass ihre Freundin sie hören konnte. "Das wäre jetzt aber echt ein bisschen... gruselig..." Die beiden Mädchen bemerkten die Szene und fragten ob es Miyako gut ging. Jin winkte ab. "Sie hat nur grad bemerkt, dass sie zu wenig für unseren Geschichte-Test gelernt hat!" versuchte sie fröhlich diese dramatische Situation zu überspielen. Die Mädchen gingen weiter. "Hör mal,", meinte Jin dann nach einem Moment der Stille. "es gibt, soweit ich denke, mehrere Rie auf dieser Schule. Es muss ja nicht unsere Rie sein. Oder vielleicht ist das nur ein Spitzname gewesen und die beiden Mädels haben ihn beiläufig benutzt." Miyako seufzte. Dieser Trost war wie ein Strohhalm für sie, an den sie sich wirklich krampfhaft festhalten wollte. Aber sie schüttelte nur den Kopf. "Gehen wir rein, der Lehrer kommt gleich", versuchte sie sich abzulenken und stand auf, um in den großen Raum zu gehen. Die Glocke läutete in dem Moment und ließ sie wissen, dass der Unterricht gleich begann. Zu ihrer Überraschung betrat ihr Klassenlehrer das Zimmer, der laut Plan heute gar nicht dran war. "Bitte setzt euch alle hin und seid still, ich habe eine wichtige Meldung zu machen.", sagte der für seine 42 Jahre noch relativ jung aussehender Lehrer und wartete, bis alle seiner Aufforderung Folge geleistet hatten, ehe er weitersprach. "Rie Surugawa aus der 4b ist seit zwei Tagen nicht mehr nach Hause gekommen und gilt als vermisst. Falls ihr irgendetwas über ihren Aufenthaltsort oder möglichen Aufenthaltsort wisst oder jemanden kennt, der sie innerhalb dieser beiden Tage gesehen hat, meldet euch bitte bei einem Lehrer oder dem Direktor." Kaum waren die Worte verklungen begannen die Schüler zu tuscheln, während Jin und Miyako nur besorgte Blicke austauschten. Miyako schlug die Hände vors Gesicht. "Das ist alles meine Schuld...", wimmerte sie und Jin nahm sie in die Arme. "Das stimmt nicht, du hast es zwar vorausgesehen aber du bist nicht Schuld!" "Wenn wir doch nur was machen könnten...." Miyako fing an zu Schluchzen. Jin stand abrupt auf. "Herr Lehrer, meiner Nachbarin geht es nicht gut, ich bitte darum, sie zur Schulärztin begleiten zu dürfen." Der Lehrer, der ohnehin schon ziemlich gestresst aussah, nickte nur stumm und versuchte den Tumult in der Klasse etwas zu mindern. Jin geleitete Miyako nach draußen. Beide gingen erst einmal zur Mädchentoilette, wo Miyako sich das Gesicht wusch. Dann zog sie ein Päckchen aus ihrer Rocktasche. Die Tarotkarten. "Ich habe..." Sie wischte sich übers Gesicht. "Ich habe eine Idee..." Sie setzte sich auf den kühlen Kachelboden und suchte nach den Karten, die Rie gezogen hatte. "Meine Tante sagt, man kann durch Dinge, die mit einer Person in Verbindung stehen, sehen wo diese Person sich aufhält...vielleicht...vielleicht finde ich Rie damit." Sie legte die Hände auf die Karten und schloss die Augen. Eine Weile lang kniff sie nur fest die Augen zusammen um sich auf das, was sie wissen wollte, zu konzentrieren. Dann waren sie da: Bilder. Ja sie konnte sie sehen. Wirre Bilder, in schneller Reihenfolge, wie ein Blitzgewitter an Emotionen, schien es ihr. Ihre Augenlider zuckten bei dem gewaltigen Eindruck den die Bilder hinterließen. Blut. Überall Blut. Ein Waldstück. Eine zerfetzte weiße Bluse, mit Blut und Erde besudelt. "Aah...Aaaah...Hilfeeee....Warum hilft mir keiner? Hilfe!!" Hörte es Miyako aus den Karten rufen. Rie! Dann war die Vision vorbei. Miyako sank erschöpft gegen die Wand. Ihr aschfahles Gesicht war von einem dünnen Schweißfilm überzogen. "Sie ist tot." Miyako strich sich die Haare aus dem Gesicht. Zum ersten Mal sah Jin Miyako's Augen. Die selben Augen wie die ihren... "Sie ist tot." Miyako's Augen strahlten Kälte und Unruhe zugleich aus. Dann fing sie an zu weinen. Da Jin nicht wirklich wusste was sie sonst tun sollte, bückte sie sich einfach hinunter, legte ihre Arme um ihre Freundin und strich ihr über den Rücken. Sie wusste nicht wieso, aber sie zweifelte keine Sekunde lang an Miyako's Worten. "Es gibt nichts, was wir hätten tun können.", meinte sie nur. "Es war nicht deine Schuld.", hörte sie sich selbst sagen. "Du hast sie schließlich nicht umgebracht..." "Das stimmt schon..." Miyako's Augen schimmerten. "Wir gehen da hin, vielleicht lebt sie ja doch noch." "Was?" Jin schüttelte Miyako. "Bist du verrückt? Was hast du denn gesehen? Und was noch interessanter ist: Wie zum Himmel hast du das gemacht?" Miyako antwortete nicht gleich. "Einen Wald...in der Nähe eines großen Tempels. Eine zerfetzte Bluse...Blut und Rie's Hilferufe...." "Einen Wald?" "Ja, einen reinen Laubwald...." Jin überlegte. Miyako sprach weiter. "Psychometrie....ich kann Erinnerungen an Personen von Gegenständen sehen. Das konnte ich schon immer. Meine Tante... sie hat mir geholfen diese Wahrnehmung zu sensibilisieren..." Das Mädchen rappelte sich auf, sammelte die Karten ein, mit einer Abscheu, als klebte Rie's Blut daran. "Der einzige reine Laubwald in ganz Kyoto liegt außerhalb, in Uiji, in der Nähe des Tofukuji-Tempels." Auf der Hinfahrt ins Ostviertel hatten Jin und ihr Vater dort eine Pause eingelegt, die Aussicht auf dem Tempel war herrlich, die vielen Bäume, die Steingärten... Jin verwarf die Gedanken schnell wieder und folgte Miyako, die schon durch die Tür nach draußen verschwunden war und fast wie ferngesteuert in Richtung Ausgang lief. "Hey, warte!", meinte Jin und hielt sie zurück. "So gern ich auch gleich dahin möchte... Wir haben noch Schule, also sollten wir uns eine gute Ausrede einfallen lassen bevor wir gehen. Für den Fall, dass man uns erwischt.", erklärte sie. "Sag du bringst mich nach Hause, das verstehen die schon." Miyako's Stimme war seltsam fremd. Jin ging zurück ins Klassenzimmer und verbeugte sich vor dem Lehrer. "Entschuldigung, aber meiner Nachbarin geht es leider immer noch nicht besser. Erlauben Sie mir, sie nach Hause zu begleiten?" Sie sah den Lehrer freundlich an, so freundlich es Angesichts dieser obskuren Situation möglich war. Der Pädagoge nickte nur und machte ein Handzeichen, welches Jin als "In Ordnung, geh jetzt." deutete. Sie schloss die Türe und eilte zu ihrer Freundin. Diese ging langsam aber schnurgerade auf den Ausgang zu. "Wir müssen da hin...wir müssen sie..." Miyako drehte sich um. "AAAAH!!!" Jin hörte ein dumpfes Geräusch. Sie sah das schwarzhaarige Mädchen auf dem Boden sitzen, deren Schulsachen quer über dem langen Gang verstreut. "Was ist passiert, um Himmels Willen?" Sie sammelte Stifte und Zettel ein, die umherflatterten. "Siehst du das nicht?" Miyako starrte aus dem Fenster. "Was?" Jin drehte sich um. Ihre Augen weiteten sich als sie die durchsichtige Gestalt sah und ihr Mund öffnete sich, doch kein Laut glitt über ihre Lippen. Eine junge Frau mit einem Kimono schwebte vor ihnen, deren lange Haare einen Schatten auf ihr Gesicht warfen, so dass man dieses nicht erkennen konnte. Jetzt hob sie eine Hand und deutete zuerst auf Miyako, dann auf Jin, dann streckte sie beide Hände so aus als wolle sie, dass man ihr folgte, bevor sie sich langsam auflöste... "Was zur... ", begann die Chinesin, brach dann jedoch ab. "Das hat mir ja noch gefehlt.", murmelte sie dann mürrisch. Sie half Miyako auf und bückte sich darauf hin nach ein paar verstreuten Gegenständen. Dabei stieß sie erneut auf derer Tagebuch. "Sollen wir vorher noch bei mir zu Hause vorbei schauen und was zu Essen einpacken oder so.", schlug sie vor Miyako traute ihren Augen nicht. Die Chinesin reagierte, als sei es das normalste auf der Welt, wenn einem ein GEIST begegnet... Oh ihr Götter! Sie rappelte sich auf. "Du...du hast es gesehen?!", fragte sie und half beim Zusammensuchen der Schulutensilien. "Du meinst die Lady, die auf uns gedeutet hat und dann wollte das wir ihr folgen, was wir aber nicht können, da wir keine Geister sind? Wenn's die war, dann ja.", gab Jin gelassen zurück. "Schön langsam komm ich mir vor wie ein Geistermagnet... Du hast sie doch auch gesehen, oder?", meinte sie dann und stand wieder auf, als sie alles eingesammelt hatten. "Und ehrlich gesagt, jetzt bin ich noch mehr der Meinung, dass wir bei mir vorbei schauen sollten. Es gibt da ein Buch, dass ich unbedingt mitnehmen will und ich glaube, mit andere Kleidung kommen wir auch besser voran. Schuluniform fällt auf.", setzte Jin noch hinzu und deutete dabei auf Miyako's Bluse. Miyako schüttelte kurz verwirrt den Kopf hin und her, dann antwortete sie auf Jin's Frage: "Ich hab sie gesehen, natürlich, aber woher sollte ich wissen, dass DU so was auch sehen kannst?" Sie war etwas verblüfft und folgte Jin nach draußen. Das japanische Mädchen schloss ihr Fahrradschloss auf und schob das Vehikel vor sich her. "Jin?" Jin drehte sich um. "Sag mal...." Jin tippte mit dem Fuß. "Woher hast du das gelernt?" Miyako wischte sich wieder über die Stirn. "Und... und was für ein Buch ist das, dass du es unbedingt haben willst?" Die Schwarzhaarige schüttelte den Kopf und starrte ihre chinesische Freundin an. "Eine Frage nach der anderen. Hier entlang.", antwortete die Chinesin und begann Miyako in die richtige Richtung zu leiten. "Du kannst Sachen von mir haben, wir finden sicher was in meinen Sachen, was dir passt... Das Buch ist so eine Sache... Am Besten zeig ich dir das, wenn wir dort sind... Und woher hab ich was gelernt? Du meinst, dass ich Geister sehen kann oder?" Sie verstand dass Miyako verwirrt war, was sie eigentlich überraschte. Immerhin konnte die andere Tarot Karten lesen, andere Leute aufspüren und sogar im Todesfall deren letzte Minuten sehen, also wieso war sie von einem Geist überrascht? Genau diese Frage stellte sie ihrer Freundin auch, während sie unterwegs waren. "Danke für das Angebot mit den Klamotten..." Miyako war etwas verunsichert. Sie hatte bisher gedacht, Geister seien nur aus den Sagen ihrer Tante und Oma entsprungen, aber sie hatte nie wirklich einen gesehen. Sie fragte sich, warum gerade jetzt. "Meine Oma redet andauernd davon, dass unsere Familie verflucht ist...", erzählte Miyako und schob ihr Fahrrad vor sich her. "Aber ich hab nie so recht dran glauben können. Immer hin ich hab mich noch nie mit einem Toten auf `nen Tee getroffen.", witzelte sie. Jin schwieg. Miyako wurde rot. "Entschuldige, das sollte lustig klingen." Sie blickte zu Boden. "Ich hoffe, wir können Rie finden...", wechselte Miyako das Thema. Jin seufzte. "Das hoffe ich auch... Ich habe bisher an drei Orten Geister getroffen. Glücklicherweise hatte nur einer etwas gegen mich. Aber das hat mir ehrlich gesagt schon gereicht. Ich bin noch nie so schnell gerannt wie damals... Wir sind gleich da.", erklärte sie, während sie eine Ecke umrundeten. "Dort oben im 13. Stock...", deutete sie und ging auf das Gebäude zu. "Dein Rad können wir im Eingang stehen lassen." Während Miyako das Rad absperrte holte Jin den Lift, der sie auch rasch nach oben brachte. Die Haustür öffnend, schlüpfte sie auch schon aus den Schuhen und schob sie, wie gewohnt, zur Seite. "Mach's dir bequem. Möchtest du irgendwas spezielles an Kleidung? Lang, kurz? Hell, dunkel? Ne Lieblingsfarbe?", fragte sie, während sie in ihr Zimmer schlenderte und in die Tiefen ihres Kleiderschranks abtauchte. "Äh...äh...STOPP! Was soll das heißen, einer hatte was gegen dich? Ich dachte Geister rächen sich, wenn überhaupt, an ihren Peinigern?" Jin steckte den Kopf aus dem Kleiderschrank. "Naja... Dachte ich auch. Aber Geister, die eines unnatürlichen Todes gestorben sind, wollen sich meiner Meinung nur generell rächen, dich ihren Schmerz spüren lassen, hundertfach mehr, als sie ihn damals erlebt haben..." Sie schüttelte ihre Haare nach hinten. "Also welche Farbe jetzt oder was willst du genau?" Miyako entschied sich für eine schwarze Hose mit vielen Reißverschlüssen und für ein weinrotes Shirt auf das in verschiedenen Sprachen "I'm your worst Nightmare" gedruckt war. "Nette Wahl..." Jin konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen und begann sich die Schuluniform abzustreifen, was Miyako ihr gleichtat. "Was nehmen wir noch mit? Taschenlampe? Funkgeräte?" Miyako hakte gerade ihren Rock auf und hielt mitten im Tun inne. "Du....du hast Funkgeräte??" Sie ließ den Rock zu Boden gleiten und stieg in die schwarze Combat-Hose. "Ja, die stammen noch aus der Zeit, als ich mit meinen Geschwistern verstecken gespielt habe," erklärte sie, während sie sich eine schwarze Lederhose über ihre wohlgeformten Pobacken streifte. "Die müssten aber noch einwandfrei funktionieren." Die Bluse von Jin's Uniform landete auf dem Bett. Kurz darauf war das Outfit komplett: Ein weißes T-Shirt, das hinten schwarze Teufelsschwingen aufgedruckt hatte und eine passende schwarze Lederjacke die hinten bestickt war, mit Engelsflügeln diesmal. Miyako schmunzelte beim Anblick von Jin's Kleiderwahl. Zwar hatte sie nichts anderes erwartet, aber dennoch war sie erstaunt über die Sachen. "Wo hast du die her?" Sie öffnete ihr Oberteil und schlüpfte aus dem Shirt. Verstohlen schielte sie in Jin's Richtung mit dem Gedanken daran, dass ihr Busen nicht mit dem ihrer chinesischen Freundin mithalten konnte und steckte ihren Kopf durch den Halsausschnitt des weinroten Oberteils. "Meine Geschwister genießen es, mir Sachen aus Amerika zukommen zu lassen. Weißt du, sie studieren in Amerika, was ein großes Glück für meine Mutter ist. Naja, jedenfalls denken sie, dass sie mir stehen und gefallen würden. Woher sie immer so genau wissen welche Größe mir passt, würd ich allerdings auch gerne mal wissen." Jin füllte gerade ihre schwarze Umhängetasche mit Taschenlampe, Funkgerät, Ersatzbatterien und sicherheitshalber ihren Kontaktlinsen sowie ein paar Schreibutensilien. "Hier, eine Jacke ist immer gut!" mit diesen Worten warf Jin Miyako eine weitere schwarze Lederjacke zu, ohne Flügel diesmal. Beide waren nun vollständig umgezogen und Miyako packte auch ihrerseits ihre Tasche, die sie sich von Jin geliehen hatte. Die Japanerin erhielt eine Taschenlampe und eines der Funkgeräte. Außerdem nahm sie ihre Tarot-Karten mit, man wusste ja nie. Zettel und ein Stift sowie das neue Buch, dass ihr Jin geschenkt hatte, komplettierten den Inhalt der Tasche und beide schlichen, Verbrechern gleich, aus dem Haus und begaben sich zur nächsten U-Bahn-Station. "In etwa 35 Minuten müssten wir in Uiji sein...ist ziemlich weit bis zum Tofukuji-Tempel." Jin lächelte und zog für sich und ihre Freundin ein Ticket. "Irgendwie fühlt es sich an, als würden wir was Verbotenes tun", schmunzelte Jin. "Meinst du?" Miyako lächelte unsicher. Dann stiegen beide in die Bahn und nahmen Platz. Es war 21:15. Bis sie an der Endhaltestelle in Uiji waren, würde es knapp 22 Uhr sein. "Ich finde, wir tun was Gutes. Wir wollen doch nur Rie finden. Oder nicht?" Miyako kramte aus ihrer Tasche ein Stück Papier und schrieb mit ihrem Kuli einen Spruch darauf. "Ich bin gespannt, was wir finden werden." Ihre Finger krampften sich um den Kuli und als ihr Werk vollbracht war steckte sie den Zettel zurück in ihre Tasche. "Hmm...weck mich, wenn wir in Uiji sind...." Jin gähnte hinter vorgehaltener Hand. Oh Rie... Wo bist du nur? Geht es dir gut? Wer hat dir das angetan? Hoffentlich lebst du noch. Halte durch! Miyako's Augen wurden schwer. Schwerer... "Das rechte Kind... Wir werden uns... holen... Quelle der Götter... schließt... Kreis" WACH AUF!! Miyako schreckte aus ihrem Halbschlaf hoch. "Sind wir schon da?", fragte sie Jin, die aus dem Fenster starrte. "Hmm?", fragte Jin, als sie sich ihr zuwandte, mit einem Blick auf die Uhr fügte sie dann noch rasch hinzu. "Nein, aber in 10 Minuten... Zahlt sich also nicht mehr aus noch mal ein Nickerchen einzulegen." Plötzlich viel ihr etwas ein: "Wir werden vermutlich über Nacht weg sein, musst du niemanden Bescheid geben? Ich hab meinen Dad einen Zettel da gelassen, dass ich weg bin, damit er sich keine Sorgen macht." "Äh....oh nein...ich muss meine Tante noch anrufen! Die schaltet sonst das Militär ein, wenn sie nicht weiß wo ich bin." Miyako holte eilig ihr Handy hervor und tippte die Nummer ihrer Tante ein. "Hallo Tante Michiko!...Nein...Nein! Mir geht es wirklich gut. Tut mir leid, dass ich mich erst jetzt melde. Ich hab die Zeit übersehen... Mir ist nichts passiert. Ich wollte dich fragen, ob ich heute bei einer Freundin übernachten darf. Jaa...nein du kennst sie noch nicht, ihr Name ist Jin... Sie kommt aus China und ich verstehe mich... Ihr Name ist Jin Lien Fen Li-Sun.... Tante, darf ich heute bei ihr übernachten? Sie hat mich eingeladen, wir waren bis jetzt unterwegs, im Kino und... Nein, keine Jungs. Ja, Tante... Wirklich? Oh danke!! Vielen Dank. Ja ich bin morgen wieder in der Schule... ich komme danach heim. Was? Ja sicher...also dann...." Miyako klappte das Handy zusammen und stöhnte. Jin verkniff sich ein Kichern. "Deine Tante ist eine ziemliche Glucke, kann das sein?" "Naja..." Miyako fasste sich an die Stirn. "Sie ist es eben nicht gewohnt, dass ich eine Freundin hab, ich war immer alleine... darum." "Nächste Haltestelle - Uiji - Takamine Park. Bitte alles aussteigen, die Linie endet hier!" tönte es aus dem Lautsprecher. Jin und Miyako begaben sich zum Ausgang. "Okay... Mal sehen. Zum Tempel geht es... in diese Richtung.", überlegte die Chinesin und deutete dann in die Richtung in der das besagte Gebäude lag. "Eigentlich tust du mir leid.", meinte sie dann plötzlich. "Die ganze Zeit hast du deine Ruhe gehabt und jetzt bin ich in dein Leben getreten, hab Gefallen an deiner Gesellschaft gefunden und du hast mich für den Rest deines Lebens am Hals... Vorbei ist es mit der Ruhe..." Jin grinste ihre Freundin an und bückte sich dann, um ihre Schuhe zu binden. "Ach...solang du mir nicht irgendwann offenbarst, dass du selbst ein Geist bist und mich irgendwann vernichten wirst...." Was rede ich da eigentlich, dachte Miyako. Beide liefen Richtung Tempel und sahen sich aufmerksam um. Niemand war mehr da. Um diese Zeit waren ja auch alle Touristen schon längst weitergezogen oder befanden sich in ihren Hotels. Endlich erblickten sie den Laubwald. Gespenstisch sah es dort aus, trotzdem strahlte der Wald eine Ruhe aus, die man in Kyoto Stadt selten fand. "Was meinst du... ob wir hier noch einen Anhaltspunkt finden?" Jin blieb stehen. "Psst! Da vorn!" Sie deutete auf eine Lichtung. Dort bewegte sich etwas. Miyako merkte wie ihr das letzte bisschen Farbe aus dem Gesicht wich. "Wa...wa...was denkst du ist das?" Sie schluckte. Jin ging todesmutig weiter. "Zumindest ist es nicht böse.", kam es nach ein paar Sekunden von der Anderen. Jin drehte sich um. "Woher...?" Dann winkte sie ab. "Ach ich wunder mich über gar nichts mehr." Sie lächelte in sich hinein. Und ging weiter. Langsam näherte sie sich der Lichtung und spähte hinter einem Baum hervor bevor sie ein Kichern unterdrückte und Miyako herbei winkte. "Sieh dir mal unseren 'Geist' an.", grinste sie, während ihre Schultern vor unterdrücktem Lachen zitterten. Auf der Lichtung hob gerade ein schwarzer Hund sein Beinchen um sein Revier an einer Straßenlaterne zu markieren. Gut gelaunt trat sie auf den Weg hinaus und begann erneut in die Richtung des Tempels zu schreiten. Kurz blieb sie stehen um sicher zu gehen, dass das andere Mädchen ihr folgte, dann widmete sie ihre Aufmerksamkeit jedoch wieder der Umgebung vor ihr. Schließlich gelangte Jin an eine Reihe von Stufen an und seufzte, bevor sie begann raschen Schrittes die Treppen hinter zu bringen. Oben angelangt wirbelte sie herum und sah Miyako zu, während sie langsam rückwärts ging. "Komm schon, sonst geh ich ohne dich!", flüsterte sie gespielt ernst. Dabei bemerkte sie die Glasflasche nicht die am Boden lag und stieß nur überrascht einen Schrei aus, als sie das Gleichgewicht verlor und nach hinten fiel. Sie kniff die Augen zu in Erwartung des Schmerzes, hörte jedoch nur die Flasche über die Stufen davon kullern, als sie jemand auffing. Als sie die Augen überrascht aufriss, blickte sie in das Gesicht eines jungen Mannes, der sie fragend mit seinen hellen grünen Augen ansah. "Jiiiin!!!" Miyako stürzte aus dem Schatten eines Baumes hervor, als Jin plötzlich nach hinten umfiel. Panisch lief sie in ihre Richtung die Treppe hinauf. "Jin?!" Sie fand Jin...in den Armen eines jungen Mannes. Miyako schaute ungläubig von einem zum anderen und fing dann unweigerlich an zu Lachen. "Die Grusel-Inszenierung von ,Romeo und Julia' heute Abend für Sie am Rande des Tempels Tofukuji!" Jin rappelte sich hoch und nickte dem jungen Mann dankbar zu. "Sag mal bist du bescheuert?! Ich bin hingefallen! Gut, dass mir jemand geholfen hat, sonst müsstest du jetzt ALLEIN da reingehen...." Ups... Zuviel gesagt. Jin drehte sich um. Der junge Mann hatte alles mitgehört. Verdammt! Miyako lächelte entschuldigend. "Wir... machen einen Nachtspaziergang und haben uns... verlaufen." Miyako, du konntest schon immer schlecht lügen, schalt sie sich. Der junge Mann räusperte sich. "Wohin allein?", fragte er mit dunkler Stimme. Miyako merkte in diesem Moment, dass sie die schlechteste Lügnerin aller Zeiten war. Jin hob die Augenbrauen, so glaubte Miyako es im fahlen Licht der Straßenlaterne sehen zu können. "Was macht ihr hier mitten in der Nacht?" Der Junge beugte sich harsch vor um Jin und Miyako mit seinen grünen Augen zu durchbohren. Aus welchem Grund auch immer hatte er das Gefühl zu wissen wohin die beiden Mädchen wollten. "Ihr seid unterwegs zum Tempel, nicht wahr?" Jin blinzelte überrascht und blickte verwirrt zu Miyako, dann wieder den Fremden an. "Kannst du hellsehen oder was?", platzte es ihr schließlich heraus. Der Junge zuckte nur mit den Schultern. "Nein, aber offensichtlich gut Raten.", gab er zurück. "Ihr solltet das lieber sein lassen und nach Hause fahren... In dieser Gegend geht derzeit ein Serienmörder um der es auf hübsche Mädchen wie euch abgesehen hat." Jin versuchte ein Lächeln, verzog aber dann das Gesicht. "Danke für deine... Besorgnis, aber ich kann ganz gut auf uns beide aufpassen.", fauchte sie. "Das hab ich gemerkt.", konterte der junge Mann gelassen, beinahe schon spöttisch. "Aber... woher weißt du das mit dem Serienmörder?" Miyako ging - entgegen allem was ihr Verhalten wiederspiegelte - auf den Jungen zu und wischte sich herausfordernd über die Stirn. "Mi..." Jin wollte etwas einwenden, zog es aber dann doch vor zu Schweigen. "Was weißt du darüber?" Miyako stellte sich vor dem Jungen auf, der sie um etwa 12 cm überragte und blinzelte. "Nettes T-Shirt...Trifft das auch im realen Leben auf dich zu?" Der junge Mann lächelte weiter. "Ack!" Miyako drehte sich um und ging wieder zu Jin. "Komm wir gehen, der Typ macht hier einen auf Jet Lee..." "Woher kennst DU bitteschön Jet Lee?" Jin sah Miyako herausfordernd an, während sie die Stufen zum Tempelhaupteingang emporstiegen. "Ach, ich hab da mal einen Film..." "Hallo? Ich bin auch noch da... Hallo??" Der Fremde stand immer noch unter der Laterne. "Wartet! Das ist echt gefährlich, was ihr da tut!" Er lief den beiden nach. "Du musst ja nicht mitkommen... Ist ja SO gefährlich.", äffte Jin ihn nach, bevor sie weiter ging. Plötzlich wurde sie an der Schulter gepackt und herumgewirbelt. "Hör jetzt mal genau zu! Ich mache keine Witze! Der Serienmörder hat bereits ein paar andere umgebracht und wurde laut Augenzeugen HIER in der Nähe von DIESEM Tempel gesehen!" Der junge Mann ließ sie los. "Man könnte meinen, ihr wärt alt genug um zumindest die Nachrichten zu hören, dann wüsstet ihr das nämlich selbst!" Jin fixierte ihn mit ihren grünen Augen und verschränkte die Arme. "Tja, da ich aber genug mit der Schule zu tun hab, hab ich nun einmal keine Zeit für so was... Und wieso sollte ich überhaupt jemanden glauben, der nicht einmal einen Namen hat?!" Der Rothaarige seuftze und fuhr sich durch das Haar. "Okay, das ist ein Argument..." Trotzdem machte er jedoch keine Anstalten, sich vorzustellen. "Entschuldigung..." Miyako trat hinter Jin nach vorn und ging auf den Jungen zu um seine Hand zu nehmen. "Freut mich dich kennen zu lernen... Mein Name ist Miyako Chou Suzuhara. Das ist Jin Lien Fen Li-Sun. Wir gehen beide auf die Seishin-Cho Uni." Miyako lächelte entwaffnend während sie seine Hand weiter in ihrer hielt. "Möchtest du uns begleiten... Kin... Rai... Akagawa...." Sie schloss fest die Augen als sie diesen Namen murmelte. Stille. Weder Jin noch der junge Mann bekamen ein Wort heraus, Miyako jedoch ließ die Hand von dem Fremden los und setzte ruhig ihren Weg zum Tempel fort. "Die Kleine ist etwas....äh....gespenstisch." meinte der Junge. "Das denke ich mir auch jedes Mal, wenn sie so was macht..." Jin strich sich ihre Haare glatt. "Gehen wir?" Miyako drehte sich zu den beiden um. "Oder wollt ihr mich tatsächlich alleine hier reingehen lassen?" Jin rollte mit den Augen und folgte ihr. "Wenn du so weiter machst, überlege ich es mir noch mal." Auch Kin stieß ein Seufzen aus. "Eigentlich wollte ich ja meine Ruhe haben... Aber was soll's... jetzt muss ich wohl mit, auf euch aufpassen..." Zu dritt gingen sie weiter, bis sie vor dem Tempel standen. "Würdet ihr mir jetzt bitte verraten, was ihr hier wollt?" durchbrach Kin die Stille. "Vielleicht...", meine Jin und zuckte mit den Schultern. "Was meinst du, Miyako? Können wir ihm vertrauen?" "Er sucht auch nach etwas.... Richtig, Kin?" Miyako legte den Kopf schief, so dass ihr die Haare etwas aus dem Gesicht fielen. "Wir können ihm schon vertrauen, er kann uns helfen, Rie zu finden." Oder viel mehr, dachte Miyako. Sie betrat als erste die große Halle im Tempel. Irgendetwas ist hier anders als in unserem Schrein. Sie holte die Taschenlampe aus ihrer Umhängetasche und knipste sie an. "Wow... der Tempel ist wunderschön!" Miyako drehte sich einmal im Kreis und leuchtete dabei an die Decke. "Schaut mal, so viele schöne Ornamente! Wenn meine Tante das sehen könnte..." Sie ging weiter. Jin und Kin folgten ihr widerwillig. "Pst!", ermahnte sie Jin. "Um die Zeit ist normalerweise der Tempel geschlossen. Wenn uns jemand hört, sind wir geliefert... Und deine Tante lässt dich nie wieder in meine Nähe..." Sie und Kin schalteten ihre eigenen Taschenlampen ein und leuchteten vorsichtig das Innere aus. "Irgendwas stimmt hier nicht...", murmelten Beide plötzlich gleichzeitig. Es lag eine merkwürdige Spannung in der Luft. So unnatürlich... Jin fühlte wie sich ihre Nackenhaare aufstellten. Sie mochte so etwas absolut gar nicht...Abwesend strich sie über einen Kimono, der and er Wand hing und zuckte erschrocken zurück. "Miyako... Rie, sie war hier... Sie hat diesen Kimono genau so angefasst wie ich..." "Hmm... so was hab ich mir auch schon gedacht. Aber nicht nur Rie war hier. Da ist noch viel mehr Energie in dieser Halle." Hinten im Tempel glitzerte etwas im schein der Lampe. "Da liegt was auf dem Boden.", flüsterte die Japanerin. Kin sah es im selben Moment wie Miyako. Beide gingen hin um den Gegenstand näher zu untersuchen. Eine Kette mit einem Jadedrachen-Anhänger. "Da...Das ist die Kette, die Rie immer getragen hat!" Miyako war bestürzt. Jin kam den Beiden nach und sah sich die Kette besorgt an. Auf ihr waren Blutspritzer zu sehen und einige Glieder der Panzerkette waren verbogen, andere gebrochen, als hätte jemand mit Gewalt an der Kette gerissen. Plötzlich hörten die drei hinter sich ein Geräusch. Es war, als wäre etwas Schweres auf den Boden gefallen. Miyako drehte sich ängstlich um. In der rechten hinteren Ecke sah sie im Licht der Taschenlampe einen Spiegel. Mindestens 2 Meter hoch und fast genau so breit. Aber das Licht aus der Taschenlampe wurde seltsamerweise nicht reflektiert, wenn man auf die Spiegeloberfläche leuchtete. Miyako ging langsam ein paar Schritte in die Richtung. "Miharu....wo bist du? Miharu?.....Du sollst dich doch nicht immer verstecken, Papa wird böse sein!" hörte es das Mädchen in seinem Kopf hallen. "Miyako?" Jin drehte sich um. Miyako war verschwunden. "Sie ist weg! Oh, ich wusste, das geht nicht gut! Ack!" Jin machte am Absatz kehrt und leuchtete den Raum weiter aus. Endlich fand sie ihre Freundin. Sie stand vor einem riesengroßen Spiegel, der an einer Vorrichtung angebracht war, dicht neben einem Gebetsschrein im Tempel. "Mensch, hast du mich erschreckt!", rief sie aus und ging auf sie zu. "Was denkst du dir eigentlich dabei einfach zu verschwinden, wenn wir gerade diese zerschlissene Kette voll mit Blut gefunden haben?!" Kin folgte ihr zögernd. "Findet ihr es nicht viel merkwürdiger das der Tempel um diese Uhrzeit noch offen ist? Normalerweise gibt es einen Mechanismus, der am Ende eines Abends betätigt wird und die Türen dann bis zum nächsten Morgen verschließt..." Jin nickte zustimmend, während ihre Freundin abwesend die Hand Richtung Spiegel ausstreckte. Je näher sie der glänzenden Oberfläche kam, desto mulmiger wurde ihr. Eine plötzliche Vision schüttelte sie. =*=*= Überall waren eingestürzte Häuser zu sehen, beim genaueren Hinsehen sah man auch Leichen, verstreut auf dem Boden, gegen Hauswände lehnend, in den Häusern. Kinder rannten umher und spielten Fangen. "Miharu! Miharu komm raus, Papa macht sich Sorgen!" Eine Frau, deren Kimono voll mit Blut war, stolperte durch die Trümmer. Dann sah sie direkt in Miyako's Richtung, direkt in ihre Augen. =*=*= Miyako prallte zurück. "Aaah!!" Sie fiel auf ihren Hintern und krabbelte rückwärts in die Mitte des Tempels während die Taschenlampe immer noch in den Spiegel leuchtete, dessen Oberfläche jetzt nachtschwarz war. Jin und Kin stürzten in die Richtung, aus der sie ihre Freundin schreien hörten. Als Jin die Lampe aufhob, traute sie ihren Augen kaum: Aus dem Spiegel ragte eine Hand. Eine weiße, mit verkrustetem Kratzern bedeckte Hand... Vor lauter Schreck fiel Jin fast die Lampe aus der Hand und sie stolperte rückwärts wo sie, wieder einmal gegen Kin prallte. "Woha...", meinte er auch der, besonders als die Hand weiter nach draußen glitt. Von einem Beschützerinstinkt übermannt schob er plötzlich beide Mädchen hinter sich und seine Augen fixierten das Wesen, das jetzt schon den mit zerzausten schwarzen Haaren bedeckten Kopf durch den Spiegel steckte und sich nach vorne krümmte. "Miha..ru... Wo bist du...?", hauchte sie. Langsam und schleppend näherte sich der Geist der Frau dem Trio, bis es Kin zu viel wurde und sich seine Augen verengten. Plötzlich wurde der Geist zurückgeschleudert, doch es schien ihm nicht allzu viel auszumachen, denn er begann den ganzen Prozess einfach noch mal. "Ach du heilige Scheiße...", murmelte er. "Mi...ha...ru..." die Stimme des Geistes war verzerrt und hallte in der riesigen Eingangshalle des Tempels, als würde ein ganzer Schwall Frauen immer wieder das Selbe sagen. Jin und Miyako erschienen hinter Kin's starken Rücken und rissen die Augen auf. Die Frau...besser das was von ihr übrig geblieben war, schwebte ihnen entgegen. Ihr Torso und ihr rechter Arm waren heil geblieben, der Rest allerdings schien abgerissen worden zu sein. Ihr Kopf war verdreht und ihre Haare, lang und schwarz, bewegten sich fast wie ein eigenständiges Wesen um ihr zerschmettertes Gesicht herum. "Papa...wird böse sein... wo bist du?" krächzte es aus jedem Winkel der großen Halle. Miyako schnappte ihre Tasche und zog eilig den Zettel heraus, den sie in der U-Bahn beschrieben hatte. "Stellt euch im Kreis auf! Bleibt dicht zusammen!" Mit diesen Worten legte sie den Zettel auf den Boden und wich dann zurück. Der Zettel fing an zu brennen, blaue Flammen verzehrten das naturweiße Papier. "Das war ein Schutzspruch..." raunte Miyako Jin zu. Alle drei standen mit dem Rücken zu einander im Kreis und beobachteten ihre Umgebung so gut es eben ging. Plötzlich, ein kalter Hauch kam von rechts und zog an Jin vorbei. Die Frau, deren Kopf so verdreht war, dass sie genau in Jin's Richtung starrte, schwebte wenige Zentimeter an der Chinesin vorbei, immer wieder die gleichen Worte mit krächzender hallender Stimme ausspuckend. Jin bemühte sich ziemlich, nicht plötzlich in Panik auszubrechen. Miyako drückte Kin's Hand und flüsterte, so leise es ging: "Sie tut uns nichts, sonst hätte sie uns schon lange bemerkt." Dann stieg sie aus dem "Schutzkreis" und schlich der hellen fliegenden Gestalt nach. "D-Dieses Mädchen treibt mich noch in den Wahnsinn...", murmelte Jin und folgte ihr nach einer Sekunde des Zögerns. Kin starrte ihr baff einen Moment lang nach, bevor auch er den Beiden nacheilte. "Du Glückliche... Ich hab das Gefühl, mir wachsen schon weiße Haare - Dank euch BEIDEN..." Er stapfte den Mädchen hinterher und beobachtete gespannt die Bewegungen des Geistes. Während Jin sich noch ärgerte und Kin den Kopf schüttelte, war Miyako schon aus dem Tempel getreten, immer noch der Spur dieser Frau folgend. Seit ihrem vierten Lebensjahr war Miyako nun mit Geistern konfrontiert worden, aber noch nie hatte sie einen echten, "realen" Geist gesehen. Ihre Oma hatte ihr als Kind immer von solchen Erscheinungen erzählt, ihre Tante kannte viele Sagen und Miyako konnte diese mittlerweile schon fast auswendig. "Was willst du mir damit sagen?", murmelte das Mädchen während die zerschmetterte Frau weiter Richtung Wald schwebte, immer noch wehklagend. Jin trat inzwischen auch aus dem Tempel mit runzelnder Stirn und der Taschenlampe starr auf Miyako gerichtet. "Wenn du diesmal wieder abhaust, dann werd ich mir eine Hundeleine für dich besorgen" zischte sie. Kin, der dem ganzen Spektakel nicht wirklich viel abgewinnen konnte hatte inzwischen seinen Rucksack geöffnet und trug in einem Buch ein paar Notizen über diesen Vorfall ein. Es könnte wichtig sein, dachte er sich. Vielleicht haben die Mädchen recht und zwischen dem Geist, ihrer Freundin und meinem Bruder besteht eine Verbindung. Die Frau schlich langsam auf eine Lichtung im Wald zu. Dort verweilte sie, so als würde sie auf jemanden warten. Das Wehklagen war mittlerweile auch verstummt. Miyako ging langsam in Richtung der Stelle wo der Geist innehielt. Jin erreichte Miyako mit schnellen Schritten, beäugte den Geist jedoch mistmaurisch. Nach ihrem letzten Aufeinandertreffen mit einem solchen Wesen fand sie das Motto "Vorsicht ist besser als Nachsicht" äußerst angebracht. "Was glaubst du will sie von uns?", flüsterte sie ihrer Freundin zu, während sie die Taschenlampe ausschaltete. Im Moment war es absolut nicht notwendig, der abnehmende Mond spendete genügend Licht. Kin ging in die Hocke und zog abwesend einen anderen Stift hervor (sein alter hatte soeben den Geist aufgegeben). Er lehnte nun an einem Baumstamm am Rande der Lichtung. Von hier aus hatte der Halbjapaner einen guten Überblick und konnte auch mit seinen Fähigkeiten eingreifen - sollte es erforderlich sein. Die Frau drehte sich unerwartet um. Miyako schreckte erst zurück, ging dann aber wieder langsam in Richtung des Geistes auf der Lichtung. Das Bild, dass sich Jin bot, war einfach... bizarr. Der Geist, heller als das Mondlicht und dabei so durchsichtig, dass er fast nicht zu erkennen war und Miyako die sich anschlich. "Warum...Wa...rum?" Die Frau bückte sich und verschwand plötzlich. "Ah?" Miyako stutze. "Jin, was meinst du? Will sie dass ich hier was suche?" Miyako kratzte sich etwas hilflos. Kin nickte: "Ich denke ja, wenn sie weggeht, meint sie wohl du fürchtest dich nicht so sehr. Mich würde aber interessieren, warum sie WEISS, dass sie schon tot ist. Geister wissen das ja oft nicht, darum irren sie ja umher..." Jin legte den Kopf schief. "Also ich glaube... " Da hatte das japanische Mädchen schon angefangen, im feuchten, bemoosten Boden herumzuwühlen. Irritiert von den ganzen Eindrücken die sie wahr nahm, wühlte sie so lange weiter, bis sie einen verdreckten Gegenstand aus der Erde zog. Schlagartig kam die Erinnerung des Stückes: Eine Kamera, eine uralte Kamera, sie hatte mal einem Wissenschaftler gehört. Dieser hatte sie hier zurückgelassen, weil er angegriffen worden war... Von... "Was ist denn das?" Jin ging näher auf Miyako zu. "Äh...äh eine Kamera, denke ich." Das Mädchen kratzte die lehmige Erde von dem Gehäuse. "Die wird bei all dem Dreck und der Feuchtigkeit da unten ja wohl kaum noch funktionieren...", meinte Jin nachdenklich und zweifelnd, während der Rothaarige Kin in der Zwischenzeit weitere Notizen schrieb. Etwas reflektierte im silbernen Licht und die Chinesin bückte sich danach. "Hey, schau mal! Die Linse ist rausgefallen!", meinte sie. "Falls die Kamera wirklich kaputt ist, kann ich sie sicher reparieren.", bot Kin abwesend an, während er weiter vor sich hinschrieb. Dann hörten die Mädchen wieder ein seltsames Krächzen. Die zerdrückte Frau stand direkt neben ihnen. Jin und Miyako rissen die Augen auf. Miyako schluckte. Die zerdrückte Frau hob ihren Arm und deutete auf Kin... nein daneben - ihre Bewegungen ziemlich waren fahrig. "Sollen wir in den Tempel zurück?" Miyako flüsterte es in die Richtung, wo der Geist stand. Ein lautes Heulen war die Antwort. Dann war sie wieder auf dem Rückweg, hinein in den Tempel, schlurfend, wehklagend... Miyako musste unweigerlich lachen. "Die Arme. Irgendwie würde mich das etwas nerven, hier so rumzuwandern und zu jammern... " Jin hob verächtlich eine Augenbraue und setzte sich, die Linse in der Hand, in Bewegung, riss Kin beim Vorbeigehen mit und schaltete ihre Taschenlampe wieder an. Die Frau stand vor dem Spiegel, den Rücken... oder eher die zerfetzten Überreste dem Trio zugewandt. "Okaaay..." Jin zog dieses Wort wie einen Kaugummi in die Länge, sie war entnervt, immerhin ließ sich dieser Geist alle Zeit der Welt... die er ja auch hatte. "Pssst!" Miyako zischte. "Irgendwas will die doch... oder?" Kin murmelte hinter ihnen in sein Notizbuch und schrieb weiter. "Gebt mal die Teile her...", meinte er dann plötzlich und schon drückte ihm Jin auch die Linse in die Hand. In dem Moment in dem seine Hand die alte Kamera umschloss sah er vor seinem inneren Auge den Mechanismus und jeden einzelnen Handgriff mit der das Teil zusammen gebaut wurde. "Ach du...", murmelte er und begann es Stück für Stück auseinander zu nehmen. "Hier, putzt das mal, sonst funktioniert da gar nichts.", bat er sie und legte ihnen einige Teile aus dem Inneren hin. Schließlich war das Ding völlig zulegt und er beeilte sich alles wieder richtig und sauber zusammen zu setzten. Kin hob das alte Gehäuse in die Luft um es noch mal einem prüfenden Blick zu unterziehen. Dann seufzte er und begann widerwillig zu erklären: "Die Kamera wurde dazu gemacht um Geister einzufangen... Diese kleinen Kugeln an der Seite hier sind sogenannte Geistersteine... Mit ihrer Kraft kann man Geister auf Fotos bannen..." "Jaaa...genauu...." Jin hatte eine neue Beschäftigung gefunden: Worte so lange wie möglich ziehen um ihnen einen gedehnt coolen Effekt zu verschaffen. "Verarsch uns hier nicht, McGuyver. Das dieses rostige Ding überhaupt irgendwas knipsen kann bezweifle ich nämlich. Du nicht auch oder Mi?" Miyako nahm ehrfürchtig die Kamera in die Hand. "Obskura... Das ist..." Sie schluckte. "Die Camera Obscura von Professor Aso..." "Bitte was?!" Kin und Jin waren beide bemüht diese Worte nicht zu schreien. "Was soll das heißen? Camera Obscura, Geister einfangen, bla ..." Jin begann wild zu gestikulieren. "Das was es heißt, Jin" Kin kritzelte wieder etwas in sein Notizbuch. Dessen Seiten müssen sich ja ins unendliche erstrecken, schmunzelte Miyako. Dann blätterte er zurück. "Hier steht es: ,Die Camera Obscura wurde von Professor Doktor Kunihiko Aso erfunden. Er hatte sich der paranormalen Folklore zugeschrieben und erforschte Geistererscheinungen in den frühen 30'igern. Mit der Kamera wollte er Fotografien von Spektralwesen machen. Deren verbliebene Gedanken können die Vergangenheit enthüllen. Die Kamera kann Dinge erscheinen lassen, die mit bloßem Auge nicht sichtbar sind. Von diesen unsichtbaren Wesen ein Foto zu machen hat eine austreibende Kraft, er-zeugt aber auch eine Art Verbindung. Wenn die Camera Obscura achtlos eingesetzt wird, können diese Wesen sogar den Benutzer überwältigen. Seiner Meinung nach ist diese Kamera aber ein Teufelswerkzeug. Seit 1965 gilt er als vermisst. Auch seine Aufzeichnungen sowie die Kamera wurden nie gefunden..' " Kin schlug sein Notizbüchlein zu. "Wow... cool... das ist..." Miyako umarmte die Kamera regelrecht. "Wisst ihr was das heißt?" Ihre Augen glänzten beim Anblick dieses paranormalen Artefaktes. "Japp...wir haben ne Menge Ärger am Hals." Jin schielte zum Spiegel hin, die zerdrückte Frau war noch immer am selben Ort. "Und was machen wir jetzt mit ihr? Einfangen?" Sie stupste Kin an. "Du weißt doch sicher eine Lösung für dieses...." sie deutete zum Geist. "Problem, oder?" Er hob eine Augenbraue. "Ist das nicht offensichtlich? Mach ein Foto!", meinte er und rollte dabei die Augen. "ARGH! Du gehst mit auf die Nerven mit deinem "Ich-bin-allwissend" Getue!", stieß Jin frustriert aus und warf ihre Hände in die Luft. Kin zuckte mit den Schultern. "Kann auch nichts dafür, dass ich mehr weiß als du...", kommentierte er. Die Schwarzhaarige verdrehte genervt die Augen, wandte sich dann aber wieder dem Hauptproblem zu. Dem Geist. "Okay, einen Versuch ist es jedenfalls wert...", seufzte sie schließlich. "Ich mach das. Ich glaube nämlich, dass sie bei mir weiß, dass ich das Richtige tue." Miyako schnappte sich die Kamera und ging mutig auf die zerdrückte Frau zu. Diese zeigte mit ihrem verbliebenen Arm wieder auf den Spiegel und verschwand dann langsam darin. Miyako drückte den Auslöser. "Zuff!" ein kreischendes Geräusch erklang. Das Foto fiel zu Boden und Miyako bückte sich, um es aufzuheben. Jin und Kin gingen ihr zögerlich hinterher und Jin riss die Augen auf, als Miyako sich gerade wieder aufrichten wollte. "Da! Der Spiegel!" Sie zeigte auf den Spiegel. Er schlug kleine Wellen! "Was ist auf dem Foto?" wollte Kin wissen. Das Foto zeigte einen Torbogen, einen Shinto-Bogen um genau zu sein. Und die Frau, die unter dem Bogen hindurch ging. "Da ist ein Shinto-Tor drauf." Miyako nahm das Bild an sich. "Sollen wir da durch?" ihre Stimme klang etwas verzweifelt. Die Wellen der Spiegeloberfläche im Auge, nahm Jin diesmal die Kamera an sich. "Hmm..." Sie visierte den wellenschlagenden Spiegel an und schoss das zweite Bild. "Zuff!!" Ein grelles Licht umhüllte alle drei, eine dichte Wolke von Staub und Rauch brachte Kin zum Husten und als sich alles wieder gelegt hatte, waren die Mädchen nicht mehr da. "Was zum... Jin?? Miyako??" Er leuchtete den großen Tempel mit seiner Taschenlampe aus. "Hallo??" Er ging zum Spiegel hin. Dort lagen die beiden Fotos, das mit dem Bogen und das zweite, das Jin geschossen hatte. Auf dem zweiten Foto wurde langsam das Bild sichtbar. Kin ließ es fast fallen vor Schreck: darauf waren die Mädchen zu sehen. Auf der anderen Seite des Spiegels, eingehüllt in alten traditionellen Kimonos und mit hochgesteckten Haaren... "Ich will gar nicht darüber nachdenken was das heißt..." Er nahm die Fotos und steckte sie in sein Notizbuch. "Solang ich nicht weiß was dieser Spiegel ist, kann ich euch ohnehin nicht helfen..." murmelte er und verließ lautlos die große Halle um hinaus in die Nacht zu laufen, mit wirren Gedanken und bizarren Bildern im Kopf... *** Author's Notes: Sooo.... das wäre erledigt. Das erste Kapitel dieser (wahrscheinlich unendlichen) Geschichte ist beendet. Nici und ich hatten zuerst vor, sie in drei eigenständige Kapitel zu verwandeln, doch ich finde "the chosen ones" passt ganz gut zu Kin, Jin und Mi, da die drei ja auch grüne Augen haben (oh was ein Zufall ;-) ) Ich hoffe, euch Lesern gefällt es und ihr habt den Überblick behalten können. Ich finde zumindest den Schluss des dritten Teiles sehr gelungen, die "woman out of mirror" (zerdrückte Frau) hat einen grandiosen Auftritt.. der sich aber dann leicht ins komische zieht *g* -- Unsere Ghostlist (an er wir noch arbeiten, da wir viiiiiiele vieele Geister brauchen werden *smirk*) ist auf englisch, darum nehme ich immer die englischen Namen, wenn ich mit Nici rede...es ist gut, dass wenigstens wir zwei wissen, was wir tun - oder? *g* Kin hatte auch einen sehr eleganten Auftritt... wer weiß was aus Jin und Kin noch wird, wenn wir so weiterschreiben? *hehe* Nichts desto trotz, es geht NATÜRLICH weiter, im zweiten Kapitel... denn wer würde nicht gerne wissen, was den beiden Mädchen passiert? Was Kin macht um sie da rauszuholen? Was mit dem Jungen passierte, der am Anfang des Kapitels sein Erlebnis schlildert? Fragen über Fragen... gut so! Es kann wohl etwas dauern, bis wir das zweite Kap. (also mal den ersten Teil *teilefeetischistin*) hochladen, aber wir geben uns Mühe, so schnell wie möglich was auf die Beine zu stellen, der Plot für das nächste Kapitel steht nämlich schon in groben Zügen fest *smirk* Also lasst euch überraschen - und danke für's Lesen! - Danke an Nici für's Fehlerfinden *drück* - Danke an die Kommentare bis jetzt *raffidrück* *g* Chapter 2 || Die Katastrophe ~yòsomura's calamity~ (1 von 2) ------------------------------------------------------------ ~x~x~ 18.08.1956 == Soeben bin ich angereist. Die Bewohner des Dorfes, in dem ich untergekommen bin, sind seltsam beunruhigt. Sie scheinen sich vor etwas zu fürchten. Vielleicht täusche ich mich aber nur. Zaomura ist ein schönes kleines Dörfchen, in dem immer noch alte Bauten aus der Meiji-Zeit, in der es gegründet wurde, stehen. Meinen Kindern wird das sicher gefallen. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ 20.08.1956 == In diesem Dorf gehen seltsame Dinge vor sich. Seit ich ihnen erzählt habe, dass ich Völkerforscher bin, starren sie mich alle ehrfurchtsvoll an. Sie murmeln manchmal etwas von einem verfluchten Dorf. Als ich allerdings nachfrage, verstummt ihr leises Murmeln sofort und sie gehen ihres Weges. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ 22.08.1956 == Jemand hat mich eingeweiht. Zaomura ist das Nachbardorf des verfluchten Dorfes. Es liegt am anderen Ende des Waldes, so erzählte mir es eine alte Dame. Sie sagte, dass dieses Dorf und alle seine Einwohner in einer Vollmondnacht während einer Zeremonie verschwunden sind. Sie sagt auch, dass dieser Ort seitdem verflucht ist. Niemand wagt sich auch nur in die Nähe dahin, nicht einmal in den schönen Laubwald, der das Dorf zur Hälfte umschließt. Die Frau sagt, in Zaomura nennen es alle "Hinkonmura" - Das Dorf des Elends. Und sie flüstert mir noch zu, dass das Dorfoberhaupt will, dass ich mir das einmal ansehe. Die Leute fürchten, der Fluch würde auch auf ihr Dorf übergreifen. Als ich etwas erwidern will, bringt sie mich mit einer Geste zum Schweigen. Seltsame Leute sind das hier... ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ 23.08.1956 == Habe Ryo, Tsukiko und Isamu sicher untergebracht bei einer kleinen freundlichen Familie. Makie, die Ziehmutter, wird sich sicher gut um sie kümmern. Wenn ich den Worten der Alten glauben kann, ist das hier viel zu gefährlich für meine Kinder. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ 25.08.1956 == Um das Dorf herum ist ein unangenehmer Nebel, der mir das Blut in den Adern gefrieren lässt. Gut, dass ich an wasserabweisende Bekleidung gedacht habe. Hier liegt alles in Trümmern, zumindest sieht es auf den ersten Blick so aus. Aber es sind doch einige Häuser in einem guten Zustand und man kann sie sogar, wenn man vorsichtig ist, betreten. Es ist wunderbar zu sehen, dass manche Gegenstände, Geschirr oder auch Spielzeug und Kleidung nahezu unbeschädigt sind. Anscheinend war dieses Dorf sehr wohlhabend, die Häuser in denen ich war, scheinen mir riesig im Gegensatz zu denen in Zaomura, die Räume sind elegant eingerichtet und sogar die Wege mit schönen, flachen Steinen gepflastert. Ich habe auch eine Tafel im Schutt gefunden, auf der ich gerade noch den Namen des Dorfes lesen konnte - "Yòsomura", Das Dorf der Elemente.... ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ 28.08.1956 == Ich fühle mich seit zwei Tagen beobachtet. Wenn ich mich aber umdrehe, ist da nichts. Langsam glaube ich, ich werde senil. Kein Mensch würde es wagen, hierher zu kommen, also bin ich alleine hier. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ 29.08.1956 == Heute Nacht werde ich mir den Tempel ansehen. Er ist genau im Zentrum des Dorfes. Es scheint mir auch als wäre dieses Dorf nach einem bestimmten Muster angelegt worden, da sich um den Tempel herum strahlenförmig Wege abzeichnen, die zu kleineren Gebäuden, vielleicht eine Art Schrein, führen sollen. Manche dieser "Schreine" sind vollkommen ausgelöscht, man kann noch den Umriss eines solchen Gebäudes erkennen, Andere sind jedoch noch sehr gut erhalten. Es sieht so aus als würde der Umriss nach hinten spitz zulaufen, wie ein Pfeil. So etwas habe ich noch nie gesehen. Was mir noch auffällt, ist die Tatsache, dass viele Häuser durchlöchert sind. Es scheint mir, als wären im Krieg hier viele Kämpfe ausgetragen worden. Doch warum stehen dann die Häuser noch? Ich muss darüber nachdenken... ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ 30.08.1956 == Ich habe im Tempel seltsame Spuren entdeckt. Es sieht aus wie Blut, doch es ist keines. Es ist eine seltsame schwarze Masse, die wie Blut riecht... Langsam wird mir unheimlich. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ 02.09.1956 == In der Nähe des Tempels sind viele Gärten. Doch einer ist an einem ganz anderen Ort angelegt worden. Das Schild an dem schweren Eisentor ist heruntergefallen und zerbrochen, aber ich kann dennoch lesen, was darauf steht. Dies ist der "weiße Garten". Er ist wirklich wahrlich ein wunderschöner Garten. Zwar sieht man auch hier Spuren der Verwüstung, doch die Bäume sind wie durch ein Wunder erhalten geblieben. Es sind alles Kirschbäume. Und sie blühen - um diese Jahreszeit!! ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ 05.09.1956 == Ich fühle mich immer mehr beobachtet. Manchmal bekomme ich solche Angst, dass ich am liebsten davon laufen würde. Doch ich darf jetzt nicht aufgeben. Ich habe das Gefühl, das Rätsel beinahe gelöst zu haben. In dem Garten in dem ich vor drei Tagen war, steht eine kleine Kammer. Es scheint mir fast wie ein Gefängnis, denn ich kann keine Fenster ausmachen. Die Kammer ist wie ein kleiner Schrein, der auf Stelzen steht. Wenn ich sie betrete fühle ich mich seltsamerweise sicher. Obwohl es keinen Grund gibt, denn manchmal da...höre ich ein Wispern, ein Kichern... ich weiß auch nicht. Es ist seltsam. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ 06.09.1956 == Der Stoff... es ist der Stoff! Auf ihm stehen Bannsprüche. Aber was halten die fern? Ich muss noch mehr Antworten finden, ehe ich das Rätsel lösen kann. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ 10.09.1956 == Ich habe im Tempel einen Raum freilegen können. Es war schwierig, denn ich wollte nicht beschädigen, aber es scheint als wären unter dem völlig zerrütteten Tempelgebäude noch viele geheime Räume. Wofür die waren, kann ich nicht sagen. Vielleicht finde ich dort mehr Informationen. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ 12.09.1956 == Makie sagt, die Kinder haben viel Spaß hier. Sie denken schon fast nicht mehr an ihre Mutter. Die Götter mögen sie umarmen. Wenn sie das nur sehen könnte! Ich denke sie wäre genau so begeistert wie ich. Ich habe es geliebt, wenn sie ihre dunklen Mandelaugen aufgerissen hat bei meinen Erzählungen und Funden... Tsukiko ist mittlerweile eine junge Frau geworden und die Männer in Zaomura stieren ihr nach, als sei sie eine Göttin. Ich hoffe, Makie hat ein Auge auf meine Tochter. Ich erzähle den Kindern gerne von den Entdeckungen, doch dieses Mal wird mir unwohl, wenn sie mich danach fragen. Ich weiß auch nicht, aber... ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ 14.09.1956 == Ich bin in einem der unterirdischen Räume des Tempels. Niemand wird mir dies glauben, wenn er es nicht mit eigenen Augen sieht. Die Räume sind so prunkvoll wie es zur Meiji-Zeit nur möglich war und über und über mit Gold verziert. Marmor überall, seltene Holzsorten, gedrechselte Pfeiler...es ist unglaublich! Eine Kammer allerdings ist ganz schlicht gehalten. Ich frage mich warum. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ 16.09.1956 == Gestern Nacht habe ich eine weitere Entdeckung gemacht. In der unscheinbaren Kammer war so etwas wie ein Lager. Oder auch ein Ort für wichtige Dokumente. Bücher liegen herum, sie sind von den morschen Bücherregalen heruntergefallen. Insgesamt scheint es mir als wäre hier eine Art Erdbeben vorübergegangen. Aber die untern Räume hat dies wohl nicht beeinträchtigt. In dem Raum sind zeremonielle Gewänder aufgehängt worden, ich kann noch die Muster auf den Kutten ausmachen. Wirklich prächtige Gewänder. Ich vermute, sie wurden nur zu ganz speziellen Anlässen verwendet. Ich habe Schriftstücke gefunden! Alte Schriftrollen und sogar noch Steintafeln aus längst vergangenen Zeiten. Leider sind sie vergammelt, es ist schwer, die Schriftzeichen zu entziffern. Ich werde sie mit ins Dorf nehmen, vielleicht kann der Dorfälteste sie lesen... ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ 17.09.1956 == Der Dorfälteste hat mich einen Teufel geschimpft. Ich hätte nicht das Recht, diese Schriftstücke mitzubringen, denn sie seien mit einem Fluch behaftet. Er fürchtet um sein Dorf. Aberglaube geht also immer durch die kleinen Dörfer in ländlichen Gebieten. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ 18.09.1956 == Die Alte Frau half mir die Schriftstücke zu übersetzen. Aus irgendeinem Grund habe ich das Gefühl, sie war schon einmal dort, denn sie scheint nicht die geringste Mühe beim Herauslesen der Schrift zu haben. Auf einem Blatt Papier hat sie mir diverse alte Schriftzeichen gemalt, die neben unseren neuen stehen. Ich bin ihr sehr dankbar und werde morgen früh aufbrechen um meinen Nachforschungen nach zu gehen. 20.09.1956 == Es ist unglaublich! Noch mehr Schriftrollen. Und ich kann mittlerweile sogar entziffern, was sie besagen. Es scheint als wäre diese weiße Kammer hinten in dem riesigen Garten für eine zeremonielle Reinigung verwendet worden. Sie heißt in den Schriftrollen "Seele der Jungfrau". Es wird auch noch eine Quelle hier in der Nähe erwähnt, in der ebenfalls eine Reinigungszeremonie stattgefunden haben soll. Vielleicht finde ich sie ja. Hier steht außerdem noch etwas von Kindern. Vielen Mädchen und Jungen, die ganz besonders gewesen sein sollen. Die Schriftrollen erzählen von "Götterkindern". Vielleicht bin ich der Lösung näher, als ich gedacht habe... ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ 21.09.1956 == Ich höre seltsame Geräusche. Es hört sich an wie ein großer Gong, der geschlagen wird, doch ich konnte nirgends einen im Dorf finden. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ 23.09.1956 === "Siehe, die Kinder der Götter, Kinder der Sünde. Erkenne sie an ihren Augen, so tief wie ein Ozean und von so klarem satten Grün wie der Wald der Götter, der Yòsomura umgibt. Hüte dich vor ihren Gesten, ihren Bewegungen. Diese Kinder sind unserer nicht würdig. So reinige sie von allem Menschlichen und Bösen und sende sie in den Himmel, zu ihren Vätern zurück. Auf das Yòsomura mit ewiger Gnade und Wohlwollen bedacht werde." Dies fand ich auf einer Schriftrolle, die vollständig erhalten geblieben ist. Die Kinder von denen da geredet wird, ich glaube sie... ich glaube sie werden geopfert. Ich habe ein ungutes Gefühl bei der Sache. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ 26.09.1956 == Ich habe ein Gespenst gesehen! Als ich mich gegen Abend auf den Weg zurück ins Nachbardorf machte, stand vor mir plötzlich eine Gestalt. Sie war ganz hell, so wie das Licht des Mondes und dabei so durchsichtig, dass ich sie kaum zu erkennen vermochte. Ich konnte nur dastehen, meine Glieder waren gelähmt vor Angst. Es sah aus wie ein Mädchen, welches ein weißes Gewand trug. Doch sie stand nur da und blickte in den Himmel hinauf ehe sie langsam verschwand und der Nebel mich wieder einhüllte. Ich frage mich, ob es eines der Mädchen ist, die geopfert wurden. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ 27.09.1956 == Obwohl ich nirgends menschliche Überreste finden kann, bin ich mir doch sicher, dass es noch irgendwo Knochen geben muss. Vielleicht, wenn ich sie untersuche, kann ich feststellen was die Todesursache war. Die alte Frau, die mir beim Lesen der Schriftrollen half, kann mir auch dieses Mal eine Hilfe sein. Ich denke, sie ist eine Art Priesterin im Ruhestand, denn es scheint mir, als wüsste sie viel mehr über diese Katastrophe, als sie mich glauben machen will. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ 02.10.1956 == Ich habe Angst. Seit etwa 4 Tagen bin ich in diesem Dorf und ich kann den Ausgang nicht mehr finden. Dort wo ich ihn in meinen Unterlagen verzeichnet hatte, steht nun ein altes, zerfallenes Haus, dahinter ein Abgrund, so tief, dass ich es nicht wage, daran hinunterzuklettern. Ich bin verzweifelt. Wo kann dieser Ausgang nur hingekommen sein? Vielleicht habe ich mich im Nebel verirrt? Die Nächte sind grausam hier, von solcher Unruhe und Beklemmung, dass ich kein Auge zu bekomme. Und die Gespenster... sie tauchen jetzt öfter auf. Alles Kinder. Kinder in weißen Gewändern und mit leuchtenden Augen. Und auch Kreaturen, deren Herkunft ich nicht annähernd bestimmen kann. Sie scheinen etwas zu suchen, sie verfolgen mich... Warum ich?! ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ 03.10.1956 == ..... Ich habe Angst. Ich habe Angst. Ich habe Angst. Die Kreaturen und Kinder... Es sind noch mehr geworden. ... Und noch mehr! ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ 04.10.1956 == Ich glaube, ich werde niemals mehr dieses Dorf verlassen. Oh ihr Götter, sendet mir Eure Gnade! Helft mir hier heraus! Langsam werde ich verrückt. Was soll nur aus meinen Kindern werden? ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ *** Jin klopfte sich den Staub ab. Sie hustete stark, die Luft war sehr nebelig und voller Staubpartikel. "Mi?" Sie stemmte sich hoch und kam nur schwer auf die Füße. "Mi?!" Schleppend kam sie voran. Sie sah sich um. Nirgends war ihre Freundin zu sehen. Nur dichter Wald, schwarz wie die Nacht und so bedrohlich, Jin hätte am liebsten Reißaus genommen. Sie ging langsam den schmalen Lehmweg entlang. Vielleicht war Miyako durch diese Wucht wo anders gelandet? In dem Moment wäre Jin fast schon wieder schwarz vor den Augen geworden. "Was ist passiert?", murmelte sie abwesend. "Jin?? Jin bist du hier?" Sie hörte eine Stimme nicht weit von sich entfernt und stolperte durch den Wald, in die Richtung, aus der sie die Stimme ihrer Freundin gehört hatte. "Miyako? Wo bist du?" Jin versuchte angestrengt etwas zu erkennen, doch es war so dunkel, dass sie nicht einmal die Hand vor Augen sah. Sie zuckte erschreckt zurück, als sie dann das gleißende Licht von Miyako's Taschenlampe erblickte. Nach dieser Dunkelheit waren ihre Augen sehr empfindlich und so kniff sie sie fest zu. "Ich bin hier! Ist alles in Ordnung?" Miyako schüttelte sich das Laub aus den Haaren und klopfte ihre schwarze Hose ab. Diese war an einem Hosenbein eingerissen, genau so wie das rote Shirt, dass Jin ihr geliehen hatte. "Oh Mist...", murmelte die Japanerin. "Tut mir leid, dass i..." Weiter kam sie nicht, denn Jin kam auf das Mädchen zugestürmt und umarmte sie fest. Dann betrachtete sie ihre Freundin eindringlich, um festzustellen, dass an ihr noch alles dran war. "Gut, du bist nicht verletzt!", seufzte sie erfreut. Miyako drückte ihre Freundin und strich ihr über den Rücken. "Was ist passiert?", fragte sie nach einer Weile, als Beide die Umarmung wieder gelöst hatten. "Das frag nicht mich, ich weiß es auch nicht.", murmelte Jin. Miyako hob ihre Tasche auf und suchte mit dem Licht ihrer Lampe den Inhalt dieser, der sich auf dem bemoosten Boden weit verstreut hatte. Nach ein paar Minuten Suche fand sie fast alles, sogar Jin konnte ein paar ihrer Sachen finden, ihre Tasche jedoch blieb verschwunden. Plötzlich durchfuhr es die junge Japanerin wie ein elektrischer Schlag. "Die Kamera!!! Jin, ich weiß, was passiert ist!" Sie bückte sich um ihre Kamera aufzuheben. Jin trat dicht an sie heran. "Ich glaube, das kannst du mir später erzählen, denn wir haben Besuch." Damit deutete sie auf den Weg zurück, den sie gekommen war. Dort stand eine alte Bekannte: Die zerdrückte Frau, die ihren abgebrochenen Kopf in ihre Richtung schwenkte und leise vor sich hinwimmerte. "Sie will, dass wir ihr folgen", stellte Miyako fest. "Dann los, denn immerhin ist SIE schuld daran, dass wir hier sind!" Jin schnaufte durch ihre Nase und stapfte dann über den bewachsenen Boden des dunklen Waldes. Zögernd folgte ihr die Andere und beide Mädchen schlichen - mal wieder - der zerdrückten Frau nach, die ab und an stehen blieb und sich nach ihnen umzudrehen schien. Der Weg war schmal und ziemlich verwachsen, so als wäre schon lange nicht mehr benutzt worden, doch mit Hilfe des Geistes ging es ganz gut voran. "Ich finde es immer noch sehr seltsam, dass sie uns hier her bringt, meinst du nicht auch?" Miyako, die voranging, da sie das Licht hatte, nickte nur stumm. In der anderen Hand hielt sie die Kamera, so fest, dass sie diese zerdrücken hätte können, wäre das Gehäuse nicht so stabil gewesen. Endlich teilte sich der Wald und eine Lichtung wurde sichtbar, ein kleiner Hügel und mehrere große Felsen tauchten auf. Beide Mädchen wanderten an ihnen vorbei. Jin kamen sie vor wie uralte Monster, die nur schliefen und jeder Zeit wieder erwachen konnten. "Sieh mal...", meinte Miyako nach einer halben Ewigkeit. Vor ihnen erstreckte sich ein großer Platz: Ein vollkommen zerstörtes Dorf. Ein großes Dorf mit vielen Häusern, doch man konnte schon aus dieser Entfernung sehen, wie verfallen und alt die Gebäude waren. Ein Schauer lief über Jins's Rücken. "Woher wissen wir eigentlich, dass uns das Ding da nicht in die Falle lockt?", wollte sie wissen. "Wir sind jetzt irgendwo im Nirgendwo und haben keine Ahnung, wie wir wieder zurück kommen sollen... Alles was wir zu unserer Verteidigung, haben sind unsere Kräfte und diese Kamera...", stellte die Chinesin fest. Sie mochte auch diese komischen diese Steine nicht. Im ungewöhnlich unheimlichen Licht des Mondes wirkten sie bedrohlich... Als wenn sie jeden Moment erwachen und sie anspringen würden. Einen Moment lang schloss sie die Augen. Als sie sie wieder öffnete, fühlte sie sich bedeutend ruhiger. "... Vielleicht hat sie dort gelebt... Oder sie lockt uns zu Anderen, die mächtiger sind...", begann sie von Neuem. "Ich glaube auch, dass sie hier gelebt hat. Und vielleicht möchte sie endlich in Frieden ruhen können, und wir sollen helfen, dass dies geschieht." Miyako leuchtete mit ihrer Taschenlampe umher, als die Beiden dem Dorf näher kamen und nun auf einem kleinen gepflasterten Weg ihre Reise ins Nirgendwo fortsetzten. Die Frau verschwand abermals, als die Mädchen eine Gasse zwischen zwei verfallenen Häusern betraten. "Oh nicht schon wieder..." Jin zuckte mit der Augenbraue. "Hmmm... beim letzten Mal hab ich die Kamera gefunden...vielleicht..." Mi ging ein paar beherzte Schritte weiter und leuchtete zum Boden. Tatsache! Da lag wirklich Etwas! Die Japanerin bückte sich, um es aufzuheben. "Was is das denn für ein Schrott?", fragte Jin, die ihr über die Schulter sah. Ein kalter Schauer lief ihr plötzlich über den Rücken und sie fühlte, wie ihre Nackenhaare sich aufstellten. Beunruhigt wirbelte sie herum. "Mi!", rief sie aus und deutete mit ihrem Finger auf eine weiße, durchsichtige Frau. Sie war nicht weit von den beiden Mädchen entfernt und sah aus, als würde sie sich gleich auf eine der alten Steinbänke niederlassen. Es schien fast so, als würde sie sich ausruhen. Dabei drehte sie den Kopf in die Richtung der Beiden und starrte sie an. Instinktiv hob Miyako die Kamera an und visierte mit der Linse auf die helle Gestalt in ihrer Nähe. "Zuff!", dann das Geräusch des Wiederaufladens. "Ich glaube ich spinne, ich sag dir da ist ein Geist und du? Du fotografierst ihn!" Jin schüttelte wild ihren Kopf. Miyako grinste. "Naja, ich hatte halt das Gefühl, sie wollte das. Aber keine Sorge, Jin. Ich weiß was ich tue. Und jetzt lass mich diesen ,Schrott' anschauen." Einen Augenblick später gefror der jungen Japanerin das Grinsen im Gesicht. "Ich glaube mich tritt ein Pferd... Das ...das..." Sie wedelte mit dem vergammelten Notizbuch umher. Jin verschränkte die Arme. Sie war gefasst, obwohl diese ganze Umgebung einen anderen Menschen zum Schreien gebracht hätte. Und das wunderte sie nicht... "Was ist das?", wollte die Chinesin wissen. "Ein Buch von Dr. Aso. Er schreibt von den Geistern hier, und dass man sie mit der Kamera einfangen kann... und er hat noch einen Zettel beigelegt, wie dieses Gerät genau funktioniert...komisch. Warum liegt das hier?" Miyako faltete den Zettel auseinander, den sie für die Erklärung der Kamerasteuerung hielt. Jin nahm das Buch an sich und blätterte darin. "Du weißt warum es hier liegt, hab ich recht? Vorhin, als du die Kamera gefunden hast, da wirktest du so... verstört, als hättest du sehen können, was dem Träger zuletzt passiert ist. Also... was ist los?" Jin schlug das Büchlein zu. Miyako seufzte: "Aso floh vor irgendwas, und ließ die Kamera im Wald zurück. Etwas, das ich nicht sehen konnte, hat ihn dahin gerafft. Ich glaube, er kam aus dem Spiegel, in den wir gezogen worden sind." Die Japanerin runzelte die Stirn. "Ich vermute es jedenfalls..." Gerade als sie sich umdrehte, weiteten sich ihre Augen erneut. Dort stand ein weiterer Geist. An einer Hauswand, und es schien, als würde er etwas suchen... er beugte sich nach vorn und zurück und betrachtete die verfallenen Gemäuer. Jin bemerkte, dass die Aufmerksamkeit ihrer Freundin von Etwas beansprucht wurde und folgte ihrem Blick. "Mann! Wie viele tauchen denn noch auf?", grummelte sie. Plötzlich kam ihr ein Gedanke. "Könnte das... dieser Dr. Aso sein?", überlegte sie halblaut, jedoch laut genug, dass es ihre Freundin wahrnehmen konnte. Diese reagierte geistesgegenwärtig und hob die Kamera erneut. Ein kurzer Lichtblitz später verschwand die Person. "Schon möglich...", meinte sie zögernd. Jin seufzte. "Wir sollten einen Unterschlupf suchen. Wer weiß wie das Wetter in den nächsten Minuten wird? Ein Dach über dem Kopf reicht schon, aber vielleicht können wir noch ein halbwegs erhaltenes Haus finden... Dort könnten wir dann in Ruhe dieses Büchlein lesen und vielleicht erfahren wir dann auch was hier eigentlich abgeht." Gemeinsam machten sie sich auf den Weg und fanden nach einiger Zeit eine kleine Hütte am Dorfrand, die aus Holz gebaut war und kaum beschädigt wirkte. Jin schaffte es, die klemmende Tür aufzubekommen und so fanden sie sich schließlich drinnen. "Ich weiß nicht..." Miyako rieb sich ihre klammen Hände. "Hier riecht es so komisch." Als die Japanerin die Schwelle emporstieg und die Inneneinrichtung des kleinen Häuschens betrachtete, fiel ihr nichts Besonderes auf. Doch sie fühlte enorm viel Energie in diesem Häuschen, generell war ihr schon die ganze Zeit alles Mögliche durch den Kopf gegangen - im wahrsten Sinne. Ich hoffe nur, wir kommen hier raus. Ich wünsche mir nichts mehr, als ein warmes Bett und meine nervige Tante. Wie es denen wohl geht? Das Mädchen saß auf einem Schemel, den sie zuvor entstaubt hatte und leuchtete mit dem Licht ihrer Lampe auf Jin, die gerade versuchte, etwas Brennbares aufzutreiben. "Wie wollen wir das denn anzünden?", fragte Miyako in den Lichtkegel hinein, dort wo ihre Freundin herumschwirrte und Holz und anderes Material zusammentrug. Jin sah sie kurz an, schüttelte dann ihren Kopf und machte dann weiter. "Was glaubst du eigentlich wie Leute früher Feuer gemacht haben? Du weißt schon, vor der Zeit des Feuerzeugs oder von Benzin?", meinte sie und begann die Kommoden zu durchsuchen. Ihre Bewegungen stoppten kurz, dann legte sie den Kopf verwirrt zur Seite. "Was ist das denn?" Sie hob einen kleinen Behälter und eine Rolle Film hoch und brachte beides zu Miyako. "Sieh mal." "Was ist damit?" Miyako nahm beides in ihre Hände und betrachtete es prüfend. "Moment, das haben wir gleich.", murmelte sie dann und schloss die Augen um sich zu konzentrieren. "Dr. Aso at sie hier zurück gelassen, er hat hier auch genächtigt", meinte sie nach kurzer Zeit. Jin fand nun endlich einen Feuerstein und entfachte das Material, dass sie in die kleine Feuerstelle gelegt hatte. Nach ein paar Versuchen klappte das auch und schon bald knisterte das Feuer und tauchte den Raum in ein wenig Behaglichkeit. Dann setzte sich die Chinesin neben Miyako und begann, im Buch zu blättern. "Was meinst du, schreibt er so?" Sie hielt das Buch in das Licht des Lagerfeuers. "Hm...", machte Miyako nur und verstaute derweil ihren Film und das kleine Döschen in ihrer schwarzen Umhängetasche. "Wir werden es schon noch herausfinden. Ich hoffe nur, wir können heute Nacht ruhig schlafen." Sie fröstelte etwas und zog an den Ärmeln des Shirts, um sich zu wärmen. "Zieh doch die Jacke an.", meinte Jin, als sie erkannte, dass der Anderen kalt war und packte inzwischen den Feuerstein ein. Vielleicht würden sie ihn noch öfter brauchen... "Du könntest doch einen Bannkreis ziehen, oder funktioniert das nicht so einfach?", erkundigte sie sich, nicht wirklich ernsthaft, während sie das Buch zur Seite legte. Bei dem derzeitigen Lichtverhältnissen war der Versuch, etwas so zerschlissenes zu Entziffern, schmerzhaft für ihre Augen. Außerdem wollte sie die Batterie der Taschenlampe schonen, sie konnten immerhin nicht wissen, wie lange sie hier bleiben mussten. Miyako kniete auf dem Boden, der mit ein paar alten Tatami-Matten ausgelegt war. Sie waren schon vergammelt, und das Stroh, das herausschaute war nicht mehr zu verwerten, doch es war halbwegs gemütlich auf ihnen. "Gibst du mir mal meine Tasche?", fragte sie ihre Freundin und schlüpfte kurz in die Jacke, doch angesichts des Feuers, dem sie jetzt näher war, wurde ihr bald zu warm. Jin überreichte ihr die Tasche und erhielt als "Dank" die Jacke wieder, die sie kopfschüttelnd entgegen nahm. Dann zog sie einen Stift aus der Tasche und ging mit einem Blatt Papier bewaffnet an die Haustüre. Sie schrieb ein paar Zeichen auf das Stück Zettel und legte es mit einem konzentrierten Blick auf die Holztüre. Dort blieb der Zettel plötzlich hängen, als wäre er festgeklebt. "So, jetzt ist mir wohler", meinte die Japanerin und schnappte sich ihre Jacke, knautschte sie zusammen und legte sie sich unter ihren Nacken. "Wir müssen warten, bis es wieder heller wird, vielleicht gibt's hier nen Ausgang aus diesem Gruseldorf." Sie schielte noch eine Weile ins Feuer, während Jin sich ebenfalls aus ihrer Lederjacke ein Kissen formte. "Dann schlafen wir jetzt, wir versuchen es zumindest.", sagte Jin in den großen Raum und fügte noch an: "Hoffentlich hilft dieser Spruch an der Tür auch...sonst weiß ich nicht, für was ich garantieren kann." Mit diesen Worten drehte sie sich zur Seite und schloss ihre Augen. Noch ein paar mal wachte die Chinesin kurz auf, sah sich dann meistens verwirrt um und warf einen Blick auf die neben ihr liegende Miyako. Das Feuer, das beinahe auszugehen drohte, entfachte sie von Neuem und legte sich danach wieder auf die Tatami-Matten vor der Feuerstelle. =*= Ein warmer, aber unbarmherzig heller Sonnenstrahl weckte Jin am nächsten Morgen. Durch den löchrigen Vorhang fiel das Licht genau auf ihr linkes Auge. Ein Brummen unterdrückend, setzte sie sich auf und begann sich zu orientieren. Das Feuer war seit ihrem letzten Erwachen ausgegangen, doch das war jetzt nicht weiter schlimm, da es angenehm warm war... Ich frage mich, was für eine Jahreszeit hier gerade ist., dachte sie, während sie sich streckte und Hose sowie Jacke abklopfte, bevor sie sich zu Miyako hinunter beugte. "Aufstehen, Mi! Es ist schon ganz hell draußen..." Die Japanerin reagierte nicht sofort, doch dann streckte sie sich träge auf ihren Tatami-Matten aus und gähnte hinter vorgehaltener Hand. "Es ist schon wieder Tag?", blinzelte sie die Chinesin an und rollte sich noch mal auf die Seite. "Jaa, es ist schon wieder Tag. Sei froh, denn am Tag sehen wir wenigstens mehr!" Jin stand auf und richtete ihre Garderobe, ehe sie Miyako hochzog und ihr half, sich fertig zu machen, um dieses Haus zu verlassen "Na schön...dann auf in die Schlacht!" Miyako trat als Erste über die Schwelle des Hauses - prallte aber im selben Moment wieder zurück, direkt in Jins Oberkörper. "Was ist denn jetzt schon wieder?" Jin schob ihre Freundin voraus, doch diese rührte sich keinen Zentimeter mehr. Stattdessen schlug sie die Tür vor sich wieder zu und drehte sich abrupt um. "Da draußen steht jemand.", verkündete sie erschrockener, als sie es vermutet hatte. Jin, die ihrer Freundin zwar viel glaubte, aber nicht alles, schob sie zur Seite um selber nach dem "Jemand" da draußen zu sehen. Draußen war tatsächlich "Jemand"... Eine seltsam anmutende Gestalt die sich schleierhaft bewegte und hin und her waberte, als sei sie ein großer schwarzer Wackelpudding. Jin schloss ganz ruhig die Tür und ging nach hinten zu Miyako, die in einer Ecke kauerte. "O..okay...also Geister waren ja schon schlimm, aber damit käme ich wenigstens zurecht...DAS DA draußen ist KEIN Geist...!" So ironisch es klang, Jin begann zu kichern. "Das ist natürlich kein Geist. Das ist..." Sie brach mitten im Satz ab. "Haben wir eigentlich mein Buch irgendwo finden können?" Sie kramte in Mi's Tasche. "AH!", mit einem triumphierenden Schrei, zog sie das ledereingebundene Band hervor und legte es auf ihren Schoß. Dort schlug sie es vorsichtig auf und begann darin zu blättern. Anfangs sah es so aus, als wären es nur leere Seiten, doch beim näheren Betrachten formten sich langsam Schriftzeichen und Bilder. Schließlich kam sie auf eine völlig leere Seite und legte ihre Hand darauf, die Finger so weit wie möglich auseinandergespreizt. "Shen...", glitt auf eine merkwürdige Art und Weise von ihren Lippen, bevor eine sternenförmige Schrift erschien und schließlich auch ein Bild, das ziemlich identisch mit dem Ding war, das vor der Tür gestanden hatte. "Also das Ding heißt... Zadru... Verdammt, ich sollte wirklich wieder mehr chinesische Sachen lesen..." Sie verengte ihre grünen Augen kurz, schob ihre Brille mit einem Finger zurück auf die Nase. "Er ist auf der Suche nach Seelen die nicht in die Totenwelt gehen - also Geister... Allerdings macht er das nur tagsüber... Er mag Sonnelicht und hasst die Dunkelheit... Lebenden ist er eigentlich keine Gefahr, na ja zumindest wenn diese nicht vor seiner Nase herumtanzen. Die Seelen von Lebenden mag er auch..." Sie sah kurz hoch zu ihrer Freundin. "Das Ding wird wohl nicht unterscheiden können, ob wir tot oder lebendig sind.", setzte sie als Interpretation des Textes hinzu. "Was man vermeiden sollte um ihn zu reizen steht hier aber nicht...", las sie langsam vor. Sie hatte das Buch schon länger nicht mehr gebraucht und da sie nicht mehr in China lebte bekam sie nur selten Lektüre in ihrer Muttersprache... "Dann schau ich mal schnell nach, ob dieses Zadru noch draußen steht und wir verschwinden, so schnell es geht, von hier!" Miyako machte ein ziemlich ernstes Gesicht und erhob sich von den Tatami-Matten. Sie öffnete die Tür einen Spalt weit, fast zu weit. Das Ding war immer noch da, jetzt viel näher als vorhin. Gefährlich näher. Jin schluckte bei dem Gedanken, ob sie es schaffen würden, in einen Schatten zu springen und dem Biest zu entkommen. "Komm schnell wieder her. Und dreh dich nicht um!" Die Chinesin streckte die Hand nach ihrer Freundin aus. Miyako's Nackenhaare stellten sich auf. Es war das Gefühl, dass jeder hat, wenn er WEISS, dass irgendetwas ihn beobachtet, durchdringt mit Blicken - bis aufs Mark. Mit Gänsehaut überzogen schlich die Japanerin zu ihrer Freundin. Das Gefühl wurde dennoch nicht weniger... Sie schauderte. Und wagte nicht, sich umzudrehen. Deshalb sah sie auch nicht, dass der Schatten langsam noch näher kam, bedrohlich näher. Jin standen langsam kleine Schweißperlen auf der Stirn. "Noch ein bisschen... komm, beeil dich!", flüsterte sie eindringlich. Endlich war Mi in Reichweite und Jin schloss rasch ihre Hand um das Handgelenk der Anderen, um sie zu sich zu ziehen. "Und jetzt komm schnell mit!", flüsterte sie. Sie hatte die Hintertür des Hauses entdeckt, die in eine andere Richtung ging. Sie leitete ihre Freundin nun schnellstmöglich durch das alte Haus, um es dann zu verlassen. Jin begann zu laufen, passte sich jedoch an das Tempo der anderen an, während sie ab und zu einen Blick über die Schulter warf. Noch war der Zadru nicht auf der Hauptstraße und konnte sie daher nicht sehen, doch er würde jeden Augenblick um die Ecke kriechen. Ruckartig zog sie Miyako hinter eine halbwegs stehende Hausmauer, so dass das Monster sie nicht sehen konnte. Sie hielt ihrer Freundin den Mund zu und legte einen Finger auf ihre eigenen Lippen um ihr zu signalisieren, dass sie still sein sollte. Vorsichtig begann sie dann, von der Hauptstrasse wegzukrabbeln und weiterhin nach einem halbwegs abgedunkelten Ort zu suchen. Hin und wieder blickte sie hinter sich um sicher zu gehen, dass ihr die zukünftige Shinto-Priesterin folgte. Gerade als sie um eine Hausecke lugen wollte, hörte sie ein Geräusch, dass sie kurz erstarren ließ, doch dann überwiegte ihre Neugier. "Mi!", zischte sie dann und winkte sie zu sich. "Ein Geist...", erklärte sie und deutete um die Ecke. "Langsam habe ich das Gefühl, wir sind in einer Geisterbahn gelandet", stöhnte diese. Dann rollte sie sich herum und lehnte gegen die bröckelige Mauer, unbeeindruckt von dem Schauspiel, dass hinter ihr stattfand. Seelenfresser da, Geist dort, langsam fühl ICH mich wie ein Magnet für obskure Sachen. Ob das an dieser Kamera liegt? Sie betrachtete das glänzende Objekt. Zwar war es heller, jetzt da es Tag war, doch der Nebel war immer noch eine dicke, trübe Suppe, durch die man kaum 10 Meter weit sehen konnte. Sie holte das kleine Büchlein, dass sie gefunden hatten, hervor und blätterte etwas darin. "15. September 1965. Mir scheint es, als wären hier nicht nur Geister. Es sieht so aus, als wären auch Projektionen früherer Leben hier. Es ist unersichtlich warum, doch ich vermute, man will mich aufmerksam machen auf die Geschichte dieses Ortes. Die Kamera scheint alles um mich herum magisch anzuziehen. Dieses Teufelszeug - hätte ich doch niemals angefangen, daran zu arbeiten. Wer weiß, welchen Schaden diese Kamera für mich noch bedeuten wird. Wir..." Miyako las noch einmal über die Stelle. Wir? Ist noch jemand bei ihm gewesen? Gerade als sie weiter lesen wollte, riss Jin sie mit sich, beinahe wäre ihr das Buch aus der Hand gefallen. Da sie weiterhin Gesten machte, die Miyako als "Sei bloß leise!" deutete, konnte sie nicht fragen, doch mit einem Blick über die Schulter stellte sie fest, warum sie diesen Ort abermals verlassen mussten: Das ekelige Wabbelding kam auf sie zu, nicht so langsam wie vorhin, und genau das war es, was Jin beunruhigte. Es schien ihre Witterung aufgenommen zu haben. Tausende chinesische Schimpfwörter gingen Jin in dem Moment durch den Kopf, als sie ihre Freundin hinter sich herzog. Der Geist war mittlerweile schon wieder verschwunden, doch das bedeutete ihr derzeit nicht wirklich etwas. Jin wirbelte herum und steuerte in eine andere Richtung, ohne es zu wissen, lief sie direkt Richtung Dorfmitte. Dann hielt sie so plötzlich im Laufen inne, dass Miyako, die sich gerade umdrehte, sie fast umgerannt hätte. Es presste ihr den Atem aus der Lunge, so heftig prallte die kleine Japanerin gegen ihren Rücken. Sie unterdrückte ein schmerzvolles Keuchen und riss im selben Augenblick ihre Augen wieder auf. Hektisch suchte sie die Umgebung vor ihnen ab, ihre Schultern spannten sich. "Wie zur Hölle..?", fluchte sie, denn genau vor ihnen glitt gerade noch ein schwarz-violetter Zadru hinter eine Mauer hervor und schien sie genau in dem Augenblick zu bemerken. Ein rascher Blick nach hinten bestätigte ihre Vermutung - es gab zwei von der Sorte! "Wir müssen uns aufteilen! Lauf du nach rechts! Ich versuche mein Glück links! Suche nach etwas Dunklem... Vergiss nicht! Sie mögen Licht, keine Dunkelheit! Und jetzt nimm die Beine in die Hand!", zischte sie in Miyako's Ohr und verpasste ihr einen sanften Schubs in die besagte Richtung, bevor sie selbst zu laufen begann. Die Dinger waren vermutlich aufgrund ihrer Körperbeschaffenheit nicht sonderlich schnell, aber ehrlich gesagt wollte sie das lieber nicht auf die Probe stellen. Schon wenige Momente später hörte sie hinter sich ein rasches, schmatzendes Geräusch. Offensichtlich verfolgte sie zumindest eines dieser merkwürdigen Kreaturen. Miyako rannte in die Richtung, in die sie geschubst wurde. Der Nebel behinderte ihre Sicht etwas, doch es war immerhin möglich einen Weg zu erkennen. Diesen nahm sie jetzt, sie rannte über einen alten, mit hellen Steinen gepflasterten Weg, so schnell sie ihre Füße tragen konnten. Da Miyako keine große Sportlerin war, befürchtete sie, ihr würde bald die Puste ausgehen, aber noch konnte sie laufen. Als sie kurz stehen blieb und sich umdrehte wand sich in etwa 5 Metern Entfernung ein Zadru. "Verdammter Mist, warum ich!?", schimpfte sie mit der Kreatur und lief weiter. Oh Jin, hoffentlich ist dir nicht schon was passiert..! Das schmatzende Geräusch wurde lauter. Miyako schluckte ihre Angst herunter und lief, was das Zeug hielt. Zadru ließ nicht locker, so lange nicht bis es plötzlich einen Schlag tat und zwischen Miyako und dem anderen Zadru eine fadenscheinige Gestalt auftauchte. Ein Geist?! Die Japanerin keuchte erstaunt. Dann fühlte sie wieder ein Drängen, dass von dieser Kamera ausging und machte abermals ein Foto von dem Geist, der sich - zugegeben, todesmutig war das falsche Wort - dem Seelenfresser entgegenstellte. Ein Foto fiel zu Boden und Mi bückte sich. "Mann, der gefressen wird" las sie auf dem Foto. Es zeigte, wie der Zadru den armen Geist verschlang. Als sie sich hektisch wieder aufrichtete, war es, als wäre das alles nie geschehen. Miyako stand ganz alleine auf dem bepflasterten Weg mitten im Nebel... Trotz des Nebels glitten immer wieder kleine Wölkchen Atems durch die Luft, während das reguläre Geräusch von schnellen Schritten auf dem steinernen Boden von den Überresten der Häuser zurückgeworfen wurde und einen unheimlichen Wiederhall erzeugte. Rasch lief Jin um eine Ecke und kam zu einem abrupten Halt. Vor ihr tat sich plötzlich eine Wand aus Geröll auf - Überreste eines zerfallenen Hauses. Sie wollte gerade herumwirbeln und in die andere Richtung laufen, als der Zadru um die Ecke kroch. "Scheiße!", fluchte sie und tat ein paar Schritte zurück um Anlauf zu nehmen bevor sie gerade noch rechtzeitig absprang und es schaffte auf einem Vorsprung zu laden. Gerade als sie erleichternd lächelte, begann der Boden unter ihren Füßen zu rutschen. Gerade noch rechtzeitig konnte die Chinesin abspringen, jedoch nicht so koordiniert wie sie das gewollt hätte. Sie landete nicht gut auf ihren Füßen und spürte kurz einen Schmerz durch ihr linkes Bein zucken, während ihr Herz ihr bis zum Hals klopfte. Mit ein paar weiteren raschen Schritten schaffte sie es die Spitze zu erklimmen, doch bei einem panischen Blick hinter sich verlor sie das Gleichgewicht und rutschte auf der anderen Seite hinunter. Doch das rettete sie vor dem Seelenjäger, der kaum, dass sie den Boden erreicht hatte, über die Spitze lugte. Ihr Haargummi war gerissen und ihr nun offenes schwarzes Haar nahm ihr kurz die Sicht. Fluchend rappelte sie sich auf und stolperte weiter. Sie musste einen dunklen Ort finden! Blut rauschte in ihren Ohren als sie eine hervorstehende Fliese am Boden übersah und mit einem überraschten Aufschrei der Länge nach hinfiel. "Au...", murrte sie, während sie sich wieder aufrichtete und Luft in ihre Lungen sog. Sie erstarrte einen Moment lang als sie das schleimige Geräusch erneut hinter sich hörte. Erschrocken drehte sie sich auf den Rücken und begann auf Händen und Füßen rückwärts zu krabbeln. Weg, nur weg von diesem Ding! Der Zadru richtete sich auf und entblößte eine Art Maul, in dem mehrere Reihen Zähne eingebettet waren. Jin kniff die Augen zusammen, als könnte sie so dieses wiederliche Wesen aus ihren Gedanken verbannen. Gerade, als das violett-schwarze Monster nach Jins Knöchel schnappen wollte, fühlte die Chinesin hinter sich einen Luftzug und hörte kurz darauf einen dumpfen Knall. "Mi!!!" Sie riss die Augen auf und schrie gleich darauf entsetzt, denn selbst wenn Miyako dieses Pudding-Monster mit einem schweren Stein niedergeschlagen hatte, es war zäher als gedacht und schoss erneut nach vorne, wieder die Knöchel der Chinesin im Visier. Miyako zog Jin mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte, hoch und stemmte sich gegen sie, um sie zu stützen. Jin stöhnte, ihr Bein war mittlerweile angeschwollen und schmerzte. "Weg hier... schnell!", keuchte sie und humpelte, von ihrer Freundin gestützt, so schnell es ging weiter den Weg entlang. Das Zadru-Monster hinterließ eine schleimige Spur auf dem gekachelten Boden und kroch erneut den Mädchen nach. Miyako drehte sich um. "Es... Jin!! Es ist hinter uns!", kreischte sie panisch. Jin stieß sich bei ihrer Freundin ab. Dann drehte sie sich um und hinkte dem Wesen entgegen. "So, JETZT hab ich aber GENUG!!!", brüllte sie und ihre grünen Augen glühten vor Wut. Jin wusste nicht, wie ihr geschah. Die Angst, sie verspürt hatte, seit dieses Ding erschienen war. Die Hilflosigkeit, die sie verspürte über die Tatsache, dass sie absolut keine Ahnung hatte, wie sie den Zadru besiegen konnte. All diese Gefühle ballten sich nun zusammen in ein weitaus stärkeres, aber für sie beruhigenderes: grenzenlose Wut. So schnell war das noch nie gegangen. Doch, so erinnerte sich die Chinesin, wenn ein Mensch große Angst verspürt, ist er manchmal zu Unglaublichem fähig. Jin war ruhig... völlig ruhig. Ihre Augen glühten immer noch, sie durchbohrten das Monster mit Blicken, als wollten sie es aufspießen. Was die junge Frau jedoch nicht merkte, war, dass es auch um sie herum plötzlich völlig ruhig wurde. Kein Lüftchen wehte, kein Vogel zwitscherte und auch sonst war absolut nichts zu hören. Als würde die Welt den Atem anhalten. Dann legte die Chinesin den Kopf schief. Ein dämonisch teuflisches Lächeln huschte über ihre blassen Lippen und dann begannen ihre schwarzen langen Haare, sich plötzlich selbstständig zu machen. Sie schwebten und wiegten sich hin und her, als wären sie ein eigenes Lebewesen. Sekundenbruchteile später formten sich die Schatten von Jin und Miyako zu tödlichen Geschossen, Speeren gleich und rasten auf den Zadru zu, der ebenfalls erstarrt war. Ein herzloser Schrei hallte durch die Luft gefolgt von einem scharfen Geräusch und einem plötzlichen Lichtblitz. Nach einem kurzen Moment der Stille kamen die normalen Geräusche wieder, die durch die vorhergegangene Ruhe beinahe betäubend laut wirkten. Dort, wo zuvor der Zadru gewesen war, konnte man jetzt nur noch eine merkwürdig schleimige Pfütze sehen, die langsam in den Boden einsickerte und von einer kleinen blau-violetten Flamme replatziert wurde. Jin's grüne Augen weiteten sich noch mehr, als diese schwebende Flamme plötzlich auf sie zuschoss, dann verschwamm die Umgebung vor ihren Augen... "Jin?" Miyako rieb sich ungläubig die Augen, nachdem sie dieses Schauspiel mitangesehen hatte. "Jin??!" Ihre Freundin begann, sich vor ihren Augen aufzulösen. Langsam wurde ihre Silhouette immer schwächer, bis sie ganz verschwand. Alles ging so schnell... viel zu schnell. Miyako saß auf dem dreckigen, mit Steinen gepflasterten Weg, neben ihr noch ein Überbleibsel des Kampfes, eine schleimige Pfütze. Und sie verbarg ihr Gesicht in ihren Händen... und weinte. Ich bin alleine... ganz alleine hier! Oh, Jin! Kin! Tante Michiko! Was soll ich nur tun? Nach einer Weile erhob sich die Japanerin tapfer und fand in einiger Entfernung den zerrissenen Haargummi ihrer Freundin. Sie bückte sich danach und steckte ihn ein... Chapter 2 || Jin's story ~trouble's just starting~ (2 von 2) ------------------------------------------------------------ "Uhh...." Oh Gott... Ich fühle mich, als hätte mich ein Lastwagen überfahren. Hm? Wo bin ich denn jetzt gelandet? Ein Tatamiboden, Wände aus Reispapier, ein Kleiderschrank oder so, ein Schminktisch, darüber ein großer Spiegel und ein weiches, großes Bett, in dem ich liege... Hat es Mi irgendwie geschafft uns in die Gegenwart und zu sich zu bringen? Vielleicht hat Kin ihr ja geholfen... Ich rutsche jetzt einfach mal aus dem Bett und sehe zu, dass ich wieder halbwegs menschlich aussehe! Ich stolpere etwas benommen zum Spiegel der über dem Schminktisch angebracht ist. Nach all dem, was wir erlebt haben, muss ich sicher furchtbar aussehen! Und mein Bein tut immer noch weh. Schmerzhaft! Dämlicher Zadru... wenn ich den erwische! Naja... erst mal frisch machen und dann suche ich Miyako und frage, was denn in der Zwischenzeit passiert ist. Als ich mich etwas schwerfällig auf den Stuhl setze, der eher einem Schemel ähnelt und mit einem feinen, bestickten Satinstoff bezogen ist, blicke ich zum ersten Mal seit wir losgezogen sind in den Spiegel. ... Und sehe jemanden vor mir im Spiegel, der mir ÜBERHAUPT NICHT ähnelt... fast wäre ich von dem schönen Schemel gefallen, doch ich reiße mich zusammen. Mir schaut ein blasses, aber ebenmäßiges ovales Gesicht entgegen, dessen Lippen aufgesprungen und blass sind, mit Ringen unter den braunen Augen. Ja - braun! Ich reiße meine Augen auf - das Mädchen im Spiegel macht das selbe, mit ihren dunklen, braunen Augen. Ist das jetzt ein Scherz? Hat Mi mir dunkle Kontaktlinsen eingelegt, während ich geschlafen habe? Soll ich lachen? Ich kratze mich unsicher am Kopf und stelle fest, dass meine Haare in dieser kurzen Zeit enorm gewachsen sind, sie reichen mir offen bis über die Hüften hinaus. Wieder starre ich erstaunt in die reflektierende Scheibe. "Ha... Ha... Ha...!" Ich versuche einen kühlen Kopf zu behalten und stehe wieder auf. Natürlich nachdem ich mich frisch gemacht habe, etwas eitel bin ich ja doch. Es bringt wohl nichts, jetzt hier stundenlang zu sitzen und wie ein Pantomime meine Lippen zu schürzen und meine Augen aufzureißen um zu sehen wie dieses fremde Mädchen das selbe macht, also gehe ich zu der Schiebetür, die aus dem großen Zimmer führt und schiebe sie mit etwas Kraftaufwand auf. "Mi?" Ich schaue mich um. Niemand ist da. Ich wandere weiter bis ich an eine neue, größere Tür komme und schiebe diese ebenfalls auf. Und traue meinen Augen nicht. Vor mir erstreckt sich eine alte japanische Stadt!! Oh ihr Götter, bin ich verrückt geworden?! Oder warte mal, eine Alte gibt es ja noch, aber die... "Schwester!!" Gerade als ich mich in die Richtung des Schreihalses umdrehe, werde ich im wahrsten Sinne des Wortes zu Boden gerannt. Ein kleiner Junge sitzt auf mir und blendet mich förmlich mit seinen niedlichen Mandelaugen und seinem strahlenden Lächeln. Ich keuche nur und schiebe ihn von mir herunter. "Aua! Das war MEIN Magen, den du da grade mit deinem Kopf gerammt hast!", funkle ich den Dreikäsehoch an. Der aber lächelt munter weiter und will mich schon wieder fast umschmeißen, so heftig umarmt er mich. "Ich bin ja soooo froh, dass du endlich aufgewacht bist! Der Doktor meinte schon, es sei ziemlich bedenklich, wenn du nicht bald die Augen aufmachen würdest und dann währe ich ganz alleine gewesen! Ich hab dich schrecklich vermisst, obwohl Ken und Yama sich um mich gekümmert haben! Und ich hab...." Der hört ja gar nicht mehr auf zu reden! Ich lächle einen Moment, dann stoppe ich den Kleinen in seinem Redefluss. "Mal langsam, ich verstehe ja kein Wort!" Ich bin seine Schwester? Und wer sind Ken und Yama? Ich kann zwar japanisch aber irgendwie... "Megumi!" Wieder zucke ich zusammen. Meinen die etwa mich? Ich sehe wie junge Männer auf mich zukommen, im Laufschritt wohlgemerkt. "Makoto! Siehst du nicht, dass es deiner Schwester noch nicht gut geht! Hör auf sie zu löchern und hol lieber etwas Tee, sonst klappt sie uns wieder zusammen!" Der Junge gehorcht aufs Wort und verschwindet mit einem kurzen Verbeugen in Richtung des Hauses, aus dem ich vorhin gekommen bin. Die Beiden betrachten mich eindringlich, ehe sie mir den Staub von dem Kimono, den ich trage, abklopfen und mich in die Arme schließen. "Hey! Du bist ja schon wieder auf den Beinen! Geht es dir schon besser?", fragt mich der größere Junge, der mich ebenfalls so anstrahlt wie der Kleine vorhin. Sie bringen mich allerdings wieder in "mein" Zimmer und stecken mich ins Bett. Ich setze mich auf und verstehe die Welt nicht mehr. "Yamato, komm rein! Du bist doch sonst nicht so schüchtern!" Der größere Junge dreht sich in Richtung des Türrahmens, in dem ein zierlicher junger Mann steht, der ungefähr in meinem Alter sein muss. KIN?!! Ich lächle und will gerade zu einem Laut der Freude ansetzen, als der Größere sich wieder zu mir dreht. "Yamato war vielleicht in Sorge um dich, Megumi! Du hättest ihn sehen sollen, er ist wie ein aufgeschrecktes Huhn herumgerannt, wie eins von denen, die die alte Ebihara in ihrem Stall hat." Er fing an zu lachen bei dem Gedanken. Der junge Mann im Türrahmen bekommt ein rotes Gesicht. "Hör doch auf, Kenji! Das ist überhaupt nicht wahr!" Er stürmt ins Zimmer und funkelt den Größeren an. Ich bin verdutzt. Herzlichen Glückwunsch Jin, du hast eine Freifahrt in die Irrenanstalt gewonnen! Oder eine herzliche Einladung für die "versteckte Kamera"? Ich huste verlegen und schaue verwirrt zwischen den Beiden hin und her. Fassen wir einmal zusammen: Seit ich aufgewacht bin, habe ich braune Augen, keine Kontaktlinsen. Meine Haare sind elendlang und ich trage diesen uralten... Kimono. Ein kleiner Junge nennt mich seine Schwester und die Beiden da denken ich sei eine Person Namens Megumi. Der kleinere heißt Yamato, der größere Junge Kenji... und was hat mich das jetzt weiter gebracht? Nichts, meine Damen und Herren! Ich seufze und lasse mich aufs Bett fallen. "Megumi-chan? Bist du okay?" Beide drängen sich um das Bett und reißen mich aus meinen Gedanken. "Kenji-kun, du weißt doch noch was der Priester gesagt hat oder? Sie hätte sich den Kopf gestoßen und leidet wohl an einer Art Am... Amne... Vergesslichkeit!" Yamato drückt besorgt meine Hand, als er das dem Anderen sagt. ... Das ist gar keine so dumme Idee! Wenn ich sage, dass ich mich an Nichts erinnern kann, finde ich vielleicht eher heraus, was hier eigentlich los ist! "Megumi-chan? Weißt du, wer wir sind?" "Also, um ehrlich zu sein... Nicht wirklich..." Jetzt tauschen die beiden Blicke aus... War das etwa keine gute Idee? Okay, versuchen wir noch zu retten was zu retten ist... "Ich weiß, das ich Megumi bin und dass der Kleine mein Bruder Makoto ist... Ihr seid Kenji und Yamato... meine... Freunde?" Jetzt schauen sich die beiden schon wieder so seltsam an. Bin ich verseucht? Hab ich was Falsches gesagt? In meinem Bauch breitet sich langsam ein unangenehmes Kribbeln aus. "Naja..", meint der Eine. "Das stimmt schon so, aber nicht ganz..." Ich lächle etwas verloren. Dieser Kenji ist ein Hellseher, er weiß alles! Okay, das sollte jetzt sarkastisch klingen. Kann ich das noch mal genauer haben bitte? Ich lege den Kopf schief und warte auf weitere Antworten. "Wir sind zwar schon seit klein auf Freunde aber... Yamato ist dein Verlobter..." "Verlobter?!" Oh. Mein. Gott! Ich bin verlobt? Mit jemanden der aussieht wie Kin?! Also das ist doch wohl jetzt wirklich ein schlechter Scherz! Ich finde das zumindest nicht mehr witzig! "Ja... Unsere Eltern haben das arrangiert, bevor sie... den Unfall hatten... Tut mir leid, dass muss wohl ein ziemlicher Schock für dich sein..." "Schock?" Schock ist gar kein Ausdruck! "Ein bisschen schon." Also wenn ich so darüber nachdenke, habe ich eine düstere Vorahnung. Vielleicht hat es mich noch weiter in die Vergangenheit geschleudert. Vielleicht hat der Zadru etwas damit zu tun? Ja! Richtig, das ist es! Die Seele, die von dem Schleimbolzen übriggeblieben ist... das war die Seele von "Megumi"! Und ich... Bin jetzt... In ihrer Erinnerung? In ihrem Körper?... Naaaa toll! Ich schlage mit der flachen Hand auf die Bettdecke und lasse mich wieder nach hinten fallen. Ken redet währenddessen ununterbrochen weiter. "Ist ja auch verständlich... Weißt du was? Ich hole dir jetzt eine Portion Reis und etwas Wasser und du unterhältst dich inzwischen mit Yamato und wenn du gegessen hast, solltest du dich noch mal hinlegen und versuchen zu schlafen... Immerhin bist du gerade erst aufgewacht, du musst deinen Körper stärken... Und vielleicht kommen die Erinnerungen ja wieder von selbst..." Da geht er hin... Und lässt mich mit meinem Verlobten zurück! Okay, die dürfen auf gar keinen Fall merken, dass ich nicht die bin für die sich mich halten. Das heißt, ich muss mich so verhalten wie es Mädchen in der damaligen Zeit getan haben... Hoffentlich krieg ich das hin! "Was ist heute für ein Tag?", frage ich geistesabwesend. "Hä? Also... heute ist der..." Yamato überlegt kurz. "Heute schreiben wir den 26. März. Warum?" Er schaut mich verwundert an. "Welches Jahr haben wir?" Ich schau ihm etwas müde in die Augen. "4tes Han nach Meiji... wieso fragst du das?" Er rutscht etwas näher und streichelt mir wieder über die Hand. Ich schließe die Augen. Es ist also wahr. Ich bin im März des Jahres 1870... Oh verflucht! Nach einem Moment des Schweigens beginnt Yamato von Neuem das Gespräch. "Erinnerst du dich wirklich an sonst nichts mehr?" "Nein, tut mir..." Plötzlich erscheint ein Bild in meinem Kopf. Ich sehe mich... nein Megumi, die mit den zwei Jungen spielt. Sie hocken am Rande eines kleinen Baches und werfen kleine Steine ins Wasser. Megumi hat ein rotes Windrad in der Hand, es dreht sich sacht unter der leichten Brise. Alle drei basteln an einem kleinen Holzboot. Die kleine Megumi geht zu den Jungs hin und gibt ihnen das Windrad, es dient als Mast für das Boot. In mir wird es warm, als ich diese Erinnerung fühle. "Megumi-chan?" "Huh? Oh, tut mir leid, aber ich glaube, ich habe mich gerade an etwas erinnert..." "Ach ja? Und an was?" In seinen Augen spiegelt sich Hoffnung, Neugier und Vorfreude wieder. "Ich bin mit dir und Kenji an einem Bach gewesen und wir haben ein kleines Boot gebaut... Zum Schluss haben wir mein rotes Windrad genommen und als Mast eingesetzt... Anschließend haben wir es zu Wasser gelassen und sind bis zum Dorfrand mitgelaufen..." "Stimmt, das ist lange her..." Aus seiner Stimme kann ich deutlich die Enttäuschung hören. Er hatte wohl auf etwas anderes gehofft. Tja, tut mir leid, aber mit etwas Anderem kann ich nicht dienen... Eine unangenehme Stille breitet sich aus. Nervös verlagere ich mein Gewicht einige Male, bis ich mich schließlich wieder aufsetze und ihn anstarre. "Sind... Sind wir einander schon lange versprochen?" Er blickt überrascht auf. Offensichtlich habe ich ihn dieses Mal aus seinen Gedanken gerissen. "Ähm... Warte mal... Das sind jetzt... ungefähr eineinhalb Jahre... Unsere Hochzeit sollte eigentlich in drei Wochen sein, aber ich denke das sollten wir wohl besser verschieben bis du dich wieder zur Gänze, oder zumindest zum Großteil, erinnerst..." Ach du liebes bisschen! Ich? Heiraten? Vergiss es! Ich bin noch viel zu jung! "Tut mir leid..." "Ach Megumi-chan! Das ist doch nicht deine Schuld! Du kannst doch nichts dafür. Es war halt ein dummer Unfall! Ich bin froh, dass du noch am Leben bist! Ich hab mir wirklich Sorgen um dich gemacht..." "..." In dem Moment fehlen mir die Worte. So hat das schon lange keiner mehr zu mir gesagt. Ich fühle schon wie mir das Blut in die Wangen schießt. Sicher sehe ich gleich aus wie eine Tomate. "Das ist ja süß! Wirst du etwa rot? Es muss ja eine Ewigkeit her sein, seitdem ich dich das letzte Mal erröten gesehen habe!" Wie fies! Lacht der mich gerade wirklich aus? Ich glaub's einfach nicht! "Tut mir leid... Ich wollte dich wirklich nicht auslachen..." Was ist den jetzt los? Er sieht mich schon wieder so seltsam an. Verlegen sucht er einen anderen Punkt im Raum und fixiert diesen, als er anfängt, zögerlich zu erzählen. "Megumi, es gibt da etwas was du unbedingt wissen musst! Und zwar geht es dabei um..." "Bin zurück! Na? Habt ihr euch gut unterhalten während ich weg war?" Kenji! Ich könnte ihn erwürgen! Gerade wollte Yama mir was wichtiges sagen und du ruinierst alles! "Kenji-kun... Das ist aber schnell gegangen..." "Selbstverständlich! Meine Mutter lässt übrigens ihre besten Wünsche für eine schnelle Genesung ausrichten. Sie war ziemlich erleichtert zu hören, dass es dir schon wieder besser geht. Hier... eine Portion Reis mit Sojasauce... Und hier ist dein Wasser!" "Danke, Kenji..." Ich hoffe, du erstickst eines Tages an einem Reiskorn für dein beschissenes Timing! Während ich die kleine Mahlzeit zu mir nehme erzählen die Beiden von sich und ihren Familien und auch was sie so über mich, meinen Bruder und meine Eltern wissen. Sehr aufschlussreich, löst allerdings keinerlei Erinnerungen aus, so wie sie gehofft hatten. "Du solltest jetzt wirklich versuchen zu schlafen. Es war ja auch schon so ein anstrengender Tag für dich... Wir kommen dich morgen früh wieder besuchen, falls bis dahin etwas ist, ruf einfach nach deinem Bruder. Er hat versprochen in der Nähe zu bleiben wenn wir gehen." Ich nicke, lege mich wieder hin und schließe die Augen. "Schlaf gut, Megumi..." === Der Nebel verdichtete sich. Miyako sah ihre Hand vor Augen nicht mehr und versuchte sich zu orientieren. Ich habe keine Angst, la la laaa.... Alles ist gut, la laaa. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten und ging steif wie ein Stock über den großen gepflasterten Platz. Ich such mir jetzt einen Ort, an dem ich etwas verschnaufen kann und lese mal weiter, was in Dr. Aso's Buch steht. Vielleicht hat er auch verzeichnet, wie man hier wieder rauskommt. Die Japanerin hatte sich mittlerweile einen Zopf gebunden, mit dem Haarband, das ihrer Freundin Jin gehört hatte. Wütend über sich selbst stapfte sie weiter über den großen Platz, der wohl früher so eine Art Dorfzentrum gewesen war. Miyako betrachtete die verfallenen Häuser etwas. "Hier muss es mal wunderschön gewesen sein", murmelte sie. Dann seufzte sie. "Ach Jin..." Mit wem rede ich da eigentlich? Du wirst senil, Miyako.... Das Mädchen schlenderte zu einem der Häuser hinüber. Es war groß und das Dach war typisch japanisch geschwungen, so wie damals die Bögen für alte Herrenhäuser. Sie berührte eine der bröckeligen Wände. Plötzlich fuhr ihr ein ungutes Gefühl unter die Haut. Es kletterte unerträglich langsam ihr Rückrad hinauf und brachte an dessen Ende ihre Nackenhaare zum Stehen. Als sie sich umdrehte stand hinter ihr ein Geist. Ein Mann in einem Hosenanzug, darüber trug er einen Mantel, der mit einem breiten Gürtel zusammengehalten wurde. Seine Haare waren mittellang und leicht gewellt. Sein Gesicht kantig und seine Augenbrauen dicht, sodass man seine schmalen Augen darunter fast nicht erkennen konnte. Miyako stockte der Atem. "D... Doktor Aso?" Sie schluckte hart und versuchte sich zu bewegen, was aber gerade unmöglich schien. Der Mann ging auf sie zu, die Japanerin wich zurück, doch bald war da die bröckelige Wand des Hauses. Ich habe ein Deja-vú. fiel es ihr auf. Mit Sadako war sie in der selben Situation gewesen. Wenn jetzt auch noch das Selbe wie damals eintrat? Miyako kniff die Augen zusammen. Der Mann streckte einen Arm aus und legte dem Mädchen seine blasse, durchsichtige Hand auf die Schulter. In diesem Moment wurde es Mi heiß und kalt, ein eisiger Stich, den sie deutlich in ihrem Herzen spürte, breitete sich in ihrem ganzen Körper aus. Ihr wurde so übel, dass sie sich fast übergeben hätte. Schweißgebadet versuchte sie ihren Puls zu beruhigen, während sie von Erinnerungen gebeutelt wurde, die anscheinend von dem Geist ausgingen. "Hab keine Angst. Ich möchte dir helfen. Nicht alle sind böse. Die Kinder sind schuld daran. Hab keine Angst.", hörte es die junge Frau immer wieder in ihren Ohren hallen. Die Kälte kroch unter ihre feuchte Kleidung und sie sank langsam auf den Lehmboden, während sie ihre grünen Augen nicht von dem Mann abwenden konnte. "Mein Tagebuch...", krächzte es noch in ihrem Kopf, dann war alles vorbei. Miyako krallte sich beinahe in den Lehmboden und suchte zitternd nach der Kamera. Sie sah hindurch. Niemand war da. Nichts. Ihr rannen Tränen über die Wangen, ihr Puls schlug ihr bis zum Hals. Wenn das jedes mal so ist, wenn ich einem Geist begegne, dann werde ich diese Kamera wirklich in den nächsten Fluss schmeißen, dann habe ich meine Ruhe! Innerlich tobte die junge Japanerin. Sie kratzte sich an der Stirn, was sie immer tat, wenn sie ängstlich und nervös war. Bald würde wieder Blut fließen. Die Pickel würden niemals besser werden, wenn sie so weiterkratzte, das wusste sie. "Verflixt!" Sie richtete sich auf und überlegte. "Mein Tagebuch... Was meint..." Sie fiel beinahe über ihre Tasche. Gott sei Dank reagierte sie schnell genug, um sich abzustützen und landete so zwar unsanft, aber wenigstens unverletzt auf dem Lehmboden. Vor ihr lag ein Stein, der dort noch nicht gelegen hatte. Und darunter...da lag ein Büchlein! Miyako staunte nicht schlecht. Sie rollte den Stein weg und zog das Büchlein darunter hervor. Es war wie der Geist es gesagt hatte. "Die Aufzeichnungen des Völkerforschers Fukada Isamu", las Miyako auf dem zerschlissenen Einband. Das Buch schien in einem guten Zustand zu sein, als wäre es nicht mal eine Woche hier gelegen. Miyako blätterte in dem Büchlein. "18.08.1956 == Soeben bin ich angereist. Die Bewohner des Dorfes, in dem ich untergekommen bin, sind seltsam beunruhigt. Sie scheinen sich vor etwas zu fürchten. Vielleicht täusche ich mich aber nur. Zaomura ist ein schönes kleines Dörfchen, in dem immer noch alte Bauten aus der Meiji-Zeit, in der es gegründet wurde, stehen. Meinen Kindern wird das sicher gefallen. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ 20.08.1956 == In diesem Dorf gehen seltsame Dinge vor sich. Seit ich ihnen erzählt habe, dass ich Völkerforscher bin, starren sie mich alle ehrfurchtsvoll an. Sie murmeln manchmal etwas von einem verfluchten Dorf. Als ich allerdings nachfrage, verstummt ihr leises Murmeln sofort und sie gehen ihres Weges. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ 22.08.1956 == Jemand hat mich eingeweiht. Zaomura ist das Nachbardorf des verfluchten Dorfes. Es liegt am anderen Ende des Waldes, so erzählte mir es eine alte Dame. Sie sagte, dass dieses Dorf und alle seine Einwohner in einer Vollmondnacht während einer Zeremonie verschwunden sind. Sie sagt auch, dass dieser Ort seitdem verflucht ist. Niemand wagt sich auch nur in die Nähe dahin, nicht einmal in den schönen Laubwald, der das Dorf zur Hälfte umschließt. Die Frau sagt, in Zaomura nennen es alle "Hinkonmura" - Das Dorf des Elends. Und sie flüstert mir noch zu, dass das Dorfoberhaupt will, dass ich mir das einmal ansehe. Die Leute fürchten, der Fluch würde auch auf ihr Dorf übergreifen. Als ich etwas erwidern will, bringt sie mich mit einer Geste zum Schweigen. Seltsame Leute sind das hier... ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~" "Du lieber Gott!", entfuhr es ihr, als sie immer weiterblätterte und so die Erlebnisse des Folkloristen zu Tage förderte. "29.08.1956 == Heute Nacht werde ich mir den Tempel ansehen. Er ist genau im Zentrum des Dorfes. Es scheint mir auch als wäre dieses Dorf nach einem bestimmten Muster angelegt worden, da sich um den Tempel herum strahlenförmig Wege abzeichnen, die zu kleineren Gebäuden, vielleicht eine Art Schrein, führen sollen. Manche dieser "Schreine" sind vollkommen ausgelöscht, man kann noch den Umriss eines solchen Gebäudes erkennen, Andere sind jedoch noch sehr gut erhalten. Es sieht so aus als würde der Umriss nach hinten spitz zulaufen, wie ein Pfeil. So etwas habe ich noch nie gesehen. Was mir noch auffällt, ist die Tatsache, dass viele Häuser durchlöchert sind. Es scheint mir, als wären im Krieg hier viele Kämpfe ausgetragen worden. Doch warum stehen dann die Häuser noch? Ich muss darüber nachdenken... ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~" Das Zentrum des Dorfes. "Da bin ich ja!", stellte Miyako fest und sah sich um. Er hatte recht, die Wände waren wirklich durchlöchert. Sie drehte sich um und stand direkt vor dem zerfallenen Tempel. "Unglaublich...!", murmelte sie und blätterte das ganze Büchlein von vorn bis hinten durch. Gänsehaut um Gänsehaut breitete sich über ihrem Körper aus, beim Lesen dieser Aufzeichnungen wurde ihr immer unwohler. Das "schwarze Blut", das konnte zweifelsfrei nur ein Zadru gewesen sein. Was ist mit dir passiert, Isamu? Miyako legte ihre Hand auf das Buch und lenkte ihre Empfindung auf dieses wichtige Schriftstück. Dann sah sie es, das Ende des Folkloristen. Er hat sich die Klippe hinuntergestürzt. Er ist wahnsinnig geworden und hat sich dort, wo der Ausgang war, hinuntergestürzt! Das Mädchen ließ sich auf einer der Steinbänke nieder und legte das Buch aus der Hand. Kurz wischte sie sich die Tränen aus den Augen und packte dann das Buch ein. "Khihihihihii...." Miyako erschrak. Hinter ihr fühlte sie einen Luftzug und als sie sich umdrehte, sah sie einen kleinen Jungen vorbeilaufen, er trug kurze Hosen und ein gewickeltes Oberteil. Schnell wie der Wind lief er über den Platz. Miyako griff nach der Kamera und machte ein Foto. "Zuff!" Sie wartete und sah dann den Titel des Bildes: "Spielendes Kind." Der Junge kam zurück, diesmal lief er direkt auf sie zu. "Fang mich!", rief er mit glockenheller Stimme und rannte direkt durch Miyako durch, die in diesem Moment wieder einen Stich ins Herz bekam. Sie fasste sich an die Brust und keuchte vor Schmerz auf. Was hat Dr. Aso geschrieben? Die Geister tun einem weh, auch wenn sie es nicht wissen. Ahh... Miyako schnaufte und suchte den Platz nach dem kleinen Geist ab. Sie hörte sein Getrappel auf dem gepflasterten Boden und hie und da sein Kichern. Wenn Aso recht hat, dann muss ich ihn mit der Kamera davon abhalten, mich zu berühren. Friss oder du wirst gefressen...Na gut... Miyako stand auf und hielt die Kamera hoch. In dem Moment kam der Kleine wieder auf sie zu. Sein Gesicht war ausgemergelt und man sah ihm an, dass er schon viele Jahre tot war, und doch er strahlte mit seinen Augen eine solche Lebensfreude aus, als hätte... Miyako visierte den Geist an. Dieser lief so schnell er konnte und kicherte. "Fang....aiiihhh!!!" Der Kleine wurde vom Licht der Kamera erfasst und kreischte vor Schmerz auf. Miyako zuckte zusammen. Er weiß gar nicht, dass er tot ist..! Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, als die Kamera nachlud. Wieder lief er auf sie zu, diesmal kam er von einem ganz anderen Winkel. "Khihihihi..." Miyako betätigte den Auslöser ein drittes Mal. Der Kleine schrie wieder auf. Dann löste er sich in Luft auf, ganz langsam und qualvoll. Miyako sah weg. Sie hielt sich vor Schreck eine Hand vor den Mund. Das letzte Bild hatte wieder einen Titel, der sich langsam abbildete, als die Japanerin das Bild aufhob. "Makoto Tachibana" === "Mmh...." Oh hab ich geschlafen! Was für einen Blödsinn ich geträumt hab! Obwohl... halt mal, das war gar kein Traum. Das war glaub ich... Realität! Ich bin in der Nacht wach geworden, weil ich Durst hatte und stieg aus dem Bett. Als ich dann an der Schiebetür stand, konnte ich Stimmen hören, es waren die von Yamato, meinem - äh Megumi's Verlobten und seinem Freund Kenji. Als ich die Tür aufschob, wurde es plötzlich still. Ich starrte entsetzt in ihre Richtung und bekam mit, wie die Beiden sich küssen. Mir gefror das Blut in den Adern und ich hab die Tür dann ganz leise wieder zu geschoben. Ha...Haben die grade WIRKLICH gemacht, was ich da gesehen habe?? Ich dachte Megumi wäre mit dem Typen verlobt!? Ich wartete, bis die beiden Jungs aus dem Raum gingen, ehe ich die Tür ein zweites Mal aufschob, hindurchschlüpfte und versuchte irgendwo etwas Flüssiges aufzutreiben. Was schlecht geht, denn ich hatte ja keine Ahnung, wo in diesem Haus eine Wasserquelle war. Jedenfalls hatte ich dann irgendwann eine Küche aufgetrieben und ließ mir ein Glas Wasser herunter. Auf dem Weg zurück in mein Schlafgemach wurde mir allerdings schwindelig. Und jetzt bin ich wieder im Bett. Aber es ist immer noch dunkel. Wie spät es wohl ist? "Hmm...." Langsam muss ich mir was einfallen lassen, wie ich hier wieder wegkomme. Irgendwie hab ich ein sehr seltsames Gefühl, wenn ich an Miyako denke. Ich habe das Gefühl, als hätte sie nach mir gerufen, ich weiß auch nicht. Vielleicht lege ich mich noch einmal hin und ruhe mich noch etwas aus. Ich werde geschüttelt. Aua! Das tut doch weh! "Megumi? Megumi!" Immer weiter schüttelt mich irgendjemand und ruft wie aus der Ferne meinen Namen. Langsam öffne ich die Augen und ziehe eine boshafte Grimasse. Die ich mir allerdings dann sofort verkneife. "IIAAAHHH!!!!" Ich schreie auf, denn vor mir ist eine seltsame Gestalt, die mich anspricht und weiter schütteln will. Als es etwas heller wird, weiß ich woher, sehe ich dass es Kenji ist, der in eine seltsame Robe eingewickelt ist. Außerdem trägt er Schminke und seine Haare sind mit einem Tuch bedeckt. "Wie siehst du denn aus?", frage ich immer noch erschrocken. Gerade eben stand Mi in meinem Traum vor einem großen Tor und jetzt? Werde ich von einer "Drag-Queen" der Meiji-Epoche aufgeweckt... Wenn das kein Schreck ist, was dann? "Megumi, du musst aufwachen, der Abend der Sendung ist da! Du wolltest doch Miharu nochmal sprechen oder?" Kenji sitzt neben mir auf dem Bett. Ich starre ihn entgeistert an. Doch plötzlich, wie ein Blitzschlag, schießt mir eine Erinnerung Megumi's durch den Kopf: Ein Mädchen mit Haaren, dunkel wie Zedernholz und klaren grünen Augen. Megumi hat früher immer mit ihr gespielt. Oft hat man sie aber weggezerrt und gesagt, dass das andere Mädchen was ganz besonderes sei. Sie hörte auch Stimmen, die "unheimlich" oder "gerechte Strafe" murmelten. "Wirst du mich nochmal besuchen, bevor der Abend der Sendung kommt?", meinte das Mädchen und drehte schüchtern ihre Haare zu einem Zopf zusammen. Megumi nickte nur mit dem Kopf und hielt liebevoll die Hand der Anderen. Plötzlich wird mir schlecht. Irgendwas sagt mir, dass dieser Abend der "Sendung" etwas sehr...Angsteinflößendes hervorrufen wird. Ich halte mir eine Hand vor den Mund, einen Moment sehe ich fast Schwarz. "Megumi?" Kenji ist mittlerweile wieder aufgestanden und streicht sich seine Robe glatt. Ein Priester?! "Ich gehe! Wo ist sie? Hab ich sie verpasst? Verflixt!" Ich schwinge meine Beine - wieder einmal - aus dem Bett und mache mich auf den Weg nach draußen, meine Haare kämmend und meinen leichten Kimono glättend. Als ich nach draußen gehe sehe ich das Dorf vor mir. Abends ist es noch schöner, oder vielleicht gerade an diesem Abend? Jede Fackel, die man finden konnte, wurde in den Boden gesteckt und angezündet, die Leute huschen umher, viele in schönen Gewändern, doch sie strahlen ganz und gar keine Festlichkeit aus. Als ich weitergehe läuft mir plötzlich eine junge Frau entgegen. "Megumi! Gut dass du da bist! Ich kann deinen Bruder nicht finden! Er ist mir wohl entwischt, als ich die Kinder nach Hause bringen wollte. Ich will nicht, dass er hier draußen frei herumläuft. Die Priester werden sich beschweren!" Sie jammert und zerrt ein kleines Mädchen hinter sich her, dass etwa drei bis vier Jahre alt sein könnte. Diese quängelt und weint. "Maoto-schaan! Bielen will!" Ich lächle, sie kann noch nicht richtig sprechen, aber trotzdem ist sie unglaublich süß. "Wo ist er denn hingelaufen?", frage ich, immerhin bin ich ja jetzt im Körper seiner großen Schwester, also muss ich auch pflichtbewusst der Sache nachgehen. Und da ist noch Miharu... "Da drüben, an der Quelle, hab ich ihn das letzte Mal gesehen!", meint die junge Frau und schleift das Mädchen hinter sich her. Ich laufe los und suche meinen "Bruder". "Makoto? Makoto, wo bist du?" Ich laufe weiter, aber ich kann ihn nirgends entdecken. Ich bleibe kurz stehen und denke nach. Wenn mir doch nur einfallen würde... Ohne es bemerkt zu haben, stehe ich direkt vor dem großen Tempel. Er ist wunderschön und in einer fünfeckigen Form angelegt worden. Rund um ihn sind angelegte Schotterwege, Steingärten und Büsche und Steinbänke stehen überall herum und laden zum hinsetzen ein. Komisch. Wie bin ich da jetzt hingekommen? Ich drehe mich um. Überall diese schönen angelegten Flächen, viele Lichter und Leute die schutzsuchend umherschwirren. Irgendwas stimmt Angesichts dieses schönen Scheins mal überhaupt gar nicht! Hinter mir höre ich plötzlich ein Gequietsche. Und dann huscht ein kleines Wesen an mir vorbei, direkt auf den Tempel zu. Das Mädchen von vorhin. "Neeeeeiiin!! Da darfst du nicht hin!" Ich laufe dem Mädchen nach und beginne mich zu fragen, ob ich vielleicht durch dieses Verfolgungsmanöver auch diesen Gauner Makoto aufschnappen kann. Blind laufe ich der Kleinen nach, die immer tiefer in die Gänge des Tempels hineinläuft. Ich sehe nur links und rechts schöne Sachen an mir vorbeiblitzen. Mi hätte diesen Tempel geliebt und von oben bis unten durchkämmt. Und sie wäre alle zwei Minuten wo anders gewesen... Irgendwie ist sie nicht anders wie dieser Makoto Tiefer und tiefer komme ich, aber entlang den geschlagenen Gängen sind immer mal wieder Fackeln aufgehängt. Ich fühle mich grad wie Lara Croft, Fackeln, dunkle Gänge... magische Artefakte... Ich schmunzle. Die kleine Göre ist weg. Na toll! Doch da, da ist es wieder ein Kichern. Nicht unweit von diesem Kichern höre ich etwas scheppern und laufe weiter. Aber da ist noch ein Geräusch. Hört sich so an als würden da welche Singen. Je weiter ich durch die Gänge stolpere, desto lauter wird es. Seltsam. "Tanne Meumi! Tanne Meumi!", höre ich die Kleine rufen. Sie steht in einem kleinen Zimmer, dass über und über mit Roben und Schriftrollen gefüllt ist. "Da bist du! Du sollst doch nicht da rein! Und wo ist Makoto jetzt hm?" Ich nehme sie bei der Hand und will mit ihr zurück, doch sie wehrt sich schlimmer wie ein alter störrischer Esel. "Was ist denn!?" Sie geht zurück in den Raum und zerrt eine Schatulle aus der hinteren Ecke hervor. Die Kleine hat sie nicht mehr alle! Nicht dass sie in diesem Tempel ist, von dem ich gehört hab, dass da niemand rein darf, neein sie nimmt NOCH ETWAS MIT!!! "Lass das sein! Leg es...!" Ich reiße die Augen auf, denn in dem Moment lässt sie die Schatulle fallen, sie ist ihr viel zu schwer. Ich stürze zu Boden und will die Holzkiste auffangen, da öffnet sich der Deckel und etwas ganz anderes plumpst mir in die Hände. Eine Kamera. EINE KAMERA? HIEEER?!! Mir läuft eine Gänsehaut über den ganzen Rücken, bei diesem Anblick. Die Kamera ist klobig und nicht sehr schön, sie scheint selber gemacht worden zu sein. Um ihre Linse herum sind japanische Zeichen eingraviert, die ich nach und nach als Bannsprüche deuten kann. Es scheint als hätte sie hier nur auf mich gewartet... "Wa...?" Ich rapple mich auf und suche das kleine Mädchen, doch es ist nicht mehr da. Das beunruhigt mich aber nicht. Nicht so sehr wie die Tatsache, dass ich sie verloren hab. Nicht so sehr wie die Tatsache, dass ich von der Ferne Stimmengewirr höre, trampelnde Schritte und Schreie, die Angst und Entsetzen ausdrücken. Mich wundert, dass die Kleine wusste, was sie tat. "Woher wusstest du...?", frage ich in den Raum hinein, als mir nach und nach schwindeliger wird und ich mit der Kamera in den Armen auf dem schmutzigen Lehmboden liege und ohnmächtig werde... === "Hah... hah... hah..." Miyako schnaufte, sie rang um Luft. Oh ihr Götter, helft mir! Wo ist es? Wo?? Sie tastete sich in der dunklen Hütte langsam nach vorne. Ihre Kamera umklammernd schielte sie panisch bei einem Fenster hinaus. Du Trottel, du denkst doch nicht etwa, ein Haus hält ein solches Ding auf? Das ist kein fleischliches Lebewesen, das ding ist TOT! ermahnte sie ihren naive Idee. Und wirklich, da raschelte etwas. Die angelehnte Holztür der zerfallenen Hütte klapperte leicht, als würde der Wind sie bewegen. Dann ging sie langsam auf. Miyako schluckte. Nichts passierte. Dann tat es einen Knall, furchtbar laut, als würden tausend Knochen brechen. Ein Kopf rollte in den Eingangsbereich. "Aaiihaa....aiiihaaa...", röchelte das abgetrennte Körperteil und grinste dämonisch. Die Japanerin hätte am liebsten laut aufgeschrieen. Der Kopf rollte zu ihr hin und blieb mit dem Gesicht auf sie gerichtet liegen. "Aihaa....yoso....aihaa....mura...gö...tt...", brabbelte das Haupt weiter. Dann knallte es ein weiteres Mal. Ein großer schwarzer Schatten tat sich im Eingangsbereich auf und Miyako erkannte voll Schrecken, dass es ihr Verfolger war. "GIB MIR MEINE GELIEBTE WIEDER, DU TEUFEL!!", schrie die Gestalt und hob ihr großes Katana an um zum Schlag anzusetzen. Miyako betätigte das Blitzlicht der Kamera. Es half, das Monster war geblendet. Sie floh aus dem Haus und rannte über die Straßen. "Ich hasse mein Leben! Ich will hier raus!", schrie die junge Frau und Tränen liefen ihr übers Gesicht. Wieder hörte sie ein Rascheln. Gerade als sie sich umdrehte, packte sie ein einzelner Arm am Fußgelenk und presste seine leblosen Finger fest um ihre Fessel. "Aaaaaauh...!" Miyako trat auf den bleichen Arm um ihn loszuwerden. Doch statt dessen stolperte sie nur, denn ein loses Bein, so sah sie es im Sturz, trat mit voller Wucht gegen ihren Rücken. Die Kamera flog meterweit weg. Miyako zerrte am toten Arm und kämpfte tapfer gegen das einzelne Bein. Doch da war "Er" wieder. Eine Gestalt, einem Samurai nicht unähnlich, mit schwerer Rüstung und einem großen Katana. Beides blutbespritzt. Der Körper, oder das was noch übrig war, stank bestialisch, faulte und dörrte vor sich hin. Miyako schrie. Das Monster hob erneut sein Schwert und rannte auf Miyako zu. Der Arm packte sie fest, das Bein trat weiter auf sie ein. Sie schien verloren... Du hast sie getötet, DU hast sie zerstückelt! Ich kann sie nicht zurückgeben! Hilfe!! Plötzlich erschien hinter ihr eine weitere Gestalt. Der Samurai hielt in seiner Bewegung inne. Und Sekunden später war auch er nur noch ein Schatten. Die Arme und Beine ließen von der jungen Japanerin ab und verfaulten auf der Stelle. Miyako lag halb ohnmächtig von Gestank und Anblick des Monsters auf dem staubigen Pflasterweg. "Puh... ich dachte schon, das wird nichts mehr. Jetzt komm, wir suchen einen sicheren Platz." Miyako weinte. Diesmal vor Freude. "Jin!!", schluchzte sie und sprang auf um die Kamera entgegen zu nehmen, die ihr ihre geschwächte Freundin hin hielt. =========Authors Note's========== YATTA! Wir haben es wieder geschafft! Das nächste Kapitel ist fertig und ich muss zugeben, dass das nur Dank Fee gelungen ist... Ich hatte irgendwie eine Schreibblockade und konnte einfach keine Idee für das Ende finden... Dafür ist es jetzt umso gelungener... Jaja, was lange währt wird endlich gut ^o^ Ich mag die Idee mit Jin's Vergangenheit und ihrer neuen Fähigkeit ^o^ *freu* Hoffe euch gefällt es genauso... Und ja, ich weiss, ich weiss... Kin hat noch immer kein Bild *Kin anfauch* aber das ist in Arbeit... *evil grin* Mit oder ohne seiner Zustimmung... *nyahahaha* Wie immer würden wir uns sehr über Kommis freuen ^o^ Und bedanken uns herzlichst bei allen bisherigen Lesern ^o^ Chapter 3 || it's a fright wide night tonight ~the emperor~ (1 von 3) --------------------------------------------------------------------- Fest hielt sie die Hand umschlossen. Nie mehr lasse ich die los., dachte die junge Frau und schloss für einen Moment die Augen. Wie schön wäre es jetzt zu Hause, in einem riesigen Berg Kissen. Liegen. Lachen. Lesen. Gemeinsam... Sie senkte den Blick und starrte auf ihre dreckigen Stiefel, deren schwarzes Leder schon nicht mehr zu erkennen war. "Mi?" Jin strich sich eine Haarsträhne nach hinten. Sie war etwas verunsichert, denn sie wusste, welche Kräfte ihre Haare entwickeln konnten, wenn sie nicht gebändigt und zu einem Zopf geflochten waren. Miyako lächelte und wischte ihrer Freundin etwas Schmutz von der Wange. Sie war froh, die Chinesin wieder bei sich zu haben. Dieser Tag war einfach furchtbar gewesen. Aus ihrer Tasche holte Miyako die Jacke von Jin, die sie aufgehoben hatte, als ihr kalt war. "Ich glaube, das ziehst du lieber an, eine Erkältung können wir grade echt nicht brauchen.", meinte sie und legte Jin die Jacke um. "Ich finde, wir sollten eine Quelle finden oder so etwas, irgendwo muss man sich doch waschen können!", sprach die Chinesin mit heiserer Stimme. Sie fühlte sich immer noch etwas unwohl, denn was dort gerade passiert war... Mit diesem Monster, da hatte sie... sie hatte es mit ihren Augen geschmolzen! Ich bin ein Freak. Ein megamäßig freakiger Freak! Sie sah Miyako von der Seite an. Ihre Freundin hatte einige Schrammen an Ellbogen und im Gesicht. Aber abgesehen von den Schrammen, der leicht zerfetzten Hose und dem Schlamm und Staub überall war noch alles an der jungen Japanerin dran. Gut, dass ihr nichts passiert ist. Ich hatte echt kein gutes Gefühl, als ich dort drüben war. Beide marschierten weiter durch die Straßen. Links und rechts türmten sich zwischen den Hausmauern Trümmerhaufen auf und große Steine standen hie und da etwas deplatziert in den Zwischenräumen. Im Großen und Ganzen konnte man aber noch sehen, wie die Stadt einmal aussah. Jin erinnerte sich daran, wie sie die Stadt in ihrer Blütezeit gesehen hatte. So etwas um diese Zeit war einfach... prächtig. Viel zu prächtig. Irgendwas hatte die Chinesin beunruhigt, als sie dort drüben gewesen war. "Ich möchte bloß wissen, was das für ein Ding war.", warf die Japanerin plötzlich ein. Jin runzelte die Stirn. "Vielleicht weiß mein Buch etwas da drüber. Aber ich möchte mich jetzt wirklich gerne mal waschen!", quengelte sie. Nach längerem Suchen erreichten die Beiden endlich ein großes Becken, dass mit Steinen umrandet war. Vor dem Wasserbassin führten ein paar Stufen hinauf, die in den Felsen geschlagen worden waren. Erhöht lag nun das Becken, in welchem sogar noch Wasser war und zur Verwunderung der beiden Mädchen rann immer noch ein dünner Strang den Felsen hinab, der das Becken abschloss. Jin hielt prüfend eine Hand ins Wasser - und zog sie wieder heraus. "Wa....Warm!", rief sie ihrer Freundin erfreut zu, die ihr den Rücken zugedreht hatte. Isamu, Isamu... Isamu. Was machen wir nur? Wie soll es weiter gehen? Nachdenklich sah sich Miyako um. Die Häuser hatten auch hier fast faustgroße Löcher in ihren Wänden, doch die Statik der Gebäude war trotz den Löchern immer noch in einem guten Zustand. Verwunderlich, wenn man bedenkt, wie die Leute damals Häuser errichtet haben, mit Lehm und Ziegeln. Doch das hier, das ähnelt eher einem Betonbunker. "Miihiii?" Jin's Tonfall wurde ungeduldiger. Sie hatte sich in der Zwischenzeit aus ihren Kleidern geschält und stand nun in Unterwäsche frierend vor dem Becken. "Kommst du oder soll ich zum Eisblock werden?", rief sie energisch. Miyako drehte sich endlich um und lächelte ihrer Freundin zu. "Ja doch! Ich hab mir nur die Häuser angesehen." "Wir sind aber nicht auf einer Sight-Seeing-Tour, sondern wir versuchen zu ÃœBERLEBEN, falls du es noch nicht weißt!" Jin stieg murrend ins warme Wasser, welches der Chinesin fast bis zu den Oberschenkeln reichte. "Ahhh....schöööön!", säuselte sie, während sie sich bückte um sich im Becken niederzulassen. Sie stellte fest, dass dieses künstlich angelegte Wasserbassin auch am Boden und an den Seitenwänden mit glatten Steinen bepflastert war. Keine Gefahr also, sich irgendwas in den Fuß zu rammen oder sich auf einen spitzen Stein zu setzen. Miyako lächelte ihre Freundin an. Dann zog sie sich ebenfalls die dreckigen Sachen vom Körper und stieg zu Jin ins warme Wasser. "Ist witzig oder? Das ist eine heiße Quelle - mitten in einem verfluchten Dorf!" Jin planschte begeistert herum. Sie hatte sich wohl schon sehnlichst ein Bad gewünscht. Während Miyako ihrer Freundin zuhörte, versuchte sie, sich etwas zu entspannen. "Ich weiß nicht.", warf sie ein. "Ich finde das hier gerade mehr als makaber. Wir könnten jede Minute von irgendwas angefallen werden und trotzdem sitzen wir hier fast nackt und baden!" Die Japanerin warf einen kurzen Blick auf die kleinen Häufchen neben dem Becken. Dort, in ihrer Tasche, war das Buch des Folkloristen. Und wartete darauf, gelesen zu werden. "Was ist jetzt eigentlich passiert?" Sie wandte den Blick wieder ab und fixierte Jin, die immer noch mit den Händen kleine Wellen fabrizierte. Sie brannte darauf, zu erfahren, was ihrer Freundin passiert war. Diese war plötzlich verschwunden und nun war sie wieder da, aus heiterem Himmel vernichtete sie mal eben eine furchteinflößende Kreatur und tat fast so, als wäre sie nie weg gewesen. Jin rubbelte an ihren Unterarmen um den Schweiß und Dreck etwas abzubekommen. "Hmm....ich war im Jahre Meiji 4... Äh, so um den Dreh. Und im Körper eines Mädchens, das der Zadru wohl verschlungen hat... Also ihre Seele, mein ich. Sie hieß Megumi und, naja es war sehr verwirrend, ich wachte auf und da waren diese Jungs und ich dachte ich bin im falschen Film." Sie lächelte, als sie von ihrem Abenteuer erzählte. Miyako hörte gespannt zu. Jin berichtete von dem Dorf, als es noch stand, von den vielen Leuten und von Megumi, die mit Yamato verlobt war. Und dass sie einen Bruder hatte. Jin schwieg kurz, dann begann sie weiter zu erzählen. "Da war allerdings etwas, das mich immer unruhiger werden ließ. Obwohl alles so schön hergerichtet war, die Fackeln und der ganze Kram, und obwohl alle Leute so feierlich angezogen waren, ich fühlte mich eher wie bei einer Beerdigung, oder bei einer Exekution. Alle schienen sich vor irgendwas zu fürchten... Ich weiß auch nicht..." Sie starrte in die Luft. Der Himmel über den Mädchen war wie immer: grau und undurchdringlich. Jin sorgte sich um die Zukunft. Würden die Mädchen wohl je wieder da raus kommen? Und wie war es mit Nahrung? Zwar reichte das Essen in Miyako's großer Tasche noch ein, zwei Tage, aber dann? Und Wasser? Wer wusste schon, ob das Wasser hier nicht verseucht war. Es musste sogar verseucht sein, hier waren Leichen herum gelegen... "Jin?", kam eine leise Stimme von rechts. Die Chinesin zuckte zusammen. "E...entschuldige, ich hab mich nur grade gefragt, wie zur Hölle wir hier wieder rauskommen sollen." Sie seufzte und erzählte weiter. "Da war ein kleines Mädchen. Die war vielleicht drauf! Rennt die doch einfach von ihrem Kindermädchen oder so weg und direkt in den Tempel rein! Kannst du das glauben? Mit vielleicht vier Jahren! Ich dachte mich kickt ein Pferd! Ich ihr natürlich nach und dachte halt, vielleicht finde ich meinen so genannten 'Bruder', Makoto... Jedenfalls..." Jin gestikulierte heftig im Wasser, so dass sich immer mehr Wellen bildeten. Miyako wurde stutzig. "Makoto? Äh....du, Jin ich glaub...", murmelte sie. Doch diese hatte sich richtig in Fahrt geredet und erzählte weiter. "Maaaaann... ich sag dir! Und dieses Gör läuft einfach weiter und weiter und ich halt hinten nach. Und der Tempel... Oh, der wär' was für dich gewesen! Der war sooo hammergenial schön! Und als ich den kleinen Giftzwerg endlich hatte, nimmt die sich doch glatt noch nen Souvenir mit! Ich dachte, ich werd nicht mehr. Und dann fällt sie auch noch fast hin, weil ihr die Schachtel natürlich zu schwer war und dann..." Jin's Redefluss fand ein jähes Ende. Sie erinnerte sich an den Moment, als sie die Kamera in den Armen hielt. Sie schluckte hart und setzte dann, etwas weniger laut und theatralisch, fort. "Da war eine Kamera drin. Eine, wie deine. Ich dachte ich krieg zu viel... Ja und dann war ich da. Die Kleine ist verschwunden und ich glaube sogar, sie wollte, dass ich die bekam... Mi?" Jin drehte sich um. Miyako war aus dem Becken gestiegen. Dampfende Schlieren aus Wasser rannen ihren nackten Körper hinab und malten feine Linien über ihren Rücken, ihre Brüste und ihre Beine. Sie hockte sich vor das Häufchen an Kleidung, dass ihnen gehörte und wühlte in der Tasche herum. Da war es! Die Japanerin nahm das Foto mit und stieg langsam wieder ins Becken. "Die Kamera Obscura, ich weiß, ich hab sie schon sehen können, als du wieder da warst.", erwähnte sie beiläufig am Rückweg zur heißen Quelle. "Aber... sieh dir das mal bitte an." Sie hielt ihrer Freundin das Foto hin, welches sie gemacht hatte. Jin nahm es mit nassen Händen entgegen. "Nein!" Jin starrte beinahe entsetzt auf das Bild, dass auf dem Papier zu sehen war. Sie schaute Miyako unheilvoll an. Ihre Freundin legte nur den Kopf in den Nacken und stöhnte. Sie wusste, irgendwas an dem Bild war komisch gewesen. Zumal im Hintergrund auch eine Frau zu sehen war, zwar verschwommen aber man konnte den hellen, gemusterten Kimono ausmachen. "Das..." Jin legte sich eine Hand vor den Mund, sie zitterte mittlerweile, obwohl es so warm im Becken war. "Ich bin da drauf!", meinte sie dann tonlos. "Und das ist Makoto, Megumi's Bruder", setzte sie noch hinzu. Miyako setzte sich schlagartig in Bewegung. "Wo? Wo bist du?" Sie glitt durchs Wasser hinüber zu Jin und hielt neben ihr an. Die junge Frau tippte mit einem Finger auf den verschwommenen Kimono. "Den hatte ich an! Aber das heißt... Megumi muss hier noch wo sein..." Miyako legte eine Hand auf die Schulter ihrer Freundin. "Du machst dir aber grad mehr Gedanken über Makoto, hm?" Sie konnte die Unruhe in Jin förmlich schmecken. Die Chinesin nickte nur leicht, dann wischte sie das vom Dampf angelaufene Foto ab und legte es an den Rand des Beckens. Schnell wusch sie sich und stieg dann aus dem Becken. Draußen neben dem Bassin, dort wo die Kleiderhäufchen lagen, fing Jin an zu fluchen. "Sieh dir das bloß an! Alles dreckig! Nein, so laufe ich sicher nicht rum! Niemals!", zeterte die Chinesin und stieg schnell die paar Stufen hinab, um ihre Sachen kurzerhand in das heiße Quellbecken zu werfen. Dann hockte sie sich an den gemauerten Rand und wusch energisch ihre Sachen. Während sie dies tat, stieg auch ihre Freundin aus dem gemütlichen Bassin um ebenfalls ihre dreckigen Kleider zu holen und sie zu waschen. So kauerten Beide eine Weile am Rand des schönen großen Beckens und schüttelten ihre Sachen im Wasser hin und her, damit sich der Schlamm davon löste. Miyako verzog nach einer Weile das Gesicht zu einem Lächeln. Angesichts des Drecks, der nun das Wasser bräunlich färbte meinte sie: "Ich denke mal, das hatten die Sachen Not. Ich hoffe nur, dass die noch eine Weile halten, denn meine - äh deine Klamotten sind sehr in Mitleidenschaft gezogen, so wie ich das sehe." Sie fuhr mit einem Finger in ein beachtliches Loch an der Bauchseite ihres Shirts. Nach einer Weile waren die Sachen der Mädchen wieder einigermaßen sauber und die Beiden suchten etwas Holz zusammen, um ein Feuer zu machen. "Sonst sterben wir an Erfrierung. Angesichts dieses grusligen Dorfes mit all seinen Geistern wäre das doch peinlich oder?", lachte Jin dann. Gut, ihre Laune ist wieder etwas besser. Ich dachte schon , das mit Makoto würde ihr noch zu schaffen machen. Miyako raffte ihre Kleidung zusammen und wrang sie kräftig aus, während Jin in Unterwäsche versuchte, das Feuer zu entfachen. Nach ein paar Versuchen, schaffte sie es dann endlich, das Holz zum Qualmen zu bringen. Wenig später brannte ein kleines Feuer, das sie ununterbrochen beobachtete und mit weiterem Holz fütterte. Die Japanerin gesellte sich zu ihr und legte ihre Kleidungsstücke neben die von Jin auf den Steinboden, damit diese auch trocken wurden. Das Feuer mit seiner Wärme, ganz in der Nähe, würde sein übriges dazu tun. "Aaaah...." Mi räkelte sich dem Feuer entgegen. "Hey! Willst du etwa reinkrabbeln oder was? Ich meine, etwas Farbe könnte dir nicht schaden, aber...", flachste Jin. Miyako stieß sie leicht in die Seite. Doch dann erinnerte sie sich an Isamu Fukada, den Folkloristen. "Oh... ich hab vergessen was zu erzählen!", rief sie und stand beschwingt auf um leichten Schrittes Richtung Tasche zu gehen. Dann kam sie mit einem zerfledderten, in Leder eingebundenen Büchlein wieder. "Das hab ich gefunden... Na ja gefunden stimmt nicht ganz. Er hat es mir gegeben." Jin schielte neugierig auf das Buch. "Gegeben? Wer hat es dir gegeben?" Sie runzelte die Stirn und ihre Augenbrauen bildeten fast einen umgekehrten Pfeil dabei. "Äh... versteh mich nicht falsch, aber ich dachte, hier wären alle tot, oder etwa nicht?". Die Chinesin betrachtete das Buch, das Miyako in der Zwischenzeit aufgeschlagen hatte. Neugierig lugte sie ihrer Freundin über die Schulter. "Du sag mal, du meinst doch nicht etwa diesen Untoten mit seinem Schwert oder? Hat er dich etwa verfolgt?" Miyako vernahm diese Frage und wurde rot. "Ja... Aber das war nicht meine Schuld, ehrlich! Ich ging da so durch das Dorf, war grade am großen Platz da hinten," Sie deutete über einige kaputte Dächer hinweg, "und wollte in eine Hütte um es mir gemütlich zu machen. Da knistert es plötzlich und hinter mir steht so ein Zombie von Samurai, der mich beschuldigt ich habe seine Frau zerstückelt. Das stimmte aber nicht, denn als mich ein Arm der Frau festhielt, konnte ich ihre Erinnerung spüren. Er hat sie zerstückelt und na ja... Jedenfalls haben mich die Beiden ganz schön in Schach gehalten und ich bin froh, dass du dann da warst, sonst hätte der mich wohl auch zerstückelt." Nach diesem Redeschwall konnte Jin nur nicken und ihre Freundin wendete die Kleidungsstücke, damit diese gleichmäßig trocken wurden. "Und wegen Isamu... äh Herrn Fukada. Also ich war gerade am großen Platz, dort hinten und er ist mir erschienen. Ich hab mich natürlich zu Tode erschrocken." Miyako riss die Augen auf, als sie sich an diese erste Begegnung erinnerte. "Doch er ist nicht böse oder so was. Als er weg war, bin ich gestolpert und das Büchlein lag vor meiner Nase. Und stell dir vor, er hat auch versucht, eine Lösung zu finden und hier raus zukommen. Das hab ich dort drin lesen können..." Sie tippte darauf und schlug es dann an einer anderen Stelle auf, um Jin darin lesen zu lassen: 16.09.1956 == Gestern Nacht habe ich eine weitere Entdeckung gemacht. In der unscheinbaren Kammer war so etwas wie ein Lager. Oder auch ein Ort für wichtige Dokumente. Bücher liegen herum, sie sind von den morschen Bücherregalen heruntergefallen. Insgesamt scheint es mir als wäre hier eine Art Erdbeben vorüber gegangen. Aber die unteren Räume hat dies wohl nicht beeinträchtigt. In dem Raum sind zeremonielle Gewänder aufgehängt worden, ich kann noch die Muster auf den Kutten ausmachen. Wirklich prächtige Gewänder. Ich vermute, sie wurden nur zu ganz speziellen Anlässen verwendet. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Während Jin diese Zeilen las fühlte sie, wie ihr ein kalter Schauer den Rücken hinunter lief. Was immer Fukada da entdeckt hatte, es bereitete ihr auf unerklärliche Weise Unbehagen. "Ich frage mich...", begann sie, brach dann aber wieder ab. Nein, bei solchen Dingen war es besser, sie nicht zu hinterfragen. Das wäre ein Akt, den das Schicksal selbst herausforderte und für den Augenblick hatte sie wahrlich genug Aufregung gehabt. "Wenn das so weiter geht, krieg ich noch vor meinem 20er graue Haare...", murmelte die 17-jährige etwas abwesend. Miyako verzog ihren Mund, als hätte sie etwas Bitteres gegessen. "Hmm... das hab ich mir auch schon gedacht." Die Japanerin prüfte die Kleidung nach Trockenheit und drehte sie ein weiteres Mal um. "Jedenfalls, ich denke, mit dem, was da drin steht, kann man Einiges machen. Weißt du, ich glaube sogar, wir finden hier auch raus, wenn wir das Geheimnis lüften. Zumindest können wir es versuchen." Miyako legte das Buch auf die Seite und stocherte mit einem Ast etwas im Feuer herum. Jin seufzte. "Ob wir hier jemals wieder rauskommen?" "Ich weiß es nicht." Miyako seufzte auch. Die Chinesin wandte sich vom Feuer ab und hielt ihm nun ihren Rücken und - was noch wichtiger war - ihr nasses Haar entgegen. Nachdenklich fuhr sie sich mit den Fingern durch die schwarze Masse und stutzte. Unruhig fingerte sie eine Strähne und beäugte sie. "Ich kann mich irren, aber... Sind meine Haare länger geworden?", fragte sie Miyako, die sich gerade ebenfalls umgedreht hatte. Diese nahm eine weitere Strähne ihrer Freundin zwischen drei Finger und betrachtete diese. Jin's Haare glänzten noch feucht vom Wasser und waren von so einem satten Schwarz, dass man glauben hätte können, die Chinesin würde sich die Haare färben. Doch Miyako wusste, dass dies ihre Natur-Haarfarbe war. Eine Weile noch hielt sie die Strähne in ihrer Hand. "Kann sein, irgendwie sind sie wirklich länger geworden. Aber was spielt das jetzt für eine Rolle?", fragte die Japanerin verwirrt. Jin seufzte abermals. "Naja, ich glaub, das ist noch ein Rest 'Megumi' in mir. Die hatte nämlich sehr lange Haare weißt du?" Die Chinesin drückte das Wasser aus der nassen Masse. "Hast du eine Idee wo wir anfangen könnten? Es hört sich wahrscheinlich blöd an aber: Du bist schon länger in diesem Dorf als ich..." Die junge Frau nahm das Büchlein zur Hand und blätterte etwas darin. Dann fing sie von Neuem an zu sprechen. "Ich denke mal, wir klappern alles ab, was Fukada da aufgeschrieben hat. Ich hab auch schon feststellen können, dass es eher im Zentrum diese ganzen durchlöcherten Wände gibt, und dort hat er auch vieles erforscht. Jedenfalls... Hmm..." Sie las sich eine andere Passage noch einmal durch. "Ich möchte diesen Garten besuchen, von dem er hier schreibt. Dieser 'Weiße Garten' mit den Kirschbäumen. Ich möchte den zuu gerne sehen.", lächelte sie. Jin drückte immer noch das Wasser aus den nassen Haarsträhnen. "Weißt du auch, wie wir dort schnellstens hinkommen? Ich hab nämlich keine Lust die Gegend zu erforschen und dann von irgend einem Geist oder sonstiger Kreatur durch die Gegend gejagt zu werden um am Ende mal wieder in einer Sackgasse zu stehen..." Miyako schüttelte den Kopf, während sie in dem Buch weiter las. "Keine Angst, ich denke, wir kriegen da schon einen Weg raus. Es ist nämlich so, dass das Dorf wie eine Art Stern angeordnet ist, deren Mitte der große Tempel bildet. Von dem aus führen überall Wege hin zu einzelnen Schreinen und noch weiter zu vielen Gebäuden die auch alle genau gleich stehen... Mir ist aufgefallen dass der Tempel auf einem Hügel steht und wenn du dann in eine Richtung blickst, sieht es aus wie der Strahl einer Sonne, alles in einer Reihe." Sie blätterte weiter. "Wir finden den Weg sicher schnell wenn wir vom Tempel aus starten.", meinte sie dann. "... Der Tempel...", murmelte Jin, doch bevor sich die Gedanken aus der Vergangenheit in ihrem Kopf breitmachen konnten, schob sie diese wieder zur Seite. "Gut, dann lass uns dort anfangen... Aber erst, wenn wir wieder trocken sind... So sexy wir auch in nasser Unterwäsche oder in am Körper klebenden Sachen aussehen mögen, bei den ansässigen Dorfbewohnern kann ich ehrlich gesagt darauf verzichten, dass die mir hinterher laufen." Sie grinste schief und wickelte dann ihre Haare nach vorne über ihre Schulter. Miyako lächelte bei der Vorstellung. "Hmm... Was wollen wir so lange tun? Mir ist nämlich nicht so wohl bei dem Gedanken hier zu sitzen und nicht flüchten zu können, sollte was sein." Sie ging zurück zu ihrer Umhängetasche und kramte erneut darin. "Wie wärs, wenn wir endlich mal da weiter lesen?", meinte sie kurz darauf und fächelte mit dem Buch von Dr. Aso in der Luft herum. Im Schneidersitz ließ sie sich vor dem Feuer nieder und schlug das Buch an einer beliebigen Stelle auf. Dann kratze sie sich am Kopf. "Äh... da... da stehen nur so komische Zeichen.", murmelte sie. "Oh klasse... weißt du vielleicht was das hier ist?" Mi reichte das Buch nach hinten zu Jin. Diese wandte sich wieder dem Feuer zu und beugte sich konzentriert über die aufgeschlagene Passage. "Lass mal sehen... Hm... Naja, das eine oder andere Wort kenne ich aber... leider keine Zusammenhänge... Ich glaube, dass ist Alt-Japanisch, oder ein Dialekt davon...", erklärte sie, während sich ihre Augenbrauen in Konzentration zusammenzogen als sie versuchte, die Zeichen zu entschlüsseln. Schließlich hörte Miyako einen tiefen Seufzer ihrer Freundin. Diese schüttelte den Kopf. "Nein, tut mir leid... Keine Chance... Da müssen wir wohl einen Experten fragen..." Mit diesen Worten gab sie das Buch zurück. "Blöd. Jedenfalls, soviel hab ich darin schon gelesen: Lass dich nie von einem Geist berühren, dass tut nämlich saumäßig weh! Das ist wie ein Herzinfarkt oder in eiskaltes Wasser geschubst werden. Also egal was passiert, versuch dem Ding auszuweichen! Außerdem sagte Aso, viele Geister wissen nichts davon, dass sie schon tot sind. Und so gehen sie Gewohnheiten nach oder sie wollen sich vielleicht für irgendwas rächen, oder sie halten dich für eine andere Person, da ihr Bewusstsein eingeschränkt ist, sie können ja nicht mehr denken." Miyako prüfte ihre Kleidung und stellte erleichtert fest, dass diese trocken war. Kurzerhand hob sie das Sweatshirt auf und streifte es sich über den Kopf. Danach folgte die schwarze Hose und zum Schluss Socken und ihre schwarzen Lederstiefel, die sie auch geputzt hatte. "Ich habe nicht vor mit Begegnungen mit Geistern herum zu experimentieren...", gab Jin zurück, während ihr ein weiterer Schauer über den Rücken lief. "Da kämpfe ich lieber gegen diese komischen Viecher! Da weiß man wenigstens woran man ist und mit dem Buch weiß ich auch, was ich gegen sie tun kann." Sie erhob sich und schlüpfte ebenfalls in die nun endlich trockenen Kleidungsstücke. Obwohl die Jacke noch etwas feucht war, beschloss sie, trotzdem aufzubrechen und band sich diese um die Hüften. "Na dann, es ist mal wieder Zeit, sich durch die Gegend jagen zu lassen.", gab sie mürrisch von sich. Miyako dämpfte das Feuer mit einigen Händen voll Wasser ab und stakste die Steinstufen hinab. "Stimmt das Buch! Du wolltest doch noch nach dem Samurai-Zombie schauen...", sagte sie aufgeregt. Am Fuße der Treppe blieb die Japanerin plötzlich stehen. Unruhig fixierte sie einen Punkt nicht weit weg von den beiden Mädchen. Jin, die hinter ihr war und nicht verstand, was los war, wollte schon fragen, doch dann sah sie den Grund für Miyako's Verhalten: Ein Geist. Schon wieder. Die junge Frau nahm die Kamera zur Hand und schoss ein Foto. "Zuff!" Nachdem sie es aufgehoben hatte, schlenderte sie beinahe glücklich über das kurze Stück gepflasterten Weg hin zu dem Geist. "He,", flüsterte Jin aufgeregt. "ich dachte man soll nicht auf Geister zulaufen!" Sie blieb zurück und krampfte ihre Finger zusammen. Nachdem sie gehört hatte, was Geister anrichten konnten, zog sie es vor, erst mal hier zu warten. Hier schien sie in Sicherheit. Aber mulmig war ich trotzdem. "Das ist Isamu Fukada.", kam es von Miyako, die weiter auf den Geist zulief. "Isamu" drehte sich um und ging ein paar Schritte über den Hügel und blieb dann kurz vor einem kleinen Haufen stehen, der aus Holz und Steinen war. Er wartete. Jin biss sich auf die Lippen. Auch wenn Miyako erzählt hatte, dass dieser Mann, der er einmal war, friedfertig schien, sie traute der Sache nicht. Zögernd folgte sie ihrer japanischen Freundin in nicht ganz so schnellem Tempo. Fukada streckte einen Arm aus und deutete auf den Haufen. "Soll... Soll ich ein Foto machen?", fragte Miyako unsicher. Isamu nickte unmerklich, dann war er verschwunden. Miyako erkannte jetzt, dass sich genau dort, wo der Haufen war, etwas bewegte. Erschrocken trat sie ein paar Schritte zurück. Doch es passierte nichts weiter. Beim genaueren Betrachten stellte sich heraus, dass sich die Luft bewegte, wie ein Flimmern und hin und her Wiegen sah es aus. Das muss wohl so eine Raum-Zeit Verschiebung sein, von der ich in Dr. Aso's Buch mal kurz was gelesen hab., stellte Miyako dann fest. Sie betätigte erneut den Abzug der Kamera. Wieder ein lautes Geräusch, ein helles Licht und ein weiteres Foto lag auf dem Boden. Miyako staunte. "Das ist ein Symbol!", rief sie und winkte Jin zu sich heran. Beide betrachteten das Bild: Auf der glänzenden Seite konnte man ein kleines Häuschen sehen. Das Dach war mit typischen japanisch gebogenen Querbalken gebaut worden und an den Schrägseiten blitzen viele bläuliche Keramikziegel. Das Holz war dunkel gebeizt und wirkte auf die Beiden sehr edel. In dem Häuschen, in dem es anstatt einer Eingangstür nur eine große Steinstufe gab, war ein Schrein aufgebaut, verziert mit Blumen und Papierlaternen. Mitten auf dem Tisch war eine große Schatulle mit blauen Ornamenten. Und einem Schriftzeichen mitten darauf, welches aus Stein gefertigt worden schien. "Wasser" Jin staunte. "Ein beeindruckendes Häuschen. Ein Schrein nehme ich mal an?" Sie tippte auf die Schatulle. "Was ein Aufwand, ich wette da ist sicher was sehr wertvolles drin! Wenn die schon aus Stein ein Schriftzeichen fertigen." Die Chinesin betrachtete das Bild aufmerksam. Die Schreine waren ihr bei ihrem "Besuch" in der Vergangenheit gar nicht so aufgefallen. Desto mehr wünschte sie sich beim Anblick dieses Fotos, die kleinen schmucken Gebäude in Natura gesehen zu haben. "Aber was hat das eigentlich zu bedeuten?", fragte Jin während sie beiläufig in Miyako's Tasche nach ihrem dicken Magie-Buch suchte. Sie erstarrte. "Verdammter Mist nochmal!" Suchend wühlte sie in der Tasche, so heftig dass ihre Haare wild durch die Gegend flogen und Miyako durch Jin's Wackelei bedrohlich schwankte. "He! Was ist denn?", brummte sie und stellte die Tasche auf den Boden, Jin suchte natürlich emsig weiter. "Mein Buch! Es ist nicht mehr da drin! Wenn ich es verloren habe, bin ich so gut wie tot!" "Aber was denn? Das Buch ist doch hier drin." Seelenruhig ließ sich Miyako nieder und warf einen prüfenden Blick hinein. Schock. Das Buch war nicht mehr da. "Oh... Oh oh. Ich äh..." Jin schob ihre Freundin erneut zur Seite und wühlte weiter in der Tasche herum. "Es ist nicht drin!", rief sie panisch. Miyako zog ein ärgerliches Gesicht und schüttelte energisch den Kopf. "Das kann aber nicht sein, ich hatte es beim Zadru entdecken wieder eingepackt! Das heißt... Oh nein." "Was? Was oh nein?!" Jin schüttelte die Tasche durch, ebenso machte sie es mit ihrer Freundin. Das Buch war ein Familienerbstück, wenn ihre Eltern mitbekämen, dass sie es verloren hatte! "Ich glaube als der Samurai angriff, da fiel ich hin,weil mich das Bein der zerstückelten Frau getreten hat. Vielleicht ist es da rausgefallen... Das war echt ein harter Kampf und ich musste mich winden und konnte mich nicht befreien." Ratlos sahen sich die Mädchen um. "Aber wo könnte es jetzt liegen?" Miyako versuchte zu bestimmen, von welcher Richtung sie gekommen waren. Jin fuhr sich verzweifelt mit beiden Händen durch die Haare. "Das darf doch alles nicht wahr sein! Wie beschissen kann ein Tag eigentlich noch werden?! Ich muss dieses Buch wieder finden, verdammt noch mal!" Fluchend stand sie auf und lief mehrere Male hin und her. Bis Jin sich wieder beruhigt hatte, kaute Miyako fiebernd an ihren Nägeln und dachte angestrengt nach. Wo war das Buch? Jin blieb plötzlich stehen und man sah, dass ihr Gesicht einen Ausdruck von Entschlossenheit annahm. "Ich finde dieses Buch! Und wenn ich jeden einzelnen Stein in diesem Kaff umdrehen muss!", murmelte sie eisern und ballte dabei ihre Fäuste. Sie fixierte Miyako. "Du hast gesagt, vom Tempel aus haben wir den besten Ãœberblick. Wir sind also praktisch da! Nun, weißt du wo du gewesen bist? Ich brauche dieses Buch! Wenn ich es nicht finde, dann..." Sie drehte sich ruckartig um und schrie in einen Teil des Dorfes hinein. "Dann sollten diese Kreaturen BETEN, dass sie mir nicht über den Weg laufen!" In Jin's Augen funkelte etwas Furcht einflößendes. "Jetzt beruhige dich!" Miyako packte ihre aufgebrachte Freundin bei den Schultern. Sie versuchte Jin zu besänftigen. "Also pass auf, wir kamen von der Quelle... Das ist dort." Sie deutete hinter sich und Jin folgte ihrem Fingerzeig. "Den Weg den wir gegangen sind als wir die Quelle gesucht haben war von..." Miyako sah sich um. "Da. Da hinten sind wir her gekommen.", meinte sie und deutete nach rechts. Die Chinesin setzte sich schlagartig in Bewegung und Miyako trottete hinterher. Jin's Schritt war schnell und entschlossen. Ihre Freundin seufzte lautlos. "Hmm....warte kurz!", bat sie die Chinesin, die sich ungerne stoppen ließ. Doch Jin blieb einige Meter entfernt dann doch stehen und drehte sich genervt um. Miyako stand vor einem weiteren kleinen Haufen aus Schutt und Holz. Auch hier bewegte sich die Luft, es waberte auffällig je näher man dem Häufchen kam. Man konnte sogar den Umriss des Gebäudes, dass dieser Haufen mal gewesen war, ausmachen. Sie betätigte den Auslöser der Kamara. Auf dem Bild, dass sie kurz darauf in den Händen hielt, war wieder ein Schrein abgebildet. Diesmal war alles in einem gräulichen, hellen Ton gehalten, auf der Schatulle, die auf dem dortigen Tisch stand, waren alle Ornamente und Beschläge aus Eisen. "Metall" stand auf der großen Holzkiste. "Hmm... Der Boden dort war so hart, und so viele Steine standen auch rum. Ich glaube wir sind auf dem richtigen Weg." Miyako packte das Foto und die Kamara ein und folgte Jin. Entschlossen bahnte sich Jin ihren Weg nach vorne. Was nicht so schwer war, denn die gepflasterten Wege ließen keine Form von hoch stehendem Unkraut zu, im Gegensatz zu den Zwischenräumen außen am Weg oder zwischen den Gebäuden. Jin betrachtete wütend ihre Umgebung. Sollte bloß etwas auftauchen, sie wusste genau, was sie mit so einer Kreatur im Moment machen würde: rösten. Ihr seid schuld, wenn mein Buch weg ist! Ack!, fluchte sie innerlich und stapfte ihrer Freundin nach vorbei an den Hausmauern und an den Felsblöcken dazwischen. Kurz darauf blieb Jin an einem eher größeren Gebäude stehen. Die Löcher dort waren so groß, man konnte problemlos ins Innere blicken. Als die Chinesin sich gegen die Wand dort lehnte spürte sie zu ihrem Missfallen, dass die Mauer nachgab! "Woah!" Schnell sprang sie zurück. Staub wirbelte auf und ein lautes Klackern und zermürbendes Krachen war zu hören. Beide Mädchen husteten. Als sie wieder sehen konnten, kam hinter der eingestürzten Mauer ein Amboss zum Vorschein, ein Werkzeug dass man einst zum Schmieden von Werkzeugen, Waffen, Schildern und Rüstungen verwendete. Miyako hustete stark und blinzelte Jin etwas sauer an. "Wir waren grade sauber!", beschwerte sie sich und schüttelte sich den Staub vom Sweatshirt. "Lass uns weiter gehen... Aber vielleicht können wir das da drin noch brauchen.", meinte die Japanerin dann und klopfte sich den Staub von der Hose. Kurz darauf erreichten sie einen kleinen Platz um den ein paar Häuser standen. "Okay, hier hast du mich gefunden. Da hinten lag ich.", stellte Miyako fest und ging zu dem Platz. Man konnte noch ein paar Spuren der verfaulten Leichenteile ausmachen, doch der Geruch war Gott sei Dank schon verflogen. Miyako ging in die Hocke und suchte den Boden nach etwas Buch-ähnlichem ab. Jin tat es ihr gleich und suchte ebenfalls die Gegend ab, doch sie konnte beim besten Willen nichts finden. Verzweifelt begann sie tatsächlich auch einige Steine auf die Seite zu räumen, obwohl sie innerlich froh war, nichts darunter finden zu können. Nach einer Weile ließ sie sich auf den Hintern fallen und hielt den Kopf zwischen den Händen. "Wenn das meine Verwandten erfahren.", stöhnte sie. "Die wollten schon immer das Buch in ihrem eigenen Besitz wissen... Jetzt haben sie ja den Beweis, dass ich nicht darauf aufpassen konnte." "Mach dir nichts draus... Vielleicht finden wir es ja wo anders, es kann ja überall liegen. Wegkommen tut es sicher nicht. Wer soll es bitte aus dem Dorf mitnehmen?" Die letzten Worte betonte Miyako um Jin klar zu machen, dass sie die Einzigen hier waren. "Lass uns wieder zurückgehen, ich glaube Fukada möchte, dass ich noch mehr von diesen Haufen knipse." Mit diesen Worten nahm sie ihre Freundin bei der Hand und schleifte sie hinter sich her. Jin gefiel das zwar gar nicht, aber Mi hatte recht: Dem Buch würde vorläufig nichts passieren. Denn Geister können ja nichts tragen. Oder? "... Scheint als müsste ich bald wirklich jeden Stein umdrehen...", meinte Jin schließlich mit einem erzwungenen Lächeln. Sie hoffte wirklich, dass sie das Buch wieder beschaffen konnte, sonst würde sie sich für das nächste Familientreffen eine WIRKLICH gute Geschichte einfallen lassen müssen. "Tut mir wirklich schrecklich leid, aber ich hab das Buch in der Vergangenheit verloren als ich von unzähligen Bestien verfolgt wurde", würde ihr wohl kaum einer abnehmen - obwohl es der Wahrheit entsprach. Mit einem schweren Seufzen folgte sie ihrer Freundin. "Woher weißt du eigentlich so genau wo du hin musst?", fragte sie nach ein paar Minuten. Miyako lächelte wissend. "Hast du nicht gesehen oder? Je näher ich den Haufen komme, desto sichtbarer wird eine Art Verschiebung in der Raum-Zeit Darstellung. Dr. Aso hat das kurz erläutert, sehr wissenschaftlich und hochgestochen allerdings. Es ist für den Betrachter ein Hinweis, dass sich hinter dem Gegenstand, den man betrachtet, noch ein anderes Bild verbirgt. Die Dinge scheinen nicht immer die zu sein, die man auf den ersten Blick sieht. Die Haufen waren Schreine, und dass wollen sie auch mitteilen. Irgendwie seltsam, aber es ist wohl so." Miyako kratzte sich kurz am Nacken. "Das Buch des Völkerforschers ist außerdem eine große Hilfe. Mit den Aufzeichnungen weiß ich, was sich wo befindet, zumindest ungefähr, weißt du? Du solltest es wirklich mal lesen, in Ruhe... Dann kannst du mir sicher besser folgen." Jin lächelte. Mi hatte Recht. Etwas unlogisch und kompliziert schien ihr das Ganze schon. "Mal sehen, man hat ja Zeit.", witzelte sie leise. Miyako nickte belustigt. "Ich werde jetzt mal weiter solche Verschiebungen suchen und abfotografieren. Das sind immerhin nützliche Hinweise. Wenn ich das gemacht hab, werd ich mir Notizen in meinem Buch machen.", verkündete sie stolz. Sie war noch nicht dazu gekommen, das was sie erlebt hatte, aufzuzeichnen. Doch sie fand, jetzt war der perfekte Zeitpunkt um das Buch, dass ihr Jin geschenkt hatte, einzuweihen. Beide gingen wieder in Richtung des Tempels und diesmal umrundeten sie ihn fast ganz. Miyako nahm sich nach und nach alle kleinen Gebäude rund um den Hügel vor. Und tatsächlich, dort verschwamm die Luft, als wäre ein durchsichtiger Schleier über dem Haufen. Jin war fasziniert. "Cool!", meinte sie nur. Insgesamt fünf Fotos zählte Mi später, als sich die Beiden auf einer Steinbank niederließen. "Wasser, Metall, Holz, Erde und Feuer." Miyako breitete die Bilder auf ihrem Schoß aus. "Darum heißt es wohl Yósomura. Die legen wohl Wert auf die Elemente?" Jin kratzte sich nachdenklich. Nach einem Moment der Pause fügte sie dann hinzu: "Ich wusste gar nicht, dass der fünf-Element-Glaube in Japan vertreten war... Allerdings wenn wir dem Glauben schenken dürfen, dann... Moment, wir kamen von der Quelle, als dieser Fukada das erste Mal aufgetaucht ist ja? Und wir haben den Wasserschrein fotografiert, der lag in der selben Richtung. Das heißt... Dieser Garten von dem du gesprochen hast, der müsste dann logischerweise entweder bei Erde oder bei Holz liegen..." Sie blickte ihrer Freundin in die Augen und stemmte schließlich die Hände in die Hüfte. "Also? Wohin gehen wir zuerst?" Im Augenblick konnte sie nicht wirklich etwas tun, um ihr Buch wieder zu finden. Also konzentrierte sie sich jetzt umso mehr auf dieses Dorf. "Ääääh.... Holz.", bestimmte Miyako. Sie legte die Bilder in ihr Buch und notierte sich kurz, wie das Dorfzentrum angeordnet war, damit sie nachher nicht den Ãœberblick verloren. "Dann wissen wir ja, wohin wir gehen müssen.", lächelte sie. Die Chinesin stand auf und ging in Richtung eines kleinen Schreins, dessen milchig grüne Ziegel einen Haufen vor dem Altar bildeten Viele waren zerkratzt, staubig oder in winzige Teile zerbrochen. Aber sie waren grün. Wie die Blätter eines Baumes. Holz... "Let's go! Auf zum Garten!" Jin sprühte vor Energie. Jetzt war es an der Zeit sich dieses alte Dorf mal näher anzusehen, soviel stand fest. Beide marschierten den Hügel hinunter und bogen gegenüber des "Metall"-Pfades ein. Man konnte sofort erkennen, dass es sich hier um die richtige Richtung handelte: überall seitlich waren Holzbegrenzungen, die den gepflasterten Weg von den vielen Gartenfeldern trennten. Sie wirkten etwas vermodert, aber waren doch recht gut erhalten. In den vielen Abteilungen, die die Mädchen als große japanische Gartenanlage deuteten, mussten früher viele Pflanzen gewachsen sein, alles war japanisch getrimmt gewesen, das Gras war kurz und saftig, die Blüten bunt, die Bäume groß und schattenspendend gewesen. Da und dort entdeckten die Mädchen zwischen Unkraut und überwucherten Büschen umgestürzte Steinlaternen, die wohl Abends ein wunderschönes Licht über den Weg verbreitet hatten. Jetzt war jedoch alles überwuchert, abgesehen von den Steinplatten, doch selbst die waren mit Moos bewachsen, einige besonders starke Pflänzchen bohrten sich durch die feinen Ritzen zwischen den Tuffsteinen hindurch. Jin betrachtete diese ganze unruhige Vegetation und trottete weiter. Miyako fühlte, dass ihre chinesische Freundin so schnell wie möglich des Rätsels Lösung finden wollte, also hatte sie keine Zeit sich umzusehen." Sind wir bald da?", fragte sie Miyako über ihre Schulter hinweg. "Naja, das weiß ich nicht so genau. Aber ich glaub nicht mehr lange." Kaum hatte sie diesen Satz gesagt, standen die beiden Mädchen vor einem großen, schmiedeeisernen Tor. Kunstvoll verziert mit kleinen Jadesteinen baute es sich vor ihnen auf. Am Boden lag, wie Fukada beschrieben hatte, die zerbrochene Steintafel. "...Das Schild an dem schweren Eisentor ist heruntergefallen und zerbrochen, aber ich kann dennoch lesen, was darauf steht. Dies ist der "weiße Garten". Er ist wirklich wahrlich ein wunderschöner Garten. Zwar sieht man auch hier Spuren der Verwüstung, doch die Bäume sind wie durch ein Wunder erhalten geblieben..." Die Mauern links und rechts neben dem Tor waren aus grob behauenem Basaltsteinen, gebettet in hellem Lehm. Sie glänzten feucht, als hätte es eben erst geregnet. An vielen Steinen wuchsen Moose und Flechten in allen Farben und Mustern, sie überwucherten die Mauer an einigen Stellen fast gänzlich, während sich am Fuße der Mauer Gräser, einen halben Meter hoch, unbändig erhoben und den Boden überwucherten. Zögerlich öffnete Jin die Tür, indem sie sich gegen sie lehnte. Hinter dem Tor waren schöne, große flache Steine in den Boden eingearbeitet worden. Wie ein kleiner Weg führten sie tief in den großen Garten hinein. Die Steinplatten, ebenfalls überwuchert führten über einen kleinen Hügel, von dem man etwas weiter hinten eine Wolke aus undurchdringlichem weiß, fast wie Zuckerwatte, sehen konnte - die Kirschbäume. Die Mädchen gingen ein Stück voran. Links und rechts neben ihnen wuchs alles durcheinander, Moose, Farne, Sträucher. Azaleen und Trauerweiden wiegten sich leicht im Wind und überall standen große Felsen, die bewachsen wurden von grünen Moosen und silbernen Flechten. Zwischen drin standen ein paar Steinlaternen aus Granit, gesprenkelt und auch bewachsen. Die jungen Frauen standen außerhalb der Steinplatten, die etwa 50 cm groß sein mussten, fast knietief in der Vegetation. "Wow... Soviel zum weißen Garten." Jin bahnte sich einen Weg durch das hohe Gras, langsam erreichten sie die Spitze des Hügels. Vor ihnen erstreckte sich der Weg, bis hin zu einem kleinen Haus. Es war heruntergekommen und man konnte nur noch erahnen dass es auf Stelzen stand, so hoch waren die Büsche dort gewachsen. Zwischen ihnen und dem Häuschen wiegten sich die Kirschbäume im Takt des Windes. "... Die Kammer ist wie ein kleiner Schrein, der auf Stelzen steht. Es scheint mir fast wie ein Gefängnis, denn ich kann keine Fenster ausmachen..." Die Mädchen wussten jetzt, wieso dieser Garten "Shiori Garten" genannt wurde. Blütenblätter wurden vom Wind davongetragen und hüllten alles in ein wunderschönes Weiß, schöner als jeder Schneefall es könnte. Der Boden war übersät von den kleinen herzförmigen Blättern und auch die Steinplatten waren dort kaum auszumachen. Im Gegensatz zum übrigen Garten wirkte dieser Bereich jedoch nicht verwildert. Das Gras sah aus, als wäre es frisch geschnitten, und auch die Sträucher und Büsche wirkten gepflegt. Ganz so, als wäre die Zeit stehen geblieben. Miyako's und Jin's Augen glänzten bei diesem märchenhaften Anblick. Der Garten war nicht so groß, wie es die wuchtigen Mauern zunächst vermuten ließen, doch er machte dies durch seine Vielfalt an Pflanzen wieder wett. Die Kirschblüten regneten unaufhörlich und die Äste knarrten leicht im Wind. Fast wie ein Lachen lag etwas hier über dem Kirschbaumwald, durch den der Pfad aus Tuffsteinen führte. "Wie schööööön..." Miyako breitete vor Begeisterung die Arme aus, um einige Blütenblätter zu fangen. Der weiße Regen deckte fast den gesamten Boden ein. Doch nach ein paar Schritten fühlte sie eine unheimliche Kälte aufsteigen. "Es ist wie in dem einen Film, den ich mal gesehen hab, wo die Leute andauernd Halloween feiern und alles so schaurig schön ist.", flüsterte sie. Die Bäume strahlten etwas Totes aus, obwohl sie in voller Blüte standen, oder gerade deshalb? Unter den Bäumen war es merklich dunkler geworden, daher nahm Jin ihre Taschenlampe aus Miyako's Tasche und leuchtete den Weg ab. Hin und wieder wehte eine Brise und Kirschblüten schwebten vorbei. Während sie dem kleinen Gebäude immer näher kamen, merkte Miyako, dass die Kirschblüten nun immer zahlreicher von den Bäumen herabsegelten, als wollten sie verhindern, dass es weiter ging. Die Sicht verschlechterte sich zusehends und man konnte kaum atmen, ohne Kirschblüten in Mund oder Nase zu bekommen. Jin zog ihr T-Shirt hoch und verdeckte sich damit Nase und Mund. Dann bedeutete sie ihrer Freundin, das selbe zu tun. Kaum hatten sich beide von der Kirschblütenattacke geschützt, war es ihnen, als würde jemand mit ihnen gehen. Sie erstarrten. Ãœber Jin's Nacken lief ein eisiger Schauer der sich bald über ihren ganzen Rücken ausbreitete. Miyako atmete leise und starrte angestrengt durch das dichte Weiß in der Luft. "Wa... rum...?", röchelte es hinter ihnen. Jin wagte nicht sich umzudrehen. Doch links und rechts von ihrem Gesicht glitten langsam zwei durchsichtige Arme an ihr vorbei, die Arme wiesen Kratzspuren, Verbrennungen auf. Man konnte sogar sehen, dass teilweise Fleischstücke herausgerissen waren. Ein schauriger Anblick. "...Ich fühle mich immer mehr beobachtet. Manchmal bekomme ich solche Angst, dass ich am liebsten davon laufen würde.... Es ist seltsam..." "JIN!", schrie Miyako panisch und wühlte in der Tasche nach ihrer Kamera. Wieso hatte sie sie auch abgelegt?! Dies löste die Erstarrung der Chinesin. In letzter Sekunde duckte sie sich unter den Armen hindurch, die sie von hinten umarmen wollten. Jedoch wurde sie dennoch vom Körper des Geistes gestreift. Ihr Atem stockte und sie hörte ihren eigenen Pulsschlag und den des Geistes in den Ohren, während es sich gleichzeitig anfühlte als würden ihr Blut zu Eis gefrieren. Mit einer Hand über ihrem Herzen stolperte sie zu Boden und rang nach Luft, immer noch den Herzschlag in ihren Ohren hörend, der langsam in ein Rauschen überging. Hinter ihr ging das erste Blitzlicht los, gefolgt von einigen anderen. Immer wieder schrie der verstorbene Mann auf. Es war ein unmenschlicher Schrei der durch Mark und Bein ging, doch letztendlich begann auch er sich aufzulösen. Kaum war der Geist weg war Miyako auch schon an Jin's Seite und half ihr wieder auf die Beine. "Wie geht es dir?", fragte sie besorgt. "I-Ich hasse... G-Geister...", brachte die Chinesin Zähne klappernd hervor. Als sie wieder auf ihren Füßen stand begann das Gefühl zu verschwinden, genau so verklang das Rauschen in ihren Ohren - doch sie würde dieses Erlebnis definitiv nie mehr vergessen können. Miyako hielt das Foto in Jin's Licht und Beide mussten beim ersten Anblick schockiert wegsehen. Im fahlen Licht war der Geist nicht so gut zu erkennen gewesen, doch jetzt war deutlich erkennbar dass der Mann nicht nur längliche Streifen Fleisch herausgerissen worden waren, sondern dass er regelrecht zerfleischt worden war. "Bestrafter Gärtner", lasen die Beiden am unteren Bildrand. Miyako erschauderte. Der Blütenregen hatte mittlerweile nachgelassen, zum Glück. Sie schluckte ihren Ekel hinunter und steckte das Foto zwischen die Seiten ihres Buches, dort wo auch die bisher gemachten Bilder ruhten. Auch Jin hatte sich inzwischen wieder gefangen und schüttelte sich die Blütenblätter aus den Haaren. Der Wind rauschte durch die Verästelung der japanischen Kirschbäume. Es tat fast weh in den Ohren, so heftig stieg das Geräusch plötzlich an. Miyako nahm Jin bei der Hand. Sie fühlte, wie ihrer Freundin jetzt zu Mute sein musste. Diese Erkenntnis über den Schmerz, den der Geist hervorrief, den der Geist auch empfand und weitergab beim Kontakt mit ihnen, die ruhte jetzt tief in Jin's Inneren. "Geht es wieder?", fragte sie vorsichtig. Jin nickte tapfer. Ihr tat immer noch der Brustkorb weh. Aber was jetzt langsam noch mehr herausstach, war die Traurigkeit, die sie überfiel. Der Mann tat ihr leid. Sie schluckte den dicken Kloß in ihrem Hals hinunter und ging weiter in Richtung der Kammer. Beide Mädchen fieberten dem Ende des gepflasterten Weges entgegen. Das, was Fukada über die Kammer geschrieben hatte, hallte in Miyako's Kopf nach. "...Es scheint mir fast wie ein Gefängnis, denn ich kann keine Fenster ausmachen... Wenn ich sie betrete fühle ich mich seltsamerweise sicher. Obwohl es keinen Grund gibt, denn manchmal da...höre ich ein Wispern, ein Kichern..." Im selben Moment hörten die Beiden ein leichtes Kichern. Es war hoch und hell, wie das eines Kindes. Die Mädchen fuhren erschrocken herum. Doch da war nichts. Jin kramte in Miyako's Tasche nach "ihrer" Kamera, denn sicher ist sicher. Das Kichern war aber so plötzlich wieder weg, wie die jungen Frauen es vernommen hatten. Sie gingen weiter. Vor ihnen war nun die Kammer. Fukada hatte recht: Keine Fenster, nur eine Tür, doch diese war mit einem großen schweren Schloss versiegelt. Das Weiß der Kammer war mittlerweile ergrünt, von Schimmel und Moosen aller Art. Und doch, sie strahlte Ruhe aus. In mitten dieses Urwaldes, wo alles durcheinander war, schien dieses kleine Gebäude das Einzige zu sein, das wirklich die einstige Sanftheit und die Schönheit des Gartens widerspiegelte. Miyako stieg die Holztreppe hinauf. Diese knarrte und ächzte unter dem Gewicht der Japanerin. "Sei vorsichtig, die ist morsch!", wies Jin sie an. Ihre Freundin lehnte sich unten an die Leiter, um eventuell, sollte Mi stürzen, da zu sein um sie auffangen zu können. Miyako studierte das Schloss der Tür und stellte fest, dass dieses geöffnet war. Zögernd gab sie der aus feinen Holzbrettern genagelten Tür einen Schubs. Die Tür quietschte laut, die Scharniere waren ziemlich rostig. Im Inneren war es dunkel. Einen Moment lang fühlte das Mädchen eine Aura ganz nah vor ihr. Als würde sie jemand betrachten, genau so wie Miyako den Raum betrachtete. Dann war die Aura weg. "Gib mir mal Licht.", bat Mi ihre Freundin. Jin reichte die Taschenlampe hoch und sah sich dann immer wieder, wie ein Bodyguard, genau um, betrachtete jeden Winkel des Gartens um rechtzeitig reagieren zu können, sollte irgendjemand, irgendetwas auftauchen. Miyako leuchtete in die dunkle Kammer hinein. Innen drin war alles ausgepolstert, die Wände, der Boden sogar die Decke. Und Fukada hatte nicht gelogen. Die Wände und die Decke waren mit Seidenstoff bezogen, auf denen silberne Schriftzeichen eingestickt waren. Bannsprüche, ganz offensichtlich. Doch Miyako konnte hinten in der Kammer ein kleines, mit einem weißen Gitter versehenes, Fenster ausmachen, von etwas Licht der Dämmerung hereinfiel. In der Kammer lagen noch einige Kissen herum, große flache Sitzkissen, die mittlerweile aber vergammelt waren. Eine Schale, die wohl eine Trinkmöglichkeit war, ein kleiner niedriger Tisch, auch in weiß mit Stoff bespannt und ein Futon, auch weiß mit Satin und silbernen Stickereien befanden sich auch in dem kleinen Raum. Alles wirkte rein, unschuldig, ganz so wie eine Braut an ihrem Hochzeitstag. Miyako nahm in der Kammer Platz und fühlte sich mit einem Mal sicher. Sie vernahm ein Wispern, ein leichtes Gurgeln, doch es machte ihr keine Angst. "Shen... mi... tsuya... bo...ku...", flüsterte es links neben ihr. Miyako rollte ihre Augen nach rechts. Da saß ein Kind! Miyako kreischte auf. "Was ist?", kam es draußen sofort von Jin. Die Chinesin schlüpfte ebenfalls in die Kammer. "Shhh...." Miyako legte einen Finger auf ihre Lippen und bedeutete Jin, nicht laut zu sein. Im Licht der Taschenlampe konnte die junge Frau nur ihre japanische Freundin sehen, doch hielt sie die Taschenlampe weg, war da noch jemand. Ein Kind! Jin riss ihre grünen Augen auf, fast wäre sie aus der Kammer gepurzelt, stand sie ja noch halb auf der Holzstiege. Miyako saß lächelnd auf ihren Fersen, das Kind neben ihr, auf einem imaginären Kissen gebettet, tat das selbe. Es hatte die Augen geschlossen und trug nichts weiter als einen einfachen weißen Kimono. Die Haare des Mädchens waren schwarz und wiegten sich leicht hin und her. Miyako empfand jedoch keine Furcht. "... Wenn ich sie betrete fühle ich mich seltsamerweise sicher. Obwohl es keinen Grund gibt..." "...Doch, es gibt einen Grund. Hier drin ist alles gut. Hier drin kann niemandem etwas passieren.", setzte Miyako den Gedanken von Fukada fort. Jin begriff langsam. Dieses Kind hatte sich hier drin so wohl gefühlt, es war als Geist hier her zurückgekehrt. Das Mädchen öffnete nun seine Augen. Sie waren glasig grün, so hell und leuchtend, dass sie wie der Schein des Mondes wirkten, der mittlerweile aufgegangen war. Das Mädchen stand auf. Im Gegensatz zu den beiden jungen Frauen konnte es hier aufrecht stehen und wanderte zum kleinen Tisch hinüber. Das plötzliche Aufflattern eines verschreckten Vogels zerriss dieses seltsam idyllische Szene mit einem Mal. Das Kind war weg und Miyako saß alleine in der kleinen Kammer. Unruhig suchte sie die Wände ab, aber nichts war zu sehen. Etwas enttäuscht über die Kürze dieses magischen Momentes seufzte sie und Jin schüttelte den Kopf. "Mi, so gern ich dich hab, aber du bist manchmal echt nicht ganz koscher.", lächelte sie in den Raum hinein und leuchtete die Wände mit der zweiten Stablampe ihrerseits ab. Als der Lichtkegel der Taschenlampe jedoch auf den niedrigen Tisch traf, rief Miyako laut "Halt!" Sie krabbelte dorthin und sah angestrengt unter der Holzplatte nach. "Ha!" kam es Sekunden später und Jin fragte sich, welches gruselige Ding Mi jetzt wieder ausgemacht hatte. Die junge Japanerin zog stolz ein zerschlissenes Stück Papier hervor. "Was'n das?" Jin leuchtete auf das Papier und Miyako las leise vor, während sie sich wieder auf ihre Fersen setzte. "...20. Mai, Meiji 3. Heute soll ich in der Kammer übernachten. Aber ich habe Angst. Hier drin soll es dunkel sein und die Kinder im Dorf erzählen viele Gruselgeschichten darüber. Der Gärtner ist aber nett, er lächelt immer so freundlich, wenn er im Garten die Büsche schneidet. Ich mag ihn, auch wenn er sehr alt ist und nicht so schön. Jetzt sitze ich doch in der Kammer. Diese ollen Priester haben mich hierher gebracht und essen darf ich auch nichts. Sie sagen, hier wird meine Seele gereinigt und ich soll mich auf morgen vorbereiten um meiner Aufgabe, dem Dorf Wohlstand zu bringen, entgegen zu treten. Ich hätte gerne noch Oma und Opi-chan besucht, aber das geht ja jetzt nicht mehr. Ich wollte noch ein Räucherstäbchen anzünden und für sie beten. Wahrscheinlich schauen sie mir jetzt vom Himmel aus zu. Hmm... Langsam wird es hier immer gemütlicher, seltsam, als ich drin war hatte ich noch Angst. Es ist schön hier. Aber dunkel. Aber der Gärtner ist ja da, vielleicht frage ich ihn um etwas zu trinken..." Die Japanerin ließ das Blatt sinken. "Eine Notiz von einem Kind, dass hier drin war." Sie kletterte langsam wieder aus der Kammer heraus. Schlagartig verließ sie die innere Ruhe und sie hörte wieder die unheimlichen Geräusche der Nacht begleitet vom Rauschen der Kirschbäume, die im Wind hin und her schaukelten. "Hmm... Ich denke mal, dass sie zum Friedhof wollte. Aber wo ist der?", folgerte Jin nach einer Weile, als sie schon beinahe wieder aus dem wundervollen weißen Garten hinausgegangen waren. "Willst du denn zum Friedhof?" Miyako war erstaunt. Normalerweise war Jin sehr skeptisch gegenüber neuen Wegen und plötzlichen Planänderungen. "Naja, wenn die Kleine jetzt da hinlaufen könnte, würde sie es doch tun oder? Also laufen wir da hin und suchen das Grab. Ja... nur welches?" Jin verstrickte sich immer mehr in Vermutungen, so dass sie es lieber vorzog, erstmal angestrengt nachzudenken. Miyako tätschelte die Hand ihrer Freundin. "Denk mal nach. Wo kann man einen Friedhof finden. Und was ist ein Friedhof?" Sie stupste Jin in die Seite. "Ich weiß nicht... Vielleicht... Ah! Erde!" Jin's Augen leuchteten angesichts des gelösten Rätsels. "Auf zum Friedhof, vielleicht liegt da ja auch mein Buch rum! Wehe wenn ich das nicht wieder finde!", zeterte sie und marschierte siegessicher voran. Miyako band ihre Haare zu einem Zopf zusammen und bettete die Notiz des Kindes sicher zwischen die Seiten ihres Buches. Kurz darauf waren die zwei Mädchen wieder mitten im Dorf, am Tempelgebäude. Miyako warf einen kurzen Blick in das purpurfarbene Buch und deutete dann auf den Weg neben dem Metallpfad. "Erde" wiederholte sie nochmal und die jungen Frauen stapften vorbei an einem Schutthaufen, der am kleinsten von den fünf war. Das Häuschen hier stand noch fast vollständig, wie durch ein Wunder. Man konnte sehen, dass es sehr schlicht war, in verschiedenen braun- und cremetönen gehalten und mit dunklen Keramikziegeln geschmückt war. Die Reise ging also weiter. Und langsam dämmerte es Jin, wo sie diese Umgebung schon mal gesehen hatte. "Hey, kommt dir das nicht auch bekannt vor?", murmelte sie und Miyako nickte stumm. Aus dieser Richtung waren sie hier ins Dorf gelangt. An einer der Steinbänke machte Miyako halt um sich umzusehen. Definitiv, hier hatte die zerdrückte Frau eine "Rast" eingelegt. Nach weiteren zehn Minuten Fußmarsch durch das zerstörte Dorf hatten sie dessen Ende beinahe erreicht. Und Beiden fiel diesmal auf, dass, je weiter sie nach außen gingen, desto weniger Schaden trugen die Häuser und deren Mauern. Seltsam. Kurz darauf hielt Jin vor einem Wegweiser, der in der Nähe eines kleinen Steinwalls stand, an. Der Wegweiser war aus einem Granitpfahl, den man tief in die Erde getrieben hatte. Da er sehr weit außerhalb stand, schien er nicht einen Kratzer abbekommen zu haben. Lediglich die Holztafeln waren sehr morsch und die eingebrannten Zeichen darauf schwer zu entziffern. "Zum göttlichen Dorf", las Jin laut vor. Darunter war ein anderes Holzbrett in einen Steinrahmen eingefasst. Dieser war pfeilförmig und zeigte in eine andere Richtung: "zum Friedhof der elementaren Ruhe", entzifferte sie mit Mühe. Noch ein Schild darunter, dass in etwa in die selbe Richtung zeigte, las die Chinesin: "Zaòmura" Bei Miyako klingelte es. "Zaòmura ist das Nachbardorf von Yósomura!", rief sie erfreut über diese Erkenntnis aus. "Also gut, dann auf zum Friedhof." Jin setzte sich in Bewegung, mit Taschenlampe und einer gehörigen Portion Entschlossenheit ausgestattet trottete sie über den Lehmweg. Miyako folgte ihrer Freundin etwas unschlüssig. Doch schließlich wollten sie ja vorwärts kommen. "Scheiße!!!" hörte die Japanerin es plötzlich von vorne. Jin hatte sich schon einige Meter entfernt und kam jetzt wieder zurückgelaufen. "OH VERDAMMT!!!", brüllte sie und Miyako erkannte den Grund ihrer lauten Flucherei: Hinter ihr stand... Ein... Felsen. Ein Felsen?! Wahrhaftig, ein großer Klotz mit Armen und Beinen, alles aus einem riesigen Block Granit. Ein Golem, wie man sie aus Fantasy Romanen kannte. Jedoch hatte dieser Block nichts friedfertiges an sich. Jin zerrte Miyako heftig am Arm, riss sie mit sich. Beide Mädchen rannten was das Zeug hielt und schlugen einen weiten Bogen Richtung Wald ein. Der Granitfelsen kam allerdings immer näher und brüllte laut hinter ihnen nach. "Und ich hab mein Buch nicht dabei, so ein verdammter Mist! Mi! Was sollen wir machen?!" Miyako schrie zurück: "Ich weiß es nicht! Ich weiß es nicht!" Beide stolperten durch den Wald, ein paar Mal blieb Jin mit ihrer Hose an Dornenranken hängen, doch es reichte jedes Mal um rechtzeitig dem Golem zu entkommen. "Was ist das für ein Ding? Was will es denn von uns?" In Miyako's Stimme breitete sich panische Verzweiflung aus. Jin stützte ihre Freundin, die beinahe zusammengebrochen wäre, so gut es ging. "Wenn ich golemisch könnte, würde ich ja fragen!", schrie sie in den Wald hinein. Man hörte das Knacken von Holz. Der Granitklotz bahnte sich unbarmherzig seinen Weg durch den Wald, in dem sich die Mädchen befanden. Er knickte einen Baumstamm nach dem anderen um und ließ sein tiefes hohles Gelächter erklingen. Miyako rannen Tränen über die Wangen, aus Angst und Verzweiflung nahm sie einzelne Holzstücke, die am Boden lagen und warf sie nach dem Monster. "Geh weg! Geh weg!!!" Hysterisch schluchzend warf sie dem Granitblock alles entgegen, was der Waldboden herzugeben hatte. "Lass mich!" Jin stieß Miyako zur Seite und rannte todesmutig auf das Felsenmonster zu. Mit einem unsanften Ruck riss sie sich den Haargummi aus ihren schwarzen dichten Haaren und baute sich vor dem Granitfelsen auf. "So du mutierter Wetzstein, jetzt zeig ich dir mal was ich von deinem Auftritt halte!", brüllte sie den Granitfelsen an, der sich bedrohlich über sie gebeugt hatte und mit einem seiner Arme nach ihr ausholte. "JIN!!!" Miyako brüllte wie am Spieß. Jin würde zerschmettert werden, wenn sie nicht auswich... Ein wuchtiges Geräusch erfüllte den Wald, ein schrilles Lachen, gefolgt von einem Schrei. Dann hörte man ein unmenschliches Brüllen. Miyako wagte nicht die Augen zu öffnen, doch ihre Neugierde und ihr Drang zu Ãœberleben waren größer. Doch was sie dort sah, ließ sie erneut in Tränen ausbrechen. Laut hallte der angsterfüllte Schrei der jungen Frau durch den dunklen Wald... Chapter 3 || cry of a lost soul a.k.a. The return ~soleil~ (2 von 3) -------------------------------------------------------------------- Liebevoll schenkt sie mir nach, den Ärmel zur Seite geschoben. Ihre außergewöhnlichen, hellen Augen verfolgen die Bewegungen meiner Hände. Ruhig nehme ich den kleinen Becher voll Sake und hebe ihn an meine Lippen. Dann reiche ich ihn an sie weiter. Sie senkt den Blick und lächelt zärtlich, als das würzige Getränk ihre roten Lippen benetzt. Sie kniet neben mir und wir unterhalten uns, während leise Musik aus der Mitte des Raumes ertönt. Zwei junge Geishas in festlich bunten Kimonos tragen ein Stück vor. "Regen im Kirschblütendorf", so heißt es und wird mit einem Shamisen, einer Flöte und einer Koto, einer japanischen Zitter, vorgetragen. Sie neigt den Kopf zu Seite und wir lauschen dem Spiel, das an die Anmut und Lieblichkeit meiner Begleiterin nicht herankommt. Hatsukiko. Hatsukiko, das bedeutet "Blühender Baum im Sommerwind". Ein schöner Name, für eine schöne junge Frau. Eine Frau, die ich so unglaublich anziehend finde. Doch ich darf nicht, ich darf es nicht zeigen. Nicht hier. Für einen Moment werde ich traurig. Hatsukiko beobachtet mich aufmerksam. "Herr, ist etwas nicht in Ordnung?", fragt sie mit ihrer angenehmen, hellen Stimme und streicht ihren Ärmel etwas zur Seite, um mir erneut etwas Sake einzuschenken und mir ein Stückchen Nigiri auf die Stäbchen zu nehmen. Ich danke ihr kurz und leere den kleinen mit Sake gefüllten Becher in einem Zug. "Ach, es ist nichts, Hatsukiko. Ich finde dieses Stück nur irgendwie bedrückend." Sie schweigt kurz, dann legt sie den Kopf wieder zur Seite. "Oh ja, manchmal ist es wirklich bedrückend, auch für mich. Aber dann..." Sie erzählt weiter und ich höre schon nicht mehr zu. Ach, wie ich sie liebe, wie ich sie begehre. Und ich kann es ihr nicht zeigen. Ich darf nicht. Ich drehe mich zu ihr um und neige mich ihrem wundervoll geformten Ohr entgegen. "Ich möchte etwas nach draußen gehen. Mir ist zu heiß hier drin.", meine ich und lehne mich wieder zurück um noch schnell einen Happen geräucherten Fisch mit Ingwer in meinen Mund zu schieben. Ihre großen, grau-blauen Augen auf mich gerichtet, zögert sie kurz ehe sie nickt. Dann erhebt erst sie sich, danach stehe ich auf. Wir entschuldigen uns und sie verbeugt sich leicht um vor mir aus dem Raum zu gehen und mir an der Schwelle die Schuhe anzuziehen. Nachdem wir beide aus dem großen Teehaus gegangen sind, gefolgt von neugierigen Blicken der Dienstmädchen, stehen wir auf der Seitenstraße, die zum Teehaus führt. Hatsukiko schreitet neben mir her, ohne langsamer oder schneller zu werden. Wir unterhalten uns über Dieses und Jenes und ich beobachte ihren zierlichen Körper unter den vielen Schichten an edlen Stoff, den sie trägt. "Manobu-san, warum fühlt ihr Euch nicht wohl?", fragt sie mich und zwinkert mir vergnügt zu. Sie weiß natürlich so gut wie ich, dass ich etwas geschwindelt habe. Ich lächle beschämt. "Weißt du, Chiyo," Ich nenne sie manchmal immer noch bei ihrem früheren Namen, ohne zu bemerken, dass dieser schon längst nicht mehr existiert. "ich wollte etwas Zeit mit dir verbringen, bevor man mich auf diese Reise schickt, von der die Priester im Dorfzentrum erzählen." Hatsukiko stemmt ihre Arme in die Hüften und blickt mich erstaunt an. "Manobu-san geht auf eine Reise? Ihr werdet sicher viel zu sehen bekommen, denke ich." Als Chiyo noch ein Mädchen war, kam sie mich oft besuchen, meinen großen Bruder Tatsu und mich. Ihre Eltern waren arm, doch sie waren glücklich. Besonders an dem Tag, als Chiyo anfangen durfte in einer Okiya zu arbeiten. Anfangs nur als Dienstmädchen, doch bald fand die Mutter der Okiya heraus, welche Talente und welche Anmut in dem kleinen Kind steckten. Als sie ihre Ausbildung zur Geisha begann, war Chiyo etwa zehn Han alt. Sie bemühte sich nach Kräften, ihre Eltern glücklich zu machen und von da an kam sie fast nicht mehr zu uns, um mich zu besuchen. Als ich sie später, etwa mit 15 Han, auf der Straße wieder sah, erkannte ich sie kaum. Nur ihre großen grau blauen Augen verrieten meine Freundin von Kindesbeinen an. Und in diesem Augenblick, wo sie so eingewickelt war in kostbarste Stoffe, geschminkt mit zu einem Knoten gedrehtem Haar der durch ein rotes Band zusammengehalten wurde, verliebte ich mich in sie. Ich war kaum zwei Jahre älter. Damals, als "jüngere Schwester" von Hatsumomo, einer der beliebtesten Geishas hier und sogar außerhalb des Dorfes, war auch Chiyo, oder jetzt Hatsukiko, ein sehr gern gesehener Gast bei diversen Veranstaltungen und Parties. Und jetzt, ich bin 26, laufen wir durch die Straßen von Yósomura, wie wir es vor über 20 Jahren auch getan haben und unterhalten uns. Die Zeit vergeht so schnell. "Manobu-san?", unterbricht mich Hatsukiko's feine Stimme. Ich lächle sie nur an. "Also, du bist ja nicht viel gewachsen.", scherze ich und messe meine Freundin aus Kinder tagen übertrieben ab, um ihr dann mit meinen Händen eine Spanne von gut einem Meter zu zeigen. Sie klopft mir auf die Schulter. "Manobu-san! Ich bitte dich! Ich weiß ich bin nicht groß, doch gerade die zierlichen Frauen bekommen viele Aufträge, musst du wissen! Sieh nur,", flüstert sie und deutet in die Nähe des Teehauses. "Eriko-san dort, dürr und lang wie eine Bohnenstange, sie hat es wesentlich schwieriger, jemanden zu unterhalten, da ihre Gestalt bei weitem nicht so kindlich wirkt wie die meine!" Hatsukiko schlendert vor mir her. Ich beobachte sie verträumt. Sie trägt für heute einen hellen Kimono, mit Fäden aus hellem blau und einem meergrün durchwoben. Der goldgelbe Obi, der mit Rauten mustern versehen ist und in einem komplizierten Knoten auf den Rücken gebunden ist, rundet diese wunderschöne Gewandung ab, die kleinen goldenen Lilien in ihrem kunstvoll hoch gesteckten Haar lassen meine Hatsukiko noch edler wirken. In einer dunklen Seitengasse, wo die Laternen nur schwach leuchten, ziehe ich sie zu mir und halte sie in meinen Armen. Ihr parfümiertes Haar an meinem Hals gebettet flüstere ich ihr leise Liebesschwüre. Sie sieht mich nur mit feuchten Augen an. Ich weiß, dass auch sie mich liebt. Schweigend gehen wir noch ein weiteres Stück, bis wir an meinem Haus sind. Meine Eltern sind inzwischen verstorben, nur mein großer Bruder Tatsu, der als Dorfschmied arbeitet, lebt mit seiner Familie hier. Leise schleichen wir uns in das Haus und ich nehme meine Geliebte bei der Hand um sie in mein Schlafgemach zu führen. Als sie zum Widerspruch ansetzt verschließe ich mit einem innigen Kuss ihre rot angemalten Lippen. Wir fallen auf die Futons, die ich immer ausgerollt lasse und ich wühle mich durch die vielen Lagen Stoff und Seide zu Hatsukiko's weicher Haut durch. Sie dreht den Kopf auf die Seite, denn ihre Haare sind so aufgetürmt, sie würde sie ruinieren, und dann wäre all die Arbeit des Frisörs umsonst gewesen. Ich streife den Kimono über ihre Schultern und küsse dort die helle, ungeschminkte Haut. Etwas unbeholfen schiebe ich die Stofflagen zur Seite und ihre hellen Beine kommen zum Vorschein. Oh, und welche Beine das sind! Ich küsse jeden Zentimeter ihrer Haut und sie bebt unter meinen Berührungen. Mit einem Stoß bin ich in ihr und wir lieben uns lange und leidenschaftlich ehe wir ermattet auf die Futons zurücksacken. Ihr Gesicht ist mit einem dünnen Schweißfilm überzogen und die weiße Paste beginnt langsam zu zerlaufen. Meine Hatsukiko kleidet sich an und umarmt mich noch einmal schüchtern. "Manobu-san. Gute Reise.", flüstert sie zärtlich, ehe sie, geordnet und erfrischt, das Haus verlässt und zurück zur Teestube wandert. Traurig erwache ich am nächsten Tag. Ich bin glücklich über letzte Nacht und doch traurig. Hatsukiko wird niemals mir gehören. Sie hat bereits einen Danna, einen Gönner, der sie unterhält. Eine Geisha ist auf ihren Danna angewiesen, denn sie muss ab dem Zeitpunkt, ab dem sie in der Okiya ihre Ausbildung beginnt, alles selber zahlen, von Arztbesuchen zu Frisörterminen, ihre Kleidung und selbst ihr Essen. Ein Danna ist hier oft ein Segen. Meist heiraten Geishas ihre Danna, jedoch kehren sie nicht mehr in das Geisha-Gewerbe zurück, das hat mir Hatsukiko einmal erzählt. Als ich aufwache, habe ich ein ungutes Gefühl in der Magengrube. Meine Kehle schnürt sich mir zusammen, ganz so, als würde heute etwas Schlimmes passieren. Ich gehe ins Bad um mich zu waschen und kleide mich neu ein. Dann verlasse ich das Haus und trete hinaus in die frische Morgenluft. "Du!", schreit Einer plötzlich und ich zucke erschrocken zusammen. Vor mir steht ein Mann, größer als ich und breit wie ein alter Hochzeitsschrank. "Du wagst es, die Ehre des Akero-sama in den Dreck zu ziehen!" Er stürmt auf mich zu und packt mich an den Schultern. "Du und diese dreckige kleine Hure Hatsukiko!", schreit er weiter und plötzlich fällt mir ein, wer diese grobe Person ist: Ein Yakuza, Kazuya, ein "Diener" des Akero-sama, dem Danna von meiner Chiyo. "Wage es nicht, Hatsukiko als Hure zu beschimpfen, du Köter.", zische ich und starre ihm mutig in die Augen. Oh, meine Chiyo, denke ich. Bitte komm schnell zu mir. Unruhig versammelt sich eine kleine Horde an Dorfbewohnern um uns. Sie tuscheln und tauschen Blicke während der Klotz von Yakuza mich am Kragen hinter sich her zieht. "Wir werden ja sehen, wer hier der Köter ist, Bauer!" Mit verächtlichem Ton wirft er mir diese Worte hin und ich balle die Hände zu Fäusten. Bauer?! Bauer hat er mich genannt?! Ich versuche ihn abzuschütteln, was mir auch gelingt. Meine Eltern waren keine Bauern! Sie waren angesehene Leute, mein Onkel besaß sogar ein eigenes Dôjo! Ich funkle den Fleischklumpen böse an. "Ich bin kein Bauer, sondern ein Sohn Ishimura's!" Mit diesen Worten renne ich zurück in mein Haus, schlüpfe durch die kleine Tür Richtung Werkstatt und entnehme dem Ebenholz-Ständer eines der Schwerter, die mein Bruder eben erst nach Hause gebracht hat. Kurz überlege ich, dann greife ich mit zitternder Hand nach einem der Katana's und befestige es samt Scheide an meinem Ledergürtel. Ich schlucke. Der Yakuza hatte ein Katana dabei. Ich weiß, was mir bevor steht und doch, ich fliehe nicht sondern ich verteidige meine Ehre. Meine und die meiner Chiyo. Eine Hure! Eine Hure hat er sie genannt! In mir lodert erneut Zorn auf. Ich laufe nach draußen, zurück auf die gepflasterte Straße. Dort haben sich inzwischen viele Menschen versammelt. Keiner wagt, einzuschreiten. "Stirb!", brüllt mir der Yakuza entgegen und rennt mit erhobenem Schwert auf mich zu. Die ersten paar Schläge pariere ich gut, doch dann gerate ich ins Wanken und falle nach hinten auf meine Ellbogen. "Manobu!", höre ich eine Stimme rufen. Sie! Hatsukiko, meine Chiyo! Sie steht Hände ringend in der Menschenmasse. Sie weiß, dass sie nicht einschreiten kann. Ihre Haut ist blass, dass sehe ich, obwohl sie geschminkt ist. Ihre Hände zittern und sie krampft sich in den pfirsichfarbenen Kimono, den sie trägt. Ich richte mich mühsam auf. Kazuya funkelt mich an und geht erneut in Position. Die Klingen unserer Schwerter treffen aufeinander. Ich fühle Chiyo's Blick in meinem Nacken. Das gibt mir Kraft. Ich dränge Kazuya nach hinten und ziehe mit meinem Katana eine Schneise durch die Luft. Er ist zurückgewichen und greift seinerseits an. Hinterlistig. Einen Moment verliere ich meine Konzentration, dann ist es vorbei. Ich sinke auf die Knie. Kazuya hat mich an der Seite verletzt, ich fühle ein heißes Brennen und stelle mit einem Blick auf meine Weste fest, dass diese blutdurchtränkt ist. "Neeeein!" Hatsukiko drängt sich durch die Menge. Gar nicht gesittet und zurückhaltend läuft sie auf den Platz. Ihre Augen funkeln den Yakuza mit einer Mischung aus Wut und Verzweiflung an. Sie kniet auf dem Boden und bettet meinen Kopf an ihren Schoß, mit gesenktem Blick. "Verd... Verdammt seist du, du ... Brut einer Schlange....", keuche ich. Ich fühle langsam eine Taubheit in meinen Gliedern. Hatsukiko vergießt stille Tränen, die meine Stirn netzen. "Ich... werde vielleicht sterben... doch du... sollst nie ruhen... du sollst eingesperrt sein... am besten in einem Felsen... und niemals in Fri...Frieden..." Mit festem Blick starre ich Kazuya an. Dieser hebt ungerührt sein Katana, an dessen Klinge das Blut in der Sonne leuchtet. Nie wieder werde ich ihre weichen Lippen küssen. Das Schwert durchschneidet meinen Hals. Blut spritzt auf Hatsukiko's makellos weißes Gesicht... == Miyako ballte die Fäuste zusammen. Sie wimmerte leise und biss sich aufgeregt auf ihre Unterlippe. Japanische Flüche, die sie sonst nie aussprach, flossen nur so aus ihrem Mund, während sie sich zu dem Haufen schleppte. Blut. Überall nur Blut. Rotes, kräftig leuchtendes Blut. Mit schwarzen Krusten. Ein lebloser Körper lag inmitten dieser Massen roten Lebenssaftes. Jin! Alles war mit langen Haaren bedeckt und mit Blut besprenkelt. Wie eine zweite Haut klebte es auf ihrer Freundin. Jin lag inmitten von Geröll, großen schweren Granitbrocken. Miyako schluchzte auf. "J...Jin?", fragte sie zaghaft. Bitte Gott, lass sie noch leben!, flehte sie innerlich und trat nahe an ihre Freundin heran. Leicht stupste sie Jin an der Schulter. Keine Reaktion. Sie schüttelte sie etwas kräftiger durch. Immer noch nichts. "Verdammt, Jin!" Miyako kämpfte mit ganzer Kraft gegen einen Heulkrampf an. Ruhig bleiben. Tief atmen... phuuuu. In diesem Moment schoss ihr durch den Kopf, was ihr Tante Michiko als Kind beigebracht hatte. "Eine Priesterin muss die Ruhe selbst in größer Notsituation bewahren. Glaube mir, das ist schwer, doch ich habe es auch geschafft. Atme ruhig und denke erst mal an nichts. Beruhige deinen Geist und reinige ihn von Angst, Verwirrung, Panik und Wut. Dann wirst du das Richtige tun..." Miyako atmete tief ein und aus. Dann überlegte sie, was sie tun konnte. Sie suchte fieberhaft nach einem Puls, fand erst keinen, doch nach schier endlos scheinenden Minuten fand sie ein schwaches Pochen am Unterarm der Chinesin. Poch. Poch... Miyako kämpfte erneut gegen einen Weinkrampf. "Yatta!", entfuhr es ihr. Sie richtete Jin auf. Sie war nicht so leicht wie die Japanerin doch Mi würde es irgendwie schaffen, ihre Freundin zu einer Quelle zu bringen um sie erst mal zu säubern. Sie hievte Jin rücklinks auf sich, hakte sich bei ihren Armen ein und schleifte sie hinter sich her. Verzeih..., flehte sie im Stillen, diese Transportart war wahrlich eine bescheidene. Es schien ewig zu dauern, ehe sie wieder an der warmen Quelle in der Nähe des "Wasser"-Pfades angelangt war. Vorsichtig ließ Miyako ihre Freundin zu Boden gleiten und löste dann nach und nach die verschmutzte und nach Blut stinkende Kleidung. Langsam zog sie die Chinesin aus und bettete sie dann im Wasserbassin. Der Einfachheit halber hatte Miyako ihre Kleidung ebenfalls abgestreift und rieb Jin nun vorsichtig den Rücken sauber. Unter der Blutkruste waren blaue Flecken zu sehen, doch keine schlimmeren Wunden. Als die Schülerin nach einer guten Stunde Jin's ganzen Körper gebadet hatte, stellte sie nirgends schlimme Verletzungen fest. Von Prellungen und Schnittwunden mal abgesehen. Woher kam also all das Blut? Jin schien in eine Art Koma gefallen zu sein. Vielleicht war der Kampf zu viel für sie. Der Atem der Chinesin ging flach und Miyako lehnte sie an die gemauerte Wand des Bassins und dann ein Feuer zu machen. "Das müsste dich trocknen, vorhin ging es auch.", meinte sie murmelnd und zog Jin behände aus dem Wasser, um sie auf die Jacken zu legen, die sie auf dem Boden ausgebreitet hatte. Jin's Haar war unglaublich lang geworden. Fast sah sie aus wie.... dieses Mädchen, dass in den Brunnen gestoßen wurde. Beängstigend blass und überall diese Haare. Die Japanerin ging hinauf zur Quelle und rubbelte die Kleidung ihrer Freundin sauber. Das Wasser war leuchtend rot, als alles halbwegs gewaschen war. "Hnn....ann...ahh...", hörte sie plötzlich hinter sich. Gefasst, wieder einmal einem Geist zu begegnen fuhr sie herum. "Jin!" Die Chinesin regte sich und murmelte unverständliche Worte. Miyako stürzte zur Feuerstelle. "Jin? Kannst du mich hören?", fragte sie laut und deutlich. "Ahhn....wuu....niii....", kam es chinesisch zurück. Ich verstehe dich nicht! Miyako blieb ruhig. "Jin, ist alles okay? Kannst du die Augen öffnen?" Jin blinzelte und zog gleich darauf das Gesicht zu einer schmerzhaften Grimasse. Erst jetzt spürte sie die ganzen Prellungen an ihrem Körper. "Au...", brummte sie mit kratziger Stimme. Ihre Freundin half ihr, sich aufzustützen. Errötend bemerkte sie, dass sie nichts an hatte. Was zum Henker war passiert? "Wie...?", krächzte Jin. Miyako strich ihr die Haare aus dem Gesicht und lehnte sie gegen sich. "Der Golem. Erinnerst du dich? Du warst voller Blut und...." Die Japanerin schluckte hart. Sie biss sich auf die Lippen, als dieses Bild vor ihrem inneren Auge erschien. Grässlich. "... ich habe dich hierher getragen und gewaschen. Ich dachte du bist... tot." Das letzte Wort kam monoton und leise. Jin zuckte zusammen. Sie erinnerte sich schwach an den "Kampf". Es roch nach Blut. Sie erinnerte sich an einen herzlosen Schrei, an eine Explosion, an Steinsplitter, die sich in ihre Haut bohrten. "Oh, ihr Götter...", murmelte sie. Miyako legte ihr eine Jacke um die Schultern und setzte sich hinter sie. Geschickt nahm Miyako die langen Haare der Chinesin und flocht sie zu einem Zopf, der Jin bis über die Hüften ging. "Solang sie nicht geschnitten werden können", meinte sie dann und wickelte einen Haargummi um das dünne Ende des langen Zopfes. Jin schniefte. Langsam kam sie wieder zu Bewusstsein. Sie ließ den Kopf hängen und meinte dann leise: "Ich will nach Hause." Miyako lächelte, ihr ging es nicht anders. "Es reicht. Ich hab keine Lust mehr, Geisterjäger zu spielen! Ich will meinen Dad, mein Zimmer...", kam es von der Chinesin. "Vielleicht finden wir hier raus, wenn wir wirklich dahin gehen wo wir hergekommen sind. Du weißt doch, dieser Wald." Jin knurrte. "Ja das wollten wir ja auch..." Sie rieb sich ihre Schultern, welche sich unter Schmerzen zusammen zogen. "aber irgendetwas kam uns leider dazwischen!" Der Sarkasmus in diesem Satz lief förmlich über die Ränder hinaus. Miyako lächelte schief, dann drehte sie die Kleidung auf die nasse Seite, um sie gleichmäßig trocknen zu können. "Ruh' dich aus, ich mach mich inzwischen auf die Suche nach etwas Wasser.", meinte die Japanerin und stand auf. Jin seufzte nur. Als Miyako gegangen war streckte sich ihre Freundin auf der Jacke aus uns starrte in den Himmel. Mal wieder grau. Was für ein Farbwechsel! Als sie sich diesem Steinmonster gestellt hatte, hatten sie Gefühle durchzuckt wie Blitze. Unerklärliche Gefühle von Angst, Gewalt und Unruhe. Irgendetwas in diesem Golem war... menschlich gewesen. Jin würgte und spuckte dunklen Schleim aus. Alles voller Erde und Dreck. Sie hustete. "Wir müssen Heim, so schnell wie möglich...", murmelte sie und prüfte ihre Kleidung nach deren Trockenheit. Miyako wanderte inzwischen durch das Dorf. Wandern im wahrsten Sinne. Oft waren Steine oder Holzbalken im Weg und sie musste darüber hinweg klettern. Weiter hinten an diesem Pfad muss es sicher noch mehr Wasser geben, dachte sie und rutschte einen kleinen Hügel aus Geröll herunter. Auf dem "Wasser"-Pfad entlang musste es schließlich mehr geben als diese mickrige heiße Quelle. Gedankenverloren stapfte sie weiter und betrachtete die Umgebung eindringlich. Hinter ihr in einem mageren Gebüsch raschelte plötzlich etwas. Die junge Frau fuhr herum. Nichts. Sie runzelte die Stirn und fingerte in ihrer Tasche nach der Kamera. Und wenn es gar kein spirituelles Wesen ist? Dann kann ich nur noch laufen, mahnte sie sich. Vorsichtig trat sie einen Schritt zurück und starrte fest auf das Gebüsch vor ihr. Noch ein Rascheln. Langsam, ganz behände krabbelte eine Gestalt aus dem Gebüsch... ===== (Kyoto, Stadt Uiji; Juni 2005) Schockiert und fasziniert zugleich blickte Kin an jene Stelle, an der vor ein paar Sekunden noch die beiden Mädchen gestanden hatten. Nach einige Momenten ging er zögerlich auf den Spiegel zu und streckte langsam, ganz langsam die Hand danach aus. Nur wenige Millimeter vor der glatten Fläche stoppte er. Was wenn er auch dorthin gezogen werden würde wo die Mädchen waren? Was wäre, wenn er wo ganz anders landen würde? Der Japaner schüttelte den Kopf. Wenn er herausfinden wollte wozu er hier war, würde Kin die Hilfe der Mädchen brauchen. Das hatte er so im Gefühl. Mit zusammen geknif­fenen Augen legte er schließlich die Hand auf die reflektierende Oberfläche. Einige Momente später öffnete er sie wieder. Nichts war passiert. "Hmm...", machte er nur und fuhr verwirrt mit den Fingerspitzen über seine zusammengepressten Lippen. Wieso war denn bei ihm nichts geschehen? Langsam sah Kin sich im Tempel um, während er immer noch nachdachte. Hier konnte er nicht bleiben. Wer wusste schon, wie lange die Mädchen waren, wo sie hingekommen waren oder ob einem Priester doch noch einfiel, dass er vergessen hatte die Tür zu verschließen? Nein, er brauchte Zugang zum Internet. "Mal sehen...", murmelte er, während er den Tempel verließ und sein Handy einschaltete, um per GPS herauszufinden, wo er wohl das nächste Internet-Café oder dergleichen finden würde. Müde trottete Kin zur nächsten Haltestelle der U-Bahn. Der Weg zurück nach Kyoto-City war lang. Er hatte zwar eine gute Kondition, doch laufen würde er um diese Uhrzeit nicht mehr. Wer weiß, am Ende schnappt dieser kranke Serienmörder auch noch mich. Er ließ sich in die mehr oder weniger weichen Kissen der Sitzbänke im Abteil fallen und starrte aus dem Fenster. Natürlich konnte man nichts sehen. Es war erstens stockdunkel und zweitens fuhr die U-Bahn durch einen Tunnel, an dem hin und wieder bunte Reklametafeln angebracht waren. Kin kratze sich an der Stirn und gähnte. Kurze Zeit später nahm der junge Mann in einem 24-Stunden-Café platz und steckte seinen Laptop in eine der kleinen Buchsen in der Wand. Leicht abwesend bestellte er eine Tasse Kaffee und startete seinen tragbaren Computer um das Internet nach diversen Informationen zu durchforsten. Stunden später und vier Kaffee Tassen weiter hatte der Halbjapaner für seine Verhältnisse genug Information gesammelt. Er streckte sich durch und ließ seine Gelenke knacken. Mit einem verstörten Blick auf die Uhr, auf der es bereits sieben Uhr Morgens anzeigte, packte er seine Sachen zusammen und verließ schlaftrunken das Café. Laut gähnend versuchte er, ein Schlaflager ausfindig zu machen, was nicht lange dauerte: ein kleines, eher billig wirkendes Hotel kam ihm wie gerufen und der Halbjapaner bezog kurz darauf eines der spärlich möblierten Zimmer des Hotels. Als er nur Minuten später seinen Kopf auf das Kissen legte um endlich zur Ruhe zu kommen, schlief er augenblicklich ein. Immerhin habe ich eine Spur..., waren die Gedanken die ihn in den Schlaf begleiteten.... === (Yósomura, 1956) Gebannt starrte Miyako in das Gebüsch. Vor ihr stand... ein kleiner Junge. Nicht schon wieder, murrte sie innerlich und holte die Kamara hervor. Der Junge war ein Geist, ein kleiner halb durchsichtiger, mit tiefen Augenhöhlen und einem weißen, zerrissenen und schmutzigen Kimono, der mit einem grünlichen breiten Band zusammengehalten wurde. Er stand vor ihr, mit zerzausten schwarzen Haaren, die im klassischen Jungenschnitt getrimmt worden waren und starrte sie nur an. Seine Augenhöhlen waren so dunkel, dass die Japanerin zunächst nicht erkennen konnte, dass das Kind grüne Augen besaß. Noch eines mit grünen Augen! Erschreckt hielt sie die Kamara hoch und ging vorsorglich einige Schritte zurück. Der Junge folgte ihr. Lautlos schwebte er ihr entgegen und Miyako schluckte eisern die aufsteigende Angst hinunter. "Mist elender!", fluchte sie zischend und visierte den Kleinen mit der Kamara Obscura an. "Mama?...", kam es von dem Jungen, aber in einem Ton, als würde man mit Fingernägeln über eine Tafel kratzen. Das kreischende Geräusch tat unglaublich weh in den Ohren, doch hätte Mi sich jetzt die Ohren zugehalten, hätte sie keine weitere Hand für die Kamara mehr freigehabt. Weiter ging es rückwärts bis beide auf einer kleinen Anhöhe standen. "I... Ich bin nicht deine Mama...", versuchte es die junge Frau zaghaft aber mit beruhigender Stimme. Fragt sich nur, wen ich hier beruhige,stellte sie fest. Der kleine Geist trat noch einen Schritt näher. Wieder kam aus seinem Mund dieses widerliche Kreischen. "Ma..maaa?", fragte er diesmal lauter. Miyako krampfte ihre Finger um das Gehäuse der Kamara. Wieder schluckte sie und diesmal visierte sie ernsthaft an. Doch plötzlich war der Geister Junge weg. Unsicher blieb die junge Frau in ihrer Position. Unsicher räusperte sie sich und drehte sich dann um, um weiter Richtung Wasserpfad dahin zu wandern. Keine gute Idee, wenn sie daran dachte, einfach so herum zu laufen, schließlich hatte sie gerade einen Geist gesehen. Wieder einmal. Da tauchte der Junge wieder auf. Er krächzte wieder nach seiner Mama, doch dieses Mal hatte er Miyako nicht fixiert sondern lief eher vor ihr dahin hinauf auf einen kleinen Hügel, zu dem der gepflasterte Weg führte. Miyako schnappte sich wieder die Kamara und folgte zögerlich dem durchsichtigen Objekt über den Hügel. Eine gute Idee, denn hinter dem Hügel war ein großer Fischteich umgeben von Bambus und Schilf, überwuchert könnte man fast sagen. Die junge Frau ging den Hügel hinunter und trat an den Rand des Sees, als sie plötzlich von hinten angegriffen wurde. "Aaah!" Um ein Haar wäre die Japanerin ins kalte Wasser gefallen, sie lehnte sich gerade noch weit genug zurück um das Gewicht wieder in die andere Richtung zu balancieren. "Miststück!", fluchte sie und hob die Kamara an. Dieser kleine Junge war durch sie hindurch geflogen und schwebte jetzt mitten über dem See, immer wieder den Namen seiner Mutter rufend. Das kratzende Geräusch war laut, doch gerade erträglich genug, dass es Miyako nicht den Kopf zerplatzen ließ. Mittlerweile ungerührt visierte sie den Jungen an und drückte auf den Auslöser. "Zuff!" erklang es und ein schwarzes Bild fiel auf den Holzsteg, auf dem das Mädchen stand. Der Geist kreischte auf und flog auf Miyako zu, diese holte zum zweiten "Schlag" aus und drückte erneut den Auslöser. Daneben! Der Geist streifte sie an der rechten Schulter und die Japanerin zuckte zusammen, kurz darauf ging sie leicht in die Knie, denn der stechende Schmerz ging ihr durch den ganzen Körper. Sie drehte sich um und visierte den Geist erneut an. Dieses Mal kriege ich dich, dachte sie wütend während sie noch einmal auf den Auslöser drückte. Der Geist schrie auf und löste sich langsam in seine Bestandteile auf. Drei gräuliche Bilder lagen nun auf dem ziemlich wackeligen Holzsteg. Miyako steckte sie zusammen mit der Kamara in die Tasche und sank erschöpft auf dem Steg zu Boden. Sie seufzte tief und starrte dann in das klare Wasser. Ihr Spiegelbild starrte ihr entgegen. Leicht verschwommen erkannte die junge Frau, dass sie, gelinde gesagt, erbärmlich aussah. "Hilft nichts,", meinte sie und kratzte sich am Kopf um kurz darauf die beiden mitgebrachten Wasserflaschen von der Tasche zu lösen. Zugegeben, nicht die bewegungsfreieste Art, sie zu transportieren, doch für die Tasche waren sie zu groß. Auf den Knien tauchte die junge Frau eine Hand ins Wasser, um erst einmal einen Probeschluck zu nehmen. Es schmeckte nicht seltsam, roch auch nicht seltsam. Keine Verseuchung. Ihr Verdacht bestätigte sich, als sie in der Nähe einen Fisch davon springen sah. Sie lächelte. Seit einer Woche das erste Lebewesen hier in diesem toten Dorf... ===== (Kyoto, Stadt Uiji; Juni 2005) Ein lautes, störendes Piepen riss Kin Akagawa aus seinen Träumen. Sein Computer brauchte wohl Aufmerksamkeit! Müde rieb er sich den Schlaf aus den Augen während er den Ton abschaltete und blinzelte einige Male bevor er den Bildschirm auch wirklich sah. Dann, als seine Gehirnzellen endlich aus ihrem Tiefschlaf erwachten, konnte man förmlich Interesse und Aufmerksamkeit aus seinen grünen Augen glühen sehen. Abwesend griff er zum Telefon und wählte eine Nummer. "Könnten sie mir bitte eine Kanne Kaffee auf Zimmer Nummer fünf bringen? Dankeschön." Kaum hatte Kin aufgelegt, wurde die Stille des Raumes auch schon vom Klappern der Tastatur erfüllt, dass erst stoppte, als es an der Tür klopfte. Nur widerwillig erhob sich der Rothaarige und nahm dankend den Kaffee entgegen, bevor er sich wieder an dem flimmernden Bildschirm setzte. Zwei Stunden später hatte Kin nicht nur eine Menge Informationen mehr, sondern auch die Erkenntnis gewonnen, dass die Kanne Kaffee wohl doch schneller leer geworden war, als ihm lieb gewesen wäre und dass zu vieles Arbeiten vor dem Laptop ziemliche Kopfschmerzen verursachen kann. Stöhnend rieb er sich den Kopf, als sein Handy, das auf dem Nachttisch lag, anfing ein melodiöses Klingelzeichen ertönen zu lassen. Genervt griff er danach, war aber sofort wieder bei der Sache als er sah WER ihn da anrief. "Kado?", fragte er sicherheitshalber nach, als er den Anruf annahm. "Wirklich?... Villa Himuro?" Kin lehnte sich in den Sessel und schlang seinen freien Arm um seine Brust. Wenigstens ein Arm, um Skepsis auszudrücken, grinste der junge Japaner. "Aha... nein, nie gehört. Was weißt du darüber?... Aha... Ach, hast du? Warte ich logg mich schnell ein.", antwortete er seinem Gesprächspartner und klemmte sich das Gerät zwischen Kopf und Schulter, damit er die Hände zum Schreiben frei hatte. Wenige Momente später hatte er seine neue E-mail geöffnet und auch schon mehrere Fenster offen, wobei die meisten jedoch Zeitungsausschnitte beinhalteten. "Okay, ich verstehe deinen Standpunkt, aber... Hey, machst du dir etwa Sorgen um mich? Das ist ja mal ne Seltenheit!", lachte er, während er gleichzeitig die Artikel las. "Nein, war nur ein Scherz, aber ich muss da ja fast rein wenn... Wieso sagst du das nicht gleich?! Mensch!... Miko wie?... Miku Hinasaki also." Kin riss eine halbe Seite aus einem Heft und kritzelte schnell den Namen der Person darauf. "Hast du da auch ne Adresse?... Schon okay, die finde ich schon selber raus... Du hör mal, ich bin dir wirklich dankbar für deine Hilfe und werde mich auch bei Gelegenheit sicher revanchieren, aber ich bin jetzt leider ein etwas im Stress... Okay, danke noch mal. Wir sehen uns... Ja-ne!." Das Piepen signalisierte, dass der Andere aufgelegt hatte und schon klapperten die Tasten erneut in einem brisantem Tempo. Endlich hatte er eine direkte Spur! "Hmm... und wenn ich schon dabei bin...", murmelte er und wartete etwas ungeduldig darauf, dass ein Formular geladen wurde. "...Miku Hinasaki... Und die Mädchen hießen... Miyako Chou Suzuhara und Jin Lien Fen Li-Sun... glaube ich..." Ein paar Momente später öffneten sich auch schon drei einzelne Fenster mit den Daten der jeweiligen Person. Abwesend griff er nach seiner Tasse und fluchte als er zum zweiten Mal feststellen musste, dass der Kaffee alle war. Geduldig lass er die Profile durch und machte sich auch ein paar Notizen dazu, bevor er alle drei abspeicherte und den Laptop herunterfuhr. "Wird Zeit, dass ich aus diesem... Loch verschwinde.", meinte der Japaner abschätzig und packte eilig seine Sachen. "Miku Hinasaki... freu dich darauf, bald Besuch von mir zu bekommen...", grinste er und betrachtete nochmal das frisch ausgedruckte Bild, dass sein Mini-Drucker fabriziert hatte... "Entschuldigung... Hinasaki-san?" Eine hübsche junge Dame mit hellbraunem Haar wandte sich zu ihm um. "Ja, das bin ich... Wie kann ich dir helfen?", fragte sie. Der überraschte Gesichtsausdruck signalisierte Kin nur zu deutlich, dass sie nicht damit gerechnet hatte, während ihrer Arbeit Besuch zu bekommen, noch dazu von einem Fremden. "Ich heiße Kin Akagawa und wenn Sie einige Momente Zeit haben, würde ich gerne mit Ihnen über den Vorfall in der Villa Himuro reden.", stellte er sich mit einer leichten Verbeugung vor. Die Augen der Frau weiteten sich für einen Moment, dann nickte sie und führte ihn in ihr Büro. Dort erklärte ihr Kin warum er sich überhaupt für dieses alte Haus interessierte. "Ich verstehe.", meinte Miku schließlich. "Du hast also auch die Begabung zu sehen, was andere nicht sehen können... Und vermutlich noch das eine oder andere besondere Talent, nicht wahr?", lächelte sie ihn an, worauf Kin etwas verlegen war. "Also gut. Ich werde dir erzählen was damals passiert ist..." Die nächsten drei Stunden lauschte er atemlos der Erzählung der jungen Frau. Wenn ihm selbst nicht widerfahren währe was er eben schon erlebt hatte, würde er sie vermutlich für verrückt erklären oder denken, dass sie ihn veräppelte... "So interessant es auch gewesen sein mag... Es hilft dir nicht wirklich weiter, oder?", fragte Miku nach einigen Momenten der Stille als sie geendet hatte. Kin schüttelte den Kopf. "Eine... Eine Frage, wenn Sie gestatten?" "Nur zu." "Haben Sie... Ihren Bruder seither nicht mehr wieder gesehen?" Sie seufzte. "Nein... Allerdings muss ich zugeben, dass ich es nach all dem was passiert ist auch nicht mehr wagte das Haus zu betreten. Außerdem war es Mafuyuu's ausdrücklicher Wunsch, dort zu bleiben..." Erneut trat ein Schweigen ein, bevor Kin es dieses Mal brach. "Aber rein theoretisch müsste das Haus jetzt doch sicher sein, nicht wahr? Eigentlich müsste ich ohne Probleme rein gehen, mit Kirie sprechen und wieder raus kommen können..." Miku's Kopf ruckte hoch und sie fixierte ihn mit ihren braunen Augen. "Bist du dir eigentlich im klaren welcher Gefahr du dich aussetzten würdest?", fragte sie gefährlich ruhig. "Theoretisch magst du recht haben, aber was wenn die Praxis nicht stimmt? Du hast keine Kamera um dich zu verteidigen und auch den einen speziellen Spiegel wirst du so leicht nicht mehr finden." "Aber der Spiegel der jetzt im Tempel steht konnte doch auch ohne Probleme entfernt werden. Außerdem kenne ich jetzt ja die Lösung! Ich werde einen Weg finden!", antwortete Kin, während er aufstand. "Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie mir das alles erzählt haben, aber wie Sie selbst schon sagten, dass hilft mir leider nicht bei meinem Hauptproblem weiter und so lange Sie keine bessere Idee haben, habe ich auch nicht wirklich eine andere Wahl." Frau Hinasaki erhob sich nun ebenfalls. "Wieso riskierst du dein Leben für diese Mädchen? Sicher, ist es eine ehrenvolle Tat, aber du kennst sie doch gar nicht! Mafuyuu war mein Bruder, da war das doch was ganz anderes!" Der Rothaarige schwieg einen Moment lang, dann antwortete er. "Im Grunde genommen geht es auch um meinen Bruder. Wie Mafuyuu ist auch er verschwunden und ich bin mir ziemlich sicher, dass es etwas mit diesem Spiegel zu tun hat... Und aus welchem Grund auch immer habe ich auch das Gefühl, dass ich dem wahren Grund seines Verschwindens nur mit Hilfe eben dieser beiden jungen Frauen herausfinden kann... Wie gesagt, ich schätze wirklich, dass Sie mir dies alles erzählt haben, aber ich muss jetzt gehen. Je mehr Zeit verstreicht um so mehr kann den beiden passieren. Auf ein Wiedersehen unter freundlicheren Umständen.", verabschiedete er sich mit einer Verbeugung. "Warte!", rief Frau Hinasaki plötzlich aus, als der junge Japaner schon an der Tür war. Die Frau verschwand kurz und Kin hörte etwas rascheln. Als er sich umsah, sah er wie Miku in einer Schublade kramte. Dann wandte sie sich um und hielt ihm ein zusammengefaltetes, relativ vergilbtes Stück Papier entgegen. "Das könnte dir eventuell behilflich sein...", erklärte sie nur. Kin nickte stumm und verbeugte sich abermals um dann endgültig das Büro zu verlassen. Als er außer Sichtweite war musste Miku lächeln. "Dieser Junge ist dir so ähnlich... Ich hoffe, dass ihr beide euch wirklich treffen kann, so wie er sich das erhofft... Und ich hoffe, dass sie oder du ihm wirklich weiter helfen können...", meinte sie und strich liebevoll über den Rahmen des Bildes, dass auf ihrem Tisch stand. Das Foto darin war von ihr selbst und ihrem Bruder. ==== (Yósomura, 1956) Erschöpft ließ sich Miyako neben ihrer Freundin fallen. Jin hatte in der Zwischenzeit auch wieder ihre Sachen angezogen und fixierte die Japanerin skeptisch. "Warum hast du so lange gebraucht? Ist etwas passiert?", musterte sie ihre Freundin. "Geist... Daneben fotografiert... muss ich noch mehr sagen?", knurrte Miyako. Auch ihr wurde es langsam zu viel in diesem Kaff. Niemand würde es glauben, das wussten beide Mädchen, nicht mal der Psychiater, den sie Beide definitiv brauchen würden, wenn sie jemals wieder nach Hause kämen. Gierig trank die Chinesin ein paar Schlucke von dem kalten Wasser ehe sie das fast ausgegangene Feuer damit löschte. Dann erhob sie sich und funkelte Miyako abenteuerlustig an. "Los! Weiter! Wir müssen doch irgendwo einen Ausgang finden!" Schleppend erhob sich auch die junge Japanerin und knotete das Band der Flasche an ihre Tasche. "Zurück zum Wald oder?", flüsterte sie, weil sie hoffte, Jin würde einen anderen Weg einschlagen wollen. Doch diese nickte nur siegessicher. "Wie kann man nach so einem Kampf so voller Energie sein", beschwerte sich Miyako, trotte dann aber hinter ihrer Freundin her. Nicht lange, dann waren sie wieder an dem lehmigen Pfad, wo der Wegweiser stand. Miyako schniefte. Ihr wurde langsam kalt. Was, wenn noch so ein Golem hier sein Unwesen trieb? Besser gar nicht daran denken, Mi, schalt sie sich und sah sich beunruhigt um. Jin marschierte weiter. Nach all dem was hier mit ihnen beiden passiert war, wollte sie nur noch eines: Ihr Buch und dann nichts wie zurück nach Hause. Aber ob das so leicht werden würde? Ungeduldig nestelte die Chinesin an ihren Haaren und stapfte weiter durch den Wald. "Jin?", hörte man es von hinten kommen. Die junge Frau drehte sich um. "Meinst du, wir kommen je wieder Heim?", wisperte Miyako und senkte ihren Blick um dann auf den von Blättern bedeckten Boden zu starren. Jin lächelte sanft. "Ich weiß es nicht. Ich bete, dass das möglichst bald geschieht. Aber so lange müssen wir durchhalten. Nicht aufgeben.", flüsterte sie freundlich zurück. Miyako lächelte mit glänzenden Augen. "Okay...", kam es nach einer Weile und beide Mädchen setzten ihren Weg fort in den dunklen, von Nebelschwaden durchzogenen Wald. ===== (Kyoto, Juni 2005) Die Landschaft zog an Kin vorbei. In einem rasenden Tempo bewegte sich der Shinkansen, ein super moderner Schnellzug, Richtung Tokyo. Gute drei Stunden würde die Fahrt dauern, danach würde der Halbjapaner sich in die nächste U-Bahn setzen und versuchen, dann per Taxi oder Fahrrad zur Villa Himuro zu gelangen. Alles in allem war das Fahrrad sogar besser, auch wenn es bergauf ging. Die Villa war kein beliebtes Reiseziel und sicher würde sich der Taxifahrer weigern, dort hoch zu fahren, oder ein halbes Vermögen für seine Dienstleistung verlangen. Ein Seufzen glitt über seine Lippen während er sich in seinem Sessel zurück lehnte und die Augen schloss. Vorläufig konnte er wohl nichts mehr tun. Das Papier von Frau Hinasaki hatte sich als selbst gezeichnete und recht nützliche Karte über die Räumlichkeiten in der Villa entpuppt und Kin hatte sie mittlerweile auf seinen Computer übertragen, um das alte Stück nicht noch mehr abzunützen. Der Aufbau des Hauses war im Prinzip kein besonderer, verglichen mit anderen Prunkhäusern zu jener Zeit. Natürlich, die Villa war sehr groß und wuchtig, auch der große Innenhof und mehrere kleine ließen den Betrachter merken, dass die Besitzer vermögend gewesen waren, doch das, was sie jedoch von Anderen unterschied waren die Rituale, die dort abgehalten wurden, sowie der geheime Untergrund, den Miku ebenfalls aufgezeichnet hatte. Kin schauderte es schon allein beim Gedanken welche Qualen und Schmerzen viele junge Frauen dort durchleben mussten. Eine halbe Ewigkeit später, so schien es Kin, auch wenn nur etwa vier Stunden vergangen waren, stand er dann endlich am Fuße des Hauses, dass eine so dunkle Vergangenheit beherbergte. Nebel verhüllte die Sicht und die Feuchtigkeit begann ihm unter die Kleidung zu kriechen. Ein kalter Schauer jagte seinen Rücken hinunter als er den mit Holzplanken bereiteten Weg zum Eingang der Villa betrat. Selbst die natürlichen Geräusche des Waldes und ganz besonders das Krächzten der Krähen erinnerten ihn an einen Horrorfilm. "Argh... Das gibt's doch nicht... Es ist doch überhaupt nichts hier!", brummte er, um sich zu beruhigen und schüttelte energisch den Kopf, bevor er den Waldrand verließ und die letzten Stufen zur Villa emporstieg. In dem Augenblick als er die Hand ausstreckte um die Holztür zur Seite zu schieben wollte, begann es wie auf ein stilles Zeichen zu regnen. "Na klasse...", grummelte er und schaffte es mit etwas Kraftaufwand die Tür weit genug aufzuschieben um ins Innere zu schlüpfen wo er einige Zeit still stand um seine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. Heruntergekommen war das erste Wort, das ihm in den Sinn kam bei dem was er erkennen konnte. Mit einem Seufzen öffnete der Halbjapaner seinen Laptop, der ihm nicht nur die Karte anzeigen sollte, sondern auch als Lichtquelle dienen würde. In seiner Eile endlich weiter zu kommen, hatte er nicht bedacht, dass es in dem alten Geisterhaus so dunkel sein würde. Als er die kleine Treppe hinaufstieg, knarrte das Holz so erbärmlich laut, dass Kin wirklich befürchtete, gleich durchzubrechen. Allerdings kam er unversehrt am oberen Ende an, und befand das Knarren für schlimmer, als es eigentlich war. Langsam ging er nach links, um nur ja einen genügend großen Bogen um das Loch im Boden zu machen. Sich hier in der Einöde das Bein zu brechen wäre echt das Blödeste, was ihm passieren könnte. Vorsichtig umging er die Überreste einer Trennwand um schließlich vor der nächsten Tür zu stehen, welche fast wie von selbst aufging - anders als die Eingangstür. Wie zuvor war das einzige Geräusch im Haus das stetige Knarren und Knarren das durch seine Schritte ausgelöst wurde. "AH!" Etwas hatte gerade seine Schulter gestreift!!! Mit geweiteten Augen blickte er sich panisch um, bis das blaue Licht seines Bildschirms den Übeltäter beleuchtete. Ein erleichterter Laut gefolgt von einem Lachen glitt über seine Lippen. Nur ein Seil. "Gott sei Dank hat das niemand mitgekriegt... Aber in diesem Haus wird man ja echt zu einem vollkommenen Angsthasen...", seufzte er. Immer noch mit einem Grinsen auf den Lippen ging der junge Mann weiter, nur um erneut zu erschrecken. War da nicht jemand im Gang? Direkt vor ihm? Regungslos verharrte er einige Momente, doch auch die andere Person oder was es auch war regte sich keinen Millimeter. Schließlich gewann seine Neugier die Überhand und er bewegte sich vorsichtig weiter. Gleichzeitig setzte sich jedoch auch das andere Wesen in Bewegung. Irritiert blieb er erneut stehen, was ihm die Gestalt gleich tat. Er versuchte es noch einige Male, doch immer wenn er weiter ging, kam auch die Person auf ihn zu, verharrte er, wurde es ihm gleich getan. "Wie ein Spiegel...", murmelte er plötzlich und richtete sich auf. "Ich Vollidiot!" Frau Hinasaki hatte ihm doch gesagt, dass ein Spiegel am Ende des Seilflurs stand, den er gleich am Anfang durchqueren musste. Kin stand direkt vor dem Spiegel und lachte leise. Ich bin wirklich dumm, zu denken, hier wäre noch die Hölle los, nachdem, was Miku erzählt hat, hält ja schließlich Kirie alle bösen Geister zurück... Verärgert mit sich selbst ging er zielstrebig weiter und nach rechts am Spiegel vorbei. Dieses Mal war die Tür schon offen und er betrat das Kaminzimmer, wo er erstmals heftig niesen musste. "Hier hat definitiv schon ewig keiner mehr Staub gewischt...", entfuhr es ihm zwischen zwei weiteren Niesern. Kin schniefte unverblümt und ging weiter in Richtung der großen antiken Standuhr. Auf dem Weg zur Treppe drehte er sich der zerschlissenen Papier-Trennwand zu, die neben dem Aufgang zum oberen Geschoss stand. "Dahinter müsste eigentlich eine Tür sein...", sprach er, mehr um sich selbst zu beruhigen. Wenn Frau Hinasaki ihm wirklich die Wahrheit gesagt hatte über das, was ihr widerfahren war - und das zweifelte er aus welchem Grund auch immer nicht an - dann beunruhigte ihn ehrlich gesagt die Stille viel mehr als es irgend ein übersinnliches Wesen hätte tun können. Die Wand ging ohne Probleme zur Seite und auch die Tür war bereits einen kleinen Spalt offen, so dass er in das nächste Zimmer sehen konnte, doch leider war sie irgendwie verklemmt und er konnte beim besten Willen nicht die Ursache dafür heraus finden. "Okay, dann doch der Standardweg...", seufzte Kin abermals und ging die Treppe hinauf, die ebenfalls verdächtig altersschwach knarrte. Er schluckte und versuchte so leicht wie möglich aufzutreten, um nicht doch in die Tiefe zu stürzen. Oben angekommen, ging er zu der Tür, die sich neben einer weiteren Papier-Trennwand befand und die auch leicht angelehnt war. Als der junge Japaner die Hand nach dem Knauf ausstrecken wollte, öffnete die Tür sich wie von selbst. Augenblicklich lief ihm ein Schauer über den Rücken und seine Nackenhaare stellten sich auf. Vielleicht war das Haus doch nicht so verlassen, wie es schien? Er blinzelte... Ob Kirie?... Unmöglich wäre es nicht. Der Rothaarige lehnte sich langsam nach vorne um in den Raum zu lugen, bevor er ihn schließlich betrat. Das einzige, was ihm an diesem Raum auffiel, war der große Tisch, aber das war es dann auch schon an Besonderheiten. Rasch blickte er erneut auf die Karte auf seinem Laptop. Er musste jetzt nach links und dann die Treppen hinunter... Dort angelangt ging er nach links weiter wobei er jedoch respektvoll Abstand von den Wänden hielt. Die leicht erkennbaren, blutigen Handabdrücke und Schleifspuren waren nämlich nicht sehr vertrauenerweckend. Auch die nächste Tür ging wie von Zauberhand auf, so, als würde jemand bestimmen wollen, wohin er seine Schritte als nächstes lenken sollte... Erneut stand Kin vor einer Zwischenwand und lenkte - wie auf der Karte verzeichnet, seine Schritte nach links um die Wand herum und ging dann weiter nach rechts, zu der nächsten Tür an der ein kaputter Talisman hing. Dieses Mal zuckte er nicht einmal leicht als sie aufschwang. Offensichtlich waren hier mächtigere Wesen am Werk und wenn diese es wirklich wollten, würde er hier vermutlich nicht mehr raus kommen, also war es wohl vorläufig am Besten der "Einladung" zu folgen. Sein Atem stockte kurz als er die Schönheit des Gartens sah. Obwohl er mittlerweile verwildert war, hatte er immer noch etwas einzigartiges, zauberhaftes an sich. Ein heftiges Poltern lies ihn zusammen zucken und kurz darauf weiteten sich seine Augen als direkt vor ihm eine Frau kopfüber in das Dickicht stürzte, sich dabei das Genick brach und kurz darauf verschwand. Für mehrere Momente war er wie versteinert, dann sammelte er jedoch seinen Mut und wanderte - wenn auch etwas blasser im Gesicht - weiter, die Treppen hinunter in den Innenhof, wo die Kirschbäume immer noch in voller Blüte waren. Kaum berührte sein Fuß jedoch den Erdboden hörte er Gekicher und verlor vor Schreck das Gleichgewicht als ein Kind direkt neben ihm unter der Treppe hervor krabbelte und dann mit einem Mädchen davon lief, dicht gefolgt von einem weiteren Jungen. Als die Angst ihn verließ realisierte er erst was die Drei einander zugerufen hatten und dass sie nur Fangen miteinander gespielt hatten. "Oh man... Meine Nerven..." Rasch rappelte er sich auf und checkte auch gleich ob seinem Notebook nichts passiert war. Erst dann begann er den etwas anstrengenden Weg durch den verwilderten Innenhof, wobei er öfters stehen bleiben musste um seine Kleidung von irgendwelchen Pflanzen zu befreien, in denen er sich verheddert hatte. Schließlich stand er vor dem Mondschrein, der laut Frau Hinasaki den Zugang zum Kellergewölbe bildete und direkt zu Kirie führen sollte. Noch während er die wenigen Treppen hinauf stieg schwang die große Doppeltür mit einem lauten, unheimlichen Knarren auf. Sein Mund fiel auf und in der Stille der Nacht hallte ein klarer Schrei wieder. Der Schreck ließ ihm förmlich das Blut zu Eis erstarren und obwohl er gerne weg gerannt währe konnte er keinen Finger rühren als die fünf kopflosen Priester langsam auf ihn zu kamen, ihre Köpfe hinter ihnen her schwebend. Ihre Stäbe erhoben sich gleichzeitig und der Rothaarige kniff seine Augen zu, kurz bevor sie auf ihn nieder fielen. Oder zumindest hätten sie auf ihn treffen sollen, doch nichts passierte. Kein Schmerz durchzuckte ihn. Vorsichtig öffnete er ein Auge und blickte sich hektisch um. Offensichtlich war er wieder ganz alleine im Kirschbaum-Atrium. Zögernd wandte er sich erneut dem Mondschrein zu und rat nach längerem Warten schließlich ein. Als immer noch nichts passierte, seufzte er schließlich. Wie er es sich schon vorher gedacht hatte. Raus kommen würde er vermutlich sowieso nicht ohne der Hilfe und vor allem dem Willen Kiries. Da der restliche Weg keine Abzweigungen mehr hatte, packte Kin den Laptop wieder in seine Tasche und stieg dann ganz vorsichtig hinunter, wo er sich erneut dafür verfluchte keine Taschenlampe mitgenommen zu haben. Doch genau in jenem Augenblick ging eine der Fackeln direkt neben ihm an, was ihn erneut zurückspringen ließ, bevor er den Kopf schüttelte. "Wenn das so weiter geht krieg ich noch weiße Haare..." Mit gemischten Gefühlen nahm er die Fackel aus ihrer Halterung und nahm dann seinen ursprünglichen Weg wieder auf, wobei er schon nach einigen Metern merkte, dass es merkwürdig roch. Die stickige Luft konnte er in solch alten und unbenutzten Gewölben durchaus verstehen, doch fragte er sich langsam aber sicher woher dieser Gestank kam. "Urgh...", entschlüpfte er ihm, doch er konnte nicht stehen bleiben. Nicht jetzt, wo er so kurz vor seinem Ziel war. Schon nach kurzer Zeit erreichte er noch den einzigen Zwischenstopp. Der fünfeckige Raum der den Seilaltar beinhaltete. Während das Grauen über das was hier einst geschehen war in seine Gliedmaßen zu kriechen, bewegte er sich rasch weiter, um dieses Zimmer so schnell wie möglich hinter sich lassen zu können. Doch genau in jenem Moment als er direkt am Altar vorbei ging, fühlte er plötzlich wie sich eine kalte Aura um ihn legte und ihn zwang sich komplett dem Ort des Rituals zuzuwenden. Gleichzeitig erschienen auch jene fünf Priester erneut - dieses Mal jedoch vollständig. Langsam aber sicher konnte er auch Wörter ausmachen, auch wenn diese für ihn keinen Sinn ergaben. Sein Herz setzte einen Schlag aus, als ein junges Mädchen auf dem Altar erschien und die Seile um sie gelegt wurden, bevor die Priester begannen die Hebel an den Seilwinden gleichzeitig zu betätigen und damit die Seile aufzurollen. "Zeig der Jungfrau keine Gnade. Binde das Seil um ihre Gliedmaßen vom rechten Arm, dann den anderen. Vom rechten Fuß, dann den anderen. Teile sie. Danach nimm das geweihte Seil und versiegle damit das Tor zur Hölle..." Von einer mysteriösen Macht gezwungen musste er das vollständige Ritual mit ansehen, obwohl er viel lieber weggesehen und sich die Ohren zugehalten hätte um ihre Hilfeschreie und letzten Laute nicht mitanhören zu müssen. Erst als das Ritual vorbei war und die Priester, sowie die Überreste der Schreinjungfrau verschwunden waren, verließ ihn auch die Kraft, die ihn fesselte und er fiel auf seine Knie. Sein Atem ging nur noch in Stößen und bittere Tränen liefen seine Wangen hinunter, während er immer wieder nur "Oh, ihr Götter..." murmelte. Einst hatte einer seiner Lehrer gemeint, dass von allen Lebewesen dieses Planeten, der Mensch eines der Grausamsten sei und Kin konnte in jenem Moment nicht anders als ihm zuzustimmen. Wie jemand jemand anderen solches Leid zufügen konnte, war ihm unverständlich. Eine warme Hand legte sich plötzlich auf seine Schulter und der Halbjapaner wirbelte erschrocken herum. Doch konnte er nichts erkennen. Eiligst stand er vom Boden auf und blickte sich verwirrt und ängstlich um. Erneut konnte er beobachten wie sich ein Geist formte und er wich zurück. "Nein... Bitte nicht schon wieder..." Vor ihm stand nun ein kleines Mädchen, mit langem schwarzem Haar und einem hellen Kimono. Es sah zu ihm auf und deutete dann zuerst auf Kin und dann auf den Gang in dem es weiter ging, bevor es wieder verschwand. Nervös blickte er in den Gang. Soll ich wirklich...? Erneut schreckte er zusammen als eine warme Hand seine linke umschloss und sanft in Richtung des Ganges zog. Nach einem erneuten Zögern gab er sich einen Ruck. Immerhin hatte er ja nicht wirklich eine andere Wahl und auch nicht mehr so weit. Und, wer immer da seine Hand nahm, schien ihm freundlich gesonnen - das hoffte Kin zumindest. Das Mädchen verschwand kurz vor Ende des Ganges und Kin stand wieder alleine da. Unsicher blickte er sich um und versuchte angestrengt, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. "Warum bist du hierher gekommen?", erklang die sanfte Stimme einer jungen Frau, die im selben Moment für Kin sichtbar wurde. Kin leckte mit der Zunge über seine trocken Lippen und atmete tief ein. Vor ihm baute sich ein riesiges Tor auf deren Türen aus schwerem Stahl gefertigt sein könnten. Vor dem gigantischen Tor hing... oder eher schwebte eine junge Frau in seinem Alter. Ihr Haar war lang und glatt und sie trug einen einfachen Kimono und lächelte freundlich. Sie hatte ihre Arme weit ausgebreitet und um ihre Handgelenke wanden sich die heiligen Seile, die das Höllentor schließen sollten. Kin staunte. "Du... musst Kirie sein...", brachte er schließlich mit zitternder Stimme hervor. "Ich... Ich brauche deine Hilfe... Oder ich hoffe zumindest, dass du mir helfen kannst..." Die Frau hob ihren Kopf und er verstummte augenblicklich als sich ihre Augen trafen. Mehrere Minuten verstrichen ohne das ein Laut durch den Raum hallte. "Verzeih, dass du das mit ansehen musstest..." Sie senkte traurig lächelnd den Blick. "Doch selbst meine Macht kann nicht alle Seelen ruhig halten... Schon gar nicht jene, die das selbe Schicksal wie ich teilten... Aber ich kann dir im Gegenzug vielleicht sogar tatsächlich weiterhelfen..." Ein schwerer Stein fiel dem jungen Mann vom Herzen, bevor sich seine Augenbrauen zusammen zogen. "Moment mal, du weißt doch noch gar nicht worum es geht!" Ein leichtes Lächeln glitt über das wunderschöne Gesicht der Frau. "Doch, das tue ich... Zwei ... Freundinnen von dir sind in einem Spiegel aus unserer Villa verschwunden, nicht wahr?" Sprachlos nickte der Rothaarige. Wie konnte sie das wissen?! "Zerbrich dir darüber nicht den Kopf... Alles was du wissen musst ist, dass dieser Spiegel eine Art magisches Artefakt ist. Deine Begleiterinnen verfügen beide über außergewöhnliche Fähigkeiten, die diese Magie aktiviert und in eine andere Zeit geschleudert hat... Du selbst hast auch besondere Gaben, doch sind sie von anderer Natur... Jedoch genau das was du brauchst um das Portal erneut zu öffnen und sie in die richtige Zeit zurück zu holen... Komm näher..." Bisher hatte er ihr wie unter einem Zauber gelauscht und auch nun folgte er ihrer Aufforderung ohne Zögern, als hätte ihre Anwesenheit ihm sämtliche Ängste genommen. Die Seile knarrten als er direkt vor ihr stand und sie neigte den Kopf so dass sie einander berührten. Eine eisige Kälte stieg in ihm hoch, doch sie verschwand auch gleich wieder und wurde von dieser warmen Aura ersetzt. "Jetzt weißt du, was du zu tun hast... Beeil dich... Ich hoffe, du bist noch nicht zu spät!", sprach Kirie. "Ich...", begann er, brach dann jedoch ab. "Danke... Vielen Dank!", rief er dann und begann Richtung Ausgang zu gehen, als sie ihn noch einmal zurück rief. "Vergiss nicht, dass Geister durch starke Gefühle und Bündnisse entstehen, die nicht so einfach vergehen... Die Kameras deiner Freundinnen mögen die Fähigkeit haben ihre Seelen eine Zeit lang einzuschließen, doch nicht für immer... Nur eine Segnung durch einen Priester kann ihnen die Erlösung schenken... Sag ihnen das, sie werden es vielleicht schon verstehen...Und jetzt lauf!" Der Rückweg erschien Kin wesentlich kürzer,selbst wenn es genau die gleiche Strecke war. Erleichterung machte sich in ihm breit, als er die Stufen des Kaminzimmers hinunter stieg. Nur noch den Seilflur und dann war er so gut wie draußen. Plötzlich erklangen hinter ihm laute Glockenschläge und er wirbelte herum. Das Pendel der aufziehbaren Standuhr schwankte hin und her, während zeitgleich ihre Schläge erklangen. "Lauf!", hörte er plötzlich Kiries Stimme in seinem Kopf und er gehorchte ohne zu zögern. Keine Sekunde länger als nötig wollte er hier bleiben. Obwohl die herabhängenden Seile ein unangenehmes Gefühl in ihm erweckten als sie ihn berührten nahm er sich nicht die Zeit ihnen auszuweichen. All seine Sinne sagten ihm ein, dass er dieses Haus so schnell wie möglich verlassen musste, sonst würde ihn was immer ihn jagte doch noch einholen. Er war schon im Eingangsbereich als er mit seinem Fuß an einem Gerümpel hängen blieb und stolperte. Panisch krabbelte er weiter, wobei er heftigst versuchte gleichzeitig sein Bein freizubekommen, was er dann auch schaffte - wenngleich er dafür ein Stück seiner Hose zurück lassen musste. Als er durch die Tür sprintete wagte er es einen Blick über seine Schulter zu werfen und sah die Priester mit unglaublichem Tempo auf ihn zu schweben. Mit aufgerissenen Augen wandte er sich um und rannte erneut. Doch eine Hand streifte ihn, eisige Kälte und ein Schmerz wie tausend Nadelstiche durchzuckten ihn. Mit Flüchen versehen und schwer atmend strauchelte der junge Mann und ließ einen erstickten Schrei. Doch dann tat es einen lauten Knall und alles war vorbei. Kin hockte verängstigt vor dem Eingangstor der Villa Himuro und stöhnte mit zusammengekniffenen Augen. Ein Paar Arme legten sich um seine Schultern, halfen ihm auf und brachten ihn auf Distanz zu der nun fest geschlossenen Tür. Eher er richtig registrieren konnte, was um ihn herum vorging, wurde ihm auch schon ein Becher in die Hand gedrückt der warmen Kräutertee enthielt, wie er rasch feststellte. Augenblicklich beruhigten sich seine Nerven und er fühlte sich viel entspannter. "Hinasaki-san?!", fragte er überrascht als er endlich seine überraschende Helferin erkannte. Die Frau nickte. "Ich hatte kein gutes Gefühl dich alleine gehen zu lassen, also bin ich mit dem Auto hergefahren... Alles in Ordnung?" Kin lächelte schwach. "Den Umständen entsprechend würde ich mal sagen... Aber es war definitiv nicht umsonst..." "Dann konnte sie dir weiter helfen? Das freut mich ja wirklich zu hören!" "Mich auch... Hinasaki-san, könnten Sie mir vielleicht einen Gefallen tun?" Kin nippte an seinem heißen Tee. Frau Hinasaki schaute ihn freundlich an. "Miku. Sag ruhig Miku zu mir. Hinasaki-san hört sich an, als wäre ich 60 Jahre alt.", lächelte sie. Dann wurde ihr Blick wieder ernst. "Worum geht es denn?" "Ich muss dringend wieder zurück nach Kyoto, können Sie mich eventuell zum Bahnhof mitnehmen? Natürlich den in Tokyo." "Natürlich, dein Fahrrad hab ich übrigens schon in den Kofferraum während ich gewartet habe..." "Wie lange haben Sie denn schon gewartet?" "Keine Ahnung... Doch schon eine Weile... Ich konnte beim besten Willen nicht den Mut aufbringen und das Haus nochmal betreten um nach dir zu sehen... Wenn du nicht innerhalb der nächsten Stunde gekommen wärst, hätte ich wohl wieder kehrt gemacht...", gab sie zu. "Dann hab ich ja nochmal Glück gehabt...", antwortete Kin ihr und erhielt ein Lächeln. "Lass uns fahren, du hast immerhin noch ein ziemliches Stück vor dir, nicht wahr?" Kin nickte und erledigte während der Autofahrt rasch einige Telefonate um sich die nötigen Tickets zu besorgen und natürlich um seine Mutter zu beruhigen, die sich seit sein Halbbruder verschwunden war fast jedes mal fast einen Anfall bekam, wenn ihr Spross sich nicht regelmäßig meldete. "Ich danke Ihnen wirklich vom ganzen Herzen, Miku. Sie waren mir eine große Hilfe... Ach und bevor ich es vergesse... Hier haben Sie Ihre Karte wieder...", verabschiedete er sich von der Frau am Bahnhof, doch diese schüttelte den Kopf, während sie das alte Papier in der Tasche verschwinden ließ. "Ich wünschte, ich hätte dir mehr helfen können, als dich direkt in dieses Höllenhaus zu schicken." "Das allein hat gereicht. Immerhin weiß ich jetzt ja, was ich wissen muss. Auf ein Wiedersehen unter besseren Umständen.", lächelte Kin und verbeugte sich, woraufhin ihm Miku dies gleich tat. === (Yósomura, 1956) Jin staunte nicht schlecht, als die beiden Schülerinnen am Friedhof, einem großen Gelände mit alten bemoosten Grabpfeilern, eintrafen. Besonders die Tatsache, dass sich ihr schwarzes Buch friedlich auf einem der Gräber befand ließ die sonst so redegewandte Chinesin verstummen. Sie hustete stark und schüttelte immer wieder den Kopf. "Kann doch nicht wahr sein...", murmelte sie, während ihre Freundin ängstlich den Friedhof mit der Taschenlampe ableuchtete. "Bist du jetzt zufrieden? Können wir bitte gehen? Ich find's hier nicht so granatenmäßig... weißt du?" Jin warf einen sarkastischen Blick in Richtung Mi. "Och nö... sei doch froh! Wir haben mein heiliges Buch wieder! Sieh mal, nicht mal ein.... OH!" Als die Chinesin das Buch freudig hin und her schwenkte fiel plötzlich ein Zettel aus dem dicken Wälzer. "M..Mi! Das... Das hat Kin geschrieben!!!", brachte sie mit rauer Stimme hervor. Miyako stürzte zu ihrer Freundin und beleuchtete das Blatt Papier, das Jin in ihren zitternden Händen hielt. "Hallo Jin, hallo Miyako. Wenn ihr das lest, rührt euch bloß nicht vom Fleck! Ihr habt ja keine Ahnung, was ich hier schon alles versucht hab, um euch rauszuholen. Ich hoffe Jin findet das Buch. Es ist mir irgendwie in die Hände gefallen, aber bitte fragt mich nicht, wie das passiert ist. Ich erkläre euch alles später. Jedenfalls, bleibt wo ihr seid. Ich habe einen Weg gefunden, euch zurück zu bringen. Es wird aber noch ein bisschen dauern. Kin" Ungläubig starrten beide Mädchen auf das Papier und dann einander an und wussten nicht, ob sie vor Freude weinen oder vor Staunen krächzen sollten.... ==== Author's Notes: Wheeeeeee.....!!!! Wir haben dieses Kapitel eeendlich fertig *.*.... Es hat sich gezogen wie ein Strudelteig und überhaupt war es sehr schwer, den ganzen ausgedachten Plot in dieses Kappi zu stopfen XD... jedenfalls, hat es im Open Office mit Verdana 11 ganze 18 Seiten *stolz* und Nici und ich (dat Feechen ^ ^)haben den Rest, also nach der Geschichte mit dem Manobu-san, dem Yakuza und der Geisha in einem Tag geschrieben *höhö* Nach langem hin und her mit dem Golem haben wir überlegt, WAS genau jetzt eigentlich passiert ist, und da kam uns die Idee, ob der Golem nicht eine Art verbannter Wächter sein könnte... das viele Blut das auf Jin ist, ist übrigens das von den vielen Menschen, die der Yakuza im Laufe seines Lebens umgebracht hat. Für einige (katokira *g*) wird es erfreulich sein zu lesen, das Kin ENDLICH eine wichtige Aufgabe in dieser Geschichte bekommt... recherchieren!! XD...und dann schicken wir ihn gleich noch in die Villa Himuro, die in Projekt Zero 1 und 3 vorkommt XD... poor Kin *streichel* - Die Wegbeschreibung, die Rituale und der Text der Priester sowie Kirie sind NICHT von uns sondern entstammen allesamt den Leuten von TECMO.... Alle Schock-Szenen, die das arme Kin-chan durchläuft sind pure Absicht und eigens von Nici's Gehirn produziert *fg* - mein Part war dieses mal die Geschichte des unglücklich Verliebten und der Geisha, die einem anderen versprochen ist. Ich habe kürzlich wieder einmal "Memoirs of a Geisha" von Athur Golden gelesen, auf dieses Buch möchte ich mich in puncto Geisha-"Bräuche" auch beziehen. Dies entstammt also zu sicher 90% der Wahrheit.... außer, dass die Beiden einfach so das Schauspiel am Anfang verlassen ist etwas unreal, aber wurscht *gg* Guuuut... die Sommerpause ist vorbei, der Cliffhanger is fies *raffianschiel* *toothysmile* und wir sind wieder im Geschäft! *strike* danke an alle die dieses Kapitel lesen, alle die die Geschichte kommentieren und an die braven Beta-Tierchen *raffiflausch* *berndknuff* Chiisai & Onee-chan ^_^// Chapter 3 || Shadow of Destiny a.k.a. The return pt. 2 ~faraway voice~ ---------------------------------------------------------------------- Chapter III Shadow of Destiny a.k.a. The return pt. 2 ~faraway voice~ "Hallo Jin, hallo Miyako. Wenn ihr das lest, rührt euch bloß nicht vom Fleck! Ihr habt ja keine Ahnung, was ich hier schon alles versucht hab, um euch rauszuholen. Ich hoffe Jin findet das Buch. Es ist mir irgendwie in die Hände gefallen, aber bitte fragt mich nicht, wie das passiert ist. Ich erkläre euch alles später. Jedenfalls, bleibt wo ihr seid. Ich habe einen Weg gefunden, euch zurück zu bringen. Es wird aber noch ein bisschen dauern. Kin" Jin ließ sich auf den Boden plumpsen. Sie presste das Buch fest an ihre Brust und es schien fast so, als würde sie es hin und her wiegen. Miyako stieß einen Seufzer der Erleichterung aus und hockte sich ebenfalls hin. Einen Moment verschnaufen zu können, das war genau das, was die Beiden jetzt dringend brauchten. "Glaubst du das?", kam es von der Chinesin, die das Buch immer noch umarmte. "Ich weiß noch nicht genau... Das klingt ehrlich gesagt zu schön, um wahr zu sein." Miyako wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln. Endlich kam Rettung! Aber es war wirklich unglaublich, Kin schien eine Art Portal gefunden zu haben. Oder vielleicht, hatte er auch den Spiegel berührt. Wie viel Zeit wohl in der Gegenwart vergangen war? Ein Tag? Ein paar Stunden? Ein Monat? Die Mädchen starrten einander an und rätselten, wie lange es wohl dauern mochte, ehe sie von diesem höllischen Ort befreit werden würden. Jin richtete ihren Blick in den Himmel. Endlich würde sie nicht mehr monotones Grau erblicken, sondern bald wieder weiße Wölkchen am Himmel zählen können. Im Gras liegen und einfach in den azurblauen Himmel schauen. "Yogata ne...", schniefte sie leise und fixierte ihr schwarzes Buch. Dich lass ich nie mehr aus den Augen, vergiss es, du kannst nicht mehr einfach so verschwinden!, fauchte sie in Gedanken. Miyako hatte sich in der Zwischenzeit erhoben und ging einen der schmalen, mit Kies ausgelegten Wege entlang. Mit ihrer Taschenlampe beleuchtete einzelne Grabpfeiler. Viele waren überwuchert mit Moos oder Flechten, andere waren noch ganz gut erhalten und man konnte die Daten der Personen ausmachen. Viele gräuliche Pfeiler auf einem Haufen symbolisierten eine Familie, größere Grabsteine deuteten auf eine wohlhabende Person hin, überhaupt konnte man schon alleine vom Stand der Pfeiler auf dem Friedhof sagen, dass es viele große Familien gegeben haben musste, aber auch viele reiche Leute. Miyako wusste dies aus dem "Unterricht", den ihr Tante Michiko, die Shinto-Priesterin war, gab. Ganz links von den ganzen schmalen Wegen und Grabsteinen führte ein schmaler Pfad zu einem mittelgroßen Schrein, der etwas erhöht auf einem aufgeschütteten Hügel lag. Der dunkelblaue, liebevoll verzierte Schrein schien als Gedenkstelle zu dienen und auf dessen Ablageflächen waren Schüsseln, in denen Räucherwerk verbrannt werden konnte. Miyako marschierte die schmalen Wege ab, die mit Kies ausgelegt waren und leuchtete dabei immer auf die Pfeiler. Im hinteren Abschnitt des Friedhofes war eine Hütte, die im Gefälle des großen Friedhofes lag und ziemlich windschief dastand. Ziemlich eingefallen mit vielen Löchern versehen, deutete sie einen einstigen Schuppen an. "Wohl eine Art Schuppen für Gartengeräte.", murmelte die Japanerin. Weiter unten am Gefälle ging ein Weg entlang, dieser war aber ein schlichter Trampelpfad, der an einer Stelle mit groben Steinen, die als Stufen fungierten, versehen war. Miyako stieg den Lehmweg hinab, der leicht feucht war und sah sich vor, nicht zu stürzen, denn der Boden war rutschig. Unten angekommen stand die zierliche Oberschülerin auf einer großen Fläche Gras, das leicht feucht war und vor einem breiten Bach, der sich zwischen den einzelnen gewachsenen Bäumen und Sträuchern hindurchschlängelte. An einer Stelle vor dem Fluss waren mehrere kleine Holzhaufen, ein paar davon abgebrannt. Hier schien jemand ein Lagerfeuer gemacht zu haben. Miyako lächelte, denn auch dieses Merkmal war ihr bekannt. Es handelte sich um einen geweihten Bach, darum die Feuerstellen. Am Bach konnten die Angehörigen der Verstorbenen beten und sich auch von eigenen Sünden befreien, in dem sie kleine weiße Papierschiffchen ins Wasser setzten. In diesem Papierschiffchen war eine kleine Figur, die auch aus Papier bestand und den Menschen darstellte. Mit der Reise auf dem Wasser wurden dem Menschen die Sünden rein gewaschen. "Alter Shinto-Glaube.", scherzte Miyako und trottete wieder zurück Richtung Anhöhe. Dieses Mal wollte sie sich den schönen Schrein ganz zu Anfang des Friedhofsgeländes ansehen. Jin war inzwischen aufmerksam auf das Fehlen ihrer Freundin geworden. "He, Mi!", rief sie. "Sag mal, du kannst doch lesen oder? Kin schrieb 'Rührt euch NICHT vom Fleck!', warum...", zeterte die Chinesin halblaut in das große Areal des Friedhofes hinein, dort, wo sich ein kleiner Lichtkegel zitternd hin und her bewegte. "Mi-ya-kooo?" Jin stand auf, denn der Lichtkegel bewegte sich nicht mehr. Miyako war erstarrt. Vor ihr stand eine leuchtend weiße Gestalt. Ein kleines Kind, das vor dem Schrein stand. Die Japanerin ging vorsichtig näher. Jin bewegte sich ebenso vorsichtig in die Richtung des Lichtkegels ihrer Freundin. Da ist schon wieder irgendwas, das riech ich ja förmlich, dachte sie und ging um einige der größeren Steinpfeiler und Gedenktafeln herum. Erst als sie schon fast zu nahe war, sah sie das Mädchen. "Ist... das die selbe wie in der Kammer?", flüsterte sie. Miyako stand einen guten Meter neben ihr und nickte nur, während sie die leuchtende Gestalt fixierte. Das Mädchen war etwa vier Meter von ihnen entfernt und stand vor dem Schrein. Es hatte den Kopf gesenkt und die Hände gefaltet, und schien lautlos ein Gebet zu sprechen. Dann verblasste es und verschwand schließlich vollständig. Die Oberschülerinnen waren verdutzt. Sie sahen sich um, weil sie nicht daran glaubten, dass der Spuk so ein jähes Ende hatte. Doch es blieb still am Friedhof der elementaren Götter. Jin seufzte. "Komm wir sollten in den Wald da drüben, endlich mal die restlichen Sachen suchen. Es ist grade etwas heller geworden." "Stimmt,", fügte ihre japanische Freundin an. "wir sollten mal deine Sachen finden, außerdem vermisse ich mein Funkgerät..." Sie gingen ein Stück in Richtung des Schuppens. Plötzlich ging vor ihnen eine Tür auf. Jin quiekte erschreckt auf. "Scheiße... Lauf!!" zischte sie und zog Miyako hinter sich her. Eine schwarze klebrige Masse waberte aus dem Schuppen und riss sein mit vielen spitzen Zähnen versehenes Maul auf... ===== Tokyo, 8. Juni 2005, 21:10 Kin stand vor dem Spiegel. Er schluckte hart. Er war wieder zurückgekehrt in den Raum, in den die beiden Mädchen vor seinen Augen verschwunden waren. Wie er es dieses Mal wieder ohne gesehen zu werden hier herein geschafft hatte, war ihm ein Rätsel. Er fixierte die silbern glänzende Oberfläche des riesigen Spiegels. Erst bei genauerem Betrachten sah er, dass der Spiegel schon an den Rändern einige feine Risse hatte. Er war in einen großen Rahmen aus schwarzem Holz gefasst worden, der mit jadefarbenen Steinen besetzt war und bei etwas Licht konnte man auch die silbern glitzernden Partikel auf der Oberfläche des Holzes erkennen. Fast zu prunkvoll für einen Shinto-Tempel, fand der junge Mann. Der Spiegel reflektierte das schwache Licht der vielen Kerzen, dass der Halbjapaner entfacht hatte. Für das, was er jetzt vorhatte, brauchte er nicht nur viel Energie, sondern auch eine gehörige Portion Glück. Er atmete tief ein und aus um seine Nerven zu beruhigen, als er plötzlich etwas im Licht der Taschenlampe reflektieren sah. Hinter dem Spiegel lag etwas. Bei näherem Betrachten stellte sich heraus, es war ein alt aussehendes Buch, ganz schwarz, nur ein paar Eisenbeschläge blitzen silbern auf, als Kin mit der Taschenlampe darüber leuchtete. Er streckte die Hand aus und seine Fingerkuppen steuerten auf die Spiegeloberfläche zu. Das Buch lag da, als wollte es sagen: "Komm, nimm mich, nimm mich mit dir!". Kin schluckte abermals und biss sich auf die Lippen als seine Finger in etwas eisig Kaltes tauchten. Er sah, wie seine Hand IN den Spiegel drang und dort auf der anderen Seite erschien. Es war, als würde eine unsichtbare Macht den Spiegel ein kleines Stück "aufhalten", um ihn das Buch nehmen zu lassen. Noch ein Stück, dann hatte er das schwere Objekt. Mittlerweile war es so kalt im Spiegel, dass Kin mit den Zähnen klapperte. Er fühlte wie sich das Glas in seinen Unterarm zu schneiden versuchte und zog den Arm samt Buch schnell zurück. Nicht schnell genug, denn sein Sweatshirt wurde dabei aufgeschnitten. Hellrotes Blut wurde von dem saugfähigen Baumwollstoff aufgenommen und Kin fluchte. Als er erneut die Hand auf den Spiegel legte, war er wieder eine glatte undurchdringbare Fläche geworden... Der Halbjapaner schlug das Buch auf und blätterte darin herum. Doch darin fand er nur leere, unbeschriebene Seiten, egal wie weit er kam. Verwirrt drehte er das Buch um. Vielleicht hatte er es ja falsch aufgeschlagen, doch auch hier fand er nur leere Seiten. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen. Er hatte keine Ahnung warum dieses Buch im Spiegel gelegen hatte, und er wusste auch nicht, warum es keinem aufgefallen war! Das Buch musste gerade eben erschienen sein, als der junge Japaner den Tempel unerlaubter Weise betreten hatte. Am Vorabend war es schließlich auch noch nicht herumgelegen. Kin ließ sich im Schneidersitz auf den dunklen Steinboden nieder und betrachtete das Buch, doch es hatte keinen Sinn, das Buch war leer. Geknickt wollte er es gerade zuschlagen und auf die Seite legen, als er auf der letzten Seite etwas entdeckte. Seine grünen Augen blitzten auf und sein Mund stand für einen Moment offen. Schon wieder etwas Obskures! Ganz unten, am rechten Rand der letzten Seite formten sich, als würde es per Geisterhand geschrieben werden, chinesische Schriftzeichen! Schnell griff er nach seinem Notizbuch und begann diese eiligst abzuzeichnen bevor sie auch schon wieder verschwanden. Ungläubig schüttelte der junge Mann den Kopf. Er wartete, doch nichts passierte. Kein zweites Mal erschienen die Schriftzeichen und so klappte er das dicke schwarze Buch zu und legte es auf die Seite neben seine Tasche. Ich bin doch eigentlich wegen ganz was anderem hier!, ermahnte er sich und wandte sich wieder dem Spiegel zu. Die Blutung an seinem Unterarm hatte wieder aufgehört, doch es zog immer noch leicht, besonders wenn er Kraft anwandte um etwas zu verschieben. Dies tat er nämlich mit dem großen Spiegel, mühevoll versuchte er ihn in eine etwas andere Position zu bringen, so dass die reflektierende Scheibe das Mondlicht auffing, das zu den vielen Fenstern im Tempel herein schien. Abrupt wurde es heller in dem Raum und Kin konnte die Umrisse der vielen Gegenstände und des Mobiliars erkennen. Kurz erinnerte er sich, dass die Kleine, Miyako, so für die Inneneinrichtung dieses Tempels geschwärmt hatte und musste lächeln, weil er selber gerne verweilt hätte, um alles in Ruhe betrachten zu können. Danach schloss der Halbjapaner konzentriert die Augen und stellte sich vor den Spiegel. Anfangs fühlte er sich etwas seltsam, fast mulmig, aber nach einer Weile hatte er seine innere Ruhe gefunden und atmete tief ein und aus. Es ging schon mal, also werd ich es auch dieses Mal schaffen. Langsam baute sich die Energie um ihn herum auf, er konnte es richtig fühlen. Das war es, was Kirie gemeint hatte. Der junge Mann streckte seine Hand aus und erwartete schon das klirrend Kalte, das seine Fingerkuppen ummantelte als er plötzlich von einem schrillen Piepsen unterbrochen wurde. Kin zuckte zurück. All die Energie war mit einem Mal verschwunden und der Student stieß einen frustrierten Laut aus. Mit hängenden Schultern kramte er in seiner Tasche herum und fand sein Handy, den Störenfried. Seine Augen flammten auf, als versuchten sie dieses verfluchte Plastikteil zu schmelzen, doch dann blickte er überrascht auf den kleinen Bildschirm des Mobiltelefons. Eine EMS war eingetroffen: "Für den Mann, der nach Antworten sucht, komm nach draußen, du Hund! ;-)", darunter fand Kin ein Bild von dem Tempel in dem er gerade stand. Verdutzt rappelte er sich auf und stapfte nach draußen. Lässig an einer Laterne lehnte sein guter Freund Kado, der mit seinem Handy hin und her wedelte, so das Kin befürchtete, er würde es im nächsten Moment fallen lassen. "Was soll das? Spielst du neuerdings meinen Anstands-Wauwau oder was?", begrüßte Kin seinen Kollegen und versteckte schnell seinen rechten Arm hinter dem Rücken, Kado musste ja nicht sehen, dass er verletzt war. "Ich verlange 20.000 Yen pro Stunde, Kleiner.", kam Kado's ebenso freundliche Begrüßung. "Du wirst es nicht glauben, aber der Zufall schickt mich hier her. Eigentlich sollte ich hier auf Yumi warten, aber sie ist noch nicht zurück von ihrem Deutschkurs für Fortgeschrittene." Kado tippte auf die Uhr und sah dann nach rechts auf die Straße hinüber. "Ich hab im Tempel schwaches Licht gesehen, und du hast mir mal etwas von einem Tempel erzählt, also hab ich auf gut Glück dieses ENS getippt und gehofft, du bist wirklich da drin.", grinste er selbstsicher. Kin starrte ihn an. "Kannst du hellsehen?", fragte er mit einem unsicheren Unterton und fixierte Kado, der immer noch mit seinem Handy spielte. "Nope... aber offensichtlich gut raten!", zwinkerte der Japaner zurück. Kado überragte den Rothaarigen um einige Zentimeter und war auch breiter gebaut, weshalb er die Karte des "Anstands-Wauwau's" manchmal gerne ausspielte. Kin seufzte entnervt und streckte sich. "Also... warte kurz!", meinte er dann plötzlich und lief schnell zum Tempel zurück. "He!", kam es von seinem Kollegen doch ehe er sich versah, stand der kleinere Japaner wieder vor ihm und hielt ihm einen Zettel vor die Nase. "Mach dich nützlich: Sag mir was das heißt." Kado nahm den Zettel entgegen. "Das sind chinesische Schriftzeichen. Lernst du seit neuestem Fremdsprachen?" "Nein! Ich habe sie wo gelesen und wollte wissen, was sie bedeuten.", antwortete der Halbjapaner. "Phuuu... mal sehen. Ich kann etwas chinesisch, Yumi wollte mal, dass wir einen Kurs zusammen machen und da hab ich halt ja gesagt und auf jeden Fall haben wir...", faselte Kado. "Kado! Lies. Es. Mir. Einfach. Vor!" Kin knirschte mit den Zähnen. "Ja ja, schon gut... Also: Das kann heißen... Die ersten beiden Zeichen stehen für zwei Kaiser aus China, ähm, also Li und Sun... das zweite heißt: ,Lotus'... also Fen... äh... dann ,Gold' für Jin...." Kin ging ein Licht auf. "Jin Lien Fen Li-Sun?", fragte er zur Sicherheit nach. "Ja... genau! Jin Lien Fen Li-Sun! Goldener, lieblich duftender Lotus der Kaiser... Warum fragst du mich, wenn du es... hey!" Kin zupfte den Zettel aus Kado's Händen und nahm ihn. schnell wieder an sich. "Danke Kumpel!", rief er und ließ seinen Kollegen an der Laterne stehen, um wieder zum Temepl zurück zu hechten. "Akagawa! Was... Ach vergiss es...", grinste Kado nur. "Du meldest dich schon, wenn du wieder in der Patsche steckst..." Damit ging der groß gewachsene Mann die Straße weiter hinauf und seufzte erleichtert als nach ewig dauernden Minuten endlich seine Yumi auf ihn zugelaufen kam... "Das ist Jin's Buch!!!", rief Kin begeistert. "Aber... was bringt mir ein leeres Buch, das Jin gehört?" Das klang schon weniger begeistert. Der junge Mann seufzte erneut. "Hmm... ein leeres Buch, das Jin gehört... Moment." Kin stutzte und kratzte sich am Ohr. "Das heißt, die Gute ist nicht weit vom Buch entfernt? Nee... Ah! Ich könnte..." Noch ehe er zu Ende gesprochen hatte, riss er einen Zettel aus seinem Notizbuch. Etwas schmerzvoll betrachtete er die Stelle, ausgefranst und klappte dann sein heiliges Notizbuch wieder zu. Er nahm sich einen Stift und schrieb eine Nachricht auf die leere Seite, die er dann in das schwarze Buch legte. "Sehr gut... und jetzt muss das Buch nur noch da drüben ankommen...", murmelte er und stellte sich wieder vor den Spiegel. Das Buch lag auf dem Boden zwischen seinen Füßen und der junge Mann musterte es kurz ehe er erneut die Augen schloss um zur Ruhe zu kommen. Tief atmete er, doch sein Herzschlag war noch viel zu schnell für diese Aufgabe. Kin schloss die Augen und atmete tief ein und aus, versuchte in sich zu gehen wie beim Meditieren, und sich zu beruhigen. "In der Ruhe liegt die Kraft...", flüsterte er zu sich selbst. Erst als er wieder einen halbwegs gleichmäßigen Puls hatte, machte er weiter, ließ die Energie zu ihm fließen, dabei stellte er sich vor, wie sie sich um ihn legte wie eine zweite Haut oder ein Schutzschild. Wenige Minuten später konnte er sie fühlen, wie sie sanft wie Seide, seine Haut berührte, jedoch so geladen war, dass es überall zu prickeln begann und er leicht zitternd Luft einsog. Ganz langsam streckte er seine rechte Hand aus, jedoch so, dass noch ein kleiner Abstand zwischen ihm und der Spiegeloberfläche war. Nachdem er sicher war, dass die Energiehülle stabilisiert war, erzeugte er einen Schwerpunkt in der Mitte seiner Handfläche. Kleine Schweißtropfen bildeten sich, als er fühlte wie die Hülle um ihn herum dünner wurde und eine Art Kugel beim Schwerpunkt bildete. Diese Kugel, bestehend aus reiner Energie, berührte nun die Spiegeloberfläche und Kin lehnte sich nun etwas vor, bis er die kalte und glatte Oberfläche spürte. Zuerst passierte nichts, dann begann sich die Kugel anzupassen, sich kreisförmig über den Spiegel auszubreiten, bis er völlig bedeckt war. Spannung baute sich auf und mit jedem Herzschlag Kin's gingen Energiewellen von ihm aus, die vom Rand wieder zurückgeworfen wurden. Als Kin dann fühlte wie die Fläche unter seiner Haut nachgab hätte er beinahe erneut die Konzentration verloren, so kalt war es im Spiegel. Doch er konnte sich gerade noch sammeln und den Energiefluss stabilisieren. Das Portal begann sich zu öffnen und der Halbjapaner fühlte einen schwachen, kühlen Sog. Abwesend fütterte er das Tor mit der angesammelten Energie, ließ es wachsen, während er selbst in die Knie ging und mit der linken Hand Jin's Buch aufhob, das auch seine Nachricht enthielt. Dann streckte er die linke Hand parallel zur rechten aus und wartete bis er den Sog das Buch ergreifen fühlen konnte und ließ los. In jenem Moment in dem er das Buch auf der anderen Seite ankommen fühlte, öffnete er die Augen und konnte noch kurz einen Blick auf einen alten Friedhof erhaschen, bevor er sämtliche Energie aufgebraucht hatte, das Portal zusammen fiel und ihn selbst schwarz vor Augen wurde... ==== (Yòsomura, 1956) Miyako hetzte durch die schmalen, labyrinthartigen Gänge am Friedhof und schaute sich suchend um. Jin war dicht hinter ihr und feuerte ihre japanische Freundin an, bloß nicht stehen zu bleiben. "Lauf weiter, oder willst du Zadru-Futter werden!", fauchte Jin und schlug Miyako energisch auf den Po. Diese quiekte und lief einen Moment lang noch schneller. "Warte! Da!", schnaufte die Japanerin plötzlich und deutete nach rechts. Dort floh auch das junge Mädchen. Lautlos schwebte es davon, dicht gefolgt von dem Zadru. Dieser hatte es sich einfach gemacht und war quer über den Friedhof geschleimt, da er sich nicht durch die schmalen Gänge winden musste. Das Mädchen war zwar weiter weg, als die beiden jungen Frauen, doch es schien dem Monster schmackhafter, denn ihr musste er nicht mehr die Seele aussaugen... "Das können wir nicht zulassen! Der frisst die und dann ist sie für immer verloren!", rief Miyako und machte eine scharfe Kurve nach rechts. "Warte! Spinnst du!? Mi!!" Jin blieb nichts anderes übrig, als ebenfalls nach rechts einzulenken und ihrer wagemutigen - oder eher vollkommen verrückten - Freundin nachzulaufen. Miyako hörte nicht auf die Chinesin und lief auf den kleinen Geist zu. Anders als die bisherig aufgetauchten Kinder, war dieses Mädchen nicht gefährlich oder wollte "Fangen spielen". Es war einfach nur da. Die Japanerin ballte die Fäuste zusammen und rannte auf den Zadru zu, der sich jetzt vor dem Schrein befand und die Richtung wieder zurück zum Schuppen eingeschlagen hatte, denn der kleine Geist hatte einen Haken geschlagen und war in Richtung der verfallenen Hütte entwischt. "Mal sehen wie dir das schmeckt", gab sie grimmig von sich, ehe sie den schwarzen Klumpen mit voller Wucht rammte. "Aiiiihhh!!!", schrie sie. Der klebrige schwarze Schleim brannte auf der Haut wie eine Säure. Hustend richtete die junge Frau sich auf und blickte hinter sich. Der Zadru hatte angehalten und gab seltsam quietschende Laute von sich. Wie ein altes Türschloss hörte sich dieses Winseln an und Miyako rappelte sich auf. Erneut schlug sie nach dem Haufen, diesmal - Schaden macht klug - mit der Tasche, die sie umgehängt hatte. "Miyako! Bist du von allen guten Geistern verl..." Jin stürmte ebenfalls auf den Zadru zu und beobachtete, wie ihre Freundin energisch auf den Schleimbrocken einschlug. Jin ballte die Fäuste und hielt nach dem Mädchen Ausschau. "Wenn sich das nicht rentiert, dann kannst du dir nachher was anhören!", meinte sie gereizt und riss den Haargummi aus dem geflochtenen Zopf... Gierig bäumte sich das Ungetüm auf und hatte gerade Miyako's Tasche ins Visier genommen um die darin befindlichen Fotos zu fressen, als Jin plötzlich stehen blieb und anfing zu knurren. Miyako machte einen Satz zurück in Richtung des Schreins, gerade noch rechtzeitig bekam sie auch ihre Tasche außer Zadru-Maul-Reichweite und dann geschah wieder das Unglaubliche. Jin's grüne Augen glühten wie zwei Scheinwerfer eines Autos und ihre schwarzen Haare wuchsen enorm schnell, sie schossen ungeheuer schnell aus ihrem Kopf und wellten sich in der Luft. Kurz umschlossen sie Jin's gesamten Körper, welche bedrohliche Laute von sich gab, ehe sie alle auf den Zadru zuschnellten. Ein Zischen zerfetzte die dunstige Luft und Miyako, die sich an eine Seitenwand des Gedenkschreins gedrückt hatte, sah gebannt wie die Haare sich in den schleimigen Körper des Monsters bohrten. Wie Pfeile spießten sie ihn auf, verankerten sich am Ende und zogen den Zadru mit sich in die Luft. Dann gab es einen großen Knall und es regnete dunkle Schleimfetzen. Jin fiel auf ihre Knie und keuchte. Unter all dieser Anstrengung war dies aber auch kein Wunder. Immer mehr Schleimfetzen fielen auf den Friedhof, wo sie augenblicklich verdunsteten. Dutzende helle, kleine Gaskugeln entwichen in den Himmel. Miyako vergoss still ein paar Tränen, über die nun endlich freien Seelen und rappelte sich dann von dem feuchten Lehmboden hoch, um sich den Schmutz von der Kleidung zu wischen. Jin schüttelte ihre mittlerweile wieder kürzer gewordenen Haare. "Wenn ich bloß wüsste, was das ist... langsam krieg ich Angst vor mir selber", brummte sie, als sie die schwarze Mähne wieder zu einem züchtigen Zopf geflochten hatte. "So und jetzt zu dir! Sag mal, du bist nicht mehr ganz dicht, oder? Ich meine, du hättest auch sterben können! Zadru's sind Seelenfresser, weißt du nicht mehr??" Jin schnauzte ihre Freundin kalt an, während sie zur gleichen Zeit Hände und Gesicht der Japanerin untersuchte. "Du hast Brandwunden. Die Dinger ätzen wie Säure... Bitte pass doch nächstes Mal auf!", jammerte sie dann weiter und Miyako lächelte beschämt. "Gomen ne (jap. für Verzeihung)... Onee-chan (jap. für Schwesterchen)...", flüsterte sie, ehe sie Jin kräftig drückte. "Aah... komm mir nicht mit 'Gomen ne'.. lass uns jetzt lieber dieses Mondkind suchen gehen!" Jin schob Miyako etwas von sich und drehte sich um eilenden Schrittes Richtung Torbogen zu stapfen, der sich am Beginn des Friedhofes aus alten Granitsteinen auftürmte. Dann blieb sie jedoch stehen und drehte sich um. Fast zärtlich kamen die Worte aus ihrem Mund: "Du bist mir wichtig... Mi... Also bitte, pass auf dich auf!" Miyako lächelte unbeholfen und nickte nur stumm. Da tat es ein seltsam knisterndes Geräusch hinter der Japenerin und Jin riss die Augen auf. "Ah... äh...Mi... da ist sie wieder.", kam es von der Chinesin, die immer noch mit dem Gesicht zu ihrer Freundin stand und Miyako drehte sich überrascht um. Das kleine Mädchen von vorhin hielt den Kopf gesenkt und stand zusammengekauert vor ihnen, allerdings mit dem Rücken zu den beiden Mädchen. Sie begann ein paar Schritte zu gehen und bog nach einer Weile links ab. Manchmal verblasste das Bild des Geistes so stark, dass die Schülerinnen Mühe hatten, sie zu entdecken. Der Friedhof war nicht gerade klein, obwohl er nur zu einem Dorf gehört hatte. Kurze Zeit später blieb die helle Gestalt vor einem Grabpfeiler stehen. Dieser war schon alt und mit Moos besetzt, während vermoderte Blätter auf dem Boden vor dem Stein lagen und ihn fast wie eine Kette umgaben. Das Mädchen legte die Hände zu einem Gebet zusammen und kniete sich kurz hin, um den Pfeiler an seinem Sockel zu berühren. Dann war es weg, so plötzlich, dass die Mädchen sich erschrocken umsahen, ob nicht erneut ein Zadru aufgetaucht war. Doch es war wieder still im Friedhof zur elementaren Ruhe. Erst einen Moment später machte Miyako ihre chinesische Freundin auf das leicht glühende Etwas auf dem Sockel des Grabpfeilers aufmerksam, vor dem eben noch das Mädchen gestanden hatte. "Schau mal!", meinte sie und leuchtete mit der Taschenlampe auf den Sockel. Da lag tatsächlich etwas. Jin hockte sich hin und griff nach dem leuchtenden Ding. Anfangs hatte sie Bedenken, was wäre, wenn es gefährlich wäre? Doch dann überwog ihre Neugier und sie streckte ihre schlanken Finger nach dem kleinen Glühenden aus. Es war ein Stein, ein wunderschöner sogar: Ein schwach leuchtender Kristall von einem tiefen smaragdgrün, etwa so groß und so geformt wie ein kleines Hühnerei, noch ungeschliffen, aber man konnte schon jetzt sehen, wie wertvoll dieser Kristall war. Darunter, als hätte der Kristall ihn beschwert, lag ein Zettel, vergilbt und leicht angerissen. Miyako hob diesen hoch und hielt ihn vor den Lichtkegel ihrer Taschenlampe. "14. August, Meiji 2. Omi ist heute gestorben. Es war furchtbar traurig, Mami hat sehr geweint. Ich auch und Papa musste uns andauernd trösten. Er nahm Mami immer wieder in den Arm und meinte dann ,Sie ist jetzt bei ihrem geliebten Ehemann, dort ist sie glücklich und passt jetzt von oben auf uns auf'. Ich habe auch nicht anders gekonnt als zu weinen. Mit Omi konnte ich über alles reden und sie hat mir immer so schöne Geschichten erzählt. Es war immer spannend, ihr zu zuhören. Jetzt ist sie gegangen und ruht neben Opi-chan am Friedhof zur elementaren Ruhe. Der Priester war sehr freundlich und hat uns auch bei der Bestattung beigestanden. Omi hat mir einmal einen voll schönen Stein geschenkt und gesagt, der wird nur von Generation zu Generation an ein Mädchen weiter gegeben. Sie meinte, wenn Papa genug Geld zusammen hätte, könnte er mir daraus vielleicht einen Anhänger zu meiner Kette machen lassen. Der Goldschmied, hätte da sicher weitergeholfen. Jetzt ist Omi gegangen und... ach, ich bin so traurig. Omi, Opi-chan. Bald ist wieder das Fest der Reinigung und sie wählen das nächste Kind aus. Ich wäre so gerne das Kind. Und ich hätte euch Beiden so gerne davon erzählt! Ich werde den Stein in Ehren halten, ganz ganz fest versprochen. Eure Miharu Miyako's Augen glänzten leicht, als sie den Zettel wieder vom Licht entfernte und ihn dann in die leicht zerfledderte Tasche steckte. Jin seufzte nur. "Der Stein ist voll schön. Mein Vater kennt sich gut mit Steinen aus, vielleicht können wir ihn danach fragen, wenn wir endlich hier rauskommen." Danach erhob sich die Chinesin und nahm die Hand ihrer Freundin, legte den Stein hinein und schloss Miyako's Hand danach. "Da. Pass gut drauf auf. Die Kleine hat ihn gehütet wie einen Schatz." Die Japanerin sprach ein kurzes Gebet und faltete die Hände in einer komplizierten Art, ehe sie mit ihnen den Grabpfeiler berührte. "Ruhet sanft...", flüsterte sie und schluckte tapfer den Kloß der Trauer hinunter. Auch das macht eine gute Priesterin aus, dachte sie sich. Man muss in schweren Situationen stets ein Fels in der Brandung sein. Dann gingen die Beiden in Richtung des Torbogens um im Wald in der Nähe vielleicht doch noch ein paar Sachen zu finden, die sie bei der unsanften Landung am Anfang der schier endlos scheinenden Woche verloren hatten.... ===== Tokyo, 9. Juni 2005, 01:35 "Ugh..." Mit einem schmerzverzogenen Gesicht versuchte Kin sich aufzurichten, doch der Versuch schlug fehl und er ließ nur einen erstickten Schrei los. Verdammt! Anscheinend hatte er sich den Kopf wohl ziemlich angestoßen. Nachdem er mehrere Minuten still gelegen hatte, rollte er sich langsam auf die Seite und schaffte es schließlich langsam, wieder auf die Beine zu kommen. "Oh Gott... Ich hab' das Gefühl, als hätt' ich einen Kater...", stöhnte er und betastete vorsichtig die Beule. "AU! Verflixt noch mal!", fluchte der Halbjapaner und streckte seine langen schlanken Arme aus. Das sollte ich wohl in nächster Zeit bleiben lassen..., grollte er innerlich und ließ die Knochen in seinem Schulterbereich knacken. "Wie lange zum Himmel bin ich hier rumgelegen! Wie ein Penner!", schimpfte er sich selber und bemerkte, wie ihm unglaublich schwindlig wurde. Das Aufstehen war damit unterbunden worden. Stöhnend rieb Kin sich die Stirn und wartete wieder ein, zwei Minuten, ehe er sich ein zweites Mal aufrichtete und sich benebelt umsah. Das silberne Licht des Mondes, das der große Spiegel reflektierte, zog seine Aufmerksamkeit auf sich. "Okay... Nächster Versuch...", seufzte er. Hoffentlich haben die Mädels auf mich gehört und sind dort geblieben, wo sie den Zettel gefunden haben... Wenn sie ihn gefunden haben... Nein! Du musst jetzt positiv denken sonst wird das nichts!!! Der junge Mann faltete seine Hände zu einer Triangel, schloss die Augen und fing an zu meditieren. Schon während er dies tat, stellte er sich den Raum in dem er sich befand vor seinem inneren Auge vor. Danach ging er weiter, erinnerte sich daran wie der Tempel von Außen ausgesehen hatte, wie der Weg und die Stufen die zu ihm führten. Seine Haut begann wieder zu prickeln und ein angenehmer Schauer lief ihm über den Rücken. Die Menge an spiritueller Energie, die sich jetzt ansammelte, war definitiv größer als die von zuvor. Ob es etwas damit zu tun hatte das er zwangsweise außer Gefecht gesetzt worden war? Nach nur wenigen Minuten konnte er förmlich die Luft vor Anspannung knistern hören. Ein Druck lastete nun über dem Tempel wie er normalerweise nur vor einem unglaublich heftigen Gewitter zustande kam. Hätte Kin einen Zuschauer, würden diesen durch die Aufladung die Haare zu Berge stehen. Langsam formte sich die Energie zu einer Kugel, deren Zentrum Kin's Herz war. Erst als diese Form stabil war, begann er erneut einer Hülle aus ihr zu formen, die jedoch deutlich dicker war und auch schwerer auf ihm lastete. Sein Atem begann stoßweise zu gehen, Schweiß lief ihm zwischen den Schulterblättern hinunter und seine Kleidung begann sich wie eine zweite Haut über ihn zu legen, zusammengepresst von dem angesammelten Druck. Langsam streckte er die Arme aus, wobei er die Hände noch immer zu einem Dreieck gefaltet hielt. Die Energie begann zum Zentrum der Triangel zu gleiten, während seine Hände leicht zu zittern begannen. Kurz flackerte seine Konzentration, was beinahe zu einem explosionsartigem Entweichen geführt hätte, doch er formte es rasch zu einer Kugel, bevor dies geschehen konnte. Erst dann verschob er sie wieder zu seinen Händen, wo es ihn bereits in den Spitzen kribbelte. Langsam öffnete er die Augen und erblickte sich selbst im Spiegel, beobachtete wie seine Reflektion leicht verschwamm als wie wenn man einen Stein auf eine glatte Wasseroberfläche warf. Der Spiegel warf kleine Wellen, die langsam immer größer wurden. Genau wie vor zwei Tagen! Diese gleichmäßige Bewegung zu sehen beruhigte ihn irgendwie noch mehr und er konnte fühlen wie sich sämtliche Muskeln in ihm lockerten und entspannten. Die Aura ging nun auf den Spiegel über und Kin beobachtete, wie sich langsam, von der Mitte ausgehend, eine andere Welt abzeichnete: Ein grauer, nebeliger Wald der nicht unbedingt einladend wirkte. "Jin? Miyako?", fragte er, als er die Mädchen nicht erblickte. Seine Stimme wirkte irgendwie abwesend und hallte an den Wänden wieder. Wieso sind sie nicht da? Sind sie trotz meiner Nachricht weggegangen? War alles umsonst? Das offene Portal zerrte an seinen Kräften, doch er würde es so lange wie nur irgendwie möglich offen halten. "Jin! Miyako!", stieß er aus. "Bitte... Beeilt euch... Ich kann... Das Tor nicht mehr lange offen halten!!!" Ohne es zu wollen klang seine Stimme mittlerweile verzweifelt, während sein Körper immer stärker unter dem Druck zu zittern begann. Der Rothaarige kniff seine Augen zusammen, konzentrierte sich auf die Erde und Natur die den Tempel umgaben um auch von ihnen Energie zu entnehmen und für den Erhalt des Portals zu verwenden. Eisern biss er die Zähne zusammen. Er durfte jetzt nicht nachlassen. Die Mädchen würden gleich da sein, er wusste es. Er hoffte es. "Ganbate, Akagawa..", feuerte er sich selber knurrend an. Nicht aufgeben! Es lag nun an ihm... ==== (Yòsomura, 1956) Atemlos suchten die beiden Mädchen nach ihren Utensilien, immer darauf bedacht, sich nicht all zu weit von einander zu entfernen, um eventuell auftauchende Ungeheuer oder Geister bewältigen zu können. "Ich hab was!", rief Jin erfreut aus und schüttelte energisch den feuchten Dreck von ihrer Taschenlampe. Miyako, die ebenfalls etwas gefunden hatte, ihr Federmäppchen nämlich, gab genau so glücklich Auskunft darüber. "Ja, ja ich auch! Hier drüben ist wohl ne Menge!", kam es zurück und die Japanerin wühlte weiter durch die Blätter, um noch mehr Gegenstände zu Tage zu fördern. Beide waren so emsig am Suchen, dass sie das langsam näher kommende Licht nicht bemerkten. Erst als es etwa zwei Meter von ihnen entfernt war, fiel Jin das soeben zum Vorschein gebrachte Funkgerät (dass sie Angesichts der Verschmutzung eher wegwerfen als noch mal benutzen konnte) vor Schreck wieder in den feuchten Waldboden. "M...Mi!", brachte sie erschrocken hervor. Miyako drehte ihren Kopf erst in Jin's Richtung, dann folgte sie deren Fingerzeig und starrte in ein großes helles Fenster. Es leuchtete schwach silbern, aber es war hell genug, dass die Mädchen ihre Taschenlampen ausmachen hätten können. Jin schluckte hart. "Das...", stammelte sie. "Was ist das?", kam es von der Japanerin, die verängstigt zurückwich und nach ihrer Kamera suchte. Erst als sie sie gefunden und schon angehoben hatte, hörten die beiden Schülerinnen eine ihnen so vertraute Stimme: "Ji... ako! Bitte... eilt euch... Ich ka... s Tor nicht me... offen halt...", kam es dumpf und abgehackt aus dem hellen Ding und Miyako traute ihren Ohren nicht. "K... Kin!", rief sie freudig aus und rannte auf die helle Scheibe zu. "Mi! Spinnst du?!", giftete Jin, doch als sie sah, dass Miyako eiligst ihre entdeckten Sachen in die Arme nahm und damit auf das große Fenster zu rannte, fing auch sie zu spurten an und machte einen weiten Satz mitten ins Helle... ===== Tokyo, 9. Juni 2005, 02:15 Kin tat einen wütenden Laut als ein Fuß auf seinem Oberschenkel landete. "Hiaaaaaa!!!", schrie die kleine Japanerin und landete zu ihrer Überraschung weicher, als zunächst befürchtet. "Uhnmpf ia untaa...!!", kam es von unten und sie bemerkte, dass sie auf dem rothaarigen, schlanken Halbjapaner gelandet war. "Ups!", machte Miyako nur und wich mit rotem Kopf schnellstens zurück. Da man Kin aus seiner Konzentration gebracht hatte, schloss das Tor sich nach und nach und Beide warteten auf Jin. "Waaaaah!!!!" Da kam sie auch schon. Kin stürzte nach vorne, um auch die Chinesin, dieses Mal freiwillig, aufzufangen. Schwer atmend lagen alle drei auf dem dunklen Mamorboden inmitten all den großen Stumpenkerzen, die durch den Luftzug teilweise ausgegangen waren und waren verwundert, dass sie nicht unabsichtlich Feuer gefangen hatten. "Oh, ihr Götter!", stieß der Student aus und drückte erst Mi, dann Jin und grinste siegessicher von einem Ohr zum anderen. Beide Mädchen erröteten ob der überschwänglichen Begrüßung und starrten Kin fasziniert an. "Strike!", tönte er. Dann sackte er zusammen und kippte nach vorne an Jin's weiche Brust. "Kin!", kam es wie aus einem Munde von den Schülerinnen und sie halfen dem jungen Mann auf die Beine. Keine Chance, er schien wohl auf der Stelle in einen sehr tiefen Schlaf gesunken zu sein. "Na klasse... Zadrus, Golems, Geister und irgendwelche Zeitreisen... alles haben wir überlebt. Aber jetzt klappt uns der Typ hier einfach zusammen und wir sitzen im Tempel...", gab Jin ernstlich belustigt von sich. Miyako kicherte. Dann lachten Beide lauthals los. Eher vor Erleichterung, als dass sie sich über Kin lustig machen würden. "Tjaa... und was machen wir jetzt wirklich?" Jin überlegte nicht lange: "Ich habe gedacht, wir schleifen ihn erstmal zu mir, dort kann er sich erholen. Hilf mir mal das Zeug hier wegzuräumen..." *** Stöhnend rieben sie sich die Oberarme, als Jin und ihre japanische Freundin eine Ewigkeit später endlich an Jin's Zuhause ankamen. Kin war doch schwerer gewesen als zuerst angenommen. "Dabei sieht er so dünn aus", raunte Miyako im Aufzug, immer noch an ihren Armen rubbelnd. Es war kalt draußen, ungewöhnlich für diese Jahreszeit. Kin lehnte, von der Chinesin gestützt, an einer Wand des Aufzuges. Kurze Zeit verging und das Licht blieb bei 13 stehen. Nach einem sanften "Ding" öffneten sich die Türen des Fahrstuhles und die Mädchen schleiften den Studenten wieder mit sich mit. Jin fummelte fieberhaft in ihrer Jackentasche herum. "Yatta!", entfuhr es ihr, denn sie hatte schon Angst gehabt, den Appartementschlüssel im verfluchten Dorf verloren zu haben. "Wie spät ist es eigentlich?", murmelte Miyako während sie Kin abstützte (was für die zierliche Japanerin alles andere als leicht war) und gleichzeitig versuchte die Türe wieder zu schließen. Jin ging in die Hocke und öffnete die Schnürsenkel ihrer Turnschuhe. "Hmm.... Die Bahn kam um 2 Uhr 14... ich schätze so kurz vor drei Uhr morgens... Warum?" Sie drehte sich um und starrte in das kreidebleiche Gesicht ihrer Freundin. "Oh. Mein. Gott! Tante Michiko wird mit TÖTEN!!!", quietschte Miyako panisch und versuchte Kin an die Wand des Hausflures zu lehnen, ehe sie in der schmutzigen Umhängetasche herumwühlte, bis sie endlich das Mobiltelefon, das zugegeben ziemlich demoliert wirkte, gefunden hatte. Eilig tippte sie auf den Tasten herum und hielt sich zitternd das Telefon ans Ohr. Kurze Zeit später meldete sich eine Stimme. "Oh, hallo Tante..." Dann kam eine Weile nichts mehr von Miyako. Jin hörte entfernt die zeternde, fast schrille Stimme von Frau Takeshima und verkniff sich mit Mühe ein Grinsen. Gut, dass Dad momentan auf Geschäftsreise ist, so erspare ich mir den Zirkus. Nach einer halben Stunde legte Miyako verstört auf. "Sie... Sie hat gemeint sie hätte schon die Polizei alarmiert, weil ich mich nicht gemeldet habe. Sie hatte Angst um mich, da ja grade dieser Serienkiller umgeht, der Schülerinnen tötet. Aber sie ist jetzt wieder halbwegs beruhigt, ich hab gesagt mir ist nichts Schlimmes passiert und dass mein Handy nicht funktioniert hat. Naja..." Jin schüttelte den Kopf. "Wenigstens wollte sie dich nicht sofort abholen kommen. Du siehst jämmerlich aus, Mi.", meinte die Chinesin und zupfte an Miyako's Shirt. "Geh duschen, ich leg Kin jetzt erst mal auf die Couch." Mit einem diebischen Grinsen im Gesicht entschwand sie und ließ die zierliche Japanerin im Flur stehen. Müde stieg die 17-jährige in die Duschkabine und drehte das Wasser auf. Die heißen Wassermassen, die auf sie hernieder regneten waren eine Wohltat nach all der Kälte und klammen Feuchtigkeit in Yôsomura. Dieses Dorf... Die Geister. Der jungen Frau lief ein Schauer über den Rücken bei dem Gedanken... Fast war es, als würde der Dampf, der in der Dusche aufstieg, sich um Miyako schmiegen. Langsam kroch er ihre Beine hoch, wand sich um ihre Hüften und legte sich immer enger um ihren Körper. Die Japanerin gefror. Ihr langsamer Atem kam ihr seltsam fremd vor und sie fühlte sich, als würde sie langsam in die Tiefe der Duschwanne sinken. Sie wagte nicht die Augen zu öffnen, obgleich sie am liebsten geschrieen hätte, denn die Dampfschwaden, die sich um sie schlangen waren wie Hände, die nach ihr greifen wollten... Das zaghafte Klopfen an der Schiebetür riss Miyako wieder in die Realität zurück. "Kann ich reinkommen?" Jin stand vor der Badezimmertür und wartete. Miyako rubbelte sich schnell den letzten Rest Schaum mit einem Schwamm weg und stieg hastig aus der Dusche. Ziellos wanderte ihr Blick durch den großzügigen Raum, bis sie endlich ein Badetuch fand, dass sie hektisch um ihren schlanken Leib wickelte. "Herein!", sagte sie laut und stand lauernd auf dem weichen Teppich, den sie langsam durchnässte. Jin schob die Tür auf und streckte sich. Ihre Augen lagen in dunklen Höhlen und sie gähnte herzzerreißend. "Gott bin ich müde.", stöhnte sie und fing an, sich die staubige Lederhose vom Leib zu streifen. "Was meinst du,", fragte die junge Japanerin ihre Freundin, während sie vor dem Spiegel stand und ihr glänzendes und rotfleckiges Gesicht betrachtete, "wie lange wir weg waren? Ich meine, laut meinem Zeitgefühl müssten wir doch eine ganze Woche weg gewesen sein!" "Kann schon sein, aber ich kann es dir nicht sagen. Außer wir machen den Fernseher an und schauen nach, was heute für ein Datum ist.", murmelte die Chinesin und stieg in die Duschkabine. Kurz darauf prasselte das angenehm temperierte Wasser auch auf sie herunter und Miyako fönte sich ihre langen schwarzen Haare. Nachdem Beide sauber und trocken waren, ließen sie sich erschöpft in Jin's gemütlichem Bett fallen. "Jetzt haben wir doch nicht mehr nachgesehen, was heute für ein Tag ist.", brummte Miyako schlaftrunken. Von Jin kam nur noch ein "Hm.", dann waren beide Mädchen in tiefen Schlaf gesunken. Spät vormittags kam das erste Lebenszeichen aus dem Wohnzimmer: Kin sprang erschrocken auf und wäre fast wieder auf die Nase gefallen. Sein Bein verfing sich in der Decke, mit der ihn Jin bedacht hatte und er hatte alle Mühe, das Gleichgewicht zu halten. Dennoch schepperten die zierlichen Porzellangegenstände im Regal, an dem er sich festgehalten hatte, bedrohlich. Dieses klirrende Geräusch reichte um Jin zu wecken. Oder eher, ihren Instinkt auf Gefahr aufmerksam zu machen. Sie rollte sich aus dem Bett und huschte aus dem Zimmer. Einen Augenblick später fing sie an zu lachen. Kin bot einen zu komischen Anblick, so wie er da stand: Ein Bein hoch in der Luft, mit der Decke verfangen, beide Hände zogen an dem anhänglichen Stoff. Das andere Bein war seltsam eingeknickt und Kin wackelte bedenklich bei seinem akrobatischen Befreiungsversuch. "Lach nicht!", kam es von dem Halbjapaner eingeschnappt. "Ich wusste nicht wo ich war, also bin ich hoch geschreckt. Und hab mich mit diesem Filzding hier verbandelt!" Dabei schüttelte er kräftig sein rechtes Bein, um die Decke davon abzustrampeln. Jin lachte nur noch mehr, so lange, dass Miyako davon wach wurde und sich müde die Augen reibend ebenfalls im Wohnzimmer einfand. "Wassnhierlos", gähnte sie unverhohlen. Sekunden später besann sich die Japanerin jedoch ihrer guten Manieren und eilte auf Kin zu, um ihm zu helfen. "Hast du gut geschlafen, Kin-Rai?", fragte die Kleine höflich. "Hn... geht so.", gab Kin zurück. "Und nenn mich nicht Kin-Rai! Kin reicht vollkommen." Endlich war das Bein des jungen Mannes von der Decke befreit und von Jin kamen jetzt nur noch vereinzelte Gluckser. "Puh... Wollen wir Frühstück?", fragte Miyako in die Runde. "Gerne!" Kin streckte sich und kratze sich verschlafen am Kopf. "Das wäre ne gute Idee." "Dann alle mir nach!", kommandierte die Chinesin und die drei jungen Menschen wanderten in die Küche. Gute 20 Minuten später fanden sie sich alle am großen, runden Esszimmertisch ein und betrachteten stolz ihr Werk: Es gab gebratene Nudeln mit verquirltem Ei, frisch gekochten Reis, Miso-suppe und gedünstetes Gemüse. Dazu hatte Jin ein paar Äpfel geschält und in kleine Stückchen geschnitten. Kin goss sich gerade eine Tasse Tee ein während Miyako hastig ein Stück gebratenen Fisch in ihren Mund steckte. "Also", fing der Japaner an während er an dem grünen Tee nippte, "wie ist es euch ergangen? Was habt ihr gesehen?" Geschäftig füllte sich Jin ihre Schüssel mit gebratenen Nudeln und nahm sich einen kräftigen Schuss Soja-Sauce dazu. "Nichts gutes, Kin. Ehrlich. Dieses Dorf ist zu krass, als dass...." Jin schlürfte geräuschvoll an den Nudeln, also ergriff Miyako die Gelegenheit und setzte die Erzählung fort. "Nun ja, erstmal, welcher Tag ist heute? Wie lange waren wir weg?", fragte sie einleitend. "Heute ist Sonntag, ihr wart also ganze 2 Tage und Nächte weg.", antwortete Kin und löffelte etwas Miso-Suppe. "Ah... So was. Naja, mir kam es fast so vor, als wären wir eine Woche dort gewesen. Wir sind wohl durch diesen Spiegel hindurch in einem Dorf gelandet, dass Yôsomura, Dorf der Elemente, heißt. Dieses Dorf ist entweder direkt dort, wo der Tempel früher gestanden hat oder es befindet sich in der Nähe des Tofokuji Tempels, denn sonst würden wir ja nicht einfach durch den Spiegel gefallen sein. Auf jeden Fall denke ich, dass wir in einer anderen Epoche unserer Zeit gelandet sind, den Ruinen von Hütten und größeren Gebäuden nach zu schließen. Es war jedenfalls nicht einfach, eine Übernachtungsmöglichkeit zu finden. Das wäre ja noch nicht weiter tragisch, aber dieses Dorf ist verflucht, denn die Gestalten die dort hausen, möchtest du lieber nicht kennen..." Jin schluckte ihren Bissen hinunter "Zeig ihm die Bilder, Mi." Die sonst so manierbedachten Mädchen aßen wie zwei Barbaren und Kin starrte sie kurz pikiert an, ehe er sich wieder Miyako und ihrer Erzählung zuwandte. Diese holte ihre "Schätze" aus der Tasche: Nacheinander breitete sie die geschossenen Fotos auf dem Tisch aus, legte das zerschlissene Handbuch des Völkerforschers daneben und Die Aufzeichnungen von Dr. Aso dazu. Am Ende fischte sie noch die Kamera, die Jin gefunden hatte und den grünlich schimmernden Kristall, den sie sorgfältig in einem kleineren Seitenfach aufbewahrt hatte, aus der zerschlissenen Umhängetasche. Kin betrachtete Alles mit Staunen. Langsam streckte er die Hand nach den Fotos aus, auf dem viele milchig weiße Gestalten zu sehen waren, einige mit abscheulichen Gesichtsausdrücken, so als hätten sie während der Aufnahme Höllenqualen erlitten. Einige waren ganz normal aufgenommen und zeigten Gebäude, Personen oder Gegenstände aus der Zeit, in der das Dorf wohl noch existierte. "In welcher Zeit..." Kin blätterte fassungslos das Buch des Völkerforschers durch und entdeckte dessen altmodische Handschrift. "Beim Dorf sind wir uns nicht sicher, aber Jin hat versehentlich einen weiteren Zeitsprung gemacht,", kam es kauend von Miyako und Kin riss überrascht die Augen auf. "und ist noch viel früher in der Geschichte dieses Dorfes gelandet. Sie sagt, es war Meiji 4, aber sie ist sich nicht sicher, da sie nicht wirklich danach gefragt hat. Die Aufzeichnungen des Völkerforschers sind von ca. 1950, genau so alt wie die von Dr. Aso." Wieder kurz vor dem Verhungern scheinend schaufelte Miyako sich den mit Soja-Sauce gewürzten Reis in sich hinein und trank gierig ein paar Schlucke Tee dazwischen. Nach ein paar Seiten des Buches von Fukada, bei denen es ihm langsam die Gänsehaut auf die Unterarme trieb, legte Kin das Buch bei Seite. Jin meldete sich zwischen zwei Happen geräuchertem Fisch zu Wort: "Übrigens hat Mi Aufzeichnungen gemacht, während wir hier waren, sie hat auch noch andere Fotos." Und schon kaute sie wieder genüsslich an einem weiteren Stück geräucherten Fisch, der deftig gewürzt und scharf angebraten war. Kin nahm den Kristall in die Hand und schien ihn abzuwiegen. Der Stein glänzte an manchen Stellen, so als wäre er durchgescheuert, an vielen jedoch war er eher milchig. "Wie ein Jadestein, nur fast zu grün.", murmelte er und legte den Stein wieder auf den Tisch. "Wo habt ihr das denn alles her?", meinte er dann und deutete auf die Bücher und die Kamera. "Naja, die lagen so rum.", kam es kleinlaut von Miyako. "Fie ifft drüwergefawen" Jin sprach jetzt schon während des Essens. "Was? Sie ist ... drüber gefallen?" Kin hatte alle Mühe, die Chinesin überhaupt zu verstehen, doch Jin ließ sich nicht stören und aß munter weiter, genau so wie Miyako, die bei jeder Gelegenheit einen Happen Fisch oder ein Stück Apfel mit den Stäbchen aufnahm, um es gezielt in ihren Mund zu befördern. Jin schluckte. "Jap. Sie ist drüber gefallen. Einmal ist sie gestolpert und tadaa, da lag das Buch von ,Isamu' wie sie ihn nennt, und das Aso-Buch hat sie gefunden, als wir uns vor einem Zadr... äh einem untoten Monster versteckt haben. Die Kamera geht allerdings auf meine Kappe. Die hab ich in einem kleinen Raum innerhalb des Tempels gefunden, als er noch stand" Eine kurze Pause trat ein und Kin starrte lange und fragend auf die Sachen am großen Tisch. Auch Miyako's schwarzes Seidenbuch hatte er mittlerweile durchgeblättert und bewunderte die Sorgfalt, mit der die Japanerin Pläne des Dorfzentrums gezeichnet hatte. "Gott, bin ICH froh, dass ich dort nicht war. Ich hätte tausend Mal lieber eine Abschlussarbeit geschrieben als nur eine Stunde an so einem Ort zu bleiben." Dem jungen Mann fröstelte es bei den Erzählungen die Miyako und Jin abwechselnd - eine erzählend, eine essend - von sich gaben und er verstand am Ende immer weniger. Wieder nahm Kin den Stein in die Hand und betrachtete ihn aufmerksam. "Irgendwas an dem Stein ist komisch, findet ihr nicht auch?", murmelte er in das aufgeregte Schnattern der beiden Mädchen hinein, die mittlerweile so satt wie schon lange nicht mehr waren. "Das stimmt. Irgendwie war das auch ganz seltsam mit dem Finden...", überlegte Jin und Miyako zog einen Brief aus ihrem Notizbuch. "Miharu's Stein.", kam von der jungen Frau. Der Halbjapaner las den mit Kinderschrift gekritzelten Brief, der in einem seltsamen japanischen Dialekt geschrieben war und runzelte die Stirn. "Äh... lag das einfach rum oder wie?", wollte Kin wissen. Miyako erzählte von dem Erlebnis am Friedhof und vom Erscheinen des Briefes und des Steins. "Was meint ihr, ob dieser Stein irgendwie magische Kräfte hat?", fiel es ihr darauf hin ein. Kin nickte nur langsam. "Irgendwie scheint dieser Stein Auswirkungen auf die Fotos zu haben. Seht mal her." Er legte den Stein auf die Fotos und diese schienen von ihm wie magisch angezogen. Schon beim geringsten Kontakt mit dem Zelluloid der Fotos klebte der Stein regelrecht an ihnen fest. Und irgendwie kam es Miyako so vor, als würden sich manche Gesichter auf den Fotos verändern, wenn man den Stein daran hielt. Sie schienen nicht mehr so verzerrt und qualvoll auszusehen. Der Halbjapaner seufzte. "Nun, da ich eure kleine Horrorgeschichte gehört hab, kann ich ja auch erzählen, was ich so alles in Bewegung gesetzt hab, während ihr da drüben rumgewandelt seid..." Genüsslich streckte er sich während er nach seiner Teeschale griff. Kin nahm einen guten Schluck des heißen Getränks, ehe er anfing von seinem Erlebnis in der Villa Himuro zu erzählen. "... Und das ist eben das, was ich von Kirie erfahren hab. Ich denke mal, dass ihr diese Fotos hier weihen lassen müsst, und auch..." "... wieder zurück, die Toten weihen, nicht wahr?" Miyako seufzte tief, als sie dies feststellte. Jin hörte aufmerksam zu als Kin antwortete. "Ja, so leid es mir tut... Aber, auch wenn es ein dummer Spruch ist, die Suppe müsst ihr jetzt auslöffeln. Ich tue was ich kann um euch zu helfen... Aber bitte zwingt mich nicht, mit euch zu gehen, das tue ich mir bei aller Liebe nicht an." Jin schaute betreten zu ihrer Freundin, die ziemlich geknickt am Tisch saß und nachdenklich die Fotos betrachtete. Dann stand sie auf, um das Geschirr in die Küche zu stellen (abwaschen würde sie später). "Was ist eigentlich mit meiner Kamera?", wollte die Chinesin wissen. "Deiner Kamera?" Kin rieb sich über die Stirn. "Ja, die gefunden hab. Als ich noch einen weiteren Zeitsprung gemacht habe. Es scheint die Selbe zu sein, die Mi auch hat. Jedenfalls hat sie ein Bild geschossen... Danach ist sie wohl kaputt gegangen." Der Student nahm die zerschlissene Kamera in beide Hände und schloss die Augen. Vor seinem inneren Auge liefen Bilder aus längst vergangenen Zeiten ab. Dies war eine weitere Camera Obscura, soviel stand fest, und sie war von einem Priester, der anscheinend in Amerika seltsame Kontakte hatte, entwickelt worden. Auch sah er die Bilder von Jin, oder besser gesagt Megumi, die einem kleinen Mädchen hinterher gelaufen war und im Tempel in einer Kammer diese Kamera fand. "Kannst du sie wieder zum Laufen bringen?", fragte Jin neugierig. "Es wäre nicht schlecht, denn Mi hatte alle Hände voll zu tun dort drüben... Und wenn wir wieder zurückkehren sollen..." Sie wandte sich weiterem Geschirr zu, um es in die Küche zu transportieren. "Ich denke schon. Auf jeden Fall werd ich sie mal mitnehmen und mir in Ruhe zu Hause ansehen. Genau so wie das andere Zeug hier. Miyako, die Fotos nimmst du mit. Du weißt was zu tun ist?" Miyako nickte nur stumm. "Gut!", meinte Kin und die Chinesin, die endlich mit dem Abräumen des Tisches fertig war, versuchte nun die Stimmung etwas zu heben und vom Thema abzulenken: "Hey, wir könnten doch den Fernseher anmachen, das bringt uns auf andere Gedanken.", meinte sie gut gelaunt und stellte jedem noch einen Becher mit Zitronensorbet hin. Miyako's Augen leuchteten und Kin lächelte bei dem Anblick. "Ihr habt wohl die ganze Zeit nicht wirklich was gegessen hm?", meinte er, während er genüsslich einen Löffel Sorbet in seinen Mund schob. "Eigentlich nicht", kam es schon fast wieder unverständlich aus Jin's Mund. Sie schnappte sich die Fernbedienung und zappte ein wenig zwischen den einzelnen Kanälen hin und her. "Warte mal!", rief Mi und alle drei lauschten der Stimme der Nachrichtensprecherin, die in einem hellen Kostüm hinter einem großen Tisch saß und die neuesten Ereignisse schilderte. "Kyoto. Heute Morgen ist eine weitere Leiche in Uiji aufgetaucht. Rie Surugawa, 14 Jahre alt, besuchte die Seishin Cou Oberschule in Kyoto und wurde am 30. Mai als vermisst gemeldet. Sie ist mittlerweile das fünfte Opfer eines unbekannten Serienmörders, der im Stadtteil Uiji sein grausiges Unwesen treibt. Auch am Mord an den anderen jungen Frauen sind neue Entdeckungen gemacht worden: Bei allen Opfern, die im Stadtteil Uiji ermordet aufgefunden worden sind, handelt es sich um Mädchen im Alter zwischen 13 und 18 Jahren, die Schülerinnen im Umkreis der Oberschulen vom südlichen Teil Kyoto's waren. Die Polizei und die Mordkommission Uiji schließen darauf, dass auch der unbekannte Täter aus dieser Gegend stammt. Augenzeugen wollen einen jungen Mann Mitte 20 gesehen haben, der sich in der Nähe des Tatortes aufgehalten haben soll. Die Polizei fandet nun nach dem Täter, ein Japaner; groß und schlank, etwa 24 bis 26 Jahre alt. Falls Sie Hinweise haben oder jemanden kennen, der der Polizei von Uiji weiterhelfen kann, melden sie sich unter der Nummer...." Fassungslos starrten alle drei in den Bildschirm. Miyako nagte nervös an ihrer Unterlippe während Jin den Fernseher auf stumm schaltete. "Das waren Bilder von den vermissten Mädchen. Alle tot... Und Rie ist auch dabei.", gab sie dann tonlos von sich. "Wann wurde das erste Mädchen als vermisst gemeldet?", fragte Miyako in die Runde. Immerhin wusste sie zwar von Rie's Verschwinden und jetzt auch ihrem Tod, doch von den anderen jungen Frauen war bis her noch keine öffentliche Ausschreibung gemacht worden. "18. April 2003.", kam es wieder einmal von Kin, der anscheinend wirklich über alles Bescheid wusste. "Rie wurde am 30. Mai als vermisst gemeldet, das stimmt doch gar nicht oder?", war die weitere Frage der kleinen Japanerin. "Nein, wir haben sie doch schon am 29. nicht mehr gesehen", stimmte ihr Jin zu. "Mein Bruder wird auch vermisst." Die Mädchen fixierten Kin, der den Rest Zitronensorbet von seinem Löffel ableckte. "Das wussten wir gar nicht. Bist du deswegen zum Tempel gekommen? Hat der Täter ihn vielleicht auch?", sprudelte es aus den Beiden heraus. Kin hob abwehrend die Hände. "Das weiß ich nicht. Mein Bruder - Kin-Ryu - war eines Tages nicht in der Uni erschienen, und das obwohl er sein Fach, Mikrobiologie, so sehr liebte. Da ich irgendwann die Nase voll hatte von der Geheimnistuerei der Mordkommission, machte ich mir selber ein Bild von seinem Verschwinden. Ich suche ihn nun seit knapp einem Monat, doch irgendwie verläuft meine Spur jedes Mal im Sand. Bis auf die, die nach Uiji ging, zum Tempel, wo wir uns begegnet sind..." Er seufzte und setzte seine Rede fort: "Darum helfe ich euch ja überhaupt! Mich interessiert, was wohl dort passiert ist, und ob es nicht diese paranormalen Vorkommnisse waren, weswegen mein Bruder verschwunden ist. Er hat Paranormales geliebt müsst ihr wissen. Wahrscheinlich wollte er sich auch auf die Suche nach diesem Serienmörder machen und ist wohl dabei auch verschwunden... Ich hoffe bloß, ihm ist nichts passiert. Meine Mutter und auch seine Mutter sind seither wie ausgewechselt. Das ganze hat sie in eine Art Dauerschock versetzt. Der Arzt meint, falls mein Bruder tot aufgefunden wird, könnte das schlimme Auswirkungen auf ihre Gesundheit haben. Darum will ich ihn auch so schnell wie möglich finden." Nach einer kurzen betretenen Pause kam von Miyako der Vorschlag, Kin auch zu helfen. "Vielleicht kommen wir so alle schneller vorwärts, wenn wir uns da die Hand reichen.", fand sie und stimmte nun schon bereitwilliger zu, wieder ins verwunschene Dorf zurückzukehren. Ganz anders Jin. Sie verschränkte missmutig die Arme vor ihrer Brust und bedachte Kin mit einem fast tödlichen Blick. "Ich möchte die zweite Kamera, weil mein Buch bleibt erstmal HIER und nirgends sonst!", fauchte sie und noch bevor Kin überhaupt auf die Idee kam zu fragen, schwatzte die Chinesin weiter und erzählte von ihrem "heiligen Buch". "Ein Familienerbstück, weißt du?" "Sehr gefährlich, wenn ich es noch mal verliere!" "Hat magische Kräfte und schon voll oft geholfen diese Biester zu vernichten." Kin nickte ein paar Mal gedankenverloren, dann kam er auf eine weitere Idee. "Und was, wenn wir eine Kopie anfertigen könnten, die so gut wie das Original ist? Dann kannst du ja das Buch hier lassen und trotzdem eins dabei haben!" Noch Stunden verlief die Diskussion weiter und gegen 4 Uhr Nachmittags trennten sich die drei Grünäugigen und Miyako und Kin gingen nach Hause. "Da kann ich was erleben.", murmelte die zierliche Japanerin, wenn sie daran dachte, was sie wohl jetzt zu Hause erwartete. Unsicher schob sie ihr Fahrrad aus der Halle des großen Hochhauses und stieg in die Pedale. Zu ihr nach Hause war es doppelt so weit wie gewöhnlich, doch das war Miyako gerade recht, am liebsten wäre sie gar nicht nach Hause gefahren. Kin stieg etwas erschöpft die nächste U-Bahn Haltestelle hinunter und blickte auf seine Füße, so als würde er jede Stufe der Betontreppe einzeln zählen wollen. Kurz nachdem er sich an den Bahnsteig gestellt hatte, fuhr auch schon der kurze Zug ein und der Student quetschte sich mit den anderen vielen Leuten in das Abteil. Da heute Sonntag war, hatten viele vor gehabt in die schönen und malerisch angelegten Parks rund um Kyoto zu gehen, immerhin war heute bestes Sommerwetter, die Sonne strahlte vom babyblauen Himmel und nur vereinzelt hingen kleine weiße Wattebäusche von Wolken in der Luft herum. Der Halbjapaner lehnte sich gegen ein Fenster und seufzte. Es war wahrlich das kurioseste und seltsamste Wochenende gewesen, dass er je hatte. Auch Jin schien immer noch nicht glauben zu können, dass sie in einem Dorf war, weit abseits dieser Zeit und voll gestopft, so kam es ihr vor, mit Gespenstern und Monstern, die sie in ihren schlimmsten Albträumen nicht vorstellen konnte. Gedankenverloren wandelte sie durch das große Appartement und blickte aus dem Fenster des Wohnzimmers über die von Wolkenkratzern übersäte Skyline von Kyoto. Irgendwie fühlte sie sich merkwürdig. Deplatziert. Jin ging weiter wieder Richtung Küche, dort wo am Esstisch die drei Eisbecher standen. Sie brachte das Geschirr in die Küche zur Spüle und machte den Fernseher, der ja immer noch lief, aus. Gerade als sie sich in ihr Zimmer bewegen wollte, hörte sie ein summendes Geräusch. Von einem mulmigen Gefühl beherrscht, drehte sich die hübsche Chinesin um. Der Bildschirm des kleinen Fernsehgerätes war wieder angegangen und schwarz-weißes "Schneegestöber" flimmerte über den Bildschirm. "Hm? Ich hab den Bildschirm doch gar nicht...." Jin bewegte sich auf den Bildröhre zu und vernahm mit jedem Schritt, den sie näher kam, ein kieksiges Wispern, das langsam lauter und lauter wurde. Kalter Schweiß brach der Oberschülerin aus, als sie die Hand nach dem Gerät ausstreckte. Es war als würde etwas neben ihr stehen und mit ihr auf den Bildschirm starren. Jin's Schultern knackten bedrohlich als sie mit einer energischen Bewegung zur Fernbedienung griff, um auszuschalten. Doch das Bild schien nicht auszugehen... Egal wie oft sie auf den Powerknopf der schlanken Fernbedienung drückte, nichts geschah. "Blödes Ding. Batterien leer", vermutete sie und drückte auf den Knopf am unteren Bildschirmrand. Endlich ging das Bild aus und Jin seufzte erleichtert. Doch als sie sich umdrehte und wieder ihrem Zimmer zuwandte fiel die Fernbedienung zu Boden und die junge Chinesin tat einen angsterfüllten Schrei.... Vor ihr stand ein kleines Mädchen. Schon alleine die Tatsache allein ließ Jin vor Schreck erstarren. Wie war dieses Kind in das Appartement gekommen? Aber bei genauerem Hinsehen wurde der Chinesin schlagartig bewusst, dass es für das Mädchen sehr einfach gewesen sein musste: Sie war nämlich nichts weiter als eine helle Schwade an paranormaler Materie. "Oh. Mein. Gott!", entfuhr es der Oberschülerin zischend und sie sank in die Knie. Mi ist nicht da, die Kameras sind nicht da! Oh Gott, was mach ich jetzt? Dieser Geist ist... "Dich... Dich kenn ich doch?!", keuchte sie benommen und richtete sich wieder auf. Das Mädchen, das vor ihr stand, war niemand anderes als das kleine Kind, das ihr davongelaufen war, als sie in Megumi's Körper, in der Zeit als Yôsomura noch ein prächtiges großes Dorf gewesen war, gesteckt hatte. Damals hatte sie sich gerade auf der Suche nach ihrem "Bruder" Makoto befunden, als dieses Gör einfach in den Tempel hineinlief, wo es doch streng verboten war, ihn während der priesterlichen Feierlichkeiten zu betreten. Damals hatte Jin das Mädchen verloren, jedoch die Kamera gefunden, die Kin als weitere Camera Obscura identifiziert hatte. Eben dieses kleine Mädchen, das damals spurlos verschwunden war, stand nun seelenruhig im großen Wohnzimmer und richtete ihre dunklen Augenhöhlen auf Jin. Zwar lebte es nicht mehr, aber es machte keinerlei Anstalten, sich aggressiv zu verhalten. Es stand nur da, hatte seine kleinen Hände hinter dem Rücken verschränkt und schaukelte ganz leicht hin und her. Jin blinzelte mehrmals ungläubig dann trat sie mutig näher an das Kind heran. Der kleine Geist setzte sich schlagartig in Bewegung. Als wollte sie Fangen spielen, lief - oder eher schwebte - das Mädchen davon, einmal quer durch das Wohnzimmer durch. Jin, die absolut kein Interesse daran hatte, jetzt mit einem GEIST Fangen zu spielen, setze ihr zwar nach, machte aber eine ziemlich ernste Mine dabei. Wieder entfernte sich das Mädchen von Jin und blieb kurz vor einer dunkel gebeizten Schiebetür neben der großen Standvase stehen. Jin wusste genau, welche Tür dies war: Das allerheiligste Büro ihres lieben Vaters. Jin betrat es nicht und selbst wenn sie Anstalten gemacht hätte, hinein zu gehen, ihr Vater ließ sie nicht hinein. Ständig brüllte sie durch die Schiebetür, wenn das Essen fertig sei oder jemand für ihren Vater anrief. Dann eilte Yi-Liang schnell aus seinem Büro, verschloss die Tür zuvor aber sorgfältig. "Was soll ich da? Ich komm doch da nicht rein...", murmelte Jin, als wollte sie das Mädchen belehren, doch dieses schlüpfte einfach durch die Erlenholztür hindurch. "Na super, und du willst, dass ich dir folge, nehme ich an?" Als hätte der Geist auf diese Frage gewartet, hörte Jin auf der anderen Seite der Tür ein leises Klicken und ein Scharren der Schiebetür, die wie von selber einen Spalt breit aufging. Neugierig trat Jin näher heran. "Ach was soll's, einmal ist kein Mal.", murmelte die Chinesin und zog die dunkle Schiebetür auf. Was dahinter verborgen war, hätte sie sich getrost sparen können. Sie stand in einem kleinen, fast quadratischen Raum auf der an der rechten Seite ein großes Doppelfenster eingemauert war. Das allgegenwärtige Chaos ließ hier sein hässliches Angesicht blicken: Überall, auf dem Schreibtisch, in den Ablagefächern quollen Zettel, Skizzen, Heftmappen und andere Dokumente hervor. Mitten drin standen auf dem Schreibtisch, der auf der rechten Seite unter dem Fenster stand, zwei riesige Computer-Bildschirme, einer davon war einer dieser neuen Plasmabildschirme. Stifte, Heftklammern und ähnliches lagen verstreut auf einer Hälfte des um die Ecke gehenden, hellen Schreibtisches herum. Im großen schwarzen Schrank, der in der link hinteren Zimmerecke stand und dessen eine Tür nicht sorgfältig geschlossen war, konnte Jin das Ordner-Chaos schon von weitem sehen. Alle möglichen Farben an Ring-Ordnern standen oder lagen hier drin. Einer der dicken Aktenordner war auf der anderen Hälfte des Schreibtisches aufgeschlagen worden. Die Chinesin trat näher heran um einen Blick darauf zu werfen. Was sie darin las, war allerdings nicht besonders aufregend. Es handelte sich um eine Firma, bei der ihr Vater früher einmal gearbeitet hatte. Es schien, als hätte er einige Dokumente von diesem Ordner gebraucht, denn die Ringe waren offen gelassen worden. Seufzend sah sich Jin weiter in diesem Zimmer um. Neben dem Kasten, gleich links, wenn man bei der Türe hereinkam, stand ein Regal, auf dem einige Modelle, die ihr Vater entworfen hatte, standen. Darunter ein paar Ziergegenstände, die eher als Staubfänger agierten, als dass sie eine Dekoration hätten sein können. Die Wand, an die eine riesige Pinnwand angebracht war, war ebenfalls voll mit Skizzen und irgendwelchen Zetteln mit Notizen. Dazwischen fanden sich einige Fotos von Jin mit ihrem Vater und von ihrer Mutter, die in China mit den beiden anderen Geschwistern lebte. "Toll...", murmelte sie, denn das Mädchen war wohl auch verschwunden. Doch ehe sie sich versah, saß es auf dem Papierkorb, der in der vorderen rechten Ecke neben dem Schreibtisch stand. Jin grinste, denn das Mädchen saß auf dem Papierkorb, obwohl dieser nicht umgedreht war. Normalerweise hätte die Schwerkraft schon lange zugeschlagen und das kleine Ding würde im Papierkorb sitzen. Normalerweise.... "Nichts ist hier normal.", sagte die Oberschülerin zu sich selber und stemmte die Hände in die Hüften. "Also? Warum hast du mich rein gelassen?" Eigentlich hätte Jin eine Heidenangst haben müssen, denn sie wusste von den Schmerzen die die Berührung mit Geistern hervorruft. Die Kleine hätte sie jetzt auch angreifen können und ihr Herz wäre dabei gefroren, denn so kalt war der Kontakt mit einem paranormalen Wesen. Doch das Mädchen tat nichts dergleichen. Es starrte Jin eine Weile wieder so seltsam an (Ohne Augen ging das leider nicht anders) dann erhob es sich vom Papierkorb und glitt in eine andere Ecke. "Ja?" Jin folgte der Bewegung des Mädchens und legte den Kopf schief. Der kleine Geist starrte Jin an, dann fixierte er den Papierkorb. "Soll ich da auch drauf sitzen?", fragte die Chinesin sarkastisch. Doch dann ging sie doch zum Mülleimer und beugte sich darüber. In dem schwarzen Drahtkorb befand sich ein ungeöffneter Brief. Sonst nichts. Jin zog ihn heraus und las den Absender. "A.. Aber..." Dies war ein Brief ihrer Großmutter, die auch in China lebte. Hektisch riss sie den Umschlag auf und zog zwei Blätter hervor, die mit chinesischen Schriftzeichen beschrieben waren. Jin begann zu lesen: "Lieber Lotus! Wenn du diese Worte liest, hat deine Neugier wohl endlich Yi-Liang's Übervorsichtigkeit überkommen. Bisher hat er alle Briefe weggeworfen, sonst hätte ich ja wohl eine Antwort erhalten. Aber ich vertraue auf deine Neugierde und deinen Dickschädel, den du ja auch von deinem Vater hast. Da du nun diesen Brief gefunden hast, werde ich dir den Grund meines unaufhörlichen Schreibens nennen. Jin, du hast es vielleicht schon bemerkt, aber ich sage es dir trotzdem: Du bist eine Wuxing Magierin. In dir fließt das Blut der legendären Magier, die einst die mächtigsten in ganz Asien waren. Das Buch, das du gerade als Familienerbstück besitzt ist nur die Spitze des Eisberges von dem, was du noch an magischen Fähigkeiten erlernen kannst. Deine Kraft wird sicher jeden Tag stärker, nutze sie. Doch keine Kraft ist mächtig, wenn man sie nicht beherrschen kann. Jin, hast du schon einmal das Buch geöffnet? Ist dir aufgefallen, dass all seine Seiten leer sind? Das hat einen ganz bestimmten Grund: Du kannst es erst lesen, wenn du deine Kräfte im Zaum halten kannst. Ich weiß, du hast es schon geöffnet und ich weiß auch von deinen unkontrollierten Kraftausbrüchen. Deine Mutter hat es mir berichtet, denn sie steht trotz allem mit dir in Verbindung, auch wenn sie so weit von dir entfernt ist. Wenn du gelernt hast, deine Kräfte zu zügeln, wirst du auch die allwissende Macht der Magie, die in deinem Buch verborgen liegt, freisetzen können. Ich kann dir leider nicht mehr helfen, denn du musst selber herausfinden, wie du deine Kräfte zügelst. Schneide dir jedoch nicht die Haare, liebes Kind, das würde nichts helfen. Aber soviel darf ich dir verraten: Manchmal hilft es, Dinge einfach aus einem ganz anderen Blickwinkel zu betrachten. Ich wünsche dir alles erdenklich Gute und bleibe immer in deinem Herzen Deine dich liebende Großmutter, Sun Chiang" Jin ließ die Blätter sinken und lehnte sich benommen gegen die Wand. Sie hatte magische Fähigkeiten, okay, das wusste sie schon. Aber dass sie eine Wuxing Magierin sein sollte, das riss der jungen Chinesin buchstäblich den Boden unter den Füßen weg. Sie sank zusammen auf den kalten Steinboden im Büro ihres Vaters und schloss die Augen. Ihre Finger krampften sich um die beschriebenen Papierbögen und sie fing leise an zu weinen. Nicht aus Trauer oder Angst, sie weinte, weil sie seit vielen Jahren endlich wieder eine Nachricht von ihrer Familie aus China erhalten hatte. Dass es eine solch wuchtige Nachricht werden würde, hatte sie zwar nicht erwartet, doch sie war froh, dass man sie nicht vergessen hatte. Langsam stand sie auf und verschloss die Schiebetür wieder. Das Geistermädchen war inzwischen verschwunden und Jin kümmerte sich nicht großartig darum, weshalb das Mädchen ihr den Brief gezeigt hatte und warum es sie besucht hatte, geschweige denn, wann es wieder verschwunden war. All ihre Gedanken galten dem dicken, schwarzen Buch, dass sie leider nicht hatte. "Zu schade, dass Kin das Buch hat.", murmelte sie und schnäuzte sich. "Ich hätte gerne herausgefunden was Oma meint." Etwas niedergeschlagen, ihre Neugier nicht weiter befriedigen zu können, verzog sich die hübsche Chinesin in ihr Zimmer und legte sich aufs Bett, wo sie augenblicklich wieder einschlief. Eine Stunde nachdem sie aufgebrochen war, kam Miyako endlich zu Hause an. Schüchtern stand sie vor dem großen Torbogen, der zum Haus führte. Sie seufzte tief und ging tapfer weiter. Schon kam ihr ihre Tante entgegen. Miyako schluckte ihre Angst hinunter und schritt weiter, solange bis Beide sich gegenüber standen. Michiko keuchte den Namen ihrer Nichte und versetzte dieser eine schallende Ohrfeige. Noch während die junge Japanerin den Knall vernahm und nach hinten taumelte, zog ihre Tante sie zu sich und umarmte sie herzlich. "Du hättest wenigstens anrufen können! Wo bist du bloß gewesen?!", kam die raue Stimme von Frau Takeshima und Miyako hielt ihre Tante fest, die anscheinend angefangen hatte zu weinen. "Wie soll ich das denn deiner Mutter erklären, wenn du nicht mehr auftauchst?! Geh erstmal rein, ich mache uns einen Tee." Mit einem sanften Schubs beförderte die Shinto-Priesterin ihre Nichte ins Haus. Drinnen saßen ihre Schwester Kotoko, die sie neugierig anstarrte (Miyako trug ihre Schuluniform, jedoch schien diese etwas zerknittert zu sein) und ihre Großmutter Kouhaku, die wie immer auf den Fersen sitzend am Kopf des niedrigen Lacktisches saß und grazil eine Tasse Tee umfasste um daraus zu trinken. Michiko scheuchte die 13 Jahre alte Kotoko aus dem Wohnraum und schloss die Schiebetür hinter sich zu. "Setz dich!", kommandierte die Frau und Miyako tat, wie ihr geheißen. "Als allererstes, ich bin froh, dass dir nichts passiert ist.", setzte Michiko an. "Zweitens: Wo warst du? Du wirst doch nicht vergessen haben, dass du immer sagen sollst, wo du hingehst. Oder hast du mich angelogen, als du am Freitag Nachmittag anriefst?" Michiko's Stimme war schneidend und Miyako machte sich immer kleiner auf ihrem Sitzkissen. Gebannt starrte sie auf die Tischplatte und überlegte fieberhaft nach einer passenden Ausrede. Doch ihr fiel keine ein. Im Gehirn der kleinen Japanerin schien es zu rattern und rotieren, als wären tausende von Zahnrädchen damit beschäftigt, eine einzige Arbeit zu verrichten, nämlich angestrengt nachzudenken. "Nun?" Frau Takeshima wartete ungeduldig. Miyako hatte keine andere Wahl. Sie seufzte ergeben und schaute ihre Tante traurig an. "Das würdet ihr ohnehin nicht glauben, wenn ich es erzähle." Michiko schloss die Augen und nahm einen Schluck Tee um sich zu beruhigen "Fang an, ich bin gespannt!", bellte sie. Miyako atmete tief ein und begann zu erzählen: "Ich war in dem Tempel in Uiji mit meiner Freundin Jin. Wir wollten uns auf die Suche nach Rie Surugawa machen, weil ich in einer meiner Visionen beim Kartenlegen gesehen habe, dass sie in Not ist. Jetzt weiß ich, dass wir damals zu spät kamen. Jedenfalls...." Michiko hatte die Augen empört aufgerissen und wollte schon fast zu einer weiteren Ohrfeige ansetzen doch Miyako's Großmutter, die sonst eher ruhig war, richtete sich auf. "Halt Michiko! Ich will hören, was sie zu erzählen hat. Danach kannst du immer noch tun, was du gerade tun wolltest. Selbst, wenn ich dies sehr missbillige. " Tante Michiko, die verblüfft darüber schien, dass die schweigsame Kouhaku Partei für ihre Enkelin ergriff, hielt sich an deren Worte und nahm einen weiteren Schluck Tee um sich zu beruhigen. Ermutigend blinzelte die alte Dame ihre Enkelin an. Deren Lippen kräuselten sich unbeholfen, dann setzte sie ihre Erzählung fort. "Wir haben dort eine Begegnung mit einem Wesen... einem Geist gemacht. Als wir ihr, also es war eine Frau, gefolgt sind, hinein in den Tempel, fanden wir Rie's Kette, die blutverschmiert in einer Ecke lag. Dann fand ich einen großen Spiegel, mindestens zwei Meter groß und fast genau so breit. Als ich... hineinsah, hatte ich noch eine Vision von dem Geist, den wir gesehen haben. Die Frau war in dem Spiegel und hat ein Kind gesucht, überall lagen Trümmer herum und sie war blutverschmiert. Als wir dann ein Foto von dem Geist machen wollten, gab es einen großen Blitz und naja... dann waren wir plötzlich ganz wo anders, und wir haben die ganze Zeit über versucht, da wieder weg zukommen." Miyako entschloss sich, erstmal keine genauen Details zu schildern, denn nicht mal sie würde sich glauben. Bei dem Ablauf der Ereignisse war dies wirklich das Seltsamste, was je passiert war. Kouhaku's Lippen verformten sich zu einem Lächeln. Miyako erstarrte für den Bruchteil einer Sekunde bei diesem Anblick, denn das Lächeln verhieß nichts Gutes. Michiko starrte ihre Nichte fassungslos an. "Willst du damit sagen, du bist einem Geist begegnet?", kam es vorsichtig hinter der schön verzierten Teeschale von ihrer bleich gewordenen Tante. "Aber, aber, Michiko. Gerade du solltest gefasster mit so einem Thema umgehen." Verdrießlich lächelnd fixierte Kouhaku, die alte Dame, ihre Schwiegertochter. "Nun mein Kind, welch Überraschung, so etwas von dir zu hören. Vielleicht strebst du ja jetzt doch die Ausbildung zur Miko an?" Kouhaku neigte den Kopf und trank vornehm einen Schluck Tee. "Ich nehme an, ihr habt mehr gefunden, als ihr euch gewünscht habt, deine Freundin und du." Kouhaku's Stimme war seltsam rauchig und ihre trübe gewordenen, dunklen Augen fixierten die Hände ihrer Enkelin. "Zeige uns, was du gesehen hast. Bitte...", sprach sie weiter und nahm Miyako's Hand in die ihre. Fest hielt sie sie gedrückt und schloss konzentriert die Augen. "Aber..." "Michiko, verhalte dich leise, du weißt genau, ich brauche Ruhe!", schnarrte die alte Frau. Miyako fühlte, wie ihre eine Hand ganz warm wurde und hatte das Gefühl, dass Kouhaku's Griff ihr Wärme entziehen würde. Eine endlos dauernde Minute später schlürfte Miyako's Großmutter wieder an der Teeschale, als wäre nichts gewesen. "Mein Kind...", murmelte sie zwischendurch. "Mein armes, armes Mädchen." Miyako senkte betreten den Kopf. Anscheinend hatte ihre Großmutter auch diese Gabe, durch Berührung eines Gegenstandes oder Menschen, dessen Erinnerung abrufen zu können, denn die Oberschülerin fühlte sich, als hätte sie all das, was ihr in Yôsomura widerfahren war, noch einmal im Schnelldurchlauf erlebt. "Sie braucht eine Ausbildung, Michiko. Aber schnell. Lehre sie alles, was du weißt und schick sie dann wieder zu mir. Miyako muss schnell zurück, sonst geschieht ein schlimmes Unglück..." Die Oberschülerin schluckte hart. Dann senkte sie den Kopf und fasste allen Mut zusammen: "Die hier... sollten geweiht werden." Fast flüsternd kamen die Worte aus ihrem Mund und sie holte aus ihrer zerfledderten Umhängetasche die Bilder der Geister hervor. Michiko nahm den dünnen Stapel und sah ihn sich an. Mit jedem Bild, das sie betrachtete, wurde ihr Blick entsetzter und ihre Hand zittriger. "Ich verstehe", war die knappe Antwort ihrer Tante, die sich nun erhob und Kouhaku mit ihrer Enkelin alleine ließ. Die alte Frau schien plötzlich wie ausgewechselt. Lebhaftigkeit sprühte förmlich aus ihren Augen, von denen Miyako zum ersten Mal wahrnahm, dass sie fast bernsteinfarben waren. Sie nahm die Hand ihrer Enkelin und hielt sie fest, während sie fieberhaft auf die zierliche Japanerin einredete: "Du darfst keine Priesterin werden, du musst eine Miko werden, nur eine Miko hat die Kraft, die Dämonen zu bändigen. Ein Priester kann nur weihen oder beschwören, aber niemals kämpfen. Miyako... du musst stark sein. Sei fleißig, sei hartnäckig und lass dich nicht von Michiko abwimmeln, lasse nicht locker so lange bis sie keine Lektion mehr für dich hat. Komme dann so schnell wie möglich zu mir, ich lehre dich die wahre Macht, Dämonen zu bändigen. Du musst dich anstrengen, sonst wirst du... deine Reise nicht überleben." Mit diesen Worten entließ sie die verwirrte Enkelin und richtete sich ebenfalls, zum Gehen gewandt, auf. Miyako saß alleine am niedrigen Lacktisch und war schon lange nicht mehr so verwirrt gewesen... *** "Hallo? Kann ich mit Frau Hinasaki sprechen bitte? ... Akagawa, mein Name... ja.... Danke!" Kin wartete geduldig am Telefon, während eine sanft einlullende Melodie aus der Muschel des Hörers erklang. "Kin?", kam es plötzlich vom anderen Ende der Leitung. "Hallo Miku... Gute Neuigkeiten, die Mädchen sind wieder da!" "Das freut mich für dich, Kin!" "Aber wir haben ein Problem... die zwei haben wohl in ein Wespennest gestochen und müssen wieder dorthin zurück um das Ganze wieder hinzubiegen." "Oh... verstehe... Kann ich dir helfen?" "Nun ja. Nicht wirklich... Ich habe hier ein paar Dokumente, die du dir ansehen solltest. Ich kann leider die Schrift nicht lesen, denn sie scheint sehr alt zu sein." "Aha... Sollen wir uns eventuell wo treffen?" "Ein Restaurant?" "Hmm... zu auffällig. Wir nehmen eine kleine Oden-Bude, da sind wir ungestörter." (Oden = japanischer Eintopf) "Gut. Ich schicke dir eine Nachricht mit dem Ort und Zeit unseres Treffens." "Alles klar. Ich muss auflegen... mach es gut, Kin!" Am anderen Ende der Leitung knackte es kurz, dann hörte der Student ein langes Tuten. Der Halbjapaner legte auf und betrachtete nachdenklich die Dokumente, die ihm die Mädchen gegeben hatten. Das Buch des Völkerforschers, Isamu Fukada, konnte er noch lesen, auch wenn einige Stellen im Text von Wasser verwischt worden waren. Doch mit dem Buch von Dr. Kunihiku Aso hatte er Probleme. Vielleicht konnte Miku Hinasaki ihm helfen, immerhin hatte sie mit solchen Dingen wohl Erfahrung. Author's Notes Muaaaaaaah... dieses Mal hatten wir Fünflinge (=extra schwere Geburt) XDD~~ Was eine schwere Geburt. Tja, die gruselige Zeit ist um. Jetzt geht es ans Recherchieren. Wer von unseren Lesern bis her nur Bahnhof und Abfahrt verstanden hat, dem werden jetzt ein paar Dinge einleuchten. Und das wird auch im nächsten großen Abschnitt - Kapitel 4 - so bleiben. Wir fragen uns, was mit dem Fall des Serienmörders ist, wie es weitergeht. Wir treiben aber auch die Geschichte der einzelnen Charaktere voran. Nächstes Kapitel wird jeder der drei eine eigene Geschichte erzählen. Also gibt es keine ineinander fließenden Ereignisse mehr. ^^ Wir möchten euch auch so die Charaktere etwas näher bringen, deren Umfeld und Familie beschreiben, damit man am Ende noch mehr Schmerz empfindet, wenn sie...äh... *flöt* - Vergesst es ^^;;; Jedenfalls hoffen wir, dass wir euch den Friedhof und das Büro von Jin's Vater gut beschreiben konnten *extraskizzegemachthat* ^^ und dass ihr nicht allzu verwirrt seid. Dieses Kapitel zu schreiben war echt mit Abstand das langwierigste wo gibt. Allerdings nicht weil ich bzw. Nici keine Ideen gehabt hätten. Eher, weil ich keine Zeit mehr habe zu schreiben. Ich kann nicht mal mehr Kommentare zu meinen Fanfics schreiben, die ich lese. ;___; Wir haben mittlerweile auch diese Fanfic auf www.fanfiktion.de veröffentlicht und gleich zu Anfangs eine eher niederschmetternde Review erhalten. Dort haben wir eine etwas veränderte, verbesserte (Geschichte 1.2.0. Beta-ver XDDD~~~) Form der Erzählung online. Dies hat mich (fairy) auch etwas in Anspruch genommen, da ich jeden Teil der dort veröffentlicht war, verändern musste. Im Nachhinein finde ich den Prolog und die Einleitung viieeel besser als hier auf ani. Falls ihr dort angemeldet seid, schaut doch mal vorbei, wir freuen uns über Reviews ^^ Wir hoffen ihr haltet uns die Stange und bedanken uns bei unseren braven Beta-tierchen ^^ *kawoknuff* *kuschelknuff* Alles Liebe Fairy & Dragon ^^/ Chapter 4 || Encounter the Curse ~the chariot~ ---------------------------------------------- „Einatmen… Ausatmen… Einatmen… Bist du soweit?“, flüsterte Michiko Takeshima, die Shinto-Priesterin ihrer Nichte ins Ohr. Sie stand dicht hinter ihr und hielt mit ihr gemeinsam einen runden Gegenstand in die Höhe. Miyako nickte unmerklich. „Jetzt!“ Miyako schloss konzentriert die Augen und verfiel in leisen Singsang. Dann nahm sie vorsichtig die Hände von der Tonschüssel, die sie zum Üben benutzt hatten. Das Seltsame an der Schüssel war, dass sie über und über mit Bannzetteln versehen war. Der Gesang, der eigentlich ein Gebet war, steigerte sich und wurde lauter. Gleichzeitig löste sie nach und nach die Fingerspitzen von der Schüssel, die diese noch hielten. Irgendwann öffnete Miyako unsicher die Augen und sah die Schüssel vor sich schweben. Fasziniert betrachtete sie, wie die Schüssel leicht hin und her schaukelte. Einen Moment später fiel sie zu Boden und zerbarst in tausende Stücke. „Aah...Schmetterling! Nein, nein, nein! Auch wenn du die Augen öffnest, musst du trotzdem konzentriert bleiben! Stell dir einfach vor, das Ding wäre gar nicht da. Starre ins Leere!“ Seufzend schüttelte Michiko den Kopf und holte einen Reisigbesen, um die Scherben beiseite zu kehren, zu dem größeren Haufen in der Ecke, bestehend aus weiteren „Unglücken“, den Versuchs-Tonschalen, die letzte Woche zu Bruch gegangen waren. „Tut mir leid...“ Betreten streifte sich die mittlerweile 18 Jahre alte Japanerin die Ärmel herunter. Seit den Sommerferien war Miyako nur am Üben: Beschwören da, Vertreiben hier, Bannen dort. Es war schwierig, sich alles zu merken, immerhin war die Gebetssprache noch Altjapanisch und hatte viele chinesische Silben zwischendrin. „Nein, nein. Du machst dich gut, Kind. Ich bin stolz wie viel du in den letzten Tagen gelernt hast! Du kannst zumindest schon einmal heilen und schützen. Das ist auch wichtig, denn Schutzsprüche wirst du wohl brauchen, wenn...“ Die Shinto-Priesterin hielt inne. Ihr behagte es immer noch nicht, dass ihre junge Nichte wieder fort gehen würde. In eine andere Zeit, zu einem anderen Ort, an dem Böses und Dämonen ihr Unwesen trieben. Am liebsten würde sie selber dort hingehen, aber wie sie von ihrer Nichte erfuhr, konnten wohl nur Miyako und ihre Freundin Jin das „Tor“ passieren. „Wir machen jetzt erstmal eine Pause. Gehe zu Haku-san und erzähle, was du geschafft hast!“ Michiko und ihre Schwiegermutter Kouhaku waren in den letzten eineinhalb Wochen auch einander gegenüber viel offener und freundlicher gewesen, sonst waren sie eher schweigsam zu einander. Jetzt durfte Michiko sogar „Haku-san“ sagen, eigentlich der Kosename, mit dem die alte Frau nur von ihrem Sohn bedacht wurde. Michiko lächelte gedankenverloren bei der Erinnerung an ihren geliebten Mann. „Großmutter? Groß... Aah!“ Miyako erschrak bei dem Anblick ihrer Oma: Diese war kreidebleich geschminkt mit blutroten Lippen und tiefdunklen Augenhöhlen. „Was... was wird das?“ „Nichts... das ist nur der Anblick, den du künftig deinen Feinden bietest. Dies ist die ‚Maske’ einer Miko. Sie soll helfen, den Dämon zu verwirren und gleichzeitig soll sie dich unnahbar machen. Nun, was hast du gelernt Miyako...?“ „Gegenstände zu heben, ohne sie zu berühren… Tante Michiko meint, das soll mich vor bösen Geistern schützen, in dem ich sie befehlige, sich nicht zu rühren. Leider klappt es noch nicht so ganz.“, gab die Schülerin betreten von sich. „Schön, schön. Aber was machst du, wenn du den Dämon damit nicht fernhalten kannst? Läufst du dann weg? Deine Kondition ist ja nicht die Beste, Kind.“ Kouhaku ging, obgleich sie so alt war, graziös zur Küche und füllte Reis und Wasser in den alten Reiskocher. Beschämt schlich die Schülerin hinter ihrer Großmutter her. „Wann können wir denn anfangen?“, kam es ein paar Minuten später von Miyako. Diesmal schon selbstsicherer. „Wenn du nichts mehr von Michiko-san lernen kannst.“ Kouhaku schälte die Karotten und löste die Bohnen aus ihren Hülsen heraus. Gedankenverloren schnitt sie alles klein und füllte es in einen großen Eisentopf, wo sie es stark anbriet. „Ja, aber wann wird das sein?“ Miyako wurde nervös. „Ich werde mit ihr sprechen. Achte auf das Gemüse!“ Damit schritt die rüstige Frau hinaus in den kleinen Innenhof des Gebäudes. Miyako folgte ihr unschlüssig durch die Küche hinaus auf die Terrasse, die den kleinen Garten umrahmte. „Du sollst doch auf das Gemüse achten!“, schalt sie ihre Großmutter, nachdem sie ihre Anwesenheit wahrgenommen hatte. Schnell verzog sich die Schülerin wieder in die Küche, die in der Ecke eines großen Raumes war. „Michiko... wie lange dauert es noch?“, kam die raue Stimme der alten Frau, die sich behände auf einem der dunkel gebeizten Holzstühle niedergelassen hatte. Schwerfällig richtete sich die andere Frau auf und band sich mit einem breiten Band ihre langen Ärmel hoch. „Nicht mehr lange, das sagte ich doch. Warum bist du so ungeduldig?“ „Weißt du, wie alt dieses Haus hier ist?“, kam die Gegenfrage der älteren Dame und sie streckte die Hand nach einem der kühlen, glatten Felsen aus, die den kleinen In-nenhof zierten. Michiko setzte sich zu ihrer Schwiegermutter und neigte den Kopf. „Natürlich, über 350 Jahre ist dieses Anwesen und der Schrein alt, aber… was hat das mit unserer Miyako zu tun?“ Kouhaku wandte sich um und steckte ihre Hand unter den Obi ihres zartblaufarbenen Kimonos, um ein Taschentuch hervorzuziehen. „Meine Familie bewohnte dieses Anwesen schon seit ewigen Zeiten, so schien es mir. Auch mein Mann hat damals in meine Familie eingeheiratet, da meine Mutter nur Mädchen zur Welt gebracht hat. Für meinen stolzen Vater war das eine Schande. Eines Abends, als ich sieben Jahre alt war, beobachtete ich genau von diesem Platz aus, wie mein Vater seinen Unmut an meiner Mutter ausließ…“ Kouhaku blickte trau-rig zu Boden. Es war, als sei es erst gestern gewesen: Die kleine Kouhaku mit den auffallend hellen Augen saß unter der auf Stelzen ge-bauten Terrasse des großen Anwesens und hielt sich panisch die Ohren zu, während ihr Vater ihre liebe Mutter an den Haaren hinter sich herschleifte und ihr böse Worte wie rohe Brocken Fleisch zuwarf. Als das junge Mädchen dann für einen Moment der Stille die Hände von den Ohren nahm, zischte ihr Vater gerade: „Du weißt, dass nur ein Junge diesen Fluch aufheben kann! Warum gebärst du keine Jungen? Wir brauchen einen Jungen! Frau, du weißt, was mit uns geschieht, wenn wir die Götter nicht milde stimmen… Hast du denn…“ Ihr Vater brach jäh ab, denn ihre jüngere Schwester Anzu stand auf der Terrasse und weinte. „Mama… Papa, ich kann nicht schlafen!“, jaulte das kleine Mädchen und lief ihrer Mutter in die offenen Arme. Damals gaben ihre Töchter ihrer Mutter noch Kraft, doch als Kouhaku’s Mutter kurze Zeit später eine Fehlgeburt erlitt, schien sie wie gestorben. Ziellos wanderte sie auf der Terrasse umher, ging in den kleinen Garten hinunter und weinte lautlos vor sich hin. Wochen später fand ihr Ehemann sie erhängt an der großen Trauerweide, die hinter dem Schrein wuchs…. Kouhaku strich wieder über den glatten Fels und wischte sich vornehm die Tränen aus den Augenwinkeln. „Meine Familie hat ein schlimmes Geheimnis und ich bin bis heute nicht dahinter gekommen. Aber ich glaube, Miyako könnte es lösen. Miyako kann sogar die Toten zur Ruhe bringen, also wird sie mir helfen, dieses obskure Rätsel zu lösen…“ „Dann lass mich mit ihr noch einmal die Bann-Übung machen, danach ist sie dein.“, wisperte Michiko geheimnistuerisch, nicht ahnend, dass ihre Nichte sich im angrenzenden Raum an die dünne Wand gepresst hatte und gebannt den Erzählungen lauschte. *** Unruhig tippte Miyako die Nummer in ihr rosafarbenes Klapphandy. An dem Handy baumelte ein kleiner Daruma, ein Stehauf-Männchen, das einem helfen sollte, Wünsche zu erfüllen. Beim Erhalt dieser bauchigen Gestalt hatte diese nur weiße Augenhöhlen, jedoch keine Pupillen. Ein Auge hatte Miyako bereits angemalt, als sie ihren sehnlichsten Wunsch aussprach. Hatte sich ihr Wunsch erfüllt, durfte sie das zweite Auge auch anmalen und den Göttern und dem Daruma dafür danken. Der kleine Kugelgeselle baumelte hektisch am Handy herab und schlug einmal unsanft gegen die Plastikhülle des Mobiltelefons. „Ha…Hallo? Jin?“ „Spinnst du? Es ist bereits zwei Uhr Morgens! Ich brauche meinen Schönhei….meine Ruhe!“, zischelte die Chinesin schnell. „Entschuldige…“ Miyako zupfte verlegen an ihrem honigfarbenen T-Shirt, an dem sie einen Faden entdeckt hatte. „Du sollst dich nicht immer entschuldigen, Mi! Was ist denn los? Ist irgendwas passiert?“ Jin drückte den Kippschalter ihrer Nachttischlampe und blinzelte. Schlaftrunken stieg sie aus dem Bett und wanderte in die Küche, um sich dort ein Glas Saft zu holen. „Na ja, so genau weiß ich das noch nicht. Aber ich habe Großmutter und Tante Michiko reden gehört, über einen Fluch, der Haku-san’s Familie heimsucht…“ „Haku-san?“ Jin nahm einen Schluck kalten Mangosaftes. „Meine Großmutter heißt Kouhaku… ihr Sohn nannte sie immer Haku-san. Na ja jedenfalls…“ „Mi… leg dein Ei.“, schmunzelte Jin. „Ich werde zur Priesterin ausgebildet. Schon seit über einer Woche, das weißt du ja. Aber… Kouhaku sagt, sie will mich zur Miko ausbilden, damit ich die Dämonen besser bekämpfen kann. Ich hab ehrlich gesagt Angst, weil ich nicht so mutig bin und na ja… ich bin nicht so mutig wie du zum Beispiel.“ Jin seufzte tief. Eine Miko zu werden war eigentlich das, was ihr ihre Mutter ermöglichen wollte, soweit sie das aus dem letzten Telefonat nach China herausbekommen hatte. Seit sie diesen Brief von ihrer Großmutter erhalten hatte, versuchte die Oberschülerin alles, um in Kontakt mit ihrer Mutter und Großmutter zu treten. Nach langem, zielstrebigem Suchen hatte sie endlich in dem Notizheft ihres Vaters Yi-Liang eine hin gekrakelte Nummer gefunden. Die ihrer Tante Zu-Liang. Diese hatte sie gebeten, ihr die Nummer ihrer Schwägerin zu verraten, da die beiden Frauen immer gut mitein-ander ausgekommen waren. Nach etlichem Hin und Her hatte sie endlich die Telefonnummer ihrer Familie in den Händen und spazierte schnurstracks zu einer Telefonzelle. Bei ihrem misstrauischen Vater wusste man ja nie, ob er nicht versuchen würde, die Verbindung zu unterbinden. Nun kommunizierte sie seit zwei Wochen mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern. Abends gab sie vor, noch kurz etwas spazieren zu gehen und Yi-Liang nickte nur und vertiefte sich wieder in seine Arbeit am Schreibtisch. Als sie dann immer freudestrahlend zurückgekehrt war, hatte ihr Vater sie einmal auf einen Jungen angesprochen, doch sie hatte kichernd verneint. Väter! Und jetzt erzählte ihr ihre mittlerweile beste (und auch einzige, weil „am vernünftigsten“ und „nicht so aufgetakelt“) Freundin, sie würde zur Miko ausgebildet. Jin lächel-te ironisch. „Mi… Ich weiß, dass du das Zeug dazu hast. In Wirklichkeit bist du doch vollkommen fasziniert von Übernatürlichem und so. Wer war es denn, der den Geistern nachgelaufen ist? Wer hat sich denn andauernd in Gefahr gebracht, weil es so interessant war, einem Mädchen nachzulaufen und am Ende fast von einem Monster gefressen zu werden?!“ Ärgerlich schnaubte die Chinesin und knallte das leere Glas auf den Küchentisch. „Mann, bin ich froh, dass wir da raus sind.“ „Aber wir müssen zurück.“, wisperte die kleine Japanerin und starrte an die Decke ihres Zimmers. „Ich weiß. Schlaf jetzt. Wir sehen uns ja bald…“ Mit diesen Worten legte Jin auf. „Hoffentlich“, murmelte sie schlaftrunken und kuschelte sich wieder in ihr kuscheliges Bett. Miyako legte das Handy auf den Nachttisch. „Morgen lernen wir… Geisteraustreibung“, murmelte sie und gähnte herzhaft, als sie sich wieder zudeckte. *** Klirr. Miyako war sofort hellwach. Die Oberschülerin schlug die Augen auf und schlüpfte in ihre aus weißem Plüsch bestehenden Häschen-Pantoffeln. Nur waren die nicht da. Verunsichert suchte sie nach ihrer Nachttischlampe, stieß aber mit ausgestreckten Fingerspitzen nur gegen eine Holzwand. Fluchend lutschte sie an einem Finger, des-sen Nagel durch die unsanfte Begegnung gebrochen war. Klirr. Noch einmal hörte sie das Geräusch. Diesmal schien es näher zu sein als beim vorherigen Mal. Miyako schluckte. Langsam erhob sie sich und machte dabei Atemübungen, so wie sie es von ihrer Tante gezeigt bekommen hatte. Dann presste sie die Augenlieder fest zu und öffnete ihre Augen wieder. Durch diesen Trick und das fahle Mondlicht, das bei einem AUS VERGITTERTEM HOLZ bestehendem RUNDEN Fenster schien konnte sie nun endlich den Raum, in dem sie sich befand, ausmachen. „Oh… ihr Götter.“, entwich es ihr leise. Bin ich wieder in Yôsomura? Ist das ein Traum? Oder Wirklichkeit? Vor ihr war ein dunkler hoher Schrank, auf dem einzelne Gegenstände standen und die Holzwand von vorhin entpuppte sich als mittelhohe Kommode auf der ein Spiegel blitzte und das Mondlicht wieder in den Raum zurückwarf. Miyakos Bett war ein schlichter Futon, das fiel ihr erst jetzt auf und als sie sich erheben wollte, stellte sie fest, dass sie nur mit einem weißen Hemdchen bekleidet war. Klirr. Das Geräusch war jetzt so nahe, dass die Japanerin sich nicht traute, den Kopf in die Richtung zu bewegen. Und doch tat sie es. Neben ihr saß ein Mädchen, das sein Gesicht zu einer komischen Fratze verzogen hatte. Miyako hielt sich die Hand vor den Mund, um den entsetzten Schrei abzudämpfen. Sie beobachtete das kalkweiße Mädchen, doch es griente nur höllisch zurück. „Mama! Ich hab sie gefunden! Sie hat sich hier versteckt!“ hörte sie eine Stimme in ihrem Zimmer hallen. „Mama?“, entwich es der Oberschülerin. Oh-oh… Wo einer ist, können auch mehr sein, erinnerte sie sich. Doch es war schon zu spät, um davon zu laufen: Vor ihr, dort wo die Tür aufgeschoben war, sah sie einen Lichtschein, der langsam näher kam. Dann stand eine Frau vor ihr, in einem blutig roten Kimono gewandet mit Haaren die so schwarz und undurchdringlich schienen und der Gestalt bis auf den Boden reichten. „Da bist du… Willkommen…“, kam die mächtige und dröhnende Stimme vom Türrahmen zu Miyako hin. Diese starrte dem Geist mutig in die Augen. Doch die Frau mit den vielen Haaren machte keine Anstalten, aggressiv zu werden. Sie streckte eine bleiche Hand nach vorne aus und rief nach ihrem Kind „Amane… komm, wir bringen unseren Gast zur Meisterin.“ Das Mädchen mit der Fratze schwebte ihrer Mutter entgegen und Miyako stellte entsetzt fest, dass sie keine Arme mehr hatte. Stattdessen hingen halb abgerissene Kimonoärmel in Fetzen an den Seiten herunter. Als wäre es das natürlichste der Welt, folgte die zierliche Japanerin den beiden Geistergestalten und wanderte durch einen langen Gang, dessen Boden und Wände aus Holz waren. An manchen Stellen waren Löcher, aber es gab sogar ein oder zwei Bilder, die allerdings zerrissen waren. Der Gang machte einen Knick und führte über eine breite Treppe hinauf. Links und rechts gingen Nischen von dem langen Gang weg, in mancher lagen verrottete Reste von Stoff und Wandschirmen. Sie stieg die knarrenden Treppen hinauf und folgte den Geistern weiter. Die große Gestalt verschwand in der Tür, Amane machte es ihr nach. Miyakos Schultern sanken mutlos. „Wie soll ich…“ Sie konnte nicht so einfach durchschweben, eher würde sie sich die Stirn blutig schlagen. Aber dann fasste sie Mut und riss an der Tür, die mit einem Quietschen aufging. Unsicher trat sie in den großen Raum. Es verschlug ihr die Sprache, bei diesem Anblick. Vor ihr breitete sich ein großer Altar auf und an den Wänden hingen lauter Kimono Puppen. Der quadratische Raum war am hinteren Ende in einen rötlichen Schimmer getaucht und es standen sogar Papierlampen, deren Licht den Boden einigermaßen erhellte. Auf dem Altar stand ein großer Spiegel, rund herum waren Kerzen und kleine Töpfe aufgestellt. An einer Wand hinter dem Altar hingen mehrere Bündel Haare, Fell und Federn. Miyako schluckte ob der gruseligen Erscheinung. Dann wurde sie Zeuge eines merkwürdigen Schauspiels. Die Frau und ihre Tochter Amane gingen aus dem Raum, indem sie eine kleine Tür auf der linken Seite öffneten und hindurchschlüpften. Miyako zog verwundert die Au-genbraue hoch. Sind die nicht grad durch die Tür geflogen? Warum machen die sich die Mühe, sie zu öffnen…?[/i) Einerlei… Sie richtete ihren Blick nach vorne auf den Altar und schaute sich um. Über ihr, in luftigen Höhen waren die Dachbalken kreuz und quer verstrebt, um dem Gebäude, in dem sie sich befand, den nötigen Halt zu geben. An manchen Dachbalken baumelten Seile, von denen ebenso Haare und Federn hingen. Was zur Hölle geht hier vor?, rätselte die 18 jährige und drehte sich einmal um sich selbst, um den Raum genau zu studieren. Hinter sich ertönte ein Knacken. „Warum immer hinter mir, warum mal zur Abwechslung VOR mir…?“, brummte die junge Frau und drehte sich gewappnet – sofern das ohne nötige Verteidigung überhaupt ging – um. Eine Frau schwebte vor ihr, in einen weißen Kimono gehüllt, mit blauem Obi und ihre Haare wiegten sich hin und her, als würde ein Wind durch diesen Altar-Raum wehen. „Priesterin…“, dröhnte es in einem alten Dialekt und die Frau streckte die Hände nach Miyako aus. „Oh…nein!“ Diese rollte sich zur Seite und floh in eine Ecke des Raumes. Als sie merkte, dass sie in der Falle saß, fühlte sie heiße Tränen ihren Augen emporsteigen. Sie schluckte den bitteren Geschmack ihrer Magensäure mühsam hinunter und biss sich nervös auf der Lippe herum. „Priesterin…“, tönte es wieder und die Frau, die etwas älter zu sein schien, schwebte wieder auf Miyako zu. Diesmal hatte sie jedoch VIER Arme. „No..ko…ru…chu!“, rief Miyako voller Angst. Bleib weg! Die alte Frau lachte hohl. „Te wu yako!“, rief die Japanerin weiter, doch die Priesterin näherte sich immer noch. Die zierliche junge Frau blickte sich panisch um. Sie griff nach einer Puppe, die sich ganz in ihrer Nähe auf dem Boden befand, und schleuderte sie in die Richtung des Vier-armigen Geistes – der inzwischen sechs Arme hatte. „Scheiße!!“, fluchte sie und robbte schnell zur Seite. Die Frau im Kimono duckte sich, so als wolle sie der Puppe ausweichen und sank dann langsam im Boden ein. Dann war sie verschwunden. „Ooooh nein… Ich weiß, was das wird.“, raunte Miyako in die Stille des Raumes hin-ein. „Wir spielen ‚Ich bleib jetzt versteckt, bis du denkst die Luft ist rein und dann schleich ich mich von hinten an dich…“ PENG! Die Tür, durch die die beiden vorigen Geister entschwunden waren fiel mit einem solchen Knall auf, dass Miyako ängstlich kreischte. In diesem Moment fühlte sie auch, wie um sie herum der Boden kalt wurde. Gerade noch rechtzeitig erhob sie sich aus der Hockstellung und rannte Richtung Tür: Wie sie es vermutet hatte, tauch-te die Frau im weißen Kimono wieder aus dem knarrenden Holzboden auf und ließ ihr unerträgliches klirrendes Kreischen erklingen, während sie mit den langen Ärmeln um sich schlug. Miyako flüchtete zur Tür. So schnell wie möglich schloss die Japanerin sie und hechtete weiter den Gang entlang. ‚Wo bin ich?’ Unsicher blieb sie ste-hen. Der Geist folgte ihr nicht mehr. Ihre Großmutter hatte ihr einmal erzählt, dass manche Geister an ihren Ort gebunden sind, ihn obwohl sie durch Wände kommen, nicht verlassen dürfen. Gut, dass es auch bei dieser Kimono-Frau so war. „Wenn ich doch nur wüsste, wo ich bin?“, krächzte die Oberschülerin verzweifelt und sah sich um. Vor lauter Aufregung hatte es ihr die Stimme verschlagen. Erst jetzt merkte sie, dass es schrecklich kalt war und eine Gänsehaut breitete sich schlagartig auf ihrem Körper aus. Vor ihr lag ein langer Korridor, in dessen Wände Türöffnungen ausgespart waren, an einigen waren noch Papierschiebetüren, an anderen nicht. Miyako lief weiter gerade aus und bog dann links in einen größeren Raum ab. „Niemals in eine Sackgasse laufen!“, ermahnte sie sich selbst. Vor ihr in dem Raum war aber diesesmal kein Geist, nicht einmal viel Einrichtung. Ein kleines Schränkchen, das vom Mondlicht beleuchtet wurde, welches durch die großen runden, vergitterten Fenster hereinschien, schien neben den Tatami-Matten am Boden das einzige Möbelstück zu sein. Ohne Scheu ging die junge Japanerin auf die Kommode zu und zog nach der Reihe die Schubladen auf. Wenn sie eines in Yôsomura gelernt hatte, dann, dass man sich alles in einem Raum zu Nutze machen sollte, um Geister oder Untote zu bekämpfen. Und tatsächlich: sie fand etwas. Ein kleines Büchlein, eingebunden in einem violetten Seidenumschlag. Jedoch sah dieser schon sehr abgenutzt aus. In einer Ecke fanden sich Blutflecken. Die junge Frau mochte sich lieber nicht vorstellen, was der Grund für die Blutflecken gewesen sein könnte. Da Miyako keine Tasche hatte, nahm sie das Buch einfach in die Hand und hielt es einfach gut fest. Sie wusste nicht, ob sie es jetzt lesen sollte, denn sie hatte Angst, jemand könnte sie auf frischer Tat ertappen und das wäre das Letzte, dass sie gewollt hatte, schon wieder auf der Flucht vor einem Geist zu sein. Trotzdem schlug sie das Büchlein auf. Neugierde ist etwas Schlimmes, dachte sie sich und lächelte schwach. Die Seiten in dem Buch waren vergilbt, jedoch war die Schrift erstaunlich gut erhalten. Sie bestand zu einem Großteil noch aus Chinesischen Schriftzeichen und altem Katakana. „Versteck dich nicht, du entkommst mir nicht. Meine schneeweiße Puppe, mein Kleinod. Ich werde dich lieben und vor allen andern beschützen. Schrei nicht mehr. Lauf nicht weg, es gibt keinen Ort wo du dich verstecken kannst. Du bist wie ich, hab keine Angst. Schrei nicht mehr. Alles ist jetzt vorbei. Meine schneeweiße Puppe, du gehörst mir!“, stand dort in abgehackt geschriebenen Schriftzeichen. Irritiert versuchte sich Miyako einen Reim darauf zu machen. Wenigstens kann ich es diesmal lesen, der Alt-Japanisch Unterricht bei Haku-san zahlt sich aus! freute sich die junge Frau. Sie fühlte wie eine leichte, aber sehr kalte Brise vom Fenster hereinstrich und ihre Schulter streifte. Dann hörte sie Schritte, ganz leise, aber sie waren da. Schnell suchte Miyako das Weite, aber es war zu spät. Sie presste ihren schlanken Körper in eine dunkle Nische und hoffte, dass man sie nicht entdecken würde. Neben ihr ging ein Mann vorbei, mindestens so gleißend hell wie die Strahlen des Mondlichts, die hereinschienen. Vor der Kommode kniete eine Frau in einem prächtigen Kimono und kämmte ihre langen schwarzen Haare. Der Mann beugte sich nach unten und berührte die junge Frau an der Schulter. Erst jetzt merkte Miyako, dass sie weinte, ihr Make-up war ganz verschmiert, das weiß ihres Gesichtes war rund um die Augen verwischt und schwarze Tusche, die von ihren Wimpern und Brauen stammte, lief ihr die Wangen herunter und malte dort geschwungene Linien. Er berührte sie am Oberarm und zwang sie aufzustehen. Sie legte ihr Gesicht in ihre kleinen Hände, die makellos im Mondlicht aussahen. Mit dröhnender Stimme sprach er: „Komm, wir gehen, es wird Zeit.“ Sie starrte ihn an, ihr Blick war ausdruckslos. „Ich werde ihn niemals lieben können, Anjin-san. Er hat ihn getötet, einfach so... ohne...“ „Schweig!“, unterbrach sie der Mann barsch und schob sie aus dem Türrahmen. „Hatsukiko, du weißt es, er hatte es verdient. Sei froh, dass der Herr dich nimmt! Du bist befleckt und hättest dir eigentlich das Leben nehmen sollen! Sieh es als Chance für ein neues Leben!“, bellte der Mann. Vermutlich ihr Vater oder Bruder, mutmaßte Miyako. Dann waren die beiden weg. „Ich hoffe, der Fluch trifft ihn wirklich“, hörte sie noch die schwache Stimme der Frau im Raum schweben. Miyako beschloss, dass es hier nicht mehr sicher war, und zog weiter. An einer Wand hing ein Bild, welches der Ja-panerin ins Auge fiel. Leider war darauf nicht viel zu erkennen, aber es stellte wohl zwei Kinder da, die sich freundschaftlich an den Händen hielten. Gebannt betrachtete Miyako das Bild und berührte es mit ihren Fingerspitzen. „Hatsukiko...“, hauchte sie und das Bild leuchtete plötzlich, erneuerte sich und schien, als wäre es soeben fotografiert worden. Es war eines dieser Bilder, die um 1910 gemacht wurden, bräunlich vergilbt aber sehr schön. Darauf waren tatsächlich zwei Kinder zu sehen, ein Mädchen und ein Junge, beide lächelten scheu in die Kamera und hielten sich an den Händen. Es war tatsächlich die Frau von eben, als junges Mädchen. Sie mochte vielleicht 7 Jahre sein, der Junge eventuell ein, zwei Jahre älter. Stolz hielt er sie an der Hand und Miyako lächelte über dieses Bild. So eines gab es auch von ihr und ihrer Schwester Kotoko. Vielleicht war der Junge ja ihr Bruder? Miyako faltete die Hände und dachte über die Textstelle nach, die sie vorhin gelesen hatte. Es schien, als sollte die Frau gegen ihren Willen verheiratet werden, aber das könnte auch falsch sein. Sie hörte ein Knarren hinter sich und lief wie ferngesteuert aus dem Raum. Beim Umdrehen merkte sie, dass es nur falscher Alarm gewesen war. Trotzdem musste sie auf der Hut sein. Miyako lief weiter den Flur entlang und erreichte am anderen Ende eine Tür, die sie aufschob. Sie roch hinter der Tür etwas seltsam strenges und versuchte es zu ignorieren, doch je weiter sie in die Dunkelheit ging, desto schwindeliger wurde ihr. Es roch wie schwerer Moschusduft, wie Blüten, Jasmin oder Lilien, fast unangenehm wehte der Duft in der Dunkelheit umher. Irgendwann wurde es Miyako noch schwärzer vor Augen und sie fiel auf die Knie. „Nei...nein! Nicht stehen bleiben! Weiter... muss..“, keuchte sie. Dann fiel sie zur Seite. Sie konnte nicht mehr sehen, dass hinter ihr die Frau aufgetaucht war, die sie schon zu Anfangs gesehen hatte. Sie hielt einen zerbrochenen Spiegel in der Hand und näherte sich mit glühender Silhuette der zusammengebrochenen Schülerin... Jin wurde durch das Klingeln ihres Handy’s geweckt. Sie öffnete trübe ein Auge und starrte auf das Display. „Kiin?“, gähnte sie in den Hörer und ließ sich wieder ins weiche Bett zurückfallen. „Guten Morgen, ich hoffe ich störe nicht. Hast du Miyako schon erreicht? Ich hab versucht, sie anzurufen, aber irgendwie ist bei ihr andauernd besetzt, da dachte ich du sprichst vielleicht mit ihr.“, kam es ohne Punkt und Komma aus der Leitung und Jin grinste bei dem munteren aber sachlichem Wortschwall ihres mittlerweile guten Freundes Kin-Rai Akagawa, Student in Kyoto, fanatischer Journalist und begeisterter Anhänger von obskuren Dingen, die er leider in den letzten Wochen zu Hauf erfahren durfte. „Wie du siehst... hörst, ist dies nicht der Fall. Aber danke der Nachfrage, mir geht es gut. Was macht die Uni?“ „Kann mich nicht beschweren, es sind ja Sommerferien, das heißt, ich lerne mir die Seele aus dem Leib“, kam es amüsiert zurück. „Ach stimmt ja.“ Jin streckte sich und spürte ihre Muskeln, die sich dehnten. Sie schlüpfte in ein Paar Hausschuhe und schob ihre Zimmertür auf. „Morgen Dad!“, grüßte sie freundlich ihren Vater, der in der Küche mit einer Tasse starkem Kaffee und einem Stück Kuchen bewaffnet die Zeitung las und seine wuscheligen Haare rieb. „Nicht zu viel Süßes, das ist schlecht für deinen Cholseterinspiegel!“, mahnte sie, als sie noch einmal die Nase zur Küche hereinsteckte. „Nö, nicht mit dir Kin. Ich werde versuchen, Mi zu erreichen, ansonsten schaue ich mal vorbei. Ich melde mich wieder. Jaa... in Ordnung. Mach es gut!“ „War das Akagawa?“, kam sofort die Antwort von Jin’s Vater, nachdem diese das Handy beiseite gelegt hatte. „Ja. Er wollte wohl mit Miyako sprechen, aber bei der ist besetzt.“ „Ach so. Na dann soll er es weiter probieren,“ grinste ihr Vater und schlürfte aus der großen blauen Tasse während er die Zeitung weiter studierte. „Allerdings, das passt nicht zu ihr, dass sie so lange telefoniert....“ Jin wählte nochmals Miyako’s Handynummer und erntete schon wieder ein Besetzt-Zeichen. „Komisch...“ „Papa, ich werde zu ihr fahren. Okay? Vielleicht hat sie ja ihr Handy verloren oder so. Ich muss ohnehin mit ihr sprechen.“ Jin’s Vater nickte nur und beobachtete weiter den Wirtschaftsteil der Zeitung, wäh-rend seine Tochter in ihrem Zimmer verschwand um sich umzuziehen. Es dauerte nicht lange bis Jin vor den Toren des Tempels abbremste und das Rad durch den Torbogen schob. Zu ihrer Überraschung sah sie weit und breit niemanden. Keine Besucher und auch niemanden von Miyakos Familie. Mit einem flauen Gefühl in der Magengegend sperrte sie rasch das Fahrrad ab und eilte dann in jenen Gebäudeteil in der sich das Zimmer ihrer Freundin befand. Schon vom weitem konnte sie merkwürdige Gesänge vernehmen und bemerkte mit klopfendem Herzen, dass die Tür offen stand. Als sie in die Tür trat stoppte er Gesang abrupt und sie erschauderte bei dem Anblick der sich ihr bot. Miyakos Tante und deren Schwiegermutter saßen zu Mis linker und rechter Seite, beide die jeweilige Hand in ihren haltend. Doch das war es nicht, was Jin solchen Schrecken bereitete. Es war die ungesunde Farbe die ihre ohnehin blasse Freundin angenommen hatte und langsam ins bläuliche wanderte. „Miyako...“, murmelte sie erschrocken, bevor sie wie in Trance an ihrer Seite niederkniete. Sie konnte die Blicke der beiden Frauen auf sich spüren, als sie sich nach vorne beugte und sah wie das zierliche Mädchen erneut erschauerte. Plötzlich setzte der Gesang erneut ein und irritiert stellte sie fest, dass es von den Erwachsenen kam, die ihre Augen in tiefer Konzentration geschlossen hatten. Hilflos sah sie sich um und plötzlich erspähte sie etwas rosafarbenes. Miyakos Handy. Abwesend zog sie es an sich heran und blickte starr auf das Display. Es bestand keine Verbindung zu jemanden und in der Anrufsliste war sie als letztes angeführt. Warum also kam das Besetztsignal wenn man versuchte sie zu erreichen? Jin blinzelte und fixierte das Handy als könnte es ihr eine Antwort geben. Und nach mehreren Sekunden die ihr wie Stunden vorkamen erkannte sie die Antwort tatsächlich. Denn wenn man genau hinguckte, bemerkte man, das der Schriftzug ständig verschwamm oder flackerte. Ruckartig drehte sie sich wieder zu Miyako bevor sie sich hektisch im ganzen Raum umblickte. Irgendwo musste doch der Übeltäter sein! Wenn Kins Theorie stimmte – und davon war sie überzeugt – dann brachte die Anwesenheit von Geistern elektronische Geräte durcheinander oder erzeugte zumindest ein Störsignal, wenn diese aktiv waren. „Zeig dich, du Miststück.“, murmelte sie, doch sie konnte beim besten Willen keine Spur eines Geistes entdecken und das obwohl die Raumtemperatur doch merklich zu sinken schien. „Was ist den hier schon wieder los?! Hat dieser Nichtsnutz etwa schon wieder was angestellt?“, dröhnte es da plötzlich und wenig später kam ein Mann ins Blickfeld. Jin erkannte ihn nicht gleich, da sie ihm noch nie persönlich begegnet war, doch dann kam ihr die Beschreibung von Miyakos Onkel in den Sinn. Ein eher untersetzter Mann in einem Herren-Kimono stand im Türrahmen und blickte mit kleinen Augen auf das Geschehen dass sich vor ihm bot. Seine Mundwinkel waren streng nach unten gezogen und seine Haut schien leicht fettig zu sein. Er fixierte seine ältere Schwester, Michiko und bedachte dann seine Nichte mit einem herablassendem Blick. „Ich sagte doch, und ich sage es immer noch, dieses Kind taugt nicht zur Priesterin. Bei dir Michiko, mag es ja eine Ausnahme sein, aber sie, nun ja... „ Das war also Takeshima Yamato, stellte Jin gleichermaßen nüchtern und empört fest. Ein unangenehmer Zeitgeselle wie sie schon von ihrer Freundin gehört hatte und selbst gerade feststellen musste. „Sei bitte still, wir versuchen gerade eine Geist auszutreiben.“, befahl die ältere Frau scharf, bevor sie wieder in ihre Trance zu fallen schien. Beide Priesterinnen begannen langsam zu schwitzen, ein deutliches Anzeichen dafür, wie anstrengend es zu sein schien. Es dauerte etwas bis die Chinesin die Lage so richtig begriff. Der Geist war da, ja, aber IN Miyako drinnen. Aber das war merkwürdig. Würde sie dann nicht um sich schlagen oder völlig irre durch die Gegend rennen? Dabei sah sie doch nur so aus als würde sie träumen. Wenn auch einen unangenehmen Traum. Ein erneuter Schauer durchlief die kleine Japanerin und Jin streichelte ihr automa-tisch eine Strähne aus dem Gesicht. Als ihre Fingerspitze dabei Hautkontakt machte, stockte plötzlich ihr Atem und tau-sende eiskalte Nadeln schienen ihre Haut zu durchdringen. Schwarze Punkte begannen vor ihren Augen zu tanzen als sich ihr Hals zuzuschnüren schien und für einen Moment lang glaubte sie eine Frau in Kimono umgeben von ganz vielen Händen und mit einem sadistischen Lächeln auf den Lippen zu erblicken. Plötzlich riss Miyako die Augen weit auf und der Zauber, der sie beide gefangen zu halten schien, fiel. Die eiserne Umklammerung die ihr die Luftzufuhr abgeschnitten hatte verschwand und sie beugte sich keuchend nach vor, während beide Hände zu ihrem Hals wander-ten, an dem sich langsam zwei Handabdrucke formten. „Der Geist würgt sie!“, schrie Michiko plötzlich und schüttelte ihre Nichte. Kouhaku, die ältere Dame die Ihren Schwäger aus dem Zimmer zu drängen versuchte erstarrte bei dem Anblick ihrer Enkelin. „Jin, lauf in mein Zimmer! Es ist die dritte Türe rechts am Ende dieses Flures! Hol mir aus der ersten Schublade in dem Schränkchen neben meinem Bett Zettel und einen Pinsel! Beeil dich!“, kommandierte sie. Verdattert richtete sich die Chinesin auf, die erst nicht ganz verstand warum ausgerechnet sie die Dinge holen sollte. Ich Dummkopf, ich bin viel schneller wieder hier als die alte Dame, schalt sie sich und schüttelte den Kopf. Jin riss sich aus der Versteinerung und flitzte durch das Zimmer hinaus in den Flur. Bannsprüche, eine gute Idee.... wo ist das Zimmer? Atemlos fand die junge Chinesin das Zimmer und riss die Schubladen auf. Bewaffnet mit Papier, Pinsel, Tusche und einem kleinen Heft, dass sie auch noch fand, stürmte die Schülerin wieder nach unten. „Sehr gut!“, mit diesen Worten wurde sie empfangen, dann riss die alte Dame die Sachen schon an sich und pinselte wie verrückt auf die Zettel. Wütend schleuderte sie einen Zettel nach dem anderen in viele verschiedene Ecken des Zimmers und fixierte mindestens fünf der Bannzettel an ihrer Enkelin, welche stark hustete und sich an den Hals griff. Plötzlich kehrte schlagartige Ruhe ein und Miyako fiel zurück in ihr Bett. Minutenlang hörte man ihr heftiges aber rasselndes Atmen ehe es wieder still in dem behaglichen Zimmer war. „Da drüben steht sie...“, flüsterte Miyako plötzlich, allerdings klang ihre Stimme selt-sam fremd. Und tatsächlich, auch Jin erkannte die Stelle. Anfangs war es nur verzerrte Luft gewesen, doch jetzt zeichnete sie sich ab: Eine Frau in einem leuchtend rotem Kimono, mit wallenden langen Haaren, pechschwarz. Von ihrem Gesicht konnte man nur ihr grässliches Lächeln sehen, der Rest war von den vielen Haaren verdeckt. Zurück blieb ihr gehässiges Lachen, dann verschwand die Silhuette der Frau ehe noch irgendjemand Zeit gehabt hätte, den Geist zu bekämpfen oder zu bannen. „Was zur Hölle war das?“, schaltete sich Miyako’s Onkel wieder ein, der gebannt das ganze Geschehen aus der Ferne beobachtet hatte. „Ich würde sagen, jemand sehr eifersüchtiges“, Michiko krempelte ihre Ärmel herunter und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Ihre Augen waren gerötet und verstohlen putzte sie sich die Nase. „Ist alles in Ordnung mit dir, mein Schmetterling?“, fragte sie und half ihrer Nichte, sich aufzusetzen. Diese hatte immer noch Probleme mit dem Schlucken und auch ihre Stimme klang noch heiser. „Ich habe von ihr geträumt...“ Sie hustete. „Scheint, dass es doch kein Traum war.“ „Dieses Mädchen bringt uns nur in Schwierigkeiten, wenn das jemand erfährt haben wir bald keine Besucher mehr!“ Die donnernde Stimme von Yamato hallte vom Wohnzimmer hinauf in den ersten Stock. Michiko und ihre Schwiegermutter funkelten den Mann an, jedoch wussten sie, dass er sich bald beruhigen würde. „Wir können froh sein, dass sie noch lebt und alles was dir einfällt ist, dass wir bald keine Besucher mehr haben könnten?“, kam es eisig von Kouhaku die eine Ecke des Raumes fixierte. „Du musst noch viel lernen Yamato. Miyako ist jetzt schon stärker, als ich es damals war, sie wird es schaffen, jedoch braucht sie Zuspruch und jemand, der sie versteht!“ Tante Michiko erhob sich und lief auf den Tatami Matten hin und her und gestikulierte mit den Händen. „Am besten ist, du reist heute wieder ab, deine Gegenwart gibt ihr nicht gerade das Gefühl, eine gute Shinto-Priesterin zu werden!“ „Aber..“ „Kein Aber! Ich habe es satt, dass du dir andauernd einbildest, du müsstest MIR sagen, wie ICH meine Nichte ausbilden soll, dabei hast du damals gesagt, du würdest das Priester-Erbe niemals antreten. Was glaubst du, wie es Vater damals ergangen ist!? Ich werde mein Erbe weiter geben, komme was wolle und du hast mir nicht zu sagen, dass ich es nicht schaffen könnte!“ Erbost stürmte die Frau in ihrem dunkelblauen Kimono aus dem Raum und Kouhaku lächelte leicht, als sie an ihrer Tasse nippte. „Onee-san! Onee.... Ach vergiss es! Ich halte es nach wie vor für keine gute Idee, sie sollte lieber Shoui nehmen, nicht Miyako! Er ist stabiler als...“ „Dein Sohn wird in einer Bank arbeiten. Es interessiert ihn doch gar nicht, ob der Tempel überhaupt noch steht! Dein Ehrgeiz schadet deinen Kindern nur, zwinge sie nicht. Und jetzt geh!“ Kouhaku fixierte den runden Mann und erhob sich ebenfalls. „Eine Unsitte ist das, in diesem Haus geben plötzlich die Frauen den Ton an, nur weil sie denken, sie könnten eine Männerberufung besser ausführen! Wenn Vater das hören würde, würde er sich im Grab umdrehen!“, zischte Yamato und lief in ein anderes Zimmer. Wütend schob er die Tür hinter sich zu. Knall! „Wütender Onkel verlässt die Bühne, Ende Akt eins.“, flüsterte Jin, die alles vom Treppengeländer im oberen Stockwerk aus beobachtet hatte. Ihr Lächeln sprach Bände. Leise huschte sie wieder ins Zimmer ihrer Freundin zurück. Ihr Blick suchte den von Miyako, doch diese starrte zur Decke. „Ich habe Angst, wieder einzuschlafen, was ist, wenn diese Frau mich wieder im Traum verfolgt?“ „Hast du denn eine Ahnung, wo du warst?“ Jin erhob sich vom Bettrand und wanderte im Zimmer auf und ab. „Nicht direkt. Könnte ein Teil von Yôsomura gewesen sein, aber ich kann es nicht sagen. Vielleicht gibt es noch mehr solcher Dörfer?“ Bei dem Gedanken wurde der kleinen Japanerin ganz schwindelig. „Ich wünschte, ich hätte meine Kamera dabeigehabt. Hat Kin sie denn zusammen mit Frau Hinasaki schon präpariert?“ „Ich weiß es nicht. Aber wir können es ja rausfinden, in dem wir dem Guten einen Besuch abstatten. Kannst du aufstehen?“ „Ich kann es versuchen. Bei der Gelegenheit können wir dann auch das hier mitnehmen.“ Miyako griff unter das Kopfkissen ihres Bettes und zog ein kleines, in violette Seide gebundenes Buch hervor. „Ich bin mir mittlerweile sicher, dass das kein Traum war, sonst würde dieses Buch nämlich nicht hier liegen.“... Authors Notes Ein neues Kapitel von FFG - wir haben seeehr lange nichts von uns hören lassen, aber die Zeit ließ es wohl nicht zu *sigh* Das Kapitel wurde diesmal zum Großteil von mir (Zuckerfee) geschrieben, während meines Krankenhausaufenthaltes im Februar/März. Ich hoffe, man verzeiht die Rechtschreibfehler - sofern vorhanden - und ich hoffe auch, dass das Kapitel einigermaßen Spannend ist ^^ liebe Grüße fee & dragon Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)