Magenta I von Maginisha (Willkommen in der World of Warcraft) ================================================================================ Kapitel 5: Ärger in Ironforge ----------------------------- Magenta blieb ruckartig stehen und ihr Herz setzte einen Schlag aus, nur um im darauf folgenden Moment mit doppelter Geschwindigkeit gegen ihren Brustkorb zu hämmern. Um sie herum war nahezu kein Laut zu hören; nur der Wind strich leise durch die leeren, dunklen Gängen der unterirdischen Bahn und wie aus einer andere Welt drang das merkwürdige Gebrabbel des grünen Gnoms vom anderen Bahnsteig zu ihr herüber. Dampf zischte plötzlich aus einem Rohr weit über Magentas Kopf und löste sie so aus ihrer Erstarrung. Bebend trat sie einen Schritt zurück und starrte in die Dunkelheit neben dem Tunnel. Dort war nichts erkennbar und nicht das leiseste Geräusch drang daraus hervor an ihr Ohr. „Hallo?“, fragte sie unsicher und der Klang ihrer Stimme hallte unheimlich von den steinernen Wänden wieder. Eine Antwort erhielt sie allerdings nicht. Zögernd machte sie einen Schritt in Richtung der düsteren Ecke und kniff die Augen zusammen. Hatte sie dort gerade eine Bewegung ausgemacht? Sie machte noch einen Schritt. „Komm noch näher und es könnte das Letzte sein, was du tust“, sagte eine Stimme in der Dunkelheit. „E-entschuldigung“, stotterte Magenta und schluckte. „Ich wollte ja nicht … aber ich … also … Ich geh dann mal besser weiter.“ Magenta wollte sich schon auf dem Absatz herumdrehen, als die Stimme sie zurückhielt. „Wenn du meinst, dass das eine gute Idee ist“, höhnt sie. „Ich halte dich nicht auf. Rede sowieso schon zu lange mit dir.“ So langsam regte sich unter Magentas Angst vor dem, was sich dort verbergen konnte, die Neugier. Sie wollte wissen, mit wem sie sprach und vor allem, was er – denn um einen er handelte es sich der Stimmlage nach – mit seiner Warnung gemeint hatte. Sie beschloss, es mit Höflichkeit zu versuchen. „Bevor ich gehe“, begann sie, „wüsste ich doch gerne, warum Ihr meint, ich solle nicht nach Ironforge gehen?“ „Oh bitte“, stöhnte die Stimme. „Reisende soll man nicht aufhalten. Geh ruhig. Wird bestimmt lustig, das mit anzusehen.“ „Aber was …“, wollte Magenta antworten, aber ein wütendes Schnauben unterbrach sie. „Was bringt man euch jungen Dingern heutzutage eigentlich bei?“, schimpfte die Stimme. „Wenn du mit dem großen Blauen dahinten nach Ironforge reinspazierst … was meinst du wohl, was dann passiert? Erwartest du Blumen und eine Ehrengarde?“ „Nein, ich …“, versuchte Magenta einzuwerfen, aber sie kam nicht sehr weit.. „Wobei eine Ehrengarde wird es vielleicht geben“, überlegte die Stimme. „Diebesjäger Farmountain wird sich keine Gelegenheit entgehen lassen, seinen dicken Hintern in die Öffentlichkeit zu hängen. Also geh nur, Mädel, ich schau mir gerne an, wie jemand anders verhaftet wird.“ Magenta starrte ungläubig in die Dunkelheit, in der sich die gehässige Stimme zu einem undeutlichen, wütenden Brummeln gedämpft hatte. Inzwischen hatten sich Magentas Augen soweit an die schwache Beleuchtung gewöhnt, dass sie tatsächlich meinte, eine gedrungene Gestalt erkennen zu können, die dort in der Ecke hockte. Es war … „Ein Zwerg?“ Magenta zog die Augenbrauen in die Höhe. „Ja, ein Zwerg“, äffte der Zwerg sie nach. „Was hast du denn erwartet? Den verschwundenen König von Stormwind?“ „Und ich hab gedacht, es wäre was Gefährliches“, grinste Magenta. Sekunden später gefror ihr Grinsen zu einer Maske, als einen schier zentnerschwere Last sie zu Boden drückte, sich ein Dolch an ihre Kehle presste und von buschigen Augenbrauen umrandete Augen sie zornig anfunkelten. „Lach. Nicht. Über. Mich“, knurrte der Zwerg drohend. „Niemand lacht über den Schakal.“ „Ich werd´s versuchen“, presste Magenta mühsam und unter Keuchen hervor und dachte dabei, dass ein Zwerg offenbar tatsächlich in der Lage, eine Lage buchstäblich auszusitzen war … ganz einfach in dem er sich auf das Problem draufsetzte. „Das will ich auch hoffen“, schnappte der Zwerg, kletterte wieder von Magenta runter und ließ den Dolch in seinem … Magentas Mundwinkel zuckten verdächtig. „Was?“, schnauzte sie der Zwerg an. „Nichts. Gar nichts“, beeilte sich Magenta zu versichern. Trotzdem musste sie sehr an sich halten, um nicht laut loszulachen. Der Zwerg bot nämlich trotz seines grimmigen Wesens einen höchst unterhaltsamen Anblick. Er steckte in etwas, dass bei jemandem, der ein bis zwei Kleidergröße weniger trug, ein feiner Festanzug gewesen wäre. Der Zwerg hingegen wirkte wie einen schlecht gestopfte Leberwurst aus blauem Samt. Dazu standen seine Haare an der einen Seite wüst in alle Richtungen, während die andere mit einer großen Menge Fett an den Kopf geklatscht worden war. Auch der struppige Bart schien an der einen Seite gestutzt worden zu sein, während Magenta überlegte, ob in der anderen Hälfte nicht vielleicht schon die eine oder andere Amsel ein Nest gebaut hatte. Die Krönung waren allerdings seine riesigen, nackten Füße, deren Behaarung so manchen Greis als Kopfschmuck in Verzückung versetzt hätte. „Ich sehe genau, dass du lachst“, brummte der Zwerg und überlegte anscheinend, ob es sich lohnte, den Dolch noch einmal aus der engen Samtpelle hervorzuzerren. „Fiele mir gar nicht ein“, schwindelte Magenta. „Ich sehe nur, dass ich offensichtlich nicht ganz auf dem neuesten Stand der Mode bin. Und wo habt Ihr nur diese interessante Frisur machen lassen. Ich müsste unbedingt mal wieder zum Friseur.“ „Dann solltest du dich beeilen“, knurrte der Zwerg. „Vielleicht erwischt den Mätre noch auf dem Schiff nach Kalimdor.“ „Wen?“, fragte Magenta nach und machte ein dummes Gesicht. „Den Määätre. Den letzten Friseur von Ironforge“, erklärte der Zwerg mit einem Funkeln in den Augen. „Irgendwie hat er es vorgezogen, die Stadt sehr schnell zu verlassen. Ich frage mich, ob das an meinem Rapier lag, dass seine komische Katze beinahe hat erblinden lassen. Ein fürchterliches Vieh.“ „Wer, der Mätre oder die Katze?“, fragte Magenta grinsend. „Beide“, lachte der Zwerg. „Aber am allerschlimmsten ist mein Großcousin Gandogal. Der hat mir den ganzen Schlamassel eigentlich erst eingebrockt.“ Er wies anklagend an sich herab. „Auf einer Hochzeit muss man angemessen gekleidet sein“, säuselte er, allem Anschein nach eben jenen Cousin nachahmend. „Ich scheiß drauf, was die Leute sagen, solange das Bier kalt und das Essen gut ist. Soll er die hässliche Spinatwachtel doch heiraten, meinen Segen hat er. Aber ich mache mich nicht zum Gespött der gesamten Sippschaft.“ „Das kann ich verstehen“, antwortete Magenta mitfühlend. „Und zu allem Überfluss“, setzte der Zwerg seine Rede fort, „läuft mir auch noch die dämlichste, junge Hexenmeisterin über den Weg, die unter Azeroths schöner Sonne unterwegs ist. Mein Tag ist perfekt.“ „Hey!“, protestierte Magenta schwach. „Ich konnte doch nicht … also ich hab doch nicht … ich wusste doch nicht.“ „Ach Papperlapapp!“, winkte der Zwerg ab. „Entweder du suchst dir einen anderen Weg um die Stadt herum, was schwierig werden wird, oder du lässt den blauen Windbeutel da wieder in seiner Höllendimension verschwinden. Ich mein, wenn du nen Wichtel hättest oder so, das ginge, aber der? Unmöglich!“ Der Kerl gefällt mir, ließ sich Pizkol vernehmen. Und er hat zudem noch Recht. Also los, beschwör mich! Zwei gegen einen ist unfair, maulte Magenta, fügte sich dann aber in ihr Schicksal. Sie entließ Jhazdok, verstaute seine Armschienen wieder in ihrem Gepäck und beschwor an seiner Stelle Pizkol, der sich genüsslich reckte und streckte. „Mein Name ist Pizkol“, stellte er sich dem Zwerg anschließend vor und warf sich stolz in die Brust. Der Zwerg musterte ihn, als habe er etwas Ekliges gerochen. „Bisschen mickrig“, stellte er fest. „Na ja, für die Stadt genau das Richtige. Ihr solltet ihm vielleicht eine Leine umbinden.“ „WAS?“, empörte sich Pizkol „Gute Idee“, überlegte Magenta. „Ein Maulkorb wäre auch nicht schlecht. Mein Name ist übrigens Magenta.“ „Schakal“, brummte der Zwerg. „Ich nehm mal an, das da soll mit. Und ihr werdet einen Führer brauchen. Ich bin auch gar nicht teuer.“ Mit diesen Worten griff er nach dem Paket, dass Jhazdok bei seinem Verschwinden zurückgelassen hatte, schulterte es und fing an, fröhlich pfeifend durch den großen Tunnel in Richtung Ironforge zu marschieren. Eilig raffte Magenta ihre Siebensachen zusammen und folgte dem merkwürdigen Zwerg, von dem sie sich noch nicht ganz sicher war, dass er wirklich vertrauenswürdig war. Aber sehr weit kann ein Zwerg ohne Schuhe bestimmt nicht laufen, dachte Magenta noch. Sie ahnte jedoch nicht, wie sehr sie sich mit dieser Annahme täuschen sollte. Zunächst gelangten sie in die Tüftlerstadt. An jeder Ecke standen dort Gnome und werkelten an Dingen mit vielen Schrauben, Hebeln und Knöpfen. Kleine penibel aufgeräumte Geschäfte verkauften Ingenieursbedarf, Alchemie-Zubehör der allerfeinsten Sorte und „Sachen, die Bumm machen!“ „Seit die Gnome aus ihrer unterirdischen Hauptstadt Gnomeregan vertrieben wurden, gewährt König Bronzebeard ihnen hier Unterschlupf“, erklärte Schakal. „Dort unten ist jetzt alles voller Troggs und Unmengen der durch die ausgetretene Strahlung völlig durchgedrehten Maschinen. Am besten spricht man sie aber nicht darauf an. Sie trauern alle noch den guten, alten Zeiten nach und schmieden fleißig einen verrückten Plan nach dem anderen, um die Stadt zurück zu erobern.“ Als nächstes gingen sie in die Halle der Forscher. Unter einer riesigen Kuppel wurden dort fossile Eier, Skelette von ausgestorbenen Tieren und einige wertvolle Kunstschätze aus dem Zeitalter der Hochgeborenen ausgestellt. Daran angrenzend konnte Magenta einen Blick in eine halbrunde, bis unter die Decke mit Büchern voll gestopfte Bibliothek werfen. „Ist meist ziemlich langweilig hier“, meinte Schakal beiläufig und riss sich unter dem bösen Blick eines gnomischen Forschers ein Streichholz an einer steinernen Truhe an, die ein Schild als „Uldamanrelikt“ ausgewiesen hatte. Grinsend steckte er sich seine Pfeife in Brand und beförderte das Streichholz in hohem Bogen in eine antike Vase. Noch mit der Schimpftirade des Gnoms in den Ohren setzten die drei ihren Rundgang durch den äußeren Ring in das so genannte „Düstere Viertel“ fort. Schmuddelige, leicht schiefe Häuser drängten sich unter einer niedrigen, steinernen Decke zusammen und einige nicht besonders vertrauenerweckende Händler boten Waren feil, die allesamt dazu geeignet schienen, jemanden mehr oder weniger schmerzhaft um eine Ecke zu bringen … und ohne ihn zurückzukehren. „Hier gibt es Dämonen“, stellte Magenta irritiert fest. Ihre Sinne sagten ihr ganz deutlich, dass mindestens ein Exemplar dieser Gattung in der Nähe war. Es hatte eine merkwürdige, süßlich-klebrige Ausstrahlung, die Magentas Nackenhaare unweigerlich zum Abstehen brachten. Einen Augenblick lang sah Schakal sie verdutzt an und fing dann an schallend zu lachen. „Ja natürlich, Dummerchen“, kicherte er und wischte sich die Tränen aus den Augen. „Hier gibt es alles, was es eigentlich nicht gibt, und wovon die wachsamen Augen des Gesetzes vielleicht nicht unbedingt etwas wissen sollten. Und Fisch.“ „Fisch?“, wiederholte Magenta entgeistert. „Ja Fisch“, knurrte Schakal und deutete auf einen Laden, an dem ein Schild mit der Aufschrift „Reisender Angler“ hing. „Zwerge mögen normalerweise nichts, was mit allzu viel Wasser zusammenhängt. Passt einfach nicht zu ihnen. Aber der alte Stonebrand hatte schon immer einen leichten Wasserschaden.“ Immer noch leicht verwirrt von der eigenartigen Wahrnehmung des Dämons, folgte Magenta Schakal weiter auf ihrem Rundgang. „Hast du eine Ahnung, was das vorhin war?“, flüsterte sie Pizkol leise zu. „Wie hat es sich denn angefühlt?“, wollte er wissen. „Als hätte mir jemand die Augen und Ohren mit Honig zugekleistert“, versuchte Magenta vergeblich, das Gefühl zu beschreiben. Pizkols Augen leuchteten auf und seine Flammenaura erhielt für einen Moment eine leicht rötliche Färbung. „Eine Sukkubus“, rief er aufgeregt. „Wenn wir mit dieser Tour hier fertig sind, sollten wir vielleicht noch einmal zurückkommen. Vielleicht sehen wir sie ja noch.“ „Was auch immer“, seufzte Magenta und beeilte sich, Schakal in das Mystikerviertel zu folgen. Den zentralen Platz dieses Viertels wurde von einem großen, künstlichen Teich beherrscht, in dessen azurblauem Wasser sich die edelsteinverzierten Säulen der prächtigen Halle der Mysterien widergespiegelten. Eine kleine Gnomenfrau mit einer Frisur fast so hoch aufgetürmt wie sie selbst schlingerte mit schweren Körben beladen um den Brunnen und rief immer wieder: „Saftige Früchte zu verkaufen! Direkt aus den üppigen Wäldern von Elwynn, holt Euch Eure frischen Früchte hier.“ Als sie Magenta erblickte, wackelte sie noch einen Schritt schneller und hielt Magenta ihre Waren direkt unter die Nase. „Hier, beißt in einen frischen, saftigen Apfel“, zwitscherte sie. „Fünf Stück nur 22 Kupferstücke.“ „Nein, danke Bimble“, sagte Schakal und konnte Magenta gerade noch davon abhalten, sich an dem reichlichen Angebot zu bedienen. „Die junge Dame ist mit mir unterwegs.“ „Dann sollte sie aufpassen, wo sie ihren Geldbeutel hat“, lachte die Gnomin und gab Magenta einen halben Apfel umsonst. „Und grüß Sraaz von mir, wenn ihr ihn seht. Er wird mit seinen Pasteten wohl wieder irgendwo an der Großen Schmiede unterwegs sein.“ „Machen wir“, antwortete Schakal griesgrämig. „Und sag Gandogal unbedingt einen lieben Gruß von mir“, ließ sich die Gnomin weiter vernehmen, ohne sich von Schakals Augenrollen davon abhalten zu lassen. „Ich wünsche ihm und seiner Frau wirklich alles Gute für die Zukunft. Und …“ „Ja ja, machen wir …“, versicherte Schakal eilig und schob Magenta weiter in Richtung des Bankenviertels. „Die macht mich noch mal wahnsinnig“, murmelte er dabei in seinen Bart und bewahrte Magenta ganz knapp davor, in einem riesigen Graben zu fallen, der den breiten Weg in zwei Hälften teilte. Einige Meter tiefer floss unter stabilen, eisernen Gittern rot glühende Lava träge vor sich hin und heizte die Luft um sich herum auf sommerliche Temperaturen auf. „Ist nicht besonders angenehm, da unten zu landen“, erklärte Schakal halb missbilligend, halb stolz. „Die Temperatur ist auszuhalten – auf jeden Fall für Zwerge – aber man kommt nur an wenigen Stellen wieder heraus und muss immer die halbe Stadt umrunden, um wieder an die Oberfläche zu kommen.“ Kurz darauf standen sie dann auf einem belebten, heillos überfüllten Platz, auf dem Magenta erst einmal der Mund offen stand. Die Luft war erfüllt von Begrüßungsrufen, Handelsangeboten und Schmähungen. Abenteurer versuchten ihre erbeuteten Schätze zu verkaufen und Verzauberer boten lauthals ihre Dienste an. Zwerge, Gnome und Menschen eilten mit gewichtigen Mienen zwischen den großen, zweckmäßigen Gebäuden hin und her. Tiere wieherten, brüllten, grunzten und heulten dazwischen, als gäbe es kein Morgen, und Kriegsausrufer versuchten das Ganze noch durch die Verkündung der neuesten Meldungen von der Front zu übertönen. Mit einem Wort: Chaos. „Was ist das hier alles?“, versuchte Magenta über den Lärm hinweg zu erfahren. „Das Bankenviertel“, rief Schakal ebenso laut zurück. „Hier gibt es alles, was man für Geld kaufen kann. Das da drüben ist das Auktionshaus. Dort wird alles gehandelt, was nicht niet- und nagelfest ist und wenn man Häuser und Kriegsschiffe verkaufen könnte, würdest du die dort wahrscheinlich auch bekommen. Ihm genau gegenüber liegt die Bank von Ironforge. Dort lagern in riesigen Tresoren Unmengen von Gold und mehr oder weniger wertvollen Gegenständen. Jeder, der will, kann sich dort gegen eine gewisse Gebühr Schließfächer mieten, in denen er dann ebenfalls etwas aufbewahren kann.“ „Aber es ist so laut hier“, jammerte Magenta und hielt sich die Ohren zu. „Und das ist auch gut so. Wie soll ich denn sonst meiner Arbeit nachgehen?“, antwortete Schakal lachend und erbarmte sich aber trotzdem, Magenta weiter in das Militärviertel zu führen. Hier saß die junge Hexenmeisterin nun auf einem hölzernen Wagen zwischen „Craghelms Platten und Ketten“ und „Schlachtholzwaffen“ und versuchte erfolglos, kleine Steine in das riesige Kohlebecken zu werfen, das sich vor dem zentralen Rekrutierungsbüso von Ironforge befand. In schwere Rüstungen und knarrendes Leder gehüllte Gestalten kamen und gingen hier fast ebenso aus und ein wie stolze Kampfmagier und heilkräftige Priester. Von drinnen konnte man die bellenden Befehle der Ausbilder hören, die ihre Truppen auf die Unterstützung der Allianz gegen die Truppen der wilden Horde einschworen und ihnen Ruhm und Ehre auf den Schlachtfeldern versprachen. „Alles Mumpitz!“, brummte Schakal und blies eine Rauchwolke in Richtung der hohen, gewölbten Decke. „Eine nette Prügelei dann und wann mag ja etwas für sich haben. Dann hab ich auch nicht dagegen, wenn meine Gegner unverständliches Kauderwelsch sprechen und nach Trollschweiß oder Kuhstall stinken. Aber regelmäßig meinen A…lerwertesten für die so genannte gute Sache zu riskieren. Nein danke!“ „Schaaaki!“, rief mit einem Mal jemand und ein Zwerg stürmte mit wehendem Bart auf Schakal zu. „Endlich finde ich dich. Wo hast du nur die ganze Zeit gesteckt?“ Schakal stöhnte leise. „Wenn ich vorstellen darf: Gandogal.“ Er wies auf den stattlichen, blonden Zwerg mit wachen, freundlichen Augen und dem strahlenden Lächeln eins noch nicht Verheirateten. „Sehr erfreut“, murmelte Magenta und war sich nicht sicher, ob sie das wirklich war. Dieser Frohsinn war ihr unheimlich. „Mein Name ist Magenta.“ „Angenehm“, lächelte Gandogal und schüttelte Magentas Hand kräftig durch. „Ich nehme an, Sie sind Schakals Begleitung heute für die Hochzeit?“ „Äh was?“, sagte Magenta alarmiert. „Das hättest du mir aber sagen müssen“, schimpfte Gandogal an Schakal gewendet. „Ich bin mir ja nicht sicher, ob der Platz am Tisch ausreicht. Und wir brauchen einen anderen Stuhl für deine Freundin.“ „Sie ist eine Kundin!“, fuhr Schakal auf. „Und wenn du nicht sofort abschwirrst, dann …“ „Und sie braucht ein neues Kleid.“, fuhr Gandogal unbeirrt fort. „Wir werden mal sehen, ob in meinen Schränken nicht noch etwas habe, das ihr passen könnte. Notfalls ändern wir ein bisschen was ab, dann wird es schon gehen.“ „Das ist wirklich sehr nett, aber …“, versuchte Magenta einzuwerfen, doch auch sie entkam dem enthusiastischen Gandogal nicht. Eine halbe Stunde später trug sie ein Kleid in einem bestechenden Gelbton mit blassvioletten Verzierungen. Bestechend vor allem deswegen, weil die Farbe in den Augen wehtat. Außerdem zwickte es unter den Armen. „Todschick!“, attestierte Gandogal und sah sehr mit sich zufrieden aus. „Stimmt“, grinste Schakal. „Wenn ich das tragen müsste, würde ich vor Scham sterben.“ „Ach, du hast einfach keinen Sinn für Schönheit“, meckerte Gandogal. „Meine kleine Zuckerelfe hat dieses Kleid immer sehr gerne getragen.“ „Wahrscheinlich weil das so gut zu ihrer scheußlichen Haarfarbe passt“, murmelte Schakal wohlweislich so leise, dass Gandogal es nicht hören konnte. „Ist sie wirklich so hässlich?“, flüsterte Magenta ihm zu. „Ich hab selten was Schlimmeres gesehen“, antwortet Schakal grinsend. „Und sie hat Manieren wie der letzte Holzfäller.“ „GANDOGAL!“, ertönte da eine Stimme mit der Lieblichkeit eines Nebelhorns. „WO IST MEIN HOCHZEITSKLEID?“ „Ich komme, mein Augenstern“, flötete Gandogal und eilte mit einem Berg von weißem Tüll und Taft in das obere Stockwerk seines Hauses. „Es wird Zeit!“, schimpfte die Stimme. „Ich erfriere hier oben noch.“ Wenige Augenblicke später stampfte etwas die Treppe herunter, das wirkte, als hätte man zwei Meter Wut, schlechte Laune und Zahnschmerzen auf etwa einen Meter zwanzig blonde Weiblichkeit komprimiert und diesem Gebilde dann ein Hochzeitskleid übergestreift. Stechende Augen hafteten sich an Magenta und die durchdringende Stimme verlangte zu wissen: „Wer ist das und was macht die in meinem Kleid?“ „Aber Mausebärchen“, säuselte Gandogal beruhigend auf seine zukünftige Frau ein und eilte hastig die Treppe hinunter. „Du weißt doch, dass dieses Kleid dir etwas … na ja.“ „Willst du damit etwa behaupten ich wäre FETT?“, kreischte die Zwergin los und schwang trotz des festlichen Aufzugs auf einmal eine riesige Axt durch die Luft. „So beruhige dich doch“, flehte Gandogal. „Ich bin mir sicher, wir können das klären.“ „Ja“, warf Magenta angesichts der Chance ein, das Kleid loszuwerden und ihren Kopf zu behalten. „Ich ziehe das Kleid einfach wieder aus, es ist mir sowieso etwas zu eng. Und außerdem steht es Euch sicherlich viel besser, ich sehe darin furchtbar aus.“ Die Zwergin hielt in der Bewegung inne, mit der sie so eben einen Stuhl nach ihrem zukünftigen Ehemann schleudern wollte. „Im Ernst?“, fragte sie misstrauisch nach. „Natürlich“, versicherte Magenta mit einem gewinnenden Lächeln. „Also schön“, knurrte die Zwergin und ließ den Stuhl zu Boden poltern. „Ich will das Kleid wieder und ich will ein Feuerwerk. Heute Abend.“ Damit drehte sie sich um und rollte einer weiß berüschten Armee gleich wieder in den ersten Stock hinauf. „Sie meint es nicht so“, seufzte Gandogal und zuckte entschuldigend mit den Achseln. „Flyeeye ist nun mal etwas…“ „Aufbrausend? Ungehobelt? Raffgierig?“, schlug Schakal vor. Gadongal warf ihm einen wütenden Blick zu. „Na was denn?“, feixte Schakal und hob abwehrend die Hände. „Nun bleiben Sie mal ganz unruhig, das wird schon alles werden.“ „Ja aber wo soll ich bis heute Abend ein Feuerwerk herbekommen?“, stöhnte Gandogal, hob den Stuhl auf, den Flyeye hatte fallen lassen, und setzte sich darauf. „Ach, das bekommst du in Ironforge an jeder Ecke“, winkte Schakal ab. „Ich werde dir bis heute Abend jemanden auftreiben, der sich darum kümmert.“ „Das ist sehr nett von dir, Cousin“, sagte Gandogal. „Jaja, keine Ursache.“, brummelte Schakal. „Aber dann müssen wir uns jetzt ein wenig beeilen.“ Wenig später starrte Magenta mit großen Augen auf die wohl größte Schmiede, die es überhaupt geben konnte. Aus baumdicken Rohren, die aus der Decke hervorragten, ergoss sich ein stetiger Sturzbach flüssigen Metalls in drei gigantische Auffangkessel und vor dort weiter in einen riesigen, rotglühenden See, der das Herzstück der Stadt bildete. Die Luft flirrte vor Hitze und die Luft war erfüllt vom hellen Klang der Schmiedehämmer, die von Dutzenden von Zwergen an unzähligen Amboss geschwungen wurden. Dazu ächzten zwei gewaltige Blasebälge im Takt eines titanischen Kolbens, der durch zwei noch monumentalere Schwungräder angetrieben wurde. „Das ist …“, begann sie und suchte nach den richtigen Worten. „Ziemlich groß“, beendete Pizkol ihren Satz. „Erinnert mich ein bisschen zu Hause. Zumindest von der Temperatur her.“ „Beeindruckend, nicht wahr?“, sagte Schakal und der Stolz, ein Zwerg zu sein, stand ihm mit glühenden Buchstaben ins Gesicht geschrieben. „Doch ich fürchte, ich muss mich jetzt leider verabschieden.“ „Du verlässt uns?“, fragte Magenta und war ehrlich etwas enttäuscht. Insgeheim hatte sie gehofft, einen Gefährten für den Weg nach Loch Modan gefunden zu haben. „Nun, meine Zeit ist knapp bemessen“, lächelte Schakal entschuldigend und nahm einen geschäftsmäßigen Ton an. „Hier rechts findet Ihr übrigens einen Arzt, falls Euch etwas fehlt, einen Reagenzienhändler, verschiedene Bekleidungsgeschäfte für Stoff- und Lederrüstungen, und nicht zu vergessen natürlich den Thronsaal. Falls Ihr eine Audienz bei Magni Bronzebeard wünscht, wendet Euch am besten an eine der Wachen, sie werden Euch sicher weiter helfen. Ihr solltet Euch wirklich die Zeit dafür nehmen. Lebt wohl!“ Er deutete noch eine kleine Verbeugung an und verschwand dann blitzschnell im Gewühl einer Gruppe, die auf dem Weg zum nahe gelegenen Greifenhort waren. „Schade“, seufzte Magenta ein wenig irritiert über den schnellen Abschied und blickte auf den Wichtel herab, der begonnen hatte, etwas vor sich hin zu murmeln. „Einunddreißig“, sagte er gerade. „Zweiunddreißig. Dreiunddreißig.“ „Wie bitte?“, wunderte Magenta sich. „Fünfunddreißig. Sechsunddreißig“, antwortete Pizkol und grinste frech. „Na schön, wie du willst“, schnaubte Magenta und fing an, durch den inneren Ring der Stadt zu wandern. Sie bewunderte die Auslagen der Geschäfte („Tausendneunhundertdreiundachtzig.“), kaufte ein Stück hausgemachten Kirschkuchen („Zweitausendzweihundertneunundsechzig.“), aß ihn („Zweitausendsiebenhundertachtundvierzig.“) und ließ sich aus lauter Trotz von einem Handwerkswarenverkäufer über die Verwendung von Angelködern aufklären. („Dreitausendfünfhundertsechsundvierzig!“). „Okay“, fauchte Magenta schließlich genervt und baute sich vor dem Wichtel auf. „Entweder du erzählst mir jetzt, was das soll, oder wir sind geschiedene Leute!“ „Dreitausendsechhun…im Ernst?“, fragte Pizkol und vergaß völlig, weiter zu zählen. „Natürlich nicht“, giftete Magenta und rollte mit den Augen. „Also los, sag schon, was du da eigentlich die ganze Zeit machst.“ Pizkol setzte eine uninteressierte Miene auf. „Also wenn du das nicht weißt … dann weiß ich auch nicht“, antwortete er und verschränkte die Arme vor der Brust. „Du hast damit angefangen, als wir an der Großen Schmiede standen“, überlegte Magenta. „Warm“, ließ sich Pizkol vernehmen. „Genauer noch, als Schakal gegangen war“, führte Magenta den Gedanken fort. „Mhm…heiß“, brummte Pizkol. „Und was soll das Ganze?“, gab Magenta das Spiel wieder auf. Pizkol sah sie an, als wäre sie etwas beschränkt im Kopf. „Hast du nicht vielleicht das Gefühl, dass dir etwas fehlt?“, fragte er, der Sache offensichtlich überdrüssig. „Etwas f…“, begann Magenta und stockte dann, als sie die Erkenntnis wie der sprichwörtliche Blitzschlag traf. „DIE AXT!“, rief sie entsetzt. „Dieser verdammte Hund hat meine Axt mitgehen lassen.“ „Naja, du hast sie ihm ja geradezu aufgedrängt“, nörgelte Pizkol. „Wunderst du dich da? Ich hab dem Kerl ja die ganze Zeit nicht über den Weg getraut. Ich sage nur: Leine!“ „Wie bekomme ich die denn jetzt zurück?“, jammerte Magenta und blickte unglücklich auf den brodelnden, lauten Moloch vor ihrer Nase. „Den finde ich doch hier nie wieder.“ „Wer weiß, vielleicht hat Ironforge ja auch ein Fundbüro.“, stichelte Pizkol und lachte meckernd. “Aber viel Hoffnung würde ich mir da nicht machen.“ „Wartet!“, flüsterte Ceredrian eindringlich und hob warnend die Hand. Er war mitten auf dem Weg wie angewurzelt stehen geblieben, so dass Abbefaria und Easygoing fast in ihn hineingerannt wären. Die beiden Druiden sahen sich erstaunt an. Sie hatten gerade erst Bashal'Aran links des Weges liegen lassen, eine längst verfallenen Elfenstadt, die inzwischen von wilden Grells und üblen Grimmlingen behaust wurde; heimtückische Wesen mit spindeldürren Armen und Beinen, langen Schwänzen und dämonenhaften Fratzen, denen es ein diebisches Vergnügen bereitete, in ganzen Horden über unvorsichtige Wanderer herzufallen und sie auszuplündern oder Schlimmeres. Alles in allem war dies kein guter Ort, um eine Rast einzulegen. “Was ist los?“, fragte Easygoing ungeduldig und wurde von Ceredrian mit einer herrischen Geste zum Schweigen gebracht. „Hört ihr das denn nicht?“, wisperte er tonlos. Abbefaria spitzte die Ohren. Zunächst konnte er nichts vernehmen, als das gleichmäßige Rauschen der Laterne, unter der sie standen und die mit ihrem magischen Licht das Grau des anbrechenden Tages eher noch kälter erschienen ließ, als das sie Sicherheit versprach. Dann jedoch drang etwa an sein Ohr, das seine innere Alarmglocke zu klingeln brachte. Irgendwo nicht sehr weit von hier fand ein Kampf statt. Ein Blick in Easygoings Gesicht zeigte, dass er die Laute ebenfalls gehört hatte. „Woher kommt das?“, fragte er nun ebenso leise wie sein Cousin zuvor. „Dort“, antwortete Abbefaria und wies in die Richtung, in der sie unterwegs waren. „Hinter diesem Hügel liegt Auberdine.“ Nahezu gleichzeitig setzten die drei Nachtelfen sich in Bewegung. Schon von weitem konnten sie den Rauch riechen, der von Auberdine aus in den Wald zog, und als sie näher kamen, konnten sie auch den Widerschein des Feuers am immer noch dunklen Himmel ausmachen. Befehle der Schildwachen hallten durch die Luft und mischten sich mit dem Klingen von Eisen auf Stahl und dem Gebrüll der Angreifer. „Was ist das?“, fragte Abbefaria mehr an sich selbst gerichtet. „Es hört sich an, wie eine Horde Tiere und doch wieder nicht.“ „Ich weiß es nicht“, knurrte Easygoing. „Aber wir sollten das schleunigst herausfinden und zwar vorsichtig.“ Sie schlichen sich nun langsamer an die Stadt heran und verharrten dann auf den Hügeln, die Auberdine wie eine Art natürlich Stadtmauer zur Landseite umgaben. Mit dem Meer auf der anderen Seite bildete die Stadt so trotz ihrer geringen Zahl an Wachen eine Art kleine Festung, die ein Feind sich zweimal überlegte anzugreifen. Dieser Gegner jedoch schien jegliche Vernunft über Bord geworfen zu haben und hatte die Wachen am Eingang brutal niedergemetzelt. Eilig sprang Ceredrian auf und eilte zu einer der Wachen, an deren schwachen Bewegungen zu erkennen war, dass sie noch nicht tot war. „Dieser verdammte … Idiot“, fauchte Easygoing und setzten dem weißhaarigen Nachtelfen nach. Ohne lange zu überlegen, folgte Abbefaria den beiden. Die Augenlider der Schildwache flatterten, als Ceredrian ihr die Hand auf die Brust legte und in aller Eile einen Heilzauber über sie zu sprechen begann. „Was … wo …?“, stöhnte sie. „Shh“, machte Ceredrian. „Ihr seid immer noch schwer verletzt.“ „F-Furbolgs“, flüsterte die Nachtelfe. „Sie kamen … eine ganze Horde. Sie sind wahnsinnig geworden.“ „Sprecht jetzt nicht mehr! Ich werde für euch tun, was in meiner Macht steht“, versprach Ceredrian und bettete ihren Kopf vorsichtig auf dem von Pfotenabdrücken übersäten Boden. Die Schildwache lächelte dankbar und schloss die Augen. Ihr Atem ging immer noch flach. „Meine Heilkraft reicht nicht aus, um ihre Wunden auf die Schnelle zu schließen“, erklärte Ceredrian den beiden Druiden. „Ich werde bei ihr bleiben müssen.“ „Tu das“, stimmte Abbefaria zu. „Aber ich will wissen, was da vor sich geht. Sie sagte Furbolgs hätten sie angegriffen, aber das kann einfach nicht stimmen.“ Abbefaria hatte schon von Furbolgs gehört und sie auch schon einmal aus der Ferne beobachtet. Diese Wesen ähnelten aufrecht gehenden Bären; sie trugen primitive, aus Federn, Knochen und Stofffetzen zusammengesetzte Kleidung, pflegten eine noch primitivere, schamanistische Kultur und lebten im Allgemeinen sehr zurückgezogen. Nie und nimmer hätten sie sich zusammengerottet und wären über eine Stadt hergefallen, selbst wenn sie so klein war wie Auberdine. Und doch bot sich ihm genau diese Bild, als sie am ersten der wenigen Häuser vorbei in Richtung des Tumults liefen. An einer umgestürzten Laterne lag die Leiche eines Furbolgs. Er lag mit dem Gesicht nach unten im Gras, seine Vorderpranken umklammerten immer noch ein schartiges, gekrümmtes Schwert und seine kräftigen Hinterpranken hatten die Erde um ihn herum aufgewühlt. Abbefaria gab sich einen Ruck und drehte ihn um. Die toten Augen des Furbolgs blickten blutunterlaufen in den inzwischen rosa gefärbten Himmel und die breite Schnauze war schaumbedeckt. Einer seiner großen Eckzähne war abgebrochen und in seiner Brust steckten Teile einer Mondgleve, dem traditionellen, dreiklingigen Schwert der Nachtelfenwachen, das sowohl geworfen, wie auch im Nahkampf eingesetzte werden konnte. Wenn eine der Klingen aus dem Kreis herausgebrochen war, musste der Angriff mit sehr großer Wucht ausgeführt worden sein … oder die Wache hatte sich sehr verzweifelt gewehrt. „Dort!“, keuchte Easygoing plötzlich und wies in Richtung des Gasthauses, in dem sie noch am Abend zuvor gespeist hatten. Eine Ecke des direkt am Meer liegenden Gebäudes stand lichterloh in Flammen und im Schein des Feuers waren Schildwachen und Furbolgs in einen heftigen Kampf verstrickt. Die Schildwachen waren den Angreifern ohne Zweifel in ihrer Kampfkunst überlegen und nicht wenige der braun- und graubefellten Körper der Tiermenschen zierten inzwischen das Schlachtfeld. Was den Furbolgs jedoch an Technik fehlte, machten sie durch pure Wildheit und den Einsatz von Klauen und Zähnen wieder wett, sodass der Ausgang des Kampfes noch lange nicht entschieden war. „Tor ilisar'thera'nal!“, gellte die Stimme der obersten Schildwache Glynda Na'Shea über die Köpfe ihrer Untergebenen hinweg. „Lasst sie spüren, was es heißt, unser Heiligtum zu entweihen. Andu'falah'dor!“ Als hätte dieser Ruf die Kräfte der Wachen neu entfacht, begann die Front der Furbolgs langsam, aber stetig zurückzuweichen. Mehr und mehr von ihnen begannen, ihr Heil in der Flucht zu suchen, bis schließlich auch der letzte von ihnen seine zerbrochene Stangenwaffe von sich warf und mit schmerzerfülltem Gebrüll das Weite suchte. Eine der Schildwachen setzte an, ihn noch im Davonlaufen mit ihrer Mondgleve niederzustrecken, ließ ihre Waffe aber sinken, als ein männlicher Nachtelf unvermittelt zwischen ihr und dem Furbolg auftauchte. „Lasst es gut sein, Schwester“, rief er und hob die Armen gegen den Morgenhimmel. „Sie sind zurückgeschlagen, lassen wir sie ziehen. Wir haben Wichtigeres zu tun, als unsere Rache zu suchen.“ „Wie Ihr befehlt, Ältester Windweaver“, antwortete die Schildwache und senkte den Kopf. Der Nachtelf, dessen barere Oberkörper im Feuerschein glänzte, lächelte nachsichtig. „Auch in diesen Zeiten“, erklärte er, „müssen wir uns erinnern, wie weit einen Wut und Rachsucht bringen können. Geht jetzt und löscht das Feuer. Danach versorgt die Verwundeten.“ „Es wird sofort geschehen“, antwortete Glynda Na'Shea stellvertretend für ihre Untergebene und teilte mit ein paar knappen Befehlen die unverletzten Wachen für die verschiedenen Aufgaben ein. Thundris Windweaver strich sich über das Gesicht und schirmte dann die Augen gegen den hellen Schein des nahen Feuers ab. In einiger Entfernung konnte er die Gestalten zweier junger Druiden ausmachen, die er schon des Öfteren bei ihren Ausflügen beobachtet hatte. Der größere von ihnen stand hoch aufgerichtet, die langen dunkelblauen Haare nach der Art der Krieger zu Zöpfen verschlungen und das Gesicht unbeweglich wie das des großen Weltenbaumes. Neben ihm der Kleinere und Wendigere des ungleichen Paars mit den unsteten Augen, die kurzen Haare noch zerzaust vom Nachtwind. Einer jedoch fehlte in diesem Gespann, das, wie Thundris wusste, eigentlich aus drei jungen Nachtelfen bestand. Er winkte die zwei herüber. „Wo ist euer Freund?“, fragte er gerade heraus, „Ich sehe ihn nicht bei euch.“ „Er versorgt eine Verletzte“, erklärte der Größere. „Wir fanden sie, als wir die Stadt betraten.“ „War sie schwer verletzt?“, fragte Thundris nach. „Es schien so“, antwortete der Andere. „Gut“, nickte Thundris. „Ich werde mich zunächst um euren Freund kümmern. Wartet auf mich im Haus des Rates. Es ist das große Gebäude direkt am Strand. Und redet mit niemandem, bevor ich wieder bei euch bin.“ Die letzte Aufforderung wäre im Grunde nicht nötig gewesen, da jeder der Bewohner Auberdines durch den Lärm aufgescheucht worden war und nun mithalf, die Feuer zu löschen. Trotzdem konnte es nicht schaden den jungen Nachtelfen, die nachts allein in der Gegen herumstreunten, ein wenig Disziplin aufzuerlegen. Vor allem, wenn man bedachte, in welcher Gefahr die drei Freunde sich unwissentlich befunden hatten. Thundris Windweaver fand den dritten Nachtelfen am Eingang zu Stadt. Sein langes, weißes Haare klebte schweißfeucht an seiner Stirn und sein Gesicht erschien trotz des farbigen Scheins der aufgehenden Sonne ausgemergelt und bleich. „Ishnu-alah, Freund“, grüßte Thundris ihn. „Lass mich dir helfen.“ Er legte seine Hände fest auf die des jungen Nachtelf und ließ seine heilenden Energien durch die beiden ermatteten Körper fließen. Wie Blumen, die nach langer Trockenzeit wieder den Regen spüren, erholten sich die beiden Nachtelfen zusehends; die eine von ihren Verletzungen, der andere von dem Versuch, diese zu heilen. „Habt Dank, Ältester Thundris“, sagte die Wache, als sie wieder auf den Beinen war. „Ohne Eure Hilfe und die dieses jungen Priesters, wäre die Verletzung möglicherweise mein Tod gewesen.“ „So hätte es sein können“, antwortete Thundris Windweaver ernst. „Danken wir Elune, dass sie unsere Wege anders geleitet hat. Und du, junger Freund, begleite mich zum Haus des Rates. Deine beiden Freunde erwarten uns dort bereits.“ „Wir Ihr wünscht“, gab der junge Priester zurück und folgte dem Ältesten zum Strand hinunter. Abbefaria schwang die Beine von der Brüstung des weitläufigen Balkons, als der Älteste zusammen mit Ceredrian den Raum betrat, und trat eilig auf seinen Freund zu. „Wie geht es dir?“, fragte er leicht besorgt, denn Ceredrian wirkte nicht besonders trittsicher. „Es geht ihm den Umständen entsprechend“, gab der Älteste an dessen Stelle zur Antwort. „Euer Freund wird lernen müssen, mit seinen Kräften besser zu haushalten.“ „Das kommt davon, dass er immer den Helden spielen muss“, knurrte Easygoing, der beim Eintreten der beiden ebenfalls aufgesprungen war, und knuffte seinen Cousin spielerisch in die Seite. „Kaum sieht er eine schöne Frau, muss er ihr seine Hand anbieten.“ Der Älteste bedachte ihn mit einem tadelnden Blick. „Die Sache ist ernster, als es im ersten Moment scheinen mag“, erklärte er. „Doch lasst uns zunächst eine kleine Stärkung zu uns nehmen. Ich denke, ihr könnt eine Rast vertragen, nachdem ihr euch die ganze Nacht unerlaubt herumgetrieben habt.“ Abbefaria und Ceredrian senkten betreten die Köpfe. Easygoing hingegen verzog das Gesicht zu einem undefinierbaren Ausdruck, sagte jedoch nichts. Sie ließen sich gehorsam auf dem angewiesenen Lager aus Decken und Kissen auf dem Fußboden nieder, während eine Nachtelfe ihnen Brot, Quellwasser und eine Auswahl an frischen Früchten servierte. „Wir …“, begann Abbefaria, nachdem ihr erster Hunger und Durst gestillt war. „Wir haben ebenfalls einige merkwürdige Beobachtungen gemacht.“ Er schilderte kurz die Begegnung mit dem Unterwasser-Wesen, ließ ihre Begegnung mit den Forschern vom anderen Kontinent allerdings wohlweislich aus. „Das ist in der Tat eigenartig“, bemerkte Thundris Windweaver und blickte nachdenklich auf das Meer hinaus. „Vielleicht ein Zufall, vielleicht aber auch Teil desselben Problems, mit dem wir es bei den Furbolgs zu tun haben.“ „Wie meint ihr das?“, fragte Ceredrian interessiert nach. Man sah ihm an, dass er inzwischen wieder ganz zu Kräften gekommen war. „Die Furbolgs sind normalerweise ein friedliches und zurückhaltendes Volk“, erklärte Thundris Windweaver. „Sie mögen uns Nachtelfen nicht besonders und halten sich lieber fern von unseren Siedlungen, doch noch nie haben sie von sich aus angegriffen, wenn sie nicht bedrängt wurden. Es scheint fast, als hätte eine dunkle Macht von ihnen Besitz ergriffen. Womöglich reagieren sie aber auch nur auf die absonderbaren Veränderung der Umwelt, ebenso wie es die Kreaturen des Meeres tun, die in letzter Zeit an den Strand gespült werden. Eurer Schilderung nach scheint ihr auf ein lebendes Exemplar der Gattung der Düsterdrescher, wie Gwennyth Bly'Leggonde sie nennt, gestoßen zu sein. Gwennyth ist im Tempel des Mondes damit beauftragt worden, diese Kreaturen zu untersuchen. Ich werde ihr noch heute …“ Ein eindringliches Klopfen an der Tür unterbrach die Überlegungen des Ältesten. „Ältestes Windweaver!“, platzte ein Nachtelf atemlos in die kleine Versammlung hinein. Seine Kleidung war einfach, sein Haar bereits grau und seine Arme von unzähligen alten Narben überzogen. „Verzeiht die Störung, aber ich habe Nachricht aus Ashenvale.“ „Es ist gut, Therenthis“, winkte Thundris Windweaver ihn herein. „Erzähle uns, was du hörtest.“ „Nicht ich, sondern Selarin soll euch davon berichten“, entgegnete der Nachtelf und trat beiseite um eine junge Schildwache durchzulassen. „Ishnu-dal-dieb“, grüßte sie in die Runde und verbeugte sich vor dem Ältesten. „Verzeiht auch mein rüdes Eindringen in Eure Hallen, Ältester, aber meine Herrin, Raene Wolfrunner, schickt mich um Euren Rat. Sie sagt, die Nachforschungen bezüglich der Verderbnis der Furbolgs seien ins Stocken geraten und die Angriffe auf Astranaar sind schlimmer als je zuvor. Sie ersucht Euch um Unterstützung in dieser Angelegenheit.“ „Das ist bedenklich“, murmelte Thundris Windweaver und versank in nachdenkliches Schweigen. Er schwieg so lange, dass Abbefaria anfing, unruhig auf den Boden umherzurutschen. Er fühlte sich unbehaglich unter dem Blick des Ältesten, der durch ihn hindurchzugehen schien und konnte nicht verstehen, wie alle andere so ruhig bleiben konnte. Easygoing hatte sich still einem weiteren Nachschlag gewidmet, Ceredrian war in eine Meditation versunken und die anderen beiden schienen zu Statuen versteinert zu sein. Fast wünschte Abbefaria sich, dass die Furbolgs erneut angriffen, auch wenn er diesen Gedanken sogleich bereute. „Ich habe eine Entscheidung getroffen“, sagte Thundris Windweaver schließlich mit gewichtiger Stimme. „Eine Entscheidung, die mit einer Bitte verbunden ist. Einer Bitte an euch drei.“ Er musterte nacheinander Easygoing, Ceredrian und Abbefaria. „Ich möchte euch ersuchen, Selarin auf ihrem Rückweg nach Ashenvale zu begleiten. Raenes Arbeit ist zu wichtig, als das ihr lange Aufschub gewährt werden könnte, und sie wird die Unterstützung drei so tatkräftiger und abenteuerlustiger Burschen gebrauchen können.“ Die drei Freunde sahen sich überrascht an. Diese Wendung der Ereignisse traf nicht ganz ihre Erwartungen, doch es war klar, dass sie diese Bitte unmöglich ablehnen konnten. „Es wird uns eine Ehre sein“, sagte Ceredrian als Erster, stand auf und verbeugte sich. Die anderen beeilten sich, es ihm gleichzutun. „Gut“, antwortete Thundris Windweaver zufrieden. „Ihr solltet Euch noch eine Weile ausruhen, denn bis Astranaar habt ihr einen recht weiten Weg vor euch. In der Zeit werde ich einige Dinge zusammenstellen, die ich Raene schicken möchte. Ich erwarte euch gegen Mittag wieder hier.“ Die Sonne hatte ihren Zenit bereits überschritten, als Abbefaria noch schlaftrunken neben den anderen beiden zum Haus des Rates wankte. Sie wurden bereits von Thundris Windweaver und der Schildwache erwartet, zu deren Füßen sich ein gut verschnürtes Bündel befand. „Ihr seid spät“, stellte der Älteste fest. „Vergebt, Ältester Windweaver.“, beschwichtigte Ceredrian ihn mit einer entschuldigenden Geste. „Wir wurden aufgehalten.“ Dabei warf er Abbefaria einen Ich-hab-es-dir-gesagt-Blick zu, woraufhin dieser seinen Mund zu einem gequälten Lächeln verzog, das hervorragend dazu geeignet war, seine spitzen Eckzähne zu entblößen. „Wollen wir hoffen, dass dies das letzte Mal auf eurer Reise war“, sagte der Älteste augenzwinkernd und hob dann die Hände zu einem Abschiedsgruß. „Geht jetzt rasch, meine jungen Freunde, und möge Elune mit euch sein.“ Die Reisenden erwiderten den Gruß des Ältesten mit einer Verbeugung und machten sich dann auf den Weg in Richtung Astranaar. Da keiner der drei Freunde die Gegend im Süden der Dunkelküste besonders gut kannte, übernahm die Schildwache Selarin die Führung. Sie folgten dem Weg durch den dichten Wald, der trotz der magischen Laternen und der hoch am Himmel stehenden Sonne von Nebelschwaden durchzogen wurde und somit trostlos, düster und abweisend wirkte. Sie streiften die verfallenen Ausläufer von Ameth'Aran, eine weiteren verlassenen Stadt der Hochelfen, deren Geister diese immer noch durchstreiften, und gelangten schließlich an die Wildschnellen. Zwei kurze, breite Brücken verbanden hier eine kleine Insel in der Mitte des reißenden Wasserstroms mit dem festen Land. Unter ihnen gluckerte und rauschte das Wasser, sodass Abbefaria es sich nicht nehmen lassen konnte, einen Blick über die Brüstung zu werfen. Easygoing hingegen stolzierte mit steifen Schritten und auf das jenseitige Ufer gerichtetem Blick über die Holzkonstruktionen hinweg, als fürchte er, sie könnten jeden Moment unter seinen Füßen zusammenbrechen. Ceredrian, dem das Ganze nicht entgangen war, grinste daraufhin von einem langen Ohr zum anderen und stimmte ein kleines Wanderlied an, in dem es merkwürdigerweise größtenteils um hohe Berge und sehr, sehr tiefe Täler zu gehen schien. „Hier links befindet sich übrigens der Hain der Uralten, die Heimstätte von Onu, dem Urtum der Lehren“, erklärte Selarin, nachdem sie den Fluss hinter sich gelassen hatten. „Er ist sehr weise und ich würde unter normalen Umständen einen Besuch bei ihm unbedingt empfehlen. Heute allerdings drängt die Zeit, denn meine Herrin wird sicherlich schon ungeduldig auf die Nachricht des Ältesten warten.“ Mit Bedauern sah Abbefaria die Gelegenheit, einen der Uralten persönlich sprechen zu können, am Horizont verschwinden. Die Urtume, die hocheiligen Beschützer der Nachtelfen, waren immer ein erhebender Anblick. Sie schritten riesigen, lebendig gewordenen Bäumen gleich in Würde und stoischem Gleichmut einher und wussten viele Geschichten zu erzählen sogar aus der Zeit, als die Welt noch aus einem einzigen, riesigen Kontinent bestand und die Vorfahren der Nachtelfen gerade erst damit begonnen hatten, ihrem selbst gegebenen Namen Kaldorei, Kinder der Sterne, gerecht zu werden. Durch den großen Krieg gegen die dämonischen Horden der Brennenden Legion, ausgelöst durch den Machthunger der Hochelfen und ihrer Königin Azshara, war ihre Zahl allerdings stark dezimiert worden und nur hin und wieder hatte man das Glück, einem von ihnen zu begegnen. An einem riesigen, kahlen Baum, der weit über den Weg hinausragte, teilte sich die Straße in zwei Richtungen. „Wir können jetzt den rechten Weg einschlagen“, erklärte die Schildwache bereitwillig. „Er ist etwas kürzer und führt nahe am Meer entlang. Allerdings gibt es Berichten zufolge in der Nähe auch einen Stützpunkt der Horde und es wäre möglich, dass wir dort in Schwierigkeiten gelangen.“ „Die sollen nur kommen“, knurrte Easygoing angriffslustig. „Mit ein paar stinkenden Orks und Trollen erden wir schon fertig.“ „Als wenn du bis jetzt auch nur ein einziges Mal auch nur einem einzigen, friedlichen Tauren begegnet wärst“, spottete Ceredrian mit spitzer Zunge. „Ich denke, wir sollten den längeren Weg nehmen.“ „Den für Feiglinge?“, fragte Easygoing lauernd, aber sein Cousin ging nicht auf die Herausforderung ein. „Wie viel kürzer ist der Weg?“, wollte Abbefaria wissen. „Nicht sehr“, antwortete Selarin. „Er spart etwa eine halbe Stunde.“ „Dann nehmen wir den längeren“, entschied Abbefaria und ging ohne sich noch einmal umzudrehen an den anderen vorbei weiter in Richtung Süden. Ceredrian sah ihm kopfschüttelnd nach und murmelte leise: „Also manchmal weiß ich wirklich nicht, wer von ihnen den starreren Hals hat.“ Als sie die Grenze zu Ashenvale überschritten, veränderte sich die Landschaft so schlagartig, als habe man eine Seite in einem Buch umgeschlagen. Die düsteren Nadelbäume wichen zurück und gaben den Blick auf saftige, grün und violett beblätterte Laubbäume frei. Kastanien, Eichen, Buchen, Birken, Ahorne und selbstverständlich auch die Eschen, die dem Landstrich seinen Namen gegeben hatten, bildeten ein atmendes, sonnendurchflutetes Dach über dem Weg. Auf den Wiesen rechts und links des Weges zogen Hirsche friedlich äsend ihre Runden und über den Köpfen der Wanderer schien ein ganzes Regiment an Vögel den immerwährenden Frühling zu lobpreisen. Ihr Gesang mischte sich mit dem allgegenwärtigen Rauschen der großen und kleinen Bäume zu einer süßen Melodie, die vom Leben und der Herrlichkeit der großen Natur erzählte. „Jetzt ist es nicht mehr weit bis zu Maestras Posten“, sagte Selarin und sah sich aufmerksam um. „Ich bin froh, wenn wir ihn erreicht haben, denn in den Tiefen des Waldes sollen Verlassene gesichtet worden sein.“ „Untote? Hier?“, fragte Ceredrian blickte die Schildwache zweifelnd an. Diese zuckte nur mit den Schultern. „Orendil Broadleaf, der Heilkundige aus Astranaar, vermutet, dass sie hier auf der Suche nach Heilkräutern die Natur verunreinigen und sie ausbeuten, wie alles, was sie in ihre verdorrten Finger bekommen.“ „Irgendjemand muss sie aufhalten.“, grollte Abbefaria. „Möglicherweise stecken sie hinter dem Problem mit den Furbolgs. Wir sollten uns wirklich beeilen. Je eher wir in Astranaar ankommen, desto besser.“ Sie erreichten nur wenige Zeit später Maestras Posten, einem spärlich besetzten Vorposten der Schildwachen, der, wie Selarin ihnen erklärte, unter der Leitung von Liladris Moonriver, einer Abgesandten aus Darnassus, stand. Mit Erstaunen bemerkte Abbefaria, dass sich auch einige Menschen unter den Stationierten befanden. „Es sind Abgesandte aus Stormwind, der Hauptstadt der Menschen“, erzählte Selarin auf eine entsprechende Nachfrage hin beiläufig. „Sie sind freundlich und achten unsere Gebräuche, bleiben aber meist unter sich.“ Es blieb allerdings keine Zeit, sich lange mit den Gedanken um die Fremden zu befassen, da der Weg inzwischen steil anstieg und sie ihre Augen auf den Weg richten musste, um nicht an einem der steilen Abhänge wieder hinunter zu purzeln. Easygoing trabte einmal mehr als Bär neben ihnen her, wobei Abbefaria stark die Vermutung hegte, dass ihm der Gang auf vier Pfoten in dem abschüssigen Gelände eine Art Sicherheit gab. Die Landschaft ebnete sich wieder und als die Sonne begann im Westen zu versinken, erreichten sie schließlich Astranaar. Die Stadt war auf einer natürlichen Insel errichtet worden und sogar noch etwas größer als Auberdine. Ganz aus Holz gebaute Häuser mit geschwungenen Dächern und reich verzierten Tragbalken fügten sich wie gewachsen in das harmonisches Bild des Waldes ein und eine friedliche Ruhe lag über dem ganzen Ort. Eine Ruhe, die je von einem Schrei durchbrochen wurde. „Selarin!“, rief eine kräftig gewachsene Nachtelfe und kam mit langen Schritten auf die Ankömmlinge zugelaufen. An ihrer Seite trabte ein prächtiger, brauner Wolf, der jeden der drei Freunde aus klugen Augen musterte. Ein ganzes Stück hinter ihm kam würdigen Schrittes ein großer, weißer Tiger herbei geschlichen und gesellte sich zu der kleinen Schar. „Herrin“, sagte die Schildwache Selarin und beugte das Haupt. „Ich bringe Euch Grüße von Thundris Windweaver.“ „Nicht nur Grüße, sondern auch Unterstützung, wie es aussieht“, antwortete die Nachtelfe, bei der es sich ganz offensichtlich um Raene Wolfrunner handelte, und stemmte die Fäuste in die Hüften. „Drei wackere Krieger für den Kampf gegen was auch immer dort draußen vor sich geht. Nur immer herein mit Euch, das Abendessen ist angerichtet.“ Nachdem sie gegessen und getrunken hatten, erklärte Raene Wolfrunner, was sie bis jetzt herausgefunden hatte. Dabei kraulte sie Dagri, den Wolf, teilweise so heftig die Ohren, dass dieser warnend die Lefzen hochzog und leise knurrte. „Die Angriffe auf Astranaar werden von Tag zu Tag schlimmer. Die Furbolgs werfen sich ohne Rücksicht auf ihr eigenes Leben in den Kampf und bedrohen alles und jeden, der sich auch nur in ihre Nähe wagt. Versteht mich nicht falsch, wir wollen diesem Volk nichts Böses, aber wir können schließlich auch nicht kampflos zusehen, wie sie über die wehrlose Bevölkerung herfallen und unsere Behausungen niederbrennen.“ „Verständlich“, warf Easygoing nickend ein. Raene nahm schnell einen Zug auf ihren Krug mit Trichterwindentau und fuhr dann fort: „Ich und mein alter Freund Teronis sind bei unserer Suche nach der Ursache der Verderbnis der Furbolgs auf die Aufzeichnungen eines Hexenmeisters gestoßen, der versucht hat, sich die Furbolgs zu Untertan zu machen. Der Hexenmeister ist zum Glück schon lange in die Abgründe der Geschichte zurückgekehrt, doch Teronis war sich sicher, dass er trotz allem etwa zurückgelassen hat, was uns bei unserer Suche nützlich sein könnte. Er sprach von einer zauberkräftigen Rute; über die Wirkungsweise dieses Gegenstandes hat er bis jetzt allerdings noch nichts herausgefunden.“ „Wo ist Teronis jetzt?“, fragte Abbefaria neugierig. Raene Wolfrunners Finger krampften sich in das Fell des Wolfes. „Was das angeht, fürchte ich das Schlimmste“, sagte sie belegter Stimme. „Teronis brach bereits vor mehreren Tagen auf, um einen Teil der Rute, einen magischen Edelstein, zu suchen. Er meinte, dass dieser Edelstein möglicherweise in dem Schrein im Falathimsee am Fuße der Berge im Westen versteckt sei. Dort wurde der Edelstein jedenfalls aufbewahrt, bevor der Schrein überrannt worden ist.“ „Überrannt?“, horchte Ceredrian auf. „Von wem?“ Raene Wolfrunner ballte die rechte Hand zur Faust und spie ein einzelnes Wort aus: „Murlocs!“ „Das hat doch alles keinen Sinn“, schimpfte Magenta griesgrämig und ließ sich an einer Wand neben einer Kohlenpfanne hinabgleiten. Wie um sie zu ärgern zischte es in diesem Moment heftig und ein Funke sprang direkt ihre sowieso schon reichlich derangierte Robe und brannte ein Loch hinein. Fast wünschte sie, sie hätte das scheußlich, gelbe Kleid noch angehabt. „Na prima“, seufzte sie. „Jetzt bin ich nicht nur bettelarm, jetzt sehe ich auch noch so aus. Seit Stunden rennen wir hier nun schon im Kreis und versuchen diesen Halunken zu finden, der meine Axt gestohlen hat. Aber außer ein paar qualmenden Füßen und jeder Menge blöder Antworten haben wir nichts, aber auch gar nichts bekommen.“ „Ja, wir hätten ja auch Glück haben können“, sinnierte Pizkol. „Wir hätten diese Sukkubus noch mal treffen können.“ „Du immer mit deiner blöden Sukkubus“, meckerte Magenta. „Sag mir lieber, wie wir diese Axt wieder bekommen.“ „Hallo Magenta. Was für eine Axt?“, ertönte da eine Stimme direkt vor Magentas Nase und als sie aufsah, blickte sie in ein Paar fröhlich blitzender, blauer Augen. „Emmanuelle!“, rief Magenta verblüfft. „Wie kommst du denn hier her?“, „Na ich wohne hier“, stellte die Gnomin lachend fest. „Grade frisch aus Stormwind zurückgekehrt. Aber von was für einer Axt redest du da eigentlich die ganze Zeit?“ Schnell erklärte Magenta, was ihr zugestoßen war. Auch Emanuelle konnte sich einen bissigen Kommentar über das blinde Vertrauen zu Fremden nicht ganz verkneifen, tätschelte dann aber beruhigend Magentas Arm … wozu sie sich auf die Zehenspitzen stellen musste. „Keine Sorge, wir finden diesen Kerl schon“, sagte sie optimistisch. „Du sagtest doch, er wolle Feuerwerk kaufen. Dazu muss er unweigerlich zu den Gnomen gehen, denn nur dort gibt es wirklich gutes Feuerwerk. Und das war sein Fehler. Niemand legt sich ungestraft mit Emmanuelle Fizzlebigg-Shakletrunks an. Komm!“ Emmanuelle trippelte also emsig voran, während ihr Magenta immer noch etwas zweifelnd folgte. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie Emmanuelle den Dieb finden wollte, aber sie schwieg darüber lieber. Etwas Besseres fiel ihr im Augenblick sowieso nicht ein. Emmanuelle schien hingegen erfolgreicher, als Magenta zu hoffen gewagt hatte. Sie sprach aufgeregt auf Gnomisch mit einem Gnom mit kurzen rotbraunenen Haaren und einem enormem Schnurrbart, der in dem Geschäft „Sachen, die Bumm machen!“ als Verkäufer tätig war. Dabei gestikulierte sie derart mit Armen, Beinen und Zöpfen in der Gegend herum, dass Magenta ganz schwindelig im Kopf wurde. Mit grimmigem Gesichtsausdruck kehrte Emmanuelle schließlich von ihrem Gespräch zurück. „Er war tatsächlich hier und erwartet heute Abend eine Lieferung in die Gastwirtschaft Bruuks Ecke“, erklärte sie mit einem heimtückischen Funkeln in den Augen. „Das ist hier ganz in der Nähe im Militärviertel. Ich denke, wir sollten dafür sorgen, dass er seine Lieferung auch rechtzeitig bekommt. Mit einer kleinen Überraschung von mir.“ „Äh …“, machte Magenta. „Was genau meinst du damit?“ „Das“, kicherte Emmanuelle, „wird eine Überraschung. Aber ich glaube nicht, dass er deine Axt danach noch behalten will.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)