Dunkle Nächte von Traumfaengero_- (Wenn das Schicksal zuschlägt...) ================================================================================ Kapitel 49: Die Regeln dieses Abends ------------------------------------ Kapitel 49 Die Regeln dieses Abends Mit aller Kraft versuchte er die Fassung zu bewahren und die kalte Maske aufrecht zu erhalten, die ihm bei diesen Worten gänzlich verloren gehen wollte. Die eisblauen Augen starrten den Blonden auf der anderen Tischseite an, doch zu einer weiteren Reaktion war er nicht fähig. Joey bemerkte diese beinahe apathische Starre, mit welcher der Brünette auf seine Aussage reagierte und ein breites Grinsen erschien auf seinem Gesicht. „Ach komm, ich meine das erst. Manchmal mag ich dich. Wenn du kein Idiot bist und mich grundlos beleidigst, dann kannst du echt nett sein.“ Erweiterte er die Behauptung, die er gerade in den Raum gestellt hatte. Erst mit einem Räuspern gelang es Seto, die unerwartet auferlegte Starre zu durchbrechen. Ein Blinzeln folgte und er gab in einem etwas brüchigem Ton von sich. „Nach all dem, was ich dir eben offenbart habe, erscheint mir diese Reaktion unpassend.“ Sein Blick wanderte zu den Schüsseln, die nun zwischen ihnen standen und er griff nach einem der Reiskräcker, um sie zum Zeitschienden in den Mund zu stecken. Der Blonde hingegen beugte sich vor, angelte sich eine Nuss und hing nun halb über dem Tisch. „Warum? Ich meine, du warst ehrlich, nett, hast mir Dinge erzählt, die sonst keiner weiß und du hast dich nicht über mich lustig gemacht, als ich dir die Sachen erzählt habe, die sonst keiner von mir weiß.“ Er zuckte mit den Schultern. „Wie hätte ich denn deiner Meinung nach reagieren sollen?“ Kam die nächste Frage in die Richtung des Brünetten. Dieser stutzte kurz und griff beinahe reflexartig nach einem weiteren Kräcker, an welchem er zu knabbern begann. Es ging ihm nicht ums Essen, dass war beiden bewusst. Erst nach einer Weile kam die Antwort, während die Stimme einen kalten Ton innehielt. „Schwächen zu offenbaren, bietet immer die Möglichkeit eines Angriffs. Ich kenne ausreichend Menschen, die diese Informationen gegen mich verwenden würden und ihre Reaktion wäre nicht verständnisvoll und einfühlsam. Anschuldigungen über mein Versagen wären das übliche Vorgehen in einer solchen Situation.“ Nun starrten die braunen Augen mit einem entsetzten Ausdruck über den Tisch und der Mund stand Joey ein wenig offen. „Bitte was?“ Kam von ihm und er kniff die Augen zusammen, schüttelte den Kopf und starrte dann fragend mit zusammengezogenen Augenbrauen zu dem Firmenführer. „Du hast dich gegen einen Mann durchgesetzt, der dich misshandelt und erpresst hat. Du hast Mokuba beschützt und bist jetzt ein weltbekannter Mann. Du leitest eine gewaltige Firma, bist stinkreich und wohnst in einer Villa. Ich meine, wo hast du denn versagt?“ Empörung schwang in diesen Worten mit und offensichtlich verstand der 21-Jährige die Problematik nicht. „Offenbar funktionieren deine Ohren nur teilweise. Hast du mir eben nicht zugehört? Ich habe zugelassen, dass er Mokuba bedrohen konnte und ihn als Druckmittel gegen mich verwendet hat! Das nenne ich ein Versagen!“ Die nun aufkommende Wut entstand eher durch einen Schmerz, der bis in die blauen Augen vordrang. Joey schwieg und musterte für einen Moment den Mann ihm gegenüber, der so irritierend reagierte. „Das denkst du wirklich, oder?“ Fragte er noch einmal nach, doch eine Antwort erhielt er nicht. Dafür trat eine Härte auf das Gesicht des anderen, die ihm diese Frage bestätigte. „Hör zu, ich denke nicht, dass du versagt hast. Ich denke, dass du einen großen Sieg gegen ihn gewonnen hast. Natürlich hast du nach seinen Regeln gespielt, aber am Ende hatte Mokuba eine glückliche Kindheit und du hast deinen Stiefvater besiegt. Dir gehört seine Villa, seine Firma und du hast alles umgebaut, oder? Du meintest doch, dass es vorher ein Waffenproduzent war. Wie kannst du das alles als Versagen ansehen, wenn du derjenige bist, der am Ende alles bekommen hat?“ Doch auch auf diese Frage gab es keine Antwort und der Brünette verschränkte die Arme vor der Brust. „Ok, ich sehe schon, du willst nicht darüber reden. Ich kann dir nur sagen, was ich denke, und ich bin der Meinung, dass du nicht versagt hast. Ich bin auch der Meinung, dass es nicht richtig ist, auf so eine Ehrlichkeit hin jemanden fertig zu machen. Ich weiß auch nicht, was für Erfahrungen du gemacht hast, aber ich bin der Meinung, dass es nicht in Ordnung ist.“ Gab Joey in einer beinahe protestierenden Art von sich. Er blies die Wangen auf und griff nach einigen Nüssen. „Du bist ein Idiot, wenn du glaubst, dass ich so etwas tun würde!“ Gab er grob von sich und stopfte die Erdnüsse in seinen Mund. Das entstehende Schweigen zwischen ihnen hielt lange an. Seto saß dort, die Arme vor der Brust verschränkt und der innere Kampf war deutlich auf seinem Gesicht zu sehen. Es schien ihm an diesem Abend immer wieder schwer zu fallen, seine Maske dem Blonden gegenüber aufrecht zu erhalten. Diese gesamte Situation war für ihn aberwitzig, unrealistisch und er konnte nicht fassen, dass er hier unten mit diesem Chaoten saß, plauderte und Dinge aussprach, die er sich selbst kaum eingestehen wollte. Wie lange sie dort saßen, konnte er nicht sagen. Es war still und Joseph erweckte nicht den Eindruck, als wollte er daran in absehbarer Zeit etwas ändern. Seto räusperte sich und griff nach der Schüssel mit den Reischips, von denen er einige angelte. „Erwartest du eine Bestätigung für diese plumpe Aussage?“ Fragte er etwas kühl und ließ einen der Chips in seinem Mund verschwinden. Plötzlich blickten ihn die honigbraunen Augen an und der 21-Jährige grinste breit. „Dass du mir zustimmst, dass du ein Idiot bist? Das würde ich zu gerne hören, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ich so etwas jemals erleben werde!“ Neckte er zurück und erntete wenigstens ein leichtes Schmunzeln. „Zumindest ein Ansatz von Vernunft.“ Kommentierte Seto nun trocken, bevor er beobachtete, wie die Schüssel aus seiner Reichweite verschwand. Der Blonde sondierte den Inhalt der Schale genau und pickte sich dann gezielt einen Chip heraus, denn er als gut genug empfand. „Aber die Dreistigkeit ist geblieben. Willst du ausgerechnet mir das Essen wegnehmen?“ Dieser Konter war gut und kurz stockte Joey. Er schien zu überlegen und direkt wanderte die Schüssel mit den Reischips wieder näher zurück. „Ich habe noch welche! So ist das nicht, sogar eine halbe Tüte hätte ich noch.“ Ging der Blonde hoffungsvoll in den Rückzug. „Nein danke, ich bin mit dem, was ich habe, deutlich zufrieden.“ Kurz hielt Seto inne und warf einen skeptischen Blick auf den Reischip in seiner Hand. „Immerhin stelle ich mir noch die Frage, welche geschmackliche Entgleisung dieses hier darstellt. Es kommt selten vor, dass ich derlei Zweifel beim Essen hege, jedoch fällt es mir schwer, eine genaue Richtung anzugeben.“ Dies Aussage war zwar ernst gemeint, hatte allerdings ein klares Ziel. Die Stimmung zwischen ihnen war noch immer angespannt und er wusste nicht, wie er sie wieder beruhigen konnte. Sie waren zu ehrlich gewesen, zu offen und nun hatte sich eine gewisse Verletzlichkeit eingeschlichen, die er niemals zugeben würde. Die Intention seiner Aussage trat ein, denn Joseph griff nach einem der übrigen Chips und meinte belustigt. „Ich glaube, sie schmecken nach gar nichts, da sind nur Sachen drin, die einen danach süchtig machen lassen. Man kann nicht aufhören, sie zu essen, obwohl sie nach nichts schmecken.“ Freudig, wenn nach außen hin immer noch abgeklärt, kommentierte Seto diese Feststellung. „Unter solchen Umständen sollten wir sie augenblicklich entsorgen!“ Die kühle Stimme ließ lediglich erahnen, dass er dies nicht so streng sah, wie er es ausdrückte. „Oh nein, aber ich weiß nicht, ob ich ohne sie leben kann!“ Kam nun in einem gespielt leidvollem Ton von Joey, der sein breites Grinsen trotz aller Mühe nicht unterdrücken konnte. Selbstverständlich würde der Brünette niemals eingestehen, dass ihm diese gespielte Dramatik über die Qualität der Reischips als gelegene Ablenkung kam. Sie lockerte diese Situation auf und ließ ihnen beiden die Möglichkeit, über dieses Spiel die eben noch schweren Themen zu verdrängen. „Du wirst stark sein müssen, Joseph, aber diese Reischips sind nicht gut für dich. Wir müssen sie vernichten, es bleibt uns keine andere Wahl.“ Jetzt erhielt auch Setos Stimme einen kleinen Ansatz von Belustigung, dennoch sprach er die Worte so ernst wie möglich aus. „NEIN!“ Protestierte der Blonde direkt und zog die Schale an sich. „Du darfst sie mir nicht wegnehmen!“ Alberte er herum und mit dieser Aktion schien auch endlich ein Schmunzeln auf den Lippen des Brünetten zu erscheinen. Die elegante Augenbraue hob sich skeptisch, doch die Mundwinkel zeigten einen klaren Ausdruck an Freude. „Anscheinend bin ich zu spät. Deine Abhängigkeit diesem widerwärtigem Naschkram gegenüber ist schon zu groß geworden.“ Mit diesen Worten beugte er sich spielerisch vor und tat so, als wolle er die Schüssel von Joey an sich bringen. Die schlanken Finger streckten sich gezielt langsam aus und die spaßhafte Panik in den honigbraunen Augen wurde überdeutlich. Beinahe lachend sprang der Blonde nun auf und bemerkte erst zu spät, dass er den Stuhl damit gefährlich ins Wanken brachte. „Nein, ich…“ Begann er laut, als er seinen Fehler im Augenwinkel bemerkte. Er brach ab und versuchte sich auf dem Absatz in eine Drehung zu bewegen, um mit einer Hand noch nach dem hintenüberfallenden Stuhl zu greifen. Das sich nun im Raum ausbreitende Lachen hatte einen warmen, herrlichen Klang. Während die Reischips durch die heftige Drehung und die ruckartige Bewegung der Schüssel in die Luft geschleudert wurden, verfehlten die Fingerspitzen knapp die Stuhllehne und mit einem lauten Scheppern konnte Joey das Schicksal des Stuhles nicht mehr verhindern. Er schlug hart auf dem Boden auf und im nächsten Moment war nur noch ein Fluchen zu hören. Mit einer beinahe kindlichen Freude wartete der Firmenführer, bis sein Gegenüber von der Erkenntnis heimgesucht wurde, was er alles in Bewegung gesetzt hatte. Noch immer fluchend beugte sich der 21-Jährige vor und griff nach dem umgefallenen Möbelstück, um dieses wieder in seine eigentliche Position zu bringen. Kaum stand es wieder an seinem vorgesehenen Platz, als der Blick zurück über den Tisch wanderte. Das Ziel war zwar der Brünette auf dessen anderen Seite, doch so weit kam er nicht. Die hoingbraunen Augen wurden groß und rund, als der blonde junge Mann das Chaos an heruntergefallenen Chips auf dem Tisch entdeckte. „Oh nein, was ist das denn?“ Kam die frustrierte Frage und er begutachtete das Desaster, welches er angerichtet hatte. In einem süffisanten Ton bekam er die Antwort, die ihn einen Schmollmund ziehen ließ. „Dein impulsives, wie immer nicht durchdachtes Handeln hat gegen die Gesetzte der Physik ein weiteres Mal vollständig versagt.“ Die eisblauen Augen funkelten belustigt und er schien sich über den Schmollmund nur zu amüsieren. „Toll, und was machen wir jetzt?“ Kam die Frage in einem frustrierten, beinahe patzigen Ton und jetzt wurden die Schüssel deutlich vorsichtiger wieder abgestellt. Die nächste Handlung ließ ihn blinzeln, denn damit hatte er nicht gerechnet. Der Firmenführer erhob sich auf elegante Weise, beugte sich über den Tisch und mit einer einzigen Handbewegung schob er alle Chips auf der Platte zusammen, um diese dann über die Tischkannte in die hohle, linke Hand fallen zu lassen. „Das einzig wahre: Sie entsorgen! Wo ist der Mülleimer?“ Seine Stimme hatte einen ruhigen Klang, während der Blonde noch immer überfordert zu ihm hinüberblickte. „Du willst sie jetzt einfach wegwerfen?“ Kam noch einmal, doch die Ernsthaftigkeit in den hellblauen Augen war so deutlich, dass seine Worte überflüssig erschienen. Dieser Eindruck kam anscheinend auch dem Brünetten, denn kurz schwang sich die elegante Augenbraue in die Höhe, um dann mit einem Ausdruck der Gleichgültigkeit auf dem Absatz kehrt zu machen und den Blick durch den Raum schweifen zu lassen. Weit konnte der Mülleimer nicht sein und so schritt er geschmeidig am Tisch entlang zum hinteren Teil der Küche, in welcher er fündig wurde. Unter dem kleinen Tresen am Ende des langen Tisches war ein schwarzer, sehr sauberer Eimer mit einem Schwingdeckel zu finden, in welchem er die Chips entsorgte. Völlig perplex stand der 21-Jährige in seinem Pausenraum und konnte nicht fassen, dass er so eben um diese kleinen, geschmacklosen Reischips betrogen worden war. Er konnte nicht verstehen, wie dieser Mann mit so einer trockenen Art einfach Lebensmittel wegwarf, die ihm nicht einmal gehörten. Das diesem Unhold ein solcher Gedanke nicht gekommen war, wurde an den leicht überraschten Zügen Setos klar, welche sich nun auf dem hellen Gesicht ausbreiteten. Die klaren Augen fanden den entsetzen Blick der honigbraunen und schweigend kam der Übeltäter wieder zurück. Erst nach einer Weile, in der sich die beiden Männer angestarrt hatten, brach er das Schweigen. „Was irritiert dich genau an dieser Situation?“ Kam die kühle Nachfrage, wobei ein gewisses Zögern in den Worten zu hören war. Die sonst so erhabene Überlegenheit schien für einen kleinen Moment unterbrochen zu sein, als ihm klar wurde, wie seltsam der andere darauf reagierte. „Ich dachte, dass du nur einen Scherz machst!“ Begann Joey ehrlich, doch ein erstes Schmunzeln hob die Mundwinkel in die Höhe. „Das du sie wirklich wegwerfen würdest, hätte ich nicht erwartet.“ Kam die genauere Erklärung Joeys, doch der Firmenführer wirkte mit einem Mal erstaunter, als zuvor an diesem Abend. „Dir ist schon bewusst, mit dem wem du sprichst? Sehe ich so aus, als würde ich Behauptungen in den Raum stellen, die ich nicht gedenke einzuhalten?“ Mit einem Schulterzucken tat Joey diese Aussage ab und schob die Schüsseln alle in die Mitte des Tisches, um ihre leeren Gläser einzusammeln. „Du hast Recht, ich hätte dich nicht unterschätzen sollen. Mein Fehler.“ Gab er nun von sich und schien damit diese Sache abzutun. Nachdenklich betrachtete der 22-jährige Mann den Blonden, der sich so fleißig an die Arbeit machte und kaum später den Tisch noch einmal abwischte. Für ihn war noch immer nicht ganz klar, wie er diesen einzuschätzen hatte. Immer wieder überraschte ihn der Mann, den er aus einem bestimmten Grund zu seinem Sekretär gemacht hatte. Es ging darum, ihn zu vernichten, ihm seine Grenzen aufzuzeigen und nun hatten sie hier gesessen, so nahe, sich Dinge erzählt, die sie niemandem zuvor anvertraut hatten. Wie waren die Dinge so außer Kontrolle geraten? Wann waren die Selbstzweifel so groß geworden, dass er ihren Einfluss nicht mehr aus seinen Handlungen fernhalten konnte? Ab welchem Moment war ihm diese Geschichte aus den Händen geglitten, um ihn persönlich vor eine unüberwindbare Problematik zu stellen? Eine? Es gab so viele, dass er nicht wusste, wo er beginnen und wo er aufhören sollte. Vor wenigen Wochen war sein Leben übersichtlich und klar gewesen, doch nun bereitete sich ein Chaos darin aus, welches einen klaren Namen trug: Wheeler Joseph Jay! „Willst du wieder zurück?“ Seine eigene Frage überraschte ihn, doch Seto versuchte dieses Gefühl zu verbergen. Dieser Abend war ein seltsamer Strudel aus unerwarteten Gefühlen geworden, die von Frustration, über qualvolle Lust bis hin zu einer unerwarteten Verletzlichkeit ein unglaubliches Spektrum abdeckten. Die Gedanken bis zum nächsten Tag zu schicken, wagte er nicht. Er wäre sich nicht sicher, welche Gefühle dort auf ihn warten würden. Wäre er überfordert mit dem, was dort lauerte, wenn er sich mit der Freundin seines Bruders auseinandersetze? Die Stimme des Blonden riss ihn aus seinen Gedanken und er blinzelte kurz. „Ja, wollte ich. Bevor du noch mehr von meinen Chips wegschmeißt, bringe ich sie lieber in Sicherheit, indem ich dich wieder nach oben schicke.“ Kommentierte Joey die Frage, die ihm gestellt wurde. Die feinen Gesichtszüge bildeten einen skeptischen Ausdruck durch das Hochziehen der rechten Augenbraue. Die eisblauen Augen hatten einen leicht starren Blick, während sie das sonnengebräunte Gesicht eingehend musterten. „Egal, was du sagen möchtest, schweig!“ Forderte der Blonde in einem leicht belustigten Ton, der jedoch eine gewisse Ernsthaftigkeit nicht leugnen konnte. „Weißt du, das hier ist wieder eine klassische Situation, in der du es so richtig versauen kannst.“ Ein Funkeln lag in den braunen Augen und der Brünette zuckte nur leicht belustigt mit den Schultern. „Mein Ansinnen war es lediglich, die Zweifel an diesem Entschluss zu äußern. Wenn du darauf bestehst, dass ich dich deinem Verderben überlasse, werde ich schweigen.“ Mit einem leichten Rotschimmer auf den Wangen gab Joey noch einmal von sich. „Ja, bitte. Überlass mich meinem Verderben.“ Er lächelte verlegen und brachte den Lappen wieder zurück. Schnell hatte er noch einmal einen Handfeger und ein Kehrblech hervorgeholt, um die wenigen Chips aufzulesen, die unter den Tisch gefallen waren. Es dauerte nicht lange und auch diese Arbeit war erledigt. Seto war schon häufiger aufgefallen, dass der Blonde sehr gewissenhaft mit seiner Arbeit umging. Auch im Büro hatte er dies bereits bemerkt. Als der Barkeeper hinter ihnen die Tür schloss, spürte der Brünette eine unerwartete, innere Unruhe in sich aufsteigen. Mit ihrer Rückkehr waren noch immer gewisse Dinge nicht geklärt. Diese seltsame Offenheit zwischen ihm und dem Blonden hatte einen Hauch von Verletzlichkeit hinterlassen, die er nicht gänzlich verdrängen konnte. Dort oben erwartete ihn das Nachtleben, welches er liebte. An der Seite hübscher Frauen ausgelassen Feiern und bis in die Morgenstunden auf den Beinen sein, wäre an diesem Abend nicht das, was er erleben durfte. Mit einem leisen Einatmen stellte er sich die Frage, wie der kleine Koreaner auf seine Rückkehr reagieren würde. Besonders im Hinblick auf die Tatsache, dass er nun mit Joseph in den Keller verschwunden war. Da musste der Kleine doch auf verruchte Gedanken kommen. Würde sich der Koreaner ausreichend unauffällig verhalten oder geriet Seto doch in die Situation, dass er erklären müsste, was er nicht erklären sollte. Schweigend folgte er Joseph und starrte auf dessen breiten Rücken. Dieser Mann hatte sein Leben auf den Kopf gestellt und er würde gleich oben in der Nähe von ausreichend exquisiten Spirituosen sein, um die Versuchung immerfort zu spüren. Dabei war die Ablenkung von diesen Versuchungen recht mager: Zwar gab es die Aussicht auf ein unterhaltsames Spiel mit dem kleinen Koreaner, aber dem stand die widersprüchliche Anwesenheit des Blonden gegenüber. Ein Mann, den er immer weniger einschätzen konnte und von dem er nicht genau wusste, was dieser eigentlich von ihm wollte. Joseph hatte ihn hierhergebracht und wollte ihn ablenken, doch damit kamen sie nicht sehr weit. Jetzt fühlte er sich eher aufgewühlt und verwirrt. Das half ihm weder in der jetzigen Situation noch für das, was ihm Morgen bevorstehen würde. „Wo bist du denn mit deinen Gedanken?“ Riss ihn plötzlich eine Stimme aus der eigenen Trübsal und verwirrt starrte Seto in die honigbraunen Augen, die seinem Gesicht so nahe waren. Wann hatte sich der junge Mann umgedreht? Wo genau waren sie eigentlich? Mit einem Blinzeln begriff der Brünette, dass sie bereits vor dem Fahrstuhl standen, als sich dessen Türen öffneten. „Ich sehe schon, ich sollte dir nicht noch einmal sagen, dass ich dich mag. Jedes Mal scheint dich das ziemlich aus dem Tritt zu bringen.“ Scherzte Joey nun und warf einen Seitenblick zu dem schlanken Mann, der zögerlich in den Fahrstuhl folgte. Wieder beobachtete er, wie der Stock ausgewählt wurde und der Barkeeper mit seinem Armband die Freigabe erteilte. „Keine Antwort? Keine Beleidigung? Keine Empörung, dass dich Nichts aus dem Tritt bringen würde und schon gar kein Bonkosu wie ich?“ Stichelte Der 21-Jährige erneut und setzte ein dreistes, provokanten Lächeln auf. „Du interpretierst zu viel in mein Schweigen.“ Begann Seto mit einem kühlen Ton, in dem er seine eigene Verwirrung verbergen wollte. „Ich empfand deine geistigen Entgleisungen schlicht eines Kommentares nicht würdig.“ Die eisblauen Augen hielten dem Blick der Honigbraunen stand und doch blieb das breite Grinsen des Blonden unverhohlen. Es wirkte beinahe so, als konnte der Jüngere etwas in den Augen des anderen erkennen, dass diesen Lügen strafte. „Na, wenn du das sagst, dann lasse ich es so stehen und hänge der Liste der Gründe, warum ich dich mag, noch einen Punkt an.“ Stichelte Joey und wusste, dass der Brünette nichts mehr dagegen sagen konnte, denn mit einem leisen »Pling« öffneten sich die Türen des Fahrstuhles und die Musik umhüllte sie völlig. Ohne noch weiter auf den 22-Jährigen einzugehen, trat Joey in den Raum hinein und bahnte sich einen Weg durch die nur wenige Meter entfernte Menge. Zurück blieb ein schlanker Mann, dem die Frage „Welcher verdammte Punkt auf welcher verdammten Liste?“ deutlich anzusehen war. Das Schließen der Türen holte Seto aus seiner Verwirrung zurück und mit einem schnellen Schritt war er ebenfalls aus dem Fahrstuhl heraus. Die Musik empfing ihn, wie einen alten Freund. Das Bild der Tanzenden hier, die sich voller Freude im Dunklen der flirrenden Lichter bewegten, war ihm nur allzu bekannt. Der Geruch von Alkohol in der Luft, welche gleichzeitig von unterschiedlichen Düften gesättigt wurde, erinnerte ihn an so viele andere Abende zurück, die er schon auf der ganzen Welt in solchen Diskotheken verbracht hatte. Vielleicht sollte er wirklich tun, was ihm dieser Bonkotsu angeboten hatte: Einfach den Abend genießen, ausnahmsweise ohne Alkohol und mit den ewigen Gedanken aufhören. Er hatte ja schließlich auch nicht nachgedacht, als diese Schönheit in Dubai auf seinem Schoß gesessen hatte. Vielleicht wäre es an diesem Abend genau das Richtige. Mit diesem Entschluss zufrieden bahnte er sich einen Weg durch die Menge zurück an die Bar. Dabei passierte er wieder die Tanzfläche und erinnerte sich bei einem Blick zu dem DJ an dessen musikalische Aktion am Beginn dieses Abends. Wie hieß diese Geschichte mit den Piraten noch? One… irgendetwas… klang sehr absurd, wäre aber vielleicht eine Idee. Er musste sicher nicht viel dazu sagen, der Blondschopf würde von allein wie ein Wasserfall plaudern, wenn er ihn ließe. Damit hätte er auch jedes Thema umschifft, welches die nächsten Stunden ruinieren könnte. Nun musste er nur noch darauf hoffen, dass sein kleiner „Besitz“ sich nicht daneben benahm. Es wäre zu schade, wenn ausgerechnet deswegen ihr Spiel auffliegen würde. An der Bar war es voll geworden, doch der blonde Schopf war deutlich in dem Meer der Anwesenden zu erkennen. Es war einfach und so schlich sich Seto ein wenig an ihn heran. Wenn sie schon so nahe waren, dass sie einander die geheimsten Erinnerungen gestanden, dann standen sie sicher auch so nahe zueinander, dass der 21-Jährige eine kleine Lektion vertragen konnte. Immerhin ließ man einen Kaiba nicht einfach im Fahrstuhl zurück und machte sich dabei auch noch über ihn lustig! Die Musik war hier in der Ecke noch immer ausreichend laut und gerade schien der junge Mann mit den Gedanken wo anders zu sein. Diese Erkenntnis ließ eine andere Frage in Seto aufkommen. Obwohl sie hier in einer dichtgedrängten Menge standen, schien Joseph damit weniger Probleme zu haben. Er schien diese Situation lockerer zu nehmen als ihre Begegnungen im Büro. Diese Art der Nähe, der Berührungen schien ihn nicht zu stören, obwohl gerade diese Fülle Möglichkeiten bot, die nicht zu unterschätzen waren. Immerhin hatte Seto selbst so eben überlegt, dem jungen Mann einen Streich zu spielen, indem er sich von hinten an ihn heranschlich. Diese Gedanken ließen nur einen Schluss zu, der ihm nicht gefallen wollte: Offenbar lag es nicht an den Berührungen selbst, nicht an der unerwarteten Nähe, es lag allein an dem Mann, von dem sie ausgingen! Schweigend blieb er in der Menge stehen und wusste nicht, wie er mit diesem Gedanken umgehen sollte. Es stellte nicht das erste Mal fest, dass er so direkt mit den Folgen seines Handelns konfrontiert wurde, doch jetzt versetzte ihm diese Erkenntnis einen Stich. Er würde sich wohl damit auseinandersetzen müssen, dass er einen unwiderruflichen Fehler gemacht hatte. Hätte er die Frage in den Raum gestellt, wie er die Wahrscheinlichkeit bis zum Maximum steigern könnte, dass dieser Abend unerträglich würde, diese Erkenntnis wäre eine gute Antwort darauf. Alle Vorsätze, die er sich gerade vorgenommen hatte, verloren sich direkt wieder und seine Stimmung sank. Dieser Abend war doch wirklich eine absolute Katastrophe! Von einem Hoch ging es ins nächste Tief und seine Gefühle waren ein reines Chaos. Gefühle! Es war einfacher, sie zu unterdrücken und zu ignorieren, als sich mit ihnen auseinander zu setzen. Sie sorgten für Selbstzweifel und Schuld! Wofür brauchte man so etwas? Welchen Sinn hatten solche Gefühle? Sie hielten einen auf und bereiteten einem nur Scherereien. Es gab keinen einzigen Grund, der die Existenz dieser Abartigkeiten rechtfertigte! Mit dem nächsten Herzschlag schien sein Verstand ihn rügen zu wollen. Die Erinnerung an das Bild auf seinem Schreibtisch traf ihn wie einen Schlag und er knurrte leise. Mokuba war schon immer ein wunder Punkt gewesen und ja, dieser Ausflug war wahrlich etwas Angenehmes gewesen. Hatte er nicht eben noch behauptet, dass all diese Gefühle überflüssig und ungerechtfertigt waren? Die Laune sank zu einem neuen, unerwarteten Frustrationstief, dass ihn nur zwei Meter vor der Bar stehen bleiben ließ. Es war laut, die Menschen drängten sich um ihn herum, ihre Stimmen vermischten sich mit der Musik und alles schien ihm mit einem Mal so unerträglich. Absolut und gänzlich unerträglich. Plötzlich berührte jemand seine Schulter und eine weibliche Stimme fragte. „Willst du zur Bar oder stehst du nur gerne im Weg?“ Sofort suchten seine blauen Augen die Frau, die ihm da so nahe gekommen war und bevor noch ein frecher Kommentar seinerseits zurückgeschmettert werden konnte, hatte ihr Erscheinungsbild ihn bereits eingenommen. Vor ihm stand eine junge Frau vielleicht etwas älter als er mit langen, rabenschwarzen Haaren. Der penibel geschnittene Pony verdeckte die feinen, schwarzen Augenbrauen nicht, von der eine provokant in die Höhe geschwungen war. Sie blickte ihn aus atemberaubend grauen Augen an, welche bei den flirrenden Lichtern des Abends funkelten, als läge der gesamte Sternenhimmel in ihnen. Die feinen Gesichtszüge schienen wie ein Meisterwerk an Perfektion, ein Ebenbild sinnlicher Verführung. Sie trug ein schulterfreies, schwarzes Oberteil mit langen, enganliegenden Ärmeln. Frech zogen sich die feinen, schlichten Träger ihres BHs über die weiße Haut und ergaben doch mit der ebengleichen Farbe eine kaum trennbare Kombination. Es war eng hier und so konnte er nicht viel mehr von ihrer Kleiderwahl erkennen. Die eisblauen Augen schienen sie begierig zu betrachten, sodass ihre rotgeschminkten Lippen ein süffisantes Lächeln erhielten. „Ah, wie der Ochs vorm Berge stehen.“ Kommentierte sie frech und ein erstaunter Ausdruck huschte über das Gesicht des Firmenführers. Er schüttelte den Kopf und mit einem hinterhältigen Lächeln beugte er sich zu ihr hinunter, denn sie war ein gutes Stück kleiner als er. „Nein, keineswegs. Ich war nur am Abwägen, wie ich beide Punkte zugleich mit dir verbinden könnte.“ Seine tiefe Stimme hatte diesen verführerisch anrüchigen Ton und es war deutlich, worauf er hinaus wollte. Sie hingegen ließ sich nicht beeindrucken und schenkte ihm einen unschuldigen Augenaufschlag. „Du möchtest mir also ganz bewusst auf die Nerven gehen und auf der „Ich-will-dich-heute-Abend-nicht-wiedersehen-Liste“ landen?“ Fragte sie ihrerseits mit einem beinahe zuckersüßen Frohlocken. Setos schlanke Augenbraue wanderte in die Höhe und zeigte seine Verwunderung. Sie war nicht nur betörend attraktiv, sondern auch noch geschickt schlagfertig. „Warum sollte mein Interesse darin begründet liegen? Ich dachte eher an ein sicheres Geleit bis zur Bar.“ Dass er nun wahrhaftig in die Position der Rechtfertigung kam, bemerkte er erst zu spät. Sie hingegen blieb weiter unnahbar, legte kurz eine Hand auf seinen Oberarm, um an ihm vorbei zu blicken. „Für diese Distanz ist jede Begleitung überflüssig und auch für längere Wege benötige ich keinen Schutz. Wie dir aufgefallen ist, komme ich gut allein zurecht, nicht wahr?“ Als er die Wärme ihrer Finger auf seinem Oberarm spürte, jagte ein Kribbeln durch diesen und es fiel ihm schwer, den Blick auf sie gerichtet zu halten. Sie hatte Recht, den Korb, den sie ihm verpasst hatte und die Art, wie sie mit ihm spielte, zeigten ihm klar ihre aktuelle Überlegenheit. Nur ließ ein Mann wie Seto das nicht auf sich sitzen! Sie heute Abend noch zu verführen und zu erobern, würde diesen tristen Abend mit einem unerwarteten Highlight versehen. Leicht würde sie es ihm auf keinen Fall machen und mit einem anerkennenden Nicken schob er sich zur Seite, damit sie an ihm vorbei gehen konnte. „Darf ich dich wenigstens auf einen Cocktail einladen?“ Fragte er nun in einem schmeichelnden Ton, als sie ihn zu passieren versuchte. Kaum hatte sie seinen Vorschlag gehört, als sie erneut stehen blieb und die Augen kritisch verengte. Im nächsten Moment drehte sie sich um und stand nun erneut sehr dicht vor dem Brünetten, der sich leicht zurückbeugen musste, um ihr wirklich in die Augen zu sehen. Von hier aus war es verlockend, den Blick weiter nach vorne schweifen zu lassen und so herauszufinden, wie eng ihr Oberteil saß und was noch außer den Trägern ihres BHs zu erkennen wäre. „Ich hatte nicht erwartet, dass du versuchen würdest, mich auf diese Weise zu manipulieren. Ist das nicht unter deiner Würde?“ Fragte sie in einem anklagenden Ton und etwas Vorwurfsvolles lag in den grauen Augen, die so umwerfend funkelten. Etwas entrüstet reagierte nun Seto, der sich fälschlich angeklagt sah. „Ich denke, dass du da ein wenig verwechselst. Vielleicht mag der durchschnittliche Mann dem Irrglauben unterliegen, dass die Menge der ausgegebenen Getränke einen gewissen Handlungsdruck auf die Frau ausübt. Mir jedoch ist sehr wohl bewusst, dass es dir lediglich einen größeren Handlungsspielraum gibt, während es dir nach Belieben zusteht, meine finanzielle Situation auszunutzen.“ Zog er nun Stellung zu seinen eigenen Überzeugungen und erhielt beinahe unerwartet einen anerkennenden Blick. Sie schien seine Meinung zu vertreten, doch mehr bekam er nicht. Die dann folgenden Worte trafen ihn erneut wie einen Peitschenhieb. „Nach all meinen einfühlsamen Kommentaren sollte dir doch bewusst sein, dass meine finanzielle Situation ausreichend ist, um nicht auf einen Mann angewiesen zu sein! Ich lehne ohne Dank ab! Auch wenn ich anerkennen muss, dass diesen Scharfsinn nur wenige Männer aufweisen.“ Sie war eine Frau ohne Gleichen. All dies sagte sie mit einem engelsgleichen Lächeln auf den Lippen, die mit einem leichten Rotton geschminkt waren. Noch immer stand sie dicht vor ihm, die Menge an Menschen, welche um sie herum standen, drängte sich stets zum Bartresen hin und ließ ihnen wenig Platz. „Dann werde ich wohl einen weiteren unerwarteten Zug durchführen. Anscheinend bist du niemand, denn ich mit den normalen Mitteln beeindrucken kann.“ Begann er mit einem anerkennenden Ton in der Stimme und sie blickte ihn erstaunt an, welches er sehr genoss. „Existiert überhaupt eine Option, eine Frau wie dich zu beeindrucken oder stehe ich von vorneherein auf verlorenem Posten?“ Diese Frage imponierte sie zumindest ein klein wenig, denn sie ließ die Option offen, dass er unverrichteter Dinge aufgeben musste. So etwas hätte sie von einem so offenkundig selbstverliebten Kerl nicht erwartet. „Welches sind denn deine bisherigen Methoden gewesen, um Frauen wie mich zu beeindrucken?“ Fragte sie frech nach und warf ihm einen unschuldigen Augenaufschlag zu. Dass er direkt ansetzen wollte, bemerkte sie, doch er fing sich, bevor ein einziges Wort über seine Lippen kam. Schlauer Junge. Dabei wollte sie doch, dass er gleich auf einmal seine Karten auf den Tisch legen musste. „Oh, du kennst einen Teil schon. Geld. Ausreichend, um diese ganze Diskothek aufzukaufen.“ Warf er ihr einen nicht weiter bedeutenden Punkt zu, denn die finanziellen Mittel hatten sie bereits geklärt. Ihr Spiel hatte er gerade noch rechtzeitig durchschaut. Es war beinahe erschreckend, wie stark der Impuls war, ihr auf ihre Frage all seine Vorgehensweisen zu verraten. Der Ausdruck in ihrem Gesicht verwandelte sich kurz in einen Vorwurfsvollen, als wolle sie ihn für diese nutzlose Aussage tadeln. Dann jedoch gab sie mit einem bittersüßen Lächeln beiläufig den Kommentar. „Oh, nur diese Diskothek?“ Als wollte sie ihm unterstellen, dass damit alle Mittel ausgeschöpft wären. Geflissentlich überging der Brünette diese Anspielung und verlegte sein Vorgehen auf eine gewisse Provokation. „Eine andere Strategie ist es, Frauen nur auf ihre äußere Schönheit zu reduzieren und ihnen zu schmeicheln, dass keine andere Frau bisher diesen Liebreiz versprüht hätte.“ Begann er ihr zu berichten und konnte direkt die fragenden Furchen auf ihrer hübschen Stirn erkennen. Sie schien unsicher über die genaue Bedeutung dieser Aussage zu sein, denn ihnen war beiden bewusst, dass die schwarzhaarige Schönheit sowohl Intelligenz wie auch Charakter besaß. Den Moment noch auskosten klärte Seto sie nach einer kurzen Pause mit einer schalkhaften Freude über den Hintergrund seiner Aussage auf. „Keine Strategie, die ich bei dir anwenden kann. Dir ist bewusst, dass deine äußeren Werte niemals deinen inneren Starrsinn überspielen könnten.“ Sie benötigte nicht einmal einen Herzschlag, um seine Worte zu verstehen. Nachdem er sie schon so offensichtlich herausfordern wollte, kam diese Beleidigung beinahe unerwartet. Ihre funkelnden Augen verengten sich und sie schien über diesen Kommentar nicht glücklich zu sein. Dass eben begonnene Spiel hatte ihr Freude bereitet, aber so offensichtlich als starrsinnig bezeichnet zu werden, kränkte sie. Dieser Zug verdarb ihr das Interesse an jeder weiteren Kommunikation und so versuchte sie sich von ihm abzuwenden und eine gewisse Distanz zwischen sie zu bringen. In dem noch immer gut gefüllten Bereich der Bar war dieses Unterfangen jedoch recht schwer. Bevor sie ihm noch entweichen konnte, schob er sich die wenigen gewonnenen Zentimeter zu ihr und zog sie besitzergreifend an sich. Er beugte sich vor, damit er mit tiefer Stimme in ihr Ohr raunen konnte. „Du warst es, die mich provozieren wollte. Denkst du, dass ich einfach so meine Karten auf den Tisch lege?“ Die grauen Augen schlossen sich, ihr ganzer Körper spannte sich an. Sie schien seine Nähe nicht zu schätzen, wenn er derjenige war, der sie suchte. Für einen Moment schien sie stocksteif, bevor ein fragender, beinahe verführerischer Schein in ihre Augen trat, mit denen sie von unten zu dem Brünetten aufblickte. „Ich habe lediglich eine Frage an dich.“ Begann sie in einem zuckersüßen Ton, der ihm einen Schauer der Gefahr über den Rücken jagte. „Hast du eine Freundin?“ Diese Frage kam so unterwartet, dass der Brünette die Augenbrauen in die Höhe zog. »Ja« wäre als Antwort falsch, »nein« aber auch nicht korrekt. Kurz überflog er die Optionen, die für eine Erwiderung übrig blieben. Die fremde Schönheit hatte jedoch sein Schweigen bereits gedeutet und schüttelte nur den Kopf. „Vergiss es! Entweder kannst du ja oder nein sagen. Aber bei deinem Schweigen und der Tatsache, dass du über die Antwort nachdenken musst, hat sich für mich die Sache erledigt.“ Mit beiden Händen stemmte sie sich nun gegen den Brünetten, der sie ohne Zögern wieder losließ. Sie trat so gut es eben ging zurück und eine unbeschreibliche Kälte lag in ihren Augen. Offenbar war sie der Überzeugung, dass er heute Nacht bereit war, seine eigene Freundin zu betrügen. Diese Reaktion war heftig und beschwichtigend versuchte der Brünette sie zu beruhigen. „Ok, es ist kompliziert.“ Sein Blick war fest auf ihre zarten Gesichtszüge gerichtet, doch sie wirkte steinern wie eine Granitstatur. „Kompliziert wie du hast ganz zufällig gerade heute eine Beziehungspause eingelegt?“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust und starrte ihn abfällig an. Mit einem Seufzen schloss Seto die Augen und wurde sich dessen bewusst, dass er verloren hatte. Es entsprach zwar der Wahrheit, aber wie glaubwürdig wäre seine Aussage? Er hatte verloren und damit die einzige Aussicht auf einen angenehmen Ausgang des Abends verspielt. „Ja, genau das! Frag JayJay, wenn du mir nicht glaubst.“ Gab er frustriert von sich, um mit einer Hand ungenau auf die Bar zu deuten. Während die Musik noch immer dröhnte, schien die Fremde plötzlich zögerlich zurückhaltend. Etwas an seinen Worten schien sie zu verunsichern. „JayJay? Wie der Barkeeper JayJay?“ Fragte sie skeptisch und erhielt ein Nicken. Verwundert drehte sie sich um und suchend ließ sie den Blick schweifen. Der blonde Schopf war nicht weit von ihnen in der Menge auszumachen und nachdenklich legte sie die sonst so makellose Stirn in Falten. Anscheinend kannte sie den jungen Mann und es schien sie zu überraschen, dass dies auch Seto tat. Ihre grauen Augen suchten ein weiteres Mal den unbekannten Brünetten und sie schien zu überlegen. „Was hast du mit ihm zu schaffen?“ Wollte sie nun wissen und Seto zuckte mit den Schultern. „Frag ihn! Mir würdest du doch eh nicht glauben. Deiner Meinung nach bin ich der reiche Schnösel, der nichts weiter als kurzfristige Freunden im Sinn hat und dafür jegliche Lüge in den Raum stellt, die ihm dabei helfen kann.“ Kurz zeigte sich ein Schmunzeln auf ihrem Gesicht und sie gab frech von sich. „Schön zusammengefasst.“ Dann jedoch verschwand die Lieblichkeit wieder aus ihrem Gesicht und sie folgte seinem Rat. Elegant drehte sie sich von ihm weg und bahnte sich einen Weg zur vollen Bar, an welcher noch immer der Blondschopf saß. Sie war geschickt, nutzte jede Lücke aus und plötzlich wurde Seto klar, dass sie sich ohne Probleme an ihm hätte vorbei bewegen können, ohne ihn anzusprechen. Anders ausgedrückt: Sie hatte ihn ganz bewusst angesprochen! Irgendwie schaffte es dieser Abend, immer wieder mit neuen Herrlichkeiten zu locken, nur um ihn dann frustriert und allein zurückzulassen. Auch der Moment, in dem die Unbekannte Joseph ansprach und dieser ihr ein strahlendes Lächeln schenkte, machte es ihm nicht leichter. Dieser Abend hatte ihm mehrfach gezeigt, dass alle guten Optionen nur Schall und Rauch waren. Mit einem starren, kühlen Blick beobachtete er die beiden, die sich zuerst unterhielten, bis sie dann beide zu ihm blickten. Die Schwarzhaarige deutete auf ihn und Joseph lachte. Worüber sie sich unterhielten, konnte Seto nicht hören, dafür war die Musik zu laut, doch sein Lachen klang schwach bis zu ihm hinüber. Dann hob er die Hand und winkte dem Firmenführer zu, als wollte er sagen, dass er zu ihnen kommen sollte. Die honigbraunen Augen wandten sich wieder der Frau neben ihm zu und er schien mit ihr zu sprechen. Es dauerte nicht lang und die ernsten Gesichtszüge verwandelten sich in einen gnädigeren Ausdruck, wobei sie dennoch nicht überzeugt wirkte. Sie beugte sich nahe zu ihm, schien ihn erneut etwas zu fragen, doch Joeys Grinsen blieb. Er schien ihr etwas zu erklären, gestikulierte und sie zog die Augenbrauen zusammen und setzte ein nachdenkliches Gesicht auf. Auch dem Blonden schien dies aufgefallen zu sein und so sprach er weiter, bis sich ein leichtes Schmunzeln auf den hübschen Lippen abzeichnete. Mit der Entwicklung des Abends kam er nicht zurecht. Nichts war, wie es sein sollte, ständig änderten sich die Erwartungen und die Bedingungen, sodass er sich neu zurecht finden musste. Eine gewisse Frustration stieg in ihm auf, während er das grinsende Gesicht des Barkeepers anstarrte. Gleichzeitig trat auch eine Resignation ein. Was half es schon? Pläne waren für heute Abend wohl passé und Kontrolle eine verlorene Illusion. Schwer atmete er ein und versuchte die Resignation, in welcher der Frust erstickte, als etwas Gutes zu sehen. Zumindest schien Joseph wieder auf den Beinen zu sein. Ihr Gespräch hatte der Blonde wohl besser verkraftet, als er selbst. Dachte er daran zurück, fühlte sich die Zustimmung und Unterstützung des jungen Mannes seltsam an. Er hatte ihn nicht dafür verurteilt, hatte keine Schuld bei ihm gesehen, nein, sogar verteidigt. Er war damals nur ein Kind gewesen. Nachdenklich stellte er sich die Frage, wie sie beide geworden wären, wenn ihre Väter Väter gewesen wären. Mit einem Hochziehen der Augenbrauen kommentierte er die Aktion des Barkeepers, der mittlerweile beide Arme gehoben hatte, um nach ihm zu winken. So verschränkte er die Arme vor der Brust und blieb demonstrativ stehen. Das auftretende Entsetzen in den Gesichtern der beiden, welche auf ihn warteten, was herrlich. Die unbekannte Schönheit ließ ihre roten Lippen einen Spalt offen stehen, die grauen Augen wirkten groß und die Augenbrauen wurden so weit in die Höhe gezogen, dass sie unter dem schwarzen Pony verschwanden. Joseph hingegen stockte, die Arme noch immer in der Luft den Mund weit offen, als wollte er gleich schreien. Plötzlich legte er die Hände um den Mund, um einen Trichter zu bilden und holte Luft. Gut, er wollte schreien. Als Seto diese Erkenntnis bewusst wurde, durchfuhr ihn eine gewisse Verlegenheit. Nun war er es, dessen Gesicht die verräterischen Zeichen des Entsetzens zeigten und er löste die Verschränkung der Arme sofort wieder. Diesem Mann war auch nichts peinlich oder? Brummte er in Gedanken und drängte sich mit der Masse die wenigen Meter hinüber zu den beide, die jetzt einen triumphalen Ausdruck trugen. Während die Unbekannte wenigstens noch versuchte, die Dreistigkeit zu überspielen, wenn auch ohne Erfolg, so zeigte sie sich doch sehr klar auf dem Gesicht des Blondschopfes. „Du willst dich also schamlos an Mimi-chan ran machen?“ War die erste Entgegnung, die der Barkeeper von sich gab. Die eisblauen Augen suchten sein Gesicht und verstimmt brummte er zurück. „Die Schamlosigkeit kann ich nicht bestätigen, mein klares Interesse an einer intelligenten, attraktiven Frau jedoch ganz klar.“ Die ihm indirekt als Mimi vorgestellte Dame schenkte ihm ein mitfühlendes Lächeln. „Wollte, Jay Jay, er wollte sich an mich ran machen.“ Neckte sie ihn zusätzlich und das noch eine Spur breiter werdende Grinsen Josephs machte klar, dass auch dem Blonden das Ende dieses Eroberungszuges bekannt war. „Ist ja gut! Ich habe meine Niederlage verstanden!“ Klang nun ein wenig genervter und Joey musste sich auf die Unterlippe beißen, um dies unkommentiert zu lassen. Kaiba Seto gab eine Niederlage zu? Dass er das noch erleben durfte! Offensichtlich war der Brünette heute Abend der Unterlegene. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)