Star Wars: What Lies Beneath von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 7: Cries in the Dark (2) -------------------------------- Es regnete bereits seit Tagen, beständig, unaufhörlich, ununter-brochen, als würde der Himmel über Dantooine all die Tränen weinen, zu den Orianna nicht mehr fähig war. Der graue Regenschleier schien die Leere in ihrem Inneren wie ein bleierner Vorhang zu bedecken. Es war für sie kaum vorstellbar, dass erst vor wenigen Wochen ein Krieg zu Ende gegangen war, der sie und ihre Familie nicht nur in eine finanzielle, sondern auch viele Monate lang in eine emotionale Krise gestürzt hatte. Wenig hatte sich seitdem in Solely City geändert, außer, dass man nun an jeder Straßenecke von den Neuerungen sprach, die Palpatine für sein Galaktisches Imperium vorgesehen hatte. Viele der Händler, deren Geschäfte ebenso schlecht gelaufen waren wie Bithras', waren deswegen schon in heller Aufregung. Eine dieser Neuerungen war der neue Ausweis, der in diesem Augenblick auf Oriannas Schoß ruhte. Ein langweiliges graues Ding, nicht einmal groß genug, um ihren Handteller auszufüllen und kaum dicker als ein einfaches Stück Flimsiplast. Gelangweilt betrachtete sie die kleine Karte und versuchte sich die Markierungen am oberen Rand genau einzuprägen, was ihr allerdings nicht wirklich gelang. Seit dem Tag, als die Separatisten über Coruscant hergefallen waren, fiel es ihr schwer, sich auf irgendetwas zu konzentrieren. Oft bemerkte sie weder das Kommen und Gehen ihrer Mitmenschen, noch Sonnenauf- oder Sonnenuntergang. Es konnte regnen, so wie heute, und es war ihr egal. Mit einem sanften Ruck ließ Bithras den Speeder nach rechts in eine Seitenstraße abbiegen, während Casseia auf dem Beifahrersitz gedankenverloren aus dem Sichtfenster in den Regen starrte. Orianna stemmte sich auf ihrem Sitz hinter Bithras kurz in die Höhe, um ihr Gewicht zu verlagern. Wenig später wurden sie langsamer und hielten schließlich an. „Wir sind da“, informierte er die beiden Schwestern und klang dabei, als würde er sich nicht ganz trauen, überhaupt etwas zu sagen. Orianna verübelte es ihm nicht; Casseia konnte in letzter Zeit öfters der Geduldsfaden reißen. Ohne große Eile löste sie die Sicherheitsgurte und stieg aus dem Speeder, das Gesicht unter einer schützenden Kapuze verborgen. Auf der anderen Seite tauchte Casseias Kopf auf. Auch sie beeilte sich, ihre Kapuze überzustreifen, um nicht weiter durchnässt zu werden. Ausdruckslos starrte Orianna die dicken Regentropfen an, die vom Wasser abweisenden Mantel ihrer Schwester perlten. Bithras sicherte das Fahrzeug, während die beiden Schwestern bereits die Treppenstufen vor dem Haupttor des Med-Zentrum empor klommen. Es war kein fröhlicher Tag, selbst wenn Ilya daheim auf die Rückkehr der Familie gewartet hätte. Denn endlich, nach mehr als vier langen Jahren des Leidens, war ihre Mutter auf die andere Seite der Macht übergetreten. Anfangs hatte Orianna sich gefragt, was sie wohl nun mit all der freien Zeit anstellen sollte. Sie war bereits so sehr daran gewöhnt jeden zweiten Tag – immer im ständigen Wechsel mit Casseia – in die Siedlung zu fahren, um ihrer Mutter dabei zuzusehen, wie sie langsam vor sich hin gestorben war, dass es ihr abwegig vorkam, die alte Frau könnte wirklich aus dem Leben geschieden sein. Nun gab es für Orianna nichts mehr, um das sie sich scheren musste. Das Anwesen – und damit ihr ganzes Leben – war nun so gut wie sicher in Bithras und Casseias Händen. Alles was ihr blieb waren wohl Sarzamins Besuche, wenn sie mit ihrem Vater am Ende der Woche zum Anwesen kam, um den Garten zu pflegen. Sie war ihre einzige Verbindung zu den Dingen außerhalb ihrer beschränkten kleinen Welt. Sarzamin schien manchmal aus einem anderen Universum zu stammen, aus einer wunderlichen Galaxis weit jenseits der blauen Energiebarrieren, die das Anwesen schützten. Und doch glaubte Orianna bereits das Getuschel der Siedler hören zu können, wie sie sich beim Einkaufen darüber unterhielten, was aus dem Hause Matale geworden war, der stolzen Familie, die sich seit mehr als 4000 Jahren in die Geschichte Dantooines einschrieb. „Die Marjumdars sind nur ganz entfernt mit den Sandrals verwandt", hörte sie die Leute sagen. „Eine ganz dünne und schwache Blutlinie. Frex Sandral wird alles von seinem Vater erben, die Marjumdars sehen von dem Geld kein Stück.“ „Natürlich nicht, darum haben sie ja auch den alten Cailetet dazu überredet, mit der älteren Matale-Tochter anzubandeln.“ „Ja, und jetzt kann sie keine Kinder kriegen und wirft das Geld ihres toten Vaters zum Fenster raus. Erst neulich hat sie eine Bestellung für sündhaft-teure Rinkenseide bei uns in Auftrag gegeben. So treiben sie sich langsam in den Ruin.“ „Nun, die Jüngere ist mir auch nicht geheuer. Die wandelt umher wie ein lebendiger Geist.“ Voll Bitterkeit dachte Orianna daran, welches Loblied die Siedler von Solely City noch auf die Heirat zwischen Bithras und Casseia gesungen hatten. Wie sie alle angekrochen waren, die Kusinen dritten Grades oder die um viele Ecke angeheirateten Tanten und Onkel. Wie viele Siedler hatten sich vor 7 Jahren noch an eine alte, entfernte und längst vergessene Verwandtschaft erinnert, nur um als Gast zur Hochzeitsfeier eingeladen zu werden? Andererseits kam Orianna nicht umhin ihnen zuzustimmen, was Casseias Betragen betraf. Nachdem sie sich vom Essen abgewandt hatte, um nicht die Maße eines Hutts anzunehmen, war sie stattdessen dazu übergegangen, ihrem Unglück mit teuren Kleidern, Schmuck und sonstigen Luxusgütern entgegenzuwirken. Ganz gleich, ob ihr Mann angesichts der eingehenden Rechnungen kalkweiß im Gesicht wurde und zu überlegen begann, welches Erbstück sie am besten versetzen sollten, um nicht durch Casseias Konsum dem Bankrott anheimzufallen. Sie hatte eine Sucht durch eine andere ersetzt. Orianna hatte selbstverständlich keinen Einfluss auf derartige Dinge. Der Kampf um das Erbe, das Anwesen, das Geld, einfach Alles war schon vor ihrer Geburt beigelegt worden. Casseia war nun einmal als Erste geboren worden und hatte stets das Wohlwollen und die Aufmerksamkeit der Eltern ganz für sich allein beansprucht. Schon früh hatte Orianna keinen Sinn darin gesehen, mit Casseia um die Gunst von Vater und Mutter zu wetteifern. Und nun war es ohnehin zu spät dafür... Im Inneren des Med-Zentrums schloss Bithras wieder zu ihnen auf, wo sie vom kühlen Durastahl und dem Geruch von Desinfektionsmittel begrüßt wurden. Überall in der Eingangshalle strömten Reinigungsdroiden umher und polierten den weißen Boden auf Hochglanz; der verzweifelte Versuch, die ärmliche Ausstattung der Behandlungsräume und den Mangel an Medikamenten und qualifizierten Arbeitskräften zu vertuschen. Würde Orianna hier nicht ein und ausgehen, hätte sie vielleicht noch einen Gedanken für diese sinnlose Effekthascherei übrig gehabt. Ihre Füße trugen sie beinahe automatisch zu den Turboliften hinüber. Bithras hielt Casseias Hand, sagte jedoch nichts. Auch die Schwester schwiegen, während der Lift zur fünften Ebene aufstieg. In der Abteilung für Innere Medizin wurden sie sogleich von einer kleinwüchsigen Pflegerein empfangen und in das Büro des leitenden Arztes geführt. „Der Leichnam ihrer Mutter befindet sich im Augenblick noch in der Pathologie. Aber wir können Ihnen versichern, dass Sie nicht gelitten hat“, sagte die Pflegerin. Bei dem Wort „Leichnam“ ließ Casseia ein zunächst trockenes Schluchzen hören, als bräche ihre Trauer endlich aus ihr heraus, und sank dann ermattet auf einen Stuhl vor dem Schreibtisch des Arztes. Doch während Bithras sich beeilte, die Hand seiner Frau zu drücken und ihr beruhigende Worte ins Ohr zu flüstern, damit sie nicht in einen hysterischen Weinkrampf ausbrach, stand Orianna am Fenster und starrte teilnahmslos aus dem Fenster. Casseia weinte zu oft, um noch glaubhaftes Mitleid in ihr erwecken zu können. Die Pflegerin verließ das Zimmer. Wenig später erschien dann der behandelnde Arzt und begrüßte die Familie. Kaum hatte er das Wort an Casseia gewandt, gab es für diese kein Halten mehr. Hemmungslos schluchzend warf sie sich in die Arme ihres Ehemannes und ließ ihren Verstand mit ihren Tränen davon schwimmen. Bithras und der Arzt wechselten verdatterte Blicke. Mit einem „Vielleicht wäre es besser, wenn...“ schob der Arzt das Ehepaar langsam zurück zur Tür und riet ihnen, sich an die Pflegerin zu wenden, damit sie Casseia ein Beruhigungsmittel verabreiche. Er würde sich inzwischen mit Orianna unterhalten. Diese stand noch immer ungerührt am Fenster und starrte in den Regennebel, als der Mann schließlich zurückkam. Dennoch entging ihr nicht die Erleichterung auf seinem Gesicht, als er sich hinter seinen Schreibtisch setzte und ein paar Tasten an der Konsole bediente. „Möchten Sie etwas trinken?“ fragte er. „Nein, danke.“ „Möchten Sie sich nicht setzen?“ Orianna antwortete nicht. „Eigentlich ist es ganz gut, dass Ihre Schwester nicht hier ist“, gestand der Arzt und überging damit Oriannas Mangel an Reaktion, „immerhin ist manches von dem, was ich Ihnen nun anvertrauen werde nicht gerade leicht zu verdauen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Es wäre ihrem seelischen Zustand nicht zuträglich.“ „Sie ist ein schwacher Mensch“, sagte Orianna schlicht. „Vielleicht“, erwiderte der Arzt. Seine Finger huschten flink über ein Flüssigkristalldisplay, das in die Tischplatte eingelassen war. Aus dem Augenwinkel entdeckte sie einige Akteneinträge und Befunde. „Wie dem auch sei, Ihre Mutter ist in der vergangenen Nacht zwischen 1.15 und 1.30 Uhr gestorben. Ihr Herz hat einfach aufgehört zu schlagen, während sie geschlafen hat. Ein sehr gnädiger Tod, wenn man bedenkt, wie lange sie nun schon bei uns war.“ „Warum sollte dies meine Schwester so sehr entsetzen? Uns war klar, dass sie eines Tages stirbt“, sagte Orianna sachlich. „Das schon. Allerdings war nicht ihr Herzkreislaufsystem belastet, sondern ihre Nervenleitbahnen. Hätte sie einen Schlaganfall gehabt oder eine andere Störung im Zentralen Nervensystem, wäre sie eine schockartigen, schmerzhaften Tod gestorben. Sie waren ja dabei, als sie ihren ersten Anfall hatte.“ Er berührte einige Elemente auf dem Display mit einem dünnen Stift und blätterte durch die Patientenakte, die man für Oriannas Mutter angelegt hatte. Es dauerte eine Minute, ehe er langsam weitersprach. „Das Besondere an ihrem Tod ist, dass sie eben nicht ihrer Krankheit erlag.“ „Worauf wollen Sie hinaus?“ „Wissen Sie“, sagte er langsam, „ich habe in den vergangenen 4 Jahren einige Theorien über den Zustand ihrer Mutter aufgestellt. Die meisten davon musste ich wieder verwerfen, weil ihre Beschwerden sich einfach nicht damit in Einklang bringen ließen. Eines machte mich immer stutzig. Ich glaube, Ihre Mutter war im Inneren zerrissen. Einerseits sehnte sie sich nach der Wiedervereinigung mit ihrem Ehemann, andererseits klammerte sie sich an einen Gedanken, der sie aufrecht hielt, der sie davor bewahrte zu sterben. Das allein ist, denke ich, der Grund dafür, dass sie einerseits so bald nach dem Tod ihres Mannes erkrankte und doch so lange weiterleben konnte.“ Langsam drehte der Arzt den dünnen Stift zwischen den Finger und starrte ihn an, damit er Orianna nicht ansehen musste, welche nun ihre Blicke vom Regen jenseits des Zimmers abwandte. „Ihre Schwester selbst hat mir den Beweis dafür geliefert, wissen Sie. Als sie vor kurzem hier war wegen einer Untersuchung. Als man ihre Unfruchtbarkeit diagnostizierte, muss das irgendwie seinen Weg in das Krankenzimmer Ihrer Mutter gefunden haben. Zumindest würde es mit einem zusammenpassen.“ „Und was soll das sein?“ fragte Orianna, die nun aufmerksam zuhörte. „In ihren klaren Momenten sprach Ihre Mutter oft von Casseia und Bithras. Sie sprach sogar ungewöhnlich oft davon, wie sehr sie sich einen Enkel wünsche und manchmal – so haben es mir zumindest die Pfleger gesagt – beschimpfte sie Casseia, dass sie sich nicht genug anstrenge, um ein Kind zu bekommen.“ „Und als sie dann erfuhr, dass meine Schwester aus medizinischer Hinsicht keine eigenen Kinder empfangen kann...“, führte Orianna finster fort. „Ich verstehe schon.“ „Und leider haben wir hier auf Dantooine oder in den umliegenden Systeme nicht die medizinischen Fähigkeiten, um ihre Schwester zu heilen, dafür ist ihr Problem zu selten und zu speziell. Eigentlich ist der ganze Sektor medizinisch unterentwickelt. Die wenigen modernen Einrichtungen, die wir haben, wurden entweder durch separatistische Streitkräfte zerstört oder werden weiterhin von den Kernwelten beansprucht. Ganz zu schweigen davon, dass dort exorbitante Behandlungskosten erhoben werden“, bemerkte er mit einem freudlosen Lächeln. „Daran merkt man wieder einmal, wie zurück geblieben dieser Planet eigentlich wirklich ist.“ Orianna nickte bloß. Was sollte sie dazu schon sagen? So, wie er es dargelegt hatte, ergab es durchaus Sinn. Manches hatte sie sich selbst bereits gedacht, jedoch nicht so konkret in Worte fassen können. Es vergingen einige Augenblicke voll unbehaglichem Schweigen, bis Orianna sich von ihm abwandte und langsam zur Tür hinüber ging. „Wenn das alles ist, bitte ich Sie, mich zu entschuldigen. Ich muss nach meiner Schwester sehen und dann die weiteren Formalitäten in Angriff nehmen.“ „Warten Sie!“ Er stand so schnell aus seinem Sessel auf, dass er schon ein wenig hektisch wirkte. „Da ist noch etwas!“ Mit fragendem Blick kehrte Orianna noch einmal der Tür den Rücken zu. „Wie bitte?“ „Vor einer Woche kam ein Versorgungsschiff von Garos IV nach Dantooine. Abgesehen von den Medikamenten, die wir bestellt hatten, brachten sie auch einen neuen Patienten, einen Mann. Menschlich, 31 Standardjahre alt“, begann er zu erklären und berührte mit dem Stift erneut die interaktive Fläche seines Schreibtischs. „Seine Verletzung waren wohl recht arglistiger Natur, nun ja..“ Bei seiner Einlieferung wurde uns mitgeteilt, dass er vehement darauf bestanden hatte, nach Dantooine verlegt zu werden. Er war wohl fast einen Monat auf Aquilae im Bactatank, hat zwei weitere in der stationären Behandlung verbracht und wurde dann erst nach Garos IV und anschließend hierher verlegt. Er wäre sicherlich schon früher zu uns überwiesen worden, aber der lästige Papierkrieg dank Palpatines 'Neuer Ordnung'... Sie wissen schon...“ „Worauf wollen Sie hinaus?“ fragte Orianna, die Augenbrauen so dicht und konzentriert zusammen gezogen, dass sich auf ihrer Stirn eine senkrechte Falte bildete. „Ich wollte Sie fragen, ob Sie ihn kennen. Er ist leider noch nicht vollständig mobil, deswegen konnte ich ihn von der chirurgischen Abteilung nicht herbestellen. Aber er hat nach Ihnen gefragt.“ Der Arzt deutete mit dem Kinn auf das Flüssigkristalldisplay seines Tisches, auf dem nun das Bild eines Mannes zu sehen war. Während Orianna sich langsam dem Tisch näherte, schien ihr Herz mit jedem Schritt ein bisschen lauter zu schlagen. „Er hatte keinen Ausweis bei sich. Meinte, er hätte ihn bei den Kämpfen auf Coruscant verloren.“ "Ilya", flüsterte Orianna atemlos. “Sein Name ist Ilya.“ „Dann kennen Sie ihn wirklich?“ Es fiel ihr schwer, ihre Blicke, die hypnotisch auf der Projektion auf dem Display hafteten, auf den Arzt zu lenken. „Wo, sagten Sie, wird er behandelt?“ „Chirurgische Abteilung“, antwortete der Arzt knapp, der anscheinend starr vor Verwunderung war. „Ebene 1.“ Aufregung pulsierte durch ihre Adern, heiß, brennend, wie damals, als sie vor den Kath-Hunden davon gelaufen war. Wie damals, als sie in seinen Armen geendet hatte. „Entschuldigen Sie mich“, rief sie auf dem Weg zur Tür. Sie entfernte sich so schnell, dass sie nicht mehr seine Entgegnung hörte. Vor dem Büro saßen Bithras und Casseia auf zwei Schalensitzen aus Spritzgussplastik. Sie hatte den Kopf in seiner Schulter vergraben und schluchzte noch immer herzerweichend, während er weiterhin scheu ihr Haar und ihre Schultern tätschelte. Erst als Orianna im Laufschritt an ihnen vorbeihastete und die Absätze ihrer Schule ein donnerndes Traben von den Wänden hallen ließen, schreckten sie auf und sahen ihr bestürzt nach. „Orianna?“ Sie war bereits bei den Turboliften und wartete auf den Aufzug, als sie hörte, wie die beiden sich erhoben und ihr langsam folgten. “Orianna, was ist los? Was hat man dir gesagt? Orianna!?“ Der Lift kam und sie schlüpfte hinein. Sie konnte noch für einen Augenblick Bithras und Casseia erspähen, ehe sich die Türen wieder schlossen. Sie beschleunigten nun ihre Schritte, erreichten den Turbolift jedoch nicht mehr rechtzeitig. „Orianna!“ Ihre Sicht verschwamm. Ihre Erinnerung zerbrach in matt graue Scherben, die wie ein Nebel die Wirklichkeit verschleierten. Nur ihre Lungen brannten, doch es störte sie nicht. Sie lief nur, stieß Tür um Tür auf, suchte ihren Weg zu ihrem Liebsten – und fand ihn schließlich. Das Zimmer war karg, noch leerer als das, in dem ihre Mutter die Jahre der Krankheit verbracht hatte. Das matte Licht des Regens fing sich auf den weißen Wänden und schien sie erdrücken zu wollen. Und doch blühte sie, so wie es die Blumen taten, nach denen man sie benannt hatte. Sie war kalt und hart wie Stein gewesen, nur um nun wieder zu kehren, als ein neuer Mensch. Ilya lag auf einer Pritsche unterhalb des Fensters, den rechten Arm in einer provisorischen Schlinge. Narben musterten seine Wangen; eine strich scharf über seine Nasenwurzel, direkt unterhalb seiner Augen. Und zu ihrem Bedauern hatte man sein Haar geschoren, denn es war kaum länger als ein paar Millimeter. Doch er lebte, atmete und starrte fragend in den endlosen Regen. Orianna ließ die Woge aus Gefühlen über sich hinweg ziehen, rief seinen Namen, warf sich in weinend in seine Arme. „Gib' acht!“, rief er und verzog das Gesicht vor Schmerz. „Die Prothese ist noch nicht ganz angewachsen.“ Sie hielt inne, starrte ihn an. Trotz des Schmerzes lächelte er, seine grünen Augen schimmerten freundlich und warm. „Orianna! Du dumme Kinrath, wirst du wohl...“, hörte sie Casseia nun auf dem Gang schimpfen. Ihre Stimme kam näher, ebenso ihre Schritte und kaum einen Atemzug später erschienen ihre Schwester und ihr Schwager im Patientenzimmer. Wie vom Donner gerührt stand das Ehepaar da, starrte Ilya und Orianna mit großen Augen an. „Bei allen Sternen...“, flüsterte Bithras atemlos. Was auch immer sie nun sagten, Orianna hörte es nicht mehr. Alles, was nun noch zählte war, dass ihr Liebster am Leben und zu ihr zurückgekehrt war. Immer wieder küsste sie seinen Mund, seine Wangen, seine Augenlider, vergaß ihre Schwester und ihren Schwager, vergaß sogar ganz, warum sie heute eigentlich hergekommen war. Ihr und Ilya war eine zweite Chance geschenkt worden und dieses Mal würde sie ihn nicht wieder gehen lassen. Sie lachte und weinte gleichzeitig. Sie war endlich frei. Als eine Standardwoche später das Testament eröffnet wurde, schien es ihr fast so, als würde ihre lieblose alte Mutter das ähnlich sehen. „Hiermit übertrage ich, Timara Jhar Matale, allen Besitz, einschließlich der Wertpapiere, Grundstücksurkunden, Guthaben bei der Bank von Chandrila und alle anderen Hinterlassenschaften meines Mannes, Cailetet Matale, die Eigentum der Matales sind, auf meine Tochter“, sagte die Hologramm-Aufnahme ihrer Mutter mit sachlicher Stimme und man konnte hören, wie Bithras und Casseia den Atem anhielten, „Orianna Matale.“ "Faughn? Hier ist Jade. Ich könnte eine helfende Hand gebrau-chen", meldete sich Mara, als der Bursche an der Comm-Einheit der Starry Ice sie endlich zu seinem Captain durchgestellt hatte. Sie saß allein im Cockpit der Jade's Fire und wartete darauf, dass ihre Kollegin sich meldete. "Jade?" Shirlee Faughn klang verblüfft. "Mit Ihrem Anruf habe ich nicht gerechnet. Wo stecken Sie? Wir haben seit Tagen nichts mehr von Ihnen gehört." "Dantooine", antwortete Mara schlicht. "Unser kleiner Ausflug nach Ord Mantell hat sich mittlerweile zu einer Art Kreuzzug ausgedehnt. "Was machen Sie denn die ganze Zeit?" fragte Faughn irritiert. "Ich meine, Sie sind der Boss, aber Karrde fängt schon an seltsame Fragen zu stellen." "Sagen Sie ihm, ich bin wäre bald fertig, aber ich müsse vorher noch ein paar Quälgeister aus dem Weg schaffen." "Mit der Antwort wird er sich wohl kaum zufrieden geben, Jade." "Er wird es müssen", sagte sie ruhig, aber bestimmt. Mit einem Seufzen fragte ihre Gesprächspartnerin dann: "Und wie kann ich Ihnen helfen?" Mara zeichnete ihr die Ereignisse so grob wie nur möglich nach, nannte ihr die Dienstnummer, die May auf ihrem Poesiekärtchen hinterlassen hatte und bat sie, über die geheimen Kanäle der Schmugglerallianz auf die alten Imperialen Archive zuzugreifen. "Verstanden", bestätigte Faughn. "Aber versprechen kann ich nichts." Es dauerte einige Stunden, ehe sie sich wieder meldete. Skywal-ker hatte sich die Zeit damit vertrieben, in der Messe der Jade's Fire Meditationsübungen abzuhalten, während Mara Oriannas Amulett immer wieder kritisch beäugte und sich auf den nächsten Schwächeanfall gefasst machte. "Das ist alles, was wir rausholen konnten", sagte Faughn in entschuldigendem Tonfall. "Ich hoffe, es hilft Ihnen weiter." "Danke, das wird es", antwortete Mara. "Guten Flug." "Ja, Ihnen auch." Mara machte es sich im Pilotensessel bequem, als Skywalker ins Cockpit kam und sich zu ihr gesellte. "Gute Neuigkeiten?" "Das werden wir gleich sehen", murmelte Mara hoch konzentriert und wühlte sich durch die codierte Datenmenge, die Faughn ihr geschickt hatte. "Eine Sekunde noch." Die bizarren Codes entpuppten sich als eine weitere Aktennotiz des Imperial Intelligence, doch eine viel informativere als die erste. Sie war laut Datum wenige Wochen nach der Schlacht um Yavin angelegt worden. °Interne Fahndungsmeldung Dienst-Nr: IIBS-61 661 Name: Meelam Montross Spezies: Mensch Heimatwelt: Sulon Alter: 25 Standardjahre Letzter bekannter Aufenthaltsort: Imperial City, Imperiales Zentrum "Meelam! Meelam Montross!", ereiferte sie sich und starrte auf die Zeile, in der Name eingetragen war. Ihr war, als hätte man ihr einen Faustschlag in die Magengrube versetzt. "Diese Frau hat nicht nur das Imperium zum Narren gehalten, sondern die Schmuggler-allianz noch obendrein!" Und ganz besonders mich, fügte sie in Gedanken hinzu. Skywalker schien ähnlich verblüfft, zog jedoch nur die Stirn kraus und sah ungläubig auf das Dokument, während Mara wütend auf ihre Armlehne einhieb. "Aber natürlich! M.L.M. Engineering... Ich habe mich schon die ganze Zeit gefragt, wofür die Abkürzung steht. So einfach, so simpel, so unglaublich plump! Und ich bin auch noch drauf reingefallen! Es hat nie einen Ingenieur namens Meelam gegeben, das war allein sie." "Was ist mit dem Mann, den Lando getroffen hat? Was ist mit dem Verteidigungsnetzwerk, das man ihm verkauft hat?" "Vielleicht ein Prototyp, den May mit ihrer Piratenbande auf ihren Streifzügen über die perlemianische Handelsroute abgegriffen hat. Es würde mich nicht wundern, wenn nicht sogar sie die Überfälle auf die Transporter der Schmugglerallianz befohlen hat, die es nötig gemacht haben, dass Karrde mich überhaupt auf die Jagd nach neuen Abwehrsystemen schickt. Calrissian hat sie schon vorher als Kontaktperson in Stellung gebracht und siehe da..." Mara fuchtelte mit den Händen in der Luft herum, um einen Trommelwirbel anzudeuten, "... hat sie mich am Nackenfell!" "Ganz schön viel Aufwand, um nur einer Person eine Falle zu stellen, finden Sie nicht?" "Wer sagt denn, dass May Montross in den Maßstäben eines Normalsterblichen denkt? Außerdem war Lord Vader auch nicht gerade kleinkariert, als er sein Netz nach Ihnen ausgeworfen hat, Skywalker." Er schürzte die Lippen und eine Spur von Verlegenheit huschte über sein Gesicht. "Wo Sie Recht haben..." "Und ich falle auch noch darauf herein!" "Sie konnten ja nicht ahnen, dass Montross noch am Leben war, geschweige denn, dass sie Ihnen nach dem Leben trachtet oder warum", versuchte Luke sie zu beruhigen. "Es ist trotzdem frustrierend", grollte sie, ehe sie sich wieder dem Fahndungsvermerk zuwandte. Sie konnte Skywalkers prüfende Blicke im Nacken spüren und wünschte sich, er würde stattdessen verträumt in der Gegend herum schauen oder den Himmel begutachten. Auf Belderone hatte er das noch so gut gekonnt! "'Das verdächtige Subjekt ist unverzüglich festzunehmen und der Gerichtsbarkeit des Imperial Intelligence zu überstellen. Jedem Agenten ist es gestattet, ihr bei diesem Unterfangen soviel Schaden wie möglich zuzufügen. Das Subjekt ist lebend in Gewahrsam zu nehmen. Gezeichnet von Captain Rajasta Djae'", las Mara vor, deren Verstand bereits fieberhaft zu arbeiten begann. "Im Auftrag der Oberkommandantin Ysanne Isard... Rajasta Djae..." "Kennen Sie ihn?" "Er hat Montross bei der Leitung des Imperial Intel gemeldet und war, soweit ich mich erinnern kann, einer der Zeugen in ihrer Verhandlung. Nicht, dass es ihr irgendetwas genutzt hätte." Mara starrte die Buchstaben auf dem Display konzentriert an. "Anscheinend war er ihr direkter Vorgesetzter." "Sonst noch etwas?" "Ja. Er ist tot." Luke runzelte in einer Mischung von Verwirrung und Verblüffung die Stirn. Wie gut sie diesen schafsköpfigen Blick doch kannte! "Ich habe ihn getötet", fügte Mara mit einem freudlosen Lächeln hinzu. "Auf Palpatines Befehl hin. Er hat direkte Befehle verweigert und einige der unbedeutenderen Agenten an die Schwarze Sonne oder das ISB verkauft, was zu ein paar sehr hässlichen Problemen nach der Krise auf Teardrop geführt hat." "Ich verstehe", sagte Luke schlicht. "Glauben Sie, dass May an ihm Rache nehmen wollte? Dafür, dass er sie vor das Imperiale Gericht gezerrt hat?" "Wozu ich ihr leider die Chance raubte, als ich ihn für Seine Majestät aus dem Weg geräumt habe?" führte sie seinen Gedanken weiter vor und gestattete sich ein kurzes Kichern. "Möglich wär's. Mehr als wahrscheinlich sogar." Mara rieb sich mit den Fingern über das Nasenbein und massierte die inneren Winkel ihrer Augen. Die seltsame Schlaffheit, die sie seit ihrer Ankunft auf Dantooine, seit den Visionen über Orianna Matale immer wieder befiel, kam diesmal sehr plötzlich. Ihre Muskeln schienen mit Gewichten beschwert worden zu sein, als sie sich im Pilotensessel aufrichtete und aufstand. „Morgen, wenn ich zurück komme“, begann sie, „werden wir mit Sarzamin darüber sprechen. Vielleicht weiß sie mehr.“ Luke sah überrascht auf. „Aber Sie haben doch gesagt…“ „Ich weiß, was ich gesagt habe!“ fauchte sie. „Aber die Dinge haben sich geändert. Ich glaube, ich weiß jetzt, warum May es auf mich abgesehen hat. Was ich jedoch noch nicht weiß ist, welche die Verbindung zwischen ihr und Orianna besteht. Und Sarzamin ist vielleicht die Einzige, die mir das sagen kann.“ Sie begann ihren Mantel und den Gürtel abzunehmen und ihre Habseligkeiten sorgsam auf einem Regal zu platzieren. „Und nun brauche ich etwas Schlaf. Diese Mission ist anstrengender als ich dachte.“ "Sie werden May doch nicht ernsthaft allein gegenüber treten wollen?" fragte Skywalker skeptisch. "Darauf können Sie Gift nehmen!" "Aber in Ihrer derzeitigen Verfassung..." Mara schnitt ihm mit einer heftigen Geste das Wort ab. "Meine derzeitige Verfassung könnte nicht besser sein!" beharrte sie und das Funkeln in ihren Augen verriet ihm, dass die Diskussion damit für sie beendet war. Mit müden Knochen und schlaffen Glieder schleppte Mara sich zu ihrer Kabine und verriegelte die Tür hinter sich. Jede Faser in ihrem Körper schien erneut nach Schlaf zu schreien. Ihre Augen brannten, wirkten ein bisschen verquollen, und ihr Kopf lastete schwer auf ihren Schultern. Selten war ihr die Matratze auf der einfachen Pritsche so sanft und weich erschienen. Mara zog die Decke eng um sich, rollte sich wie ein schutzloses Kind darunter zusammen. Ihr Gesicht, ihre Haut, ihr ganzer Körper war vor Kälte fast erstarrt. Sie fühlte sich halb erfroren, wie von einer undurchdringlichen Schneedecke eingehüllt, dem ewigen, nuklearen Winter des Herzens. Es war kalt, bitterkalt. Jeder einzelne Knochen in ihrem Leib schien bereits zu Eis gefroren zu sein. Hastig warf sich Orianna einen Mantel aus dünner Wolle über und drapierte ihre Stola so galant, dass sie ihre Schultern zusätzlich wärmte. Überall im Haus verbreiteten die neuen Droiden Geschäftigkeit und Lärm, doch auch einen Hauch von Luxus und Dekadenz. Sie hatten die Familie zwar ein kleines Vermögen gekostet, doch die Ausgaben schmerzten nicht mehr so sehr im Geldbeutel wie zu Kriegszeiten. Wohlstand kehrte langsam zurück auf das Anwesen und Orianna sonnte sich ein ums andere Mal in ihrem Glanz als Gutsherrin. Natürlich war sie nicht ungnädig und überließ Bithras mehr als genug Credits, um sich weiter seinen Geschäften zu widmen und damit wiederum den Reichtum der Matales zu mehren. Doch sie musste zugeben, dass sie diese Entscheidung nicht ganz ohne Hintergedanken getroffen hatte. Sie fand Casseia im Wohnzimmer, wo sie von der HoloComm-Einheit hockte und den erloschenen Bildschirm anstarrte. Ihre Schwester war in Seide und Brokat gehüllt und hatte ihre dunklen, fülligen Locken kunstfertig nach oben gesteckt. Dennoch waren ihre dunklen Augen leer und sie kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe herum. Der Ehrgeiz und die vielen kleinen Süchte, mit denen Casseia sich die Zeit vertrieben hatte, waren versandet, wie ein Fluss, dem man urplötzlich das Wasser genommen hatte. Mit einiger Befriedigung stellte Orianna jeden Tag aufs Neue fest, dass Casseia zum ausdruckslosen Schatten ihres früheren Selbst zusammengeschrumpft war. "Irgendwelche Nachrichten?" erkundigte sie sich sachlich und sank in den alten Sessel ihres Vaters, in dem sich ihr Schwager sonst so gern niedergelassen hatte. "Bithras lässt dir Grüße von Ilya ausrichten. Bisher laufen die Verhandlungen besser als geplant und sie rechnen damit, mehr als das Doppelte absetzen zu können. Allerdings zeigen sich die Eriadu wohl nicht sehr entgegenkommend, wenn es um die Aushandlung der genauen Ver-tragsbedingungen geht." "Wann werden sie zurück sein?" "Er meinte, in drei Tagen. Vielleicht früher." Orianna nickte und lehnte sich mit einem zufriedenen Seufzen zurück. Der Sessel war so groß und sie selbst so zierlich, dass sie sich genüsslich darin herumräkeln konnte wie in einem Bett. "Ich kann es kaum erwarten, dass Ilya zurückkommt." Aus dem Augenwinkel sah sie, wie sich Casseias Miene seltsam verzerrte und ihre Kiefer sich fest aufeinander pressten, als läge ihr wieder eine ihrer boshaften Bemerkungen auf der Zunge. Das mühsam beherrschte Missfallen im Gesicht ihrer Schwester bereitete ihr königliches Vergnügen. "Vielleicht heiraten wir ja schon bald. Wenn die Beziehungen wieder hergestellt, die Blutkirschen und Perlfrüchte geerntet sind und er und Bithras nicht ständig quer durch den Sektor reisen müssen, was würde ihn dann noch davon abhalten." Sie formulierte es gezielt nicht als Frage, denn so waren ihre Provokationen stets am erfolgreichsten. Ganz davon abgesehen hegte sie keinen Zweifel, dass er sie schon bald fragen würde. Sie hatte schließlich all die Jahre zu ihm gehalten. Egal, was man ihr sagte, sie wusste, er würde sie zur Frau nehmen. "Und wer weiß, in ein oder zwei Jahren, wenn wir uns wieder alles erlauben können, werden wir süßen, kleinen Matale-Nachwuchs bekommen." "Oh bitte!" fauchte Casseia. "Kannst du auch an etwas anderes denken, als daran, ständig mit ihm zu schlafen?" "Wieso sollte ich?" Orianna funkelte sie herausfordernd an. "Der Krieg ist vorbei, ich habe ein Dach über dem Kopf, Essen auf meinem Teller und Kleidung, die mehr gekostet, als sich die meisten Siedler hier im Standardjahr verdienen. Jetzt sehne ich mich nur noch nach dem Mann in meinem Bett." Casseia erhob sich steif. "Du widerst mich an." Die jüngere Schwester richtete sich im Sessel ihres Vaters auf und beobachtete mit scharfem Blick, wie Casseia wutentbrannt an ihr vorbei stürmen wollte. Damit bescherte sie ihr keine Heiterkeit, nur Unmut und Missfallen. Eine derart heftige Reaktion hatte sie von ihr gar nicht erwartet. "Was ist denn?" "Lass mich in Frieden mit deinen Perversionen!" Nun flammte echte Wut in Orianna auf und sie erhob sich aus dem Sessel, Mantel und Stola immer noch eng um ihren Körper geschlungen. "Wie kannst du es wagen..." „Nein, Orianna, wie kannst du es wagen?" rief Casseia mit verzerrter Stimme und deutete mit dem Finger auf sie. "Bei allen Sternen und bei der Macht, wenn Vater dich nun sehen könnte, das kleine verzogene Gör, das du geworden bist, dass sich älteren Männern hingibt. Und wenn Mutter gewusst hätte, dass du Ilyas Loyalität für uns gekauft hast, in dem du in sein Bett gekrochen bist; sie hätte dir niemals das gesamte Erbe unserer Familie anvertraut.“ „Ilya hat sich selbst dazu entschieden Bithras zu helfen. Er tut es bestimmt nicht, weil ich es so wollte. Unsere Liebe hat mit alledem nichts zu tun.“ „Oh, du bist so unglaublich naiv! Ilya ist ein Geschäftsmann. Glaubst du ernsthaft, er hätte sich einfach so Hals über Kopf in ein kleines, unbesonnenes Mädchen wie dich verliebt? Wohl kaum! Die Matales sind wohlhabend. Vielleicht nicht nach dem Maßstab der Kernwelten, doch in unserem Sektor sind wir eine reiche Familie, Orianna, sind es schon immer gewesen. Und wir genossen Einfluss, trotz aller Krisen. Doch letzten Endes hätte der Krieg deinen Liebsten und damit auch uns beinahe ruiniert! Nun sind wir der letzte Strohhalm, nach dem er noch greifen konnte, nachdem er von Coruscant geflohen ist. Es würde mich nicht wundern, wenn er weniger dich, als vielmehr dein Geld lieben würde.“ „Du! Du bist doch nur verbittert, weil du unfruchtbar bist und dein Mann nicht mehr mit dir schlafen will!“ Orianna vergas nun jede Zurückhaltung und ihr Gesicht war vom Zorn verhärtet. „Das ist der Grund, warum Mutter mich als Erbin eingesetzt hat, weil ich die Blutlinie fortführen werde. Und nun kannst du den Gedanken nicht ertragen, dass, obwohl du immer Mutters Liebling warst, sie am Ende mich ausgewählt hat. Deine Niederträchtigkeit und dein Selbstwertgefühl verbieten es dir, mir auch nur einen Hauch von Glück zu gönnen! Nur weil du nicht glücklich bist, willst du, dass ich es auch nicht bin. Aber du wirst nicht länger über mein Schicksal bestimmen, Casseia, weder über meines, noch über das meiner Kinder! Und nun kannst du dich damit abfinden oder auch nicht. Die Entscheidung liegt bei dir. Aber verschone mich und uns alle bitte mit deiner erbärmlichen Selbstgefälligkeit!“ Darauf wusste ihre Schwester nicht mehr zu erwidern. Doch trotz ihrer Sprachlosigkeit blieb ihre Miene unleserlich, eine Maske aus Kälte. Den Rest des Tages trafen die Schwestern nicht mehr aufeinander. Als Orianna am Nachmittag eine kleine, kalte Mahlzeit im Esszimmer zu sich nahm, teilten ihr die Droiden mit, dass Casseia kurz zuvor das Haus verlassen hatte. Angeblich wollte sie sich die Pflanzung der neuen Perlfruchtbäume auf dem Osthang ansehen. "Selbstverständlich", sagte Orianna glatt und widmete sich wieder ihrer Komposition aus Käse, Früchten und Brot. Während sie einen Bissen Brot in die Sauce tunkte und darauf herumkaute, war sie sich jedoch nicht sicher, ob sie verärgert oder besorgt sein sollte. Bald wurde es dunkel, die Droiden beendeten ihre Arbeit und kehrten in ihre Depots zurück. Nur zwei Service-Droiden blieben aktiv und brachten ihr eine Flasche saccorrianischen Blauwein. Den Abend vertrieb sie sich mit alten HoloVids, das meiste davon schlechte Seifenopern. Früher hatten diese Filme einen viel stärkeren Reiz gehabt, doch mittlerweile wurden sie ihr öde und plump. Und so sehr sie sich auch auf die Geschichten konzentrierte, sie konnten nicht die Leere aus dem großen Haus verbannen. Es war fast Mitternacht, als sie nach einer neuen Flasche Wein verlangte und ihr Nachtgewand anzog. Einer der Droiden brachte ihr einen dicken Kamm, damit sie ihre roten Locken entwirren konnte, nachdem sie ihre Haare so lange am Polster des Sessels platt gedrückt hatte. "Wo ist meine Schwester?" erkundigte sie sich aus einer Laune heraus. "Dies ist uns nicht bekannt, Miss", antwortete der Droide steif und wippte mit seinem steifgliedrigen Metallkörper ein wenig vor und zurück. "Wir sahen nur, wie sie am Nachmittag das Haus verließ, nicht wie sie zurück gekommen ist." Alarmiert sah sie auf. "Sie ist immer noch da draußen?" fragte sie entsetzt. "Bist du sicher? Vielleicht hat sie sich auch nur in ihrem Zimmer eingeschlossen." "Nein, Miss", antwortete der Droide. "Meine Sensoren nehmen keine Wärmeabstrahlung wahr außer Ihrer." "Bring mir meinem Mantel und die Schuhe", befahl sie. "Schnell!" Eilig rannte sie den Korridor entlang, stolperte um eine Ecke und schließlich in Bithras' Arbeitszimmer hinein, wo sie aus einem gesicherten Kästchen eine BlasTech-Pistole nahm. Auf dem Weg zum Haupteingang stopfte sie die Waffe provisorisch in ihren Hosenbund. "Miss, es ist kalt draußen, vielleicht..." "Ich weiß!" fauchte Orianna den Droiden an, während sie sich ihren Mantel überwarf und in ihre Stiefel schlüpfte. "Überprüfe die Sicherheitssysteme des Zauns. Ich will da draußen auf keinen Kath-Hund oder Dantari treffen. Und schicke zwei Wachdroiden her, sie sollen mir leuchten und den Rücken decken." Draußen erwartete sie ein schneidender Wind, der durch das hohe Gras strich und es rascheln ließ. Sie unterdrückte das Zittern ihrer Glieder und wunderte sich, warum es zu dieser Jahreszeit so kalt war. Wenig später tauchten zwei Wachdroiden aus der Finsternis auf. Es waren zwei ältere Modelle, die noch von der Technologie Union und der Handelsföderation vertrieben und den frühen Kampfdroiden nachempfunden worden waren. Sie folgten Orianna mit ein paar Schritten Abstand, warfen jedoch mit ihren Glühstäben Licht auf den Weg vor ihrer Herrin, damit sie sich nicht verirrte oder verletzte. Orianna lauschte angestrengt in die Nacht hinein und wagte es kaum zu atmen. Sehr bald spürte sie kalten Schweiß, der ihren Haaransatz befeuchtete oder zwischen ihren Brüsten zusammenlief. Es war still, viel zu still. Man hörte nichts außer dem Rascheln des Grases und dem Heulen des Windes. Keine Kinrath-Spinnen, keine Kath-Hunde, keine Dantari. Das Gelände stieg stetig an und Orianna wusste, dass sie den Osthang erreicht hatten. Durch den matten Schein der Glühstäbe zeichneten sich die Umrisse der Setzlinge, die hier gepflanzt worden waren, gegen den dunklen Himmel ab. Sie atmete tief durch, und spürte, wie ihr das Herz vor Furcht gegen die Rippen klopfte. "Casseia?" rief sie unsicher in die Stille hinein. "Casseia? Kannst du mich hören?" Sie stiegen noch einige Meter weiter auf, erreichten die Hügelkuppe, wo die Perlfruchtbäume bereits Zeit zum Wachsen und Gedeihen gehabt hatten. Manche trugen bereits kleine Triebe an den schlanken, weißen Ästen. Und da lag sie, unter dem größten und majestätischsten Baum. Sie hatten ihn nach dem Ende des Krieges alle zusammen auf die Hügelkuppe gepflanzt, als Symbol für ihren gemeinsamen Neuanfang. Casseias Kopf ruhte auf einer ausgewucherten Wurzel und ihr braunes Haar schien über die Rinde zu fließen wie dunkles Wasser. Ihre Augen waren geschlossen, ihre Haltung entspannt und ruhig. "Casseia?" rief Orianna nun lauter, um die Aufmerksamkeit ihrer Schwester zu erregen. Sie war ganz schön töricht, einfach so hier draußen einzuschlafen! Ihre Schritte beschleunigten sich, als sie keine Antwort erhielt. Vielleicht schlief sie so fest, dass man sie wachrütteln musste? Hinter ihr beeilten sich auf die Droiden, ihrer Herrin zu folgen und ihr den Weg zu leuchten. "Casseia, komm schon, wach auf!" rief sie, als sie nur noch ein paar Schritte entfernt war. Sie bemühte sich, schnippisch zu klingen, doch in ihrer Magengrube braute sich ein Übelkeit erregendes Gefühl zusammen. Das Gesicht ihrer Schwester erschien ihr ungewöhnlich farblos und blass, als sie neben ihr auf die Knie sank. "Hey! Das ist wirklich nicht mehr witzig!" Ungehalten stieß sie Casseia mit einer Hand in die Seite, doch es ging nur ein Ruck durch ihren Körper und dann rührte sie sich nicht mehr. Ihr Blick fiel auf ein Glitzern, das sie in der Finsternis bisher übersehen hatte. Es umschmeichelte Casseia Hals, benetzte ihre Brust, das Gras und die Baumrinde, ihre Kleidung war voll davon. Sie konnte sehen, wo die letzten Tropfen der Lebensspendenden Flüssigkeit aus einem tiefen Schnitt an ihrer Kehle gequollen und geronnen waren. Eine Hand umklammerte noch die Vibroklinge, mit der sie ihr Ende beschlossen hatte. Schrecken ließen die Farbe aus Oriannas Gesicht weichen und einen Moment lang glaubte sie sich übergeben zu müssen, als sie blauen Lippen ihrer Schwester sah. "Casseia", sagte sie leise und nahm die kalte, leblose Hand ihrer Schwester in ihre eigene. "Casseia, was hast du nur getan?" Sie wandte sich ab, doch weniger um ihre Tränen, als viel mehr ihre Tränenlosigkeit zu verbergen. Ihre Schwester war tot und sie konnte nichts tun, konnte nicht atmen, konnte nicht weinen. Nur ihr Schrei zerriss die Dunkelheit. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)