Monochrome von Idris (Kou²) ================================================================================ Kapitel 1: Shades of Grey ------------------------- Pairings: Kouichi x Kouji ? (auf verquere Art und Weise) / Kouji x Zoe Warnungen: Ziemlich kitschig und irgendwie psycho (fragt mich nicht, wie ich das angestellt habe o.O), wahrscheinlich sehr hoher OOC-Faktor, verwirrend, symbolbeladen - und ähm seltsam. Danke an Maddle fürs Betalesen und mir beim Ende helfen. *g* Und danke, an Selia, die eigentlich gar nichts getan hat, außer mich durch einen ihrer Lieblingssätze zu inspirieren. ^_~ Anmerkung: Wenn möglich in der HTML-Ansicht lesen! Das Kursive ist sehr wichtig. ^^ Widmung: For the one and only Nyx-chan. ^_^ Monochrome Weiß. So weiß, dass es blendet. Aber blendend Weiß ist keine gute Farbe, wenn man essen geht. Schon gar nicht wenn man mit Zoe essen geht, die so viel gestikuliert, während sie redet, dass ich damit rechnen kann, dass sie mir ein paar Nudeln auf das Oberteil wirft. Also zurück, auch wenn es eins meiner Lieblings-T-Shirts ist. Khaki? Wann zum Teufel habe ich mir ein khakifarbenes Tarnhemd gekauft? Das kann doch nur in meiner präpubertären Militärphase gewesen sein. Ich kann mir nicht einmal vorstellen, dass es noch passt. Andererseits bin ich schon immer sehr dünn gewesen, und das hat sich auch in den letzten Jahren nicht geändert. Kopfschüttelnd hänge ich es zurück in den Schrank. Nein, das werde ich heute Abend definitiv nicht anziehen. "Das war jetzt Nummer acht", stellt Kouichi fest. Ich zucke mit den Schulten, ohne mich zu ihm umzudrehen. "Zoe weiß es sicher zu schätzen, dass du dir ihretwegen so eine Mühe machst." Seine Stimme ist so neutral, dass sie beinah überhaupt keinen Tonfall hat, aber ich hätte schwören können, dass es irgendwie spöttisch klingt. Ich antworte nicht, denn ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Vor einem ersten Date macht man sich Mühe. Ist das nicht einfach so? Dunkelblau. Meine Stiefmutter würde es Mitternachtsblau nennen. Sie hat einen Hang zu poetischen Ausdrücken, den ich nicht ganz nachvollziehen kann. Aber egal unter welchem Namen, Blau ist eine gute Farbe. Das Bett raschelt leise, als Kouichi davon aufsteht und das Buch weglegt, in dem er eben noch gelesen hat. Ich kann hören, wie er die Arme hebt und sich streckt, lang und elegant wie eine Katze, bevor er zu mir schlendert. Die Frage kommt ganz beiläufig. "Und? Bist du nervös?" Meine Hände, die dabei sind, in meinem Schrank herumwühlen, halten inne. Ich betrachte das dunkelblaue T-Shirt in meiner Hand. Nervös? Nachdenklich runzele ich die Stirn. Ich weiß nicht ... Bin ich nervös? "Nein." Langsam schüttele ich den Kopf. Wasser tropft aus meinen nassen Haaren, die ich zu einem kurzen Zopf gebunden habe, und läuft über meine bloßen Schultern. "Ich denke nicht." Als ich eine der beiden Schranktüren zuklappe, stehe ich direkt vor dem Spiegel, der an der Außenseite hängt und kann mich selbst sehen. Nur mit schwarzen Hosen bekleidet und noch feucht von der Dusche. Ich stehe da und betrachte stumm mein Gesicht, welches in diesem Augenblick zweimal vorhanden ist. Seins und meins. Kouichi steht direkt hinter mir. Unsere Blicke treffen sich im Spiegel, und zum ersten Mal an diesem Abend kann ich ihm in die Augen sehen. Zweimal identische Gesichtszüge. Identische blau-schwarze Haare. Zwei Paar identische dunkelblaue Augen. Sekundenlang ist es ein schwindelerregendes Gefühl, so als würde ich plötzlich doppelt sehen, und ich muss gegen den Impuls ankämpfen heftig zu blinzeln. "Was hältst du davon?" Ich halte das Shirt hoch und sehe sein Spiegelbild fragend an. Mein Herz klopft und ich denke, Blau ist vielleicht doch keine so gute Farbe. Nicht dieses Blau. Er legt den Kopf schief. Statt einer Antwort lehnt er sich vor und greift an mir vorbei in den Schrank. Sein bloßer Arm streift mich in der Bewegung und ich muss mir Mühe geben nicht zusammenzuzucken. Er steht ganz dicht hinter mir und schmiegt sich beinah an meinen noch feuchten Rücken, damit er besser an den Schrank kommt. Er ist ganz warm. Ich halte still und sehe sein Gesicht im Spiegel an. Zielsicher zieht er ein schwarzes Hemd heraus. Er legt beide Arme um meine Schultern und hält das Hemd direkt vor meinen Oberkörper. Sein Kinn ist auf meiner Schulter abgestützt und weiche, halblange Haarsträhnen kitzeln mein Gesicht, während er sich vorbeugt. "Nimm das", sagt er und wirft meinem Spiegelbild einen prüfenden Blick zu. "Das ist gut." Entschuldige bitte, aber ... es ist Schwarz. Schwarz sieht nach Beerdigung aus, nicht nach Date. Vielleicht sollte ich ihm das sagen. "Das?" Ich klinge skeptisch. "Sexy und doch stilvoll", zitiert er. Diesmal klingt es eindeutig spöttisch. "Es ist schwarz", merke ich an. "Na und? Schwarz ist cool. Willst du sehen, wie es an dir aussieht?" Er löst die Arme von meinen Schultern und die Wärme an meinem Rücken verschwindet. Ein einzelner Wassertropfen löst sich aus einer losen Haarsträhne und perlt über mein Gesicht. Ich schüttele ihn weg und drehe mich zu ihm um. Kouichi ist dabei, sein eigenes, strahlend weißes T-Shirt über den Kopf zu ziehen. Es ist feucht geworden an den Stellen, wo er eben an mich geschmiegt war. Achtlos lässt er es auf den Boden fallen und streift stattdessen das Hemd über, ohne sich die Mühe zu machen es mehr als nötig aufzuknöpfen. Der seidige Knisterstoff gleitet widerstandslos über seine Schultern. Widerwillig muss ich zugeben, dass er Recht hat und es wirklich gut aussieht. Es schmiegt sich wie eine zweite Haut an den schlanken Oberkörper und lässt die Augen dunkler wirken und das Blau in ihnen tiefer, geheimnisvoller. Mitternachtsblau. Abwartend sieht er mich an. "Und?" Seine angenehme Stimme ist leise, aber der seltsame Unterton ist nicht zu überhören. "Gefällst du dir ...?" "Halt mal deine Haare zurück." Wenn er das spielen kann, kann ich das auch. Gehorsam schiebt er mit den Händen eine Wolke zerzauster Haare zusammen und hält sie aus dem Gesicht, beseitigt so den einzigen Unterschied zwischen uns. Ich halte die Luft an. Und dann stehe ich vor meinem eigenen Spiegelbild. Unbewegt erwidert er meinen Blick. So werde ich nachher also aussehen. Komischer Gedanke ... mich von außen zu betrachten, so wie die anderen es können ... Denn das ist es wohl, was andere sehen, wenn sie mich ansehen ... Ein durchschnittlich großer Junge. Sehr schlank und mit zarten Gliedmaßen. Ein schmales, fein geschnittenes Gesicht und helle Haut, die noch heller wirkt im Kontrast mit den dunklen Haaren. Dunkelblaue Augen mit langen Wimpern, wie ein Mädchen ... Das ist er. Das bin ich. Und so werde ich nachher vor Zoe stehen, wenn ich sie abhole ... "Denkst du ... sie würde den Unterschied merken, wenn du hingehst und nicht ich?" frage ich aus einem plötzlichen Impuls heraus. Dunkle, fein gezeichnete Augenbrauen werden gehoben. Er lässt die Haare los und sie fallen ihm zurück ins Gesicht. Sofort sieht er wieder aus wie er selbst. Nicht mehr wie ich. "Was denn ... Also doch nervös?" "Nein." "Ich dachte schon, du hast vor, mich an deiner Stelle dahinzuschicken." Er lacht und dreht abrupt den Kopf weg. "Sicher nicht ..." Ich verziehe den Mund zu einem sarkastischen Grinsen. Danach ist es still. Ich spüre, wie kalte, feuchte Tropfen aus meinen Haarspitzen in meinen Nacken tropfen. Und ich denke immer noch, dass schwarz eine Farbe für Beerdigungen ist. Nicht für ein Date. Aber wer weiß schon, was ich grade im Begriff bin zu Grabe zu tragen. Langsam knöpft er das Hemd wieder auf und zieht es aus, streift sein eigenes T-Shirt wieder über. Sein Blick wandert zu mir. "Komm her ..." befiehlt er sanft. Überrascht sehe ich auf, weil der spöttische Tonfall plötzlich weg ist und er so liebvoll klingt. Mein Körper gehorcht seinen Worten, noch bevor ich bewusst darüber nachdenken kann, und meine Beine tragen mich zu ihm. Ich bleibe dicht vor ihm stehen und er hebt das Hemd hoch. Behutsam streift er den leichten, seidigen Stoff über meine Schultern und ich hebe wie von selbst die Arme, lasse sie widerspruchslos in die Ärmel gleiten. Es ist noch warm und es riecht ganz schwach nach ihm. Und es fühlt sich mehr und mehr nach einer Beerdigung an. Er senkt den Blick und seine schlanken Finger beginnen die feinen Knöpfe durch die Löcher zu winden. Ich halte ihn nicht davon ab, aber kann ein spöttisches Schnauben nicht unterdrücken. "Also, weißt du ... ich kann mich schon alleine anziehen, seit ich fünf Jahre alt bin." Seine Finger sind sanft und er lächelt dabei. Ich kann es an seiner Stimme hören, auch wenn er den Kopf gesenkt hat. "Wirst du etwa aufmüpfig, kleiner Bruder?" "Du wirst nie aufhören, mir die sieben Minuten vorzuhalten, oder?" Warmer Atem streift mein Gesicht, als er lautlos auflacht. "Ich dachte nur, du hast vor Aufregung vielleicht schon zitternde Hände." "Ich bin nicht nervös", sage ich zum dritten Mal, und diesmal bin ich es, der den Kopf abwendet. Er hält inne und lässt die Hände sinken. Er hat die beiden oberen Knöpfe vergessen. Aber vielleicht ist es auch Absicht, dass er sie offen lässt. "Das weiß ich doch ..." Und das ist der Augenblick, wo er mich in den Arm nimmt. Es kommt vollkommen unerwartet und ich bin sekundenlang starr vor Schreck, als er mich an den Armen packt und behutsam zu sich zieht. Ich fühle mich wie betäubt. "Nicht ...!" Es war als zickiges Fauchen gemeint, aber es kommt als leises Flüstern heraus. Meine Augen sind riesig und ich wage nicht zu blinzeln. Was zum Teufel ist los mit mir? Er sagt kein Wort, aber er lässt auch nicht los. Er hält mich einfach fest, seine Arme ganz eng um mich geschlungen, und seine Hände sind so warm und beruhigend auf meinem Rücken. Mein Atem hört sich plötzlich komisch an, er ist ganz flach und geht unregelmäßig. Vielleicht muss ich die Augen doch mal kurz zumachen, damit das seltsame Brennen in ihnen nachlässt ... Sag nichts, bitte ... Sag kein Wort. Ich weiß, dass es unmöglich ist. Ich habe es schon seit dem Tag gewusst, an dem wir uns das erste Mal begegnet sind. Es ist ganz einfach, weißt du ...? Es gibt nichts, worüber man reden könnte. Nichts, worüber man streiten oder geteilter Meinung sein könnte. Worte werden uns nicht helfen. Deswegen werde ich jetzt nichts sagen ... weil es nichts zu sagen gibt. Das ist eine Entscheidung, die so eindeutig ist, wie den Unterschied zwischen schwarz und weiß zu sehen. Richtig und falsch. Es gibt nichts dazwischen. Ausreden gelten nicht. Diese Regel gilt für alle. Und alle müssen sie befolgen. Selbst dann, wenn man sich nie so vorgekommen ist, wie andere Geschwister. Vielleicht weil man nicht zusammen aufgewachsen ist und immer in getrennten Familien gelebt hat. Aber das ist keine Entschuldigung. Auch nicht für uns ... Du bist meine zweite Hälfte, mein Spiegelbild. Ich habe mich nach dir gesehnt, noch bevor ich wusste, dass es dich gab ... und als wir uns endlich gefunden haben, war es, als ob ich endlich komplett gewesen wäre ... Du bist mein Bruder. Aber NICHTS an diesem Gefühl ist brüderlich ... Mein Gesicht ist in seiner Halsbeuge vergraben. Ich atme ein und aus, im Rhythmus seiner warmen, liebevollen Hände, die mich festhalten und streicheln. Es ist eine Ewigkeit, bis er mich endlich loslässt. "Besser?" fragt er leise und verständnisvoll und ich nicke wortlos, fühle mich schwindelig und betäubt. So muss das nach einer Panikattacke sein. Seltsames Gefühl. "Ich bin aber nicht nervös", entgegne ich widerspenstig. Er lächelt und schnippt sachte gegen meine Stirn. Es ist eine liebevolle und beinah neckische Geste ... etwas, was er nie vor anderen tun würde. Nur wenn wir alleine sind ... weil es nur für mich gedacht ist. "Musst du auch nicht. Du siehst gut aus." Es klingt ehrlich, und sekundenlang spüre ich, wie meine Wangen darauf warten, brennen zu dürfen, weil ich so verlegen bin. Stattdessen grummele ich etwas von wegen "Eigenlob..." und strecke ihm die Zunge heraus. Komplimente von Zwillingsbrüdern darf man nie allzu ernst nehmen. Zumindest sage ich das immer, auch wenn ich es eigentlich besser wissen müsste ... Er lacht sein leises, angenehmes Lachen und tritt einen Schritt zurück, wie um sein Kunstwerk mit etwas Abstand betrachten zu können. Nachdenklich legt er den Kopf schief und ich fühle, wie mir heiß wird unter seinen Blicken. "Fehlen nur noch die Haare", stellt er sachlich fest. Ich nicke und öffne sie. Die nassen Strähnen fühlen sich angenehm kühl an auf meinen Wangen. Sie sind frisch geschnitten, aber grade noch lange genug, dass sie im Nacken zusammengehen. Nur ein paar Strähnen rutschten regelmäßig aus dem Zopfband und fallen mir ins Gesicht. "Langsam komme ich mir vor, als sei das nicht mein, sondern unser Date", stelle ich ironisch fest. "Ist es doch auch." Als er meinen Blick bemerkt, fügt er achselzuckend hinzu: "Ich nehme bloß interessiert an deinem Leben teil." "Na, wenn das so ist ..." Ich angele nach dem Fön, der schon auf meinem Bett liegt und drücke ihm dafür die Bürste in die Hand. Er hebt fragend die Augenbrauen. "Ich föne, du bürstest. Das nennt man Arbeitsteilung", erkläre ich unverschämt. Ohne eine Antwort abzuwarten, drehe ich ihm den Rücken zu. Er erwidert etwas, aber ich krieg nur noch den Anfang mit, weil das Rauschen des Föns seine Stimme übertönt. Es klingt wie "Ich dachte, schon seit du fünf Jahre alt bist ..." und ich muss lachen. Dann spüre ich seine Finger in meinem Nacken, als er behutsam meine Haare hochnimmt. Es ist ungewohnt, jemand anderen an meine Haare zu lassen. Normalerweise bekomme ich dabei die Krise und fühle mich wie eine Katze, die gegen den Strich gebürstet wird. Nur bei ihm nicht. Ich glaube, er ist der einzige Mensch, der überhaupt weiß, wie ich mit offenen Haaren aussehe. Geschweige denn, wie sie sich anfassen. Und das wird auch so bleiben. Als sie trocken sind und wieder spaghettiglatt und seidig nach unten hängen, fasse ich sie zusammen und winde erneut mein Haargummi darum. Erst dann drehe ich mich wieder zu ihm um. Mit offenen Haaren komme ich mir so seltsam vor. Weicher. Verletzlicher. Gefühle sind nicht wie widerspenstige Haare. Man kann sie nicht weg binden, wenn sie einem dauernd ins Gesicht fallen. "Ich glaube es nicht - ich bin zu früh dran", stelle ich nach einem kurzen Blick auf die Uhr fest. "So wie ich Zoe kenne, braucht sie garantiert drei Stunden mehr als geplant, um sich fertig zu machen." Ich überlege, ob sie sich aufstylen wird. Mädchen machen das gerne. Aber egal, was sie mit sich anstellt, sie wird zweifellos gut aussehen. Zoe ist sehr hübsch. Mein Mund ist trocken und ich angele nach einem Bonbon, das auf meinem Nachtisch liegt. "Was werdet ihr heute Abend machen?" fragt er leise. Ich halte inne. "Dies und das ...", murmele ich und kann ihm nicht in die Augen sehen. "Was genau ...?" "Kouichi ..." Ich schüttele angespannt den Kopf. Er kommt näher, so dass er direkt vor mir steht und ich widerwillig aufsehen muss. Der Blick, den er mir zuwirft, ist ernst, beinah drängend. Er sagt nur ein einziges Wort. "Bitte." Ich schließe die Augen und atmete tief durch. Das will er also wissen. Was werden wir heute Abend machen ... Zoe und ich. Ich und Zoe. Das perfekte Paar. Alles so richtig. Alles so leicht. Nichts kann man falsch machen, wenn man mit einem Mädchen wie Zoe ausgeht ... Alles strahlend weiß, weil es so durch und durch richtig und perfekt ist. Wir werden das tun, was man bei einem ersten Date so macht ...ganz einfach ... Wir werden alles davon tun. Es ist eben doch nicht unser Date, Kouichi ... Ich lasse mich nach vorne sinken, ganz dicht und lehne mich an ihn. Stumm neige ich den Kopf und presse meine Stirn an seine. Erst dann öffne ich wieder die Augen. Sein Gesicht, welches meinem so entsetzlich ähnlich sieht, ist so nah, dass es beinah verschwommen wirkt. Seine Augen direkt vor meinen sind endlos weit und blau. Nachthimmel ... tausend kleine, funkelnde Pünktchen darin ... und es könnten Sterne sein. Das Bonbonpapier knistert zwischen meinen Fingern. "Essen", sage ich leise und schiebe ihm das Bonbon zwischen die Lippen. "Wir werden zuerst essen gehen ..." Sekundenlang sieht er überrascht aus, aber dann nickt er folgsam. Seine Lippen sind ganz weich und sie öffnen sich bereitwillig. Er nimmt das Bonbon und seine Lippen ruhen sekundenlang auf meiner Fingerspitze. "Klingt gut ...", murmelt er. "Und dann ...?" "Ich denke ..." Ich räuspere mich hastig. " ...ich sollte ihre Hand halten, bevor das Dessert kommt ..." Langsam lasse ich meine Finger an seinem Arm entlang nach unten gleiten. Die Haut an seinem Handgelenk ist warm und zart und ich kann seinen hämmernden Pulsschlag darunter spüren. Unsere Finger umschließen sich und wir sehen uns scheu an. "Das würde sie freuen ... denkst du nicht?" Seine Wimpern flattern wie von selbst nach unten, als er die Augen zumacht, und er scheint jedes meiner Worte aufzusaugen. Ich schließe ebenfalls die Augen. Wie kleine Kinder halten wir uns an der Hand, die Finger ineinander verschlungen und er lässt seinen Daumen sanft über meinen Handrücken gleiten. Seine Fingerspitzen malen Muster in meine Handfläche und dort, wo er mich berührt, prickelt es auf meiner Haut ... Ich atme tief ein. Schwindelgefühl macht sich in mir breit. "Danach werden wir irgendwohin tanzen gehen ...", flüstere ich. "Sie kennt einige nette Clubs, wo ..." "Tanzen ... wie romantisch." Es klingt bissig. "Das war ihre Idee ...", knurre ich unwillig. Statt einer Antwort, wandert sein Arm um meine Taille, und dann werde ich ganz dicht zu ihm gezogen. "Du kannst doch gar nicht tanzen ..." flüstert er dicht an meinem Ohr. "Kann ich wohl ...", flüstere ich zurück. Sein Gesicht ist erhitzt, genau wie meins, und ich kann seinen warmen, beschleunigten Atem spüren, der über meine Haut streift. Meine Augen sind immer noch geschlossen und das ist gut so. Was man nicht sehen kann, ist auch nicht verboten. Meine freie Hand wandert langsam in seinen Nacken und ich lasse meine Finger sanft durch seine Haare gleiten. Diese unglaublich weichen Haare ... seidig und nur einen Hauch widerspenstiger als meine ... Ich kann seinen Herzschlag spüren, der gegen seine Rippen hämmert, unregelmäßig, viel zu schnell ... und vollkommen synchron zu meinem eigenen. Unsere Körper schmelzen zusammen, als seien es zwei Teile eines Ganzen und bewegen sich zu einer leisen, sehnsüchtigen Melodie, die nur wir beide hören können. "Du solltest ihr sagen, dass sie wunderschön aussieht ..." sagt er und seine Stimme ist so leise, dass ich ihn kaum verstehe. Seine Finger fahren behutsam und liebevoll über meine Wange. "Und dass du sie für immer ansehen möchtest ... Mädchen wollen das immer hören ..." "Ja, das wäre ... ein guter Moment dafür, nicht wahr ...?" hauche ich. Meine Kehle ist wie zugeschnürt und ich kriege kaum noch Luft. Lass uns alles umdrehen. Lass uns aus schwarz weiß machen und aus falsch richtig ... Denn wenn Weiß plötzlich Schwarz wäre und Schwarz wäre Weiß ... dann würden wir in einer Welt leben, wo es so sein müsste. Genau so wie jetzt. Ich glaube, wir sind für alle Ewigkeit farbenblind. Aber ich habe die Augen zu. Und deswegen ist es ganz egal ... "Danach ..." Ich bleibe stehen, schmiege mich an ihn und halte ihn ganz fest. Ich glaube, wir hören beide, wie die Musik ausklingt. "...werde ich sie nach Hause bringen ...", flüstere ich. Unsere Gesichter berühren sich. Ich öffne die Augen, und wieder sehe ich Sterne ... tausend leuchtende Pünktchen, die nur darauf warten, dass ich sie für uns vom Himmel hole. "Ich glaube, ich werde sie zum Abschied küssen ..." Sind deine Lippen zuerst auf meinen ...? Oder ist es umgekehrt ...? Es spielt auch keine Rolle. Das ist eins der Dinge, die nicht wichtig sind ... Der Kuss ist sanft und verzweifelt und bittersüß ... das muss das Bonbon sein, welches in seinem Mund geschmolzen ist ... Seine Lippen sind warm und weich ... bewegen sich auf meinen wie ausgehungert ... wir atmen ein und aus ... hastig, atemlos ... Soll ich dir etwas sagen, Bruderherz? Wir sind wie ein Negativ der Wirklichkeit ...ein Spiegelbild, in dem alle Farben ausgetauscht sind. Aber alle Kinder üben Spiegelküsse mit sich selbst ... nicht wahr? Das ist nur ein Spiegelkuss ... das zählt doch nicht ... Es ist nur so ein irres, schwindelndes Gefühl zu wissen, dass ich mich nachher genauso anfühlen werde ... ... wenn ich Zoe küsse. "Das klingt, als werdet ihr sehr viel Spaß haben." Er seufzt tragisch und zieht an meinem Zopf. "Und mich lässt du ganz alleine hier ... schäm dich." "Ich kann dir ja ein Stück von meiner Pizza mitbringen." "Na vielen Dank auch ..." Er rollt mit den Augen. Aber als er zu mir hochsieht, sehe ich das sanfte Lächeln, welches um seine Mundwinkel spielt und weiß, dass er es nicht so meint. Widerstandslos lasse ich mich von ihm die Treppe hinunterziehen. Er hält immer noch meine Hand. Spätestens jetzt fühle ich mich wieder, als sei ich erst elf. "Pass auf dich auf, sei ein Gentleman und trink nicht so viel", zählt er auf, als wir im Flur ankommen. "Und sei um elf wieder zu Hause." "Ja, Mama." Ich rolle mit den Augen. "Und sei nicht nervös." "Ich bin nicht nervös." Draußen ist es ganz dunkel. Der Nachthimmel ist tatsächlich nur dunkelgrau, wegen den vielen Wolken, und es leuchtet kein einziger Stern. Ich bleibe in der Tür stehen und drehe mich zu ihm um. Ich würde gerne irgendetwas sagen, aber ich weiß nicht was. Vielleicht etwas, wie den Gedanken, der in meinem Kopf herumschwirrt und den ich grade erst in diesem Moment zu fassen bekomme. ,Man kann alles richtig machen und trotzdem das Wichtigste verpassen ...' Aber er nimmt mir die Aufgabe ab. "Schwarz steht dir gut ...", sagt er leise. Ich lächle und wende den Kopf ab. Schiebe die Hände in die Hosentasche und trete einen Schritt nach draußen. Und so leise, dass ich nicht sicher bin, ob er es hört, flüstere ich: "Dir auch ..." Und nicht nur uns ... Denn plötzlich kommt mir alles so vor. Die Nacht und der Himmel und meine Beerdigung. Schwarz. ~ Nicht schwarz, nicht weiß. Die Welt ist grau, manchmal auch silber. ~ ^Fin^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)