Klang des Regens von Astre (Ryoki) ================================================================================ Kapitel 6: Angenehmer Nachtwind ------------------------------- Kapitel 6 Angenehmer Nachtwind Milder Wind strich ihre Haare nach hinten und die Schaukel, auf der Rika saß, bewegte sich leicht nach vorne. Es war angenehm warm, dafür dass es bereits Nacht war und nur die Laternen mäßig Licht spendeten. Ihren Kopf an die Eisenketten lehnend, schloss die junge Frau die Augen. Sie hatte erwartet, dass Jack versuchen würde, sie anzurufen oder eine Nachricht schrieb, doch nichts. Dass er ihr nicht hinterherkam, sie suchte, wunderte sie nicht, denn das tat er nie. Er wusste, sie musste irgendwann zurück nach Hause, allein wegen ihrer Mutter. Jack würde warten, er hatte Zeit. Ein kleiner Teil in ihr, der sich Verstand nannte, schrie sie an, wie dumm sie eigentlich war. Warum hatte sie das Kostüm nicht genau wie das Kleid zuvor angezogen, er wäre zufrieden gewesen und sie hätte einen Abend mehr überstanden. Es wäre nichts dabei gewesen, egal ob sie sich schwach und klein fühlte, doch jetzt würde es noch schlimmer werden. Ihr Bein bewegte sich, schob sie vor und zurück. Ihre Augen öffnend, blickte sie in den dunklen Nachthimmel hinauf. Sie würde es jederzeit wieder so machen! Es war ihr egal was er tun würde, wenn sie zurückkäme, sie bereute es in keinster Weise. Die Worte, die sie ihm an den Kopf geworfen hatte, waren ihr bereits seit Tagen auf den Lippen gelegen und hatten nur darauf gewartet, endlich ausgesprochen zu werden. Lautes Gelächter drang an ihr Ohr und Rikas Aufmerksamkeit richtete sich auf den Weg, der aus dem Park führte. Zwei junge Mädchen liefen lachend an dem Spielplatz vorbei. Einzelne Gesprächsfetzen wehten ihr entgegen. Wie es den Anschein hatte, waren beide viel zu spät dran, doch scherte es keine von ihnen, was ihre Eltern dazu sagten. Sie selbst war genauso und ihre Mutter hatte nie wirklich etwas dagegen gesagt. Sie wusste durchaus, dass sich Rumiko Sorgen machte, doch war diese meistens durch ihre Arbeit so eingenommen, dass sie selbst auf der Strecke blieb. Es war ihre Großmutter gewesen, die sie dann ruhig zurechtwies. Mit verständnisvollen, alten Augen stand sie seufzend in der Küche und hatte lediglich gefragt, warum sie schon wieder so lange weggeblieben war. Nur Seiko hatte es vermocht, ihr ein schlechtes Gewissen zu machen und den darauf folgenden Abend früh zu Hause zu sein. Lautlos seufzte sie, wandte den Blick von den beiden ab. Im Gegensatz zu ihrer Mutter hatte ihre Großmutter sie verstanden, egal um was es ging. Diese Frau war für sie da gewesen, auch wenn Rika es nie wollte, allein das Wissen hatte ihr genügt. Die junge Frau schüttelte den Kopf, strich sich über das Gesicht. Sie dachte zu viel nach! Seiko war nicht mehr hier und daran würde sich nichts ändern. Tote konnte man nicht wieder lebendig machen. Auch nicht mit Erinnerungen. Sie musste sich an die jetzige Situation gewöhnen und damit leben. Ein Rascheln rechts von ihr ließ sie aufschrecken. Ihre Augen schweiften zu dem Gestrüpp und automatisch stand sie auf. Vielleicht war es doch keine gute Idee gerade hier herzugehen. Man sollte sein Glück nicht überstrapazieren hieß es immer und sie hatte ihr Schicksal heute bereits zu oft herausgefordert. Rika versteifte sich ohne es zu wollen, als ein Schatten durch den schwachen Schein der Laterne huschte und im nächsten Moment verschwunden war. Sie hob beobachtend ihr Haupt, bevor sie sich umwandte und aus dem Spielplatz ging. Ein kaum beleuchteter Park war wohl wirklich nicht der geeignete Platz, um die Nacht rum zu bekommen. Aus dem Augenwinkel sah sie gerade noch, dass etwas Großes auf sie zusprang, erschrocken schrie sie auf und stolperte zurück, während sich etwas Schweres gegen ihre Beine warf. "Gott...", japste die junge Frau, als sie erkannte, was dort um sie strich. Zögernd hob Rika ihre Hand, ehe sich ein leicht belustigtes Schmunzeln über ihre Züge legte. „Du hast mich ganz schön erschreckt.“ Hechelnd und mit dem Schwanz wedelnd, jaulte der große Hund freudig auf, als Rika ihm über das dicke, weiche Fell strich. „Na, was machst du hier?“, murmelte sie weiter und hockte sich zu ihm auf den Boden. Den Kopf schief legend sah er ihr mit seinen treuen dunklen Augen entgegen, genoss die Streicheileinheiten. Dieses Mal musste er Ryo wirklich abgehauen sein, den sie bezweifelte, dass er um halb zwölf noch Gassi ging und auch, dass der Hund kein Halsband trug, sprach dafür. Seufzend stand sie auf, zog ihr Handy aus der Hosentasche. „Mal sehen“, meinte sie eher zu sich, als zu dem Hund, bevor sie die Nummer des Akiyama wählte. Das Telefon an das Ohr haltend lief sie weiter, wohl wissend, dass ihr Kuroi hinterherkam. „Rika?“, erklang es nach unzähligem Läuten verschlafen. „Sicher, ist schließlich meine Nummer, nicht.“ Bevor sie noch etwas sagen konnte, kam er ihr zuvor. „Warum rufst du an? Ist alles in Ordnung?“ Rika hob die Augenbrauen anhand seiner nun hellwachen Stimme. War es den so verwunderlich, dass sie anrief? Gut, sie musste zugeben, man konnte es an einer Hand abzählen, wie oft sie ihn in den sieben Jahren angerufen hatte. „Kann es sein, dass du etwas verloren hast?“, sprach sie belustigt und umfasste den Rüden am Fell, während sie über die verlassene Kreuzung lief. Auf seine zweite Frage jedoch ging sie bewusst nicht ein und Rika bezweifelte, dass es ihm jetzt auffallen würde. „Nicht dass ich...“ Ryo stockte, ehe er ungläubig weiter sprach. „Sag jetzt nicht, dass Kuroi bei dir ist.“ Die junge Frau musste schmunzeln, ließ den Hund wieder los und wie bestellt fing er kurz an zu bellen. Resigniert seufzte der junge Mann und sie konnte sich bildlich vorstellen, wie er sich durch die Haare fuhr. „Ich komm ihn holen, wo bist du gerade?“ „Nicht nötig, ich bin in zehn Minuten bei dir.“ Mit der letzten Silbe legte sie auf, noch ehe er etwas erwidern konnte. Ryo würde nur mit derselben Leier wie immer kommen. Dass er es nicht mochte, dass sie alleine bei Nacht in der Stadt herumstreifte. Sie würde den Schäferhund abgeben und schleunigst verschwinden, noch ehe er zu einer Standpauke ansetzen konnte. „Hey Schnecke“, lallte es ihr lärmend von der anderen Straßenseite entgegen. Rika verdrehte schnaufend die Augen, gleichsam sie den besoffenen Typen sah. Die junge Frau ging weiter und hörte, wie er ihr hinterher rief: „Nicht so schnell. Wo musst du denn hin? Soll ich dich nach Hause bringen?“ Wankende Schritte erklangen. Genervt stöhnte sie auf. Es war unter der Woche und nicht einmal dann war man vor besoffenen Idioten geschützt. „Verzieh dich“, fauchte sie kalt, in der Hoffnung er würde wieder auf die andere Straßenseite verschwinden. Der Geruch von Alkohol wehte ihr entgegen, mit keinem Blick beachtete sie den nun neben ihr herlaufenden Mann. „Hab dich nicht so. Wir können auch zu mir.“ Billiger ging es nicht mehr... Stand auf ihrer Stirn „Schlampe“? „Was verstehst du an den Worten „verzieh dich“ nicht?“ „Du zierst dich aber ganz schön.“ Er griff nach ihr, doch im nächsten Augenblick erklang ein drohendes Knurren, das ihn innehalten ließ. Kuroi stand vor beiden, die Lefzen weit hochgezogen und das Fell abstehend nach oben gerichtet. Vorsichtig und wieder vollkommen nüchtern senkte der Fremde den Arm und stolperte zurück. Rika musterte den Hund verwundert, doch dann verhärtete sich ihre Mine, ehe sie sich umwandte. „Und haust du jetzt ab? Oder muss ich erst den Hund auf dich jagen?“ Schluckend schüttelte er seinen Kopf und schneller, als man schauen konnte, verschwand er um die nächste Ecke. Ihr Blick fiel auf Kuroi, der nicht im entferntesten an gerade eben erinnerte. Schwanzwedelnd kam er auf sie zu, jedoch die Ohren wachend aufgestellt. Hunde waren in manchen Momenten wirklich praktisch, so schnell war noch keiner abgehauen. Ihm über den Rücken streichend, schritt sie weiter und bog in die Straße ein, in der Ryo wohnte. Ein belustigtes Schmunzeln legte sich nieder, als sie den jungen Mann mit verschränkten Armen am Zaun seiner Wohnung erblickte. Wenn sie ehrlich war, hatte sie nichts anderes erwartet. Kuroi rannte um ihre Beine, ehe er zu seinem Ersatzherrchen eilte. Den Hund nicht beachtend, stieß er sich von dem Holz ab, wartete bis auch Rika bei ihm war. „Du weißt, ich mag es nicht, dass du mitten in der Nacht alleine durch die Stadt läufst“, fing er an und erntete ein Schnaufer. „Dann fahr ich das nächste Mal aufs Land“, meinte sie Schulter zuckend. Er musste wirklich schon geschlafen haben, wie ihr auffiel, ansonsten würde er nicht mit Jogginghose und solch zerzausten Haaren dort stehen. „Rika...“ „Du übertreibst mal wieder. Den Hund hab ich dir gebracht, bis dann.“ Sie wollte sich umdrehen, gehen, denn das Letzte, was sie wollte, war irgendeine Diskussion oder gar Streit. Der Tag war schlimm genug gewesen. „Kannst du vergessen. Rika, entweder kommst du mit rein und wartest, bis ich mich angezogen habe oder du bleibst hier. Alleine lass ich dich nicht gehen.“ Eigentlich hätte sie es sich denken können... „Ryo, ich hab kein Bock auf irgendeine unnötige Diskussion, also...“ Er unterbrach sie seufzend und löste seine verschränkten Arme. „Ich mach mir nur Sorgen und Shinjuku ist so spät auch nicht ungefährlich. Also bitte komm mit rein oder lass dich von mir nach Hause bringen.“ Sie atmete schwer aus und ihr Blick, den sie abgewandt hatte, fiel wieder auf den jungen Mann vor ihr. Rika wusste nicht, was sie dann dazu bewegte, resigniert den Kopf zu schütteln und nachzugeben. Aber seine müden Augen, die, als sie ihm in die Wohnung folgte, erleichtert aufblitzten, trugen zu ihrer Reaktion bei. Im Gegensatz zu allen anderen war sie nicht oft hier gewesen, genau dreimal in den zwei Jahren, in denen Ryo bereits hier wohnte. Aus irgendeinem Grund, der ihr selbst nicht klar war, hatte sie es vermieden, zu ihm zukommen. Ebenso wie sie zugeben musste, dass sie es heute auch noch tat. In den letzten Tagen hatte sie mehr Zeit mit ihm verbracht, als in den Jahren davor. Es war nicht so, dass sie sich nicht trafen, das war häufig der Fall, jedes Mal, wenn die anderen etwas unternahmen, doch dass sie alleine waren, war selten. „Kuroi“, murrte er genervt und lief durch das offene Wohnzimmer hinüber zur Terrassentür, schloss diese etwas lauter, als beabsichtigt. Rika hob ihre Augenbrauen, beobachtete den Hund, wie er von der nun geschlossenen Tür zurück auf seine Decke tapste. Das waren ganz neue Seiten, sie hätte nie erwartet, dass Ryo so etwas, wie schlechte Laune empfinden konnte. „Ich bin gleich fertig, dann fahr ich dich nach Hause.“ Die junge Frau ließ sich auf die helle Couch nieder und lehnte sich leicht zurück. „Lass stecken, ich hab keine Lust auf ein schlechtes Gewissen.“ Und das würde sie unweigerlich bekommen, wenn er wegen ihr noch raus musste. Er fing an zu schmunzeln. „Es macht mir nichts aus. Es ist mir lieber, als wenn du alleine rumgeisterst.“ „Trotzdem würde ich eines bekommen und darauf hab ich keine Lust.“ Erstens das und zweitens würde sie heute ganz sicher keinen Fuß mehr in das Haus ihrer Mutter setzen. Leise lachte er und schüttelte den Kopf. Das hieß dann wohl, dass sie hier bleiben würde. „Willst du was trinken?“ Sie verneinte und er ließ sich auf den Sessel nicht weit der Couch nieder. „Wo hat dich Kuroi eigentlich gefunden?“ Ryo unterdrückte ein Gähnen und sein Blick schweifte zu dem Tier, das auf der Decke schlief. Irgendwie war er froh, dass Kuroi die Chance genutzt hatte, durch die offene Trassentür abzuhauen, als er auf der Couch eingeschlafen war. „Er ist mir im Park entgegen gekommen.“ Ryo verkniff sich den Kommentar, der ihm auf der Zunge lag. Er wusste nicht, wie oft er es ihr bereist gesagt hatte, dass sie um so eine Uhrzeit nicht mehr alleine raus sollte, aber in der Beziehung sprach man bei Rika gegen eine Wand. Ihr war die Gefahr nicht im Geringsten bewusst, ihm schon und der Park war um 12 Uhr auch nicht gerade der hellste Platz. Er setzte an, etwas zu sagen, als sie ihm zuvor kam. „Spar es dir, Ryo.“ Der junge Mann seufzte und stützte seinen Kopf auf seiner Hand ab. Er wollte doch nur, dass ihr nichts passierte... Die kleine Nachttischlampe erhellte Ryos Schlafzimmer nur mäßig und der seichte Wind strich durch das offene Fenster über die weißen Vorhänge. Vorsichtig zog sie ihre Handschuhe aus, legte sie auf den Tisch neben dem Bett, in dem sie lag. Es war ungewohnt und seltsam, dass sie bei Ryo war, aber nicht unangenehm, eher beruhigend. Ein geräuschloser Laut rann ihr über die Lippen. Erst jetzt bemerkte sie wirklich, wie müde und erschöpft sie war. Wenn sie daran dachte, dass sie morgen nach Hause musste, wurde ihr schlecht. Denn das Hochgefühl, Jack eines ausgewischt zu haben, war längst der Furcht gewichen. Es gab keine andere Option, das wusste sie und genau das war es, was sie schlucken ließ. Der Türgriff ging mit einem kratzenden Geräusch nach unten und leise schabte das Holz auf dem Boden entlang, als die Tür aufgeschoben wurde. Ihre Aufmerksamkeit legte sich verblüfft auf den Hund, der durch den Spalt hindurch lief. Mit einem beherzten Sprung war er neben ihr auf dem Bett und schnaufend legte er sich hin. Schlaues Tier... Langsam strich sie ihm durch das schwarze, weiche Fell und drehte sich zu ihm um, nachdem sie die Lampe ausgemacht hatte. Ob er das auch durfte, wenn Ryo hier schlief? Wahrscheinlich nicht. Sein Kopf rutschte etwas zu ihr und ein Schmunzeln legte sich auf ihren Lippen nieder. „Du bist ganz schön aufdringlich“, meinte sie leise. Ihren Kopf auf das weiche Kissen legend, streichelte sie Kuroi weiter, sah dabei aus dem Fenster. Vielleicht konnte sie es mit einer Entschuldigung probieren, aber sie glaubte nicht daran, dass Jack es so leicht hinnehmen würde. Die junge Frau schloss ihre Augen und ein bekannter, angenehmer Duft stieg ihr in die Nase. Ein Gedanke kam ihr in den Sinn, doch verschwand dieser so schnell, wie er gekommen war. Ryo konnte ihr nicht helfen und das wollte sie auch nicht. Sie schaffte das alleine, irgendwie... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)