Klang des Regens von Astre (Ryoki) ================================================================================ Kapitel 8: Kalter Nebel sperrt sie ein. --------------------------------------- Kapitel 8 Kalter Nebel sperrt sie ein. Der kühle Wind, der durch ihre Haare strich, war ein stiller Vorbote des Sturms, der nahte. Dunkle Wolken zogen sich durch den Himmel, ließen die kommende Nacht umso dunkler wirken. Ein geräuschloser Seufzer rann über ihre Lippen, als sie den Weg zu ihrem Haus einschlug. Stunden war sie durch die Stadt gelaufen, um letztendlich feststellen zu müssen, dass ihre Gedanken sich nicht vertreiben ließen. Immer wieder kehrten sie zu dem Geschehenen zurück und ihr Herz fing von neuem an schneller zu schlagen. Ihre zarten Finger handelten von selbst, während sie hauchend über ihren Mund fuhren. Ihr Kopf hatte sich einfach ausgeschaltet, als sie seine Zunge über ihre Lippen streichen spürte. Das stetige mehr werdende Kribbeln, hatte auch die letzten Einwände vertrieben und erst danach hatte sie wirklich realisiert, was gerade passiert war. Wie ein eisiger Lufthauch hatte sich die Wirklichkeit um sie gelegt und mit ihr war die Wut gekommen. Zorn auf sich selbst, weil sie es zugelassen hatte und Ärger auf ihn, weil er der Auslöser für das alles war. Das Prickeln kam zurück, stärker als je zuvor. Seit nun mehr sieben Jahren ignorierte sie es, doch jetzt wollte es ihr nicht mehr gelingen. Sie schüttelte ihren Kopf und ihr Augenmerk legte sich auf das alte große Haus, das sich vor ihr erstreckte. Ryo, dieser verfluchte Idiot... Ihre Beine hatten danach so stark gezittert, dass sie dachte, sie würden jeden Moment nachgeben. Er hatte versucht, sie zu erreichen, doch jeden seiner Anrufe hatte sie unerwidert gelassen und nicht einmal die Nachricht lass sie sich durch. Ihren Schlüssel aus der Hosentasche ziehend, schloss Rika leise auf, trat in den abgedunkelten Gang hinein. Wenn sie ehrlich mit sich selbst war, musste sie zugeben, dass es ihr gefallen hatte und das behagte ihr keineswegs. Es war nicht ihr erster Kuss gewesen und doch im Gegensatz zu allen anderen war dieser nicht spurlos an ihr vorbei gegangen. Ihre Schuhe fanden ihren Platz neben den anderen und ihre Jacke schmiss sie ungeachtet auf den Hacken. Sie würde sich nicht verlieben! Ryo war eindeutig der Falsche für solch dumme Gefühle. Spätestens dann, wenn er keine Lust mehr hatte, würde er sie fallen lassen und dafür war ihr Stolz einfach zu groß. Sie hatte sich einmal verletzen lassen, ein zweites Mal würde ihr so etwas nicht passieren. Ihre Beine trugen sie an dem milde beleuchteten Wohnzimmer vorbei, als eine Stimme sie erstarren ließen. „Ruki, wo willst du hin?“ Glühend heiß fiel ihr der gestrige Abend wieder ein. Ihre Augen wanderten zurück zur Haustür, hinunter zu den Schuhen. Ihre Mutter war natürlich nicht da und einfach wieder gehen konnte sie jetzt auch nicht mehr. Irgendwann musste sie ihm gegenübertreten. Sie konnte nicht immer weglaufen, leider. „Komm her“, erklang es erneut. Dass seine Stimme neutral war, ja fast schon sachlich, ließen sie frösteln. Tief durchatmend gehorchte die junge Frau, schritt zurück. Ihre Finger legten sich auf das Holz des Türrahmens, in dem sie stehen blieb. Ein Fluchtweg war immer gut, und wenn sie hier blieb, hatte sie noch die Möglichkeit aus dem Haus zu gelangen. Ihre Augen schweiften zu Jack, mit einem Glas, das er zu den Seiten schwenkte, saß er an der Theke der Küche. Rika musterte den Mann einige Sekunden lang. Er sah nicht wütend aus, dennoch, sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er ihr Verhalten nicht tolerieren würde. Er hatte es sich gemerkt, da war sie sich sicher. Trotzdem, sie bereute nicht, dass sie ihm die Sachen vor die Füße geschmissen hatte. „Ruki.“ Mit einer einfachen Geste signalisierte er, dass sie näher kommen sollte. Misstrauen schlängelte sich an ihr empor, veranlasste sie dort zu bleiben, wo sie war. Er war für ihren Geschmack fast schon zu gelassen. Stumm nahm er es zur Kenntnis, stand seufzend auf und kam zu ihr hinüber. Jede seiner Bewegungen, egal wie klein sie auch waren, besah sie sich. Rika fühlte sich wie ein verschrecktes Reh, das jeden Moment bereit war zu fliehen... Und vielleicht war das auch gar nicht Mal so falsch. „Wie gefällt dir unser neuer Tisch?“ Er nickte zu eben genanntem Möbelstück. „Schön, nicht?“ Das Glas auf dem Holz abstellend, betrachtete er ihn, ehe er weiter sprach: „Der Alte ist leider kaputt gegangen, eine Schande, aber ich war wirklich wütend auf dich, Ruki.“ Schluckend verfestigte sich ihr Griff um den Rahmen. War sein Zorn gestern wirklich so groß gewesen? Ohne dass sie etwas dagegen tun konnte, flackerte das Gefühl der Furcht allmählich in ihr auf. „Ich sage es dir jetzt nicht noch einmal, komm her“, zischte er plötzlich und die Ruhe verschwand mit einem Mal. Rika zuckte zusammen, sein Benehmen war ungewöhnlich und etwas in ihr veranlasste sie zu gehorchen. Die junge Frau kam ihm entgegen, nicht so viel wie er wollte, aber genug, um ihn zufrieden zu stellen. „Dein Verhalten gestern war inakzeptabel, aber das weißt du, nicht? Warum solltest du auch sonst so lange wegbleiben. Willst du dich nicht entschuldigen?“ Das Flackern in seinen Augen, das sie immer schon zur Vorsicht getrieben hatte, war präsenter wie sonst und doch, irgendetwas in seinem Blick war anderes. „Ich wüsste nicht für was.“ Die Silben sollten fest und kalt klingen, dem ungeachtet gelang es ihr nur mäßig. Der Mann schüttelte milde seinen Kopf, als wenn er sich selbst etwas verneinte. Das Folgende kam unerwartet und schnell, ohne irgendeine Warnung holte Jack aus und gab ihr eine Ohrfeige. Schmerzhaft keuchte die junge Frau auf, während sie hart auf dem Boden aufkam. „Du musst wissen, ich bin dir nicht böse. Ich verstehe, warum du so bist. Wie solltest du auch anderes werden, wenn nie jemand hier war, der dich maßregelt?“ Ihre Finger legten sich auf ihre erhitzte Wange und zuckend stellte sie fest, dass er dieses Mal richtig zugeschlagen hatte. „Aber keine Angst, wir bekommen das schon wieder hin, denkst du nicht auch?“ Sie sah zu ihm auf und bei seinen nachfolgenden Worten breitete sich Panik in ihr aus. „Du bist schlau und ich glaube zu wissen, dass du dir die Regeln nach heute Abend merken wirst.“ Instinktiv versuchte sie mehr Abstand zischen sich zu bringen, was Jack jedoch nur mit einem Kopfschütteln registrierte. „Ach Ruki, warum hast du Angst vor mir? Das jetzt wird wehtun, ja, aber auch das wird vorbeigehen, glaube mir. Du wirst merken, wie schön es sein kann, wenn man in einer harmonischen Familie zusammenlebt.“ „Komm mir nicht zu nah“, stieß sie zittrig hervor und stand auf, brachte so noch mehr Freiraum zwischen beide. „Ruki, mach mich jetzt nicht auch noch wütend, sonst überlege ich mir, dich für gestern zu bestrafen.“ Gleichzeitig, wie er einen Schritt auf sie zu ging, brach der dünne Damm, der sie bisher verharren ließ. In dem Moment wurde ihr klar, dass sie hier raus musste, das waren keine leeren Worte, er würde ihr die Regeln erklären, so wie es sein Vater mit ihm getan hatte. Aus seinen Erzählungen würde brutale Realität werden. Zugleich sie aus dem Raum hinaus flüchten wollte, wurde sie mit Gewalt gepackt und zurück gerissen. Ein erstickter Schrei ran über ihre Lippen, als sich die raue Wand in ihren Rücken bohrte und er ihren Oberkörper unbarmherzig dagegen schleuderte. Ein Stechen breitete sich in ihre Schulter aus und ihre Arme fingen an zu brennen, die unebene Fläche schürfte ihre Haut sekundengleich auf. Ihr Wimmern ging in ihrer bebenden und lauten Stimme unter. „Lass mich los!“ Hastig und verzweifelt versuchte sich die junge Frau gegen seinen eisernen Griff zu wehren. Es schien für ihn ein Leichtes zu sein, sie an die Wand zu nageln. Er brauchte nicht einmal beide Hände, denn nur mit einer hielt er ihre Handgelenke über ihrem Kopf zusammen. Schmerzlich wurde ihr bewusst, wie schwach sie im Vergleich zu diesem Mann eigentlich war. „Ich lasse dich los, wann ich es für richtig halte, Ruki. Ich hab mir das alles lange genug angesehen, habe ich dir nicht einmal gesagt, dass du dich mir nicht widersetzen sollst? Warum tust du es also dennoch?“ „Ich tu was ich will und jetzt lass...“ Sein Handrücken traf ihr Gesicht, welches durch die Kraft auf die Seite gerissen wurde. „Du wirst nicht mehr widersprechen, Ruki!“ Der Geschmack von Eisen legte sich auf ihre Zunge, als sie ihr eigenes Blut schmeckte. Schluckend betrachtete sie den Boden unter ihren Füßen. „Es wird Zeit, dass du endlich lernst, mich als deinen Stiefvater anzuerkennen, und mich auch dementsprechend behandelst. Die Zeit deines immerwährenden Trotzes ist endgültig vorbei.“ Rika erstarrte. Wut und Verzweiflung wallten lodernd in ihrem Inneren auf, vertrieb die Angst. Er war nicht ihr Vater und würde es auch nie sein, egal was er tat. „Einen Scheißdreck muss ich, du Mistkerl!“, schrie sie ihm die Silben entgegen und versuchte sich aus seiner Übermacht zu befreien. Der nächste Schlag folgte sogleich, kraftvoller, als alle bisherigen. „Es reicht, Ruki!“, donnerte ihr seine zornige Stimme entgegen, doch vernahm sie diese nur am Rande, den harten Fußboden jedoch spürte sie mit aller Härte. Bebend stieß sie ihren Atem aus und stützte sich leicht auf ihren Armen auf. „Du weißt, Ruki, dass ich dir immer die Wahl gelassen habe. Ich habe dich gewarnt und immer wieder mit dir geredet, aber du wolltest einfach nicht hören.“ Eisig lief es ihren Rücken herunter, als sie das Geräusch seiner Gürtelschnalle hörte. Ihre Augen weiteten sich entsetzt, während sie vernahm, wie das Leder aus der Hose gezogen wurde. Nein, das würde er jetzt nicht wirklich tun... „Der erste Schlag für deinen Ungehorsam mir gegenüber.“ Ihr Schrei hallte markerschütternd und durchdringend an den Wänden wieder. Brennend heiß zog sich der Schmerz über ihren Rücken, entlockten ihr ein heiseres Schluchzen. „Der zweite dafür, dass du nicht vergisst.“ Peitschend grellte das Leder auf, zusammen mit ihrer brechenden Stimme. Jede Regel, ein Schlag. Dröhnend hallten seine Worte in ihren Ohren wider, begleitet von ihrem bitteren Wimmern. Bei dem dritten und vierten Schlag noch hatte sie geschrien, bei dem fünften jedoch verstummte ihre Stimme fast gänzlich. Ein dicker Schleier legte sich auf ihre Umgebung, das Einzige, das ihre Sinne noch wahrzunehmen schienen, war seine Stimme und das reißende Glühen. Es erfüllte die junge Frau, ließ sie kaum noch Luft holen. Mit jedem peitschenden Hieb des Leders zuckte ihr Körper von Neuem zusammen, brachte ihn zum Schreien. Das Brennen zog sich quälend durch sie hindurch und breitete sich schleichend langsam aus. Der Schmerz war alles, was sie spürte, alles, was sie fühlte und alles, was sie atmete. Der Nebel umhüllt sie, legt sich hauchend nieder und sperrt sie ein. Verwischt registrierte Rika, wie etwas neben ihr auf den Boden fiel. Jacks Stimme erklang, Silben, die sie trotz Anstrengung nicht verstand. Mühevoll schlug sie ihre Lider auf, richtete ihre Augen auf das Armband, das nicht weit ihrer Hand lag. Die unzähligen Glöckchen glitzerten durch das Wohnzimmerlicht auf und aus weiter Entfernung hörte sie, wie die Haustür ins Schloss fiel. Der Schleier, der sich um sie gelegt hatte, hüllte sie noch immer ein. Kein Gedanke wollte zu ihr hindurch dringen, einzig und allein das Stechen in ihrem Rücken schaffte es. Etwas lief ihre Wange hinunter und ihr Körper fing an zu beben, zitterte mit jeder Sekunde mehr. Ihre Finger krallten sich zusammen und ein raues Schluchzen rann über ihre Lippen, während sie sich aufrichtete. Strähnen ihres Haares fielen der jungen Frau in das Gesicht und ihre Arme drohten unter ihrem Gewicht einzuknicken. Zerschmetternd, reisend, gnadenlos, kalt holte die Realität sie ein. Das laute Knallen einer Tür erklang und sie vernahm das Toben des Windes, der aufgebracht gegen die Fenster drückte. Der unsichtbare Vorhang zog sich stückweise zurück, raubte ihr die Luft zum Atmen. Ihr Weinen wurde lauter je mehr sie ihr Umfeld wahrnahm, je mehr sie begriff, was passiert war. Es war ihr Körper, der von alleine handelte, als ihre rechte Hand nach ihrem Handy griff und eine Nummer wählte, die ihr bekannt war und die sie brauchte. Zitternd lauschte die junge Frau dem Klingeln, sie wusste nur eines, sie musste hier weg. „Rika? Endlich rufst du zurück...“ Die nächsten Worte verstand sie schon nicht mehr. Bei dem Klang seiner Stimme, hörte die Welt einen Moment lang auf zu drehen, bevor sie umso realer, grausamer weiter lief. Dann brach der Schleier gänzlich auf. „Ryo.“ Bebend und wimmernd wich ihr sein Name über die Lippen. Abrupt stoppte der junge Mann, ehe er weiter sprach. „Was ist passiert?“ Sie antwortete nicht auf seine Frage, schluchzte leise weiter, ehe ihr die nächsten Silben weinend entwichen: „Bitte...komm vorbei.“ „Bist du daheim?“ „Ja.“ Sie vernahm tosende Hintergrundgeräusche und das Bellen Kurois. „Ich bin in fünf Minuten da, hörst du. Bleib einfach, wo du bist.“ Das Handy glitt ihr aus der Hand und bebend stützte sich die junge Frau mit beiden Armen ab. Die Augen schließend, verharrte sie. Unzählige Gedanken rauschten durch ihren Kopf, doch keinen bekam sie zu fassen. Es war, als ob sie noch immer das Geräusch des schallenden Leders hörte. Der Regen prasselte unaufhaltsam gegen die Fenster und es war der Wind, der durch die Spalten pfiff. Das Surren des Kühlschranks kreischte ihr hallend entgegen und vermischte sich mit dem gleichmäßigen Ticken der Wohnzimmeruhr. Einfache, belanglose Klänge dröhnten viel zu laut in ihren Ohren wider. Die Umgebung fing an sich zu drehen und sie wusste nicht, ob sie noch immer weinte oder einfach still wartete, ehe sie Ryos Stimme vernahm. „Rika?“, hörte sie ihn sagen und öffnete ihre Augen. Eilige Schritte erklangen und am Rande registrierte die junge Frau, wie er sich vor ihr niederkniete. „Hey, was ist passiert?“ Seine Hand berührte sie zaghaft und dann war es, als ob die Schmerzen der vergangenen Stunden erneut über ihr einbrachen. Ein Schluchzen brach aus ihr heraus und das nächste, was sie spürte, war sein Körper, an den sie sich klammerte. Ohne ein Wort der Erklärung zog sie sich bitterlich weinend enger an ihn. Seine Hand legte sich vorsichtig auf ihren brennenden Rücken, ehe er sich nach hinten sinken ließ. „Ich... kann nicht mal... aufstehen“, brachte sie wimmernd über die Lippen. Dass er die Silben wohl nicht verstehen würde, war ihr in dem Moment egal, genauso wie ihr alles andere egal war. „Bring mich... bitte hier weg, Ryo.“ Hosted by Animexx e.V. 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