Die Zauberin und die Macht der Sterne von Ghaldak (Die Abenteuer der Zauberin Freya, erste Staffel) ================================================================================ Kapitel 1: Freya in: (2) Boronsrosen ------------------------------------ Freya Zeit geht zu Ende. Du kannst es gar nicht glauben. Es kommt dir noch wie gestern vor, als du Rufus trafst und mit ihm zusammen die Stadt Grangor betratest, um mit ihm dort zu überwinden. Es wurde kalt und während er seine Mutter besuchte, um mit ihr die Ferien zu verbringen, war dein Ziel vornehmlich, an der Erscheinungsakademie zu Grangor deine überirdischen Kräfte zu schärfen. Wozu seiest du schließlich in der Grauen Gilde, hattest du Rufus gesagt und ihm aufgeführt, in welchem Maße du deine Macht steigern würdest. Du hast es selbst kaum geglaubt und du bist dir nicht sicher, wie er es denn aufnahm. Ihr verbrachtet Zeit miteinander, viel Zeit, erkundetet die Stadt (oder besser, er zeigte sie dir, denn er wurde hier geboren, während es für dich das erste Mal ist), starrtet auf das Meer und saht euch gemeinsam am Lagerfeuer die Sterne an, und doch stellte er dich nicht seiner Mutter vor; er sagte, das wäre nicht gut, und auch wenn du nicktest, schmerzte es dich. Du bist die, die weiterwill, nicht er. Kaum war Hesinde angebrochen, da war auch schon Firun und er kommt zu dir und sagt dir, dass er bald wieder aufbrechen müsse, denn in Neersand würde nach Firun die Winterpause enden und der Weg ins Bornland sei weit. Es sei schön gewesen, sagt er, und er würde sich wirklich auf das nächste Mal freuen, wenn ihr euch wieder seht, und du nickst und lächelst und fühlst dich doch allein. Ob du noch hier bleiben möchtest, wenn er weg ist? Du schüttelst den Kopf. Du bist jetzt ein Gefäß der Sterne, sagst du, und kannst gar nicht erwarten, wie die ganze neue Macht in dich fließt. Dabei lachst du. Rufus hat einen herrlichen Humor, er kann alles, was um ihn herum geschieht, auf eine Weise erzählen, dass es lustig wirkt, und du bewunderst ihn dafür. Es wirkt fast so, als würde er keinen Schmerz spüren. Er muss zurück zur Schule. Du wirst allein zurückbleiben, denn du bist schon fertig. Was hast du dir eigentlich dabei gedacht, dich in einen jüngeren Mann zu verlieben? Würde man dir das ins Gesicht sagen, würdest du aufspringen und widersprechen, doch deine Gedanken entlarven dich. Du sprichst vom Weg des Magiers, den du gehen möchtest, doch du kamst in die Stadt, um bei Rufus zu sein, und wann immer er dich abends verabschiedet, da er keinen Ärger mit seiner Mutter bekommen möchte, und du alleine durch die Gassen der lebenslustigen Hafenstadt wanderst und dir so gar nicht nach Amüsement zu Mute ist, streift dein Blick nach oben, hin zu den Sternen, dann suchst du manchmal die Sternbilder, die dir Rufus zeigte, starrst aber zumeist den Mond, das Madamal, an und denkst an die Frau in ihrem Gefängnis. Mada brachte den Menschen die Magie und wurde dafür von vier Männern geschändet und in Stein geschlagen, während ihre Mutter zusah, und du vaterlandslose Gesellin, die ihre Familie hinter sich ließ und deren Leben sich um vier Männer kreiste, kannst gar nicht anders, als dich ihr verbunden zu fühlen. Sie ist deine Göttin, auch wenn du das sicher nicht öffentlich äußerst, um nicht gleich als Ketzerin oder Hexe zu gelten, und du bewunderst sie, während sie dich schlägt. Deshalb bist du ein Gefäß der Sterne geworden. Du willst ihr noch näher kommen und kennst doch die Schritte nicht. Rufus könnte sicher auch zu deiner Situation etwas Lustiges sagen, doch du sprichst mit ihm nicht darüber. Warum nicht? Hast du Angst, er könnte dich auslachen, oder hast du Angst, er könnte deine Sorgen verstehen und genauso empfinden und dann müsstest du deine eigene, ganz persönliche Göttin mit jemandem teilen, der nur ein guter Freund für dich sein will? Er kennt sich mit den Sternen aus, er spricht gerne verächtlich über den Glauben seiner Lehrer; was ist, wenn er sie mehr mag als du? Würdest du dann mit ihm auch deine Göttin verlieren? Du willst sie nicht verlieren, du willst ihn nicht verlieren… und, nein, verdammt, streng genommen möchtest du ihn nicht einmal haben, denn du willst ganz sicher nicht mehr als er, du hast immerhin auch deinen Stolz. Es ist doch immer dasselbe, kaum bleibst du zu lange untätig an einem Ort, kommst du dir schlecht vor. Du musst weiter. Rufus muss weiter, er muss zurück auf seine Schule. Du möchtest ihn nicht an die Tore bringen und auch nicht gehen lassen, also lässt du dich von ihm ein Stück mitnehmen, bis nach Almada, denn du hast von einem Tanz der Mada gehört, den du in Brig-Lo vermutlich lernen könntest. Manchmal bist du wirklich bescheuert. Bist du glücklich, als du im „Roten Hang“ in Brig-Lo sitzt? Bist du glücklicher? Nein, wirst du sagen, sicher nicht. Tage vergingen seit deinem Aufbruch und seit dem Ende der Zeit, die niemals enden sollte. Du kamst hier in die Stadt, um voranzukommen und nicht wieder nach hinten zu blicken und seitdem ging alles schief: Der Lehrer, der dir in Grangor empfohlen wurde, verlangte mehr, als du einplantest, wobei die Lektion, die du verinnerlichest – eine Art Meditationstanz – dir auch nicht sofortige Erleuchtung einbrachte, und zuletzt handelte es sich bei Brig-Lo um ein Kaff mit geradezu aufreizender Reizlosigkeit. Du langweilst dich, weißt aber nicht, ob du sofort aufbrechen solltest oder nicht und was wohl schneller vorbeiginge, der Winter oder die Reste deiner Barschaft. Rufus würde jetzt grinsen und sagen, dass du wohl nicht die erste Liebfelderin wärst, die an Brig-Lo scheiterte, und du würdest ihm am Liebsten etwas nachwerfen… und dich doch besser fühlen. So ist das in deinem Leben, manchmal bist du Heldin, manchmal wirst du von Sumu geprügelt… und jetzt ist erst einmal Letzteres an der Reihe. Du hattest deinen Spaß. Ein Mann kommt zu dir und setzt sich an den Tisch. Er trägt einen langen Mantel und einen tief gezogenen Schlapphut, den er auch im Raum nicht abnimmt – unfeine Manieren –, wobei du ihn erst einmal gar nicht beachtest und nur deinen rechten Arm etwas anhebst, damit er das Siegel auf deinem Handrücken erkennen kann. Du bist eine Kampfzauberin zu Andergast, was aber wohl die meisten nicht herauslesen könnten, aber du bist nun einmal dazu verdammt, deine Profession offen zu zeigen und viele Dorfjungen haben genug Respekt vor dem Zeichen, um dir dumm zu kommen. Den Mann jedoch stört es nicht, wobei er auch nicht deine Hand ergreift, um sie zu küssen. Er setzt sich einfach und lässt seinen Bierkrug auf das Holz knallen, um ganz offensichtlich deine Aufmerksamkeit zu erregen. Jetzt drehst du dich zu ihm um. Der Mann ist kräftig, vielleicht um die dreißig, und hat ein grobes Gesicht mit schmutzigen schwarzen Haaren, die als Strähnen unter seinem Hut hervorkommen. Er mustert dich fast aufreizend lange und du könntest langsam genervt sein, wärst du das nicht eh schon. „Du bist hübsch“, sagt er schließlich. „Du auch“, sagst du, „als Kröte.“ Du kannst ihn zwar nicht wirklich verwandeln, doch das ist einfach das Klischee und bei vielen die Urangst. Er geht jedoch nicht weg. „Eine hübsche Frau, ganz allein in der Stadt, da kann ein Mann sich doch wundern… Was tust du hier denn so?“ – „Ich will Dreck in Gold verwandeln“, sagst du, „und bin da hier an bester Stelle.“ Er lacht laut und lange und dir wird ganz mulmig dabei, war doch deine Antwort nicht wirklich geistreich und nur ein schwaches Echo der Tatsache, dass du zuviel Zeit mit Rufus verbrachtest… nein, verdammt, nicht hier. „Das ist gut, da bist du richtig.“ Der Mann grinst dich breit an. „Da kann ich dir vielleicht dabei helfen. Du musst wissen, mir gehört der Laden hier…“ Was sollst du dazu sagen? Du schweigst und lässt ihm seine Kunstpause. „Da guckst du, was? Und noch viel mehr hier, denn Brig-Lo ist fast schon meine Stadt. Habe ich nicht recht, Anita?“ Er blickt zu dem Ort herüber, an dem sich eigentlich eine Kellnerin aufhalten müsste, scheint aber nicht verdutzt über deren Fehlen. Ohne dass du es merktest, bist du mit ihm allein. „Oh, dann verzeiht, dass ich mich Ihnen noch nicht vorstellte.“ Deine Bewegungen passen perfekt zu deiner Sprache, „Ich bin Kaiserin Yppolita, voller Dank für Eure Gastfreundschaft.“ Er lacht, ohne dass seine Augen diesem Gefühl folgen. Du nanntest einfach den Namen der Schwester der Kaiserin, die eine Zauberin ist wie du und sich seit einem versuchten Putsch im Exil im Bornland befindet… wo auch Rufus ist. Verdammt. „Das meine ich ernst. Ich heiße Alrik Garether und beherrsche das Nachtleben dieser Stadt, Schänken, Freudenhäuser und eine Menge hübscher Damen, die Männern mit Geld das Hirn rausbumsen können.“ – „Ich kann es nur rösten.“, wirfst du knapp dazwischen, denn dir gefällt der Verlauf nicht. Wer immer das ist, er soll wissen, dass du nicht schutzlos bist. „Ich weiß“, sagt er, nicht im Mindesten gebremst, „Ich weiß, mein Kleines, denn ich kann die Zeichen lesen, auch wenn du es nicht glaubst, mein Kleines, doch ich kann es und genau da“ – seine große, gestikulierende Hand fährt auf den Tisch herunter und greift fest nach deinem Handgelenk – „kommst du ins Spiel. Es gibt da nämlich etwas, was mir gar nicht gefällt.“ Er blickt dich an und dir sind langsam die dummen Sprüche vergangen. „Lass mich los“, sagst du. Er kommt dem unauffällig nach – ein Glück, denkst du – und lässt den Wasserfall seiner Worte weiterrauschen. „Du hast es selbst gesagt, du bist hier, um das große Geld zu machen, und dabei kann ich dir helfen, denn etwas stört mich wie etwas mich nur stören kann und wie nichts anderes mich stört und das passiert und das passiert gerade und das ist Konkurrenz. Ja.“ Du atmest leise auf, als du merkst, dass es nicht um dich geht – manchmal ist dir auch das ganz recht. „Ja, denn die habe ich. Ich beherrsche hier wirklich alles in der Stadt, ja, das tue ich, so wahr ich Alrik… ähhm… Wehrheimer heiße und da kommt dieses Pärchen aus dem Nichts und meint hier, sich niederzulassen und meine Bürger beglücken zu können. Das geht nicht, das kann nicht sein und das… kannst du ändern.“ Er sieht dich an und du weißt, dass du manchmal Aufmerksamkeit überhaupt nicht gerne hast. „Wie das?“ – „Irgendwie. Mir egal. Mache Kröten aus ihnen, brate ihnen die Köpfe, gehe zusammen mit ihnen und ihrem kaputten Haus in Flammen auf, ist mir doch egal. Mache nur, dass es endet. Ich zahle auch gut.“ Das sind vier magische Worte. Du würdest gerne edel sein und gut, doch du hast nichts weiter als einen Berg aus Schulden, eine Reisekasse, die nur noch aus ein paar Münzen besteht und keine Idee, wie es weitergehen kann. Du kannst nicht immer weghören, besonders jetzt, und du weißt, dass Sumu dich wieder prügeln wird, aber du kannst nur hoffen, dass deine Augen nicht zu verräterisch funkeln. Du beschließt, offen zu sein, denn wer nichts verbirgt, der kann auch nicht entlarvt werden: „Mir deucht, da hör’ ich’s golden funkeln.“, sagst du spielerisch, denn je hungriger man ist, desto besser ist es, seinen Hunger zu verbergen. „Jetzt höre ich dir auch zu. Wie viel?“ – „Fünfzig“, sagt er. „Zehn jetzt, vierzig später.“ Fünfzig Dukaten, schießt es dir durch den Kopf, ist der irre? Sicher, du bist eine Zauberin, doch er hätte dich schon mit der Hälfte angemessen bezahlt… und du hättest es wohl auch für den Vorschuss getan. Da muss es einen Haken geben oder dieser Kerl ist einfach nur vollkommen provinzial. „Dukaten?“, fragst du, um noch einmal sicherzugehen und er missdeutet dein Zögern völlig. „Ja, natürlich. Das ist natürlich nur ein Test, denn wenn du deine Sache gut machst, dann stehen dir auch weitere Möglichkeiten offen. Ich kann mich dir sehr gut als meine ganz persönliche Hofzauberin vorstellen, wenn du verstehst, was ich meine?“ Abgebrannt, ja; verzweifelt, nein. Er versteht dein Schweigen. „Ich meine natürlich rein geschäftlich. Zusammenarbeit und so.“ Warum schlingert er so, denkst du dir. Du beschließt, das Thema zu wechseln, nachdem du dich schnell umblicktest, doch ihr seid weiterhin allein. „Ein Bordell, betrieben von einem Pärchen, irgendwie schließen, nicht zwangsweise mit Gewalt. Fünfzig Dukaten, davon zehn jetzt. Soweit richtig?“ Der Mann fängt sich wieder und nickt, doch gerade liegt die Gesprächsführung an dir und du wirst deine hohe Position nutzen. „Ich werde sehen, was ich tun kann.“, sagst du. „Wenn sich in dem Haus ein verstecktes Kriegerkloster der Säbeltänzer verbirgt, dann kehre ich um und die Zusammenarbeit ist gestorben, ebenso wenn mir keine andere Möglichkeit bleibt, als wehrlose Menschen im Moor zu ertränken. Ich mag eine Zauberin sein, doch eine Mörderin bin ich nicht.“ Sein Blick verrät etwas, doch du lässt ihn nicht zu Wort kommen. „Ich werde es mir ansehen und dann hören wir wieder voneinander und dann wechselt auch Geld den Besitzer, also entweder die Anzahlung zurück an dich oder…“ Du kamst zu einem Ende, indem du einfach innehältst und deine offene Hand nur zufällig vor seine Nase hältst. Du riskierst viel, das weißt du, doch gerade im tiefsten Strudel ist es wichtig, den Kopf über dem Wasser zu halten. Du suchst dir nur immer die dümmsten Augenblicke aus, um Rückgrad zu entwickeln – doch heute gewinnst du damit. Freya Das Haus, welches dir der Mann beschrieb, liegt etwas außerhalb der Stadt nahe einem Moor und es dämmert bereits, als du es erreichst. Nacheinander blickst du in den Himmel, hoffend, dass sich die grauen Wolken nicht in einem Wolkenbruch entladen, dem du schutzlos ausgeliefert wärst, und zu dem verfallen wirkenden Haus herüber, dass hier auf dich wartet. Es wirkt verlassen, Schlingpflanzen überwuchern das weite Holzbauwerk so dicht an einem Sumpf, und du fragst dich, ob das Ganze nicht ein riesiger Schwindel ist. Wenn hier ein Pärchen etwas neu aufzog, dann gab es sich jedenfalls wenig Mühe, das Neue auch neu erscheinen zu lassen – sicher ist jedenfalls, dass sie das Gebäude nicht errichteten, sondern allenfalls in eine leer stehende Behausung einzogen. Was kannst du also tun? Die Stimme, die dir die Antwort zuflüstert, gehört zum Andergaster Kampfseminar, das dich ausbildete, und weil es das auch für die Magier der Armee und zum Schutze des Vaterlandes tat, bekamst du auch eine gute Portion an Informationen mit, wie man sich im Feld verhält – Kurse also, die sich von denen nicht sehr unterscheiden werden, die Rufus gerade belegt. Rufus. Moment. Kein Stich? Nein, Rufus ist dir nicht nahe. Diese Aufgabe ist etwas dreckig und eindeutig dir und nicht ihm. Hier möchtest du wirklich allein durch. Was tut der brave Magiersoldat, wenn er ein Gelände betritt, für dessen Betreten er unerhört gut bezahlt wurde? Er verschafft sich ein Bild von der Lage. Du klopfst also nicht an, sondern umrundest erst einmal die Anlage, doch wenn du hoffst, die Lage geklärt zu bekommen – und diese Lage verlangt ganz klar nach Klärung –, wirst du enttäuscht. Die Rückseite offenbart nicht mehr als die Front – es bleibt ein halb im Sumpf versinkendes, verfallenes und ungewöhnlich stilles Herrenhaus –, wenn man einmal von der Hintertür absieht. Du stehst nun endgültig vor der Wahl: Rein oder raus, und auch wenn dein Gefühl sicher einem Weglaufen nicht abgeneigt wäre, so bist du doch eine Heldin und wirst diesem Ding jetzt auf den Grund gehen. Vorsichtig lauschend näherst du dich der Hintertür. Sie ist windschief und mit verschiedenem Gerümpel zugestellt, also fühlst du dich richtig und beschließt, sie freizuräumen und einfach einzuschlagen. Du setzt mit deinem Stab zu einem schnellen, kraftvollen Schlag gegen das Schloss direkt an und… Auuuuaaaaaaaa. Ein Blitz zerreißt kurz das Dunkel und reißt dich zu Boden, von einem irrsinnigen Schmerz begleitet, und du leidest… und lachst. Endlich beginnt sich alles aufzuklären. Da wartet also vermutlich ein Kollege, der eine jämmerliche Version dessen einsetzt, was du unter einem Fulminictus verstehst, doch wenn er meint, das wird ihn schützen, dann denkt er aber falsch. Du legst dir eine Hand auf die Brust, murmelst ein paar Worte, die du selbst nicht verstehst, und fühlst den Schmerz verschwinden. Das war wohl nichts, denkst du dir, und blendest Rufus’ mahnende Stimme in deinem Hinterkopf aus, die dich sonst nur darauf hinweisen würde, dass der Schritt vom stolzen Magier zum übermütigen und dann zum toten gar nicht so groß ist. Erst einmal und gerade bist du noch am Leben und fühlst dich großartig und wirst noch gar nicht von der Erkenntnis heimgesucht, dass ein neuer Versuch des Öffnens wohl den gleichen Blitz zur Folge hätte und damit die Hintertür für dich flachfällt. Na gut, dann musst du wohl noch etwas tiefer in den Sumpf und schauen, ob noch eine zweite Möglichkeit wartet. Was soll schon schlimmstenfalls passieren? Rufus lacht in ihren Gedanken, doch du lachst über ihn, während du durch das Moor tänzelt, die gefährlichen Stellen mit der Erfahrung einer Militärmagierin, die zwar nicht an schlimmeren, doch schon an genauso schlimmen Orten war, zu umgehen weiß und dir nur etwas ihre hohen Stiefel anfeuchtest. Jetzt weißt du auch, dass es wirklich nur noch einen weiteren Weg gibt und der ist, vor die Vordertür zu treten, deren abgetretene, aber doch saubere Stufen dich darauf hinweisen, dass wohl doch Bewohner zu vermuten seien. Jetzt erst verstehst du, dass dir nur zwei Möglichkeiten bleiben: Du kannst klopfen oder du kannst noch einmal austesten, ob auch hinter dieser Tür ein Blitz wartet. Du verfluchst dich wirklich dafür, nicht diesen Schlossöffnerzauber zu beherrschen oder sonst etwas, was dir einen heimlichen Auftritt verschaffen könnte. Das ist aber gut. Die Erkenntnis wirkt auf dich wie eine Dusche. Du klopfst, langsam nervös werdend, doch es will nichts geschehen. Vielleicht schlafen die Bewohner, vielleicht sind sie aus und kehren erst später zurück… und du magst die Idee nicht, auf der Türschwelle auf sie zu warten. Endlich denkst du nach und fragst dich, was du wohl kannst. Die Idee, die dir schließlich kommt, klingt einfach und wird dich entweder glücklich machen oder dich in ein Milchmädchen verwandeln. Du kannst doch Eisen rosten lassen – klar, die Akademie lässt es gerne gegen Waffen und Panzer nutzen und du wandtest es nicht mehr an, seitdem die Abschlussprüfung hinter dir liegt, doch warum nicht? Schloss damit schwächen, gezielter Schlag mit dem Stab und hoffen, dass kein Schutzmechanismus darauf wartet, mit der Kraft und den ungewohnten Strukturen zu reagieren. Das klingt doch gut. Das klingt es nicht nur, sondern es funktioniert auch, doch vergaßest du, dass der Verfall seine Zeit benötigt. Du wartest also wirklich auf den Treppenstufen, während langsam das Türschloss immer mehr von ihrer Kraft einbüßt und schließlich nicht etwa deinem Stab, sondern deinem puren Druck, nachgibt und dich eintreten lässt. Inzwischen wurde es so dunkel, dass du wirklich eine Fackel brauchst, und du zündest dir eine solche an. Der Anblick, der sich dir bietet, hätte dich vor einigen Stunden nicht überrascht, doch jetzt tut er es: Vom abgestandenen Geruch von Parfüm und Weihrauch begleitet, tratest du in einen Art Vorraum, an dem dich ein Mantelhaken dazu einlädt, es dir gemütlich zu machen, ehe du durch eine mit roten Vorhängen verkleidete Tür in den eigentlichen Ort eintreten könntest, doch klettert dein Blick erst einmal zum Bild über der Tür. Das ist doch… „Aillil?“, entfährt es dir, denn du erkennst deine Verwandte, auch wenn du sie vor Jahren das letzte Mal sahst. Natürlich, sie ist ein hohes Tier in der Rahja-Kirche und sie war sicher nicht unschuldig daran, dass du dich, als du zwölf warst, selbst für diese Kirche entschiedest, doch sie hier zu sehen… und vor allem so entblößt, wie es einer hohen Dienerin der Göttin der Liebe ja zusteht… es erschreckt dich. Es erschreckt dich aber noch mehr, als du siehst, wie diese nackte Frau, die dir kaum ähnlich sieht, aus dem Schatten von einem traurig blickenden Mann mit einem Raben auf der Schulter beobachtet wird. Natürlich, versuchst du schnell zu erklären, das soll wohl auf die Vergänglichkeit der Jugend und des Glücks hinweisen, doch in deinem Herzen weißt du, dass die Verbindung einer deiner Verwandten mit einem Symbol des Todes an einem Ort wie diesen zuviel für dich ist. Zum Glück sagt der Rufus in deinem Kopf nichts, du könntest ihm gerade schwerlich antworten. Wie weiter? Mitten durch? Nein, schon die Vorstellung verbreitet Panik in dir, weswegen du dich lieber für eine der beiden unscheinbaren, seitlichen Türen entscheidest. Freya Links wartet eine Küche. Du untersuchst gerade die Phiolen, die in einem Regal auf dich warten, und freust dich über einen Heiltrank, als du ein Geräusch hörst. Es kommt aus der Besenkammer, die dem Raum angeschlossen ist. „Hallo?“, rufst du halblaut, „Ist da wer?“ Du öffnest langsam die Tür und siehst die kleine, hässliche Gestalt, die sich am Boden kauert. Du wählst den freundlichen Weg. „Hallo“, sagst du noch einmal, „Du brauchst keine Angst zu haben. Ich tue dir nichts.“ Es ist ein Mann… oder ein Junge? Sein Blick ist wirr, sein Unterkiefer steht weit hervor wie bei einem Goblin und er reagiert nicht. Dir wird es zu dumm. „Bannbaladin“, sagst du, den schnellen Weg nehmend, doch nichts passiert. Schließlich rennt die Gestalt an dir vorbei und schon bald hörst du in der Ferne eine Tür ins Schloss fallen. „Fein gemacht“, sagt der Rufus in deinem Kopf. Du möchtest ihn schlagen, auch wenn er im Recht ist. Du bewegst dich tiefer in das Bordell herein, nachdem du dir sicher bist, dass du in den Gängen drumherum nichts mehr erreichen kannst, und musst immer mehr vergessen, dass du dich mitten im Moor befindest. Ein Bild zeigt eine unbekleidete Frau, die eine Rose küsst, die schon im Verwelken begriffen ist, auf der anderen Seite ein Jüngling in ähnlicher Pose – große Betten, an die Wände gemalte Weinranken, teure Teppiche, eine hinter Tapete verborgene Geheimtür… Moment. Du kannst dir nicht helfen und schiebst sie frei, womit du in einen von leuchtenden Kristallen erhellten Korridor trittst. Die Reise wird für dich immer unwirklicher, als es die Stufen nach oben führt, hindurch durch edlere Räume, die aber nur für private Augen bestimmt sind, immer nach Osten strebend, hinein in das Schlafzimmer eines jungen Mädchens, in dessen viel zu großem Bett sich die Kuscheltiere tummeln, doch keine Bewohnerin, denn diese erhebt sich gerade aus dem Sarg, der in der Mitte des Raumes steht, ein siebzehnjähriges Ding mit blonden Haaren und einer Blässe, die man nur als vornehm bezeichnen kann. Deine Sinne schlagen Alarm, die Reste deiner Kraft pulsieren und schreien danach, sich in Feuer zu verwandeln, doch du bist wie von Sinnen. „Du wirst uns nichts tun, nicht wahr?“, sagt sie und fährt mit einer Hand über deine Schulter, eine so angenehme, liebevolle Geste, dass du dich gar nicht wehren möchtest, selbst wenn du es noch könntest. „Ich bin Lytis“, sagt sie, „Ich lebe hier mit meinem Bruder Lorcan. Wir tun niemandem etwas zu Leibe, das schwöre ich dir, doch es ist einfach so stark und du bist schön, wie meine Rosen.“ – ‚Du bist auch schön’, denkst du dir und verlierst dich in ihren Augen, groß und haselnussbraun und so unendlich vertraut, auch wenn du nicht mehr weißt, warum. „Warm“, spricht sie fort und berührt dich. „Lebendig.“ Für dich beginnt dann langsam eine große Schwärze. Du siehst dich in einem Käfig aus Eisenstäben, der gerade groß genug ist für dich, an der Decke einer Kuppel hängend. Unter dir geschieht etwas Furchtbares und du willst es nicht sehen, also schüttelst du dich, damit es weggeht. Der Käfig schwingt dabei mit und quietscht bedrohlich, bis du die Kontrolle verlierst und nur noch ein Vogel im Wirbelsturm bist, der von den Wänden geschlagen wird. Es schmerzt dich unerbittlich, doch dann löst sich auch noch die Verankerung und mit einem Ruck stürzt du mitten in deinem Käfig in die Tiefe. Du erwachst, ohne dich bewegen oder klar sehen zu können. Du bist nackt, doch Rufus ist nicht bei dir, auch nicht seine Stimme, und du möchtest in diesem unermesslich weichen Bett versinken. Was bedeuten denn diese Bilder von einem blonden Mädchen und ihren Zähnen an deinem Hals? Zeit vergeht. Du hörst Stimmen und denkst erst, es wären Rufus und du, die da sprechen. „Sie welken. Es ist unseretwegen, nicht wahr? Nichts Lebendiges kann in unserer Nähe bestehen.“ – „Du bist dumm, Schwesterchen. Sie haben nur zu wenig Licht. Und immerhin können deine Rosen zu Boron gehen, wir nicht.“ Er macht eine Pause. „Verzeih, ich wollte dich nicht stören. Ich bin Lorcan, Lytis’ Bruder, und dasselbe wie sie. Wir verbergen uns schon eine ganze Zeit hier.“ Das ergibt für dich keinen Sinn, ehe du mit deinem glasigen Blick etwas höher schwenkst. Er wendet sich dir zu, wie du da liegst. Dir ist es egal. Soll er dich nur nackt sehen, wie immer das auch enden wird, das sei da ohne Belang. Er spricht. Der erste Teil seiner Geschichte entgleitet dir völlig, bist du doch zu sehr damit beschäftigt, dich aufzurichten und deinen Hals zu fühlen. Die Verletzungen sind frisch und deine Haut ist eiskalt, doch du spürst noch deinen Puls und atmest auf. Du lebst noch. „… und eines Tages entdeckte ich das verfallene Haus hier und beschloss, es für uns zu nutzen…“ Du gleitest wieder ab. Fühlst du noch deine Magie? Du weißt es nicht, du bist wie betäubt. Kann sie denn auch Astralkraft stehlen? Sicher, einer der beiden wüsste bestimmt noch etwas damit anzufangen, doch… nein. Du wirst es nicht mehr probieren. Die Zeit der Spielereien ist vorbei. Jetzt und in diesem Moment wirst du nur noch einmal deine Kräfte rufen oder besser gar nicht. „Wir nehmen von jedem nur wenig, und da wir auf diese Weise niemals hungern müssen, wird unsere Sucht niemals unkontrollierbar. Wir müssen nicht töten und wir… müssen nicht einmal grausam sein.“ Er endete. Das ist dein Einsatz, also vermassele ihn nicht. „Das... merke ich“, entfährt es dir schwach, „… und ich finde es schön, noch am Leben zu sein, aber…“ Dir gehen die Worte aus. Du sitzt nackt auf der Kante des Bettes und hältst den Blick auf Lycis, da er der Entscheidungstreffer zu sein scheint. „Ihr könnt hier nicht bleiben. Ich bin nicht zufällig hier und die nächste Gruppe, die hier erscheint, wird es auch nicht sein. Flieht und nutzt die Zeit, die ihr dadurch noch gewinnt.“ – „Nein“, sagt er. „Wir haben so viel Arbeit hier reingesteckt und endlich eine Heimat gefunden. Die Erfahrung lehrt uns…“ Du musst husten, ganz unabsichtlich, doch da das seinen Redefluss unterbricht, soll es dir recht sein. Du musst weiterreden und das bedeutet erst einmal, ihn vom Reden abzuhalten: „Fünfzig Dukaten und die Chance auf mehr“, beginnst du und brichst absichtlich eine ungeschriebene Regel, „bringt es mir ein, wenn ich euch hier beende. Ich versuchte den freundlichen Weg und landete hier.“ Nackt, auf dem Bett deiner Schwester, fügst du in Gedanken an, doch das sprichst du nicht aus. „Weißt du, was man für diese Summe noch bekommen kann? Rücksichtsloseres, Vorsichtigeres?“ Du stehst langsam auf und spürst deine wankenden Beine. „Lytis hat Recht“, sagst du und beachtest endlich wieder die Schwester. „Ich werde euch nichts tun. Ihr ließet mich am Leben, auch wenn ich mich hättet töten können, und deshalb akzeptiere ich meine Niederlage und trete zur Seite. Wir gleichen uns nämlich in einem Punkt: Ich töte auch nicht, solange ich nicht wirklich muss.“ Deine Knie wollen nachgeben, doch hältst stand: Lorcan soll die Entscheidung treffen. Er gibt auf, ohne es auszusprechen. „Komm, Schwesterchen“, sagt er, „Lass uns in die Sümpfe ziehen, als Verbannte ins Bannland. Wir werden einen wilden Rosenstrauch für dich finden, den du hegen und pflegen kannst, und aus seinen Zweigen werden wir uns ein Boronsrad flechten.“ Sie wollen gehen, doch du möchtest noch das letzte Wort haben. „Lebt wohl, Lytis, Lorcan, ich wünsche euch alles Glück der Welt und hoffe, wir sehen uns in diesem oder einem nächsten Leben wieder… und, Lytis: Versuche diesen Blick noch einmal bei mir und ich zeige dir, was ein richtiger Fulminictus ist.“ Du lächelst schwach, während sich die Vampire zu dir umdrehen, dich lange anblicken und sich dann von dir abwenden. Du bleibst zurück, nackt in einem Bett eines halbwüchsigen Vampirmädchens und umgeben von Kuscheltieren. Sie und ihr Bruder, sie drückten dich unter Wasser und zogen dich an die Luft und kannten doch nicht einmal deinen Namen. Der Rote Hang wartet, doch du kennst keine Eile. Du ziehst dich an, suchst deine Sachen zusammen, gehst die Treppe herunter, trittst durch die Geheimtür und bewunderst noch einmal die sehr geschmackvolle Einrichtung. Es soll ein Abschied auf immer werden. Rechte Faust an linke Schulter. Kurz konzentrieren. Dann schnell mit Zeige- und Mittelfinger auf das Ziel zeigen. Der Zauber nennt sich Ignifaxius und er hält, wofür er steht. Stoff und Teppich brennt wie Zunder, also musst du rennen, um das Gebäude zu verlassen. Du überlässt auch Aillil den Flammen, doch wenn du jetzt damit begonnen hättest, nach Gut und Böse zu unterscheiden und dir alles Wertvolle unter den Nagel zu reißen, dann hätte das alles, was gut war, gesprengt. Du möchtest deinen Abschluss, heute Nacht noch dein Geld und zwei Wochen Ruhe. Manchmal wird es einfach zuviel, und trotzdem lächelst du. Du hast gelogen, als du sagtest, du würdest dir deine Niederlage eingestehen – du verwandeltest sie in einen Sieg. Dein Auftraggeber wartet. Du taumelst immer noch, deshalb hältst du dich kurz. Es brannte, sagst du, und nun möchtest du Geld sehen und zwar genau die restlichen vierzig Goldstücke und keinen Heller weniger, denn es ging gegen Vampire. „Oh?“, entfährt es ihm da, „Wirklich?“ Das macht dich wütend. Er wusste es und ließ dich ins Messer laufen. „Nur eines“, sagst du, weil du dich wegen ihm nicht aufregen möchtest, „die wievielte Magierin war ich?“ – „Die erste, Herrgott noch mal, die erste“, plappert er beim Abschied. „Warum muss ich das denn bei jeder Frau wiederholen?“ Du willst Rufus einen Brief schreiben. Er ist so fern und in den langen Tagen, die du brauchst, um wieder zu Kräften zu kommen, fühlst du dich so einsam. Du sitzt über weißem Papier, doch dir fällt nichts ein. Was solltest du auch schreiben? „Bin in Brig-Lo angekommen und wurde von einer Vampirfrau gleich doppelt vernascht. Denke an dich. „? Sei doch endlich einmal entschlossen. Du kannst es sein. Du wirst es sein. Du bist es. „Lieber Rufus. Meine Eltern nannten mich einst nach dem Tauen des Frühlings, doch ich sehne mir die Kälte herbei. Wir sehen uns spätestens nächsten Winter in Grangor. F.“ Sollte er doch von dir halten, was er wollte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)