Allein von Kizzu (Eine David-FF) ================================================================================ Prolog: Unter dem Eis --------------------- Wieder mal eine neue FF von mir. Los gehts.^^ --- Kalt. So kalt. Vorsichtig öffnete ich meine Augen. Wo war ich? Was war passiert? Um mich war es stockfinster. Ich kam mir vor, als würde ich schweben. Aber da war noch etwas Anderes. Doch nein, ich trieb. Trieb unter Wasser. Als mir das bewusst wurde, riss ich erschrocken die Augen auf. Versuchte, die Luft anzuhalten. Lange würde ich das hier nicht überleben. In der Ferne konnte ich Stimmen hören. Es war unmöglich, sie zu verstehen. Zuordnen konnte ich sie auch nicht. Alles war merkwürdig taub. Wasser rauschte in meinen Ohren, ich fror wie nie zuvor. Würde ich hier nicht ertrinken, so würde ich erfrieren. Einfach erkalten, starr werden. Was sollte ich tun? Ich konnte nichts sehen, fühlte nur, wie sich die Kälte langsam, unerbittlich um mich schloss und mich zu erdrücken versuchte. Wieder hörte ich Stimmen, diesmal deutlicher. „David!“ Wer rief da nach mir? Ich bin hier unten, dachte ich verzweifelt. Ich will noch nicht sterben! Auf einmal spürte ich einen stechenden Schmerz im Fuß. Verzweifelt versuchte ich, nicht zu atmen. Ein Krampf… warum jetzt? Der Schmerz wollte nicht enden. Ich konnte nicht ruhig bleiben. Brennend strömte mir Wasser in die Kehle. Ich verlor jeglichen Halt. Wie ein Stein begann ich zu sinken. Tiefer in das schwarze Wasser. Wenige Meter vor mir sah ich plötzlich etwas aufblitzen. Es war ein Paar eisblauer Augen. Dann verschluckte mich die Schwärze des Wassers. --- Das wars. Wie findet ihr's? Kapitel 1: Nur ein kleiner Ausflug ---------------------------------- Danke für eure Kommis.^^ Es stimmt, im Moment weiß man noch nicht viel, aber das wäre ja dann auch langweilig. xP Hier kommt das erste Kapitel. --- Als David erwachte, fand er sich in einem hellen, für seinen Geschmack zu hellen, Raum wieder. Er musste nicht lange überlegen, um herauszufinden, dass er sich in einem Krankenzimmer befand. „David.“ Sein bester Freund Timo stand am Fußende des Bettes. Er sah ihn anklagend an. „Wie komme ich hierher?“, fragte David, fast flüsternd. Eigentlich war er nicht der Typ, der oft im Krankenhaus landete. Daher fragte er sich, wie er es dieses eine Mal geschafft haben sollte. „Das weißt du nicht mehr?“ Stumm schüttelte David den Kopf. „Wir waren doch gestern am See.“ Es hatte kurz vor Weihnachten noch einmal richtig geschneit und die Temperaturen waren stark gesunken. So kam es, dass Timo und David sich am Sonntagmittag dazu entschlossen hatten, zum Einfelder See zu fahren. Dieser war bereits zugefroren und am Morgen wurde im Radio erzählt, die Eisschicht wäre bereits mehr als 15cm dick. Damit war der See zum Schlittschuhlaufen freigegeben. Jan hatte auch zugesagt, während Christian mit einer dicken Erkältung zu Hause im Bett lag und daher lieber zu Hause bleiben wollte. Juri war lieber daheim in Hamburg geblieben und auch Frank war über die Feiertage nach Hause nach Heidelberg gefahren. Daher waren Jan, David und Timo allein losgezogen. David sah ihn verwundert an. Er erinnerte sich nicht an einen See. Timo erwiderte seinen Blick. Er wusste ja, dass sein bester Freund durchaus dazu neigte, einiges zu vergessen, aber das war jetzt merkwürdig. „Wir sind zum Einfelder See gefahren“, begann er also. „Jan, ich und du. Wir wollten einfach mal raus aus der Bude. Und vielleicht auch Schlittschuhlaufen. Am Anfang war alles in Ordnung. Aber auf einmal..“ Er brach ab, biss sich auf die Unterlippe. „Auf einmal bist du eingebrochen. Ich kann das gar nicht verstehen. Wir waren doch gar nicht in der abgesperrten Zone. Ich.. Ich bin tausend Tode gestorben vor Angst. Ich wollte dir hinterherspringen, aber Jan hat mich zurückgehalten. Wir haben dann Hilfe geholt. Zum Glück hat man dich gerade noch rechtzeitig da rausholen können. Ich hab dich gesehen, wie du da so eiskalt lagst. Verdammt, du hättest sterben können!“ „Oh“, brachte David nur krächzend hervor. Er konnte sich an nichts des eben Erzählten erinnern. „Das kannst du laut sagen“, brummte Timo. Eine Weile war es still zwischen den Freunden. Jan, den David bisher noch gar nicht bemerkt hatte, erhob sich vom Stuhl am Fenster. „Ich möchte bloß mal wissen, warum das Eis unter dir nachgegeben hat. Eigentlich darf sowas nicht sein. Die müssen doch prüfen, ob das Eis wirklich überall hält“, sagte er grimmig. Auch er hätte in David einen guten Freund verloren. „Aber ich bin ja noch am Leben“, sagte David beschwichtigend und versuchte, sich zu einem Lächeln durchzuringen. Stattdessen verzog er schmerzhaft das Gesicht. Sein Hals brannte fürchterlich. Timo legte seine Hand auf Davids. „Ruh dich aus. Versuch zu schlafen.“ David deutete ein Nicken an. Jan und Timo belagerten jeweils eine Seite seines Bettes. Bereit dazu, auch eine weitere Nacht Wache an seinem Krankenbett zu halten. --- Das wars auch schon wieder.^^ Wie findet ihrs? Kapitel 2: Nebenwirkungen ------------------------- Es hat etwas gedauert, aber jetzt gehts weiter.^^ ------ Als ich das nächste Mal aufwachte, ging es mir besser. Es war mir noch immer schleierhaft, wieso ich keinerlei Erinnerungen an den Tag am See hatte. Denn laut dem Arzt hatte ich keinen Gedächtnisverlust erlitten, alles arbeitete normal. Obwohl ich sicher eine ganze Weile geschlafen hatte, fühlte ich mich müder denn je. Meine Augen brannten, das Licht war einfach zu grell. Mühsam sah ich mich um. Jan und Timo waren nicht mehr da. Das wunderte mich allerdings nicht. Sicher hatte eine Schwester die Beiden nach Hause geschickt. Sie waren da gewesen, eine ganze Weile. Trotzdem hatte ich nicht viel davon mitbekommen. Im Einzelzimmer, in dem ich lag, herrschte Stille. Es war helllichter Tag und doch waren die Deckenleuchten an. Warum musste sowas sein? Entnervt schloss ich die Augen wieder. Ich dachte darüber nach, mich erst einmal hinzusetzen und dann nach dem roten Knopf zu suchen. Kurz stützte ich mich mit der Hand auf der Matratze ab und verzog sofort das Gesicht. Das musste die Nadel in meiner Vene sein, die sich gerade noch tiefer hineingebohrt hatte. Also bekam ich wohl eine Infusion. Ein Blick nach oben verriet mir, dass es eine Elektrolytlösung war. Das bedeutete, ich hatte zu wenig Flüssigkeit. Schnell drehte ich den Kopf zur Seite, hatte das grelle Licht schon wieder vergessen. Wenige Sekunden später wurde ich dafür mit einem stechenden Kopfschmerz bestraft. Besser wäre es gewesen, sich langsamer zu bewegen. Was sollte ich jetzt machen? Ich wollte nicht hier sein. Wenn die Ärzte der Meinung waren, ich hätte keine Verletzungen, warum konnte ich dann nicht einfach nach Hause gehen? Zwar kam mir alles verschwommen vor und meine Beine waren wie taub. Aber das würde wieder weggehen. Das war doch sicher nur, weil ich so lange gelegen und geschlafen hatte. Also würde es sicher vorübergehen. Nein, ich wollte wirklich nicht hierbleiben. Überzeugt, dieses Vorhaben auch umzusetzen, stand ich mit einem Ruck auf. Schon verschwamm das Zimmer vor meinen Augen… In dem Moment, in dem ich aufwachte, sah ich in das Gesicht einer Krankenschwester. Sie starrte mich an, als wäre ich ein Kind, das wieder nicht auf seine Mutter gehört hatte. Das Bett war so eingestellt, dass ich sitzen konnte. An meiner Hand klebte Blut. Die Nadel steckte nun in meiner Armbeuge. Dabei hatte ich die Kanüle doch überhaupt nicht herausgezogen. „Sie hätten drücken sollen“, ließ die Schwester verlauten. Ich nickte nur schwach. „Vielleicht sollten Sie mal was essen“, sagte sie mit einem Blick auf meinen Beistelltisch. Dort stand ein volles Tablett, Mittagessen, wie es schien. Die Krankenschwester sah nun mich wieder an. „Vegetarische Kost war doch richtig, oder?“ „Ja“, krächzte ich. „Dann guten Appetit.“ Mit diesen Worten verließ sie das Zimmer. ------ Kapitel 3: Neue Probleme ------------------------ So, es hat ein Weilchen gedauert, aber jetzt gehts weiter.^^ --- Drei Tage später wurde David aus dem Krankenhaus entlassen. Sein Zustand war nicht annähernd so stabil wie der behandelnde Arzt gehofft hatte. Aber David hatte seinen eigenen Kopf, das hatte er Dr. Steinberger innerhalb der letzten Tage schon mehr als einmal sehr deutlich bewiesen. Und er hatte ebenso darauf beharrt, gehen zu dürfen. Aus diesem Grund unterschrieb er also einfach, dass er auf eigene Verantwortung das Krankenhaus verlassen wollte. Nun saß Dr. Frederik Steinberger mit einer großen Tasse Kaffee im Schwesternzimmer der Station 6.0. Vor ihm auf dem Tisch lag Davids Akte. Er hatte gerade nicht viel zu tun, die Station war gut besetzt. Und im Notfall wäre er trotzdem sofort zur Stelle. Seltsamerweise war der Fall Bonk in letzter Zeit keine Seltenheit gewesen. Drei andere Krankenhäuser im Umkreis von Hamburg hatten bereits gemeldet, Patienten eingeliefert bekommen zu haben, die ebenfalls in einen See eingebrochen waren. Der junge Arzt runzelte die Stirn. So etwas war doch nicht normal. Man musste etwas dagegen unternehmen, soviel war sicher. Denn noch immer waren die Seen freigegeben und immer wieder hatte das Ordnungsamt beteuert, dass das Eis so dick war, dass die Einbruchgefahr minimal bis unmöglich war. Doch die sich häufenden Zwischenfälle sprachen Bände. „Frederik?“ Genannter schreckte hoch. Eine Krankenschwester stand vor ihm. „Alles in Ordnung?“ „Ja, Michelle. Was gibt’s?“ Die Schwester seufzte. „Frau Schenk hat nach dir verlangt.“ „Oh. Die von Zimmer 210?“ Michelle nickte. „Na wunderbar.“ Frederiks Stimme triefte nur so vor Ironie. Frau Schenk war eine nervige Person. Sie war mittleren Alters, hübsch, aber eine elende Simulantin. Und sie ließ sich ausschließlich von Dr. Steinberger behandeln. Diese Frau war nicht die einzige, die einen Narren an dem jungen Arzt gefressen hatte. Doch sie war diejenige, bei der es ihn am meisten störte. Es war nicht nur ihre Art, nein, diesmal kam erschwerend hinzu, dass sein Kaffee mit Sicherheit eiskalt war, wenn er das Zimmer der Frau endlich wieder verlassen konnte. Mit gequältem Blick verließ er das Schwesternzimmer, Michelle sah ihm mitleidig nach. Auf dem Tisch entdeckte sie die Akte von David. Ständig lässt er etwas herumliegen, dachte sie kopfschüttelnd. Gerade wollte sie die Akte schließen und zurück in den Schrank stellen, als ihre etwas ins Auge sprang. Alarmiert griff sie nach der Akte und sprintete aus dem Zimmer. „Frederik!“, rief sie aufgebracht, noch bevor sie bei ihm ankam. Er drehte sich um. „Sieh dir das mal an!“ Sein Blick fiel auf die Zahlen in der Akte und augenblicklich sah auch er ziemlich erschrocken aus. Er hatte ein Problem. Und eins stand fest: Sein Kaffee würde warten müssen. David fühlte sich alles andere als wohl. Doch er hatte darauf bestanden, nach Hause zu dürfen. Jetzt lag er in seinem Wohnzimmer auf dem Sofa. Schlapp, ausgelaugt, k.o., dabei hatte er sich kein Bisschen angestrengt an diesem Tag. Die Energie, die er noch am Morgen gegen die Krankenschwester aufgebracht hatte, weil er unbedingt gehen wollte, war verflogen. Es war fast so, als wäre sie nie da gewesen. Jan und Timo waren bei ihm geblieben, wie so oft. Timo, weil er sowieso schon so gut wie bei David eingezogen war und sich um ihn sorgte wie um ein kleines Kind – David hätte sich darüber aufgeregt, wenn er die Kraft gehabt hätte. Und Jan, weil er keine Lust hatte, nach Hause zu fahren. Die Stadt war komplett zugeschneit, die Straßen spiegelglatt. Er wollte nicht mit seinem Traumauto im Straßengraben landen. Er war es auch, der David aus dem Krankenhaus abgeholt hatte. Auch wenn ihm nicht verborgen geblieben war, dass es diesem alles andere als gut ging. Die beiden traten zu David ins Wohnzimmer, setzten sich auf das zweite Sofa. Timo rümpfte die Nase. „Hier riechts komisch.“ Jan schnupperte. „Du hast Recht.“ Er überlegte einen Moment. „Dimethylketon“, entfuhr es ihm plötzlich. Das wusste Jan noch von seiner abgebrochenen Ausbildung zum Chemisch-Technischen Assistenten. „Hä?“ Timo konnte ihm nicht folgen. „Aceton“, machte Jan nun seine Vermutung deutlicher. „Ach so.“ Ja, damit konnte Timo schon eher etwas anfangen. Das war dieses Zeug, was man des Öfteren in Nagellackentferner finden konnte. Was Timo aber nur wusste, weil seine Exfreundin oft mit dem Zeug herumhantiert hatte. Und immer wieder gejammert hatte, dass das Aceton darin ihre Haut stark austrocknete, weil es sie entfettete. „Aber warum verdammt riechts hier nach Aceton?“, fragte Timo. Der kleine DJ zuckte die Schultern. „Ich hab nicht die geringste Ahnung…“ --- Das wars erstmal wieder. Wie findet ihr's?^^ Kapitel 4: Wahrheiten --------------------- So, es hat mal wieder etwas gedauert. KreaTIEFs sind blöd. =( Naja, aber jetzt gehts weiter.^^ Obwohl ich Jan und Timo den Rücken zugedreht hatte, konnte ich deutlich ihre Blicke spüren. Mir schossen so viele Gedanken durch den Kopf. Wussten sie es? Wenn ja, wie lange schon? Und warum hatten sie nie etwas gesagt? Timo hätte es ahnen müssen. Dabei war ich immer sehr vorsichtig gewesen und hatte versucht, sämtliche Spuren zu verwischen. Aber irgendwann flog immer alles auf. Das hatte ich schon einmal erlebt. Sicher überlegten sie gerade, wie sie anfangen sollten. Ich konnte förmlich hören, welchen Kampf Timo gerade im Inneren mit sich ausführte. Es tat weh. Ich wusste ja, dass er sich immer viele Sorgen machte. Gerade, wenn es um mich ging. Doch dieses Mal wollte ich seine Hilfe nicht. Ich war doch schließlich nicht krank. Und ich wollte erst recht nicht darauf angesprochen werden. Denn was sollte ich auch dazu sagen? Es einfach zuzugeben würde mir Zeit und Mühe sparen. Aber das würde Timo nicht zufriedenstellen, dessen war ich mir bewusst. Sicher würde er mich zum nächsten Psychologen schleppen, auch mit Gewalt, und mir in der nächsten Zeit überhaupt nicht mehr von der Seite weichen. Ich wollte das alles nicht mehr. Alles, was ich wollte, war meine Ruhe. Nie ließ man mich allein, ständig wuselte irgendjemand um mich herum. Aber ich würde es nicht übers Herz bringen, Timo wegzuschicken, ihn rauszuwerfen. Gerade jetzt nicht, kurz vor Heiligabend. Ich spürte, wie mir das Herz hart gegen die Brust schlug. Denn jetzt kam Timo näher. „David, schläfst du?“ Seinen Tonfall konnte ich nicht zuordnen. Aber eins war sicher: Das klang nicht nach dem Timo, den ich schon sechzehn Jahre kannte. Langsam drehte ich mich um, darauf bedacht, ihm nicht direkt in die Augen zu sehen. „Hast du mir was zu sagen?“ Timo sah auf mich herab, sodass es mir fast schon Angst einjagte. Ich schwieg. „David…“, versuchte er es noch einmal und sah mich dabei anklagend an. Ich presste die Lippen aufeinander. Was sollte ich noch sagen? Er wusste doch scheinbar sowieso Bescheid! Timo sah nun etwas enttäuscht aus. „Schon verstanden“, murmelte er. Er drehte sich um und ging. Als er im Türrahmen stand, rief ich ihn zurück. „Warte bitte“, sagte ich leise und setzte mich auf. „Komm wieder her.“ Darauf hatte er scheinbar gewartet, denn Timo nickte leicht und kam wieder zurück. Er setzte sich auf den Tisch und sah mich an. „Wie lange schon, David?“ Ich schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht.“ Selbst merkte ich gar nicht, wie panisch ich klang. „Warum hast du mir nichts gesagt?“ Verwirrt sah ich Timo an. „Was soll ich denn sagen? Hey Timo, ich bin magersüchtig?“, fragte ich spöttisch, obwohl ich im selben Augenblick merkte, dass ich es ihm doch hätte sagen sollen. Immerhin war er mein bester Freund. Und er kümmerte sich mehr um mich, als meine Familie das je getan hatte. „So in etwa“, antwortete Timo leise. „Du warst ja schon immer sehr dünn, aber…“ Ich wusste genau, was er mir damit sagen wollte. Er fühlte sich schuldig, dass er es nicht eher gemerkt hatte. „Und wie bist du darauf gekommen?“, fragte ich noch viel leiser. Timo seufzte. „Jan ist vorhin wieder eingefallen, dass dieser Acetongeruch… also zum Einen riechen Diabetiker manchmal ein bisschen danach, aber du bist ja keiner. Aber Hungernde, die riechen manchmal danach...“ Er machte eine kleine Pause. Aceton? Ich hatte mich durch Chemie verraten? „Dass du in letzter Zeit irgendwie noch mehr abgenommen hast, habe ich gar nicht bemerkt.“ Ich wusste nicht, was ich noch sagen sollte und senkte den Kopf. „David?“ Timo zwang mich, ihn wieder anzusehen. „Wir schaffen das, ich verspreche es dir.“ Ich schwieg weiterhin. Nahm ihn nur stumm in den Arm. Und, wie findet ihrs? Kapitel 5: Heiligabend ---------------------- So, es geht weiter.^^ Wenn jemand David erzählt hätte, er würde dieses Weihnachten nicht zu Hause verbringen, hätte er diesen Jemand wohl ausgelacht. Und doch war es so. Noch am selben Tag war David wieder ins Krankenhaus eingeliefert worden. Diagnose: Blinddarmentzündung. Der Blinddarm musste sofort entfernt werden. Dr. Frederik Steinberger stand im Gang, der mit den einzelnen Operationssälen verbunden war. Er war nicht gerne hier, doch er musste noch kurz mit der Anästhesistin über Davids derzeitigen Zustand Rücksprache halten. Frederik hatte keine Chance gehabt, seinen Fehler zu vertuschen, deshalb war er jetzt umso vorsichtiger und gründlicher im Umgang mit Patienten. Sein Fehler war für David nicht lebensgefährlich und doch hätte ihm so etwas einfach nicht passieren dürfen. Er war erst fünf Jahre als Arzt tätig und trotzdem erwartete man von ihm dasselbe Fachwissen wie von jedem anderen Arzt auch. Er war nur ein Mensch und seine Verantwortung groß. Langsam begann er zu schwitzen, obwohl es im zweiten Untergeschoss des Krankenhauses angenehm kühl war. Seine Finger in den Handschuhen schienen zu glühen, der Mundschutz war auch etwas hinderlich. Und wo blieb denn seine Kollegin schon wieder? Still und reglos lag David in seinem Bett. Die sehr einer Kolik ähnelnden Schmerzen hatten ihn zum Glück für eine kurze Weile losgelassen. Er hatte seine Arme flach neben seinem Körper auf dem Bettlaken liegen. Es schien, als fürchtete er, sofort wieder Schmerzen zu haben, wenn er auch nur ansatzweise mit seinem Bauch in Berührung kam. Der Arzt in der Ambulanz hatte ihm mit dem Ultraschallgerät so stark auf den Bauch gedrückt, dass David am liebsten vom Tisch gesprungen wäre. Er musste das tun, sonst konnte er nicht viel erkennen. Das hatte er David auch mehrmals gesagt, aber dieser hatte unter den Schmerzen einfach nicht zuhören können. Sicher war aber, dass es der Blinddarm sein musste. Wenn er erst entfernt war, gab es zumindest ein Körperteil mehr, mit dem David nie wieder Probleme haben würde. Gleich würden sie ihn abholen. Noch nie hatte David einen Operationssaal von innen gesehen, aber er hatte eine grobe Vorstellung davon, was für Geräte es da wohl geben könnte. Er wusste genau, dass die Ärzte ihm nur helfen wollten und diese Operation schon viele Male durchgeführt hatten. Man hatte ihm eine Tablette gegeben, die ihn etwas ruhiger machen sollte, doch gegen die Panik, die langsam aber sicher in ihm hochstieg, konnte selbst dieses hoch dosierte Medikament nichts ausrichten. Und die Tablette half ihm genauso wenig dabei, an etwas anderes zu denken als diesen Operationssaal, die sich darin befindlichen Gerätschaften und dass man ihm gleich den Bauch aufschneiden würde. Er war nur dankbar, dass man die Narkose erfunden hatte. So würde er von der ganzen Operation gar nichts mitbekommen. David zuckte stark zusammen, als plötzlich jemand das Zimmer betrat. Es war ein junger, hoch gewachsener Kerl, sicher nicht viel älter als er. „Hallo, ich soll Sie abholen“, sagte er freundlich und löste die Bremsen des Bettes. „Kannst mich ruhig duzen“, bot ihm David sofort an. Gesiezt zu werden war ihm unangenehm. „Okay, ich bin Robin.“ „David.“ Robin lächelte. „Gut, David. Dann wollen wir mal los.“ Er schob David aus dem Zimmer und die Station entlang bis zum Fahrstuhl. Sie fuhren abwärts. „Ich bin etwas nervös… Und ich weiß gar nicht, wie das abläuft“, murmelte David. „Hm, mach dir da keine Gedanken, die wissen alle, was sie zu tun haben. Ich übergebe dich da unten gleich an eine Narkoseärztin.“ Robin überlegte kurz, dann fiel ihm noch etwas ein. „Das Hemd und so, du hast doch alles angezogen, oder?“ David nickte. „Okay, dann ist gut.“ Der Weg zum OP war lang. Auf einen Gang folgte gleich der nächste, sie kamen an zahllosen Türen vorbei. An einer dicken, schweren Tür kamen sie zum Stehen. David verkrampfte sich in seinem Bett. Robin, auf dessen Schild „Springer“ stand, öffnete die Tür und schob David hinein. Automatisch schloss diese sich wieder. Der Springer stellte Davids Bett ab. „Hier ist es zwar sowieso schon kalt, aber die Decke muss jetzt weg, Allein schon, weil sie nicht steril ist.“ Robin nahm die Decke und warf sie in einen riesigen Korb. Dann ging er in eine andere Ecke des Raumes und kam mit einer dünneren Decke zurück, die er über David ausbreitete. Und die Decke war gut vorgewärmt, David fühlte sich gleich ein wenig besser. Robin schob ihn weiter, in einen anderen Raum. David hatte nicht viel Zeit, sich umzusehen. Er sollte sich nun auf eine Trage legen, was er auch tat. Langsam schien die Tablette zu wirken, deshalb half Robin ihm. „Gut“, sagte dieser, „hier muss ich mich von dir verabschieden. Gleich kommt jemand und bringt dich ins OP.“ David schauderte, nickte aber nur. Er konnte es nicht ändern, es musste ja alles sein. „Ich wünsch dir viel Glück, du schaffst das schon.“ Er zwinkerte ihm zu, David konnte gerade noch so ein „Danke“ zurückrufen, dann kam auch schon eine ältere Frau und schob ihn in den eigentlichen OP-Saal. Jetzt ging es richtig los, ob er wollte oder nicht. Wie findet ihrs? Kapitel 6: Der 1. Weihnachtstag ------------------------------- Weiter gehts^^ Heute ausnahmsweise mal aus Timos Sicht. Sowas Blödes aber auch! Gerade Heiligabend musste Davids Blinddarm Ärger machen. Dabei hatte ich mir extra etwas für ihn überlegt, damit er nicht wieder stundenlang darüber nachdachte, warum der Kontakt zu seiner Mutter abgebrochen ist. Aber er musste noch am selben Tag operiert werden. Zu der Zeit saß ich alleine in seinem Haus im Wohnzimmer. Der Fernseher dudelte, was mich aber nicht weiter interessierte. Aber die Stille hätte ich sonst nicht ausgehalten. Das Wohnzimmer war echt schön geschmückt, nicht zu viel, gerade richtig. Dafür hatte sich David immer viel Zeit genommen, das wusste ich. Und so war es auch dieses Jahr. Das merkwürdige, mulmige Gefühl in meinem Magen wollte einfach nicht verschwinden. Aber vielleicht war ich auch einfach unfähig, es zu ignorieren. Ich wusste nicht wirklich, was ich tun sollte. Jan anrufen kam nicht infrage. Er war sicher zu Hause bei seiner Familie und ich traute mich nicht. Seine Familie mochte mich, das wusste ich, aber in eine Familienfeier passte ich nicht rein. Die letzten Jahre hatte ich immer nur mit David gefeiert. Es war gut so, ich kannte es nicht anders. Linke war über Weihnachten in Australien, ihn konnte ich jetzt auch schlecht anrufen. Bei Frank war es genau wie bei Jan. Und zu Juri hatte ich momentan überhaupt keinen Draht. Er kam mir verändert vor, auch wenn ich das Ganze noch nicht wirklich deuten konnte. Also blieb mir nichts anderes übrig, als allein zu bleiben. Ich schaltete den Fernseher aus und ging ins Bett. Weihnachten war einfach scheiße. Gegen Mittag am 1. Weihnachtstag machte ich mich auf den Weg zum Krankenhaus. Mir fiel nichts ein, was ich ihm mitbringen könnte. Das Geschenk wollte ich ihm auch erst zu Hause geben, also ging ich mit leeren Händen los. Ich hoffte, dass er wach war, auch wenn ich sicher gewartet hätte, bis er ausgeschlafen hatte. Er war sicher müde nach der Operation. An der Rezeption erkundigte ich mich nach seiner Zimmernummer und lief anschließend die Treppe bis in den sechsten Stock hoch. Krankenhäuser waren mir schon immer etwas unangenehm vorgekommen und ich fragte mich, wie sich da erst David fühlen musste, weil er ja schon wieder hier eingeliefert worden war. Während ich so nachdachte, wäre ich fast an der Station vorbeigelaufen. Auf mein Klopfen an der Zimmertür reagierte niemand, also öffnete ich sie leise. Ich konnte David nicht gleich sehen, weil das angrenzende kleine Badezimmer sehr in den Raum herein stach. Es sah merkwürdig aus, als wäre es erst im Nachhinein eingebaut worden. David lag in seinem Bett. Blass und dünn wie immer, seine Augen waren geschlossen. Er hing am Tropf, auch das hätte ich mir denken können. Nach der OP durfte er ja schließlich nicht sofort wieder essen, aber Flüssigkeit musste er trotzdem bekommen. Das Fenster war halb geöffnet, aber für meinen Geschmack war es eindeutig zu kalt im Raum. Ich ging um Davids Bett herum, schloss das Fenster und wandte mich ihm wieder zu. Er hatte sich nicht bewegt, doch seine Augen waren jetzt geöffnet. „David?“, fragte ich vorsichtig. Er gab keine Antwort. Ich wartete. Sicher ging es ihm nicht so gut. Ich hatte Zeit. Und er sollte sich auf keinen Fall hetzen. Mit einem Mal drehte er den Kopf zu mir. Seine Augen waren leer. Erst dachte ich, er sah durch mich hindurch, als wäre ich gar nicht da. Doch dann bemerkte ich eine einsame Träne, die sich den Weg über sein Gesicht bahnte. „Timo…“ Wie findet ihrs? Kapitel 7: ----------- Es geht weiter... Ich konnte es nicht sagen. Das würde mir einfach niemand glauben. Niemand! Auch nicht Timo. Aus diesem Grund hatte ich auch nichts mehr gesagt. Schon seit ich im Aufwachraum erwacht war, war ich still geblieben. Es war genauso, als ich wieder in mein Zimmer gefahren wurde. Wenn jemand in mein Zimmer kam, stellte ich mich schlafend. Bei Timo ging das aber nicht, er kannte mich viel einfach zu gut. Vielleicht wirkte ich müde, aber Fakt war, dass ich hellwach war… Das hatte auch seine Gründe. „Timo“, murmelte ich wieder. „Das wirst du mir jetzt sicher nicht glauben, aber…“ Meine Stimme versagte, also legte ich eine Zwangspause ein. Warum fiel mir das Sprechen jetzt nur so schwer? Timo schwieg, seine Augen lagen ruhig auf mir. Doch trotzdem konnte ich sein Hirn förmlich rattern hören. Er überlegte sicher fieberhaft, was jetzt wieder passiert sein könnte. Denn es war ja nicht zu übersehen, dass mir die Tränen gekommen waren. Wütend wischte ich sie weg. Es war lange her, dass ich das letzte Mal geweint hatte. Aber es hatte auch einfach nie einen Grund dafür gegeben. Ich hatte meine Trauer immer anders ausgedrückt. Sollte dieser blöde Tag mit diesem alles andere als schönen Vorfall etwa alles ändern? Aber Timo ließ mir Zeit. Das war gut. So konnte ich in Ruhe versuchen, die passenden Worte zu finden. Passende Worte für das, was mir in den letzten paar Stunden widerfahren war. „Erst hat man mir die Spritze gegeben“, begann ich, „zum Lahmlegen der Muskeln. Dann das Schlafmittel und das Schmerzmittel. Ich sollte noch langsam von zehn an herunter zählen, dann verschwamm alles um mich herum und ich war weg. Irgendwann hörte ich plötzlich Stimmen. Und da merkte ich, dass ich noch immer im OP-Saal sein musste. Ich konnte mich nicht bewegen, nicht sprechen, gar nichts. Ich hörte nur die Geräte und die Ärzte, die sich unterhielten. Und dann fühlte ich auch die Schmerzen, als sie mir die Bauchdecke aufgeschnitten haben. Ich habe die ganze Operation miterlebt und mitgefühlt und ich konnte mich einfach nicht bemerkbar machen.“ Ich hörte mich langsam sprechen, mit Bedacht, mit Pausen. Das kannte ich gar nicht von mir. Innerlich wollte ich schreien, aber ich lag einfach nur da und erzählte meine Geschichte, teilnahmslos wie ein Nachrichtensprecher. Timo hörte mir aufmerksam zu. Am Ende meiner Erzählung senkte er den Blick. „Das muss die Hölle gewesen sein.“ Er setzte sich auf die Bettkante. Schwieg kurz, schien nachzudenken. „Es ist nur leider passiert und im Nachhinein können wir es nicht ändern.“ Ich nickte leicht. Er hatte ja Recht. „Hast du gerade Schmerzen?“ „Ja“, antwortete ich. Timo langte nach der Fernbedienung, die auch den roten Knopf beinhielt. „Dann lass dir lieber was geben“, riet er mir und drückte. Wieder nickte ich. Die Schwester, die hereinkam, sagte nicht viel. Kaum hatte Timo ihr die Lage geschildert, war sie auch schon wieder auf dem Flur verschwunden und kam wenig später mit einem kleinen Rollcontainer wieder. Sie machte die Spritze fertig, spritzte mir das Schmerzmittel und war schon wieder verschwunden. Nach einer Weile merkte ich, dass ich entspannter wurde. Der Schmerz, den ich die ganze Zeit auszublenden versuchte, schwand und ebbte schließlich komplett ab. Ich stellte das Kopfteil des Bettes so ein, dass ich aufrecht sitzen konnte. „Jetzt hab ich Hunger“, teilte ich Timo mit. Mein Magen knurrte prompt zur Bestätigung. Timo grinste. „War ja klar. Aber ich glaube, das muss noch etwas warten.“ „Stimmt“, murmelte ich. Wir schwiegen. Nach einer Weile stellte ich das Kopfteil wieder zurück. „Ich versuch mal zu schlafen.“ Ich wollte jetzt nicht nachdenken. Was mir da heute passiert war, würde ich nie vergessen. Aber ich konnte es zumindest etwas ausblenden, mich auf andere Dinge konzentrieren. Am wichtigsten war es jetzt, normal zu essen und mein Gewicht zu steigern. Es würde nicht leicht werden, das war mir bewusst. Doch ich musste es schaffen. Während ich langsam alle Gedanken losließ, merkte ich, wie ich müder wurde. Und so bekam ich gar nicht mit, dass Timo längst gegangen war. Kapitel 8: Entlassung --------------------- Weiter gehts... Quasi pünktlich zu Silvester wurde David aus dem Krankenhaus entlassen. Alle anderen steckten mitten in den Vorbereitungen für die Party, so konnte ihn niemand abholen. Nach dem Mittagessen kam eine Ärztin in sein Zimmer, sah sich noch einmal seinen Bauch an und teilte ihm mit, dass er nun gehen könne. Auch entschuldigte sie sich noch tausendmal für den Fehler der Anästhesistin. David hörte nur mit halbem Ohr hin. Diese Entschuldigungen interessierten ihn nicht. Es war geschehen, es konnte nicht mehr rückgängig gemacht werden. Aber dass die Anästhesistin nicht selbst den Mut hatte, zu ihm zu kommen und sich nach seinem Befinden zu erkundigen, fand David schon traurig. Sie sollte zu ihrem Fehler stehen, fand er. David hätte sie gern gefragt, wie so etwas passieren kann und ob es Möglichkeiten gibt, diese Dinge zu verhindern. Er war noch immer nicht ganz auf der Höhe, versuchte sich in jeder möglichen Sekunde abzulenken. Verdrängen war keine Lösung, aber eine Überbrückung. In dem Moment, als die Ärztin sein Zimmer verlassen hatte und die Tür ins Schloss fiel, atmete er mehr als erleichtert auf. Ihm war nie wirklich bewusst gewesen, dass Frauen soviel reden konnten. David rückte sein Oberteil zurecht, das er bei der Untersuchung hochschieben musste und setzte sich vorsichtig im Bett auf. Einmal mehr kam er sich wie ein alter Mann vor. Mit zusammengebissenen Zähnen stand er auf. Wie viel Schmerz konnte ein Mensch überhaupt aushalten? Er begann langsam damit, seine Sachen einzuräumen. Zuerst ging er ins Bad und räumte seine Kulturtasche ein. Dabei vermied er konstant den Blick in den Spiegel. Er wollte im Moment wirklich nicht wissen, wie er aussah. Ein letzter Blick rundum, ob er auch nichts vergessen hatte, dann verließ er das Bad. Er packte den Kulturbeutel in seine Reisetasche und begann anschließend damit, den Schrank auszuräumen. Die Klamotten legte er nur halbherzig zusammen. Das hatte doch auch noch Zeit, bis er zu Hause war. Denn eigentlich wollte er nicht mehr Zeit in diesem Krankenhaus verbringen, als es noch unbedingt nötig war. Als ihm in einer Sekunde der Unachtsamkeit sein Portemonnaie auf den Fußboden fiel, stieß er innerlich einen Haufen Flüche aus. Wie sollte er das am besten aufheben? Was war die schmerzloseste Variante? Er entschied sich, sich auf den Boden zu knien, was auch ganz gut klappte. Bevor er versuchte, wieder aufzustehen, warf er das Geld in seine Reisetasche. So wollte er sichergehen, dass es ihm nicht ein zweites Mal herunterfallen würde. Denn er wusste ja, wie tollpatschig er sein konnte. Nun begann der schwierigere Teil. David ging in die Hocke und richtete sich langsam auf. Doch etwas verwundert stand er da. Es hatte kaum geschmerzt. Warum nicht gleich so? Trotzdem entschied er, zu Hause angekommen noch eine Schmerztablette zu nehmen. Zur Vorbeugung und um Schlimmeres zu vermeiden. Er räumte auch den Nachttisch aus und sah nochmal im ganzen Zimmer nach, ob er auch wirklich nichts vergessen hatte. Eines der Fenster öffnete er groß, dann nahm er seine Tasche und verließ er das Zimmer. Als er den Flur der Station entlang ging, grüßte er die Frauen im Schwesternzimmer mit einem kurzen Nicken und stand wenig später im Fahrstuhl, der zurück ins Erdgeschoss fuhr. Vom Haupteingang des Krankenhauses waren es nur wenige Meter bis zur nächsten Bushaltestelle. Hier fuhr nahezu jede Viertelstunde ein Bus ab, auch in die Richtung, in die David musste. Er sah kurz auf den Fahrplan. Der Bus würde gleich da sein. Hinsetzen lohnte sich also nicht. Er war der Einzige an der Haltestelle. Kurze Zeit später bog ein Bus um die Ecke, knallrot, wie die Busse hier erst seit ein paar Wochen waren. Er stieg ein, bezahlte und sah sich nach einem freien Platz um. Im vorderen Teil des Busses waren kaum noch freie Plätze, also ging er nach hinten. „David!“, rief plötzlich jemand. Der Gerufene konnte die Stimme nicht wirklich zuordnen und wusste auch gar nicht, ob er gemeint war, drehte sich aber trotzdem um. Robin, der Springer aus dem Krankenhaus, war gerade eingestiegen und hatte sich in eine freie Reihe im vorderen Busabteil gesetzt. Er winkte ihn heran. Der Bus fuhr ab. Leicht wankend ging David zurück und setzte sich zu ihm. „Hallo“, sagte er verwundert, der nicht mit Robin gerechnet hatte. „Na, geht’s heute nach Hause?“, fragte dieser lächelnd. David nickte. „Und was machst du hier?“, startete David eine Gegenfrage. Robin grinste. „Ich hatte Nachtschicht und jetzt geht’s nach Hause. War eben noch in der Cafeteria, was essen. Zu Hause wird erst mal geschlafen.“ „Kann ich nachvollziehen. Ist sicher auch ein anstrengender Job.“ „Auf jeden Fall. Aber ich mache das gerne. Und jetzt habe ich frei, ich kann sogar mit meiner Familie Silvester feiern.“ David lächelte. „Das ist doch schön. Sowas ist auch wichtig.“ Ein paar Stationen später stieg David aus. Er hatte noch ein Stückchen zu laufen. Dabei dachte er über Robins Worte nach. Vielleicht war das Neue Jahr eine gute Gelegenheit, sich mit seiner Mutter zu versöhnen. In gewisser Weise litt er darunter, keinen Kontakt zu ihr zu haben. Und tief in seinem Inneren wusste er, dass es ihr genauso ging. Als er im Haus war, hatte er für einen kleinen Augenblick die Hoffnung, dass jemand hier war, dass jemand auf ihn wartete. Aber es blieb stumm im Haus. Denn Timo war ja mit den anderen weg. David stellte seine Tasche erst einmal im Wohnzimmer ab und ging in die Küche. Er hatte Durst. Auf der Fensterbank saß seine Katze Lina und sah aus dem Fenster, einem Auto auf der Straße nach. Sie hörte David reinkommen und sprang leichtfüßig von der Fensterbank. Sie miaute leise und schmiegte sich an sein Bein. Vorsichtig bückte er sich, um sie auf den Arm zu nehmen und zu streicheln. Wenigstens Lina war noch da. Das wars für heute.^^ Kapitel 9: Silvester -------------------- Kapitel 9 Weil sowieso nichts Wichtiges mehr an diesem Tag anlag, hatte ich mich aufs Sofa gelegt. Lina machte es sich neben, besser gesagt auf mir bequem. Sie blieb tatsächlich eine ganze Weile ruhig auf meiner Brust liegen und ließ sich von mir streicheln. Irgendwann schlief ich ein. Ich wurde wieder wach, als es lautstark an der Tür klingelte. In der Zwischenzeit musste sich Lina verkrümelt haben. Etwas murrend stand ich auf, ignorierte den Schmerz dabei und schleppte mich zur Tür. Währenddessen klingelte es munter weiter. Ich riss die Tür auf, schon bereit mein Gegenüber anzuschnauzen. Aber es war Jan, der vor der Tür stand. „Ich wollt gucken, ob du schon wieder da bist“, sagte er, dabei klang er etwas entschuldigend. So, als hätte er gemerkt, dass ich geschlafen hatte. Er kam rein und ich machte die Tür wieder zu. „Und wie geht’s dir?“, fragte er, kaum, dass ich die Tür wieder geschlossen hatte. „Naja, war schon mal besser“, antwortete ich wahrheitsgemäß. „Ich nehm erst mal ne Tablette. Magst du was trinken?“ Jan nickte, während er sich die Jacke auszog und sie aufhängte. „Die Schuhe kannst du unter die Heizung stellen“, sagte ich, schon halb in der Küche verschwunden. Kurze Zeit später kam Jan nach und setzte sich an den Tisch. „Tee?“, fragte ich nach, da ich ohnehin vorhatte, jetzt welchen zu kochen. „Ja, gerne.“ Während das Wasser kochte, nahm ich erst mal eine Tablette und setzte mich dann zu Jan. „Nicht sehr warm hier“, stellte er fest. „Stimmt schon“, murmelte ich. „Aber die Heizung hier drin braucht immer ein bisschen länger. Ich hab sie schon angedreht, als ich gekommen bin.“ Wir tranken also unseren Tee, während die Heizung endlich anging, und unterhielten uns etwas. Ich war ganz froh, dass Jan da war. Er war so wunderbar unkompliziert. Zwischendurch leistete uns Lina etwas Gesellschaft. „Hast du Lust.. oder besser gesagt, traust du’s dir zu, mitzukommen? Wir brauchen noch ein paar Teile für morgen und ich hab gesagt, ich übernehm das Einkaufen.“ „Auf jeden Fall“, sagte ich sofort. Ich musste unbedingt mal wieder nach draußen. Die Tabletten hatten gut geholfen, ich spürte fast nichts mehr. Jan schob sich noch einen Keks in den Mund. „Dann zieh dich besser warm an, ist kalt draußen“, murmelte er noch mit halbvollem Mund. Ich nickte und verschwand nach oben. „Hast du eine Liste?“, fragte ich Jan, nachdem dieser den Einkaufswagen geholt hatte und ihn in den Laden schob. „Ja, irgendwo“, murmelte dieser und durchsuchte seine Taschen. Sekunden später stöhnte er entnervt auf. „Im Auto.“ „Ich warte hier“, bot ich an. Jan nickte und verschwand in die eisige Kälte. Während ich wartete, sah ich mich etwas um. Es war voll hier, viele erledigten noch die letzten Einkäufe im alten Jahr. Dass ich plötzlich Robin sah, überraschte mich deshalb weniger. Ich war zwar eigentlich der Meinung, dass er in einem ganz anderen Stadtteil wohnte als ich, aber dem war wohl nicht so. Er war aber zu weit weg und schon in Richtung Kasse unterwegs, daher wollte ich nicht durch den halben Laden brüllen. Außerdem schien er angestrengt nachzudenken, ob er nicht etwas vergessen hatte. „Hallo, Erde an David!“ Jan fuchtelte mit einer Hand vor meinem Gesicht rum. „Hm?“, machte ich nur. „Ich hab den Zettel. Wir können dann jetzt anfangen.“ „Ach so, klar.“ Also half ich Jan beim Einkaufen und anschließend brachte er mich wieder nach Hause. Er ließ mich raus und fuhr gleich weiter, weil er die Einkäufe nicht über Nacht im Auto lagern wollte. Da es schon spät war, ging ich gleich ins Bett. Der Silvestermorgen verlief bei mir relativ ruhig. Und nach dem Frühstück setzte ich mich vor den Fernseher, weil mir im Moment einfach nichts Besseres einfiel. Ich konnte im Nachhinein echt nicht mehr sagen, wie ich den Tag verbracht hatte. Zum Glück holte mich Jan etwas früher ab als geplant. Wir hatten mit ein paar anderen alten Freunden zusammen das kleine Feuerwehrhaus gemietet und wollten dort feiern. Das Feuerwehrhaus lag etwas außerhalb und so fuhren wir eine Weile bis dorthin. In der Zwischenzeit begann es zu schneien. Erst nur stellenweise, dann schneite es dicke Flocken. Als wir ankamen, standen schon ein paar Autos dort. Drinnen verfrachtete ich mich erst mal auf einen Stuhl neben einem alten Freund und unterhielt mich mit ihm. Im Laufe der Zeit kam auch der Rest an, darunter auch Juri. Frank war zu Hause in Heidelberg und würde mit seiner Familie feiern, genauso war es mit Chris, der in Australien wahrscheinlich gerade in der Sonne vor sich hin brutzelte. Wir aßen, tranken und lachten viel. Aber ich nur zum Äußeren hin. Nach innen war mir gar nicht nach feiern und so tun, als ob alles in Ordnung war. Timo hatte keine Augen für mich übrig, er hielt es für wichtiger, die Freundin eines Kumpels anzubaggern. Kurz vor Zwölf holte Jan den Sekt aus dem Kühlschrank und verteilte ihn auf die Gläser. Mir drückte er ein Glas alkoholfreien in die Hand. „Ist Sprite mit drin“, sagte er schmunzelnd, da er ganz genau wusste, dass mir der genauso wenig schmeckte wie Alkohol. Ich bedankte mich und er wuselte weiter, um die anderen Gläser auch loszuwerden. Wir gingen nach draußen und zählten die letzten Sekunden herunter. Beglückwünschten uns, nahmen uns in den Arm. Das Neue Jahr hatte begonnen... Kapitel 10: Eisblaue Augen -------------------------- Die nächsten Tage verliefen relativ ruhig. Timo schlief, wann immer er konnte, Juri fuhr nach Hause. Auch Jan wollte ein paar Tage zu Hause verbringen. David war auf dem Weg der Besserung. Trotzdem fühlte er sich etwas von Timo im Stich gelassen. Er war nicht mitgekommen, um ihn aus dem Krankenhaus abzuholen. Wenn David ehrlich war, hatte er felsenfest damit gerechnet, dass Timo Jan dorthin begleiten würde. Da das aber nicht reichte, hatten sie auch Silvester kaum ein Wort miteinander gesprochen. Jan konnte sich das auch nicht erklären. Er hatte mitbekommen, dass David nicht gut drauf war und der Grund konnte in diesem Fall nur Timo sein. Gerade saß Jan zu Hause in seinem alten Zimmer. Seine Mutter hatte das Zimmer in seinem alten Zustand gelassen, obwohl er nie zu Hause war. Er fühlte sich hier dennoch sehr wohl und nutzte jede Gelegenheit, mal wieder vorbeizuschauen. Er ruhte sich etwas auf dem Bett aus und dachte nach. Timo hatte sich doch sonst ausschließlich um David gekümmert. Jan war bei Timo nur die Nummer Zwei, was ihn aber nicht störte. Sie waren früher oft zu dritt unterwegs gewesen und Jan hatte nie das Gefühl gehabt, das fünfte Rad am Wagen zu sein. Doch in letzter Zeit hatten diese Unternehmungen abgenommen. Natürlich, sie waren viel als Band zusammen unterwegs gewesen. Aber selten hatte dieses Zusammensein wirklich einen freundschaftlichen Hintergrund gehabt. Timo und David konnten besessen sein von der Musik, und das waren sie auch. Doch oft kam es dadurch zu Streitigkeiten, weil sie Perfektionisten waren und ihr Ehrgeiz ins Unermessliche stieg. Jan streckte sich. Er musste jetzt irgendetwas tun, denn nur Grübeln war absolut nicht seine Art. Außerdem war er sich sicher, dass auch David schneller wieder gesund werden würde, wenn es mit Timo wieder einigermaßen gut klappte. Denn Jan sah ihm an, dass er darunter litt, auch wenn nie ein Wort darüber über Davids Lippen kam. David war schon immer jemand gewesen, der seine eigenen Probleme totschwieg und ausschließlich für alle anderen da war. Zu David konnte man immer gehen, wenn man Probleme hatte. Ihm selbst musste man aber alles aus der Nase ziehen. Der DJ kramte also nach seinem Handy und wählte Timos Nummer, die er schon ziemlich lange im Kurzwahlspeicher hatte. Dieser nahm ziemlich verpennt ab. „Jan? Was’n los?“, murmelte Timo. „Schläfst du etwa immer noch?“, fragte Jan verwundert, „Es ist schon wieder so spät.“ Timo am anderen Ende rieb sich die Augen und sah auf die Uhr. „Stimmt. Ich sollte mal aufstehen.“ „Allerdings“, pflichtete Jan ihm bei. „Wollen wir heute irgendwas machen, du, David und ich?“ „Klar. Kommst du vorbei? Ich muss mich erst mal fertig machen.“ „Dachte ich mir. Schaffst du’s in einer Stunde?“ „Witzbold“, brummte Timo zurück. „Sicher schaffe ich das.“ „Gut, dann bis später.“ Jan legte auf. Das war nur ein kleiner Anruf, aber er hoffte sehr, dass dadurch noch mehr ins Rollen geriet. Eineinhalb Stunden später, als auch Timo fertig war, machten sich die drei zu Fuß auf den Weg. „Was machen wir eigentlich?“, fragte David. „Ich dachte da so an Ki-“, fing Jan an, wurde jedoch von Timo unterbrochen. „Gehn wir doch in die Disco, hm?“ „Disco?“, fragten Jan und David aus einem Mund. David klang etwas erschrocken, er mochte Discos nicht. Auch Jan merkte das und wollte ganz schnell eine Alternative aus dem Ärmel schütteln, als Timo sagte: „Na kommt, wir müssen ja nicht ewig bleiben.“ David gab schließlich klein bei. Jan fiel im Moment auch nichts Besseres ein, also machten sie sich auf den Weg in die nächste Disco. Jan seufzte innerlich. Sie standen gerade in der Warteschlange vor der Disco und David sah überhaupt nicht glücklich aus. Timo war doch sicher nur hierhergegangen, damit er jemanden abschleppen konnte. Auch als sie in den Vorraum kamen, änderte sich Davids Miene nicht. An der Bar bestellten sie sich zuerst alle ein Glas Cola, als Jan seine Chance witterte. „Hey!“, rief er gegen die Musik an, wobei er David und Timo anstupste. „Ich geh mal hoch zum DJ, ich kenne den.“ Timo und David nickten synchron und Jan verschwand in der Menge. Es war viel los heute. Die Luft war stickig, der Bass dröhnte. Die beiden wechselten ein paar Worte, redeten über belanglose Dinge, doch wieder sagte David nicht, was los war. Hier hätte er das sowieso nicht besprechen wollen. Jemand tippte David plötzlich auf die Schulter. Als er sich umdrehte, stand vor ihm ein Mädchen. Sie war einen halben Kopf kleiner als David und fiel in der Menge fast überhaupt nicht auf, da sie sehr unauffällig gekleidet war. Auffallend waren ausschließlich ihre stechenden eisblauen Augen. David vermutete sehr stark, dass sie Kontaktlinsen trug, da er noch nie jemanden mit einer solchen Augenfarbe gesehen hatte. „Entschuldigung, kannst du mir sagen, wie spät es ist?“, rief sie gegen die Musik an. David nickte, versuchte, sie nicht allzu verblüfft anzustarren und sah auf die Uhr. „Halb Zwölf“, schrie er zurück. „Okay, danke“, rief das Mädchen. „Dann muss ich gleich gehen, ich bin noch nicht alt genug.“ Darauf wusste David nichts zu erwidern und schrie daher nur ein „Keine Ursache“ zurück. Das Mädchen drehte sich um und ging in Richtung Tanzfläche davon. Kaum hatte sie die ersten Tanzenden erreicht, verschmolz sie schon mit dem Rest und war nicht wiederzufinden. „Was war das denn?“, fragte Timo. David tippte zur Erklärung nur seine Uhr an und trank sein Glas Cola aus. Timo sah ihn etwas verwirrt an, er hatte nicht verstanden, was David ihm sagen wollte. Nach dem dritten Glas Cola und keiner Spur von Jan bahnte sich David den Weg zu den Toiletten. Er drückte die Tür auf und betrat den Raum. Aus einer Kabine konnte er sehr deutlich Würggeräusche vernehmen. David verzog angeekelt das Gesicht. Bloß schnell wieder weg hier. Er erledigte, was zu tun war und wusch sich die Hände. Beim Händetrocknen sah er kurz in den Spiegel. Die Würggeräusche hatten aufgehört. Seine Frisur saß auch noch einigermaßen. Gerade wollte er sich umdrehen und den Raum verlassen, als er im Augenwinkel ein Paar eisblauer Augen wahrnahm. Im nächsten Moment wurde alles schwarz vor seinen Augen. Kapitel 11: Tiefschwarz ----------------------- Ich wachte in meinem Bett auf, mit höllischen Kopfschmerzen. Timo saß auf der Bettkante und sah mit düsterem Blick im Zimmer herum. „Ich weiß nicht, wie du das immer machst“, sagte er. „Was machst?“, murmelte ich schlaftrunken. „Dich in Schwierigkeiten bringen“, gab Timo zurück. Irgendwie hatte ich keinen blassen Schimmer, wovon er sprach. „Findest du das witzig?“, fragte Timo angriffslustig. Erschrocken sah ich ihn an. Was war denn jetzt los? „Timo“, versuchte ich es vorsichtig, „ich weiß nicht, wovon du redest.“ „Man hat dich gestern auf dem Klo in der Disco k.o. geschlagen.“ Wie sehr ich es auch versuchte, mich zu erinnern, es ging nicht. Ich wusste nicht mal mehr, dass ich freiwillig in einer Disco gewesen sein sollte. Allerdings verkniff ich mir die Fragen. Timo sah schon sehr wütend aus. Aber warum auf mich? Was konnte ich schon getan haben? „Du hast sicher Kopfschmerzen“, sagte Timo schroff. „Ich geh Tabletten kaufen, unsere sind leer.“ Damit stand er auf und verließ den Raum. Bald hörte ich auch, wie sich die Haustür schloss. Was ging hier nur vor? Wieso war Timo so seltsam drauf? Ich blieb noch etwas liegen und rappelte mich dann vorsichtig auf. Alles fühlte sich merkwürdig an, wie taub. Ich stand auf und ging ein paar Schritte in der Hoffnung, das Gefühl würde verschwinden. Doch es tat sich nichts. Irgendwie schleppte ich mich ins Badezimmer und duschte. Das kalte Wasser, das an mir hinab rann, fühlte sich gut an und schien auch zu helfen. Nach und nach verschwand das Taubheitsgefühl. Aber seltsam fühlte ich mich noch immer. Ich stellte das Wasser etwas wärmer und schloss eine Weile die Augen, um still zu genießen. Irgendwann stellte ich das Wasser ab und stieg aus der Dusche. Ich trocknete mich ab und ging zurück in mein Zimmer, um mir etwas zum Anziehen rauszusuchen. Ich zog mich also an und sah auf die Uhr. Es war noch recht früh. Mit einem Mal spürte ich ein Stechen im Herzen und zuckte zusammen. Was war das jetzt? Ich hatte nie Herzprobleme gehabt. Was das anging, war ich kerngesund. Eine Erkältung? Die konnte sich doch auch durch so ein Stechen äußern. Doch das Stechen wurde stärker. Mein Herz schlug wie verrückt. Was sollte ich tun? Ich war viel zu hektisch, um ruhig zu atmen. Das würde ich nicht mehr lange aushalten. Mir tränten bereits die Augen. Dann ging alles ganz schnell. Ich sank zusammen. Die Umgebung verschwamm um mich herum. Mein Atem setzte aus. Ich fiel in ein Loch. Ein tiefschwarzes Loch verschluckte mich. Es war vorbei. Kapitel 12: Veränderungen ------------------------- David wusste nicht, wie lange er da mitten in seinem Zimmer auf dem Boden gelegen hatte. Er konnte sich nicht bewegen, er spürte nichts mehr. Alles war tiefschwarz. Sollte das das Ende sein? Sterben wollte er noch nicht. War das gerecht? Musste es für ihn wirklich hier und heute enden? Timo würde ihn hier früher oder später finden. Sie hatten sich in der letzten Zeit nicht gerade gut verstanden und nun würden sie sich nicht mal mehr versöhnen können. Er konnte und wollte hier doch jetzt nicht einfach sterben. Denn er doch noch so viel vor… Er öffnete die Augen. Das Zimmer um ihn war merkwürdig klar, er konnte alles genau erkennen. Die Sonne schien ins Zimmer. Also war er doch noch nicht tot? Er stand auf, dabei spürte er keine Schmerzen, auch sein Kopf tat nicht mehr weh. Was war hier passiert? Gerade hatte er noch das Gefühl gehabt, sein Herz würde zerbersten und nun war da nichts. Er fühlte sich besser denn je. Das war unglaublich, aber kam ihm nur recht. Endlich konnte alles wieder seinen gewohnten Gang nehmen. David war wieder vollkommen einsatzfähig und die Kreativphase sowie das Proben konnten endlich wieder eingeläutet werden. Mit einem Mal hörte er das Schlagen eines Herzens. Aber sein eigenes konnte es nicht sein, das schlug nur so stark, wenn er sich beim Laufen mal wieder überanstrengt hatte. Es kam aber aus der Richtung des Fensters, das konnte er deutlich hören. Verwundert ging er näher ans Fenster, zuckte leicht vor dem plötzlichen grellen Licht zurück. Auf dem Ast der Eiche seines Nachbars saß ein Vogel. War das also der Herzschlag des Vogels, den er da hören konnte? Konnte das wirklich sein? Plötzlich flog der Vogel weg und landete auf dem Fußweg etwas weiter weg. Der Herzschlag war nun undeutlicher zu hören. In der nächsten Sekunde stürzte sich eine fremde Katze, die sich in einem Busch versteckt hatte, auf den Vogel und biss zu. Der kleine Vogel, augenscheinlich ein Spatz, hatte keine Chance zu entwischen. David konnte hören, wie der Herzschlag leiser, langsamer wurde und schließlich aufhörte. Er biss sich auf die Unterlippe und wandte sich ab. Das war kein schöner Anblick gewesen. Aber viel merkwürdiger war, warum er all das hören konnte. Das war doch nicht normal. Er hatte ein sehr gutes Gehör, was ihm immer wieder dabei half, Stücke auf dem Klavier ganz ohne Noten zu spielen. Aber den Herzschlag eines Vogels hören? Eingebildet hatte er sich das jedenfalls nicht. Jetzt hörte er, wie Lina unten durchs Wohnzimmer lief. Doch so langsam wollte er nichts mehr hören? Doch egal, was er tat, es ging nicht weg. Er konnte jeden einzelnen von Linas Schritten hören. Wurde er jetzt auch noch verrückt? Dann hörte er in der Ferne leise einen beschleunigten Herzschlag. Als später die Haustür aufging, wusste er, es war Timo. Dieser hatte sich wohl ziemlich beeilt, David die Kopfschmerztabletten zu besorgen. Also war er gar nicht so sauer auf ihn, wie er vorgab. David seufzte auf. Ein Glück. Ohne Umschweife lief dieser die Treppe hoch und kam in Davids Zimmer. „Hey, ich hab sie“, rief er atemlos. „Moment mal, warum liegst du nicht im Bett? Du siehst so blass aus, leg dich besser wieder hin.“ David schüttelte den Kopf. „Nein, mir geht’s gut. Ich fühle mich wie neu geboren.“ Kapitel 13: Nächtliche Gedanken ------------------------------- Ein Grinsen huschte über seine Lippen. Seine Augen leuchteten blutrot. Es war tiefste Nacht, doch er fühlte sich wach. Und stark. Stark wie nie zuvor. Eigentlich war es schrecklich, dass jetzt alles anders war. Und doch fühlte es sich irgendwie gut an. Überall um sich herum hörte er kleine Herzen schlagen. Früher, da wäre ihm nie aufgefallen, wie viele Tiere nachtaktiv waren. Doch nun saß er hier im Park auf dem Ast eines toten Baumes und wartete. Wartete auf eine ganz bestimmte Person. Um diese Zeit waren kaum noch Menschen unterwegs, doch es würde sich schon jemand finden. Da war David sich ganz sicher. Was Timo wohl gerade trieb? Entweder schlief er seelenruhig oder hockte in der Garage. David hatte ihm versichert, dass sie jetzt musikalisch wieder voll durchstarten konnten. Immerhin fühlte er sich gut, es konnte gar nicht mehr besser werden. Was konnte ihrem Neustart denn jetzt noch im Wege stehen? Während David so da saß und wartete, dachte er nach. Ob er es Timo irgendwann sagen sollte? Er würde das sicher für einen Witz halten. Auch David hatte nie an solche Horrorgeschichten geglaubt, doch nun saß er hier und war selbst das Monster. Es war weiß Gott kein schönes Gefühl, ein Monster zu sein. So würde sich David auch niemals nennen. Doch er konnte ja nicht wissen, wie Timo dazu stand. Egal, wie gut er Timo sonst einschätzen konnte, hier wurde es schwierig. Seine Sinne waren jetzt seit guten zwei Wochen rasiermesserscharf. Endlich hatte er das absolute Gehör, etwas, das er sich schon ewig gewünscht hatte. Für seine eigene Musik und die der Band konnte das ja nur eine Bereicherung sein. Auch seine Sicht war immer angenehm klar, in der Nacht wie auch am Tag. Eigentlich war alles gut, es war perfekt. Mit einer klitzekleinen Ausnahme. David würde niemals altern – ob das jetzt gut oder schlecht war, würde David noch abwägen müssen – und er war unsterblich. Eines Tages würde er mit ansehen müssen, wie seine Freunde, seine Familie, kurzum alle die ihm wichtig waren, starben. Und er würde nichts dagegen tun können. Eines Tages würde er ganz allein sein. Wie sollte er das nur durchstehen? Timo und er hatten sich vor Jahren geschworen, dass sie für immer Freunde sein würden. Für immer, das sagte man so leicht. Aber David würde bald wissen, was „für immer“ bedeutete. Das Einzige, was ihm jetzt übrig blieb, war, die Zeit mit Timo und den anderen zu genießen. Doch wie sollte das gehen? Er konnte ja nicht einmal mehr mit ihnen zusammen essen. Wenn er das doch versuchte, würde das sicher ziemlich seltsam, wenn nicht sogar entsetzlich aussehen. Doch dafür musste er zu allererst mit den anderen reden, was David ziemliche Probleme bescherte. Er wurde nie müde und war somit ständig wach, sodass seine Gedanken nie zur Ruhe kamen und er in der letzten Zeit nicht selten das Gefühl gehabt hatte, sein Kopf würde platzen. Früher oder später musste er etwas dagegen unternehmen, sonst würde er wahnsinnig werden. Schier wahnsinnig wurde er auch, weil er keine Ahnung hatte, wer an seiner Verwandlung Schuld war. Er hatte keinerlei Erinnerung an eine Bisswunde, geschweige denn an eine Person, die dahinter stecken könnte. Endlich ging eine Person am Baum vorbei. Es war eine junge Frau, verängstigt suchte es den Weg durch den Park. Nur noch wenige Parklampen leuchteten, dafür hatte David schon gesorgt. Die Kleine war sicher auf dem Weg nach Hause. Schade nur, dass sie dort nie ankommen würde. Geräuschlos glitt David vom Baum und stürzte sich auf das Mädchen. Kapitel 14: Das Tier in mir --------------------------- Das Mädchen hatte keine Zeit mehr zum Schreien gehabt. David hatte sie überwältigt und stillte nun seinen Durst. Der metallische Geruch und auch die merkwürdige Süße des Blutes machten ihn beinahe wahnsinnig. Er schloss die Augen und genoss. Das Gefühl war berauschend und einzigartig. Er konnte sich nicht erinnern, sich je besser gefühlt zu haben. Doch so schnell das Gefühl gekommen war, verschwand es auch wieder. Und David fühlte wieder eine seltsame Leere in sich. Leise seufzend zog er den toten Körper des Mädchens in ein Gebüsch. Dann wischte er sich kurz über den Mund, um mögliche Blutspuren zu entfernen. Er vergrub die Hände in den Hosentaschen und setzte seinen Weg durch den Park fort. Die Zeit verging und er war bereits ein ganzes Stück durch die Stadt gelaufen, als er mehrere Herzen in der Nähe schlagen hören konnte. Schritte, die erst langsam, dann aber deutlich schneller wurden und näher kamen. „Hey, Kleine!“ Eine raue, spöttische Stimme war zu vernehmen. David musste nicht nachdenken, um zu wissen, dass er gemeint war. Doch er blieb nicht stehen. So einfach würde er es diesen schmierigen Typen sicher nicht machen. Er könnte jetzt schneller gehen, sie einfach abhängen. Doch das war nicht sein Stil. Jetzt jedenfalls nicht mehr. David war sich ziemlich sicher, dass er diese Typen kannte. Ihre Herzen schlugen schneller, pochten lauter an seinem Ohr und er wartete nur auf sie. Er würde sie gebührend empfangen. Sie kamen bei ihm an, umkreisten ihn wie Geier ein Stück Aas. „Ist sie nicht süß?“ Der gleiche Typ, der ihm gerade hinterhergerufen hatte, baute sich vor ihm auf. Er war einen ganzen Kopf größer als David – und scheinbar der Boss. Die anderen lachten und begannen, genau wie er, dreckig zu grinsen. David jedoch sah ihm in die Augen und verzog keine Miene. Als ihm jedoch einer der Typen hinter ihm einen Stoß gab, sah er urplötzlich Rot. Blitzschnell drehte er sich um. Der Typ weitete erschrocken die Augen. David holte aus. Seine Faust rammte die Nase seines Gegenübers. Er hörte den Knochen brechen. Die Wucht der Faust riss das Gangmitglied von den Füßen. Das Lachen um David herum war verstummt. Er sah nunmehr in ängstliche, schockierte Gesichter. Auch David war erschrocken, doch er ließ sich nichts anmerken. Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis der erste sich umdrehte und wegrannte. Er blickte nicht zurück und der Schrei blieb ihm im Halse stecken. Nach und nach nahmen alle Reißaus, bis am Ende nur noch der Boss und David übrig blieben. Der schien nicht wirklich erfreut darüber zu sein, dass David ihm die Gefolgschaft vergrault hatte. Er knackte mit den Fingerknochen. Sie tauschten einige Blicke, während sich der des Riesen immer mehr verfinsterte. „Das hast du nicht umsonst gemacht“, presste er zwischen den Zähnen hervor. David erwiderte nichts. Urplötzlich schnellte der Riese vor. Doch der Schwarzhaarige wartete nur. Eine Faust traf seinen Magen. Wider Erwarten zuckte David kein Stück zurück. Sein Blick wanderte runter zu der Faust des Riesen und anschließend langsam hoch zu seinem Gesicht. Dieser hielt inne. Das konnte doch gar nicht sein, dass so ein Fliegengewicht seiner Faust standhalten konnte! Er knirschte mit den Zähnen und nahm die Faust zurück. „Was bist du für ein Freak?“ Das war zu viel. David stürzte sich auf den Mann. Riss ihn zu Boden. Packte dessen Kopf mit den Händen. Und schmetterte ihn auf den Asphalt. Einmal, zweimal. Der Körper unter David wandte sich verzweifelt, er schrie. Sein Herz schlug schneller. Blut floss. Doch David war es egal, er machte weiter. Ein letztes Mal traf der Kopf des Riesen auf den Asphalt, bevor der Körper erschlaffte. David richtete sich auf. Dem toten Körper schenkte er noch einen letzten verächtlichen Blick, bevor er von dannen zog. Es dauerte nicht lange, bis David zu rennen begann. Bis er realisierte, was da eben geschehen war. Bis er realisierte, was er getan hatte. Er schüttelte immer wieder den Kopf, als könnte er die Bilder so zum Verschwinden bringen. Doch sie gingen nicht weg. Sie waren wie eingebrannt in sein Hirn. Jetzt konnte David eigentlich nur noch hoffen, dass Timo in seinem Bett lag und schlief. Denn so war es unmöglich, Timo unter die Augen zu treten. Er kannte Timo. Der würde sofort merken, dass etwas passiert sein musste. So schlug David einen anderen Weg ein. Nur weg, nur weg. Kapitel 15: Er darf es nie erfahren ----------------------------------- Wenn ich im Nachhinein so darüber nachdenke, konnte ich wirklich nicht mehr sagen, wie lange ich in dieser Nacht unterwegs gewesen war. Nicht, dass Zeit für mich überhaupt noch eine Rolle spielte. Doch irgendwann musste ich ja wieder nach Hause gehen. Und hoffen, dass Timo sich endlich schlafen gelegt hatte. Er durfte einfach nichts merken. Während meiner Flucht vor diesem Ort und den Geschehnissen, dieser Flucht vor mir selbst, interessierte mich meine Umwelt nicht im Geringsten. Ich blendete alles krampfhaft aus, und das gelang mir sehr gut. Mich interessierte nicht, was Leute dachten, die mich hier durch die Straßen rennen sahen. Im Grunde interessierte mich gar nichts. Immer noch hatte ich die Bilder im Kopf. Wie eine Filmszene wiederholte sich das Geschehen unaufhörlich immer wieder. Am liebsten wäre es mir gewesen, wenn mein Kopf einfach explodiert wäre. Ich wollte diese Bilder nicht mehr sehen. Ich stoppte erst, als ich am Ufer stand. Das war ja der Einfelder See. Wie weit war ich eigentlich gelaufen? Ich ließ mich ins Gras fallen. Ein paar Kilometer waren das schon gewesen. Früher, als ich noch öfters laufen war, wäre ich sicher niemals so weit gekommen. Und falls doch, dann wäre ich sicher ziemlich aus der Puste gewesen. Nicht so jetzt. Eigentlich lag ich auf dem Boden, als hätte ich mich noch gar nicht aus dem Bett bewegt. Es war dunkel, doch nicht für mich. Ich hatte kein Zeitgefühl und das brauchte ich auch nicht. Denn ich würde ewig auf Erden wandeln. Der Himmel war verdunkelt, kein Stern ließ sich erahnen und auch der Mond war nicht zu sehen. Es war ruhig hier, wenn man von all den Tieren absah, die in der Gegend umher wuselten. Ich setzte mich auf. Und erinnerte mich mit einem Mal. Hier war es, hier an diesem See hätte mein Leben schon einmal fast sein Ende gefunden. Vor Weihnachten war ich mit den anderen hier am See zum Schlittschuhlaufen. Ich brach in das Eis ein und wäre fast ertrunken. Jetzt kann ich das so leichtfertig sagen, doch damals wäre ich sicher nicht so damit umgegangen. Damals hatte ich noch ein Leben, das ich verlieren konnte. Doch wie war das eigentlich jetzt? Ich hatte kein Leben mehr. Hatte das alles überhaupt noch einen Sinn? Und wie war ich überhaupt zu dem geworden, was ich nun bin? Fragen über Fragen, auf die ich keine Antwort hatte. Jemand wie ich, der so sehr überzeugt davon war, dass es solche Wesen nicht gab, war zu einem Vampir geworden. Unsterblich. Verdammt für die Ewigkeit. Ich wollte nur noch Antworten finden. Zwar wusste ich noch nicht, wo ich mit dem Suchen beginnen sollte, aber das würde sich schon noch ändern. Viel wichtiger war im Moment allerdings, dass ich mich auf den Rückweg machte. Timo sollte nicht merken, dass ich immer noch weg war. Es war besser so. Er würde nur wieder nachfragen. Ich seufzte leise. Timo kannte mich besser als ich mich selbst. Er würde ganz genau wissen, dass etwas nicht stimmt. Wie sollte ich das vor ihm verheimlichen? Was konnte ich tun? Mir kam ein Gedanke, doch ich verwarf ihn ganz schnell wieder. Das konnte ich ihm nicht antun. Kopfschüttelnd stand ich auf und lief zurück in die Stadt. Ich schloss die Haustür hinter mir und verriegelte sie. Unten brannte nirgends Licht. Ich ging nach oben und auch dort war kein Licht, doch Timo lag in seinem Bett und schlief. Ein Glück. Lina hatte es sich am Fußende meines Bettes bequem gemacht und schlief. Ich legte mich ins Bett, sehr darauf bedacht, sie nicht zu wecken, und drehte mich auf die Seite. Müdigkeit verspürte ich nicht. Trotzdem schloss ich die Augen und versuchte, an etwas anderes zu denken. Die Männer hatte ich mittlerweile aus meinem Kopf verbannt. Jetzt war da nur noch Timo. Etwas Feuchtes lief über mein Gesicht. Ich hatte keine Ahnung, was es war. Dann versank ich. Versank in eine Traumwelt, in der alles so war, wie es sein sollte. Kapitel 16: Das, was ich bin ---------------------------- Ein paar Wochen gingen ins Land. Wochen, in denen David mehr als genug Zeit zum Nachdenken hatte. Mehr Zeit, als ihm lieb war. Er war ein verdammtes Monster, daran bestand nicht der geringste Zweifel. Für ihn gab es keine Heilung. Das einzige, was ihm für eine Weile Linderung verschaffen konnte, war Menschenblut. Er hatte es bereits mit Rinderblut und allerlei anderem versucht, doch nichts vermochte ihm dasselbe Gefühl zu geben wie das Blut eines Menschen. Allein der Gedanke daran, dass er das alles versucht hatte, widerte ihn an. In seinem vorherigen Leben hatte er schließlich Tiere geliebt und war Vegetarier gewesen. Darauf durfte und konnte er nun keine Rücksicht mehr nehmen. David hatte keine andere Wahl, als sich seinem Schicksal zu fügen. Mittlerweile konnte David Timo kaum noch in die Augen sehen. Es ging ihm nicht gut bei dieser ganzen Sache und er spürte Timos Enttäuschung, die mit jedem Tag mehr und mehr anwuchs. All die Lügen, die David erzählen musste, zehrten an den beiden jungen Männern. Timo wusste, dass David log. Der Schwarzhaarige war noch nie besonders gut im Lügen gewesen. David konnte nicht mehr allzu viel mit Timo unternehmen. Sie konnten ja nicht einmal mehr gemeinsam essen, denn das hätte wohl ziemlich makaber ausgesehen. Und doch war David froh, dass Timo nicht nachfragte. Er würde Timo nur noch mehr anlügen müssen und das schien dieser zu spüren. Irgendwann jedoch erreichte David einen Punkt, an dem er fürchtete, sein Kopf würde explodieren. Zu viele Gedanken und Erinnerungen schwirrten umher. Wenn er nicht endlich ein paar seiner Gedanken loslassen und mit jemandem teilen konnte, würde er sicher wahnsinnig werden. Er stieg die Treppe hinab und ging ins Wohnzimmer. Wie erwartet saß Timo dort auf dem Sofa. Der Fernseher lief. "Timo", begann er. Er wusste ja selbst, dass er es nicht ewig vor Timo geheim halten konnte. Und bevor Timo womöglich noch von selbst auf Davids neues Leben stoßen konnte, war es sicher besser, wenn er Timo zuvorkam. "Ach, du redest ja doch noch mit mir", stellte Timo fest und warf David einen kurzen Blick zu, den dieser nicht einordnen konnte. Dann widmete er sich wieder dem Fernseher. Die Kälte in Timos Stimme konnte er dafür fast körperlich spüren. Und er hatte Recht, denn in der letzten Zeit hatten sie sich wirklich wenig bis gar nicht unterhalten. "Ich muss unbedingt mit dir reden", fuhr David fort. Er setzte sich ebenfalls auf das Sofa. "Denn so wie jetzt kann es nicht weitergehen." "Das weiß ich schon lange", brummte Timo zurück. Er schien wirklich sauer zu sein. David verkrampfte sich unmerklich. Plötzlich änderte sich Timos Tonfall. "Alter, ich bin mit meinem Latein echt am Ende. Früher konnten wir uns alles erzählen. Warum ist das nicht mehr so?" Er sah David traurig an. Dieser nickte. "Ja, ich kann dich gut verstehen. Und ich werde jetzt versuchen, dir alles zu erklären. Du wirst mich zwar für verrückt halten..." Timo seufzte. "Wir werden sehen." Und David begann. Er redete sich alles von der Seele, erzählte von dem Mädchen mit den eisblauen Augen, seiner Verwandlung, seiner ersten Jagd und wie er die letzten Monate verbracht hatte. Allein den Zwischenfall mit dem großen Kerl ließ er aus. Während David berichtete, konnte er beobachten, wie Timos Augen sich weiteten. Doch er unterbrach seinen Freund nicht. Minuten vergingen, die David wie Stunden vorkamen. Auch, als David geendet hatte, sagte Timo eine Weile nichts. Irgendwann schüttelte er langsam den Kopf. Er öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen, doch er schloss ihn wieder. "Du... du willst mich doch verarschen", behauptete der Braunhaarige. "Ich wünschte wirklich, ich könnte jetzt ja sagen", murmelte David. "Das will ich wirklich. Aber ich kann es nicht." "Das kauf ich dir nicht ab." "Dann pass auf." David öffnete den Mund und bleckte die Zähne. Zuerst sah man nur seine fast makellosen Zähne. Doch dann musste Timo bei dem Schauspiel fassungslos zusehen. Vor Davids Zähnen wuchs langsam eine Reihe kleiner, spitzer Fangzähne. Timo schreckte zurück. Das war sicher nicht das, was man ein normales Gebiss nennen konnte. "Das..." Timo stockte. "Das kann nicht wahr sein", versuchte er sich erneut einzureden. David schloss den Mund wieder. Nun wirkte er nicht mehr so bedrohlich. Er schwieg und blickte Timo traurig an. Was konnte er jetzt auch noch sagen? Auch Timo war unfähig, auch nur einen Laut von sich zu geben. Sein bester Freund war tatsächlich ein Vampir. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)