Portrait der Sünde von LauraAStern (Eine Geschichte aus Mr. Crawfords Haus im Nebel) ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Der aufgewirbelte Staub tanzte golden durch die von Terpentin und Ölfarbe geschwängerte Luft der Mansarde, als Mr. Crawford sich mühsam durch die Tür zwängte, die von Staffeleien. Farbkästen und allerlei Unrat versperrt, ja regelrecht verbarrikadiert war. “Mr. Sterling?“, rief Mr. Crawford in den Raum, den die letzten Sonnenstrahlen dieses Septembertages gerade noch erhellten. “Lawrence? Bist du da?“, klang es auch von Victor, Mr. Crawfords Sohn, der nun ebenfalls durch den Türspalt in das Atelier seines Freundes schlüpfte. Doch ihren Rufen antwortete nur Stille. “Nun, der gute Mr. Sterling scheint nicht zugegen zu sein.“, stellte Mr. Crawford fest. “Wo wir aber schon einmal hier sind, Viktor, geh und öffne das Fenster, man kann hier ja kaum Atmen...“ “Eigenartig...“, murmelte Viktor und stiess mit dem Fuss einige Pinsel weg, während er tat, wie ihm geheissen. “Dabei ist Lawrence sonst so Ordentlich.“ Sein Vater lachte. “Ein ordentlicher Maler? Geht das denn? Ich dachte immer, Maler wären allesamt Chaoten.“ “Aber nicht Lawrence“, antwortete Viktor, obwohl das Zimmer eine ganz andere Sprache sprach, “Wenn er an einem Bild arbeitet, ergibt sich naturgemäss eine gewisse Unordnung, ja, aber sonst ist er die Ordnung in Person. Schon fast pedantisch. Letzte Woche erst zeigte er mir sein neustes Werk, da war sein Atelier geradezu glänzend sauber.“ “Ah, dieses hier? Wirklich eine wundervolle Arbeit. Der junge Mann hat Talent, das muss man schon anerkennen...“ Mortimer Crawford deutete auf das geradezu überwältigend schöne Gemälde auf der einzigen, noch stehenden Staffelei. Viktor trat neben seinen Vater und runzelte die Stirn. “Wann hat er das denn gemalt?“, murmelte er. Das Gemälde war längst getrocknet und gefirnisst, ja, sogar bereits gerahmt, obschon es auf der Staffelei stand. Es zeigte einen Engel von zauberhafter Schönheit, mit wallenden, blonden Locken, der wohlwollend auf den Jüngling, dessen Kopf im Schosse des Engels gebettet lag, hinabsah. Es fiel Viktor nicht schwer, den Jüngling als seinen Freund Lawrence zu erkennen, so sorgfältig und genau war jedes Detail seines Antlitzes, jede Locke seines braunen Haares auf die Leinwand gebannt worden. Auch den Engel erkannte Viktor wieder, wenn auch nicht so schnell. Doch er war sicher, dass es sich um die Figur der Cherubina handelte, ein Mädchen, nein, ein Ausdruck weiblicher Schönheit, der Lawrences überbordender Phantasie entsprungen war. Ihr Antlitz zierte auch das Werk, das Viktor zuletzt von Lawrence gesehen hatte. Nein, dieses Bildnis war letzte Woche bestimmt noch nicht hier gewesen. Gewiss hätte Lawrence es ihm gezeigt, war er doch ganz Vernarrt in seine Schöpfung Cherubina. “Eine solche Arbeit nimmt sicherlich viel Zeit in Anspruch.“, bemerkte sein Vater und hob ein kleines, in schlichtes, braunes Leder gebundenes Journal vom Boden auf, das Viktor als Lawrences Tagebuch erkannte. “Vielleicht gibt das uns ja ein wenig Aufschluss über den Verbleib des guten Mr. Sterling und darüber, was mit seiner viel gepriesenen Ordentlichkeit geschehen ist“, vermutete Mortimer und blätterte durch die Einträge der vergangenen Woche. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)